Bomben und Proteste gegen den fernen Krieg und die nahen Yankees

Einige hundert Menschen demonstrierten in Santiago de Chile vor dem Sitz des größten chilenischen Rüstungsproduzenten CARDOEN. CARDOEN exportierte seit 1982 Waffen an den Irak, unter anderem eine Sorte C-Bomben, „Erstickungsbomben“, die ein Pulver versprühen, das den Sauerstoff in der Luft bindet. Anzahl und Preis der gelieferten Bomben sind nicht bekannt. 1986 halfen Techniker von CARDOEN beim Bau einer Bombenfabrik in Bagdad. Die Rü­stungsverkäufe dauerten nach offiziellen Angaben bis zum UN-Ultimatum gegen den Irak vom August vergangenen Jahres an. CARDOEN war unter der Militär­diktatur Pinochets unter dessen persönlicher Protegierung entstanden. Auch zur neuen Regierung Chiles dürften die Beziehungen blendend sein: Der Besitzer ist mit einer Nichte des christdemokratischen Präsidenten Aylwin verheiratet. CARDOEN versucht nun, den Ausfall der Lieferungen an den Irak zu ersetzen; es erging ein Angebot an Saudi-Arabien zur Lieferung von 30.000 Bomben.
Eine Guerilla-Gruppe „Frente Revolucionario Anti-Imperialista“ hat verkündet, daß US-Einrichtungen in Chile angegriffen werden sollen. Es gab bereits An­schläge auf einen Mormonen-Tempel und auf Filialen der US-amerikanischen „Security Pacific“- und „Republic National“-Banken. Die „Patriotische Front Ma­nuel Rodriguez“ (FPMR) schickte eine Raketenattrappe und Flugblätter in die Residenz des israelischen Botschafters in Santiago.
Auch die brasilianischen Rüstungskonzerne „Avibras Aeroespecial“ und EN­GESA, die bisher den Irak mit einer ganzen Palette von Rüstungsgütern beliefer­ten, wollen nun den Handel mit Saudi-Arabien aufnehmen. Ein Manager be­gründete die Unbedenklichkeit der Lieferungen in den Irak in der Vergangenheit damit, daß „Deutschland und Frankreich die chemischen Einrichtungen“ stellten, dann könne ja wohl gegen die Lieferung der Trägersysteme nichts einzuwenden sein.
Der Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Bolivien warb für Unterstützung für den Irak durch Demonstrationen und „andere Kampfformen“. Die Guerilla-Gruppe „Nationales Befreiungsheer“ bezeichnete in einem Kommuniqué alle US-Einrichtungen in Bolivien als anschlagsrelevante Ziele.
In Ecuador gab es Bombenanschläge gegen die US-amerikanische und die fran­zösische Botschaft. Andererseits besetzten 12 Mitglieder der Gruppe „Alfaro Vive Carajo“ (AVC) kurzzeitig die französische Botschaft und forderten eine Ver­handlungslösung.
Im von den USA teilbesetzten und kontrollierten Panama übernahm das „Volksheer für die Nationale Befreiung“ (EPLN) die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf die US-Botschaft und kündigte weitere Anschläge an. Der Marionetten-Präsident Endara hatte bereits im November kurzzeitig die Durch­fahrt aller Schiffe aus oder nach Irak durch den Panama-Kanal verboten.
In Venezuela verübte eine „Internationalistische Brigade“ einen Brandanschlag auf einen Mormonen-Tempel in Barquisimeto. Die Mormonen wurden als US-Spione bezeichnet. Die Menschenrechtsorganisation „Fundalatin“ forderte den venzolanischen Kongreß auf, für die Dauer des Krieges alle Öllieferungen an die Länder der westlichen Allianz am Golf einzustellen.
Nach Meinung des kubanischen Präsidenten Fidel Castro ist derjenige für den Krieg verantwortlich, der zuerst schießt. Der Krieg bedeute „das Scheitern der UNO und der Politiker“. Die beteiligten Parteien hätten nicht genügend Ver­ständnis aufgebracht und der Irak habe ethische, historische, religiöse und ara­bisch-nationalistische Argumente benutzt, als eine realistische Vernunft erfor­derlich war. Kuba hat zur Versorgung der Zivilbevölkerung eine Ärztebrigade in den Irak entsandt.
(Quellen: ANN, PONAL, LA Weekly, Monitor-Dienst)

Manifestationen eines Kinos in der Krise

In diesem Jahr ist das Festival dem Fernsehen gewidmet und wird damit dem hohen Stellenwert gerecht, den TV-Produktionen im audiovisuellen Bereich ein­genommen haben. Gleichzeitig deutet die Würdigung des lateinamerikanischen Fernsehens aber auf die Krise des lateinamerikanischen Kinos hin. In einer Pres­sekonferenz werden wir auch schon gleich zu Anfang der Festspiele darüber in­formiert, in welchem Kontext die aufgeführten Filme zu sehen sind: Die Wirt­schaftskrise in den lateinamerikanischen Ländern, die sich in hoher Auslandsver­schuldung, Rückgang des Bruttosozialprodukts, fallenden Löhnen und immen­sen Inflationsraten äußert, hat auch vor dem Kino nicht haltgemacht. In Brasilien wurde aufgrund von Sparmaßnahmen über Nacht die Filmförderung ausgesetzt und das Filminstitut „Embrafilme“ aufgelöst. Der Entzug der staatlichen Mittel führte dazu, daß 1990 statt den durchschnittlich über 50 langen Spielfilmen nur noch ein einziger gedreht wurde. Das kleinere Filmland Ecuador hat es in den letzten fünf Jahren gerade mal auf einen Film gebracht. Und in Argentinien, so Cipe Fridman, die Produzentin von „Flop“ kann man nur noch als Verrückter Filme machen. Das argentinische Filminstitut – immerhin noch nicht aufgelöst wie das brasilianische – hat dieses Jahr nicht die vom Finanzministerium zuge­sagten Mittel erhalten. Die argentinischen Kinos sind wie überall auf dem Sub­kontinent von US-amerikanischen Filmen überschwemmt. Produktionskosten, die zwischen einer halben und eineinhalb Millionen US$ liegen, können nicht al­leine durch Zuschauererlöse gedeckt werden. Wer geht schon bei einem monatli­chen Einkommen zwischen 20 und 50 US$ in einen Film, für den er ungefähr einen Dollar Eintritt zahlen soll?
In noch folgenden Pressekonferenzen und Seminaren wurde dann auch nach Lö­sungen, wie das lateinamerikanische Kino überleben kann, gesucht und Ansätze vorgestellt. Zum einen sind da die Koproduktionen des spanischen Fernsehens. Dessen finanzielle Beteiligung – in den letzten vier Jahren an über 100 Projekten – machte angesichts der schlechten finanziellen Lage lateinamerikanischer Produ­zentInnen und Filminstitute oft erst die Herstellung von Kino- Fernseh- und Vi­deofilmen möglich. Beispiele hierfür sind die auch schon in Deutschland gezeig­ten „Ultimas imagenes del naufragio “ (Letzte Bilder des Schiffbruchs), „La nación clandestina“ (Die heimliche Nation) und „Un señor muy viejo con unas alas enormes“ (Ein sehr alter Herr mit gewaltigen Flügeln) sowie „Sandino“, auf den ich später noch eingehen werde. Zum andern existiert zwischen den Filmbehör­den verschiedener lateinamerikanischer Länder ein Abkommen über einen ge­meinsamen Filmmarkt, womit Filme aus den beteiligten Ländern die gleichen Vergünstigungen erhalten wie die eigenen Filme. Das „Abkommen zur latein­amerikanischen Integration im Filmwesen“, das im November 1989 in Caracas von Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Kuba, Ecuador, Mexiko, Nicaragua, Pa­nama, Peru, Venezuela, der Dominikanischen Republik und Bolivien verabschie­det wurde, soll die Vermarktung von Kino- Ferseh- und Videofilmen in den je­weils anderen lateinamerikanischen Ländern erleichtern und damit sowohl zur kulturellen Integration als auch zur Verteidigung gegen die kulturelle Überfrem­dung seitens der US-amerikanischen Filme beitragen. Ansonsten gab es eine Menge Appelle, das bestehende Konkurrenzverhältnis zwischen Kino, Fernsehen und Video in den lateinamerikanischen Ländern in ein Miteinander umzuwan­deln.
Nichtsdestotrotz gab es in den folgenden Tagen eine Menge lateinamerikanisches Kino zu sehen. Manchmal drängte sich dabei jedoch die Frage auf, was denn das „Neue“ an diesen Filmen sei. Und ein kubanischer Mitarbeiter des Festivals ge­steht, daß die Auswahl der lateinamerikanischen Filme durch die Kommission doch recht beliebig gewesen sei. So mußten wir uns bei den zwar technisch per­fekt gemachten, aber inhaltlich und dramaturgisch schwachen venezuelanischen Filmen „Cuchillos de fuego“ (Feuermesser) und „Con el corazón en la mano“ (Mit dem Herzen in der Hand) langweilen, den derben Witz der argentinischen Fami­lienkomödie „Cien veces no debo“ (100 mal soll ich nicht) ertragen und uns über das peinliche Portrait der kolumbianischen Gewerkschaftsführerin Maria Cano ärgern.
Die größte Enttäuschung stellte wohl ein mit berühmten Schauspielern realisier­ter und eine berühmte Person der lateinamerikanischen Geschichte dar­stellender Film eines berühmten Regisseurs dar. Die Rede ist von „Sandino“ des Chilenen Miguel Littín (mit Kris Kristofferson und Angela Molina) über den gleichnami­gen Freiheitskämpfer Nicaraguas. Mit viel Spannung in Kuba erwar­tet, ent­puppte sich das Werk dann allerdings als oberflächliche, unpolitische Großpro­duktion im Stile Hollywoods, bestehend aus Liebe, Intrige und Schieße­reien. Böse Zungen behaupten, das Beste an dem Film sei, daß er Sandino zum Thema habe. Und der ehemalige sandinistische Innenminister Tomás Borge wollte erst gar keinen Kommentar zu dem Produkt Littíns abgeben.Aber noch einmal zu­rück zu dem Eröffnungsfilm „Caidos del cielo“ (Vom Himmel Gefal­lene): In dem schon auf den Festivals von Montreal und Orleans ausgezeichneten Film erzählt der Regisseur Lombardi simultan drei tragisch absurde Geschichten. Da ist zum einen ein altes Ehepaar, das alle seine Wertgegenstände und sogar sein Haus verkauft, um den Preis für ein Mausoleum aufzubringen, eine im Slum lebende alte blinde Frau, die ihre Enkel schikaniert und schließlich als Futter für ein zu mästendes Schwein endet und ein mißgestalteter Sprecher eines Radio­programms unter dem Motto „Du bist dein Schicksal“, dem es im wirklichen Le­ben nicht gelingt, eine Selbstmörderin vom Sprung in die Tiefe abzuhalten.
Auch nicht gerade ein optimistisches Bild der lateinamerikanischen Realitäten vermittelt am nächsten Tag „Después de la tormenta“ (Nach dem Sturm) des Ar­gentiniers Tristán Bauer. Ein Film, der auch für das Forum des jungen Films im Rahmen der Berliner Filmfestspiele ausgewählt wurde. Protagonist ist ein Mann, der im Zuge der Unternehmenszusammenbrüche in Argentinien seinen Arbeits­platz verliert und damit gleichzeitig seine Stellung als Familienoberhaupt infrage gestellt sieht. Die Komposition schöner, melancholisch stimmender Bilder und nicht zuletzt der Einsatz des Hauptdarstellers Lorenzo Quintero erinnern oft an „Ultimas imagenes del naufragio“ (Letzte Bilder eines Schiffbruchs) und „Hombre mirando al sudeste“ (Der Mann, der nach Südosten schaut), was die kubanische Zeitung Granma veranlaßte Bauers Film ironisch mit „El hombre mirando el naufragio despues de la tormenta“ (Der Mann, der den Schiffbruch nach dem Sturm betrachtet) zu betiteln. Inhaltlich und dramaturgisch vermag er jedoch nicht so zu überzeugen wie seine Vorbilder. Besser gefallen haben mir zwei an­dere argentinische Produktionen: „Flop“ von Eduardo Mignona, die (wahre) Ge­schichte eines Varietekünstlers im Argentinien der 40er Jahre, mit den Mitteln des Theaters spielend, witzig und traurig zugleich. Und „Yo, la peor de todas“ (Ich, die schlimmste von allen) von Maria Luisa Bemberg. Die argentinische Re­gisseurin, die auch in den vergangenen Jahren mit ihren Filmen große Erfolge auf dem kubanischen Festival feiern konnte – dieses Jahr ist ihr Werk der absolute Favorit des Publikums und der Presse – widmete sich auch dieses Mal einem Frauenthema. Nach dem Roman von Octavio Paz stellte sie wichtige Situationen im Leben der Nonne Juana Inés de la Cruz dar, einer der bedeutendsten latein­amerikanischen Schriftstellerinnen im 17. Jahrhundert. Da diese sich nicht in Mann und Kindern selbstverwirklichen wollte und ihr als Frau der Weg in die Universität versperrt blieb, wählte sie das Kloster, um dort zu lesen, zu schreiben und zu forschen.
Zwischen den Filmen mal eine Pause. Mit einem guagua, so heißen die Busse in Kuba, angeblich weil sie die Geräusche quengelnder Kleinkinder wiedergeben, geht es in einen Vorort von La Habana, eine Einladung zu einem trago, einem Schluck Rum, annehmend. Doch auch hier werden wir nicht von Filmen ver­schont. Das Oberhaupt der Familie, Doña Josefina, sitzt mit diversen Freunden, Bekannten und Nachbarn vor dem Fernseher und verfolgt gebannt die brasiliani­sche Fernsehserie „Roque Santeiro“. Zwischen Begrüßung, Fragen, wie mir denn Kuba gefalle und dem Ausschenken eines Glases Rum, diskutieren die Anwe­senden eifrig die neueste Missetat des Filmbösewichts. Antonio erklärt mir, daß seine Mutter keine der täglich zur besten Sendezeit ausgestrahlten Folgen aus­lasse und in den Unternehmen sogar ganze Betriebsversammlungen verschoben werden, damit die compañeros bei ihrer Lieblingstelenovela am Ball bleiben können.
Wieder zurück im dunklen Kinosaal der Innenstadt sehen wir uns den kubani­schen Film „Mujer transparente“ (Durchsichtige Frau) an. Anders als die anderen von Kuba für den Wettbewerb ausgewählten Produkte, „Hello Hemingway“, ein nett gemachter Film, aber auch nicht mehr, der nach nicht ganz nachvollziehba­ren Kriterien den ersten Preis gewann und „Maria Antonia“, die beide in den 50er Jahren, also vor der Revolution spielen und es damit umgehen, sich mit der ge­genwärtigen Situation in Kuba auseinanderzusetzen, sind die sechs Kurzepiso­den von „Mujer transparente“, Portraits von sechs Frauen, in dem Kuba von heute angesiedelt. Besonders beeindruckend ist die Episode „Laura“. Eine junge Frau, besagte Laura, wartet auf ein Treffen mit ihrer ehemaligen Schulfreundin Ana, die vor zehn Jahren mit 100.000 anderen unzufriedenen KubanerInnen die Insel verlassen hat und nun, als Touristin nach Kuba zurückgekehrt, in einem teuren Dollar-Hotel abgestiegen ist. Der Film läßt die ZuschauerInnen an den Gedanken Lauras über die Beweggründe von Ana und die gegenwärtige Situa­tion in Kuba sowie an ihrer Wut über die Behandlung als Bürgerin zweiter Klasse gegenüber den devisenbringenden TouristInnen teilhaben. Die Stimmung im Kino ist aufgeheizt. Die Bilder auf der Leinwand treffen mit der Realität zusam­men: Gegen Dollars, deren Besitz den KubanerInnen streng verboten ist, kann man hier (fast) alles kaufen. Die normalen KubanerInnen haben dagegen schon seit Monaten keine Butter mehr gesehen und selbst das Grundnahrungsmittel Bohnen ist nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Dollars sichern auch den Zugang zu den Touristenhotels, während die Kubanerinnen ohne Einla­dungskarte draußen bleiben müssen. Im Kino wird dauernd Beifall geklatscht, Bravorufe ertönen, und auch bei der Abschlußveranstaltung – Laura gewinnt den ersten Preis in der Kategorie Kurzfilm – gibt es hier den meisten Applaus und die Regisseurin muß mehrere Male aufs Podium zurückkehren. Fidel Castro ist die­ses Mal nicht zur Preisverleihung erschienen, um eine seiner berühmten Reden zu halten. Die trägt er dann zwei Tage später bei einem Kongreß über Ersatzteile vor.
Und bei den rhythmischen, Optimismus verbreitenden Klängen der brasiliani­schen Band Morais Moraira – alles tanzt inzwischen, obwohl die Preise für die langen Spielfilme noch nicht vergeben sind – fragen wir uns wie es mit Kuba und dem lateinamerikanischen Kino weitergehen wird.

Indígena-Proteste am 12. Oktober

Der spanische König Juan Carlos verlas die Einladung zur Konferenz im „Institut für Iberoamerikanische Kooperation“ in Madrid. Sie sei der geeignete Augenblick für die iberoamerikanische Gemeinschaft, so der spanische Monarch, um sich ihrer selbst bewußt zu werden. Die Konferenz solle der Welt ihren Willen zeigen, für eine brüderliche und solidarische Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Nach letzten Informationen haben alle lateinamerikanischen Staatsoberhäupter – Fidel Castro eingeschlossen – die Einladung angenommen.
Währenddessen protestierten in Chile hunderte von Indígenas gegen die Gedenkfeiern am 12.Oktober. An diesem „Tag der Rasse“ (día de la raza) wird in ganz Amerika die Landung von Kolumbus gefeiert. Vor dem Monument des Indígena-Führers Caupolican in Santiago de Chile hielt José Painiqueo, Vorsit­zender der „Metropolitanen Koordination der Indígena-Völker“ eine Rede, in der er die Demonstration als Gedenkveranstaltung für den „Jahrestag der Invasion und die Ankunft der Fremden in unserem Vaterland“ bezeichnete.
Die bolivianischen Indígenas kündigten im Zentrum von La Paz die Bildung einer eigenen Regierung für 1992 an.
In Ecuador fanden mehrere Demonstrationen gegen „den schlecht benannten Tag der Rasse“ statt. „Dieses Ereignis bedeutete die Ausrottung unserer Sitten“, hieß es.
Im Südosten von Venezuela forderte der „Nationale Indio-Rat“ (CNI), daß sich die lateinamerikanischen Nationen als multi-ethnische Staaten definieren sollten. Vor RepräsentantInnen von 21 venezolanischen ethnischen Gemeinschaften sagte ein Vertreter des CNI: „Wir Indígena-Völker weisen die „Entdeckung Amerikas“, den „Tag der Rasse“ und die „Begegnung der Völker“ als kolonialistische Begriffe zurück. Sie sollen nur den Völkermord verschleiern, der auf den 12. Oktober 1492 folgte.“ Der CNI forderte eine kritische Bilanz des 500sten Jahrestages, Land- und Besitztitel für die Indígena-Gemeinschaften und einen Schutz vor dem Verkauf von Indígena-Land, um die Auslandsschulden zu bezahlen.
Panamaische Indígenas demonstrierten vor der spanischen Botschaft in ihrem Land und verlangten von ihrer Regierung, sich nicht an den Vorbereitungen zu den Feiern zum 500sten Jahrestag der Eroberung zu beteiligen.
In San Salvador versammelten sich Indígenas der Nahuatl. Vor der Statue der spanischen Königin Isabel erklärten sie den 12.Oktober zum „Tag der Trauer, an dem wir unsere Identität verloren haben“.
In San José, der Hauptstadt Costa Ricas, marschierten protestierende Indígenas durch die Stadt, während Staatspräsident Calderón ein Geschenk vor der Statue der Königin Isabel niederlegte. „Wir verlangen Personalausweise, jetzt sofort, wir sind Kinder dieses Landes“, forderten die costaricanischen Indígenas.
In Guatemala, einem der Länder mit dem höchsten Indígena-Anteil der Bevölke­rung, gaben verschiedene Volksorganisationen Stellungnahmen zum 12. Oktober heraus. Die Union der LandarbeiterInnen des Südens (UCS) forderte, die Mittel, die für diese „dummen Feiern“ 1992 vorgesehen sind, für die medizinische Ver­sorgung und für Lebensmittel für die Armen auszugeben. Mit der Invasion 1492, so erklärte die UCS, habe das Leiden und die Ausbeutung der Indígena-Bevölke­rung begonnen, die bis heute andauere. Noch krasser drückte es das „Komitee für die Einheit der LandarbeiterInnen“ (CUC) aus. Die Gewerkschaft verglich die von den Spaniern errichteten Kolonialdörfer mit den vom guatemaltekischen Heer geschaffenen militärisch kontrollierten Modelldörfern. „Die Spanier haben uns das Land geraubt und es an jene vergeben, die heute die Großgrundbesitzer sind“, erklärte das CUC und forderte die Rückgabe des Bodens an die rechtmäßi­gen BesitzerInnen. Die LandarbeiterInnengewerkschaft erklärte, die unterdrück­ten Völker und die armen Bevölkerungsschichten müßten sich zusammenschlie­ßen, um den offiziellen Feiern eine alternative Kampagne „500 Jahre Volks- und Indígena-Widerstand“ entgegenzusetzen. Als Vorbild für den Widerstand empfahl CUC das Beispiel der geheimen Widerstandsdörfer in Guatemala. In diesen versteckten Bergdörfern leben Menschen, die vor der Repression des Hee­res geflüchtet sind.
Schon am Tage zuvor hatten auf ihrem vierten Treffen die lateinamerikanischen Indígena-Parlamentarier in Guatemala-Stadt eine Abschlußerklärung veröffent­licht. Darin kündigten sie jeglicher Form von Diskriminierung, Ausbeutung und politischer Vernichtung ihrer Völker den Kampf an und forderten die Regierun­gen ihrer Länder auf, ihre Sprache, ihre Kultur und die Institutionalisierung von Indígena-Regierungen zu unterstützen. Sie wiesen die offiziellen Feiern des Fünften Jahrhunderts der spanischen Eroberung zurück, da sie „beleidigend sind und die Indígena-Kultur zudem als touristisches Spektakel präsentiert werden soll“.
In den USA wurde folgende Erklärung des Cherokee-Indianers Jan Elliot publi­ziert: „Kolumbus war ein Mörder. Seine Landung am 12. Oktober 1492 löste einen der größten Verluste an Menschenleben in der ganzen Geschichte aus.“

„Emancipación e Identidad“ tagt

Unter dem Titel „Herrenvölker-Randvölker“ fand am 29./30.September in Frank­furt der zweite sog. „Bundeskongreß“ dessen statt, was sich als Kampagne „Emancipación e Identidad“ zum 500.Jahrestag der sog. Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus versteht. Initi­iert von dem in Mexiko tätigen deutschen Soziologen Heinz Diete­rich hat „Emancipación e Identidad“ in der Bundesrepublik seit ei­nem Jahr durch Publikationen und Kongresse mit promi­nenten Gästen von sich reden gemacht. Anspruch von „Emancipación e Identidad“ ist die Organisation einer interkontinentalen Kampagne bis 1992. In Frankfurt wurde allerdings auch deutliche Kritik an den Initia­torInnen laut. Die Frage ist: wer macht welche Kampagne, wie, und mit wem?
„Emancipación e Identidad“ ist zunächst einmal eine lateinamerika­nische Kam­pagne. Nach der Gründung in Mexiko wurden Kontakte zu Organisationen auf dem ganzen Kontinent geknüpft. Besonders inte­ressant in diesem Zusammen­hang: die „Campaña 500 años de resis­tencia indígena y popular“ (Kampagne 500 Jahre indigener und Volkswiderstand). Sie geht von einem breiten Spektrum von Organi­sationen indigener Völker, Landlosenbewegungen und anderer Volks­organisationen aus (siehe auch das Interview zu ihrem ersten Kon­greß im Ok­tober 1989 in Bogotá in LN 187). Beide Kampagnen haben inzwischen ihre „Verschwisterung“ („hermandad“) beschlossen, die sich, nach Auskunft der la­teinamerikanischen Gäste, in der Praxis aber auf gegenseitige Einladungen zu Kongressen beschränkt. Nach­dem bereits im November vergangenen Jahres in Hamburg der erste Kongreß von „Emancipación e Identidad“ stattgefunden hatte, sollte in Frankfurt ein Schritt hin zur Interkontinentalisierung der Kam­pagne getan werden. Organisiert war der Kongreß von dem aus der Nicaragua-Solidarität bekannten Verein Monimbó aus Dietzenbach bei Frankfurt. Beste Voraussetzungen also für eine breite Vernetzung der lateinamerikanischen Kam­pagnen mit der in der BRD entstehenden Kampagne, an der viele Gruppen und fast alle Zeitschriften des So­lidaritätsspektrums mitarbeiten?
Zunächst machte das Konzept des Kongresses stutzig. Am ersten Vor­mittag sollten nach mehreren Grußworten sage und schreibe vier Vorträge ohne Pause die TeilnehmerInnen auf das Thema einstimmen. Heinz Dieterich selbst, der ar­gentinische Ex-Montonero Miguel Bo­nasso, Tomás Borge und die guatemalteki­sche Menschenrechtskämpfe­rin Rigoberta Menchú waren die ReferentInnen. Auf den Inhalt der Beiträge über Strategien, Perspektiven, Theorie und Praxis der la­teinamerikanischen Linken genauer einzugehen, führt an dieser Stelle zu weit. Nur soviel sei gesagt: deren Qua­lität stand in keinem Verhältnis zur Prominenz des Podiums, einzig Rigoberta Menchú konnte überzeugen.
Der Lichtblick des Kongresses waren die anwesenden VertreterInnen der latein­amerikanischen Kampagne „500 años de resistencia“. Cristobal Tapuy vom Indi­gena-Dachverband CONAIE aus Ecuador, der kolumbianische, in Ecuador exi­lierte Gewerkschaftsführer Angel Tolosa und Rigoberta Menchú konnten deutlich machen, wie die Kampagne aus ihrer konkreten politischen Arbeit ihre Konturen be­zieht. Zumindest für die TeilnehmerInnen ihrer AG’s (zwei von ins­gesamt mehr als 15) war ein Ziel des Kongresses, die Information über Aktivitä­ten in Lateinamerika, erreicht. Aber der Informations­fluß verlief als Einbahn­straße. Es bestand kaum Gele­genheit, die lateinamerikanischen Gäste über den Diskussionsstand in der BRD zu informieren. Der Austausch von Ideen, Infor­mationen, politischen Standpunkten etc., für den ein solcher Kongreß den Rah­men bieten müßte, fand nicht statt.
Nach der ausgedehnten Vorstellung der Arbeitsgruppenergebnisse war Sonntag nach dem Mittagessen noch der Punkt „Kampagne in der BRD“ vorgesehen. Die gelichteten Reihen ließen nicht auf übermäßiges Interesse daran schließen, war doch offenbar ein großer Teil des Auditoriums mehr der prominenten Gäste we­gen gekommen. Tatsächlich blieb es merkwürdig nebulös, wer denn an diesem Ort eigentlich was für eine Kampagne initiieren sollte.
In der BRD findet seit über einem Jahr im Rahmen des BUKO (Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen) ein oft sehr mühsamer Diskussi­onsprozeß statt, der in eine Kampagne münden soll. Der Stand dieser Diskussion war in Frankfurt kein Thema. Eine Kampagne lebt von den Gruppen und Men­schen, die sie tragen und konkret umsetzen. Die Inhalte einer Kampagne in Eu­ropa und in der BRD müssen aus den politischen Problemen und Erfahrungen hier entstehen, um z.B. die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf La­teinamerika zum Thema zu machen. Bisher scheinen die TrägerInnen von „Emancipacion e Identidad“ es nicht für nötig zu halten, sich mit den bereits en­standenen Strukturen für eine Kampagne in der BRD auseinanderzusetzen, eine Kampagne, im Zuge derer die Entwick­lung konkreter politischer Forderungen hier in der BRD und in Eu­ropa im Mittelpunkt stehen müßten. Es scheint sym­ptomatisch, daß die eher peinliche Eigenwerbung des Herrn Dieterich für das von ihm herausgegebene demnächst erscheinende Buch (O-Ton Dieterich: „das wichtigste Buch seit Las Casas“) beim Kongreß mehr Raum ein­nahm, als die Dis­kussion um gemeinsame Handlungsmöglichkeiten. Nicht daß man etwas dage­gen haben könnte, auf einer intellektuell-wissenschaftlichen Ebene eigene Dis­kussions- und Aktionsformen zu entwickeln. Publikationen, die Material für De­batten liefern, und die Organisation von gut besetzten Kongressen können eine Kampagne nur weiterbringen. Ohne die Bereitschaft zur Vernetzung solcher Ak­tivitäten mit dem vorhandenen Spektrum von Aktionsgruppen er­scheint aller­dings ein Kongreß einer sogenannten Kampagne wie die­ser als immer weiteres Aufblasen eines Ballons namens „Emancipación e Identidad“ ohne Verankerung in der politischen Wirklichkeit der BRD-Solidaritätsszene. Es ist zu hoffen, daß „Emancipación e Identidad“ in den anderen europäischen und latein­amerikanischen Ländern, in denen die „Kampagne“ in Erscheinung tritt, bereits vorhandenen Strukturen mehr Aufmerksamkeit ge­schenkt hat.
Niemanden ist damit gedient, die Aktionen zum 500.Jahrestag der spa­nischen Conquista durch eine Spaltung in verschiedene Kampagnen bis hin zur direkten Konkurrenz zwischen ihnen zu belasten. Ort und Zeit für die notwendige Ver­netzung und gemeinsame Planung sind das nächste BUKO-Seminar zum Thema im Dezember und die für März geplante Aktionskonferenz.

Integrationsfieber

„Die große ökonomische Lehre diese Jahrhunderts ist, daß der Protektionismus den Fortschritt verhindert und daß der freie Markt Wachstum und Entwicklung gewährleistet“, meinte George Bush, Präsident des Landes, welches laut einer OECD*-Studie die meisten und höchsten Handelsbarrieren in der Welt aufweist. Doch dieser neoliberale Exkurs war nur die Einleitung seiner „historischen“ Rede am 27. Juni, mit der er eine „neue“ Politik der USA gegenüber Lateinamerika ankündigte.
Eine gesamt-amerikanische Freihandelszone schlug er seinen NachbarInnen vor, damit „Amerika der erste völlig freie und demokratische Kontinent wird“. Drei Standbeine hat diese „Bush-Initiative“: 1) Reduzierung eines Teiles der lateiname­rikanischen Schulden bei der US-Regierung 2) Schaffung eines „Entwicklungs­fonds“ zur Förderung der Auslands-Investitionen in Lateiname­rika und 3) völlige Liberalisierung des Handels in der Region, also Abbau aller Zölle und Handels­schranken (Freihandelszone). So weit, so einfach. Interessant wird es bei den Zahlen: Die US-Regierungsforderungen gegenüber Lateiname­rika betragen 12 Mrd. US-Dollar. Das sind 2,4 % der Gesamtschuld Lateinameri­kas, die nach neuesten Zahlen 437 Mrd. US-Dollar beträgt. Und davon sollen 7 Mrd. erlassen werden… Der „Entwicklungstopf“ für Lateinamerika soll sage und schreibe 300 Millionen US-Dollar für die ersten fünf Jahre zur Verfügung haben, wobei sich die USA, Japan und die EG in gleichem Maße beteiligen sollen, so zumindest Bush’s Idee. Zum Vergleich: Die zur Investitionsförderung und für Strukturmaß­nahmen geschaffene Entwicklungsbank für Osteuropa hat ein Volumen von 12 Mrd. US-Dollar für fünf Jahre. Allein im Jahr 1989 hat Latein­amerika 25 Mrd. US-Dollar durch Zinszahlungen ins Ausland transferiert, daß sind 84 mal mehr als der vorgesehene Betrag für den Lateinamerika-Topf. Dar­überhinaus betonte der US-Regierungschef, daß natürlich nur die Länder in den „Genuß“ der Freihan­delszone kommen könnten, die sich vorher einer Liberalisie­rungskur mit Unter­stützung des IWF unterziehen.
Dennoch ist der Optimismus der Regierungen Lateinamerikas bei ihren Reaktio­nen auf den Bush-Plan kaum zu bremsen: „Ein guter Schritt vorwärts“, kommen­tierte der argentinische Präsident Menem. „Der Plan ist geeignet, die Entwick­lung und die Lösung der Probleme Lateinamerikas ein gutes Stück voranzubrin­gen“, sagte ein Sprecher der UNO-Wirtschaftsorganisation für Lateinamerika CEPAL und Chiles Finanzminister meint gar: „Lateinamerika kann mit Optimis­mus in die Zukunft sehen“.

Schwindende Hegemonialmacht bekommt Torschlußpanik

Der eigentliche Grund für diesen US-Vorschlag dürfte weniger im Interesse an einer Entwicklung des Subkontinents als vielmehr an den Problemen im eigenen Landes liegen. Das chronische Außenhandelsdefizit der USA braucht eine Lö­sung, soll die Wirtschaft nicht noch weiter den Bach runter gehen. Für die Löcher in der Handelsbilanz werden natürlich Absatzmärkte gesucht. Die USA sind für Lateinamerika immer noch der wichtigste Handelspartner. 1989 gingen 52% der lateinamerikanischen Exporte in die Vereinigten Staaten, während 59% der Importe Lateinamerikas aus den USA kamen. Dennoch ist die US-Handelsbilanz mit Lateinamerika extrem negativ: in den letzten fünf Jahren hat sich ein Saldo von 48 Mrd. US-Dollar angesammelt. Es geht den USA also offensichtlich nicht darum mehr zu kaufen, sondern mehr zu verkaufen. „Neue Märkte für US-Pro­dukte und mehr Arbeit für nordamerikanische Arbeiter“ verspricht der Präsident dann auch unverhüllt seinen Landleuten. Gleichzeitig könnte es dem Weißen Haus darum gehen, durch eine gezielte Intervention die lateinamerikanischen Integrationsbemühungen zu unterminieren und zu vereinnahmen, zielt der Plan doch hauptsächlich auf Länder, die sich zum einen bereits einer weitgehenden Liberalisierung unterzogen haben und zum anderen eine regionale Integration anstreben.
Die USA geraten darüberhinaus angesichts der sich anbahnenden wirtschaftli­chen Machtkonzentrationen in Europa und Asien in Zugzwang , wollen sie ihre Hegemonie in der Welt nicht gänzlich verlieren. Eine Rückbesinnung auf den traditionellen „Hinterhof“ und eine noch stärkere wirtschaftliche Dominierung des Kontinents könnten dieses „Defizit“ ausgleichen. So ist es nicht verwunder­lich, daß Bush diese Initiative wenige Tage vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston (G7) aus dem Hut zauberte. Stärke zeigen! Doch die dort Anwesenden waren zwar nicht angetan von Bushs Plan, lamentierten allerdings weniger über eine ökonomisch gewendete Monroe-Doktrin, als daß sie vielmehr sofort ihre Chancen, in Amerika einen größeren Absatzmarkt zu finden, kalkulierten.

„Die Zukunft Lateinamerikas liegt im freien Markt…“

In Lateinamerika findet Bush mit seiner Initiative einen guten Nährboden vor. Die Länder stehen wirtschaftlich fast alle mit dem Rücken zur Wand. Nicht, daß sie, wie noch in den 70er Jahren durch Militärdiktaturen zur neolibearlen Anpas­sung á la IWF gezwungen werden müßten: Heute führen die demokratisch ge­wählten Präsidenten genau dieselbe Wirtschaftspolitik durch wie ihre Vorgänger in Uniform. Die Wirtschaftspläne von Collar, Menem Fujimori und wie sie alle heißen gleichen sich dabei fast aufs Haar. „Es ist eine neue Art von Führung ent­standen, die sich auf das Mandat des Volkes berufen kann und versteht, daß die Zukunft Lateinamerikas in der freien Regierung und im freien Markt liegt“, zollt Bush dieser Entwicklung Beifall.
Was dieser „freie Markt“ für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutet, wird am tagtäglich wachsenden Elend in der Region deutlich. Mehr als ein Drittel der städtischen und fast zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung des Kontinents le­ben unterhalb der Armutsgrenze. Die Verelendung in Lateinamerika hat gerade in den 80er Jahren, in denen in fast allen Ländern die neoliberale Politik trium­phierte erschreckende Ausmaße angenommen und zeigt sich in allen Bereichen des sozialen Lebens. Doch diese Bevölkerungsmehrheit wird natürlich nicht ge­fragt, wenn von „Wachstum und Entwicklung dank des freien Marktes“ gespro­chen wird.
Nach den ersten euphorischen Reaktionen aus Lateinamerika wurde der Bush-Plan nun erst einmal zur weiteren Begutachtung an verschiedene Ausschüsse und Organisationen übergeben, die den genauen Inhalt prüfen sollen. SELA (Sístema Económico Latinoamericano, lateinamerikanisches Wirtschaftssystem) legte Anfang September einen ersten Zwischenbericht vor, in dem zwar der Wandel in der US-Politik gegenüber Lateinamerika von der militärischen zur ökonomischen Motivation begrüßt, der Plan an sich allerdings eher skeptisch betrachtet und kritisiert wird. Der Versuch der USA, einen neuen Block zu bil­den, stelle einen „Handel zwischen sehr ungleichen Partnern dar“ und könne leicht in ein Instrument zum einseitigen Nutzen der USA umgewandelt werden. Dennoch sehen die Wirtschaftsexperten in dem Plan eine Möglichkeit, IWF und andere Gläubigerinstitutionen zu beeinflussen und zu einer Reduzierung der Auslandsschulden zu bewegen.

…und die Vergangenheit auch

Anders urteilte die lateinamerikanische Linke auf ihrem Anfang Juli in Sao Paulo abgehaltenen Kongress: „Der Bush-Plan zielt darauf ab, unsere nationalen Öko­nomien für den unlauteren und ungleichen Wettbewerb mit dem ökonomischen Hegemonieapparat komplett zu öffnen, uns ihrer Hegemonie völlig zu unterwer­fen und unsere produktiven Strukturen zu zerstören, indem er uns in eine Frei­handelszone integriert, organisiert und bestimmt von den nordamerikanischen Interessen.“ So wahr wie einfach, aber aus dem Dilemma der wirtschaftlichen Krise hilft ein solches Anprangern des US-Imperialismus auch nicht heraus.
Kubas Staatschef Fidel Castro setzt noch einen drauf: Eine gemeinsame Verteidi­gungsfront gegen diesen imperialistischen Angriff der USA solle gebildet wer­den, um eine noch größere Penetration durch die nordamerikanischen Multis zu verhindern.
Die ist allerdings auch ohne Freihandel schon viel zu groß: 7 Mrd. US-Dollar Reingewinn zogen die US-amerikanischen Multis allein 1989 aus dem strangu­lierten Kontinent. Das Lamentieren darüber, daß der Plan lediglich dazu dient, die lateinamerikanischen Märkte für ein besseres Vordringen der US-Industrie zu öffnen, hilft ebenfalls wenig weiter, denn die Märkte der meißten Länder sind be­reits in den letzten Jahren auch ohne die Freihandelszone durch den Druck des IWF sperangelweit aufgerissen worden. Klar ist allerdings, daß die nationalen lateinamerikanischen Industrien in der Konkurrenz mit den US-Produkten in den wenigsten Fällen eine Chance haben. Die USA versuchen eher Lateinamerika weiterhin auf die Rolle des billigen Rohstofflieferanten für die eigene Industrie und als Absatzmarkt für ihre Produkte festzuschreiben. „In den letzten zehn Jah­ren haben die USA einen Großteil ihrer traditionellen Märkte verloren“, gesteht dann auch der US-Finanzsekretär David Mulford freimütig ein.

Menem und Collor heben ab

Zehn Tage nach der Offensive des US-Präsidenten warteten der argentinische Präsident Carlos Menem und sein brasilianischer Amtskollege Collor de Mello mit einem etwas kleiner dimensionierten Plan auf: Schaffung eines gemeinsamen argentinisch-brasilianischen Marktes zum 1.1.1995 „In dieser Zeit der Krisen ist es gut, daß wir große Dinge tun können“, kommentierte Menem schlicht und ergrei­fend. Großes haben die beiden Regierungen vor, wollen sie bis Anfang 1995 alle Voraussetzungen für die Einführung eines gemeinsamen Marktes nach dem Vorbild der EG geschaffen haben.
Die Idee fußt auf den Integrationsprotokollen der vorhergehenden Präsidenten Alfonsín und Sarney, die 1986 einen ökonomischen Integrationspakt unterzeich­neten, der die Grundlage für die spätere Einführung eines gemeinsamen Marktes bilden sollte. Im Januar 1987 wurden dann 20 Integrationsprotokolle unterzeich­net, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit für einzelne Sektoren regelten. Im April des darauffolgenden Jahres legten sie den Termin für einen gemeinsamen Markt auf das Jahr 2000 fest. Mit der wirtschaftlichen Integration der beiden Ländern tat man sich allerdings in den letzten Jahren erheblich schwerer, als er­wartet wurde. So stieg der Handel zwischen beiden Ländern seit 1985 zwar um 81% an, besitzt allerdings am jeweiligen Gesamtexport der beiden Länder gemes­sen immer noch eine sehr geringe Bedeutung.
Collor und Menem wollen nun dieser Integration mehr Schubkraft verleihen und zogen den Termin für den gemeinsamen Markt kurzerhand fünf Jahre vor. Gleichzeitig soll eine Komission, die seit Anfang September tagt, alle Weichen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche und Problemfelder stellen und konkrete Maß­nahmen ausarbeiten, um den Termin einzuhalten. Mit der Unterzeichnung dieses Plans wurden außerdem die bestehenden Integrationsprotokolle um mehrer hundert Produkte ausgeweitet, so daß eine Erhöhung des Handelsvolumens um 530 Millionen Dollar allein in diesem Jahr ermöglicht werden soll. Gleichzeitig wurden die Quoten für die bisherigen Produkte erhöht und die Schaffung von bi-nationalen Unternehmen soll forciert werden.
Bezüglich des Bush-Plans merkten die beiden Staatschefs an, daß „die Integration des Cono Sur mit der Bush-Initiative vereinbar ist“ und schufen eine gemeinsame Komission zur Beratung über den Plan. Das lateinamerikanische Vorhaben ist allerdings weitgehender, sieht es doch nicht nur Freihandel zwischen den Län­dern, sondern eben einen gemeinsamen Markt, mit gemeinsamer ökonomischer Außenpolitik, einer gemeinsamen Währung und dem vereinigten Auftreten der Delegationen im Ausland vor, um eine bessere internationale Verhandlungspo­sition zu erlangen. In der Uruguay-Runde des Gatt (Allgemeines Zoll- und Han­delsabkommen), welche den weltweiten Freihandel regeln will, werden die bei­den Länder auf jeden Fall gemeinsam ihre Interessen vertreten, die sich in erster Linie gegen den Protektionismus der EG bezüglich der Agrargüter richten.

Die „Kleinen“ dürfen auch mitmachen

Ignoriert wurde bei diesen Verhandlungen allerdings der Juniorpartner Uru­guay, welcher in den vorangegangenen Integrationsbemühungen immer mitein­geschlossen war. So mokierte der uruguayische Präsident Lacalle noch am Tag des Treffens Collor-Menem, daß er nicht einmal eingeladen worden sei. Auf einer Sitzung Anfang August wurden dann allerdings nicht nur Uruguay, sondern gleich auch noch Chile mit in das Vorhaben einbezogen. Paraguay wurde als fünfter im Bunde direkt aufgefordert, sich an dem „Integrationsprogramm 1995“ zu beteiligen. In einer zweiten Phase sollen dann nach der Schaffung des gemein­samen Marktes zwischen diesen fünf Ländern alle anderen Staaten der „Lateinamerikanischen Integrations-Organisation“ (ALADI) miteinbezogen wer­den, also Mexiko, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela. Doch dieses Wunschdenken lenkt davon ab, daß der eigentliche Kern, die Integration im Cono Sur durchaus realistische Verwirklichungschancen hat. Der gemeinsame Markt von Chile, Uruguay, Argentinien und Brasilien wäre die Heimat von zwei Dritteln der Bevölkerung Lateinamerikas mit einem jährlichen Wirtschaftsvolu­men von 280 Mrd. US-Dollar.
Voraussetzung für all diese Zukunftspläne dürfte allerdings die Bewältigung der derzeitigen Krise in Brasilien und Argentinien sein. Denn einen gemeinsamen Markt der Inflation und Armut wollen die Herren wohl kaum. Anscheinend hilft eben kein neoliberales Konzept, um die Inflation der Länder unter Kontrolle zu bekommen, sondern stürzt sie vielmehr gleichzeitig in eine tiefe Rezession.

Kasten:

Fußball-Integration

„Wir Brasilianer haben im Endspiel der Fußball-WM für Argentinien geschrien, denn die lateinamerikanische Integration vollzieht sich auch über die Zuneigung – und die Leidenschaft für den Fußball ist eine der gemeinsamen Sachen unserer beiden Länder.“ (Collor de Mello) Na dann können wir ja auf eine gemeinsame argentinisch-brasilianische Auswahl bei der nächsten oder übernächsten WM gespannt sein.

Amazonien

Die COICA ist ein Organ, das am 26. März 1984 in Lima von den nationalen indianischen Organisationen selbst gegründet wurde. Zur Zeit gehören ihr fünf nationale Organisationen (aus Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Brasilien) mit jeweils diversen Unterorganisationen an, die zusammen Bevölkerung von über 1 Millionen Menschen vertreten. Als ihre Funktionen gibt die COICA an:
-die Mitgliedsorganisationen vor verschiedenen zwischenstaatlichen Instanzen und Nicht-Regierungs-Organisationen auf nationaler Ebene zu vertreten;
-die territorialen Forderungen, die Selbstbestimmung und die Respektierung der Menschenrechte der indianischen Völker durchzusetzen;
-die Einheit und gegenseitige Zusammenarbeit zwischen allen indianischen Völkern zu stärken;
-die Erneuerung der kulturellen Werte und die integrale Entwicklung all ihrer Repräsentanten in jedem Land, zweisprachige interkulturelle Erziehungsprogramme und Gesundheitsarbeit in jedem Mitgliedsland bei gleichzeitiger Achtung seiner Autonomie und unter Wahrung seiner Sitten und Besonderheiten zu gewährleisten.
die COICA durch Einbeziehung oder den Anschluß weiterer indianischer Organisationen zu erweitern.

Indianisches Leben und Territorium als Strategie zur Verteidigung Amazoniens

1. Wir sind hier -indianische Völker und Umweltorganisationen -da wir ein Interesse gemein haben: den Respekt für die Welt, in der wir leben, und den Schutz dieser Welt, sodaß die gesamte Menschheit ein besseres Leben haben kann. Ein wesentlicher Punkt dieses Anliegens ist die Erhaltung des amazonischen Regenwalds. Wir indianischen Völker und unsere Territorien in Amazonien gehören uns gegenseitig, wir sind eins. Die Zerstörung eines Teiles von Amazonien betrifft alle anderen Teile.

2. Seit langer Zeit haben wir in dem Wald gelebt und ihn genutzt, ohne ihn zu zerstören. Wir haben ihn in einer ganzheitlichen und integralen Weise bewirtschaftet-und wir waren jahrhundertelang seine Verteidiger. Unsere Völker wurden geschwächt und als Resultat dessen ist auch der Schutz Amazoniens verringert worden. Heute sind wir erneut die wichtigsten Protagonisten der Verteidigung und des Schutzes Amazoniens.

3. Wir sind an einem Scheideweg angelangt. Werden wir verschwinden oder werden unsere Völker und der Wald überleben? Da der Wald für uns keine Ressource ist, ist er das Leben selbst. Er ist für uns der einzige Ort zum Leben. Die Abwanderung bedeutet, als Volk zu sterben, da der Amazonas das einzige Erbe ist, das wir unseren Kindern hinterlassen können. Diese Tatsache steht hinter unserer Energie und Entschiedenheit ohne Zaudern oder Umkehr.

4. Der Wald wurde von jenen ausgebeutet, die auf unmittelbaren Gewinn aus waren, der zur Überausbeutung der Ressourcen führt und uns die Möglichkeit einer Zukunft vernichtet. Im Gegensatz dazu denken wir indianischen Völker sowohl an uns wie an den Wald als eine Einheit.

5. In dem Maße wie die Zerstörung alarmierend wird, hat sich die Sorge um Amazonien ausschließlich auf die Natur konzentriert, ohne die Zerstörung der indianischen Völker in Betracht zu ziehen. Millionen Dollars wurden in Parks und in den Naturschutz investiert, wobei die Hauptgaranten die durch kurzfristige Interessen motivierten Regierungen waren.

6. In einigen Fällen haben leider Parks und andere Schutzmaßnahmen dazu gedient, uns Indianern weitere Grenzen aufzuerlegen. Sie engen uns ein und wir verlieren die Kontrolle über unsere Gebiete. Oftmals haben sich Parks nur als Reserven für eine zukünftige Ausbeutung von 01, Gold und Holz erwiesen. Parks sind keine Realität in dem Sinne wie Völker es sind. Parks sind nur ein Dekret, etwas, das sich jederzeit ändern kann, das abhängig ist und vergewaltigt werden kann.

7. Technische Kriterien für Parks und wissenschaftliche Interessen an ihnen stellen eine Schranke dar, die viel weniger effektiv ist als die Verteidigung, die ein Volk mit einer Projektion in die Zukunft ausübt. Aber gemeinsame Aktionen beider könnten effektive Resultate erzielen.

8. Daher ist es unser Anliegen, daß indianisches Territorium anerkannt und zurückgewonnen wird, durch welche legalen Mittel auch immer. Konzept und Richtlinie für die Bewirtschaftung der Territorien sollte die Kultur der indianischen Völker, die dort leben, sein. Wie es dem Recht aller Völker entspricht, sollten die Indianer die breitest mögliche Kontrolle haben über alle Ressourcen, die auf ihren Gebieten zu finden sind.

9. Das indianische Territorium als ein physischer Raum, eder in einer diversifizierten und integralesn Weise bewirtschaftet wird, ist Naturschutz im besten Sinne des Wortes. Es ist kein Schutz wie in einem Museum, dessen Resultate so enttäuschend waren.

10. Wir haben kein Lehrbuch, sondern vielmehr eine uralte Kultur.

14. Das Recht auf Territorien bedeutet für uns, eine direkte Vertretung als Volk -nicht nur als Bevölkerung -ausüben zu können, in welcher Diskussion auch immer, sei sie national oder international, politisch oder wissenschaftlich.

15. Wenn diese Kriterien in logischer und gerechter Weise angewandt werden, dann ist es klar, daß unsere Präsenz in Amazonien viel größer ist als die offizielle Politik zugibt, die uns spaltet und als Minderheiten, die im Aussterben begriffen sind, darstellt. Unsere Präsenz in Amazonien und unsere Fähigkeit, seine Zukunft zu bestimmen, wird anerkannt werden, wenn wir die notwendige ideologische Unterstützung erhalten.

16. Aufgrund aller oben genannter Gründe schlagen wir vor, daß die Umweltschützer der Welt sich mit den indianischen Völkern verbünden, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen.

Wir laden Euch ein, diesen Schritt hier und heute zu tun.

Iquitos, 9. Mai 1990

Die Abschlußdeklaration, die den Forderungen der COICA voll entspricht, wurde von 26 teilnehmenden und 14 beobachtenden Organisationen aus Amerika und Europa unterschrieben. Ein Folgetreffen im September 1990 in Washington D.C.wurde vereinbart.

Indigenaaufstand im Hochland

Es stieß kaum auf öffentliches Interesse, als sich am 28. Mai rund 1000 Indigenas aus den Hochlandprovinzen in Quito versammelten, um der Regierung Borja einen Forderungskatalog zu präsentieren. Nicht einmal die Besetzung der Kirche von Santo Domingo im Stadtzentrum veranlaßte die Regierung zu einer anderen Reaktion, als die Polizei aufmarschieren zu lassen.
Eine Woche später rief der Dachverband der Indigenas CONAIE den Aufstand aus. In sieben der Andenprovinzen wurden Straßen blockiert und Haciendas be­setzt. Die Versorgung der Städte wurde weitgehend abgeschnitten. Als Präsident Borja das Militär gegen die Blockierer einsetzte und 30 Aktivisten verhaftet wur­den, nahmen die Indigenas ihrerseits zwölf Militärs als Geiseln. Eine Verhand­lungskommission unter Leitung des Erzbischofs von Quito, Antonio González, erreichte inzwischen die Beendigung der Kirchenbesetzung und die Freilassung der Geiseln; über den Verbleib der Verhafteten liegen noch keine Meldungen vor. Die Verhandlungen über die Forderungen der Indigenas blieben bisher ohne Er­gebnis.
Was unterscheidet das Geschehene von anderen Blockaden und Auseinanderset­zugnen zwischen Indigenaorganisationen und Regierungen, die etwa in Peru und Bolivien schon fast politische Routine geworden sind, ohne daß Nennens­wertes dadurch bewegt würde? Borja spekulierte darauf, die Bewegung werde im Sande verlaufen, als er die Mobilisierung mit repressiven Mitteln schnell zu beenden versuchte. Aber in Ecuador zeigen die Vorkommnisse eine neue Quali­tät der politischen Artikulation der Indigenas. Ihre Hauptforderungen, die Aner­kennung ihrer Landrechte, ihrer Wirtschaftsform und der Schutz vor den Akti­vitäten von Konzernen auf ihrem Land, sind nicht neu. Am 8.Mai 1989 unter­schrieb Borja sogar ein Abkommen mit den Indigenaorganisationen, die „Vereinbarung von Sarayacu“, in der er wesentliche Punkte ihrer Forderungen anerkannte. Sein Versuch, nach solchen Lippenbekenntnissen zur politischen Ta­gesordnung übergehen zu können, ist mit diesem Aufstand gescheitert. Die ecuatorianischen Indigenas haben einen Organisationsgrad erreicht, der ihnen eine neue politische Schlagkraft verliehen hat, die sie, wie man sieht, auch wil­lens sind zu nutzen. Dazu Mario Fárez, der Pressesekretär der Organisation der Hochlandindigenas ECUARUNARI: „Es gibt keine Möglichkeit des legalen Kampfes mehr. … In diesen zehn Jahren der sogenannten Demokratie haben wir keine politische Antwort auf das Landproblem bekommen Die Antwort waren Kugeln und Tränengas. Unser Weg ist, uns das Land zu nehmen, es zu verteidi­gen und zu bebauen, weil wir keinen anderen Ausweg mehr sehen“.