„Die europäische Unterstützung Uribes ist ein Skandal“

Gegen 50 Abgeordnete des Regierungslagers laufen Strafverfahren wegen Verbindungen zu rechten Paramilitärs. Ist es nicht auffällig, dass nun wegen mutmaßlicher Verbindungen zur FARC auch Ermittlungen gegen Sie eingeleitet worden sind?
Ich denke, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt. Die Regierung hat ja nicht nur „Beweise“ gegen die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba und mich vorgelegt, sondern auch den Obersten Gerichtshof frontal angegriffen. Offensichtlich will Uribe den Parapolitik-Skandal verschleiern.

Trotzdem ist Uribe populär – vor allem wegen der Bekämpfung der Guerilla. Stehen die FARC vor ihrem Ende?
Die FARC befinden sich nicht in einem Auflösungsprozess, wie die Regierung behauptet. Aber es ist wahr, dass sie in den letzten acht Monaten mehr Schläge eingesteckt haben als in 40 Jahren zuvor. Für die FARC sollte das Anlass zur Reflektion sein. Eine bewaffnete Revolution ist in Kolumbien heute unmöglich, die Guerilla hat zur städtischen Realität keine Verbindungen. Wenn Kolumbien wie andere Länder Lateinamerikas eine progressive Regierung haben soll, dann müssen die FARC einen Friedensprozess einleiten. Eine Fraktionierung der FARC in eine „weiche“ und eine „harte“ Linie sehe ich zwar nicht. Aber ich hoffe sehr, dass der neue FARC-Kommandant Alfonso Cano, der eine Nähe zum städtischen und intellektuellen Milieu hat, die FARC öffnet. Die FARC haben Beziehungen zu den progressiven Regierungen Lateinamerikas aufgebaut. In Kolumbien selbst geht es um die Festigung einer Linkspartei. Der politische Raum ist entscheidend.
Das Mitte-Links-Bündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) hat bei den letzten Wahlen fast 25 Prozent der Stimmen erhalten und regionale Mehrheiten gewonnen. Geändert hat das wenig. Der PDA-Bürgermeister in Bogotá, Lucho Garzón, hat die neoliberale Politik fortgesetzt.
Der PDA befindet sich in einem Konstituierungsprozess. Es gibt eine Strömung, die um jeden Preis in die Regierung will. Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen PDA, der die Machtfrage stellen und echte Transformationen durchsetzen will. Die Frage, ob sich mit Wahlen in Kolumbien etwas verändern lässt, ist berechtigt. Uribe hat schon angedeutet, dass er „die Katastrophe“ eines linken Wahlsiegs mit allen Mitteln verhindern werde. Um so wichtiger wäre eine Verhandlungslösung. Das Ziel solcher Verhandlungen müsste sein, Kolumbien zu demokratisieren.

Es gibt zahllose Hinweise auf Verbindungen der Uribe-Regierung zur Drogenkriminalität und zu Todesschwadronen. Warum findet der Präsident trotzdem so viel Zuspruch?
Viele erklären das mit dem bewaffneten Konflikt: Im Kampf gegen die FARC wird Uribe alles verziehen. Ich halte diese Erklärung für zu einfach. Man muss auch sehen, dass die Regierung die führenden Medien kontrolliert und sich auf klientelistische Strukturen stützen kann. Das sorgt im Inneren für eine breite Unterstützung. Was mich entsetzt, ist die Haltung der internationalen Gemeinschaft. Von der Bush-Administration kann man nichts anderes erwarten. Aber dass Uribe auch in Europa Gehör findet, ist ein Skandal. Nichtsdestotrotz wird sich Uribe verschleißen. Die Militärausgaben sind zu hoch. In Verbindung mit der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise wird das zu einem sozialen Problem. In der kolumbianischen Rechten häufen sich die Stimmen, die von einem „Uribismus ohne Uribe“ sprechen.

„Uribe hat die Partie noch lange nicht gewonnen“

Was ist Movice und warum habt Ihr am 6.März demonstriert?
Das Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado ist eine Bewegung zum Kampf gegen die Straflosigkeit. Das heißt, wir sind ein Zusammenschluss von vielen verschiedenen Organisationen: Bauernorganisationen, Indígena- und afrokolumbianische Gemeinden, Gewerkschaften, politische Parteien, Studierende und Nichtregierungsorganisationen. Uns ist gemein, dass wir Opfer von Verbrechen des kolumbianischen Staates sind. In Kolumbien gibt es systematische Morde und enge Verbindungen zwischen staatlichen Akteuren und paramilitärischen Strukturen. Es wurden Gesetze verabschiedet, die die Menschenrechte systematisch verletzen und eine Atmosphäre der Straflosigkeit geschaffen haben. Unser Anliegen ist es, das öffentlich auszusprechen und dagegen anzukämpfen. Die Demonstrationen vom 6. März haben wir seit Oktober des letzten Jahres vorbereitet. Sie sollten das IV. landesweite Treffen der Opferbewegung einleiten und unseren Positionen Öffentlichkeit geben.

War der 6. März das politische Gegenstück zur Demonstration gegen die FARC am 4. Februar?
Die FARC hatten gegen Ende des letzten Jahres mit einer Serie von sehr zweifelhaften Aktionen in Bezug auf die Entführten in ihrer Gewalt auf sich aufmerksam gemacht. Zum Beispiel das ganze hin und her mit der Freilassung einiger Geiseln und die Meldung vom Tod der elf Abgeordneten aus Valle de Cauca, die seit fünf Jahren gefangen waren. Diese Aktionen schürten Verunsicherung und Empörung.
Doch der 4. Februar wurde als Ereignis medial geschaffen und politisch gesteuert. Regierungsnahe Sektoren und die politische Rechte haben die berechtigte Empörung der Menschen aufgepeitscht, um diese zu instrumentalisieren. Hinter ihrem Slogan: „Nein zur FARC und Nein zum Terrorismus“, stand vor allem die Intention einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, der die autoritäre Anti-Terrorpolitik der Regierung unterstützt.
Die Demonstration vom 4. Februar erhielt von der Regierung jede nur denkbare Unterstützung; zunächst in Form öffentlicher Verlautbarungen von Regierungsvertretern. Schließlich wurde der gesamte Staatsapparat mobilisiert, um das Ereignis zu unterstützen. Die Behörden und Ministerien, einschließlich der staatlichen öffentlichen Einrichtungen und staatseigenen Betriebe schickten ihre Beschäftigten am 4. Februar zur Demonstration.
Tatsächlich war die Demonstration vom 4. Februar gigantisch. Doch was medial präsentiert wurde, war sehr einseitig. Für uns war es wichtig aufzuzeigen, dass es andere Formen der Gewalt gibt und dass es nicht ausreicht, eindimensional die Gewalt der Guerilla zu verurteilen. Um uns in dieser Situation Gehör zu verschaffen, war es notwendig alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenzurufen, die Position für die Opfer beziehen: Für die Opfer von Zwangsvertreibungen. Für die Familien der Ermordeten. Für die Verschwundenen.

Wie reagierte die Regierung darauf?
Die sagte nicht nur, dass sie nicht einverstanden sei, sondern einer der wichtigsten Berater von Präsident Uribe, José Obdulio Gaviria, beschuldigte uns im Vorfeld der Demonstration in einer Serie von öffentlichen Erklärungen, wir seien Angehörige der FARC.
Am 3. März, nach dem Bombenangriff auf das Guerillacamp, bei dem der FARC-Verhandlungsführer Raul Reyes getötet wurde, erklärte ein Polizeisprecher, sie hätten auf den geborgenen und wunderbarer Weise noch völlig intakten Datenspeichern der FARC Beweise dafür gefunden, dass unsere Demonstrationen mit der Guerilla in Verbindung stehen würde.
Im Allgemeinen unternahm die Regierung viel, um haltlose Anschuldigungen gegen uns in Umlauf zu bringen und um die Bewegung und unsere Demonstrationen zu stigmatisieren. Sie versuchte die Menschen einzuschüchtern. Sie versuchte diejenigen, die gegen den Paramilitarismus und die Gewalt des Staates protestieren, als Guerilleros darzustellen. Dabei hatten wir unseren Standpunkt stets klar gemacht: Wir lehnen jeden Einmischungsversuch seitens der FARC ab. Wir erklärten öffentlich, dass wir, Opfer staatlicher Verbrechen, auch die Entführungspraxis der FARC verurteilen. Es ist nicht wahr, dass wir mit der Guerilla sympathisieren, wir haben ihr gegenüber sehr kritische und ablehnende Positionen.
Was passierte dann am 6. März?
Der 6. März war für uns ein großer Erfolg. Nicht nur, weil viele hunderttausend Menschen in 102 Städten weltweit auf die Straße gingen und ein großes gesellschaftliches Spektrum verschiedener politischer und sozialer Kräfte die Demonstrationen unterstützte. Auch der Versuch der Regierung, ihre einseitige Lektüre der politischen Lage durchzusetzen, konnten wir verhindern.
Nach dem 6. März wird es sehr schwer sein zu behaupten, es gebe keinen Paramilitarismus mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung wird dem nicht glauben. Es wird schwer sein zu behaupten, der Staat sei für die Menschenrechtsverletzungen an der Bevölkerung nicht verantwortlich und der einzige Gewaltakteur im Land sei die Guerilla.
Doch man muss auch noch ein anderes, bitteres Resumee ziehen: Seit dem 23. Februar wurden sechs Gewerkschafter aus dem Unterstützerkreis der Demonstration ermordet, zwei von ihnen waren Organisatoren der Demonstration. Mehr als 50 Personen haben mittlerweile Drohungen erhalten, AktivistInnen der Opferbewegung wurden von Polizisten, Militärs oder Paramilitärs verfolgt. Es gab Attentate, Überfälle und andere Übergriffe. In acht verschiedenen Departments wurden die sozialen Organisationen und Menschenrechtsgruppen im Zusammenhang mit dem 6. März Opfer von Angriffen. Das ganze zeigt, dass der 6. März politisch und sozial auch von unseren Gegnern sehr ernst genommen wurde. Sie bekamen Angst und reagierten in der einzigen Sprache, die sie sprechen.

Angesichts dieser starken Repression, was konnte durch die Massenmobilisierung der Opferbewegung erreicht werden?
Wir befinden uns in einer Phase, in der der Uribismo sein autoritäres politisches, soziales und wirtschaftliches Projekt durchsetzt und den Paramilitarismus darin integriert. Es sei denn, es gelingt den sozialen und demokratischen Kräften des Landes die eigenen Spielräume zu verteidigen und neue zu öffnen. Der 6. März hat einen entscheidenden Beitrag erbracht: Wir konnten zeigen, dass wir, die sozialen Bewegungen Kolumbiens, obgleich wir einen hohen Preis dafür zahlen, in der Lage sind, öffentlich gegen das autoritäre Staatsmodell von Uribe machtvoll Position zu beziehen und eine Alternative zu präsentieren. Nach dem 4.Februar hätte man denken können, Uribe habe die totale Unterstützung der Bevölkerung und 100 Prozent Zustimmung für sein Projekt. Der 6. März hat das relativiert. Wahr ist, dass der Präsident einen großen Rückhalt hat, dass die Paramilitärs nach wie vor sehr mächtig sind. Aber die sozialen Organisationen sind immer noch da. Die Partie ist für Uribe noch lange nicht gewonnen.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir werden versuchen mit dieser Mobilisierung einen politischen Prozess in Bewegung zu setzen. Es reicht nicht aus, dass die Leute auf die Straße gehen, es ist notwendig, dass wir uns politisch durchsetzen. Wir wollen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer.
Unser Konzept dieser Begriffe ist sehr weitreichend. Wir kämpfen nicht nur dafür, dass die Wahrheit der Opfer gehört wird und sie individuell materiell entschädigt werden. Wir begreifen das Ziel als Wiedergutmachung für die kolumbianische Gesellschaft. Wir wollen einen gesellschaftlichen Konsens für Frieden und Demokratie. Wir fragen, wie wäre Kolumbien, wenn es keinen Paramilitarismus gäbe? Wenn es keine Straflosigkeit gäbe? Wenn es eine gerechte Landverteilung gäbe? Wenn das Land politisch, sozial und wirtschaftlich demokratisch wäre?

Paramilitärs haben sich durch Vertreibungen mehrere Millionen Hektar Land angeeignet. Was passiert mit dem geraubten Land?
Wenn von Straflosigkeit die Rede ist, dann denkt man meistens einfach nur daran, dass es an einer Bestrafung für bestimmte Verbrechen fehlt. In Kolumbien gibt es nicht nur dieses Phänomen.
Es existiert zudem eine Legalität von Verbrechen: Ein Zusammenspiel von Institutionen des Staates und bestimmten Mechanismen, die Gewalt legitimieren und den Nutzen rechtfertigen, den manche daraus ziehen.Die Landfrage ist das beste Beispiel. Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die den Landraub der Paramilitärs legalisieren. Viele Großgrundbesitzer haben von der paramilitärischen Gewalt profitiert und sich Ländereien angeeignet, die vollkommen legal in ihrem Besitz verbleiben werden. Uns geht es nicht nur darum, dass die Mörder bestraft werden, sondern wir wollen die wirtschaftlichen und politischen Strukturen aufdecken, die den Paramilitarismus ermöglicht haben und von ihm profitieren.

Welche Funktion hat der Paramilitarismus innerhalb des Staates?
Historisch betrachtet erfüllt der Paramilitarismus im Staat drei Funktionen: erstens die Aufstandsbekämpfung, als Teil einer staatlichen Strategie zur Bekämpfung der Guerilla. Zweitens lässt sich mit Paramilitarismus Reichtum akkumulieren: Paramilitärs schufen durch Massenvertreibungen und Angriffe auf die Gewerkschaftsbewegung Bedingungen, die nationalen Eliten und transnationalen Unternehmen die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskraft ermöglichten. Drittens ist der Paramilitarismus ein Mittel, soziale Widerstände mit Gewalt zu vernichten. 20 Jahre lang wurden diese drei Aufgaben vom Paramilitarismus erfüllt. Aber insbesondere in der Zeit von 1997 bis 2003 gab es eine Offensive, in der die Paramilitärs und ihre Verbündeten weite Teile des kolumbianischen Territoriums unter Kontrolle brachten.
Dann kam der so genannte Friedensschluss zwischen Paramilitärs und der Regierung, der ihren Demobilisierungsprozess eröffnete. Es gibt mittlerweile über 30.000 demobilisierte Paramilitärs. Offiziell spricht man von mehr als 3.000 Dissidenten, welche nach wie vor mit Gewalt und Terror gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, und sich in ihrer Funktionsweise nicht von den Paramilitärs vor der Demobilisierung unterscheiden. Die so genannten Aguilas Negras haben diese Rolle in etlichen Regionen des Landes übernommen: Es gibt sie in Sucre, Guajira, Magdalena, Cesar, Córdoba, in einigen Gebieten von Antioquia, Choco, Nariño, Cauca, Putumayo und Norte de Santander.
In der gegenwärtigen Phase versucht der Paramilitarismus gleichzeitig, seine Kontrolle aufrecht zu erhalten und zu legalisieren. Dieser Punkt ist ein wichtiger Aspekt, um einem anderen politischen Projekt den Weg zu eröffnen. Uribe verfolgt die Idee eines so genannten kommunitären Staates. Dieses Staatsmodell hat sehr autoritäre Merkmale: Die Unabhängigkeit der Staatsgewalten wird aufgeweicht, in der Exekutive konzentriert sich die Macht, Freiheitsrechte werden eingeschränkt und es werden mehr gesellschaftliche Bereiche dem neoliberalen Wirtschaftsmodell unterworfen.

Kasten
Ivan Cepeda
ist Gründer und Sprecher des 2005 gegründeten Netzwerks Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado MOVICE. Sein Vater war Mitglied der kolumbienischen Linkspartei Unión Patriótica („Patriotische Front“, UP) und kam 1994 bei einem Mordanschlag ums Leben. Die UP wurde systematisch vernichtet. 5.000 ParteianhängerInnen und nahezu alle ParteifunktionärInnen und gewählten RepräsentantInnen wurden getötet.
Cepeda schreibt eine regelmäßige Kolumne in der kolumbianischen Tageszeitung „El Espectador“, in der er Menschenrechtsthemen behandelt. Wegen Morddrohungen verbrachte er schon mehrere Jahre seines Lebens im Exil

Uribes dunkler Schatten

Justicia y Paz (Gerechtigkeit und Frieden) heißt das 2005 von Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe auf den Weg gebrachte Gesetz zur Auflösung paramilitärischer Verbände. Zur gleichen Zeit machte die Regierung bei so genannten Friedensverhandlungen mit den Paramilitärs (Autodefensas Unidas de Colombia, AUC) aus, dass diese ihre Waffen abgeben und sich den offiziellen Autoritäten ergeben sollten. Ironischerweise trat allerdings in den AUC-kontrollierten Gebieten daraufhin weder das eine noch das andere ein. Vielmehr wurden durch das Gesetz die in weiten Teilen Kolumbiens durch Gewalt errichteten lokalen Herrschaftsstrukturen der Paramilitärs gefestigt. Eine Großzahl der zwecks Machtnahme an Verbrechen wie Landraub, Mord und Folter beteiligten Milizionäre wurden amnestiert.

Dieser Sachverhalt ist einer der Aufhänger des Buchs Autoritärer Staat und paramilitärische Machtnahme in Kolumbien, herausgegeben durch die kolumbienkampagne berlin und das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL e.V.). In ihm soll gezeigt werden, wie Álvaro Uribe in den bisherigen fünf Jahren seiner Amtszeit versuchte, seine Vision eines autoritär kontrollierten, vom Sicherheitsdiskurs bestimmten Staats umzusetzen. In der Publikation wird aufgearbeitet, wie der Präsident das brutale Vorgehen der Paramilitärs gegen die Landbevölkerung, soziale Bewegungen und die Opposition als flankierende Maßnahme seines „Kampfes gegen Terrorismus“ – so beschreibt Uribe heute den Bürgerkrieg gegen die Guerillas – akzeptierte. Durch den paramilitärischen Terror sollten und sollen in Gebieten mit geringer staatlicher Präsenz „widerständige“ Strukturen zerstört und durch regimetreue Ex-Paramilitärs als Lokalherrscher ersetzt werden. Dazu angeführt wird wohlweislich, dass Uribe „Widerständige“ nicht nur in den bewaffneten Rebellen sieht, sondern auch in demokratischer Opposition, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen, die er „als Zivilisten getarnte Terroristen“ nennt.

Systematisch werden in dem Sammelband von Autoren aus Solidaritäts- und Menschenrechtskreisen sowie kolumbianischen Aktivisten einzelne Aspekte der Verstrickung von Staat, Paramilitärs und Großunternehmen aufgezeigt. Er beginnt mit einer analytischen Darstellung der Konsequenzen des Paramilitärgesetzes und des Aufbaus von Uribes autoritär gesteuertem und dezentral kontrolliertem „Kommunitären Staat“. In den einzelnen Texten werden immer konkreter die dazu nötigen Maßnahmen der Paramilitärs beschrieben, die Leid und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten. Erklärend wird dafür von Mario Duran ein Vier-Phasen-Modell des Paramilitarismus vorangestellt, das die Strategie paramilitärischer Machtübernahme darlegt: von der Vernichtung sozialer Strukturen über soziale Kontrolle und soziale Reorganisation hin zur legitimierten Herrschaft.
In den einzelnen Beiträgen wird detailliert skizziert, wie die AUC in fast alle strategischen Sektoren eingreifen, um sich selbst, der Staatsmacht, den Großgrundbesitzern oder der Großindustrie Ressourcen und Land zu sichern. Fabian Singelnstein benennt dafür als Beispiel die gewaltsame Landnahme und Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern im Rahmen der so genannten Gegenlandreform. In anderen Artikeln geht es unter anderem um die Enteignung und Vertreibung von LandbesitzerInnen, um den Weg für Ressourcenan- und -abbau im großen Stil zu öffnen, wie zum Beispiel für Ölpalm-Monokulturen und Kohle-, Gold-, oder Ölförderung. Im Fall der Ölförderung weist Autor Torben Somasundram zusätzlich darauf hin, dass zur
Unterdrückung von Protesten und zur territorialen Absicherung der kolumbianische „Sicherheitsapparat“ aus Militär und Paramilitärs extra von internationalen Großkonzernen wie Oxy oder Repsol YPF bezahlt wurde.
Kernthema von Autoritärer Staat und paramilitärische Machtnahme in Kolumbien ist immer wieder, wie soziale Bewegungen beziehungsweise Gewerkschaften durch Kriegsführung niedriger Intensität langsam ausgeblutet werden. So beschreibt Kristofer Lengert am Beispiel der Lebensmittelgewerkschaft SINALTRAINAL eindrucksvoll, auf welche perfide Weise die AUC-Milizionäre zivilgesellschaftliche AktivistInnen im Namen von Coca Cola oder Nestlé einschüchtern und ermorden. In diesem Kontext spricht Lengert von einer „Inszenierung des Terrors“, die zeigen soll, welch fatale Konsequenzen die Kollaboration mit kritisch denkenden und oppositionellen Personenkreisen haben kann. Zeugenaussagen mit genauen Schilderungen von Tathergängen geben dabei ein sehr präzises Bild davon, wie massiv insbesondere GewerkschafterInnen, MenschenrechtlerInnen und die kolumbianische Landbevölkerung – früher wie heute – von Paramilitärs und den aus ihnen gebildeten Machteliten bedroht und unterdrückt werden.
Explizit soll Autoritärer Staat und paramilitärische Machtnahme in Kolumbien eine breite Öffentlichkeit für die prekäre Menschenrechtslage und den schweren Stand der sozialen Bewegungen in Kolumbien sensibilisieren. Dafür bietet dieser Sammelband durch die Beleuchtung verschiedener Aspekte des „Kriegs gegen die soziale Bewegung“ eine sehr gute Grundlage. Zudem erhält das Buch durch Hintergrundanalysen und detaillierte Schilderungen der Lage vor Ort eine der Thematik angemessene Tiefe.

Eiszeit zwischen Uribe und Chávez

Vertrauen ist die Basis von Vielem – ob Gefangenenaustausch oder Handelsbeziehungen. So sieht das auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Es gibt nur ein Problem: Das Vertrauen zu Kolumbiens Präsidenten Álavaro Uribe Vélez ist aus seiner Sicht nachhaltig gestört. „Mein Vertrauen in die kolumbianische Regierung ist gleich Null. Für Handelsbeziehungen ist Vertrauen nötig, doch das ist pulverisiert“, äußerte Chávez in Buenos Aires, wo nacheinander die Gründung der Banco del Sur und die Amtseinführung von Cristina Fernández de Kirchner gefeiert wurden. Chávez neigt zuweilen zu dramatischen Äußerungen und das verlorene
Referendum (siehe Artikel in dieser Ausgabe) hat seine Laune nicht gebessert. Doch seine Aussage hat durchaus ökonomisches Drohpotenzial: Seit Jahren importiert Venezuela mit ansteigender Tendenz Waren des täglichen Gebrauchs aus Kolumbien. Dabei ist Venezuela für Kolumbien der zweitgrößte ausländische Absatzmarkt, vor allem für Agrar- und Textilprodukte. Auf über fünf Milliarden US-Dollar beläuft sich das Handelsvolumen, doch Venezuela kann sich mit seinen Petrodollars seine Importeure aussuchen, während Kolumbien für seine Fertigwaren auf Märkte angewiesen ist, zu denen es bevorzugten Zugang hat, denn weltmarktfähig sind sie nur zu geringen Teilen. Chávez` Ankündigung, künftig in Brasilien auf Shopping-Tour zu gehen, hat Substanz: Brasilien hat eine ausdifferenzierte Industriestruktur und könnte für Kolumbien locker in die Bresche springen.
All das hat Álvaro Uribe Vélez wohl kaum bedacht, als er am 21. November zu später Stunde den Vermittlern Hugo Chávez und Piedad Córdoba die Befugnis zur Verhandlung eines humanitären Abkommens entzog. Die kurze Note, ohne vorherigen Anruf bei der kolumbianischen Senatorin oder dem venezolanischen Staatsoberhaupt, hatte einen harschen Schlagabtausch zur Folge: Chávez bezeichnete Uribe Vélez als einen „Lügner“ und „Handlanger des Imperiums“. Im Gegenzug warf ihm der kolumbianische Präsident vor, dass er das Land zum Opfer eines Terrorregimes der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) machen wolle. Venezuela fror daraufhin die diplomatischen Beziehungen ein und berief seinen Botschafter aus Kolumbien ab.
Dabei hatte die Vermittlung in den vorangegagenen drei Monaten Leben in die festgefahrenen Verhandlungen gebracht. Zuletzt war es vor über sechs Jahren, im Juni 2001, während der Friedensgespräche des Präsidenten Andrés Pastrana zu einem Gefangenenaustausch gekommen. Nach Abbruch der Gespräche und dem Amtsantritt von Uribe Vélez hatte die Regierung auf die militärische Bekämpfung der Guerilla gesetzt, um aus einer Position der Stärke heraus Bedingungen zu diktieren. Eine eigenständige Verhandlungsstrategie existiert nicht. Sie ist dem Primat staatlicher Souveränitätsansprüche unterworfen. Der letzte Versuch, einen humanitären Austausch anzuregen, scheiterte im Oktober 2006, als die Regierung nach einem Bombenanschlag auf eine Militärschule die Bemühungen abbrach.
Die rege Verhandlungsdiplomatie, die Chávez und Córdoba entfalteten, weckte daher Hoffnungen auf einen baldigen Gefangenenaustausch. Erstmalig spielten dieses Mal internationale Vermittler eine tragende Rolle. Neben Chávez ist es der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der sich für die Freilassung der Franko-Kolumbianerin Ingrid Betancourt einsetzt. Auf sein Betreiben hin begnadigte die kolumbianische Regierung im Mai den „Kanzler der FARC“, Rodrigo Granda.
Allerdings fällt ein Ausgleich bei den verhärteten Positionen im kolumbianischen Konflikt nicht leicht. Die Hauptschwierigkeit ist das Verlangen der FARC nach einem zeitweiligen Abzug des Militärs aus den Gemeinden Pradera und Florida im südlichen Departement Valle de Cauca und die Weigerung der Regierung, ihren bewaffneten Verbänden ein Gebiet zu überlassen. Außerdem fordern die FARC, dass die Guerilleros „Simon Trinidad“ und „Sonia“ in den Austausch mit einbezogen werden. Die beiden sitzen nach ihrer Auslieferung in US-Gefängnissen. Allerdings hält die Guerilla drei Angehörige privater US-Militärunternehmen gefangen, die Teil des Austausches wären. Zudem verlangt die Regierung von den freizulassenden Guerilleros, dem bewaffneten Kampf abzuschwören, was die FARC hingegen strikt ablehnt.
Was die Regierung dazu bewog, der Oppositionspolitikerin Córdoba und dem linksgerichteten Chávez Vermittlungsaufgaben zuzugestehen, ist nicht eindeutig. Wahrscheinlich rechnete sie sich nur Vorteile aus: Im Falle eines Scheiterns hätte man ihnen die Schuld zuschieben und bei Erfolg hätte die Regierung versuchen können, die Lorbeeren zu ernten. Ein Motiv von Chávez ist vermutlich, die regionale Zusammenarbeit bei Sicherheitsangelegenheiten zu festigen – ohne Mitwirkung der USA – und vielleicht einen internationalen Imagegewinn als „Vermittler“ zu verbuchen.
Obwohl Venezuela der Hauptgegenspieler der USA auf dem Subkontinent und Kolumbien im Gegensatz dazu der Hauptverbündete ist, war die Beziehung der beiden Länder dennoch überwiegend kooperativ. Kolumbien und Venezuela bauen gemeinsam an einer Gaspipeline und bis vor Kurzem war selbst die Wiederbelebung der Andengemeinschaft denkbar. Das scheint nun endgültig der Vergangenheit anzugehören: Eine Rückkehr in die Andengemeinschaft schloss Chávez kategorisch aus, solange Uribe in Bogotá regiere.
Nach ihrer Autorisierung als Vermittlerin am 15. August diesen Jahres führte der Weg der linksliberalen Piedad Córdoba zunächst in die Gefängnisse Kolumbiens, um dort das Vertrauen gefangener Guerilleros zu suchen. Anschließend suchte sie das Camp des FARC-Sprechers „Raul Reyes“ auf, der einem Treffen mit dem venezolanischen Präsidenten zustimmte. Beim anschließenden Besuch in den USA traf sich Córdoba mit Vertretern des Außen- und Justizministeriums sowie demokratischen Abgeordneten, wo sie einen Besuch bei „Simón Trinidad“ erreichte. Dieser nahm daraufhin Abstand davon, Teil des Austausches zu werden und erleichterte somit die Verhandlungen.
Schließlich kam es am 8. November zur Zusammenkunft in Caracas. Im Palast Miraflores trafen Chávez und Córdoba auf den FARC-Vertreter Iván Márquez und gaben anschließend eine Pressekonferenz. Das Ergebnis: Die Vereinbarung einer Begegnung zwischen Venezuelas Präsidenten und dem FARC-Oberkommandierenden Manuel Marulanda in Kolumbien und die Verpflichtung, Lebenszeichen der Gefangenen zu überbringen.
Am 19. November flogen Chávez und Córdoba nach Paris, um mit Sarkozy zusammenzutreffen, allerdings ohne die versprochenen Lebenszeichen der Gefangenen. Nach dem Rückflug riefen sie ohne Absprache beim Oberbefehlshaber der kolumbianischen Armee, Mario Montoya, an. Das war der Anlass für Uribe Vélez, den beiden Vermittlern ihre Befugnis abzusprechen. Sie seien nur zum Kontakt mit ihm befugt gewesen, nicht aber zu Gesprächen mit anderen Funktionsträgern.
Nichtsdestotrotz ist der Anruf, wenn überhaupt, nur ein Verstoß gegen diplomatische Gepflogenheiten gewesen. Tatsächlich verwies der Präsident im Nachhinein darauf, dass die FARC nur an internationaler Anerkennung und nicht wirklich an einem Gefangenenaustausch interessiert seien. Ähnliches lässt sich allerdings für die kolumbianische Regierung behaupten. Sie ist nur dann am humanitären Abkommen interessiert, wenn er sich ohne politischen Gewinn für die FARC realisieren lässt.
Die Folge des abrupten Endes ist zunächst ein Verlust der entstandenen Vertrauensbasis. Die FARC sind zwar weiterhin zum Austausch bereit, aber sie werten den Abbruch als neuerliche Täuschung der Regierung. Auch Chávez und Córdoba bekräftigen ihre Bereitschaft zur weiteren Vermittlung, nur ohne Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Regierung, wobei sie von den Angehörigen der Gefangenen unterstützt werden.
Nach Regierungsvorstellungen soll bei den Anstrengungen für ein humanitäres Abkommen die internationale Beteiligung begrenzt werden und die Regierung die tragende Rolle spielen. Die alleinige Zuständigkeit für Verhandlungen erhielt der Hochkommissar für den Frieden, Luis Carlos Restrepo, der sie diskret abwickeln soll. Die Vermittlerrolle soll nunmehr die katholische Kirche übernehmen. Zwar zählt Uribe Vélez weiterhin auf die Unterstützung Sarkozys, allerdings wird der französische Präsident als Verbündeter und nicht als Schlichter betrachtet. Eine eigenständige Vermittlungsinitiative ist in dieser Konstellation nicht mehr vorgesehen.
Zugleich trat der kolumbianische Präsident am 7. Dezember mit einem Vorschlag für ein demilitarisiertes Gebiet an die Öffentlichkeit. Allerdings ist er keineswegs neu. Die FARC dürfe dort nur unbewaffnet präsent sein, was einem Angebot von vor gut einem Jahr entspricht. Jedoch fordert die Guerilla ihre Anwesenheit in Waffen.
Damit sind die Verhandlungen wieder zu einem bekannten Punkt zurückgekehrt. Aber ohne erkennbare Initiative, die diese Positionen einander näher bringen könnte. Vielmehr haben sich die Bedingungen verschlechtert, denn das Misstrauen der Konfliktparteien hat neue Nahrung erhalten. Überdies liegt die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit auf den Spannungen mit Venezuela. Damit ist das Bemühen um ein humanitäres Abkommen wieder einmal in den Hintergrund getreten und läuft Gefahr, erneut zu scheitern.

Uribe vor dem aus?

Am Ende sahen sich alle als GewinnerInnen. Als am Sonntag, den 28. Oktober, die ersten Hochrechnungen für die wichtigsten Städte und Provinzen vorlagen, wollte keineR der KandidatInnen von einer Niederlage sprechen. Tatsächlich machten es die unterschiedlichen Ergebnisse in den einzelnen Regionen des gewaltgeplagten Andenstaates nicht eben leicht, klare Tendenzen zu erkennen, oder gar einen „großen Verlierer“ auszumachen.
In der öffentlichen Meinung bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch kein Zweifel mehr, dass der „große Gewinner“ der Wahlen Samuel Moreno hieß. Dessen Partei, das linke oppositionelle Bündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA), hat einmal mehr einen überwältigenden Sieg in Bogotá errungen. Nach dem spektakulären Coup von Lucho Garzón im Jahre 2003 ist es nun auch seinem Parteigenossen gelungen, gegen eine diffamierende Medienkampagne und trotz der direkten Einflussnahme des rechtsgerichteten Präsidenten Álvaro Uribe, das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt zu erobern. Dieses gilt traditionell als Sprungbrett zur Präsidentschaft und somit als zweitwichtigste politische Position. Geht damit jedoch wirklich ein „Linksruck“ durch das Land, oder sind gar „Uribes Konservative abgeschafft“, wie hierzulande etwa die taz titelte?
Diese These ist mehr als fraglich. Eine genaue Analyse der Ergebnisse zeigt vielmehr, dass der PDA zwar mit einer komfortablen Mehrheit von 43,7 Prozent die Wahlen in Bogotá gewonnen hat. Dennoch ist es der Linken nicht geglückt, diesen Trend auch auf andere Landesteile zu übertragen. Einzige Ausnahme war die Provinz Nariño, wo der ehemalige Guerillero und PDA-Mitbegründer Antonio Navarro mit 49,8 Prozent der Stimmen zum Gouverneur gewählt wurde. Weitere Überraschungen gab es in Medellín, wo der bekannte Buchautor Alonso Salazar von der Bewegung Soziale Indigene Allianz das Amt des Bürgermeisters übernahm, sowie in der Provinz César, deren neuer Gouverneur nun der Grüne Cristian Moreno ist. Nur dort und in der Hauptstadt unterlagen die KandidatInnen des Establishments deutlich. Wie selten zuvor hatten sie sich durch eine arrogante Haltung ausgezeichnet.
Aus diesem Grunde fiel Uribes Kandidat in Bogotá, der ungeliebte „Technokrat“ Enrique Peñalosa, in der Gunst der WählerInnen immer weiter zurück. Am Ende straften ihn diese mit mageren 28,2 Prozent ab – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 48 Prozent. Dieses schlechte Abschneiden eines linientreuen Mitstreiters ist insofern verwunderlich, als die überwiegend regierungstreuen Medien ganz ungeniert für die KandidatInnen von Uribes Gnaden warben. Die schmutzige Kampagne gegen den PDA erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als der Präsident gleich mehrfach verkündete, die Kolumbianer sollten „niemanden wählen, für den auf der Website einer illegalen bewaffneten Gruppierung geworben wird“.
Wie sich herausstellte, hatte die der linksgerichteten FARC-Guerilla nahestehende Nachrichtenagentur ANNCOL im Internet dazu aufgerufen, die KandidatInnen des PDA zu unterstützen. Für Uribe und Konsorten stand somit fest, dass die zivile Linke mit der bewaffneten Linken unter einer Decke stecken müsse. In der dualistischen Sichtweise des Präsidenten konnte es sich bei Moreno, Navarro und dem PDA-Vorsitzenden Carlos Gaviria folglich nur um „die willfährigen Handlanger von Narco-Terroristen“ handeln. Dass er mit seinen im Fernsehen übertragenen Kommentaren klar die Normen der Verfassung verletzte, hat ihn bislang wenig beeindruckt.
Den meisten WahlanalystInnen zufolge ist es nicht zuletzt Uribes unbedachten Äußerungen zu verdanken, dass Moreno überhaupt einen derart hohen Sieg einfahren konnte. Den Erfolg jedoch nur auf dieses „Missgeschick“ zurückzuführen, würde zu kurz greifen. Alle verfügbaren Daten zeigen, dass der PDA bereits im Vorfeld sehr gut aufgestellt war und sich nach einer schwierigen Phase zu Beginn des Jahrtausends mittlerweile konsolidiert hat. Unglücklicherweise gilt diese Feststellung auch für eine Reihe weniger ehrenwerter Gruppen.
Die Rede ist von den zahlreichen Ad-hoc-Allianzen, die nach dem Zusammenbruch der traditionellen Zwei-Parteien-Herrschaft der Liberalen und Konservativen das politische Ruder übernommen haben. Dabei handelt es sich um Wahlplattformen, die sich aus DissidentInnen der beiden Traditionsparteien zusammensetzen und dem parteilosen Uribe eine Mehrheit im Parlament verschaffen. Diese Bündnisse als „Parteien“ zu bezeichnen, ist im Grunde ein Euphemismus. Denn weder handelt es sich um Gruppierungen, die entlang sozialer Konfliktlinien entstanden sind, noch verfügen sie über ein kohärentes politisches Programm. Was die so genannten uribista-Parteien hingegen eint, ist ihr Wille zur Macht. Ohne jede Fraktionsdisziplin und völlig inhaltsleer, geht es ihren FührerInnen hauptsächlich darum, Partikularinteressen im Kongress durchzusetzen und sich möglichst schnell zu bereichern.
Als übelste Form des weit verbreiteten Klientelismus hat sich in letzter Zeit die so genannte parapolítica entpuppt. Nach harter internationaler Kritik musste Uribe zugeben, dass der Kongress massiv von VertreterInnen der rechtsgerichteten Paramilitärs unterwandert war. Mehr als 30 Prozent der Abgeordneten unterhielten demnach Verbindungen zu diesen illegalen Gruppen, denen zahllose Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Trotz einer oberflächlichen Zurückdrängung der Paramilitärs, deren Auftrag lautete, die Wählerschaft durch Einschüchterung und Gewalt „zu mobilisieren“, ist ihre Macht längst nicht gebrochen. Zwar betonte Uribe in der Öffentlichkeit stets, die Demobilisierung der paramilitärischen Verbände anzustreben. In Wirklichkeit wird aber immer offensichtlicher, dass die dem Drogenhandel nahestehenden paras nunmehr in die „offizielle“ Politik gewechselt sind. Dies ist das andere, weniger erfreuliche Ergebnis der Wahlen.
So konnten die gemeinhin als para-Plattformen bekannten Bündnisse, wie etwa die Partei Demokratisches Kolumbien (Colombia Democrática), sowie bis zu einem gewissen Grad die Soziale Partei der Nationalen Einheit (Partido de la U) und die Mitte-Rechts-Partei Radikaler Wandel (Cambio Radical) in mehreren Regionen die Zahl ihrer Bürgermeister, Stadträte und Gouverneure noch steigern. Lediglich die Partei Alas Equipo Colombia musste leichte Verluste hinnehmen und die Bewegung Colombia Viva fuhr eine deutliche Niederlage ein. Grund hierfür war allerdings, dass deren Chef, der bekennende parapolítico Dieb Maloof, mittlerweile inhaftiert ist.
Gegenüber diesen Zahlen nimmt sich der Sieg des PDA auf nationaler Ebene bescheidener aus, wenngleich die Zahl seiner Abgeordneten in den Provinz-Parlamenten von 14 auf 22 anstieg. Dieses Ergebnis kann durchaus als Denkzettel für den autoritären Regierungsstil Álvaro Uribes angesehen werden, obwohl dieser weiterhin große Popularität genießt. Dass die ihm nahestehenden Allianzen ebenfalls Zugewinne verzeichneten, hängt vor allem mit der andauernden Schwäche der Traditionsparteien zusammen. Zwar konnten sich die Konservativen im Vergleich zu den letzten Wahlen leicht erholen. Die Liberale Partei, der Uribe ursprünglich angehörte, musste jedoch starke Verluste hinnehmen. Da sich der Präsident in erster Linie auf die uribista-Parteien sowie Teile der Traditionsparteien stützt, stellt der Wahlausgang für ihn also kein großes Handicap dar, wie häufig in der internationalen Presse behauptet. Auch wenn der Sieg des PDA bei den Regionalwahlen gezeigt hat, dass der traditionelle Klientelismus zumindest in den Großstädten an Bedeutung verloren hat, ist die Zukunft der Linken in Kolumbien noch nicht gesichert. Nach wie vor stellen die informellen Strukturen politischer Herrschaft ein Hindernis für freie und faire Wahlen dar. In einem von Gewalt geprägten Klima ist es beileibe kein ungefährliches Unterfangen an die Urnen zu treten. So kamen auch in den diesjährigen Wahlen 29 Kandidaten im Kreuzfeuer der bewaffneten Akteure um. Ob es dem PDA gelingt, im Jahre 2008 tatsächlich den nächsten Präsidenten zu stellen, hängt ganz wesentlich von den politischen Fähigkeiten der neuen Führungsfigur Samuel Moreno ab. Dieser gibt jedoch bereits jetzt Anlass zu Zweifeln.
Als Enkel des ehemaligen Militärdiktators Gustavo Rojas Pinilla (Amtszeit 1953 – 57) spielte er während des Wahlkampfs mehrfach auf das „große Erbe“ seines Großvaters an. Dessen spätere Partei, die legendäre Nationale Volksallianz ANAPO, habe sich in den 60er und 70er Jahren für politische Veränderungen und soziale Reformen eingesetzt. Dass der gelobte Exdiktator jedoch ein ausgesprochener Populist vom Schlage Peróns war und außerdem von vielen Kolumbianern als Mitschuldiger am Bürgerkrieg der 50er Jahre betrachtet wird, sparte er hingegen aus. Nicht ganz zu Unrecht wird Moreno daher vorgeworfen, den populistischen Diskurs der ANAPO fortzusetzen und den BewohnerInnen der Hauptstadt unhaltbare Versprechen zu unterbreiten. Neben dem geplanten Ausbau des Sozial- und Bildungswesens stößt vor allem sein Projekt, in Bogotá eine Metro nach dem Vorbild der Stadt Medellín zu bauen, auf die Skepsis vieler Experten. Aufgrund der grassierenden Korruption sowie diverser technischer Schwierigkeiten halten nicht wenige Beobachter ein solches Vorhaben für undurchführbar. Es bleibt zu hoffen, dass Moreno Augenmaß bewahrt und sich eindeutig zum demokratischen, zivilen und sozialprogressiven Charakter seiner Partei bekennt. Im stark personenorientierten Wahlkampf erwähnte er den Namen des PDA allerdings auffallend selten, so als ob er sich für dessen „linke Tradition“ schämen würde. In Stile seines Großvaters präsentierte er sich stattdessen als universeller Heilsbringer und „Anti-Partei-Politiker“. Das Scheitern Morenos würde das Projekt der Linken jedoch um Jahre zurückwerfen und eine mögliche zweite Wiederwahl Uribes erleichtern.

Von Kolumbus zu Uribe

Fahrrad fahren in Bogotá – ein, wie in vielen anderen Millionenstädten auch, halsbrecherisches Unterfangen. Jedoch nicht an Sonn- und Feiertagen. An diesen Tagen sind große Teile der Straßen für motorisierte Verkehrsteilnehmer gesperrt und voll mit Fahrrädern, Dreirädern, Rollerblades und Fußgängern. Zwei Millionen Menschen bevölkern dann die Straßen, und verwandeln sie in ein buntes Volksfest.
Dies ist das andere Kolumbien, das fröhliche, kreative Kolumbien, das optimistisch in die Zukunft blickt und hoffen lässt, dass eines Tages alles anders sein könnte. Mit der Darstellung dieses anderen Kolumbiens wirbt der Klappentext von Kolumbien verstehen und auch in der Einführung wird es besonders hervorgehoben; im Großteil des Buches, wird es dann allerdings – ebenso wie in der Realität – eher in den Hintergrund gedrängt.
Zunächst liefert der Autor, Werner Hörtner, einen kurzen Überblick über die Geschichte Kolumbiens, angefangen bei Kolumbus, dem Namensgeber des Andenlandes, und der Kolonialisierung. Die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, die Einführung der Sklaverei und die Landverteilung unter der spanischen Krone belegen bereits früh die Wurzeln der sozialen Unterschiede und der daraus folgenden Gewalt – Strukturen, die sich bis heute durch die Geschichte Kolumbiens ziehen. Von Anfang an haben die Oligarchien hierbei, ohne Rücksichtnahme oder Verständnis, ihre Interessen durchgesetzt und die Gewalt als Instrument der politischen Auseinandersetzung traditionalisiert. In den folgenden Kapiteln geht der Autor auf die jüngere Geschichte Kolumbiens ein und schafft einen fließenden Übergang zur heutigen Situation, welche er scharfsinnig darstellt und analysiert.
Er beschreibt die unterschiedlichen Versuche in den letzten Jahrzehnten, Friedensverhandlungen zu führen und die Hintergründe und Ursachen des immer wiederkehrenden Scheiterns derselben. Die Verantwortung dafür tragen in seinen Augen in erster Linie die Paramilitärs und die Oligarchie. Hierbei geht er detailliert auf die Entstehungen der verschiedenen Konfliktparteien, ihre Werdegänge und Probleme ein, keine der Parteien verschont er dabei mit Kritik.
Neben den großen Konfliktparteien stellt er auch die Situation der Zivilbevölkerung dar, die immer wieder zwischen die Fronten gerät, besonders, wenn sie versucht, ebenfalls Friedensinitiativen, wie etwa in der Friedensgemeinde von San José de Apartadó, zu ergreifen oder sich in Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften zu organisieren.
Die Problematik der indigenen sowie der schwarzen Bevölkerung stellt Werner Hörtner in separaten Kapiteln vor. Hierbei ist besonders seine Kritik an der FARC, der größten kolumbianischen Guerilla, interessant. Ihr wirft er eine „von einer kolonialistischen Herrenmentalität geprägten Politik“ vor, welche die Probleme der Indigenen ignoriert und sie sogar ebenfalls unterdrückt. Er kritisiert die FARC aber auch, zwar im Namen des Volkes zu agieren, dessen Situation aber schon seit langem nicht mehr zu analysieren und zu berücksichtigen.

Das andere Kolumbien

Aufgelockert wird das Buch durch einzelne Texteinschübe, welche sich auch durch ein anderes Layout vom Rest abheben. Diese scheinen frühere journalistische Beiträge oder separat geschriebene Texte des Autors zu sein, eine eindeutige Zuordnung eröffnet sich dem Leser leider nicht.
Diese Intermezzi beinhalten Interviews, geschichtliche oder politische Texte, aber auch Kurzbiografien sowie einige Berichte über das angekündigte „andere Kolumbien“. Hier hätte sich dem Autor eine schöne Gelegenheit aufgetan, intensiver auf dieses kreative, charmante Kolumbien einzugehen und punktuell, ohne den roten Faden des Buches zu unterbrechen, ein positives Gegengewicht zur gewalttätigen Realität aufzuzeigen. Wer Kolumbien kennt, weiß, dass es mehr ist als Kriminalität, Drogen und Krieg – ohne deren Existenz in Frage zu stellen oder beschönigen zu wollen.
So sind diese Texteinschübe leider nur einzelne Zwischeneinwürfe, die sich zwar auf den Gesamttext beziehen, aber eigentlich relativ zusammenhanglos da stehen.
Das Buch gibt einen guten Überblick über die Geschichte Kolumbiens und eine gut analysierte Darstellung der aktuellen Konflikte in Kolumbien sowie deren geschichtlicher Hintergründe. Wer jedoch auf die Beschreibung des „Charmes, der Schönheit und der Kreativität“ Kolumbiens, wie der Verlag das Buch beschreibt, neugierig ist, könnte etwas enttäuscht werden.
Ein anderes, ein fröhliches, optimistisches Kolumbien will dieses Buch zeigen. Fahrrad fahren in der Millionenstadt Bogotá, das jährliche Literatur-Festival in Medellin. Doch gerade diese kreativen Hoffnungsschimmer, mit denen das Buches beworben wird und die der Autor in der Einführung besonders hervorhebt, gehen weitgehend unter.

Werner Hörtner: Kolumbien verstehen. Geschichte und Gegenwart eines zerissenen Landes. Rotpunktverlag 2006, 311 Seiten, 19,80 Euro

Uribe bis 2010

Am 28. Mai – kurz nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe – stimmten mehr als 62 Prozent der KolumbianerInnen für Álvaro Uribe. Dieser kann nun seine vor vier Jahren begonnene Präsidentschaft bis 2010 fortführen, ohne sich einer Stichwahl zu stellen. Obwohl Wahlforscher schon seit Wochen den Erfolg des rechten Hardliners prognostiziert hatten, kam ein derart klarer Sieg dennoch überraschend. Trotz der hohen Enthaltung von 55 Prozent handelt es sich um das beste Wahlergebnis, das je ein kolumbianischer Präsident errungen hat. Das linke Bündnis Polo Democrático Alternativo (PDA) um den Ex-Verfassungsrichter Carlos Gaviria kam hingegen auf 22 Prozent, während die Liberale Partei mit 12 Prozent abgestraft wurde. Die Konservativen hatten erst gar keinen Kandidaten aufgestellt.

Ende des Zwei-Parteien-Systems

Die herbe Niederlage der Liberalen und der Konservativen, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die politische Macht in Kolumbien geteilt hatten, bedeutet zugleich das definitive Ende des traditionellen Zwei-Parteien-Systems. Anders als in den Nachbarländern, ist es der Linken in Kolumbien jedoch kaum gelungen, von der Ausdifferenzierung des Parteiensystems zu profitieren. Stattdessen begeistert sich die Mehrheit der KolumbianerInnen für einen rückwärtsgewandten Nationalismus und den von Uribe propagierten „Krieg gegen den Terror“.
Als Uribe im Jahre 2002 zum ersten Mal das Präsidentenamt antrat, versprach er, mit militärischen Mitteln gegen die aufständischen Gruppen FARC und ELN vorzugehen. Daneben leitete er umfassende Reformen des Staatsapparats ein. Nach der Dezentralisierung der Verwaltung und einer Welle von Privatisierungen, befindet sich Kolumbien zumindest im makroökonomischen Sinne auf dem „richtigen“ Weg. Das jährliche Wirtschaftswachstum von etwa vier Prozent kommt dabei freilich nur einer Minderheit zugute, während die Armutsrate weiter ansteigt. Zusätzlich hat sich die Qualität der formellen Arbeit verschlechtert. Dass Uribe im Amt bestätigt wurde, lässt sich also kaum auf eine erfolgreiche Sozialpolitik zurückführen.
Der Präsident, dem allgemein Fleiß, Führungsstärke und Glaube an die neoliberalen Dogmen nachgesagt werden, bezieht seine Legitimation im Wesentlichen aus seiner Sicherheitspolitik. So ist es ihm gelungen, die linksgerichtete Guerilla in Randgebiete abzudrängen und das staatliche Gewaltmonopol in einigen Landesteilen zurückzuerobern. Dem gingen die Verdoppelung der staatlichen Sicherheitskräfte sowie die Aufstockung des Waffenarsenals mit US-Hilfe voraus. Ebenfalls mit Unterstützung der USA intensivierte Uribe den Kampf gegen die Drogenmafia. Wie erfolgreich dieser Kampf nun ist, lässt sich bislang nicht klären. Für die Mehrheit ist allerdings entscheidend, dass unter Uribe erstmals wieder Reisen in entfernte Landesteile möglich sind. Zudem ist es der Regierung gelungen, die rechtsradikalen Paramilitärs, denen zahlreiche Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt werden, vollständig zu demobilisieren. KritikerInnen weisen zwar darauf hin, dass es sich dabei eher um die „Legalisierung“ paramilitärischer Strukturen handele – die meisten KolumbianerInnen halten den Prozess dennoch für einen Erfolg.

Sonderfall Kolumbien

Nach Jahren des bewaffneten Konflikts zwischen Regierung, Aufständischen und Paramilitärs, wählten die KolumbianerInnen im Jahre 2002 mit Uribe die militärische Option. Das damalige Motto lautete: “give war a chance“. Nun, vier Jahre später, hat sich ein autoritäres Regime installiert, das nur aufgrund einer Verfassungsänderung überhaupt zur Wiederwahl stand. De facto handelt es sich um die erste konsekutive Wiederwahl seit mehr als 100 Jahren. Dabei nimmt die Mehrheit der Bevölkerung billigend in Kauf, dass unter Uribe die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen getreten werden. Schon seit geraumer Zeit gewähren diverse Anti-Terror-Gesetze dem militärisch-polizeilichen Apparat eine nie gekannte Autonomie, während sich die politische Macht immer mehr zu Gunsten der Exekutive verschiebt. Der kolumbianische Kongress, in dem die partikularen Interessen der Abgeordneten überwiegen, hat seine Kontrollfunktion längst eingebüßt.
Obwohl der linke PDA mit 22 Prozent der Stimmen die zweitstärkste politische Kraft darstellt, ist der Abstand zum uribistischen Wahlbündnis Primero Colombia mehr als deutlich. Hierbei ist anzumerken, dass linke Bewegungen in Kolumbien schon immer mit erheblichen Widerständen zu kämpfen haben. Neben dem allgemeinen Klima der Repression, sind insbesondere die linksgerichteten Guerilleros für die Schwäche der linken Parteien verantwortlich. Da sich FARC und ELN in den letzten Jahrzehnten immer mehr von ihren sozialistischen Idealen entfernt haben und sich mit dem Status Quo begnügen, ist das linke Projekt insgesamt diskreditiert worden. Aufgrund ihrer offenkundigen Verbindungen zur Drogenökonomie haben die Aufständischen jegliche Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren. Hinzu kommt, dass ehemalige Guerilleros des M 19 mittlerweile hohe Positionen in Staat und Verwaltung besetzen und nicht selten in Korruptionsskandale verwickelt sind. Sämtliche Versuche eine politische Alternative zum Zwei-Parteien-System zu bieten, wurden in der Vergangenheit mit Gewalt und politischer Ausgrenzung beantwortet. So standen linke Parteien bis in die 90er Jahre automatisch im Verdacht, als politischer Arm der Guerilla zu fungieren.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus als Erfolg zu werten, dass der PDA im Vergleich zur letzten Wahl seinen Stimmenanteil vervierfachen konnte. Uribes autoritärer Diskurs der „harten Hand“ ist für die Mehrheit der KolumbianerInnen jedoch noch immer überzeugender.

Mit den USA gegen Chávez?

Eine der wichtigsten Herausforderungen Uribes wird sicherlich der Umgang mit Hugo Chávez sein. Denn während die USA eine Isolationspolitik gegenüber der venezolanischen Regierung betreiben, soll Kolumbien zum Musterverbündeten aufgebaut werden. Neben der Ratifikation eines bilateralen Handelsabkommens stehen deshalb auch Verhandlungen über eine mögliche NATO-Assoziation auf dem Programm. Sowohl im militärischen, als auch im wirtschaftlichen Bereich handelt es sich um Schritte, die eindeutig gegen Chávez gerichtet sind. Dieser reagierte seinerseits mit dem Austritt aus dem Andenpakt und denkt nun offen über den Ankauf russischer Waffensysteme nach. Manche Analysten sprechen deswegen bereits von einer Neuauflage des Kalten Krieges auf südamerikanischem Boden.
Andererseits ist Uribe nur bedingt gewillt, vollständig mit Venezuela zu brechen. Denn immerhin ist das Land der zweitwichtigste Handelspartner nach den USA. Das Projekt einer gemeinsamen Ölpipeline ist beispielsweise einer der Eckpfeiler von Uribes Wirtschaftsagenda. Trotzdem kommt es zwischen beiden Nationen immer wieder zu ernsthaften Verstimmungen. Erst im Dezember 2004 beendete Venezuela für kurze Zeit die diplomatischen Beziehungen, nachdem kolumbianische Sicherheitskräfte ihre Verstrickung in die Gefangennahme eines FARC-Guerilleros in Caracas zugegeben hatten. Venezuelas Provokation besteht nach Meinung Uribes darin, den aufständischen Guerilleros einen Rückzugsraum zu bieten.
Angesichts dieser Umstände bleibt zu hoffen, dass sich beide Seiten in Zukunft auf ihre inneren Probleme konzentrieren. Für die nächsten vier Jahre ist anzunehmen, dass Uribe die Militarisierung der kolumbianischen Gesellschaft vorantreibt, seinen neoliberalen Kurs beibehält und die Menschenrechte weiter mit Füßen tritt. Gemeinsam mit Paraguay bildet Kolumbien somit die unrühmliche Ausnahme auf dem ansonsten „linken“ Subkontinent.

Uribe will weiter kämpfen

Die ans Licht gekommenen Regierungsskandale und der Verdacht auf Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen 2002 zugunsten Uribes, in welchen der kolumbianische Geheimdienst verstrickt gewesen sein soll, konnten dessen Popularität offenbar nicht beeinflussen. Letzte Umfragen vor den Wahlen ergaben, dass 55 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme Uribe geben wollten. Sein linker Herausforderer Carlos Gaviria vom Alternativen Demokratischen Pol käme demnach auf 24 Prozent, Horacio Serpa von der Liberalen Partei auf zehn Prozent.
Mit einer Art „kollektiver Verliebtheit” in den Präsidenten erklärt die kolumbianische Tageszeitung El Tiempo Uribes enormen Rückhalt. Für die Bevölkerung repräsentiere der derzeitige Amtsinhaber, der seinen Landsleuten mit festem Blick und deftigen Worten ein hartes militärisches Durchgreifen gegen linke Rebellengruppen verspricht, die Figur „eines Vaters, den sie niemals hatten”. Damit konnte er schon vor vier Jahren einen Erdrutschsieg erzielen, nachdem die Friedensgespräche zwischen dem damaligen Präsidenten Pastrana und der FARC-Guerilla gescheitert waren. Zwar ist die Regierung von einem militärischem Sieg gegen die Guerilla weit entfernt, was jüngste Offensiven der Rebellen bewiesen. Doch Uribe sieht gerade darin einen Grund, weiter zu machen:
„Die Schlange lebt noch”, erklärte er die Notwendigkeit weiterer vier Jahre unter seinem Mandat.

Keine Diskussion!

Trotz einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche eine Privatisierungswelle im Land und soziale Einschnitte etwa bei der Familienfürsorge nach sich zogen, konnte Uribe die letzten Jahre beständig eine Popularität von über 60 Prozent verbuchen. So ging zwar die offizielle Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent auf etwas über zehn Prozent zurück, dafür aber stiegen die Unterbeschäftigung und die Arbeit im informellen Sektor bedeutend an. Besonders im Bildungssektor schnitt die Regierung in den letzten Jahren schlecht ab: Der Anteil der AnalphabetInnen an der Gesamtbevölkerung stieg in den letzten Jahren auf über zehn Prozent an, die Zahl der Schul- und Uni-
versitätsabschlüsse dagegen sank. Es ist daher eher Uribes Gespür für die politische Konjunktur seines Landes denn wirtschaftliche Zahlen oder soziale Daten, die seine Beliebtheit erklären.
Sich seiner Popularität bewusst, ließ sich Uribe vor den Wahlen denn auch auf keine öffentlichen Debatten mit seinen Kontrahenten ein, die ihn nur Stimmen hätten kosten können. Nicht zuletzt deshalb schien der Wahlkampf, in dessen Verlauf Uribes Favoritenrolle nie ernsthaft in Gefahr war, überaus langweilig und emotionslos. Trotzdem hielt dieser eine Überraschung parat: Der 69-jährige Linkskandidat Carlos Gaviria, der statt Säbelrasseln auf einen Dialog mit der Guerilla setzt (siehe LN-Interview in dieser Ausgabe), konnte sich an zweiter Stelle platzieren. Er könnte sich als einziger Stolperstein erweisen und Uribe zu einem politischen Schlagabtausch oder gar zu einer möglichen Stichwahl zwingen, sollte Uribe die 50-Prozent-Hürde nicht im ersten Anlauf überwinden.

Friedensprozess in Gefahr

Einen Schrecken hatte Uribe dennoch einstecken müssen. Nur zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen wartete das kolumbianische Verfassungsgericht mit einem Urteil auf, welches den Demobilisierungsprozess der Paramilitärs – Uribes innenpolitisches Steckenpferd – in Gefahr bringt. Nach monatelangen Beratungen erklärte das Gericht fundamentale Punkte des „Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden”, das den juristischen Rahmen für den Umgang mit den Mitgliedern der Todesschwadronen liefert, für verfassungswidrig. Dessen Grundstein wurde in Verhandlungen der Regierung mit den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC), dem Dachverband der Paramilitärs, gelegt. Das Gesetz sah vor, dass die Verantwortlichen unzähliger Massaker an der Zivilbevölkerung mit maximal acht Jahren Gefängnishaft zu rechnen hätten. Zudem waren die Paramilitärs nicht explizit gezwungen, alle Taten vor Gericht zu gestehen, was eine der Wahrheit verpflichtete juristische Aufarbeitung erschwert hätte. KritikerInnen äusserten daher die Befürchtung, dass das Gesetz den Weg zur Straflosigkeit für diejenigen ebnen würde, die das wohl dunkelste Kapitel der jüngeren kolumbianischen Geschichte geschrieben haben. Dem schoben die Richter nun einen Riegel mit dem Hinweis vor, dass die für verfassungswidrig erklärten Punkte „die Rechte der Opfer aberkannten”.
Das Gericht stellte klar, dass das „Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden” frühere Urteile gegen Mitglieder der Paramilitärs nicht außer Kraft setzen könne. Theoretisch würde dies für die meisten Chefs der Paramilitärs neben den maximal acht Jahren Haft auf Grundlage dieses Gesetzes weitere, jahrzehntelange Gefängnisstrafen bedeuten, denn viele wurden in den neunziger Jahren in Abwesenheit wegen Massaker, Drogenhandel und illegaler Bereicherung verurteilt. Tatsächlich aber stellte das Gericht nachträglich klar, dass nach dem Gesetz verurteilte Paramilitärs diese Strafen zunächst nicht abzusitzen hätten. Um eine lückenlose Aufarbeitung der Verantwortung für begangene Verbrechen zu garantieren verpflichtete das Verfassungsgericht allerdings die Paramilitärs zu einer kompletten Aussage über ihre Straftaten. Sollte dies nicht geschehen, würde das Gesetz für die Angeklagten ausser Kraft gesetzt werden, was weit höhere Strafen zur Konsequenz hätte. Von den etwa 30.000 rechten Milizen, die in den letzten zweieinhalb Jahren ihre Waffen nieder legten, fallen zwar nur rund 2.000 unter das Gesetz, während die Mehrzahl der Kämpfer niedriger Ränge in staatliche Wiedereingliederungsprogramme integriert wurden. Doch diese könnten den Friedensprozess nun für unterbrochen erklären.

Reaktion bleibt offen

„Die Entscheidung des Gerichts ist der Todesstoß für den Friedensprozess”, erklärte AUC-Sprecher Ernesto Báez, da damit dem Gesetz die „Essenz” genommen werde. Gustavo Gallón, Chef der Kolumbianischen Juristenkomission, welche die Klage von mehr als 100 Personen und Gruppen gegen das Gesetz anstrengte, äußerte dagegen, dass „dem Gesetz das Krebsgeschwür entfernt worden sei”. Abzuwarten bleibt nun, wie die Regierung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts reagiert. Báez rief diese auf, umgehend die Hindernisse für eine erfolgreiche Beendigung des Friedensprozesses auszuräumen, da sonst zweieinhalb Jahre Verhandlungen zunichte gemacht würden. Zu erwarten ist, dass die Regierung dem Kongress ein neues Gesetz vorlegt, dass den Paramilitärs weit mehr entgegen kommt. Vorausgesetzt, Uribe bleibt im Amt.

Uribe erringt Etappensieg bei Wahlen

Bequeme Mehrheit für den rechtspopulistischen Präsidenten Uribe. So lässt sich das Ergebnis der Kongresswahlen lesen, die am 12. März in Kolumbien stattfanden. Im Senat und Abgeordnetenhaus konnten Uribe-nahe Parteien rund zwei Drittel der Sitze erobern, was dem Präsidenten – sollte er wiedergewählt werden – ein leichtes Regieren ermöglichen dürfte. Voraussetzung ist, dass diese Koalition hält. Nicht klar ist, wer künftig die Stimme innerhalb der Uribe-Koalition aus fünf Parteien führen wird. Zwar hat die Unions-Partei um den Ex-Minister Juan Manuel Santos die meisten Stimmen erhalten, doch eine reibungslose Zusammenarbeit mit den anderen Uribe-Parteien dürfte nicht allzu leicht fallen.

Buhlen um die Gunst des Präsidenten

Schon deren Buhlen um die Gunst des Präsidenten nahm vor dem Urnengang teils pathetische Züge an. So deklarierten sich alle als die wahre Partei des Uribismus, auch wenn diese Ideologie nicht definiert ist. Bei der Einschreibung des Präsidenten als Kandidat um die Wiederwahl im höchsten Staatsamt kam es zu tumultartigen Szenen – die verschiedenen Parteimitglieder prügelten sich beinahe um die Position hinter Uribes Stuhl. Uribe musste einschreiten und die Zankhähne um Ordnung bitten. Schlechte Voraussetzungen für die Koalition, die sich aus der traditionellen Konservativen Partei, der Unionspartei, Radikaler Wandel, Team Kolumbien und Demokratisches Kolumbien zusammensetzt.

Präsidentschaftskandidaten gekürt

Neben den Kongresswahlen riefen die sozialdemokratisch geprägte Liberale Partei und das linke Parteienbündnis Alternativer Demokratischer Pol ihre AnhängerInnen auch dazu auf, durch eine Anhängerbefragung ihreN KandidatIn für die Präsidentschaftswahlen zu bestimmen. Und dort gab es eine faustdicke Überraschung.
Beim Polo, wie das Linksbündnis kurz genannt wird, setzte sich wider Erwarten der radikalere Flügel mit dem Kandidaten Carlos Gaviria gegen den Ex-Guerillero Antonio Navarro Wolf durch. In Umfragen lag Wolf zuvor deutlich vor dem ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts und aktuellen Senatsabgeordneten Gaviria. Warum dieses unerwartete Ergebnis? Bereits vor dem Urnengang vermuteten einige BeobachterInnen, dass AnhängerInnen von Uribe eine von der Partei unabhängige Befragung nutzen könnten, um die Kandidatenfrage zu manipulieren. Die Liberale Partei und der Polo sind die einzigen Oppositionsfraktionen im Kongress. Mit Gaviria schickt der Polo nun den vermeintlich schwächeren Kandidaten gegen Uribe in den Kampf um die Präsidentschaftswahlen im Mai.
Bei den Liberalen setzte sich deren ewiger Präsidentschaftskandidat Horacio Serpa durch, der bereits 1998 und 2002 erfolglos das höchste Staatsamt zu gewinnen versucht hatte. Serpa geht nun geschwächt in die Wahlen im Mai, nachdem er nur etwas mehr als eine Million Stimmen auf sich vereinen konnte. Somit hat Uribe bisher beste Aussichten, in zwei Monaten für vier weitere Jahre im Amt bestätigt zu werden.

„Paras“ haben Sitze verloren

Zu den Verlierern zählen neben den Ex –Bürgermeistern von Bogotá, Antanas Mockus und Enrique Peñalosa, offenbar auch die politischen VertreterInnen der paramilitärischen Gruppen. Diese hatten noch vor vier Jahren von einer 35-prozentigen Unterstützung im Kongress geredet, die nun zwar nicht aufgehoben, jedoch deutlich dezimiert ist. Deren schärfste Vertreterinnen Rocio Arias und Eleonora Pineda haben trotz teils aggressiver Wahlkampagnen mit Hilfe demobilisierter Paramilitärs ihre Sitze verloren. Jugendliche wurden laut der Wahlbeobachtungsorganisation der Nationaluniversität etwa in Medellin gezwungen, mindestens zehn Stimmen für die Kampagne von Arias zu gewinnen – jedoch erfolglos.
Selbst in Para-Zonen wie dem Department Sucre fielen gleich mehrere VertreterInnen durch. Dort konnte überraschend der Linkskandidat vom Polo, Gustavo Petro, neben Bogotá die meisten Stimmen für seinen erfolgreichen Wiedereinzug in den Senat verbuchen. Petro hatte die letzten Jahre regelmäßig Verbindungen lokaler PolitikerInnen mit den Paramilitärs in Sucre denunziert, was ihm offenbar Sympathien bescherte. Nachdem die paramilitärischen Gruppen dort in den letzten Monaten ihre Waffen abgaben und der Druck auf die Bevölkerung gesunken ist, traute sich diese, wieder links zu wählen.

Und die Linke?

Auch wenn Petro zu den KandidatInnen für einen Sitz im Senat zählte, welcher die höchsten Stimmen auf sich vereinigen konnte, hält sich der Erfolg der Linken im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern in Grenzen. Der Rechtspopulismus, wie ihn Uribe verkörpert, scheint dagegen Konjunktur zu haben. Laut dem Direktor der kommunistischen Wochenzeitung VOZ, Carlos Lozano, ist es Uribe bisher gelungen, seine eingleisige Politik der militärischen Konfrontation erfolgreich zu verkaufen. „Uribe ist bei den Wahlen 2002 als parteiloser Messias ohne eigene Ideologie aufgetaucht, der den Kolumbianern versprochen hatte, dass ein militärischer Sieg über die Rebellengruppen alle anderen Probleme im Land ausräumen würde“, sagte Lozano den LN. Die politische Richtungsentscheidung im Land habe sich zwischen Krieg und Frieden definiert.
An eine Wiederholung von Uribes Wahlerfolg vor vier Jahren glaubt Lozano entgegen dem Trend nicht: „Die Menschen favorisieren wieder den Dialog für einen Gefangenenaustausch und einen Verhandlungsfrieden, da die Konfrontationspolitik nicht gegriffen hat“, meint Lozano mit Verweis auf die aktuelle Lage: Im Februar begann die FARC in weiten Teilen des Landes eine militärische Offensive, welche die angeblichen Erfolge der Armee gegen die Guerilla als bloße Propaganda entlarven soll. Zwar gilt dieses blutige Szenario regelmäßig alle vier Jahre als wahltaktisches Manöver der Guerilla, doch Uribe könnte diese Situation den Wahlsieg streitig machen und möglicherweise die oppositionellen KandidatInnen in die Favoritenposition hieven.
Dass diese von Gaviria eingenommen werden könnte, daran glaubt Lozano jedoch nicht. Nie habe es in Kolumbien die Bedingungen für eine linke Mehrheit gegeben, da die traditionellen Parteien die Macht unter sich abgesichert hätten, während die Linke systematisch gewaltsam ausgeschaltet wurde. Tausende AktivistInnen und GewerkschafterInnen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten Opfer von Mordanschlägen, trotz der Demobilisierung zahlreicher paramilitärischer Gruppen, die sich inzwischen teilweise neu formieren.
Doch auch die Existenz der Guerillagruppen sorgt innerhalb der linken Parteien und Strömungen für Zwiespalt. Der bei der Abstimmung gescheiterte Präsidentschaftskandidat des Polo, Antonio Navarro Wolf, sieht die Rebellen als ein Hindernis für einen parlamentarischen Erfolg der Linken an und rief kürzlich zu Demonstrationen gegen die Gewaltwelle der RebellInnen auf.

Kein Interesse an Konfliktlösung

„Nicht die Guerilla ist unser Problem, sondern der Konflikt“, meint Lozano zu den geringen Aussichten der Linken, auf absehbare Zeit die Macht im Land zu erringen. „Die einflussreichen wirtschaftlichen und politischen Gruppen in Kolumbien verstehen es in perfekter Form, mit dem seit Jahrzehnten existierenden Konflikt gegen die Linke zu argumentieren und haben daher kein ernsthaftes Interesse, diesen zu lösen“, so Lozano. Während die gemäßigte Linke, welche Navarro vertritt, von der Oligarchie gehätschelt würde, werden radikalere Positionen mit der Nähe zur Guerilla interpretiert. Die Folge: In den Augen der Bevölkerung sind diese nicht wählbar und deren VertreterInnen geraten in die Schusslinie paramilitärischer Gruppen.

Guerilla hielt sich zurück

Überschattet wurde der Wahlgang von einigen gewaltsamen Übergriffen seitens der FARC-Guerilla. In der Provinz Antioquia zündeten die RebellInnen einen Lkw mit Wahlunterlagen an, im Nordwesten des Landes explodierte eine Autobombe. Mindestens zwölf Angriffe der Guerilla auf Polizeistationen wurden gemeldet. Auch in der Hauptstadt Bogotá kam es trotz eines Großaufgebots von Sicherheitskräften zu Anschlägen. Unbekannte Personen zündeten vier Verkehrsbusse mit Molotow-Cocktails an, nachdem diese die Passagiere zum Aussteigen gezwungen hatten. Die kleinere ELN-Guerilla kündigte einige Tage vor den Wahlen an, Abstand von bewaffneten Aktionen während des Urnengangs zu nehmen.
Unklar ist, in wie weit die Guerillagruppen bis Mai das Wahlverhalten zugunsten Uribes beeinflussen könnten. Sollte die ELN-Guerilla die laufenden Friedensgespräche mit der Uribe-Regierung vor den Wahlen aufkündigen und die FARC weitere Attacken und Blockaden im Land lancieren, sind zwei Szenarien denkbar: Die Bevölkerung könnte sowohl die Friedens- als auch Kriegspolitik des Präsidenten an den Wahlurnen geißeln, wie Lozano glaubt, oder aber diesen in einem Solidaritätseffekt unterstützen, wie es gerade bei den Kongresswahlen geschehen ist. Absehbar ist jedoch, dass bis Mai keine grundlegenden politischen Diskussionen ausschlaggebend sein werden, sondern die Wahlen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Schlachtfeld entschieden werden.

Uribes Wahrheitsfindung

Der rechte Hardliner Álvaro Uribe verblüfft seine KritikerInnen. Obwohl er den linksgerichteten Guerillagruppen FARC (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte) und ELN (Nationales Befreiungsheer) in der Vergangenheit wiederholt den „totalen Krieg“ erklärt hat, scheint er mittlerweile am Sinn einer militärischen Lösung zu zweifeln. Während er mit der FARC über einen Gefangenenaustausch verhandelt, haben auf Kuba Friedensgespräche mit dem ELN begonnen. Obgleich keine schnelle Einigung in Sicht ist, schließt die Regierung eine „alternative“ Konfliktlösung nicht mehr grundsätzlich aus. Sogar der Gründung einer staatlichen Wahrheitskommission stimmte Uribe zu. Steht dahinter mehr als politisches Kalkül?

Die Kommission in der Kritik

„Kolumbien hat die weltweit beispiellose Aufgabe angenommen, in einem noch nicht beendeten Konflikt Gerechtigkeit walten zu lassen.“ Mit solchem Enthusiasmus stellte der renommierte Politologe Eduardo Pizarro, Präsident der Nationalen Kommission zur Wiedergutmachung und Versöhnung, im Oktober sein Projekt der Öffentlichkeit vor. Artikel 51 des im Juli 2005 verabschiedeten Gesetzes Justicia y Paz. (Gerechtigkeit und Frieden) dient als Grundlage der Einrichtung. Fünf von der Regierung berufene Persönlichkeiten, zwei VertreterInnen der Opferverbände sowie mehrere StaatsbeamtInnen werden ihr in den nächsten acht Jahren angehören. Ihre Aufgabe ist es, die Mitglieder der bewaffneten Gruppen (Paramilitärs und Guerilleros/as) vollständig zu demobilisieren und in die Gesellschaft zu integrieren. Die Kommission soll Gewaltopfer in materieller und symbolischer Hinsicht entschädigen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sühnen sowie einen abschließenden Bericht über die Gründe des internen Konflikts vorlegen.
Obgleich an der Integrität des Vorsitzenden Pizarro, dessen Bruder von Paramilitärs getötet wurde und der selbst nur knapp einem Mordanschlag entgangen ist, keine Zweifel bestehen, kam es bereits im Vorfeld zu Auseinandersetzungen. Menschenrechtsorganisationen bemängelten zahlreiche Unzulänglichkeiten. Die gesetzliche Grundlage würde internationalen Standards nicht genügen, besonders das geringe Strafmaß für Folter, Mord oder gar Genozid. Derartige Taten mit höchstens acht Jahren Gefängnis zu ahnden, sofern der/die Angeklagte, Reue zeige, seine/ihre Schuld bekenne und zur Entschädigung beitrage, sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Die Idee, ehemalige Angehörige bewaffneter Gruppen in spezielle Integrationsprogramme zu zwingen, um einen Rückfall in das alte „Geschäft“ zu verhindern, sei letztlich kontraproduktiv.

Für viele ein „Freibrief“ für Verbrechen

Denn indem sie sich der Justiz stellten, würde den TäterInnen das Fortführen gesetzeswidriger Aktivitäten unter staatlichem Schutz ermöglicht. Dass es tatsächlich Teile der „Paras“ gibt, die auf diese Weise Drogenhandel, Entführung und Landraub zu „legalisieren“ trachten, ist in Kolumbien kein Geheimnis. Daneben sträuben sich auch die USA, einige besonders berüchtigte Paramiltärs wie Diego Fernando Murillo oder Salvatore Mancuso als Rehabilitationskandidaten zu akzeptieren. Aufgrund eines Auslieferungsabkommens mit Kolumbien pocht Washington auf die baldige Überstellung der beiden Drogenhändler.
Seit dem 30. Dezember regelt das Dekret 4760 die Anwendung des Gesetzes Justicia y Paz. Obwohl das Dekret im Vergleich zu seiner gesetzlichen Grundlage einige Verbesserungen enthält, gilt es vielen unverändert als „Freibrief“ für die schlimmsten VerbrecherInnen und MörderInnen. Vor allem inhaftierte Paramilitärs haben sich seit Beginn des Jahres um eine Aufnahme in das Integrationsprogramm beworben. Schätzungen zufolge könnten bis zu 3000 gefangene Paramilitärs mit extrem milden Strafen rechnen oder sofort frei kommen. Daneben stehen Hunderte von Guerilleros/as auf den Antragslisten, in der Hoffnung als „politische GewalttäterInnen“ anerkannt zu werden. Nach erheblicher Kritik wurde zwar der Ermittlungszeitraum von ursprünglich 60 Tagen auf jetzt sechs Monate verlängert. In der Praxis bedeutet dies aber trotzdem, dass bestimmten Anklagepunkten nur unzureichend nachgegangen werden kann, was einer Amnestie de facto gleich kommt. Außerdem legt das Dekret fest, dass ein bestrafter Täter für die Dauer seiner Strafe seine politischen Rechte verliert. Damit soll verhindert werden, dass paramilitärische Kreise den Staat unterwandern. Glaubt man jedoch einem Bericht der Tageszeitung El Tiempo, kommt diese Einsicht zu spät. Demnach kontrollieren die „Paras“ bereits jetzt ein Drittel des Parlaments.
Trotz aller Kritik ist es dem Präsidenten Álvaro Uribe gelungen, die Europäische Union von seinem Plan zu überzeugen. Verschiedene VertreterInnen der EU äußerten Verständnis für die schwierige Situation und kündigten an, die Kommission finanziell zu unterstützen. Bedingung sei allerdings, dass das Gesetz Justicia y Paz zum Instrument eines effektiven und transparenten Friedensprozesses werde.

EU unterstützt Kolumbien

Der Europäische Ministerrat ist skeptischer. In einer offiziellen Stellungnahme heißt es, man sei zwar über die Schaffung eines legalen Rahmens erfreut. Die Forderung nach „Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“ werde jedoch nicht ausreichend erfüllt.
Die MinisterInnen bezweifeln vor allem die Ernsthaftigkeit des Demobilisierungsprogramms. Dieses beziehe sich lediglich auf einzelne Gruppen und „Fronten“, anstatt die tiefer liegenden Strukturen des Paramilitarismus in der Gesellschaft zu thematisieren. Die Unterscheidung zwischen politischen und gewöhnlichen Verbrechen sei zu vage. Das größte Problem stelle jedoch die institutionelle Schwäche des kolumbianischen Rechtsystems dar. Dieses verfüge nicht über die notwendige Kapazität und Reichweite, um eine Anwendung des Gesetzes in allen Landesteilen zu garantieren.
Genau dies verspricht aber Komissionspräsident Pizarro. Anfang Dezember präzisierte er erstmals die Vorgehensweise der Kommission und ging dabei auch auf die Kritik der EuropäerInnen ein. Deren Skepsis sei unbegründet. Denn selbst ohne die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung sei die positive Wirkung der Einrichtung nicht zu unterschätzen. Eine öffentliche Schilderung der begangenen Verbrechen werde „starken moralischen Druck“ auf die Aufständischen ausüben. „Es entsteht eine ethische Barriere, die eine weitere Zunahme der Gewalt gegen Zivilisten verhindert. Vor allem dann, wenn die Opfer beginnen, sich zu organisieren und Wiedergutmachung einfordern.“ Trotz des schwachen kolumbianischen Rechtssystems werde die Kommission nach und nach in alle Landesteile vordringen. Dort sollen Regionalkomitees eingesetzt werden, die den Betroffenen auch kostenlose Unterbringung bieten.
Obwohl, wie der Politologe Eduardo Pizarro selbst zugibt, viele Gewaltopfer dies aus Angst vor Vergeltung ablehnen dürften. Weiterhin werde die Regierung allen Gemeinden, die nachweislich unter Massakern und selektiven Tötungen gelitten haben, materielle Entschädigung gewähren. Eine der ersten Aufgaben der Kommission sei es daher, Massengräber ausfindig zu machen und demobilisierte Täter zu befragen. Ein schwieriges Unterfangen, aber durchaus realisierbar: „Eine Möglichkeit für die Täter wäre es zum Beispiel, einen Priester aufzusuchen. So könnten sie unter der Garantie des Beichtgeheimnisses den genauen Ort der Gräber preisgeben, ohne Repressalien zu fürchten.“ Angesichts der bereits vorhandenen Mittel, so Pizarro, sei die Kommission also immer noch besser als das, was vorher war: nämlich nichts.
Da über die Höhe US-amerikanischer und europäischer Zuschüsse bislang nur spekuliert werden kann, hat Uribe vorsorglich eine eher „symbolische Entschädigung“ angekündigt. Denn der Schmerz aller sei so groß, dass eine „totale Wiedergutmachung“ nicht möglich sei. In diesem Sinne sieht das Gesetz neben der öffentlichen Entschuldigung der Täter auch die „Bewahrung des historischen Gedächtnisses“ vor, auf dass sich die Katastrophe niemals wiederhole.

„Pflicht zur Erinnerung“

Daher ist das „Recht auf Wahrheit“, das den Opfern der Gewalt zustehe, ausdrücklich festgelegt. Alle sollen wissen, wo sich die entführten Angehörigen befinden und welche Verbrechen von wem begangen wurden. Ein weiterer Artikel sieht vor, die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten. Am weitesten gehen schließlich jene Paragrafen, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen.
Hier verlangt das Gesetz die Anfertigung eines abschließenden Berichts, in dem „die Gründe für die Entstehung und Entwicklung der illegalen bewaffneten Gruppen“ dargelegt werden und fordert die „Pflicht zur Erinnerung“ ein. Der Staat habe alle Datenbestände zur gewalttätigen Vergangenheit des Landes zu sichern und öffentlich zugänglich zu machen. Genau in dieser Verpflichtung zur „Wahrheit“ liegt das Problem.
Wie ist es möglich, die Wahrheit über Gründe und Motivation einer Tat in Erfahrung zu bringen, solange der Konflikt andauert? Denn sollten tatsächlich Namen und Daten von Hintermännern und Finanziers an die Öffentlichkeit gelangen, ist deren Sicherheit kaum mehr zu gewährleisten.
Die Guerilla beziehungsweise die Paramilitärs würden augenblicklich versuchen, sie aus dem Weg zu räumen. Angesichts dessen hat Pizarro angekündigt, zunächst nur die juristische „Wahrheit“ aufdecken zu wollen, um dann eines Tages auch die tiefer liegenden Strukturen der Gewalt zu untersuchen. Ob die Opfer und ihre Angehörigen sich jedoch mit der oberflächlichen Klärung des Tathergangs und ein paar öffentlichen Entschuldigungen zufrieden geben, darf bezweifelt werden. Die Mitglieder der Kommission müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihre Form der Wahrheitsfindung höchstens zu einer Überführung weniger Handlanger beiträgt. Solange die wirklichen Interessen im Hintergrund bleiben, ist ein Ende der Gewaltspirale nicht abzusehen.

Wessen Wahrheit?

Angesichts der aktuellen Situation ist daher eine ernsthafte Aufarbeitung der Vergangenheit nicht zu erwarten. Es ist hingegen anzunehmen, dass Präsident Uribe die Kommission als Mittel zur Absicherung seiner unmittelbar bevorstehenden Wiederwahl im Mai missbraucht. Eine vollständige Aufklärung würde bedeuten, gegen den Präsidenten selbst zu ermitteln und seine Rolle bei der Schaffung paramilitärischer Einheiten im Department Antioquia aufzudecken. Eine „Wahrheit“, an der er kaum interessiert sein dürfte.

Uribe 2010?

Für die KolumbianerInnen, die sich an der Verfassung von 1991 und nicht am Medienspektakel orientieren, ist ein candidato-presidente ein verfassungsrechtliches Paradox, das undemokratische politische Praktiken verstärkt. Wie kann die Chancengleichheit der KandidatInnen gewährleistet werden? Wie kann verhindert werden, dass der Wahlkampf des amtierenden Präsidenten nicht aus der Staatskasse bezahlt wird? Letzteres ist mit der Wiederwahldebatte bereits geschehen.
Abgesehen von der Position, dass man die Institutionen zu respektieren habe, ist das Hauptargument der GegnerInnen des Wiederwahlprojekts, man dürfe die Regeln „nicht auf halbem Wege“ ändern. Die BefürworterInnen der Initiative des Präsidenten hingegen rechtfertigen unter Verweis auf die notwendige „Kontinuität“ eines politischen Projekts die Änderung der Verfassung. Das geplante Reformprojekt zur Wiederwahl beruht allerdings auch auf einer alten Tradition, nämlich der Bestechung. Ihre Bekämpfung war eigentlich einer der Punkte, mit dem Uribe bei den Wahlen 2002 53 Prozent (5,8 Millionen) der Stimmen auf sich vereinigte. Das könnte nun zum Problem werden. Trotz des zweifachen Nachweises von Stimmenkauf im Vorfeld des Beschlusses, scheint nun allenfalls noch zur Diskussion zu stehen, in wie vielen weiteren Fällen man sich nach allen Regeln des clientelismo der Zustimmung einzelner Abgeordneter versichert hat. Die öffentliche Meinung stellt dafür hauptsächlich die ParlamentarierInnen an den Pranger.

Justiz als letzte Hürde
Seit mehr als einem Jahr sind Debatten über Verfassungsänderungen praktisch an der Tagesordnung. Darüber scheint, zumindest im Spiegel der Mainstream-Presse, eine Spaltung oder Zersetzung innerhalb der beiden großen traditionellen Parteien vor sich zu gehen. Ausschlussdrohungen bei den Liberalen oder Identitätszweifel, die das „programmatische Abkommen“ der Konservativen mit dem parteilosen Präsidenten hervorbringt, sind bestenfalls noch kleine Hindernisse für das uribistische Projekt. Darüber hinaus beweist das „Phänomen Uribe“ einmal mehr den administrativen Filz, der seit dem 1957 geschlossenen Frieden zwischen Liberalen und Konservativen im exklusiven Herrschaftsprojekt existiert..
Was nun die Entscheidung des Gerichts betrifft, so geht es darum, zu beurteilen, ob das Verfahren der Abänderung „dem Geist der Verfassung“ entspreche. Dazu haben die RichterInnen sechs Monate Zeit und nach der Ratifizierung der Entscheidung im Parlament noch einmal drei Monate zu deren Überprüfung. Eigentlich schien sich das Verfassungsgericht bisher nicht völlig dem uribismo verschrieben zu haben. Die umstrittenen Anti-Terror-Statuten wurden Ende August auf Grund der in ihnen vorgesehenen erheblichen Befugniserweiterungen der Exekutive für antikonstitutionell erklärt. Doch inzwischen geht nicht nur der Präsident von einer Legitimierung seiner Kandidatur für die Wahlen 2006 aus. Er hatte zuvor versucht, sie den WählerInnen in einem Reformenpaket unterzujubeln, das eigentlich als umfangreiche Antikorruptionsinitiative konzipiert war.
Sie selbst sollten über die Kernpunkt in einem Referendum abstimmen können. Die Mehrheit der 15 schwer verständlichen Fragen, über die die BürgerInnen entscheiden sollten, zielte dann allerdings vor allem auf die Unterminierung öffentlicher Einrichtungen und weitere Privatisierungen ab. Das Referendum scheiterte Ende 2003 an der 25-Prozent-Hürde, als Uribe außerdem den historischen Erfolg einer vereinten politischen Linken bei den gleichzeitig stattfindenden Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen in den drei größten Städten des Landes hinnehmen musste.
Die aktuelle Reforminitiative Uribes beinhaltet auch, dass die großen Gewinner dieser Wahlen, Luis Eduardo Garzón als Bürgermeister von Bogotá und Angelino Garzón als Gouverneur der Provinz Valle del Cauca, jetzt schon de facto nicht mehr als Kandidaten für die nächste Präsidentschaft in Frage kommen. Zwar ist eine Regelung, die verbietet amtierende Bürgermeister oder Gouverneure für die nächsten Präsidentschaftswahlen aufzustellen, für ein lateinamerikanisches Land nichts Ungewöhnliches. Allerdings ist deren Einführung genau die „Änderung der Regeln auf halbem Wege“, die die GegnerInnen der neuen Verfassungsänderung kritisieren. Solche Bedenken bezüglich des allgemeinen Vorgehens des Präsidenten können die BefürworterInnen von Uribes Politik allerdings kaum beeindrucken.

Uribe gilt als
Garant für Stabilität
Ein Großteil der Medien befindet sich in den Händen von Uribes UnterstützerInnen – oder wie im Falle des Vizepräsidenten Santos, von Familienangehörigen. Mit dem Versprechen sowohl die Drogenökonomie als auch die bewaffnete Opposition „zu beseitigen“, sicherte er sich die Zustimmung des Establishments. Dieses hält sich an ein in erster Linie durch das Fernsehen vermitteltes Bild starker Entschlossenheit und ein neu gewonnenes Gefühl von Sicherheit.
Zufrieden mit dem Erfolg der Wiederwahlinitiative dürften die nordamerikanischen Freunde der Regierung sein, für die Uribe ein Garant der Kontinuität sicherheitspolitischer Kooperation und laufender Freihandelsgespräche ist. „Die US-Verfassung erlaubt die Wiederwahl eines Präsidenten“, erläuterte der US-amerikanische Botschafter in Kolumbien William Wood den Standpunkt seiner Regierung,„deswegen betrachten wir den Vorschlag nicht als anti-demokratisch.“ Auch eine große deutsche Tageszeitung titelte drei Tage später in ihrer Anleihen-Rubrik für Investoren „Kolumbien-Anleihen profitieren von Uribe als Stabilitätsgarant“. Dort wird dann auch auf die Würdigung des Landes durch den Entwicklungsbericht der Weltbank für 2005 „A Better Investment Climate for Everyone“ hingewiesen, wonach Kolumbien 2004 weltweit die zweitgrößten Fortschritte bei der Verbesserung des Investitionsklimas erzielt habe. Der damalige IWF-Vorsitzende Horst Köhler war bei seinem letzten Besuch in Kolumbien vor zwei Jahren dann auch voll des Lobes für Uribes Politik.

Auf neoliberalem Kurs
Und auch heute dürfte Köhler mit Uribe zufrieden sein – verschärft dieser doch zurzeit die Strukturanpassungsmaßnahmen nach dem neoliberalen Credo. Privatisierungen, Haushaltskürzungen und Steuerreform verstärken eine Umverteilung von unten nach oben. Trotz des konjunkturellen Aufschwungs steigen weiterhin die Schuldendienstquote und die absolute Armut, in der inzwischen fast zwei Drittel der Bevölkerung lebt. Die Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen wird auf dem Kontinent dabei nur noch von Brasilien übertroffen.
Uribe befindet sich im Wahlkampf, seit er sein Amt angetreten hat. Symptomatisch dafür ist der Rücktritt des Chefs der staatlichen Datenerhebungsbehörde (DANE). Er hatte sich geweigert, sich die Unterschlagung von weniger gefälligen Umfrageergebnissen zur Sicherheit in den Städten vorschreiben zu lassen.
Der nun beginnende Prozess der Prüfung, ob die Gesetzesnovelle verfassungsgemäß ist, wird nicht vor Oktober 2005 abgeschlossen sein. Dadurch könnte Uribe mit seinem Anliegen auf eine erneute Kandidatur zeitlich in die Bredouille geraten.
Sicher ist hingegen, dass sich die politische Landschaft Kolumbiens nach vier Jahren Uribe deutlich gewandelt hat. Davon könnte gerade die Linke profitieren. Die beiden größten linken parlamentarischen Kräfte haben kürzlich beide die Nominierung jeweils eines Vorab-Kandidaten bekannt gegeben. Es kandidieren der ehemalige Verfassungsrichter Carlos Gaviria von der Alternativa Democrática (AD) und Carlos Navarro Wolf für den Polo Democrático Independiente (PDI), der wie die meisten der parlamentarischen Protagonisten dieses Mitte-Links Bündnisses ein Mitglied der ehemaligen Guerilla M-19 war (s.LN 360). Das könnte sie in Zukunft zu Zielscheiben des Terrors werden lassen, mit dem die parlamentarische Linke seit jeher unterdrückt wurde. Bei den Wahlen 2006 werden die linken Parteien mit einer gemeinsamen Liste antreten und einen einzigen Kandidaten unterstützen, um die Chance auf eine politische Wende zu erhöhen. Diese wäre für Kolumbien von ähnlich historischer Einmaligkeit wie die Beendigung des zwei Parteien-Regimes durch die „Frente Amplio“ in Uruguay.

Uribe spielt das Lied vom Tod

Sechs Schüsse schallen durch die Straßen. Es ist früher Abend in Arauca, der Hauptstadt der gleichnamigen kolumbianischen Provinz. Wenn die Sonne untergeht, ziehen sich die Menschen in ihre Häuser zurück. Denn fast täglich kommt es zu Anschlägen und Morden. Und die Sicherheitskräfte verhaften oft willkürlich irgendeinen der 340. 000 Einwohner.
Das Opfer an diesem Abend: Raúl Grass, bekannt als Mitarbeiter des kolumbianischen Innenministeriums und Berater in der Provinzverwaltung. Sein Mord am 14. Januar gilt als Höhepunkt der institutionellen Krise in der Provinz Arauca.
Wer Grass erschossen hat, weiß niemand. Anwohner erzählen von Killern auf einem Motorrad, andere von Polizisten. Sieben Monate arbeitete er an der Seite des Gouverneurs, der wenige Stunden vor dem Mord zurückgetreten war. Der Grund: mangelnder Erfolg bei der Durchsetzung der öffentlichen Ordnung. Grass hatte keinen Vertrag mit dem Ministerium. Arbeitete er für die Guerilla, die Paramilitärs oder die CIA? In Arauca ist alles möglich.
Ende September vergangenen Jahres erklärte der kolumbianische Präsident Uribe Vélez 15 Bezirke zu so genannten Konsolidierungszonen. Drei liegen in der nordöstlichen Provinz Arauca. Ziel ist dort die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung. Denn die Guerilla des Nationalen Befreiungsheeres (ELN) und der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) kontrollieren dort seit mehr als 15 Jahren weite Teile des Gebietes. Uribe schickte Hunderte Soldaten in die Region, um die Guerillastrukturen schnell zu zerstören. Sie sind mit justiziellen Rechten ausgestattet und eine zwingende zivilstaatliche Kontrolle gibt es nicht.
Was öffentlich und außerhalb der Zone als durchschlagender Erfolg gegen die „Drogenterroristen“ gefeiert wird, entpuppt sich vor Ort jedoch als Fehlschlag. In Arauca kommt auf 30 Einwohner mehr als ein Soldat. Mit der Ankunft neuer Sicherheitskräfte scheint sich die Gewalt proportional zu steigern. Autobomben, Morde und Brückensprengungen der Rebellen sollen den Operationen der Armee Einhalt gebieten. Allein in den ersten zwei Januarwochen fanden in der Provinz 26 politische Morde statt, die den Paramilitärs oder der Guerilla angehängt werden. Die Reaktion der Sicherheitskräfte: Massenverhaftungen, Durchsuchungen ganzer Viertel und Einschüchterung der Bevölkerung.

US-Macht über das Öl

Das Verhältnis des Staates zu den Bewohnern Araucas sei seit zwanzig Jahren gestört, erzählt Oscar Cañas von der ansässigen Ölarbeitergewerkschaft (USO).
1980 weitete die US-amerikanische Firma Occidental de Colombia (OXY) dort die Erdöl-Förderung aus. Von den Gewinnen werde jedoch nichts in die Region investiert. 20 Prozent der durch OXY geförderten Ölmengen gehen als so genannte „Schenkungen“ an den kolumbianischen Staat. Dieser lässt widerum nahezu alle infrastrukturellen Investitionen durch seine Erdölfirma Ecopetrol durchführen — und zwar fast ausschließlich zur Sicherung der Pipeline. Die Gewalt habe mit der Arbeit von OXY Einzug gehalten, sagt der Gewerkschaftler. Statt eine Politik des „guten Nachbarn“ zu pflegen, habe die Firma eine Militarisierung durchgesetzt. Darauf reagierte die Guerilla und rüstete ebenfalls in der Region auf.
Tatsächlich sind auf der Förderanlage Caño Limón seit einigen Jahren ein Armeebataillon und eine Hubschrauberstaffel stationiert, um auf Anschläge der Guerilla schnell reagieren zu können.
Im vergangenen Jahr konnte die Ölpipeline, die von Caño Limón zur Atlantikküste führt, im Schnitt nur jeden dritten Tag Erdöl fördern. Die Leitung wurden regelmäßig durch Anschläge zerstört. Armeeangehörige hohen Ranges haben sich auf dem Gelände von OXY in den firmeneigenen Häusern eingemietet und genießen das Luxusleben, das ihnen die US-Firma bietet. Fahrzeuge, die das Gebiet zwangsläufig passieren müssen, um in die Provinzhauptstadt Arauca zu kommen, haben dagegen langwierige Durchsuchungen zu ertragen. Jeder Passant wird registriert.
Von den 350 Angestellten in der Anlage sei fast niemand aus der Region, so Cañas. „Weil die Leute aus Arauca laut OXY alle Guerilleros sind“. Erst vor einigen Monaten sei ein 13-jähriges Kind vom Wachschutz erschossen worden, weil es einem Haustier hinterhergerannt sei und sich versehentlich in die Anlage verirrte. „Es hätte ja ein Spion der Rebellen sein können“, sagt Cañas spöttisch. Konsequenzen zog diese Tat nicht nach sich. Denn OXY besitzt in Arauca die Macht und damit Narrenfreiheit.

US-Soldaten führen Verhöre durch

Den Menschen in Arauca ist bewußt, dass die Ausrufung ihrer Provinz zur Konsolidierungszone eng mit dem Erdöl verknüpft ist. Die Öl-Förderungen durch OXY ist für die USA von großer Bedeutung. Konsequenz: Sie haben verstärkte Militärhilfe angekündigt.
Caño Limón liefert rund 120.000 Barrel Rohöl am Tag für den Export. In der Region werden weitere Erdölfelder vermutet, die wegen der Guerilla bisher aber nicht erforscht werden konnten. Im vergangenen Herbst kündigte Washington die Finanzierung eines Spezialbataillons in Arauca mit einem Umfang von 100 Millionen US-Dollar an.
Mitte Januar trafen die ersten 60 US-Soldaten in der 18. Armeebrigade Araucas ein. „Eine Provokation für die bewaffneten Gruppen“, sagt Teresa Cedeño, Anwältin und Mitglied des Menschenrechtskomitees in Arauca (siehe Interview). Sie vertritt Zivilisten, die Armee oder Polizei willkürlich festgenommen haben. Diese werden in der Regel in die Armeebrigade gebracht und dort verhört. „Es gab Fälle, bei denen US-Amerikaner die Verhöre durchgeführt haben“, so Cedeño.

Auf dem Land herrscht die Guerilla

Die Bezirkshauptstädte Araucas sind mit Armee und Polizei vollgestopft. Aber auf dem Land haben die Guerillas die Macht. Wenige Kilometer außerhalb der Ortschaften beginnt ihr Gebiet. Seit August letzten Jahres hat die Regierung dort keine Operationen mehr durchgeführt.
Am Wegesrand des Flachlandes steht ein neuer Opel Corsa verlassen auf einer Wiese. „Der ist geklaut und wurde wohl für andere Zwecke hier abgestellt“, sagt ein Passant und grinst. Die Guerilla nutzt diese Fahrzeuge. Sie platzieren sie als Autobombe vor Polizeistationen oder Kasernen.
In einem kleinen Dorf zwischen den Städten Atme und Arauquita werden Neuankömmlinge mit großen Wandbildern und Schildern der FARC begrüßt. „Nein zur Intervention der Gringos“ steht dort in Großbuchstaben. Ein Transporter mit ELN-Guerilleros rast durch die Ortschaft. Milizionäre und uniformierte FARC-Rebellen schlendern umher. Noch vor wenigen Monaten bekämpften sich die Rebellengruppen. Jetzt hat sie der verschärfte Konflikt mit Regierung und Armee verbündet.
Die Bewohner sind sich einig: unter der Guerilla leben wir gut. Die Guerilla vermuten Spitzel der Paramilitärs oder der Armee. Deshalb kontrollieren sie die Bewohner von Zeit zu Zeit. Aber dazu sagt keiner etwas. Viel wichtiger für sie ist: es gibt hier Geld. Während in den großen Ortschaften seit Wochen kein Benzin mehr zu normalen Preisen zu bekommen ist, gibt es dieses im Dorf tonnenweise.
Arauca hängt wirtschaftlich vom Nachbarland Venezuela ab. Dort beziehen die Bewohner ihr Benzin. Doch seit dem Streik gegen Chávez, bleiben die Tanks der kolumbianischen Autos leer.
Anders sieht es in den Gebieten der Guerillas aus: Vereinzelte Benzinlieferungen der Nationalregierung an die Provinz haben sie abgefangen. Jetzt verkaufen sie es an die Bauern. Und das nicht wenig. Stündlich passieren Lkws die Hauptstraße der Ortschaft, randvoll mit Benzintonnen.
Denn die Provinz Arauca ist seit geraumer Zeit Kokaanbaugebiet. Rund 6.000 Hektar liegen in dem von den FARC-Rebellen kontrollierten Gebiet. Das Geschäft der Guerilla: sie kontrollieren die Herstellung von Kokain. Und dafür braucht man sehr viel Benzin. Der Kokaanbau boomt. Mit wenig Aufwand lässt sich viel Geld machen. Dass das Bier hier fast doppelt so viel kostet wie anderswo, ist nebensächlich. Jeder hat hier Geld.
„Als vor einem halben Jahr die Armee in Hubschraubern in die Gegend kam, wurden wir als Guerilleros beschimpft. 20 Jugendliche wurden ins Bataillon gebracht und ihre Ausweise eingezogen“, erzählt ein Bauer, der am Kokain-Geschäft mitwirkt. Um seinen Hals hängt eine dicke goldene Kette. Die Namen der Jugendlichen seien in den Zeitungen des Landes veröffentlicht worden. Man habe sie als Guerilleros gebrandmarkt. Nur einen Tag später folgte die Freilassung, da es überhaupt keine Beweise gab. „Sollte eines Tages hier die Armee das Sagen haben, kommen die Paras. Dann werden wir hier einer nach dem anderen getötet“, sagt der Bauer und trinkt sein Bier. Seinen Namen will er nicht preisgeben.
Menschenrechtsorganisationen, Bauerngruppen und mittlerweile auch amtierende Politiker sind sich einig: nur soziale Investitionen sowie ein Dialog mit den bewaffneten Gruppen können dem Konflikt ein Ende setzen. Die Uribe-Regierung hatte die Förderung sozialer Projekte angekündigt. Doch was ist geschehen? Bisher hat sie ausschließlich die Armee in die umkämpften Zonen geschickt.

Soziale Investitionen bleiben leere Versprechen

Am 21. Januar drohte der Gouverneur der Provinz Bolivar an, die Konsolidierungszonen nicht mehr akzeptieren zu wollen, wenn Uribe seine sozialen Projekte nicht in Gang setzt. Grund: das Leben der Bevölkerung habe sich verschlechtert und die Gewalt hätte zu- statt abgenommen. Aber die Regierung setzt auf Krieg: Vizepräsident Francisco Santos erklärte, es werde an den Sonderzonen weiterhin festgehalten.

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