Ein aufregender Streifzug

„Aber nehmen wir doch einmal die kulturelle Intelligenz: Sie können von der Kultur, in die sie hineingeboren werden, ausgehen, um von dort aus andere Kulturen zu verstehen und sie für den eigenen Entwicklungsprozess zu nutzen. Das ist genau das, was ich mit meinen Arbeiten mache. Ich suche den Dialog mit dem Anderen, nicht um es zu kopieren, sondern um etwas Neues, etwas Drittes zu entwickeln.“ Der Choreograf und Tänzer Ismael Ivo, dessen Interview zu den interessantesten Beiträgen gehört, spricht das Thema an, das sich wie ein roter Faden durch den gesamten Sammelband zieht: Ist der „kulturelle Kannibalismus“, der 1928 von Oswald de Andrade mit dem Manifesto Antropófago entwickelte Gründungsmythos der brasilianischen Moderne, noch immer das konstituierende Element zeitgenössischer brasilianischer Kunst?
Im Vorwort des Herausgebers Alfons Hug heißt es dazu: „Die brasilianische ,Kulturphagie’ hat viel zu verdauen: Hybris und Hochkultur der Europäer, Leid und Lebenslust der Afrikaner sowie Widerstand und Spiritualität der Indígenas. Daraus entsteht eine Kreolisierung, die sich fundamental von atavistischen Monokulturen unterscheidet, die traditionell eher auf Ausgrenzung beruhen.“ Dass „die Afrikaner“ und „die Indigenen“ eigene Hochkulturen beizutragen hatten, ließe sich hier noch ergänzen. Darüber hinaus wird in den unterschiedlichen Beiträgen deutlich, dass der „kulturelle Kannibalismus“ heutigen brasilianischen Künstler_innen kein Wert an sich ist, sondern eine Auseinandersetzung mit Zuschreibungen von außen, wie Ismael Ivo erklärt.
Ivo wurde in den 1980er Jahren als Solist der Tanzkompanie Alvin Aileys in New York international bekannt und füllte während seiner anschließenden Solokarriere die großen Theater Europas. Er arbeitet immer wieder mit ungewöhnlichen Choreograf_innen und Theatermacher_innen, setzte mit dem Wiener Festival ImPulsTanz kreative Akzente und kuratierte in den letzten acht Jahren die Tanz-Biennale in Venedig. Seine Arbeiten sind oft verstörend, unterlaufen die Erwartungen des Publikums, insbesondere die der Exotik des „schwarzen Tänzers“: „Wenn Kritiker versucht haben, mich zu kategorisieren in einem – sagen wir – exotischen oder folkloristischen Sinn als ,Brasilianer’, dann habe ich eben Shakespeare gemacht, oder mich mit Francis Bacon beschäftigt, mit der antiken Mythologie oder der Apokalypse. Ich lasse mich nicht in einem festen Rahmen definieren oder katalogisieren.“
Sein Interview endet mit der Entdeckung, dass die Brechung ästhetischer Konventionen in seinen Stücken ihre Wurzeln in der politischen Auseinandersetzung mit der afro-amerikanischen Geschichte hat. Während der Militärdiktatur war er Teil der Bewegung junger schwarzer Künstler_innen in Salvador de Bahia, die in ihren Arbeiten den alltäglichen Rassismus aufdeckten. Diese Erfahrungen inspirieren und motivieren seine Arbeit bis heute.
Eine andere Entdeckung ist der Multimedia-Künstler und Filmemacher Kiko Goifman, in dessen filmischen Arbeiten die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmen. Seine Filme wurden bereits mehrfach auf internationale Festivals eingeladen; zuletzt wurde Olhe pra mim de novo (Schau mich von Neuem an) im Panorama der Internationalen Filmfestspiele in Berlin 2011 gezeigt. In FilmeFobia arbeitete Goifman mit Menschen, die echte Phobiker_innen sind, mit Schauspieler_innen und mit phobischen Schauspieler_innen, er nutzt die Mechanismen des Dokumentarfilms, um beklemmende Bilder der Angst zu erzeugen. In einem fiktiven Interview – tatsächlich also in einem Selbstporträt – setzt er sich mit der „Brasilianität“ seiner Filme auseinander: „Ich verspüre keinen Zwang über Themen zu arbeiten, die besonders brasilianisch sind. Ich lebe in Brasilien und drehe dort auch. Das ist, ob ich will oder nicht, in meiner Arbeit gegenwärtig. Wenn ich in mehreren Filmen das Thema Gewalt behandle und Brasilien ein äußerst gewalttätiges Land ist, ist klar, dass da eine Beziehung besteht. Was ich allerdings vermeiden möchte, ist, stereotype Vorstellungen von Brasilien zu bedienen. Ich denke mehr an eine verschwommene, sogar brüchige Beziehung, vielleicht über den brasilianischen Humor. Wenn wir uns darin einig sind, dass Brasilien par excellence ein Ort der Vielfalt ist, ist dies auch auf einzigartige Weise in jedem meiner Filme gegeben.“
International am bekanntesten ist die kulturelle Vielfalt Brasiliens im Bereich der Musik, in der „alles zusammengetragen und miteinander vermischt“ ist, wie die Musikjournalistin Patricia Palumbo in ihrem Artikel über Popmusik im heutigen Brasilien schreibt. Eine eher neue Erscheinung dieser musikalischen Diversität ist der Tecno-brega, zu der Gaby Amarantos, die „Königin des Tecnobrega“, interviewt wird. Amarantos wuchs in Jurunas am Rand von Belém in einer Familie von Samba-Musiker_innen auf. Zusammen mit ihrer Band Tecno Show kam sie auf die Idee, die schnellen Gitarrenriffs des traditionellen Brega mit einem Elektro-Beat zu unterlegen. Das Musikvideo zu ihrem Soloalbum Xirley machte sie und diese Musikrichtung der Peripherie in ganz Brasilien bekannt, auch das Album Treme wurde 2012 ein großer Erfolg. Der Tecnobrega speist sich aus der traditionellen Musik des amazonischen Bundesstaates Pará. Amarantos selbst erklärt ihren Erfolg so: „Jurunas, mein Viertel, ist meine Energiequelle, dort habe ich gelernt, dass man die Vielfalt schätzen muss. Ich hatte das Privileg, in einer multikulturellen Umgebung geboren worden zu sein, auch wenn sie offiziell zur Peripherie zählt. Weil Jurunas die Wiege verschiedener kultureller Strömungen ist, trage ich diese Pluralität in meinem Gepäck.“
Das klingt so, als sei der kulturelle Kannibalismus in seiner Gewalttätigkeit abgeschlossen und auch die Auseinandersetzung mit Zuschreibungen von außen in der Generation von Amarantos einem leichtherzig gelebten Diversity-Menü gewichen.

Alfons Hug im Auftrag der Akademie der Künste und des Goethe-Instituts (Hg.) // Positionen 6 – Zeitgenössische Künstler aus Brasilien // AdK // Berlin/Steidl, Göttingen 2013 // 24,00 Euro

Das Erbe von Chico Mendes

Es war am späten Abend. Er wollte sich waschen. Dort, zehn Meter hinter seinem Haus, wo er selbst eine behelfsmäßige Dusche gebaut hatte. Kaum hatte er die Hintertür geöffnet, als die Kugeln ihn in die Brust trafen. 25 Jahre sind seither vergangen. Am 22. Dezember 1988 wurde Chico Mendes vor seinem Haus in Xapuri im amazonischen Bundesstaat Acre kaltblütig ermordet. Der Täter war der Sohn eines Großgrundbesitzers, in dessen Auftrag er handelte.

Chico Mendes hatte schon viele Morddrohungen erhalten. Von den fazendeiros, Großgrundbesitzer_innen, Holzfirmen, Viehfarmer_innen, Militärs. Zuerst störte sie die Unruhe, die er in der Gegend stiftete, da er die seringueiros, die Kautschukzapfer_innen, gewerkschaftlich organisierte. Dann erzürnte sie, dass er und seine Kolleg_innen die Urbarmachung des Waldes verhinderten mit ihren mittlerweile so erfolgreichen empates – Menschenketten, die gewaltfrei das Vordringen der Bulldozer verhinderten. Die Holzfirmen schäumten vor Wut, als er sogar nach Washington reiste und die Interamerikanische Entwicklungsbank davon überzeugte, keine Kredite mehr für Rodungsprojekte in Amazonien zu bewilligen. Sie warfen ihm vor, den „Fortschritt des Landes“ zu behindern. Als er die vormals verfeindeten Gruppen der seringueiros und Indigenen miteinander versöhnte, weil sie erkannten, dass der Kampf um den Wald ihre gemeinsame Herausforderung ist, da schrillten bei den traditionell Mächtigen der Region alle Alarmglocken. Und es störte sie seine Forderung nach neu zu schaffenden Schutzgebieten, den reservas extrativistas. Deren nachhaltige Waldnutzung durch die traditionellen Gruppen sollte den Wald erhalten – und den seringueiros, Babaçanuss-Sammler_innen und den Indigenen ihr Auskommen sichern.

Chico Mendes verband Umweltschutz und die sozialen Bewegungen, ohne es geplant zu haben. Er soll gesagt haben, er hätte gar nicht gewusst, dass das Umweltschutz sei, was er tue. Ihm sei es um den Kampf der sozialen Bewegungen der Sammler_innen gegangen und wenn das dann „Umweltschutz“ sei, dann sei das auch in Ordnung.

25 Jahre sind seit der Ermordung von Chico Mendes vergangen. Doch sein Name ist in Brasilien und in der Welt noch immer bekannt. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde in Brasília das Gesetz über die von ihm geforderten Sammelschutzgebiete verabschiedet. Gegenwärtig gibt es allein in Amazonien 59 dieser Territorien mit einer Fläche von 19,1 Millionen Hektar. Das Instituto Chico Mendes zur Betreuung dieser Gebiete trägt seit 2007 seinen Namen. Die Entwaldungsraten Amazoniens von heute lassen sich nicht mit denen der 80er und 90er Jahre vergleichen. Ist Chico Mendes´ Erbe also eine Erfolgsgeschichte?

Nur zum Teil. Die seringueiros von heute werden weniger, da es noch immer deutlich lukrativer ist, den Wald illegal zu roden oder Viehzucht zu betreiben. Zudem rollt die Walze des Agrobusiness in Amazonien weiter voran. Ob Soja- oder Rinderfarmen, ob Bergbau oder Staudamm: Es geht noch immer um die Inwertsetzung von Land – und nicht in erster Linie um die nachhaltige Nutzung des Landes, wie es die seringueiros oder Indigenen betreiben. Und neben der erschreckenden Agenda des brasilianischen Kongresses bezüglich der Rücknahme demarkierter indigener Territorien oder der Ausdehnung des Bergbaus auch auf Schutzgebiete stehen nun auch die Sammelgebiete selbst unter Druck, diesmal im Namen „grünen Wirtschaftens“. Angetrieben von internationalen Geldgeber_innen legen sich derzeit die Landesregierungen vor allem von Acre, Amazonas und Pará mächtig ins Zeug, den Wald in Wert zu setzen. Diese wollen den seringueiros ein paar hundert Reais im Monat als „grünes Stipendium“ dafür zahlen, dass sie ihre so lang gepriesene Mischnutzung – Kleinackerbau und Viehwirtschaft in Subsistenz bei nachhaltiger Nutzung des Waldes – beenden und den Wald erst gar nicht mehr betreten. Der Regenwald als Park – das ist nicht im Sinne von Chico Mendes.

Langer Weg zur Versöhnung

„Es war ein Konflikt, der tiefe und schmerzhafte Gräben und Entfremdung in der peruanischen Gesellschaft offenbarte“, schrieb die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR) 2003. Der Abschlussbericht ging über eine bloße Auflistung von Menschenrechtsverletzungen hinaus. Er analysierte die Entstehung des Bürgerkrieges und seine Folgen für die Gesellschaft. Außerdem stellte er eine Reihe von Empfehlungen für die Regierung zusammen, deren Umsetzung zur gesellschaftlichen Versöhnung beitragen sollten. Der Wille zur Aufarbeitung und Entschädigung durch die Regierungen, die seither an der Macht waren, bleibt jedoch beschränkt. Eine Anerkennung in der breiten Öffentlichkeit Perus genießt die CVR auch heute nicht.
Manche waren erleichtert, dass der Krieg überhaupt vorbei war – egal um welchen Preis. Egal wessen Menschenrechte wie und durch wen verletzt wurden. Andere, allen voran die Opfer und ihre Familienangehörigen, fordern Entschuldigung, Aufklärung und Entschädigungen. Doch das liegt wiederum nicht im Interesse politischer Eliten, die damals wie heute hohe Ämter in Regierung, Militär- oder Polizeiapparat bekleiden. Denn sie hatten sich, wenn auch in weit geringerem Umfang als die maoistische Guerillagruppe des Leuchtenden Pfades, Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen lassen. Der Leuchtende Pfad hatte durch seine Kriegserklärung an die Regierung 1980 den bewaffneten Konflikt ausgelöst.
Die Hauptverantwortlichen für die exzessive Gewalt sitzen hinter Gittern. Darunter befinden sich der Ex-Diktator Alberto Fujimori, seine treue rechte Hand Vladimiro Montesinos und der Anführer des Leuchtenden Pfades Abimael Guzmán. Doch die Haftstrafen reichen für eine gesellschaftliche Versöhnung nicht aus: „Auch wenn es die CVR gab, wurde das, was sie den öffentlichen Institutionen als Aufgabe hinterließ, nicht erfüllt“, sagte der Leiter der CVR Salomón Lerner Febres zum zehnjährigen Jubiläum des Abschlussberichts. Zur Gerechtigkeit gehört für ihn nicht nur die Bestrafung der Verantwortlichen, sondern auch die Entschädigung der Opfer. Eine kurze Entschuldigung staatlicher Vertreter im Fernsehen reiche nicht aus. Empörend sei es von Entschädigung zu sprechen, wenn diese erst nach 15 oder 20 Jahren gezahlt werde. Außerdem sei sie nur für Personen über 65 Jahren reserviert, wo doch die durchschnittliche Lebenserwartung keine 60 Jahre überschreite, so Lerner. Die Bilanz der Ombudsstelle fällt ebenfalls ernüchternd aus. Über 60 Prozent der Gelder, die die Regierung 2003 Familien und Kommunen als Entschädigung versprach, wurden noch nicht ausgezahlt. Direkt oder indirekt Betroffene sollen etwa 2600 Euro erhalten. Anerkannt wird aber nur ein erlittenes „Unrecht“: Wer also zum Beispiel mehrere Kinder verlor, dem wird trotzdem nur eine einzige Zahlung zugesprochen.
Ähnlich stockend sind die Bemühungen der ausstehenden Gerichtsprozesse wegen Menschenrechtsverbrechen. Bei der Ombudsstelle sind 194 Fälle registriert, davon wurden 77 zu den Akten gelegt, in 32 Fällen hat es Verurteilungen gegeben. Die übrigen befinden sich noch immer in Voruntersuchung. Die Verzögerung kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass zunehmend aktuellere Fälle im Zusammenhang mit Terrorismus und Drogenhandel im Zentrum von Ermittlungen stehen. Andererseits behindert das Militär die Ermittlungen, weil es unzureichende Informationen über Verdächtigte bereitstellt. In den meisten Fällen, die Mitglieder des Militärs betrafen, wurden die Angeklagten in Abwesenheit zu Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis sitzen sie also nicht.
Auch bei der Suche nach Verschwundenen bleibt das Engagement der Regierung und zuständigen Behörden begrenzt. Laut Berichten der nationalen Vereinigung von Menschenrechtsorganisationen (CNDDHH) müssten weiterhin rund 13.000 Vermisste aus etwa 4.000 Massengräbern geborgen werden, die bislang nicht entdeckt wurden. Die Bemühungen verlaufen allerdings im Sand. Während für die CNDDHH die Umsetzungen der Empfehlungen der Wahrheitskommission (CVR) notwendig und weiterhin gültig sind, zweifeln manche politischen Akteur_innen grundsätzlich daran. So ist die Politikerin Martha Chávez überzeugt, der CVR-Bericht gehöre in den Müll. Stattdessen brauche man eine Wahrheitskommission, die die Arbeit der CVR untersuche. Sie beanstandet ebenso die Überlegung des Bildungsministeriums, Passagen aus dem Abschlussbericht in die Schulbücher aufzunehmen. Dies sei ein Instrument, dem Marxismus das Gesicht zu waschen. So würde das Militär auf eine Ebene mit der Guerilla gestellt. „Wenn Militärs bei der Bekämpfung eines so schrecklichen Feindes das Maß überschritten haben, dann bin ich nicht in der Position, sie zu verurteilen“, sagte sie. Martha Chávez war in den 1990er Jahren Abgeordnete für Fujimoris Partei Cambio 90/ Nueva Mayoría. Heute ist sie Abgeordnete der Partei Fuerza Popular, die 2010 von Fujimoris Tochter Keiko gegründet wurde.
Als Chávez Anfang November zur Vorsitzenden einer Unterkommission für Menschenrechte des Kongresses gewählt wurde, riefen zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Opferverbände zu Demonstrationen auf. Chávez selbst fühlte sich durch die Proteste geschmeichelt und sah darin einen Beweis dafür, dass die CVR etwas zu verstecken habe. Sie wollte das Amt dazu nutzen, „diese Pseudovertreter der Menschenrechte in ihre Schranken zu weisen“. Aufgrund eines Formfehlers wurde ihre Wahl jedoch für unzulässig erklärt. Bei einem erneuten Wahlgang erreichte Chávez die nötige Mehrheit nicht mehr. Kurz darauf wurde die gesamte Unterkommission abgeschafft. Die bloße Möglichkeit, eine Politikerin mit Chávez‘ Hintergrund für dieses Amt zu bestimmen, zeigt, wie umstritten die Erinnerung an den Bürgerkrieg noch immer ist. Die anhaltende Beliebtheit der Fujimori-nahen Partei, angeführt von seiner Tochter, sowie die Trägheit der Behörden bei der Aufklärung der Verbrechen, Verurteilung der Täter_innen und Entschädigung der Opfer scheint dies zu bekräftigen.
2003 hatte die CVR festgestellt, dass sich ein Großteil der Bevölkerung nicht für die Situation derjenigen interessiere, die in den vom Bürgerkrieg besonders betroffenen Teilen des Landes leben. Für die CVR war das ein Zeichen des vorherrschenden „verschleierten Rassismus“ in der peruanischen Gesellschaft. Schließlich stammten 79 Prozent der Opfer aus ländlichen, ärmlichen Gebieten. 75 Prozent sprechen Quechua oder andere indigene Sprachen als Muttersprache. 68 Prozent der Opfer hatten einen Bildungsgrad, der unter dem nationalen Durchschnitt lag. Heute stellt sich die Frage, ob der Rassismus weiterhin mit ein Grund ist, weshalb Entschädigungen nicht gezahlt und Verbrechen nicht aufgeklärt werden.
Yuyanapaq bedeutet auf Quechua „um sich zu erinnern“ und ist das Motto vieler Ausstellungen und Gedenkfeiern der Opferverbände. Ebenso wie „Wider die Straffreiheit! Wider das Vergessen! Wir wollen Gerechtigkeit.“ Nach dem „Affront“ der Wahl von Martha Chávez als Vorsitzender der Unterkommission schrieb die Mutter eines Opfers, das vom Geheimdienst Fujimoris verschleppt worden war: „21 Jahre später ist mein Sohn immer noch verschwunden und mir bleibt das Recht verwehrt, ihn mit Würde zu begraben.“ Yuyanapaq heißt auch hier die Losung.
Kann ein Land sich versöhnen, wenn den Opfern und ihren Familienangehörigen auch nach 20 Jahren keine Gerechtigkeit widerfährt und die Hoffnung darauf schwindet? Der Vorsitzende der CVR Lerner ist überzeugt: „Ohne Gerechtigkeit und Erinnerung gibt es keine Versöhnung.“ Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des CVR-Berichts scheint Peru den Weg zur gesellschaftlichen Versöhnung gerade erst angetreten zu haben.

„Es geht um indigenes Land“

Die brasilianische Regierung erarbeitet derzeit ein neues Rahmengesetz für Bergbau. Was bedeutet dies für die Tapajós-Region, in der Sie leben?
Das Gesetz wäre eine Katastrophe. Nicht nur für die Tapajós-Region, sondern für den ganzen westlich gelegenen Teil des amazonischen Bundesstaats Pará. Denn das ist die Region, die das Herzstück für den Mineralbergbau bildet. Dort gibt es alles: Bauxit, Gold, Mangan, Kalk, Phosphat. In der Nähe gibt es zudem Uran und Blei – all diese Mineralien stehen im gierigen Fokus der Bergbaukonzerne. Die üben mächtigen Druck auf die Regierung aus, die ganzen Bergbauanträge endlich zu bewilligen und die Förderlizenzen zu erteilen. Im Fokus stehen letztlich vor allem die indigenen Territorien. Dort liegt der Kern dieses neuen Bergbaugesetzes: Und die Regierung willigt ein.

Wie reagieren die Indigenen?
Sie wissen, dass die Konsequenzen dieses neuen Bergbaugesetzes weitaus schlimmer sein werden, als alles, was wir bisher erlebten. Das wird das Einfallstor in die indigenen Territorien.

Die Umweltorganisation ISA hat errechnet, dass derzeit 4.220 Bergbaukonzessionsvorhaben allein für indigenes Territorium beantragt sind. Was werden die Indigenen davon haben?
Sie werden schon etwas davon haben: Und zwar das, was die Indigenen vor 500 Jahren bekamen. Die Portugiesen gaben ihnen Töpfe, Glasperlen und anderes Glitzerzeug. Heute ist es im Prinzip nicht anders. Ihnen wird ein Anteil versprochen, aber der wird ein Bruchteil dessen sein, was die Konzerne da abschöpfen.
Nehmen wir den Fall der kanadischen Bergbaufirma Belo Sun Mining Corporation. Gerade heute kam die Meldung, dass ein Bundesrichter die Umweltgenehmigung für das „Belo Sun“-Gold-Projekt am Xingu-Fluss in direkter Nachbarschaft zum Belo Monte-Staudamm vorerst gestoppt hat. Was will Belo Sun dort? In den nächsten zehn Jahren wollen sie dort 50 Tonnen Gold fördern. Was geht da vor sich? Die Regierung lässt den Staudamm Belo Monte bauen, die große Flussbiegung der Volta Grande zu 80 Prozent trockenlegen, dann kommen sie da leichter an das Gold heran. Und zum Trennen des Goldes nutzen sie Zyanid – höchst giftig.

Also handelt die Justiz doch?
Die Staatsanwaltschaft hat Klage eingereicht und der zuständige Richter hat dem gerade stattgegeben. Aber wir wissen, wie die Macht eines solchen Konzerns aussieht. Wir wissen, was da alles hinter den Türen abläuft. Wir vertrauen heute in Brasilien weder dem Nationalkongress, noch der Präsidentin oder dem Justizwesen. Allein im Falle Belo Monte sind 20 Klagen der Bundesstaatsanwaltschaft gegen die Zulässigkeit des Projektes anhängig – und die schmoren in einer Schublade bei den zuständigen Gerichtshöfen.
Ich pflege zu sagen: Da wir heutzutage in einer Diktatur des Kapitals leben und die Regierung aus Brasilien die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden gedenkt, muss man nach dieser Logik exportieren. Und Mineralien sind in diesem Sinne wertvolle Bodenschätze. In der erträumten Exportbilanz sind sie das Filetstück.

Vor den Juni-Demonstrationen gab es bereits massive Proteste von Indigenen, die in Brasília den Kongress stürmten. Was waren der Anlass und die Hintergründe?
Die brasilianische Verfassung garantiert den Indigenen ihr Recht auf ein eigenes Territorium. Aber die Großfarmer und die Firmen des Agrobusiness wie auch die Bergbaukonzerne üben massivsten Druck aus, um die Territorien zu verkleinern. Und weil die Diktatur des Kapitals anhält, so wird ihnen auch die Regierung weiterhin zu Willen sein. Dies erleben die Guarani-Kaiowá im Bundestaat Mato Grosso do Sul tagtäglich. Sie fristen dort ihr Dasein am Straßenrand, erniedrigt, ohne Zugang zu Land. Und dies, weil die Vorgängerregierungen das Land an die Farmer vergaben und die jetzige Regierung an das Thema nicht heran will, um es sich nicht mit der Großgrundbesitzerlobby zu verscherzen. So eiert die Regierung herum, während die Guarani-Kaiowá am Straßenrand sterben.
Aber in den vergangenen Monaten haben sich die Indigenen auf nationaler Ebene zusammengeschlossen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Das ist etwas, was mich sehr glücklich macht. Sie haben den Kongress gestürmt sowie dem Kongress und der Präsidentin ihre Forderungen gestellt: „Dies sind die Rechte, die uns die Verfassung zuschreibt. Und wir verlangen, dass diese eingehalten, respektiert und umgesetzt werden!“

Dieses Jahr ein neues Rahmengesetz für den Bergbau, im vergangenen Jahr ein neues Gesetz für den Wald. Und nun soll auch noch der Indigenenbehörde FUNAI die Kompetenz über die Demarkation indigenen Territoriums entzogen werden. Was steckt dahinter?
Dies ist alles der gleiche Prozess: es geht darum, den Indigenen ihre Rechte zu entziehen und die Interessen der Großgrundbesitzer zu befriedigen. Es geht ums Land. Noch obliegt die Entscheidung über die Demarkation direkt der Präsidentin und die FUNAI bereitet den ganzen Entscheidungsprozess vor, lässt die Studien erstellen und so weiter. Und der brasilianische Nationalkongress blieb von diesem Prozess ausgeschlossen. Aber die Großgrundbesitzerfraktion im Kongress übt auch hier Druck aus, um die Rolle der FUNAI zu schwächen. An Demarkationen soll künftig der Kongress beteiligt werden, ebenso wie die staatliche Agrarforschungsinstitution EMBRAPA und die beiden für Landwirtschaftsfragen zuständigen Ministerien. All dies ist ein Schachzug, um die Rechte der Indigenen auszuhöhlen. Und Dilma Rousseff will nicht die Stimmen dieser Fraktionen im Kongress verlieren, also beugt sich ihre Regierung den Interessen der Großfarmer, der Agrarkonzerne und der Bergbaukonzerne.

Reden wir zum Abschluß über Ihre Region, den Tapajós. Was sind hier die Pläne Brasílias?
Allein am Tapajós-Fluss plant die Regierung Dilma den Bau von sieben Wasserkraftwerken. An den beiden Zuflüssen, die sich zum Tapajós vereinen, sind weitere elf Staudämme geplant: acht am Juruena und drei am Teles Pires. Einer wird am Teles Pires bereits gebaut. Zusammen sind das 18 Wasserkraftwerke. Was bedeutet das? Schauen wir uns die Staustufe an, die Santarém am nächsten gelegen ist. Allein die geplante 36 Meter hohe Staumauer erzeugt einen Stausee von 730 Quadratkilometern. Im Tapajós-Gebiet sollen 10.000 Hektar des Nationalparks geflutet werden. Ein Irrsinn, den Dilma Rousseff mit dem Kugelschreiber löste. Die brasilianische Verfassung schreibt vor, dass jeder Nationalpark unantastbar ist, aber sie hat im Januar 2012 ein Dekret unterzeichnet, das den Nationalpark genau um das zu flutende Gebiet verkleinert. Und so löst man das dann: mit einem Kugelschreiber.

Diese Staudammpläne lösen bei den Munduruku am Tapajós massive Proteste aus. Angesichts der Massenproteste im Juni wollte die Regierung wohl keinen weiteren Konfliktherd und kündigte zunächst an, die Baupläne am Tapajós nicht weiter zu verfolgen. Die Munduruku feierten. Doch dann erklärte Brasília, die Tapajós-Wasserkraftwerke 15 Prozent größer bauen zu wollen. War der kurzzeitige Rückzug ein abgekartetes Spiel?
Das war die Taktik des Krieges. Denn die Munduruku hatten in Jacareacanga auf ihrem Gebiet fünf Forscher festgesetzt. Die Regierung entsandte Militäreinheiten und sagte gleichzeitig, falls die Forscher freigelassen werden, dann stoppen wir die Untersuchungen vor Ort. Dies lief dann so – aber fünf Tage später waren alle Forscher wieder vor Ort, diesmal in Begleitung der Einsatzkräfte des Heeres, die für „Sicherheit“ zuständig sind. Alles Kriegstaktik. In Bezug auf die Regierung trifft ein Satz den Kern ihres Denkens und Handelns. Dilma sagte einmal: „Was getan werden muss, muss getan werden.“ So gibt es keinen Dialog.

Die ILO-Konvention 169 zum Schutze indigener Völker schreibt den Dialog aber vor und Brasilien hat die Konvention 2004 ratifiziert…
Die ILO-Konvention 169 schreibt die freie, vorherige und informierte Konsultation der betroffenen Indigenen vor. Dies ist ja auch der Grund, warum die Bundesstaatsanwaltschaft 20 Klagen gegen Belo Monte eingereicht hat. Aber die brasilianische Regierung behilft sich seit Jahren mit einem Trick und der besteht in den zwei kleinen Worten: „nicht bindend“. Die ILO-Konvention 169 schreibt die Konsultation mit dem Ziel vor, ein Übereinkommen oder einen Konsens mit den Indigenen zu erzielen. In Brasilien führen sie da ein paar Anhörungen durch, aber de facto machen sie, was sie wollen, denn sie interpretieren die Konsultationen als „nicht bindend“.
Und das ziehen sie durch: Das haben sie am Rio Madeira mit den Staudämmen Santo Antonio und Jirau so gemacht, das machen sie am Xingu mit Belo Monte und am Teles Pires auch – und die am Tapajós werden die nächsten sein. Und wenn dann alles fertig gebaut ist und irgendwann in der Zukunft die Klagen der Bundesstaatsanwaltschaft zur nicht erfolgten Konsultation der betroffenen Indigenen auf dem Tisch des Obersten Gerichtshofs liegen, dann wird die Regierung vor dem Obersten Richter sagen, ,Ja, das ist schwierig, wissen Sie, wir haben da einen Formfehler begangen…’, aber die Staudämme stehen dann fertig gebaut in der Landschaft herum. Als vollendete Tatsache.

Infokasten:

Padre Edilberto Sena,
71, hat 2009 die Widerstandsbewegung Movimento Tapajós Vivo ins Leben gerufen und setzt sich mit dieser gegen die zunehmende Inwertsetzung Amazoniens ein: gegen Sojabarone und -konzerne, gegen Staudammprojekte der Regierung in der Region und gegen die Erteilung von neuen Bergbaulizenzen.
Er ist verantwortlich für das Rádio Rural de Santarém und erreicht mit seiner wöchentlichen Sendung über soziale und politische Fragen, zur Region, Umwelt und Menschenrechten, 50.000 Hörer_innen. Rádio Rural ist vor allem bei weit abgelegen wohnenden Indigenen und Flussanwohner_innen beliebt.
Padre Edilberto Sena studierte Theologie und Philosophie in Brasilien und in den USA, wurde 1972 zum Priester geweiht und versteht sich als Befreiungstheologe. Geboren wurde er 1942 mitten in Amazonien, im brasilianischen Bundesstaat Pará. Er lebt in Santarém, dort wo der Rio Tapajós in den Amazonas mündet.

Auch mal zuhören

„Mit den Betroffenen reden sie nie!“ Antonia Melo, eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Widerstands gegen den Staudamm Belo Monte (siehe LN 467), deutet mit dem Kopf in Richtung der Delegation um den Präsidenten der staatlichen Energieforschungsagentur Brasiliens (EPE), Maurício Tolmasquim. Wie oft hätten sie um Termine „bei denen“ ersucht, sagt Antonia Melo, die seit Jahren die Bewegung Xingu Vivo para Sempre anführt. Nun auf einmal treffen sie doch aufeinander. In Brüssel, im Europaparlament.
Seit Monaten war die Regierung in Brasília über die Konferenz „Belo Monte Mega-Dam: The Amazon up for grabs?” informiert und ob einer Beteiligung angefragt worden. Doch es herrschte Sendepause seitens der diplomatischen Vertretung. Keine Antwort, keine weiteren Anzeichen dafür, dass Regierungs- oder Firmenvertreter_innen ihre Sicht der Dinge auf dem Podium darbieten wollten. So raunt es im Saal. Aber dann veröffentlichte eine brasilianische Journalistin einen Vorabbericht über die Konferenz. Der Text wurde auf fast allen Internetseiten von Menschenrechtsorganisationen in Brasilien veröffentlicht. Und Brasília wurde offenkundig ziemlich nervös. Anderthalb Tage vor der Konferenz teilte die brasilianische Botschaft mit, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff persönlich habe eine mehrköpfige Delegation zusammengestellt, „handverlesen“. Und das Europaparlament sei ja eine demokratische Institution, das solch einer umfassenden Teilnahme sicher nicht im Wege stehen und die brasilianisch-europäischen Beziehungen nicht belasten wolle.
Die aus Brasília entsandten Vertreter_innen erhalten Redezeit: „Noch nie habe ich so viel Falschinformation erlebt, wie hier in den letzten Minuten“, erklärt Maurício Tolmasquim erhobenen Zeigefingers in die Mikrofone des Saales. „Ich bin schockiert!“ poltert er weiter. Da könnten noch so viele brasilianische Basis-Aktivist_innen eingeflogen werden, bezahlt über wen auch immer, es ändere nichts an den Fakten, so Tolmasquim. Der Staudamm Belo Monte sei nicht nur ein Leuchtturmprojekt erneuerbarer Energien, das der lokalen Bevölkerung zugutekomme und von den Betroffenen herbeigesehnt werde, sondern er stelle einen Gewinn für die Erde als Ganzes dar. Zudem sei es eben dem Staudammprojekt Belo Monte zu verdanken, dass „7.000 betroffene Familien in Altamira“, die umgesiedelt werden müssten, nun endlich „neue Häuser als Rohbauten mit Anschluss an die Trink- und Abwasserversorgung“ bekämen. Und Brasilien bezahle bei Belo Monte allein für den Bau des Kanals, der die Große Flussschleife Volta Grande abkürzt, 1,8 Milliarden Reais – umgerechnet 565 Millionen Euro –, „nur damit die 225 Indigenen an der Volta Grande nicht überflutet“ würden. „Ich wiederhole: Wir bauen einen Kanal für 1,8 Milliarden Reais, einen Kanal größer als den Panamakanal, nur damit 225 Indigene nicht betroffen, nicht überflutet werden.“
Im Saal raunt es. Denn Tolmasquim hat zwei der entscheidenden Stichwörter fallen lassen. „Betroffen“ und „nicht überflutet“. Denn dieses Detail hatte der Umweltingenieur und Wissenschaftler Francisco Del Moral Hernández in seinem Beitrag kurz zuvor verständlich erläutert: „Die brasilianische Gesetzgebung definiert, dass als betroffen nur der gilt, dessen Land überschwemmt wird“, so Hernández. So konnte bei den Indigenen der Arara und Paquiçamba bei der Volta Grande behauptet werden, sie seien nicht betroffen. Ihr Territorium wurde dann kurzerhand aus der Umweltfolgenstudie herausgestrichen: „Denn ihr Gebiet wird ja nicht überschwemmt, sondern bis zu 90 Prozent ausgetrocknet.“ Fehlt dann ihre Hauptnahrungsquelle, der Fisch, so ist das für die Logik der Umweltfolgenstudie irrelevant. Nicht überschwemmt, also auch nicht betroffen. Kollateralschäden also, die ein Tolmasquim gerne in Kauf nimmt.
Dann kommt die Abschlussrunde, in der Antonia Melo für ihre couragierte Rede Ovationen aus dem Saal erhält. Emotional, ja, wutgeladen, legt sie den Regierungsvertreter_innen die Sicht der Widerstandsbewegung dar. In Altamira seien 10.000 Familien wegen deren Zwangsumsiedlung Neubauten versprochen worden. Und Antonia Melo zeigt das Bild: Die Wände dieser Neubauten durchziehen dicke Risse, die bis ins Fundament reichen. „Die Häuser zerbröseln bereits vor dem Einzug!“, erklärt sie empört. Und denen, die sich weigern, die viel zu geringen Entschädigungszahlungen oder die baufälligen Häuser zu akzeptieren, denen bietet die zuständige Firma nur den Weg vor Gericht an. „Aber wer entscheidet da? Wer wird denn diese Leute vor Gericht verteidigen? Wer gewinnt diese Gerichtsprozesse wohl?“ Ihre Stimme bebt.
Die Gesetze und Rechte der Betroffenen würden systematisch verletzt, fährt sie fort. Was bedeute das für die Demokratie? „Es wurde hier gefragt: Wenn dort alles so demokratisch sei, warum müsse die Regierung dann die Nationalgarde entsenden? Ja, warum, Herr Tolmasquim?“, fragt sie in den Saal. Keine fünf Meter entfernt sitzt der Angesprochene, diesmal im Publikum – zum Zuhören verdammt, er hat seine Redezeit zuvor schon deutlich überschritten. Seine Laune, so ist ihm deutlich anzusehen, ist nicht die Beste.

Wandlungsfähiger Widerstand

Die Verwunderung im In- und Ausland war groß als an Neujahr 1994 maskierte Frauen und Männer sieben Bezirkshauptstädte im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas besetzten und sich mehrere Tage Gefechte mit der mexikanischen Armee lieferten. Seitdem hat die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) einen langen Weg hinter sich gebracht. Dieser begann bereits ein Jahrzehnt früher, als am 17. November 1983 eine sechsköpfige Gruppe – hervorgegangen aus einer der zahlreichen mexikanischen Guerillas der 1970er Jahre – im lakandonischen Regenwald die EZLN gründete. Anfangs handelte es sich um eine dogmatische Gruppe, die sich an anderen Guerilla-Organisationen Lateinamerikas orientierte, zum Teil Kontakte zur Studierendenbewegung von 1968 hatte und mit einem avantgardistisch-kommunistischen Konzept die indigene Bevölkerung „befreien“ wollte.
Es folgte eine mehrjährige Etappe, in der die Kerngruppe der EZLN relativ isoliert blieb, da dieser paternalistische Ansatz, der zudem von mangelnder Kenntnis der Region begleitet war, auf großes Misstrauen bei der ortsansässigen indigenen Bevölkerung stieß. Nach einiger Zeit kam es jedoch zu einer offeneren Annäherung beider Seiten, die – neben anderen Faktoren wie dem Kampf der Frauen innerhalb der Bewegung und dem Einfluss der Befreiungstheologie – die undogmatischen Charakteristika der heutigen zapatistischen Bewegung ermöglichte. Die noch immer kleine Organisation trat daraufhin in einen wechselseitigen Lernprozess ein. Ihr Sprecher Subcomandante Marcos, einer der wenigen Mestizen der Gruppe, beschreibt diese Phase so: „Zusätzlich zu ihrer Kondition, die die indigene Bevölkerung für ein Leben in den Bergen befähigte, brachten sie uns ihre Weltsicht sowie ihre Sicht des Kampfes und ihre Kultur bei. Das heißt, in dieser Aufbauphase bewegten wir uns in einer Schule, wo es nicht klar war, wer Lehrer und wer Schüler war.“ Insgesamt zehn Jahre lang bereitete sich die politisch-militärische Organisation mit Unterstützung der zivilen Basis unter großen Anstrengungen und Gefahren im Untergrund auf Tag X vor.
Mit ihrem bewaffneten Aufstand vom 1. Januar 1994, der als ein wichtiger Ausgangspunkt der neuen antikapitalistischen Bewegungen gilt, katapultierte sich die EZLN auf die Titelseiten der mexikanischen und globalen Presse. In einer Zeit, in der von den westlichen Eliten ein endgültiger Sieg des Kapitalismus gefeiert wurde, manifestierten die vermeintlich Schwächsten der Schwachen im Südosten Mexiko ihr „¡Ya Basta!“ („Es reicht!“) und verdeutlichten so, dass das damals vielzitierte „Ende der Geschichte“ keineswegs erreicht war. Nicht zufällig fiel die Erhebung auf den Tag, an dem der nordamerikanische Freihandelsvertrag NAFTA in Kraft trat, mit dem die kapitalistische Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben werden sollte.
Es folgten große Wellen der Solidarität mit der EZLN in und außerhalb Mexikos. Angehörige der solidarischen Zivilgesellschaft – im Verständnis der Zapatistas die unabhängig organisierten Menschen, die nicht von den Privilegien der Herrschenden profitieren – erklärten sich einverstanden mit den zentralen Forderungen nach Arbeit, Land, Unterkunft, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden. Sie schlugen der EZLN jedoch mehrheitlich einen nicht-bewaffneten Weg zu ihrer Durchsetzung vor. Die EZLN äußerte später, sie habe in diesem Moment auf die Zivilgesellschaft gehört; seit dem 12. Januar 1994 kämpft sie zivil für ihre Ziele, auch wenn es auf Gemeindeebene im Verlauf der Jahre durchaus zu einigen wenigen militanten Auseinandersetzungen zur Selbstverteidigung kam. Andererseits sah sich durch die enormen Sympathiebekundungen für die Zapatistas auch die mexikanische Regierung nach zwölf Tagen Bürgerkrieg gezwungen, einen Waffenstillstand zu proklamieren. Dessen ungeachtet sind bis heute zehntausende Soldaten in Chiapas stationiert. Ein wichtiger Grund dafür ist die Kontrolle des Einflussgebiets der EZLN.
Im Schwung des Aufstands besetzten die Zapatistas in Chiapas weit über 100.000 Hektar Land und verteilten es an tausende Familien. Auch viele Nicht-Zapatistas nutzten die damalige Dynamik zur Umverteilung dieses Produktionsmittels. Die EZLN bezeichnet diesen Prozess als Wiederaneignung, da ihrer indigenen Basis die Böden über Jahrhunderte von weißen oder mestizischen Oligarchen geraubt worden waren. Im Verständnis der indigenen Bevölkerung sind die Ländereien von integraler Bedeutung, wie Comandanta Kelly betont: „Das Land und die Territorien sind mehr als nur Quellen von Arbeit und Nahrung, sie sind auch Kultur, Gemeinde, Geschichte, Vorfahren, Träume, Zukunft, Leben und Mutter.“
Knapp zehn Jahre nach der Erhebung sah sich die EZLN zu einer weiteren strategischen Umorientierung gezwungen. Nachdem das mexikanische Parlament die Verträge von San Andrés scheitern ließ, für deren Zustandekommen die Zapatistas über Jahre mit der Regierung über indigene Rechte, Demokratisierung, die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik und die Verbesserung der Situation der Frauen verhandelt hatte, wählte die EZLN den Weg der „Autonomie ohne Erlaubnis“. Am 8. August 2003 gründete sie in den fünf autonomen Zonen der Zapatistas zivile Verwaltungszentren, sogenannte caracoles (Schneckenhäuser). Diese werden von fünf, nach dem Rotationsprinzip arbeitenden „Räten der guten Regierung“ koordiniert, deren Aufgabe es ist, die Entscheidungen der Basis umzusetzen – getreu dem zapatistischen Motto des „gehorchenden Befehlens“. Funktionsträger_innen, mit denen die Basis nicht zufrieden ist, können jederzeit abgesetzt werden.
Zuvor hatte die Bewegung intensiv reflektiert, um ihre eigenen Strukturen zu verbessern. Aus den Unzulänglichkeiten der eigenen Praxis, die die Zapatistas wie nur Wenige öffentlich machen, entstand dieser neue Schritt gesellschaftlicher Selbst­organisation. Die EZLN gab auf diese Art viele Kompetenzen an ihre zivile Basis ab. Mit Selbstbewusstsein berichtete Subcomandante Marcos 2013 von den Verbesserungen in den autonomen Gemeinden: „In diesen Jahren haben wir uns gestärkt und haben unsere Lebensbedingungen bedeutend verbessert. Unser Lebensstandard ist höher als in den regierungshörigen indigenen Gemeinden, die Almosen erhalten und mit Alkohol und nutzlosen Artikeln überschüttet werden. (…) Hier, bei nicht wenigen Fehlern und vielen Schwierigkeiten, ist eine andere Art des Politikmachens bereits eine Realität.“ Seit ihrem Schritt in die Öffentlichkeit war die EZLN um Allianzen bemüht. So unternahm sie vier Versuche, landesweite Bündnisse zu schmieden, um Mexiko zu demokratisieren und mehr soziale Gerechtigkeit zu erkämpfen. Die ersten drei Versuche wurden anfangs begeistert aufgenommen und es kam zu Treffen mit tausenden Aktivist_innen, die Initiativen schliefen jedoch schließlich ein. Der vierte Anlauf wurde durch die „VI. Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald“ 2005 lanciert. Hier schlug die EZLN vor, in einem mehrjährigen, friedlichen und außerparlamentarischen Prozess namens „Die Andere Kampagne“, eine neue linke, antikapitalistische Verfassung für Mexiko unter Beteiligung aller marginalisierten Bevölkerungsgruppen durchzusetzen. Die Beurteilung dieses noch nicht abgeschlossenen Prozesses fällt ambivalent aus – Ende offen. Fest steht, dass sich die Ausrichtung der verschiedenen Initiativen im Laufe der Zeit immer weiter von den etablierten Parteien entfernte und sich den radikal basisdemokratischen Prinzipien annäherte, die die Zapatistas auch in ihren Gebieten anstreben. Die Bewegung um die EZLN ist somit mit wenigen anderen weltweit als anti-systemisch zu verstehen.
Auch die globale Vernetzung war für die EZLN von Anfang an wichtig. Zudem labte sich die desorientierte globale Linke regelrecht an der Radikalität und den konstruktiven Ideen dieser Rebell_innen, die entgegen altbackener Organisationen nicht selten poetisch die Sehnsucht nach „Einer Welt, in der viele Welten Platz haben“ formulierten. Vielfach lud die EZLN zu globalen Treffen nach Chiapas ein und animierte zur Nachahmung – was nicht häufig gelang. Die Zapatistas und viele emanzipatorische Aktivst_innen weltweit wollen sich auf Augenhöhe vernetzen, um gegen die sozialen und ökologischen Verwerfungen auf unserem Planeten vorzugehen. In zeitlich unterschiedlich starker Rezeption hatten Wort und vor allem Praxis der EZLN teils großen Einfluss. Slogans wie „Eine andere Welt ist möglich!“ oder die ersten freien Medienplattformen wie indymedia sind ohne die Mobilisierungen der EZLN wohl kaum denkbar. Ihr Aufruf, dass die größte Solidarität mit den Zapatistas die Organisierung kontinuierlicher emanzipatorischer Prozesse von unten links in der eigenen Lebensrealität wo-auch-immer sei, steht weiter im Raum und lädt uns alle ein.
Ihr strategisches Gespür für symbolträchtige und überraschende Aktionen hat die EZLN bis zur Gegenwart nicht verloren. Nachdem die großen Medien über Jahre kaum noch über ihren Kampf berichtet hatten, besetzten am 21. Dezember 2012 – dem Tag, der von den Mainstream-Medien fälschlicherweise als von den Maya prophezeiter „Weltuntergang“ kommerziell ausgeschlachtet worden war – rund 40.000 Zapatistas friedlich für einige Stunden die zentralen Plätze von fünf Städten in Chiapas – schweigend (siehe LN 464). Luis Hernández Navarro von der Tageszeitung La Jornada brachte die Symbolik der Mobilisierung auf den Punkt: „So wie sie sich das Gesicht bedecken mussten, um gesehen zu werden, hielten sie jetzt im Reden inne, um gehört zu werden“.
Für eine neue Initiative – „Die kleine zapatistische Schule“ – öffnete die EZLN im Sommer 2013 Hunderte ihrer Gemeinden. Über 1.200 ausgesuchte Gäste aus dem In- und Ausland waren eingeladen, den rebellischen Alltag im Aufstandsgebiet kennenzulernen. Die Offenheit, im Rahmen der Escuelita Zapatista am Leben der Zapatistas teilzuhaben, stellt ein Novum dar: Die eingeladenen Personen konnten die Tätigkeiten auf den Mais- und Bohnenfeldern miterleben, Fragen stellen und die Realität der Gemeinden kennenlernen. Das paternalistische Konzept von traditioneller „Entwicklungshilfe“ wurde radikal negiert: Hier unterrichteten Aktivist_innen aus den Reihen der EZLN die Gäste aus aller Welt, wie sie ihre Autonomie in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Justiz, Produktion und Medien verwirklichen. Die „kleine Schule“ wurde enthusiastisch aufgenommen und soll ob der großen Nachfrage mehrmals wiederholt werden.
Auch heute noch werden die Zapatistas immer wieder von staatlichen und paramilitärischen Kräften angegriffen. Darüber hinaus wird weiterhin versucht, sie durch neoliberale „Entwicklungsprojekte“, darunter Ölpalmen-Monokulturen oder Tourismusvorhaben, aus dem Widerstand herauszukaufen und durch Medienkampagnen als Kriminelle und rassistisch als „rückständige“ Indigene zu diffamieren. Die Position der EZLN dazu formulierte Comandanta Miriam noch im August 2013 deutlich: „Wir als originäre Bevölkerungsgruppen müssen die natürlichen Ressourcen (…) so gut wie möglich verteidigen, da es um unsere Mutter Erde geht, durch sie leben wir, durch sie atmen wir. Compañeros und Compañeras, um die Pläne des Todes abzuwehren, die uns die Neoliberalen aufzwingen, ist es notwendig, uns zu organisieren, unsere Kräfte, unseren Schmerz und unsere Rebellion zu vereinen und für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen.“
Selbstverständlich verlaufen die Initiativen der EZLN nicht idealtypisch und widerspruchsfrei, was auch von ihnen selbst immer wieder eingeräumt wird. Ein Beispiel ist hier die Situation der Frauen, die sich durch die Revolutionären Frauengesetze zwar deutlich verbessert hat; dennoch betonen die Zapatistinnen, dass noch viel fehle, bis von echter Gleichberechtigung in allen Gemeinden der EZLN gesprochen werden könne.
Bei allen Problemen und Bedrohungen, es gilt zu feiern: 30 Jahre Gründung der EZLN, 20 Jahre Rebellion und 10 Jahre Arbeit der caracoles. Der Kampf der Zapatistas gegen Ausbeutung und Unterdrückung wird – auch abseits akademischer, politischer oder subkultureller Moden – unter ihrem Motto „fragend schreiten wir voran“ und ihrer Parole „Alles für Alle!“ ohne Zweifel weitergehen. ¡Feliz cumpleaños, compas!

Infos und Literaturempfehlungen: www.chiapas.eu

„Sie haben unsere Regeln nicht respektiert“

Vor welchen Problemen stehen die Mayangna in ihrem Territorium?
Esther Melba McLean: Wir Mayangna haben große Probleme mit der Invasion von Fremden in unserem Territorium. Vor der Titulierung unseres Territoriums gab es schon welche, aber nur wenige. In einer Studie aus dem Jahr 2003 wurden 46 Familien gezählt. Schon damals wurden sie da­rüber informiert, dass sie auf Territorium der Mayangna lebten und dass die Dokumente, die sie vorwiesen – einige hatten Bestätigungs- oder Erlaubnisschreiben von irgendeiner Behörde, einer Kreisverwaltung oder dem Regionalgouverneur – nicht rechtsgültig waren. Ihnen wurde auch mitgeteilt, dass sie keine größeren Landflächen nutzen und nur wenig Wald fällen dürfen.
Seitdem, auch nach der Anerkennung unseres Landtitels im Jahr 2008, sind immer mehr Fremde auf unser Territorium gekommen. In den Jahren 2011 und 2012 wurde eine Studie der Situation in unserem Territoriums durchgeführt, dabei stießen wir auf 400 Familien von Eindringlingen. Fast jeden Tag dringen neue Fremde in unser Land ein, aus verschiedenen Departements der Pazifikküste und aus dem Minendreieck Nicaraguas.

Wie erklärt sich diese Zunahme?
EMM: Diese zunehmende Landbesetzung hat mehrere Gründe: Einmal haben dieselben Fremden, die schon vor der Anerkennung unseres Landtitels hier waren, noch mehr Land besetzt. Andere haben von irgendwelchen lokalen Behörden Dokumente erhalten, sind hierher gekommen und haben noch weitere Fremde mitgebracht. Und dann gibt es noch Leute, die einer Organisation von ehemaligen Kriegsteilnehmern angehören, die im letzten Jahr 12.000 Hektar Land verkauft haben.

Darf das Land indigener Territorien denn überhaupt verkauft werden?
Mainor Maibeth Salomon: Nein, nach dem Gesetz Nummer 445 darf das Land indigener Territorien weder verkauft noch anderweitig veräußert werden. Das wissen diese Leute auch, aber sie brechen das Gesetz immer wieder. Ich glaube, dass die Regierung da eine gewisse Mitverantwortung hat. Die das Land verkaufen, gehören einer Organisation ehemaliger Kriegsteilnehmer namens YATAMA an. Es ist eine Miskito-Organisation.
EMM: 2011 wurden uns mit dem Landtitel 73.000 Hektar zuerkannt. Darin enthalten waren 12.500 Hektar, die schon von der vorherigen Regierung der Organisation YATAMA übertragen worden waren. Und deren Führung verkaufte das ihnen zustehende Gebiet an ein Holzunternehmen mit dem Namen MAPINITA. Wir zeigten diesen illegalen Verkauf bei der Zentralregierung an. Daraufhin erklärten die Bundesanwaltschaft und die Zentralregierung, dass sowohl das Unternehmen als auch die Organisation YATAMA mit dem Ankauf, beziehungsweise Verkauf des Landes einen Rechtsbruch begangen und von daher beide ihre Rechte an diesem Land verloren hatten. Auf diese Weise wurde dieses Land vollständig unserem Territorium zugeschlagen. Dennoch machen die Mitglieder des Kollektivs YATAMA mit dem Verkauf des Landes weiter, nun an mestizische Familien von der Pazifikküste. Diese Leute verkaufen unser Land, Fremde an Fremde. Aber auch staatliche Behördenvertreter sind verwickelt, da sie Kaufbescheinigungen über unser Land ausstellen. Und leider müssen wir zugeben, dass es auch Mitglieder unserer Gemeinden gibt, die sich mit den Fremden verbündet haben und an den Landverkäufen beteiligt sind.
MN: Jedes Jahr nimmt die Zahl der Eindringlinge zu, die schon etwa 90 Prozent unseres Territoriums besetzt haben. Die Mestizen sind schon auf etwa zwei Kilometer an unsere Gemeinde herangerückt. Wir haben traditionellerweise immer von der Landwirtschaft, der Fischerei und der Jagd gelebt, aber jetzt ist es sehr schwierig für uns geworden, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. In der Praxis haben wir keinen Ort mehr für die Jagd und den Fischfang. Die ganzen natürlichen Ressourcen sind verschwunden, weil die Eindringlinge einfach schon zu nahe leben.

Was haben Sie außer den Anzeigen beim Staat noch getan, um Ihr Land zu schützen?
EMM: Seit 2009 haben wir sehr viel unternommen. Als uns klar wurde, dass so viele Fremde auf unserem Territorium leben, haben wir zunächst alle heiligen Stätten markiert. Danach informierten wir alle, dass diese Markierung dem Schutz dieser für uns so wichtigen Orte dient. Als wir 2010 unsere eigenen Waldhüter einführten, mussten wir allerdings feststellen, dass weitere Menschen gekommen waren und noch mehr Wald zerstört worden war. Also zeigte die Gemeinde noch einmal bei der Staatsanwaltschaft, der Armee und dem Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen die Zerstörung des Waldes und seiner Tierwelt an.
Die Gemeinde kämpft darum, das Gebiet zu schützen und die Austrocknung der Flüsse zu verhindern. Wir versuchen, den Fremden bewusst zu machen, dass sie zu große Flächen besetzt halten, angeblich für die Viehzucht.

Wir haben gehört, dass es schon gewaltsame Zwischenfälle gab und die Invasoren sich organisieren und Drohungen gegen die Ankündigung von Räumungen aussprechen.
EMM: Bis Juni 2013 gab es immer wieder Diskussionen, wenn unsere Waldhüter auf dem Territorium patroullierten, aber sie eskalierten nie. Einige der Invasoren wollen keine Waldhüter oder Mitglieder unserer Gemeinde sehen. Viele Mestizen-Familien akzeptieren uns aber auch, selbst wenn ihnen gesagt wird, dass sie dort weggehen müssen.
Im Juni wurden einige der Siedler benachrichtigt, dass sie in diesem Jahr unser Territorium verlassen oder definitiv mit der Zerstörung des Waldes aufhören müssen. Sie befinden sich schon sehr nah an unserem Dorf und halten einen Ort besetzt, an dem die Quelle eines Flusses entspringt. Daraufhin wurden sie sehr zornig und sagten, dass ihnen das egal sei und sie tun würden, was sie wollten. Bei einem Besuch der Waldhüter in Begleitung unserer Gemeinderäte sowie von Polizei und Militär in der ersten Juniwoche griffen die Eindringlinge die Gruppe an. Dadurch war es nicht möglich, mit ihnen zu reden. Danach versuchten unsere Autoritäten, in Koordination mit der regionalen und nationalen Regierung, die Sanierung unseres Territoriums einzuleiten – und das heißt die Räumung der Besetzer. Sie haben keine der Regeln des Zusammenlebens des Volks der Mayangna respektiert und haben es damit auch nicht verdient, hier bleiben zu dürfen.

Welche realen Möglichkeiten sehen Sie angesichts dieser Situation, die Invasor_innen tatsächlich vom Territorium vertreiben zu können?
EMM: Wir sind wirklich sehr besorgt, weil viele der zuständigen regionalen Instanzen des Staates nicht auf unsere Eingaben reagieren. Es gibt allerdings auch einige Institutionen, wie das Ministerium für Umwelt und Natürliche Ressourcen, die Polizei und das Militär, die ihre gesetzlichen Funktionen erfüllen und unsere Kommission bei der Sanierung des Territoriums begleiten und unterstützen. Der Rest kommt so gut wie nie.
MNN: Wir haben das Gefühl, dass wir den Verhandlungsweg mit den Invasoren bis zum Ende gegangen sind. Gleichzeitig kommen wir mit unseren Anzeigen wegen ihres Vordringens und des Landverkaufs an Dritte nicht mehr weiter. Der Zwischenfall, als die Invasoren Polizisten und Soldaten verletzten, war der schwerwiegendste. Angesichts dieser Situation ist unsere Strategie nun, dass wir selbst stärker auf dem gesamten Territorium präsent sein werden und Respekt vor dem Land und unseren Waldhütern einfordern müssen. Außerdem fordern wir vom Staat die Begleitung des gesamten Sanierungsprozesses. Wir fordern, dass die Räumung der Siedler auf jeden Fall begonnen werden muss. Wir sind dabei, an die Behörden zu schreiben, damit es kein weiteres Blutvergießen gibt, weder in unserer Gemeinde noch unter den Invasoren. Wir wollen, dass der Prozess legal abläuft und von der Regierung begleitet wird.

Haben Sie den Eindruck, dass die Zentralregierung die Probleme versteht und Ihnen helfen will?
MNN: Wir merken, dass einige der regionalen Institutionen sich nicht klar über ihre Rolle in dieser Phase sind. Und wir spüren, dass einige der Autoritäten der Regionalregierung und des Regionalrats dem Thema der Sanierung und ihrer konsequenten Durchführung einfach keine Bedeutung beimessen. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir zunächst alle Möglichkeiten auf regionaler Ebene nutzen müssen. Da wir aber sehen, dass sie uns nicht so unterstützen, wie es nötig wäre, werden wir uns an das Sekretariat für die Karibikküste als nächsthöhere Instanz wenden. Dieses Sekretariat kümmert sich als Teil der Zentralregierung ausschließlich um Angelegenheiten der Atlantikküste. Das hat bisher am Besten funktioniert.

Infokästen:

Esther Melba McLean ist Lehrerin und hat als Aktivistin den Kampf der Mayangna um ihr Territorium von Anfang an begleitet.

Mainor Maibeth Salomon ist Sekundarschullehrer in Awastigni und beendet gerade sein Englisch-Studium an der autonomen Universität URACCAN. Er gehört der Regierung des Territoriums von Awastigni an.

Spektakuläres Urteil – Gefährdete Umsetzung

Erst im Dezember 2008 erhielt die indigene Gemeinschaft der Mayangna den Landtitel über ihr Territorium. Vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen ihnen und der nicaraguanischen Regierung, der im Jahr 2001 mit einem Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Gunsten der Mayangna endete. Es war das weltweit erste bindende Urteil einer internationalen Instanz gegen eine Regierung wegen der Missachtung kollektiver Landrechte. Der Staat von Nicaragua wurde verpflichtet, innerhalb von 15 Monaten das Land der Mayangna zu demarkieren und zu titulieren. Dieser Prozess zog sich jedoch wegen des Widerstands der nicaraguanischen Regierung weitere sieben Jahre hin. Außerdem wurde das ursprünglich eingeforderte Territorium von 155.000 Hektar schließlich auf nur 73.394 verkleinert. Dort leben heute etwa 2.200 Mayangna. Doch selbst dieses Land ist bereits weitgehend von illegalen Siedler_innen besetzt, mit denen sich der Konflikt 2013 zuspitzte. Im November informierte Barlinton Salomón von der Gemeinde der Awastigni die Öffentlichkeit, dass Siedler_innen Todesdrohungen gegen Repräsentant_innen der Mayangna ausgesprochen hatten. „Sie haben Geld und Waffen. Wir dagegen haben nicht mal ein Messer, um uns zu verteidigen“, sagte er auf einer Versammlung indigener Gemeinden.

Schaden an der Demokratie

„Die Gewalt gegen Indigene und alle, die ihr Land verteidigen, muss aufhören!“, ruft Jerhy Rivera. Er demonstriert mit vielen weiteren Indigenen, Bäuerinnen und Bauern in Buenos Aires, der Hauptstadt des gleichnamigen Kantons. Aus insgesamt zwölf Gemeinden der südlichen Region Costa Ricas haben sie sich am 19. Oktober zusammengefunden, um das Recht auf Land, Selbstbestimmung und die Autonomie ihrer Gemeinden lautstark einzufordern. Es ist eine breite Allianz unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen. Sie vereint der Kampf gegen Korruption, Rassismus und ein neoliberales Wirtschaftsmodell.
Hauptsächlich empört die Gemeinden die seit zwei Jahren zunehmende Gewalt aus dem Umfeld illegaler Landbesitzer_innen. In den indigenen Gemeinden Salitre und Térraba ist es mehrfach zu Einschüchterungsversuchen, Morddrohungen und offener Gewalt gegenüber indigenen Aktivist_innen gekommen, die ihr Land und ihre Rechte verteidigen. Auch Jerhy Rivera ist Opfer dieser Entwicklung geworden, sein Gipsarm und eine Kopfwunde sind stumme Zeugen der Gewalt.
„Ich wollte nur die Ländereien verteidigen, die uns noch bleiben“, berichtet er. „Sie haben mal wieder versucht, illegal unsere Bäume zu fällen und zu verkaufen. Als ich die Eindringlinge anzeigen wollte, haben sie mich fast zu Tode geprügelt. Ich dachte, der Höhepunkt sei schon der Brandanschlag auf unser kommunales Museum in Térraba gewesen“, fügt er noch hinzu.
Die soziale Situation in der armen Region rund um Buenos Aires ist schon immer angespannt gewesen. Obwohl den Indigenen das Land ihrer Territorien gesetzlich zugesichert worden ist, befindet sich die Mehrheit der Landflächen im Besitz von nicht-indigenen Siedler_innen.
Trotz aller Widerstände konnte sich die indigene Bewegung in letzter Zeit effektiv gegen die Korruption der Gemeindebehörden, ein Staudammprojekt (siehe LN 449) und die mangelnde Ausstattung ihrer Schulen zu Wehr setzen. Den Indigenen ist aus leidiger Erfahrung bewusst, dass sie sich damit nicht nur Freund_innen machen. Doch die nun ausgebrochene Gewalt stellt eine bisher nicht dagewesene Eskalation des Landkonflikts dar.
„Auf die Polizei oder gar die Regierung können wir uns nicht verlassen“, klagt Rivera. Diese habe alle möglichen Rechte zum Schutz der indigenen Gemeinden erlassen, nur um diese dann selbst zu missachten. „Schon in der öffentlichen Klinik von Buenos Aires werden wir Indigene schlechter als andere versorgt.“
Rivera bereitet daher in Zusammenarbeit mit weiteren indigenen Gemeinden eine Klage an die interamerikanische Kommission für Menschenrechte vor. Darin sollen alle jüngsten Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Aktivist_innen aus der Region zusammengefasst und der costa-ricanische Staat in seine Verantwortung genommen werden. Darüber hinaus erhoffen sich die Kläger_innen, dass die Kommission Druck ausüben kann und die indigenen Territorien wieder in ihren rechtmäßigen Besitz gelangen.
Wie die Indigenen aus Buenos Aires leisten derzeit auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen aus dem ganzen Land Widerstand gegen die neoliberale Regierungspolitik. In ihrem Fokus steht die Wahrung der sozialen Sicherungssysteme. Sie wehren sich gegen die fortschreitenden Privatisierungen des Gesundheitssystems sowie in der Bildung und der Energieversorgung. Bereits Ende Juni organisierte ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften aus diesen Bereichen Streiks und Demonstrationen für einen sozialen Wandel. Jetzt rufen sie erneut zu einem Generalstreik am 11. November auf. Dieser soll sich nicht nur auf eine Großdemonstration in San José beschränken, sondern Streikaktionen im ganzen Land umfassen.
Was viele Costa-Ricaner_innen auf die Straße treibt, ist in erster Linie die ausufernde Korruption der scheidenden Regierung von Präsidentin Laura Chinchilla (siehe LN 457/458). „Wir haben die ganzen Korruptionsskandale satt, für die niemand ins Gefängnis gehen muss. Wir drängen darauf, dass die korrupten Politiker angeklagt werden“, begründet Mariano Rodriguez von der Vereinigung der Sekundarschullehrer_innen die Teilnahme seiner Gewerkschaft an dem Streik. Costa Rica und seine politische Elite erleben dieser Tage die Quittung für die vergangenen Jahre arroganter Politik. Ein Korruptionsskandal nach dem anderen bestimmte das politische Geschehen. An der einst so stolzen Vorzeige-Demokratie Costa Rica ist ein nur schwer zu reparierender Schaden entstanden. Auf der anderen Seite findet so eine starke Vernetzung und Mobilisierung seitens der Gewerkschaften und sozialer Organisationen statt.
Ein Blick auf das jüngste Latinobarometer genügt: In keinem anderen lateinamerikanischen Land ist die Unterstützung für die Demokratie in den letzten 18 Jahren derart massiv gesunken. Stellten sich gegen Ende der 1990er Jahre noch mehr als 80 Prozent der Costa-Ricaner_innen hinter die Demokratie, hat sich heute fast die Hälfte von ihr abgewandt. Im Gegenzug hat sich die Unterstützung für ein autoritäres Regime mehr als verdoppelt, fast jede_r Fünfte könnte sich vorstellen, ein autoritäres Regime der Demokratie vorzuziehen. Genauso viele Costa-Ricaner_innen sind demgegenüber gleichgültig eingestellt, fast drei Mal so viele wie noch 1995.
Der Mangel an Vertrauen kommt nicht ohne Grund. Die Tatsache, dass gleich zwei ehemalige Präsidenten wegen Bestechlichkeit zu je fünf Jahren Haft verurteilt worden sind, greift als Erklärung der aktuellen Entwicklung aber zu kurz. Der größte Vertrauensverlust in die Demokratie fand unter der nun ablaufenden Amtszeit von Laura Chinchilla statt. Keine der sechs vorherigen Staatsoberhäupter wurde von der Bevölkerung so schlecht beurteilt wie das erste weibliche Staatsoberhaupt des Landes.
Missmanagement und viele kleine politische Fehler haben dem öffentlichen Ansehen der Präsidentin geschadet: das Festhalten an einem umstrittenen Straßenprojekt, die ungeschickte Handhabung des Grenzkonfliktes mit Nicaragua oder das gebrochene Versprechen auf einen stärkeren Anstieg der öffentlichen Gehälter. Vor allem ist es aber der Anstieg sozialer Ungleichheit, den die Regierung mit ihrer Wachstums- und Privatisierungsstrategie mehr befeuert als begrenzt und somit viel Unmut provoziert hat.
Die am 2. Februar 2014 stattfindenden Präsidentschaftswahlen sollten daher die ideale Gelegenheit bieten, einen Politikwechsel einzuleiten. Unter den genannten Bedingungen könnte man meinen, dass die Regierungspartei von Chinchilla, die sozialdemokratische Partei der Nationalen Befreiung (PLN), zumindest nicht mehr als stärkste politische Kraft gehandelt wird.
Tatsächlich ist aber deren Kandidat Johnny Araya, langjähriger Bürgermeister von San José, ein haushoher Favorit auf das Präsidentenamt. Umfragen räumen ihm einen Stimmenanteil von bis zu 26 Prozent ein. Araya scheint es bisher erfolgreich geschafft zu haben, nicht mit dem negativen Bild der Präsidentin in Verbindung gebracht zu werden. Auf einer ersten Wahlkampfveranstaltung äußerte er sich kritisch zum politischen Kurs seiner Partei und stellte in Aussicht, mehr auf das Soziale achten zu wollen.
Dabei hatte es bis Anfang Oktober noch nach einer realistischen Alternative zu Araya und der PLN ausgesehen. Ausgerechnet die Partei der Christsozialen Einheit (PUSC), durch die Korruptionsskandale der ehemaligen Präsidenten nur noch drittstärkste Oppositionspartei, wählte den Direktor des Nationalen Kinderkrankenhauses Rodolfo Hernández zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Hernández schien vielen als glaubwürdiger Kandidat, der nicht in den alten Korruptionssumpf der PUSC verwickelt ist.
Doch dann trat er genau wegen dieses Zustandes gleich zweimal zurück. Zuerst, um gegen das Verhalten des Establishments der PUSC zu protestieren, das gegen ihn arbeiten würde. Tatsächlich hatten einige offen zur Wahl des Gegenkandidaten Araya aufgerufen. Um sich den Vorwurf nicht gefallen zu lassen, er würde sich vor seiner Verantwortung drücken, machte Hernández dann aber einen Rückzieher. Nur um zwei Tage später wieder offiziell seinen Rücktritt zu verkünden. Der Ersatzkandidat der PUSC, Rodolfo Piza, kommt nicht annähernd an die Popularitätswerte von Hernández heran.
Für die Opposition fällt der Effekt von Hernández’ Rücktritt zwiespältig aus. Einerseits sind die bisherigen Stimmen für Hernández ins Oppositionslager gewandert. Die zwei verbleibenden relevanten Präsidentschaftskandidaten konnten laut Umfragen ihre Stimmanteile verdoppeln. Andererseits reichen weder Otto Guevara der rechtsliberalen Libertären Bewegung (ML) mit nun 16 Prozent noch José María Villalta des Linksbündnisses Frente Amplio mit nun 19 Prozent an das Niveau des Favoriten Araya heran. Die Opposition zerfällt damit in ein rechtes und ein linkes Lager, ohne der Regierungspartei bisher erfolgreich Paroli bieten zu können.
Dennoch ist die Wahl damit noch nicht gelaufen. Der Erfolg der Frente Amplio geht auch auf einen kontinuierlichen Zuwachs zurück. Sie könnte längerfristig die Rolle der schwächelnden sozialdemokratischen Partei der Bürgeraktion (PAC) als linke Oppositionspartei einnehmen. Ihr junger Kandidat Villalta, bisher einziger Abgeordneter seiner Partei, hat es geschafft, durch stetige Oppositionsarbeit und die Nutzung sozialer Netzwerke vor allem junge Unterstützer_innen für die Frente Amplio zu werben. Zudem ist ein Drittel der Wahlberechtigten unter 29 Jahre alt. Unter ihnen befinden sich viele Unentschiedene und Nichtwähler_innen. Somit hat Villalta immerhin noch eine Perspektive, den Favoriten Araya herauszufordern. Bisher ist er der einzige Präsidentschaftskandidat, der den gewerkschaftlichen Aufruf zum Generalstreik unterstützt.

„Das ist erst der Anfang der Proteste“

Am 14. Oktober begann die indigene, soziale und gesellschaftliche Minga für das Leben, das Territorium, die Autonomie und die Souveränität, die landesweite Protestaktionen umfasst. Welche Sektoren beteiligen sich am Protest?
Die Minga ist Teil der Verhandlungsagenda zwischen der Regierung und 102 indigenen Gruppen, die in Kolumbiens landesweiter Indigenenorganisation (ONIC) organisiert sind. Die Entscheidung zum Streik, oder zur Minga, basiert auf der Nicht-Einhaltung von Vereinbarungen, die mit der kolumbianischen Regierung ausgehandelt worden waren. Der Congreso de los Pueblos [ein Sammelbecken sozialer und politischer Organisationen, Anm. d. Red.], hat sich dafür entschieden, die Minga mit Mobilisierungen im ganzen Land vom 16. bis 18. Oktober zu unterstützen. Der Bauerndachverband CNA hat ebenfalls zu Mobilisierungen aufgerufen. In Absprache mit den indigenen Gemeinden ist die Minga als Fortführung des Agrarstreiks zu betrachten (siehe LN 471/472).

Was sind die wesentlichen Forderungen?
Im Zentrum steht der Schutz der indigenen Territorien. Die Reservate sollen erweitert und die ILO-Konvention 169, in der Grundrechte der indigenen Gemeinden rechtsverbindlich verankert sind, vollständig umgesetzt werden. Zudem fordern die Aktivisten die Herauslösung indigener Territorien aus Bergbauprojekten, eine Verbesserung des indigenen Gesundheitswesens sowie eine erneute Prüfung und Diskussion der Vereinbarungen, die bislang nicht umgesetzt wurden.

Im Laufe des Jahres 2013 gab es bereits zwei Streiks und nun die Minga. Welche Zwischenbilanz könnt ihr ziehen?
In den Agrarstreiks nahmen die Kleinbauern eine zentrale Rolle innerhalb der sozialen Sektoren ein, die sich für eine grundlegende politische Veränderung einsetzen. Die Freihandelsabkommen, der Widerstand gegen die Bergbauprojekte und die Verteidigung der Ernährungssouveränität sind Themen, die von Politikern, Akademikern und den Medien diskutiert werden. Viele Menschen haben sich mit den drohenden Folgen durch die Freihandelsabkommen auseinandergesetzt. Es kam zu einer Stärkung und Einheit der sozialen Bewegungen und der Linken, mit dem Ziel, gemeinsame Mobilisierungen durchzuführen. Auf einer Agrartagung am 12. September 2013 wurde der Agrarpakt der Regierung abgelehnt. In Zukunft wollen wir uns für einen gemeinsamen Forderungskatalog einsetzen und neue Streikaktionen durchführen, um die Regierung zum Verhandeln zu bewegen.

2008 leiteten indigene Gemeinden in der südwestlichen Provinz Cauca eine Phase der Mobilisierung ein. Gibt es nun so etwas wie eine neue Welle des Protestes, eine neue Selbstsicherheit der Gemeinden?
Die Einführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells hatte in Kolumbien für die Bevölkerung und insbesondere für die Kleinbauern schlimme Folgen. Allein während der Regierungszeit von Álvaro Uribe von 2002 bis 2010 wurden etwa 2.500.000 Menschen aus Regionen vertrieben, in denen es ein großes Interesse gibt, Energie- und Bergbauprojekte durchzuführen oder auch die Umsetzung industrieller Landwirtschaft durchzusetzen.
Vertreibung und Gewalt finden auf legalem Wege statt. Das ganze gesetzgebende Paket im Rahmen der Freihandelsabkommen hat die Kleinbauern in eine zuvor nicht gekannte Krise gestürzt. Das ist das Motiv für die Aufstände in Kolumbien, die zu einer Spirale von Mobilisierungen führten.
Die Mobilisierungen nehmen auch in ihren politischen Forderungen zu. Anfangs wurden bessere Preise, die Verringerung der Kosten für Materialien und der Schuldenerlass von Krediten gefordert. Jetzt fordern wir einen Gesetzes- und Politikwandel hin zu einer Unterstützung der kleinbäuerlichen Agrarwirtschaft. Das ist erst der Anfang der Proteste, die auf Kolumbien zukommen und in denen wir nicht nur uns Kleinbauern als Akteure sehen, sondern auch die urbanen Sektoren aus den großen Städten.

Während des Agrarstreiks kam es zu Ausschreitungen und Repressionen. Welche Sicherheitsgarantien haben die Protestierenden?
Aus unserer Sicht war die Regierung an Vandalismus interessiert und aus diesem Grund infiltrierte sie die Demonstrationen wie jene im Süden Bogotás. So konnte sie die Repression verschärfen. Die Behandlung, die einigen Kleinbauern entgegengebracht wurde, die sich einem friedlichen Protest anschlossen, ähnelte einem Kriegszustand. Durch den Gebrauch von Waffen wie Pistolen und Gewehren und den Einsatz von Splittergranaten wurden hunderte Personen verletzt. Die Regierung stigmatisiert nach wie vor die Aktivisten und Gemeinden, die sich den Protesten anschlossen, um ihr hartes Vorgehen zu legitimieren.
Die indigenen Gemeinden sind mit ihren guardias indigenas [gemeindeeigene Sicherheitsstrukturen, Anm. d. Red.] dagegen ein gutes Beispiel des Schutzes. Es gibt inzwischen Gemeinden, die diese Art der Organisierung übernehmen, um die Protestierenden zu schützen.

Im kommenden Jahr wird es Präsidentschaftswahlen in Kolumbien geben und damit verbunden einen größeren Druck auf die Regierung. Welche Agenda haben die Gemeinden?
Die Agenda der Gemeinden ist die Mobilisierung. Es gibt keinen anderen Weg. Unser Lebensprojekt als Kleinbauern steht auf dem Spiel und das müssen wir unabhängig von politischen Konjunkturentwicklungen verteidigen. Im kommenden Jahr und insbesondere während der Wahlen müssen wir erneut einen Agrarstreik ausrufen. Denn die Regierung hat weder ihre bisherigen Versprechen umgesetzt, noch die fehlenden Punkte weiterverhandelt. Der landesweite Agrarstreik wird erst beendet werden, wenn die Freihandelsabkommen zurückgenommen werden, wenn die Gesetze zum Abbau von Mineralien den traditionellen Bergleuten Kolumbiens nützen und wenn die politischen Rechte der Kleinbauern anerkannt sind.

Infokasten:

ROBERT DAZA GUEVARA

ist Vorsitzender der Kleinbäuerinnen- und -bauernorganisation Komittee der Integration aus Macizo in Kolumbien (CIMA) sowie des landesweiten Bauerndachverbandes Nationale Agrarkoordination Kolumbiens (CNA). Der Umweltpädagoge und Agraringenieur ist in der Region des Macizo Colombiano im Südwesten des Landes zu Hause.

Fußball von unten

Brasilien ist ein Fußballland. Niemand würde dieser Aussage ernsthaft widersprechen, ganz egal was ihr_ihm sonst noch zum Gastgeberland der Fußball-WM 2014 einfällt. Auch Luiz Ruffato nicht, dessen Herz für den Club Flamengo aus Rio de Janeiro schlägt. In der von ihm herausgegebenen Anthologie Der schwarze Sohn Gottes schreiben er selbst und 15 weitere brasilianische Autor_innen über und um den Fußball herum. Wie bei Ruffato nicht anders zu erwarten, stehen dabei aber nicht Samba, Sonne oder Stars im Vordergrund. Die meisten der Geschichten handeln vielmehr von Menschen, die nicht im Flutlicht stehen.
Da ist etwa das Team vom Schlachthof in Ronaldo Correia de Britos gleichnamiger Erzählung, dessen Spieler „einen herben Geruch wie nach Ammoniak” verströmen. Oder der indigene Junge, der in der Geschichte „Raimundo und der Ball“ von Eliane Brum aufgrund eines Fußballs die althergebrachten Grundsätze seiner Familie über Bord wirft. Als Folge dringt „die Welt da draußen” in Form skrupelloser Holzfäller brutal in den Dschungel ein. In „Ein Tag, ein Trikot“ von Tatiana Salem Levy lässt Francisco seine Familie nach Rio ziehen, weil er noch auf Trikots des FC Barcelona wartet. Der herumreisende Katalane Jordi hatte ihm versprochen, welche zu schicken. 20 Jahre später macht er sich, ohne die Trikots je gesehen zu haben, schließlich auf die Suche nach seinem Sohn. Diesen kennt er nur als Baby und meint nun, ihn als Fußballspieler im Fernsehen erkannt zu haben.
Der im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais geborene Ruffato, der selbst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Brasiliens. Sein fragmentarischer São Paulo-Roman Es waren viele Pferde wurde nach seinem Erscheinen in Brasilien 2001 gleich mehrfach ausgezeichnet. Mit der deutschen Übersetzung des Debütromans Ende 2012 hat er sich auch hierzulande einen Namen gemacht. Zuletzt erschien Mama, es geht mir gut, der erste Teil eines fünfbändigen Zyklus über das arme, migrantische Brasilien (LN 472). Doch Ruffato mischt sich auch jenseits seiner anspruchsvoll konzipierten Literatur ein. Auf der Frankfurter Buchmesse ging er in seiner Eröffnungsrede über das Gastland Brasilien derart unverblümt mit der sozialen Wirklichkeit seines Landes ins Gericht, dass er neben stehendem Beifall auch offene Anfeindungen erhielt (siehe LN 473).
Und so zeigen auch die 16 Fußballgeschichten aus Brasilien Szenen jenseits sambatanzender Straßenkicker_innen. Fast alle Geschichten wurden exklusiv für diesen Band verfasst. Wer anlässlich der Fußball WM nach alternativen Zugängen zum Gastgeberland Brasilien sucht, wird in der vielseitigen Fußballanthologie garantiert fündig werden.

Ruffato, Luiz (Hg.) // Der schwarze Sohn Gottes. 16 Fußballgeschichten aus Brasilien // Assoziation A // Berlin/Hamburg 2013 // 184 Seiten // 16 Euro // www.assoziation-a.de

Indigene stoppen Goldmine

„Copia-pó” – „Kopiert es endlich” forderte ein spanisches Wortspiel nach einem Urteil des Berufungsgerichts der chilenischen Stadt Copiapó. Das Gericht gab im April einer Klage der indigenen Bevölkerungsgruppe Diaguita gegen den weltweit größten Goldbergbaukonzern, die kanadische Barrick Gold Corporation, statt und brachte die Arbeiten an der Mine Pascua Lama zum Erliegen. Das Urteil weckte die Hoffnung, das auf rechtlichem Wege der Umweltverschmutzung durch den Goldtagebau Einhalt geboten werden kann. Der Ruf „Copia-pó” – „Kopiert es endlich” verbreitete sich rasant im Internet. Nun wurde das Urteil tatsächlich „kopiert“ – und zwar von höchster Stelle. Der Oberste Gerichtshof Chiles hat Ende September dem Berufungsgericht von Copiapó Recht gegeben und fordert von der Barrick Gold Corporation: „Das Unternehmen darf die Arbeiten am Projekt so lange nicht fortsetzen, bis die Umweltauflagen für das reibungslose Funktionieren des Wassersystems erfüllt sind.”
Das Urteil ist ein weiteres Hindernis bei der Errichtung des umstrittenen Bergbauprojekts auf der Grenze von Chile und Argentinien, für das ursprünglich in den Anden auf 4.500 Metern Höhe sogar Gletscher versetzt werden sollten. Seit das Unternehmen mit den Arbeiten am weltweit ersten binationalen Tagebauprojekt begonnen hat, sieht sie sich auf beiden Seiten der Anden Protesten und einer Flut von Klagen gegenüber. Die Mine liegt in unmittelbarer Nähe mehrerer Gletscher an der Quelle zweier Flüsse, die in der chilenischen Atacamawüste im Huasco-Tal Leben spenden. Noch befindet sich Pascua Lama in der Bauphase. Doch schon jetzt, so die Klage der indigenen Anwohner_innen, führt die Errichtung der Mine zu hohen Anteilen von Arsen, Aluminium, Kupfer und Sulfaten im Fluss Estrecho.
Die Errichtung der Mine kam für die Anwohner_innen beiderseits der Grenze überraschend. Es gehört zur weltweiten Strategie der Goldfördernden, sich abgelegene, häufig indigen besiedelte Landstriche zu suchen, in denen mit ernsthafter Gegenwehr schon aufgrund geringer Bildungs- und Infrastruktur kaum zu rechnen ist. Im Fall von Pascua Lama ist die Rechnung aber nicht aufgegangen. „Was wir hier machen, erinnert an David und Goliath. Keiner von uns hatte vorher Ahnung vom Goldbergbau. Mittlerweile sind wir Experten geworden“, sagt Luis Faura, Gemeinderatsmitglied im Huasco-Tal und einer der ersten, der Protest organisierte.
Die Diaguita selbst hätten nie gedacht, so weit zu kommen. Als die Barrick Gold Corporation vor sechs Jahren schon im Gebiet aktiv war, wurden sie in Chile erst als indigenes Volk anerkannt. „Das Wichtigste ist, dass wir unser Land zurück haben”, sagte damals der indigene Don Pallauta. „Kaum vorzustellen, dass all diejenigen, die so arm hausen, jetzt Zugang zu ihrem Land haben und Sonderrechte auf Bildung und Gesundheit”, fasste er die ihm wichtige Anerkennung seiner Herkunft nach 500 Jahren Kolonisation zusammen. Eigene Vieh- und Landwirtschaft betreiben in einem Tal, in dem sich das Grün nur wenige hundert Meter rechts und links des Flusses erstreckt – nur dass auf diesem, ihrem Land, mittlerweile einer der größten Tagebauten Südamerikas errichtet wird.
Vier Jahre lang hatte der Behördengang der Diaguita für ihre Anerkennung gedauert, länger als normal. Als sie endlich ihr Recht erhielten, hatte das Unternehmen schon die Erlaubnis, Pascua Lama zu bauen. Damals zögerten die Indigenen noch die von Seiten verschiedener Nichtregierungsorganisationen angebotene rechtliche Unterstützung, die sie sich selbst nie hätten leisten können, anzunehmen. Heute haben sie einen Rat gegründet, der elf Gemeinden zusammen fasst. Ihr Anwalt, Lorenzo Soto, hat die Siege vor Gericht davon getragen.
Den Bäuerinnen und Bauern sowie Diaguita geht es um das Wasser als ihre Lebensgrundlage. Sie streben danach, ihr Tal zu erhalten und fürchten, der Goldbergbau wird es durch seine Arbeiten und das Waschen des Metalls mit Blausäure in einen vergifteten Wüstenstrich verwandeln. Seit der Konzern vor Ort aktiv ist, versucht er mit Geld, die Anwohner_innen für sich zu gewinnen. Doch seien es Computer im Gemeindehaus, Basecaps in der Schule, kostenlose Sportkurse mit Trainer_innen aus der Stadt – selbst die Verlockung von gut bezahlten Arbeitsplätzen in der Mine schlägt zumeist fehl. So distanzierten sich auch die 500 Klagenden der Diaguita von möglicher finanzieller Kompensation. „Wir erklären, dass für uns Wasser mehr wert ist als Gold und wir die Auswirkungen des Bergbaus auf unsere Wasserreserven nicht verhandeln“, hieß es in der Erklärung. Eine Position, die nun in höchster Distanz bestätigt wurde.
Das Urteil vom Obersten Gericht Chiles bedeutet nicht das Aus für die Mine Pascua Lama. In einem Land, in dem 60 Prozent der Einnahmen aus dem Bergbau stammen, setzt es jedoch ein Zeichen über den Stellenwert, den Umweltschutz und (indigene) Einwohner_innen bei der Abwägung der unterschiedlichen Interessen von Bergbau und Landwirtschaft mittlerweile erhalten haben.

Zwischen Marginalisierung und Ernährungssouveränität

Zwischen den Gleisen der U-Bahn, dem schlammigen Wasser des Río Medellín und einer viel befahrenen Autobahnstrecke erstreckt sich das Stadtviertel La Paralela. Aus der Vogelperspektive erscheint es im Norden der Millionenstadt Medellín wie ein Band aus orangefarbenen Ziegeln, braunen Holzbrettern und betongrauen Mauern. Doch in dem typischen Mosaik einer urbanen peripheren Siedlung schimmert ein kleiner grüner Streifen. An diesem Ort wachsen inmitten der Metropole auf drei Hektar Salatköpfe, Tomaten, Maniok, Mais und Heilkräuter.
Angesichts von Arbeitslosigkeit und Hunger hatte in La Paralela eine Gruppe von 30 Familien die Initiative zum Gärtnern ergriffen. Ihr Ziel war es, ihre Fähigkeiten und das vorhandene Wissen von Land und Landbau zum Einsatz zu bringen. Sie begannen eine ehemalige Müllhalde am Ufer des Rio Medellín aufzuräumen und bepflanzbar zu machen. Nun wird das Gelände gemeinschaftlich bewirtschaftet, die Ernte und Überschüsse werden geteilt oder in einem selbst betriebenen Laden in dem Viertel verkauft. Um ihren Anbau zu verbessern, setzte sich die Gruppe aus La Paralela mit der Nichtregierungsorganisation Yanapaqui in Kontakt, die das Projekt der urbanen Landwirtschaft begleitete und mit Weiterbildungen im Bereich der ökologischen Produktion und solidarischen Ökonomie unterstützte. Dabei förderten sie gemeinsam das traditionelle Wissen aus den Herkunftsorten der Bewohner_innen wieder zu Tage und verbanden es mit technischem Know-how, wie etwa zur effizienten Nutzung und Wiederverwertung von lokal zugänglichen Ressourcen.
La Paralela ist kein Einzelfall. Initiativen der urbanen Landwirtschaft sprießen in den Städten Kolumbiens in den letzten Jahren in immer größerer Zahl aus den Böden von Hinterhöfen und Brachflächen. Bislang sind in neun Großstädten Erfahrungen mit urbaner Landwirtschaft bekannt. Die Initiativen sind allerdings noch kaum medial präsent oder vernetzt. Im Zusammenhang mit den Diskussionen über Vertreibung und Landflucht und den Freihandelsvertrag zwischen Kolumbien und der Europäischen Union gewinnen sie aber zunehmend an Relevanz.
Der Freihandelsvertrag trat zum 1. August 2013 in Kraft. Es ist zu erwarten, dass er die Auswirkungen eines 2011 mit den USA abgeschlossenen Freihandelsabkommens noch verstärken wird. Diese sind bereits jetzt spürbar, wie Camilo Martinez Cuchimaque, Mitarbeiter von NGO Yanapaqui, betont. Das an natürlichen Ressourcen reiche Land Kolumbien konnte die Binnennachfrage nach Grundnahrungsmitteln über lange Zeit aus der nationalen Produktion decken. Heute ist der Anteil an importierten Hülsenfrüchten wie Bohnen auf 44 Prozent angestiegen, 55 Prozent des Getreidekonsums stammt aus Importen. Selbst Kartoffeln, die in Kolumbien als zentrale Kulturpflanze gelten, führt der Andenstaat aus den USA ein. Durch die Handelsliberalisierungen sehen viele Kleinbäuerinnen und -bauern auf dem Land ihr Überleben gefährdet, was sich seit Mai diesen Jahres in heftigen Protesten äußert (siehe LN 471/472). Als letzter Ausweg bleibt den Landarbeiter_innen oft nur die Migration in die urbanen Peripherien.
Dort treffen sie häufig auf andere Menschen, die gegen ihren Willen ihr Land verlassen mussten. Kolumbien gehört, unter anderem wegen des fast 50 Jahre dauernden Bürgerkrieges, zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an intern vertriebenen Personen weltweit. Nach einem aktuellen Bericht der von der Regierung eingesetzten Historischen Kommission waren davon bisher 5,7 Millionen Menschen betroffen. Unter den Vertriebenen sind indigene und afrokolumbianische Gruppen überproportional vertreten. Die Mehrzahl der Vertriebenen kommt mittellos in den Städten an und ist dort oftmals erneuten Diskriminierungen und Bedrohungen ausgesetzt. Ihre Reintegration stellt eine große Herausforderung dar. Stadtgarteninitiativen können hierfür ein Ansatzpunkt sein, weil sie für Migrant_innen einen Ort des Ankommens darstellen. Gerade für die Vertriebenen, die von ihrem Land regelrecht „entwurzelt“ wurden, eröffnet das Gärtnern einen Weg zum (Wieder-)Aufbau territorialer Identität.
In La Paralela sind Menschen wie Julia Quevedo Ruiz Beispiele dafür. Sie kam vor neun Jahren aus einer ländlichen Region im Süden nach Medellín und hat nun wieder mit dem landwirtschaftlichen Anbau angefangen. „Für mich bedeutet die Arbeit mit der Erde, sich wieder mit dem Land – der tierra – zu verbinden, von wo ich hergekommen bin“, erklärt sie. Ausgehend von der nachbarschaftlichen Initiative setzten sich in der Siedlung in Medellín Prozesse in Bewegung, in denen die Bewohner_innen lernten, sich selbst zu organisieren, um an ihrer Situation etwas zu verbessern. Die gemeinsame Arbeit in den kollektiv bewirtschafteten Stadtgärten beförderte darüber hinaus Prozesse, in denen die Menschen begannen, mit einer kritischeren Perspektive auf ihre eigene Realität zu blicken. „Indem sie die Erde bearbeiten und sie als ihr Eigentum empfinden, identifizieren sie sich mit dem Ort, an dem sie leben und beginnen, sich für ihr Territorium einzusetzen“, erläutert Camilo Martinez Cuchimaque von Yanapaqui. Dieser Aufbau territorialer Identität zog auch eine Politisierung nach sich. Die Bewohner_innen begannen, die Potenziale und Problemlagen ihres Viertels zu identifizieren und zu hinterfragen, wie zum Beispiel den fehlenden Zugang zu öffentlichen Gütern. In La Paralela engagieren sie sich seither in der Mesa Interbarrial de Desconectados, einem stadtteilübergreifenden Netzwerk, das den Zugang zu öffentlicher Infrastruktur einfordert. Das Viertel, das sich zum Großteil aus zugewanderten Menschen vom Land und Binnenflüchtlingen des internen Konflikts zusammensetzt, wurde seit seiner Gründung vor 50 Jahren von den städtischen Autoritäten nie offiziell anerkannt. Auch deshalb hat die Stadtverwaltung kaum in die Infrastruktur investiert, ein Großteil der Bewohner_innen hat keinen Zugang zur Trinkwasserversorgung und ist nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossen.
Besonders bemerkenswert an den Prozessen der Selbstorganisation rund um die Gärten ist der hohe Anteil an Frauen, die im Projekt der Paralela aktiv geworden sind. Das Kernteam der Organisation besteht aus 15 Frauen und fünf Männern. Für die Frauen bietet die urbane Landwirtschaft eine Möglichkeit, Arbeit und Familie zu verbinden: Die Kinder können mit zu den Beeten genommen werden, gleichzeitig lassen sich aus den Ernteprodukten die Versorgung der Familie und ein kleines Einkommen erzielen. Laut Camilo Martinez Cuchimaque engagieren sich die Frauen zunächst aufgrund ihrer Rolle als Versorgerinnen der Familie in den Gärten. Im Laufe der Zeit übernehmen manche jedoch zunehmend mehr Verantwortlichkeiten im Organisierungsprozess und nehmen neue Rollen an: Einige vertreten die Forderungen ihrer Wohngemeinde vor kommunalpolitischen Gremien. Andere engagieren sich in der Umweltbildung mit Jugendlichen. So können die Stadtgartenprojekte durch das Überschreiten von traditionellen Rollenverständnissen für sie auch eine Form von Empowerment sein.
Trotz des Aufblühens von Stadtgärten in kolumbianischen Großstädten steht die Bewegung dort noch relativ am Anfang. Die Initiativen stoßen an eine Vielzahl von Barrieren. Insbesondere die Landfrage ist in Großstädten aufgrund der hohen Bodenwertrate und Immobilienspekulationen besonders delikat. So kam es auch in La Paralela zu Schwierigkeiten, da nach der Wiederherstellung das Territorium für den U-Bahn-Konzern neue Attraktivität gewann und das Unternehmen deswegen Ansprüche auf das zuvor ungenutzte Gebiet äußerte. Einige der Aktivist_innen sind aufgrund der Gartenaktivitäten auf dem Territorium bis heute Verfolgungen ausgesetzt. Camilo Martinez Cuchimaque kritisiert in diesem Zusammenhang, dass es bislang in Kolumbien noch keinerlei politische Ansätze zur Förderung von städtischen Gemeinschaftsgärten gibt. Die Stadtgärtner_innen von La Paralela haben sich unterdessen selbst geholfen: Sie versuchten, auf die Problematik und ihre Arbeit in den Stadtgärten in den Medien aufmerksam zu machen. Durch die gestiegene Sichtbarkeit im öffentlichen Raum ließen die Verfolgungen etwas nach. Zudem gelang es den Bewohner_innen der Paralela, durch Kooperationen mit öffentlichen Institutionen wie Schulen und Krankenhäusern, neues Terrain zum Gärtnern zu gewinnen. Dadurch ergaben sich viele positive Effekte: So konnten zum Beispiel in der Arbeit mit Schulklassen Workshops zur Umweltbildung integriert werden. In einer Kooperation mit der Technischen Universität in Medellín arbeiteten Studierende mit den Stadtgärtner_innen von La Paralela Hand in Hand und tauschten gegenseitig ihr Wissen aus. Die Zusammenarbeit bescherte dem Gartenprojekt zusätzlichen Rückhalt.
Das Potenzial von Stadtgärten in der Integrationsarbeit ist auch in deutschen Stadtgärten erkannt worden. Camilo Martinez Cuchimaque war im Juni und Juli 2013 auf einer Vortragsrundreise quer durch Deutschland unterwegs und hatte dabei die Gelegenheit, sich ein Bild von dem hiesigen Stadtgartenpanorama zu machen. Für ihn war es interessant festzustellen, dass trotz einer Vielzahl an Unterschieden zwischen Stadtgärten in Kolumbien und Deutschland auch viele gemeinsame Visionen bestehen. In beiden Kontexten geht es um die Frage nach dem Recht auf Stadt und der Nutzung des öffentlichen Raums. In Deutschland bildeten die Göttinger Internationalen Gärten vor knapp 20 Jahren den Stein des Anstoßes für die urbane Gartenbewegung. Auch hier fanden sich Menschen aus Äthiopien, Irak, Bangladesch und weiteren Ländern zusammen, die sich einen privaten Hausgarten nicht leisten konnten. Gerade für Frauen mit Migrationshintergrund, die oftmals relativ isoliert leben, eröffnete es eine Gelegenheit, sich außerhalb der Haushaltssphäre zu treffen und auszutauschen. So wurden in den Göttinger Gärten eigene Projekte zu Gesundheit und Ernährung initiiert, in denen zehn Frauen aus acht Ländern traditionelles Wissen aus ihren Heimatorten zum Einsatz bringen konnten. Die Gärten als Orte der Begegnung und Integration sprießen seither in der deutschen Großstadtlandschaft. In Berlin sind bei einer Kartierung auf Initiative des Allmende Kontors insgesamt 99 städtische Gemeinschaftsgärten erfasst worden.
Sowohl in Deutschland als auch in Kolumbien bilden die Stadtgärten nach Ansicht von Martinez Cuchimaque einen „Raum des Austauschs und der Bildung“ – einen Ort, in dem Menschen Lösungsvorschläge für geteilte Problemlagen gemeinsam entwickeln können. In Zeiten einer hoch industrialisierten Landwirtschaft und von Lebensmittelskandalen besteht auf beiden Seiten das Bestreben nach einer umweltverträglichen Nahrungsmittelversorgung der kurzen Wege. Statt abgepacktem Supermarktgemüse wünschen sich viele Menschen, die Herkunft der Lebensmittel wieder nachvollziehen zu können. Solidarökonomische Organisationsformen bieten dabei eine Möglichkeit, frisches Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau auch Menschen aus niedrigen Einkommensschichten zugänglich zu machen. Beispiele hierfür bieten hierzulande Projekte der Solidarischen Landwirtschaft, wie die Gartenkooperative GartenCoop in Freiburg, die ebenfalls im Zuge der Rundreise besucht wurde. Die Gartenkooperative versorgt ihre 290 Mitglieder wöchentlich mit ökologischen und regionalen Gartenerzeugnissen. Indem die Mitglieder bei der Verteilung der Ernte tatkräftig mit anpacken und den Gemüseanbau solidarisch finanzieren, sind sie Teil des Gartenbetriebs und werden somit zu „Prosument_innen“ – also gleichermaßen zu Konsument_innene und Produzent_innen. Das Terrain der GartenCoop bildet eine biologische Oase von acht Hektar zwischen hochindustrialisiertem Maisanbau für Biogasanlagen im Oberrheingraben, einem der fruchtbarsten Gebiete Süddeutschlands. Dies verdeutlicht, dass sich die Frage der Ernährungssouveränität nicht nur in den sogenannten „Entwicklungsländern“, sondern auch in Deutschland direkt vor der Haustür stellt.
Für die Nachhaltigkeit der Initiativen der Städtischen Landwirtschaft ist es jedoch hier wie da langfristig wichtig, die Initiativen unter sich besser zu vernetzen und geeignete Formen der politischen Förderung zu finden. Nach Ansicht von Camilo Martinez Cuchimaque sollte die urbane Landwirtschaft in die offizielle Stadtplanung, wie etwa in Flächennutzungspläne, integriert werden. Auch das Thema Ernährung und Nahrungsmittelversorgung sollte darin berücksichtigt werden. Denn, so seine Forderung: „Die Menschen sollen das Recht und die Freiheit haben, in der Stadt anbauen und sich selbst versorgen zu dürfen.“

Sehnsucht nach einem besseren Morgen

„Es gab einen unglaublichen Zusammenhalt in der Nachbarschaft“, erinnert sich Rosalia del Villar an jene Tage im September und Oktober 2003, an denen sich die Ereignisse in der Stadt El Alto überschlugen. Tage, die später als der „Schwarze Oktober” in den Volksmund eingehen sollten.
Del Villar selbst erlebte alles aus nächster Nähe: In ihrem Telefonkiosk gingen die Leute ein und aus, um die Proteste zu koordinieren. Wie an jedem kleinen Lädchen hingen auch an ihrem Kiosk Plakate, auf denen „Das ist unser Gas!“ oder „Gas für Bolivien!“ zu lesen war.
In allen Stadtvierteln versammelten sich die Menschen abends an den Straßenecken um Koch- und Feuerstellen. Sie organisierten gemeinsam die Versorgung der Straßenblockaden. „Wir alle hatten akzeptiert, dass wir in diesem Kampf gemeinsam Opfer bringen mussten”, so del Villar.
„Die Gefühle waren gemischt”, erzählt sie. „Wir fühlten uns gegenüber der Ungerechtigkeit und gegenüber den Toten ohnmächtig. Aber gleichzeitig kam auch eine Aufbruchstimmung auf, weil wir nicht mehr bereit waren, die widerrechtliche Aneignung unserer Bodenschätze hinzunehmen.”
Bereits seit 2000 litten die sozialen Bewegungen des Landes unter den heftigen Repressionen seitens der Polizei und des Militärs. In diesem Szenario staatlicher Gewalt begannen Kokabauern und -bäuerinnen, indigene und kleinbäuerliche Bewegungen, sich zunehmend militanter dagegen zu wehren. Im September 2003 breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus, aus verschiedenen Teilen des Landes bewegten sich große Protestmärsche hin zum politischen Zentrum Boliviens. Auch die Bewohner_innen aus El Alto zogen in Massen in das benachbarte La Paz hinab, wo sich die verschiedenen Protestzüge vereinten. Forderungen nach dem Rücktritt „Gonis”, wie der Spitzname des damaligen Präsidenten Boliviens Gonzalo Sánchez de Lozada lautete, wurden immer lauter.
„Ich erinnere mich, dass die Leute von Haus zu Haus zogen und alle aufforderten, mitzugehen”, entsinnt sich del Villar. „Meine ganze Familie ist mitgegangen und an jeder Straßenecke kamen mehr Menschen hinzu, sie fielen sich in die Arme, ohne sich überhaupt zu kennen.”
Kurz darauf wurde ein Hunger- und Generalstreik ausgerufen, der das Land zeitweilens paralysierte. Der Zugang zu La Paz wurde mit Barrikaden versperrt, die Proteste waren auf der Straße, in den Busbahnhöfen und den Märkten. Überall.
Mario Coaquira Huayta, seinerzeit ein Protagonist der Proteste des Gaskriegs, berichtet von seinen Erfahrungen auf den Straßen, den Barrikaden und den Blockaden. Die Menschen seien aus allen Ecken des Landes gekommen. Alt und Jung hätten dort ausgeharrt, manchmal ohne etwas zu Essen. Aber die Situation hätte den Zusammenhalt gestärkt, alles, was es gab, sei miteinander geteilt worden.
Auf einmal, so Coaquira, seien sie zu einer Bewegung geworden, denn alle spürten die Ungerechtigkeit am eigenen Leib. Die Bewegung entstand so gesehen unterwegs, auf der Straße. Dort wurden Pläne für den nächsten Tag geschmiedet. Durch welche Straßen sollte man laufen? Wer würde auf die Kinder aufpassen? Wer würde die Getränke besorgen? Die Barrikaden sollten nie unbewacht bleiben, deswegen organisierte man sich in Schichten. „Es war die Sehnsucht nach einem besseren Morgen.“
Währenddessen reagierten Polizei und Militär mit immer härteren Repressionen. Um die Bevölkerung einzuschüchtern und zu verängstigen, schossen sie auf Blockaden und Häuser. Theoretisch um den Aufständischen eine Lektion zu erteilen, um sie verstummen zu lassen und zu demobilisieren. Aber das genaue Gegenteil war der Fall, denn die Wut der Menschen wurde noch größer.
In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober kam es zu einem traurigen Höhepunkt. Es sollte eine der schlimmsten Nächte in El Alto werden. Nach dem gewaltsamen Durchbrechen der Blockaden, ging das Militär weiter mit Entführungen und Verhaftungen vor. Spezialisten der Streitkräfte drangen auf der Suche nach den Anführer_innen der Revolte gewaltsam in die Häuser der Familien El Altos ein.
Gleichzeitig versuchte die Polizei, die Nachbarschaft weiter durch Gewalt einzuschüchtern. Die Frage war, wer als Erstes nachgeben würde, die aufständische Bevölkerung oder die uniformierten Truppen.„Es war ein Massaker von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozano an der bolivianischen Bevölkerung, um die natürlichen Ressourcen transnationalen Firmen zur Verfügung zu stellen“, ist sich Rodolfo Machiaca, Generalsekretär der Gewerkschaft der bolivianischen Landarbeiter (CSUTCB) sicher. Auch er beteiligte sich damals an den Hungerstreiks, die sowohl von Felix Quispe, Anführer der kleinbäuerlichen Bewegung als auch dem damaligen Gewerkschaftsführer und heutigem Präsidenten Evo Morales geleitet wurden.
Der Konflikt vor zehn Jahren kennzeichnet einen Bruch in der Geschichte des südamerikanischen Landes. Der Gaskrieg führte zur grundlegenden Neuausrichtung der politischen Agenda.
„Unsere gemeinschaftliche Organisationsform, unser ursprüngliches Wirtschaftssystem, unsere traditionelle Form des Selbstregierens in den Gemeinden wurde durch die Kolonialisierung und 50 Jahre neoliberale Regierungen zerstört“, erklärt Machiaca. „Nun haben wir als erstes die Souveränität über unsere Bodenschätze zurückerobert und langsam sind wir auch dabei, unsere Würde im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich zurückzugewinnen.“ Dafür sei es wichtig, den politischen Prozess an der Seite des Präsidenten Evo Morales zu begleiten und mitzugestalten. Machiaca meint, die heutige Regierung höre den sozialen Bewegungen wenigstens zu. Ihm zufolge sei das eine neue Art des Regierens im Rahmen eines intensiven Demokratisierungsprozesses, den noch nicht alle Regierungsbeamt_innen verstanden hätten. Machiaca weiß, dass es ein langer Weg sein wird, bis alle „zuhörend regieren“ und es eine wirkliche Veränderung geben wird. Aber er hat die Hoffnung, dass es den Bolivianer_innen in zehn bis zwanzig Jahren besser gehen wird: „Das geht nicht von heute auf morgen.“

Infokasten:

Der Gaskrieg in Bolivien 2003

6. August 2002 Gonzalo Sánchez de Lozada, genannt Goni, wird nach 1993-1997 zum zweiten Mal Präsident Boliviens.

August 2003 Erste Proteste gegen die Pläne der bolivianischen Regierung, ein Abkommen mit ausländischen Investoren zur Erschließung der Gasreserven zu unterzeichnen. Das Erdgas sollte an die USA und Mexiko verkauft werden und der Transport des Erdgases zum Meer durch den Bau einer Pipeline durch Chile ermöglicht werden. Die Lizenzgebühr der multinationalen Konzerne sollte bei lediglich 18 Prozent der zukünftigen Exportgewinne liegen. Bolivien hat nach Venezuela die zweitgrößten Gasvorkommen Lateinamerikas.

September 2003 Eine Protestwelle aus Straßenblockaden, Demonstrationen und Generalstreiks konzentriert sich zunächst auf das Hochland in der näheren Umgebung des Titicacasees, um dann das ganze Land zu erfassen. In rasantem Tempo verwandelten sich die Proteste in einen Aufstand gegen die bolivianische Regierung mit „Goni“ und Verteidigungsminister Carlos Sánchez Berzaín an der Spitze.

12. und 13. Oktober 2003 Das Militär richtet in der an La Paz angrenzenden Armenstadt El Alto ein Blutbad an. Es gibt weit über 100 Verletzte und 70 Tote. Die Regierung hatte versucht, die Zufahrtsstraße nach La Paz mit Militärgewalt zu durchbrechen, um 20 Tankwagen mit Treibstoff in die Stadt zu schaffen. Sánchez de Lozada rechtfertigt den Einsatz mit der sich zuspitzenden Versorgungsknappheit in La Paz.

14. bis 17. Oktober 2003 Vize-Präsident Carlos Mesa kritisiert die gewaltsame Repression der Proteste durch die Regierung scharf und distanziert sich vom Präsidenten. La Paz erlebt die größten Demonstration seit der Rückkehr zur Demokratie mit über 50.000 Demonstrierenden. Bürger_innen treten landesweit in Hungerstreiks. Täglich treffen zahlreiche Menschen in La Paz ein, um sich den Protesten vor dem Präsidentenpalast anzuschließen. Die katholische Kirche mahnt, weiteres Blutvergießen sei nur noch durch den Rücktritt des Präsidenten zu vermeiden.

17. Oktober 2003 Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada tritt zurück und flieht aus Bolivien in die USA. Carlos Mesa wird Boliviens Präsident. Gut zwei Jahre später gewinnt Evo Morales erstmals die Präsidentschaftswahl.

Vom Krankenhaus in den Knast

Seit elf Monaten ist die 18-jährige Xiomara nun in Untersuchungshaft, getrennt von ihrer Familie und ihrer 4-jährigen Tochter. Ihre gerichtliche Anhörung fand am 25. September vor dem Strafgericht in Usulután statt. Sollte das Gericht der Anklage auf Antreibung folgen, droht der jungen Frau eine Haftstrafe zwischen 30 und 50 Jahren.
Am 30. Oktober 2012 hatte Xiomara am frühen Morgen starke Bauchschmerzen und blutete heftig, so dass sie in die Klinik in Jiquilisco im Osten El Salvadors eingeliefert werden musste. Aufgrund des starken Blutverlustes musste sie 16 Tage stationär behandelt werden. Die Ärzte diagnostizierten eine Abtreibung, was sie aber heftig bestritt – sie habe noch nicht mal gewusst, dass sie schwanger gewesen sei. Gemäß der gesetzlichen Vorschriften in El Salvador informierte die Klinik die Staatsanwaltschaft und setzte so ein Gerichtsverfahren in Gang: Xiomara wurde des schweren Mordes angeklagt. Der zuständige Richter in Jiquilisco ließ die Anklage trotz großer Verfahrensfehler zu.
Mit diesem Schicksal ist sie nicht alleine. In der Untersuchung „Vom Krankenhaus ins Gefängnis“ im Sommer 2013 bilanzierte die Frauenorganisation Staatsbürgerliche Gruppe für die Entkriminalisierung von Abtreibung, dass zwischen 2000 und 2011 insgesamt 129 Frauen, die Fehlgeburten erlitten hatten, fälschlicherweise wegen Abtreibungen vor Gericht gestellt wurden. 49 von ihnen wurden sogar zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind jung, arm und wenig gebildet, haben also wenig Möglichkeiten, sich gegen falsche Anklagen, unfaire Prozesse und Diskriminierung zur Wehr zu setzen.
El Salvador gehört zu den Staaten mit dem rigorosesten Abtreibungsrecht der Welt. Die rechtsgerichtete Regierung El Salvadors hatte die Verfassung 1998 und 1999 noch verschärft, um sich die Sympathien der katholischen Kirche bei den bevorstehenden Wahlen zu sichern. Seitdem ist Abtreibung grundsätzlich und in allen Situationen verboten, selbst wenn das Leben der werdenden Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet ist. Ärzte oder andere Menschen, die eine Abtreibung durchführen, machen sich ebenso strafbar wie die betroffenen Frauen selbst.
Schon einmal im Jahr 2013 machte El Salvador Schlagzeilen, weil der chronisch kranken Beatriz, die mit einem nicht lebensfähigen Kind schwanger war, durch das Verfassungsgericht die medizinische Indikation verweigert wurde. Erst ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte machte den Weg für die Gesundheitsministerin frei, einen Kaiserschnitt (inzwischen im siebten Schwangerschaftsmonat) zu genehmigen; die Mutter konnte so gerettet werden, das Kind starb – wie erwartet – wenige Stunden später.
Das totale Abtreibungsverbot ist im Kontext der Lebenssituation von Frauen in El Salvador zu sehen. Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen sind weit verbreitet. El Salvador hat eine der höchsten Frauenmordraten der Welt; nur in sehr seltenen Fällen wird ein Täter vor Gericht gestellt. Nach einer Studie des staatlichen Frauenentwicklungsinstituts ISDEMU aus dem Jahr 2010 ereignen sich Morde, Vergewaltigungen und Mißhandlungen von Frauen vor allem im familiären Umfeld.
Die Frauenorganisation ORMUSA berichtet von ca. 25.000 vergewaltigten und misshandelten Frauen jährlich – und auch Schwangerschaften aufgrund von Vergewaltigungen unterliegen dem Abtreibungsverbot.
Natürlich entstehen ungewollte Schwangerschaften nicht nur aus Gewaltsituationen heraus. Von den Frauen in El Salvador wird immer wieder auf fehlende oder ungenügende Aufklärung über Sexualität und Verhütungsmöglichkeiten, auf fehlende Bildung und fehlende Ressourcen zur Beschaffung von Verhütungsmitteln hingewiesen. Auch die große Zahl alleinerziehender Mädchen und Frauen, deren Partner ihre Verantwortung gegenüber ihren Kindern nicht wahrnehmen stellt ein Problem dar.
Während Frauen der Mittel- und Oberschicht ungewollte Schwangerschaften mit einem Klinikaufenthalt in einem Land mit liberalem Abtreibungsrecht lösen können, kann sich das die große Mehrheit der Frauen El Salvadors nicht leisten. Weil ihnen Abtreibung legal nicht zur Verfügung steht, sehen viele von ihnen die Lösung in einer heimlichen und unsachgemäßen Abtreibung, mit teilweise schweren bis tödlichen Gesundheitsrisiken. Allein im Jahr 2009 registrierte das Gesundheitsministerium 5.567 Frauen, die nach einer Abtreibung im Krankenhaus behandelt werden mussten; die Sterblichkeit nach unprofessionell ausgeführten Abtreibungen ist die höchste in der Region. „Die Frauen wollen nicht in die Krankenhäuser gehen, weil sie riskieren, dass die Ärzte sie beschuldigen, eine Abtreibung vorgenommen oder selbst provoziert zu haben,“ sagt Angélica Rivas, Sprecherin der Staatsbürgerlichen Gruppe für die Entkriminalisierung von Abtreibung
Die entscheidende Ursache aber, dass Frauen die Selbstbestimmung über ihr Leben und ihre Gesundheit verweigert wird, ist in dem von Macho-Denken und patriarchalen Strukturen geprägten Rollenverständnis zu suchen. Die überholten Moralvorschriften der einflussreichen katholischen Kirche sind die Grundlage der von Männern gemachten Gesetze, die das ungeborene Leben schützen, ohne sich um Gesundheit und Wohlergehen der Frauen zu kümmern. Die Verantwortung für Schwangerschaften wird ausschließlich den Frauen und Mädchen zugeschrieben, denen vorsorglich in Schulen auch noch die gesundheitliche und sexuelle Aufklärung verweigert wird. So kann eine ungewollte Schwangerschaft moralisch verurteilt und ein Schwangerschaftsabbruch gesetzlich geahndet werden.
Was das in El Salvador heißt, beschreibt Mónica Arango, Regionaldirektorin des Programms für Lateinamerika und die Karibik im Zentrum für Reproduktive Rechte: „Die Kriminalisierung von Abtreibung in El Salvador und die Institutionen, die sie aufrechterhalten, sind schuld an brutalen Menschenrechtsverletzungen an Frauen im ganzen Land. Dieses Verbot hat Krankenhäuser zu Überwachungsorten gemacht statt Orte für medizinische Hilfe zu sein – auch für die Frauen, die natürliche Komplikationen erleiden. Viele der Frauen finden sich plötzlich grundlos im Gefängnis wieder, ohne rechtlichen Beistand zur Verteidigung. Den Zugang zu notwendigen Gesundheitsdiensten für Frauen an solche Bedingungen zu knüpfen, sie vor Gericht zu stellen, ist ein Akt der Grausamkeit und widerspricht den internationalen Verpflichtungen der Menschenrechte.“
Die Situation ist in vielen lateinamerikanischen Ländern ähnlich und es sind die Frauen, die sich verstärkt dagegen zur Wehr setzen. Bereits 1990 stellte die Versammlung der Feministischen Bewegung Lateinamerikas fest, dass Komplikationen nach heimlichen und unsachgemäßen Abtreibungen die Hauptursache für die Sterblichkeit von Frauen in der Region ist. Die Versammlung bestimmte den 28. September zum Internationalen Aktionstag für die Entkriminalisierung der Abtreibung in Lateinamerika und der Karibik. Am diesjährigen Aktionstag machten Frauenorganisationen in El Salvador auf den Fall von Xiomara aufmerksam und forderten ihre unmittelbare Freilassung.
Die Entkriminalisierung von Abtreibungen wäre die notwendige Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Androhung von Strafen nicht die Zahl der Abtreibungen verringert, sondern gesundheitliche Schäden und Sterblichkeit durch heimliche und unsachgemäße Schwangerschaftsabbrüche vergrößert. Sie ist außerdem erforderlich für eine Gleichbehandlung, denn internationale Organisationen haben empirisch nachgewiesen, dass Frauen mit indigener oder afrikanischer Herkunft und Frauen, die in Armut leben und nur geringe Bildung haben, überproportional häufig unsichere Abtreibungen vornehmen.
Seit 1990 haben einige Staaten ihre Gesetzgebung etwas reformiert; Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten drei Monate sind in Kuba, Mexiko-Stadt und Uruguay legal möglich. In den meisten Staaten benötigen legale Abtreibungen besondere Begründungen, z. B. wenn das Leben der Mutter bedroht ist oder die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam. Lediglich in Chile, der Dominikanischen Republik, El Salvador und Nicaragua sind Abtreibungen noch immer komplett verboten. Allerdings könnte sich auch die rigide Haltung dieser Staaten lockern. Im August dieses Jahres fand in Uruguay die erste Sitzung der Regionalkonferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik statt, an der auch ca. 260 Nichtregierungsorganisationen teilnahmen. Auf der Konferenz einigten sich die Vertreter_innen der 38 Staaten im Konsens von Montevideo darauf, ihre Gesetze zu reformieren. Dazu zählen Vorsorgemaßnahmen wie Aufklärung über sexuelle und reproduktive Gesundheit, der Zugang zu modernen und wirksamen Verhütungsmethoden und die Schaffung von Voraussetzungen für sichere Abtreibungen.
Die bei der Regionalkonferenz anwesenden Frauenorganisationen bejubelten diesen Konsens als Meilenstein, um Leben und Gesundheit von Frauen zu schützen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Bis zur Umsetzung des Konsens von Montevideo in nationale Gesetzgebungen ist jedoch noch viel zu tun.

„Geh‘ doch nach drüben“ auf brasilianisch

Es war eine historische Rede. Luiz Ruffato hat bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast Brasilien die Mißstände in seinem Land beschrieben und dessen Paradoxien benannt: Gesicherte Wohnanlagen einerseits und Favelas mit Drogenhändlern und korrupten Polizisten andererseits, die weltweit größte Gay Parade und größte Anzahl homophober Attacken, die siebtgrößte Weltwirtschaftsmacht versus der dritte Platz auf der Liste der Ungleichheiten. Die brasilianische Geschichte stütze sich „fast ausschließlich auf der ausdrücklichen Negation des Anderen durch Gewalt und Gleichgültigkeit.“
Für seine klaren Worte erhielt er stehenden Applaus, aber auch andere Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Der Cartoonist Ziraldo rief: „Dann geh‘ doch aus Brasilien weg!“ und auch andere Schriftsteller der alten Garde grüßten Ruffato am nächsten Tag nicht mehr.
Viele andere Kolleg_innen lobten indes seine Rede. Der Dichter Chacal, bekannt durch seine experimentelle Poesie, berichtete, wie ergriffen er war. In Anspielung auf den brasilianischen Vize-Präsidenten Michel Temer, der in seiner Rede gesagt hatte, dass er selbst ebenfalls Gedichte schreibe, ließ auch Marçal Aquino es sich nicht nehmen zu kommentieren: „Besser ein Künstler der Politik macht, als ein Politiker, der Gedichte schreibt.“ Der junge Schriftsteller João Paulo Cuenca verfasste direkt ein Manifest zur Unterstützung der Rede Ruffatos. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Ruffato über die Kritik an seinen Auftritt.

Herr Ruffato, welche Reaktionen gab es auf Ihre Eröffnungsrede?
Besonders in den sozialen Medien gab es viele agressive Reaktionen auf meine Rede. Eigentlich wollte ich nur, dass die Leute meine Rede lesen und – egal ob sie der gleichen Meinung sind oder nicht – als ein Vorschlag zu Reflexion betrachten. Viele unterstützten mich. Aber die Menschen, die nicht mit mir einverstanden waren, waren sehr aggressiv.
Sie meinten, ich dürfe nicht schlecht über Brasilien reden – besonders nicht hier in Deutschland. Ich habe nicht schlecht über Brasilien gesprochen. Meine Rede war eine Liebeserklärung an Brasilien. Ich hätte das Recht auf einen europäischen Pass. Alle wollen einen europäischen Pass. Ich habe ihn nie gewollt, weil ich mich als Brasilianer empfinde. Die Kritik hat mich sehr verletzt. Es war keine Kritik des Dialogs. Sie wollen, dass ich das Land verlasse.

Jemand sagte, „Er hat die Polemik im Koffer mitgebracht“. Ist es nicht erlaubt, Brasilien zu kritisieren?
Erstens habe ich nicht anderes gesagt, als das, was ich auch bislang immer in Interviews geantwortet habe. Zweitens habe ich als Bürger das Recht zusagen, was ich denke. Wo kann man eine intellektuelle Meinung äussern, wenn nicht an einem Platz, wo Ideen diskutiert werden. Ich sehe dies nicht als Polemik.

Das Image Brasiliens soll für die WM 2014 nicht beschädigt werden?
Wir sind Machos und scheinheilig. Niemand will dies hören. Die Leute wollen, dass wir weiterhin als fröhliche, nette Menschen gesehen werden. Wir sind gar nicht so.

Migration ist ein bestimmendes Thema in Ihren Büchern. Heutzutage ist in Brasilien noch immer eine Ausländergesetzgebung aus Zeiten der Diktatur in Kraft. Wie sehen Sie das im Zusammenhang mit den kubanischen Ärzt_innen und den Portugies_innen und Spanier_innen, die nach Brasilien kommen?
Die Reaktion auf die kubanischen Ärzte war ein klares Zeugnis der Xenophobie. All diese Kommentare über die Qualität der kubanischen Medizin. Und die brasilianische Medizin? Wir sind ein aufgeschlossenes Land und können uns solch ein Verhalten nicht erlauben. Wenige Leute wissen, dass heutzutage die Migrant_innen Arme aus Bolivien und Paraguay sind, die unter sklavenähnlichen Verhältnissen in Brasilien arbeiten. Wir haben keine hochwertige Erziehung, wir bilden keine qualifizierten Kräfte aus. Heute importieren wir Fachkräfte, um die Probleme zu lösen, die der Staat nicht löst. Noch immer wird Staat mit Regierung verwechselt. Meine Kritik richtet sich an den Staat und nicht an die Regierung. Die Diskussion über Migration müssen wir in Angriff nehmen.

Sie haben den fünfteiligen Zyklus Vorläufige Hölle geschrieben, der bis ins Jahr 2002 reicht. Der erste Band ist bereits auf deutsch unter dem Titel Mama, es geht mir gut bei Assoziation A erschienen. Haben Sie vor, einen weiteren Band über die Migrationsentwicklung bis heute zu schreiben?
Nein, er hört nicht aus Zufall 2002 auf. 2002 wurde Lula gewählt und es begann eine neue Ära. Brasilien ist heute industralisiert und urbanisiert und der größte Teil der Bevölkerung lebt in der Stadt. Aber es ist ein Land, das die grundsätzlichen Probleme, über die ich in meinen Büchern schreibe, nicht gelöst hat. Allerdings ist meine Rolle als Schriftsteller bereits erschöpft. In all meinen acht Romanen habe ich dies beschrieben. Ich möchte jetzt andere Themen diskutieren. Aber sicherlich werde ich es als Bürger nicht sein lassen, die bislang von mir angesprochenen Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich habe dazu nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.

Im August hat die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel kritisiert, dass nur ein schwarzer und ein indigener Repräsentant auf die Buchmesse eingeladen wurden. Ist die afrobrasilianische Literatur ausreichend präsentiert?
Ich glaube, die Diskussion ist eigentlich, wie es überhaupt in der brasilianischen Gesellschaft aussieht. Es gibt kaum schwarze Ärzte, kaum schwarze Ingenieure, kaum Rechtsanwälte, kaum Journalisten. Das Problem liegt nicht bei dem Kuratorium, das verschiedene Stimmen aus Brasilien ausgewählt hat, sondern im Rassismus der brasilianischen Gesellschaft, die den Menschen nicht erlaubt sozial aufzusteigen. Das Paradox ist die schlechte Bildung.

Und zum Abschluss, wie ist die Reaktion auf Ihre Bücher?
Um ehrlich zu sein, ich glaube, dass meine Bücher in Deutschland heutzutage bekannter beziehungsweise sichtbarer sind als in Brasilien. Das ist unglaublich. Ich habe schon mit meinem Verleger gescherzt – wenn ich in Brasilien Repressionen erfahre, beantrage ich hier Asyl.

Die komplette Rede Ruffatos (in deutscher Übersetzung von Michael Kegler) ist auf www.faustkultur.de nachzulesen.

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