Legalisierung der Todesschwadronen?

Dass sich in Kolumbien mit der Amtsübernahme von Alvaro Uribe Vélez einiges geändert hat, ist nicht mehr zu übersehen. Erst wurden mehrere rechtsradikale Generäle ins Oberkommando der Streitkräfte berufen. Dann wurden 16.000 so genannter Bauern-Soldaten aufgestellt, die ihren Wehrdienst in den Heimatdörfern ableisten sollen.
Diese Woche hat Uribe Vélez bereits das nächste Großprojekt in Angriff genommen. 150.000 zivile InformantInnen will er für die Armee allein in der Umgebung der Straße Bogotá-Medellín anwerben, um die wichtigste Verkehrsader des Landes vor Guerilla-Angriffen zu schützen. Insgesamt sollen eine Million Armeespitzel in den Dienst genommen werden.
Internationale NGOs und die ehemalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson haben dieses Vorhaben scharf kritisiert. Dies wird die Zivilbevölkerung noch tiefer als bisher in den bewaffneten Konflikt verwickeln. Es liegt auf der Hand, dass sich die Dorfgemeinschaften zwischen den Bürgerkriegsparteien entscheiden müssen und sich damit auch in Kriegsakteure verwandeln. Möglicherweise entspricht aber genau das dem Kalkül von Uribe Vélez. Die „Kriegführung geringer Intensität“, wie sie US-MilitärstrategInnen nach den Niederlagen in Kuba und Vietnam entwickelten, geht davon aus, dass man die Aufstandsbekämpfung in die Bevölkerung hineintragen müsse. Durch Verflechtungen zwischen Militärs und Zivilbevölkerung wird jene Logik durchbrochen, die es der Guerilla ermöglicht, sich als Vertreterin von Volksinteressen zu präsentieren. So wird ein Keil zwischen Rebellen und ZivilistInnen getrieben.
Tatsächlich sind in allen wichtigen Bürgerkriegskonflikten der vergangenen Jahrzehnte zivilmilitärische Gruppen aufgebaut worden – sei es nun unter dem Namen ‘Nationalmilizen’ wie im Lateinamerika der 60er Jahre, als türkische ‘Dorfschützer’, peruanische ‘Rondas Campesinas’ oder Paramilitärs wie heute in Kolumbien.

Menschenrechtskampagne gegen Coca Cola

Für die soziale Opposition Kolumbiens bedeutet diese quasi-militärische Mobilmachung der Bevölkerung eine deutliche Verschärfung der Lage. Fast täglich werden GewerkschafterInnen umgebracht, die als systemkritisch gelten.
Besonders brisant ist in diesem Zusammenhang der Mord an dem Nahrungsmittelgewerkschafter Adolfo de Jesús Múnera López, der am 31. August vor dem Haus seiner Mutter in Barranquilla von Todesschwadronen erschossen wurde. Múnera López war Vizepräsident des kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT in der Atlantik-Region und führender Funktionär der Gewerkschaft SINALTRAINAL, die zurzeit eine internationale Menschenrechtskampagne gegen Coca Cola durchführt.
Der Mord an Múnera López verdeutlicht, wie eng der Terror in Kolumbien mit ökonomischen Interessen verwoben ist. Als 1997 als Mitglieder der kolumbianischen Armee in sein Haus in Barranquilla einbrachen, flüchtete der Gewerkschafter aus Sicherheitsgründen in eine andere Stadt. Coca Cola kündigte ihm bei dieser Gegenheit. Vor Gericht bekam Múnera allerdings bereits in der ersten Instanz Recht. Auch das von Coca Cola angestrengte Revisionsverfahren wurde am 22. 8. 2002 abschlägig entschieden. Nach diesem Urteil hätte Múnera bei Coca Cola bleiben und seine Gewerkschaftsarbeit fortsetzen können. Erst der Mord hat nun für klare Verhältnisse gesorgt.
Die Lage für die SINALTRAINAL-KollegInnen ist umso aussichtsloser, als offensichtlich auch eine politische Kampagne gegen die Gewerkschaft geführt wird. So wurden in internationalen Gewerkschaftskreisen Gerüchte gestreut, wonach SINALTRAINAL mit der Guerilla zusammenarbeite. Das führte dazu, dass der US-amerikanische Dachverband AFL-CIO 5 Tage vor dem Meinungstribunal im Juli in Atlanta seine Unterstützung für die kolumbianischen Coca Cola-KollegInnen zurückzog.
Auch die deutsche Gewerkschaft NGG ist auf Distanz gegangen und will nun wissen, „wie sich die SINALTRAINAL finanziert“. Dabei ist allgemein bekannt, dass sämtliche von der kolumbianischen Justiz angestrengten Prozesse gegen die kolumbianische Gewerkschaft eingestellt werden mussten. Nicht einmal mit Hilfe so genannter „anonymer ZeugInnen“, einem besonders perfiden Instrument der Terrorismusgesetzgebung, ließen sich Verurteilungen durchsetzen.
Dass vermehrt Gerüchte über die kämpferischsten kolumbianischen Gewerkschaften USO (Erdöl) und SINALTRAINAL auftauchen, dürfte kein Zufall sein. Die kolumbianische Rechte arbeitet seit längerem systematisch daran, politische GegnerInnen zu diskreditieren und die internationale Öffentlichkeit mit eigenen NGOs zu beeinflussen.
Sogar im linken Gewerkschaftsdachverband CUT gibt es mittlerweile von Paramilitärs kontrollierte Einzelgewerkschaften, die die Mordwelle gegen soziale AktivistInnen international zu verharmlosen versuchen.

Gute Paramilitärs – böse Paramilitärs

Die schlimmste Eskalation dürfte der Opposition allerdings noch bevorstehen. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Uribe-Regierung demnächst Verhandlungen mit den paramilitärischen Gruppen von Carlos Castaño aufnehmen wird. Bereits seit einigen Monaten führt der erzreaktionäre Bogotaner Kardinal Pedro Rubiano Sondierungsgespräche mit den Todesschwadronen. Er ließ auch schon mal protestierende KleinbäuerInnen von Polizei-Einheiten aus seinen Kirchen räumen.
Die Paramilitärs haben sich Ende Juli medienwirksam aufgelöst und nun unter dem Oberkommando von Carlos Castaño wiedervereinigt. Ausgeschlossen wurde nur eine winzige, in Ostkolumbien agierende Gruppe, die den venezolanischen Industriellen Richard Boulton entführt hatte.
Mit diesem Manöver wollen sich die Todesschwadronen offensichtlich als geläutert präsentieren: keine Entführungen und kein Drogenhandel mehr, heißt es in der Wiedervereinigungserklärung.

Paramilitärische Drogenbarone

Die paramilitärischen Drogenbarone, die im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte Milliarden mit Kokainhandel und Landraub verdient hatten, wollen ihren Besitz legalisieren. Die Uribe-Regierung hat durchblicken lassen, dass sie dies zulassen wird. Offensichtlich soll zwischen den „guten“ Autodefensas Campesinas (Bauernselbstverteidigungen) von Castaño und „bösen“ Paramilitärs unterschieden werden.
Der Beitritt Kolumbiens zum Internationalen Strafgerichtshof wurde bereits so modifiziert, dass Kriegsverbrechen in den kommenden sieben Jahren straffrei bleiben werden. Offiziell rechtfertigt die Uribe-Administration diese Entscheidung mit einer möglichen Amnestie für Guerilla und Paramilitärs, doch ein Friedensschluss mit FARC und ELN ist zurzeit so unvorstellbar, dass letztlich nur Armee-Angehörige und Paramilitärs davon profitieren werden. Eine 20 Jahre währende Politik der Massaker wird dann ungesühnt bleiben.

“Die Beschaffenheit und Dynamik des Krieges hat sich verändert”

Der Wahlsieg des abtrünnigen liberalen Kandidaten Alvaro Uribe bei den Präsidentschaftswahlen am 26. Mai ist ein Zeichen dafür, dass weite Teile der kolumbianischen Bevölkerung einen Präsidenten wollen, der mit harter Hand den bewaffneten Konflikt im Land zu lösen sucht. Haben Sie dieses Ergebnis erwartet?

Das Ergebnis war voraussehbar. Aber für die Situation im Land wäre es wünschenswert und politisch opportun gewesen, hätten mehr Menschen für demokratische Alternativen wie den Polo Democrático gestimmt [Anm. d. Redaktion: Der Polo Democrático war ein Wahlbündnis unabhängiger Parlamentarier und Linksparteien].

Sie sagten, der kolumbiansche Krieg sei ein Krieg mit doppelter Agenda. Könnten Sie das näher erläutern?

Ursprünglich war es ein aufständischer Krieg, der von der Guerilla ins Leben gerufen wurde, um die Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Darin gleicht seine Agenda der der revolutionären Guerillabewegungen der sechziger und siebziger Jahre in Lateinamerika im Rahmen des Kalten Krieges. Aber die Ausdehung der bewaffneten Konfrontation, das Ende des Kalten Krieges und das Aufkommen internationaler Drogenmafias haben die Beschaffenheit und Dynamik des Krieges verändert. Als Konflikt der Ära nach dem Kalten Krieg stehen auf seiner Agenda Probleme wie zum Beispiel Drogenhandel, Menschenrechte und Umweltverschmutzung. Es gibt also diese doppelte Agenda, und aus diesem Grund kann man ihn nicht einfach als einen der „neuen Kriege“ bezeichnen, wie Wirtschaftsspezialisten heute die Gewalt in Kolumbien benennen.

Der Plan Colombia, angeregt von den USA, bezieht sich auf den Drogenhandel und die angebliche Stabilität der Andenregion. Ändert sich diese Perspektive mit der Wahl Uribes?

Was meinen wir, wenn wir vom Plan Colombia sprechen? Die kolumbianische Regierung redet von einem Plan Colombia, der im Grunde ihr nationaler Entwicklungsplan ist. Aber der Plan, von dem ich rede, ist der, welcher von der US-amerikanischen Regierung mit 1.350 Millionen US-Dollar für den Kampf gegen den Drogenhandel finanziert wird. Seit fast drei Jahren findet der Plan Anwendung, aber seine Ergebnisse sind minimal. Er wurde entwickelt, um den Drogenhandel durch die Besprühung von Kokaanbaugebieten in den von der Guerilla kontrollierten Zonen zu bekämpfen. Das verbotene Kokaanbaugebiet hat sich trotz der Besprühungen jedoch vergrößert, und der Drogenhandel wächst weiterhin. Im Grunde ist er ein Plan zur Aufstandsbekämpfung, was sich in der Stärkung von Armee und Polizei ausdrückt. Ich denke, dass mit der von der Regierung Bush entwickelten Anden-Initiative eine neue Strategie des nordamerikanischen Interventionismus in Kolumbien und der Andenregion geschaffen wird, um die Aufständigen zu liquidieren, den Drogenhandel einzudämmen und die politische Stabilität zu garantieren. Unabhängig vom Wahlergebnis in Kolumbien besteht die Tendenz, den Militarismus zu stärken. Der Präsident hat vor, den Bestand der bewaffneten Truppen zu verdoppeln und eine Million Zivilisten durch kooperative Aufgaben für den Antiguerillakampf zu verpflichten.

Einige Analysten meinen, dass die Wahl des ehemals liberalen Alvaro Uribe Vélez das Ende der traditionellen Parteien bedeutet, und die Notwendigkeit aufzeigt, eine oppositionelle demokratische Kraft aufzubauen…

Die traditionellen Parteien in Kolumbien, die Liberalen und die
Konservativen, sind in ihrer Funktion, der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Staat, schwächer geworden. Aber sie sind nicht verschwunden. Es stimmt, dass sie Wählerstimmen verloren haben, aber ihre Gegenwart ist im Feld der Politik noch immer bedeutsam, und ich denke, dass es noch eine Zeit lang so bleiben wird. Der neue Präsident ist ein Liberaler. Er war ein abtrünniger Kandidat, der sich dem offiziellen Kandidaten der Liberalen entgegen stellte und ihn schlug. Aber es ist wahrscheinlich, dass diese Präsidentschaft der Partei zu einem Prozess der Selbsterneuerung verhilft und damit stärkt. Eines der schlimmsten Mängel der kolumbianischen Demokratie ist das Fehlen von starken Parteien mit klaren Programmen. Daher die Bedeutung, alternative Politiken zu entwickeln, neue Parteien mit demokratischen Programmen zu konstruieren, welche die demokratische Kompetenz stärken und ihre Kontrollfunktion wahrnehmen. Die Wahl des Polo Democrático zeigte in diese Richtung. Hoffentlich hält sich diese Allianz und wächst als politische Macht. Aber in Kolumbien ist das auf Grund traditioneller Formen der Parteipolitik und der Situation des internen Krieges nicht einfach.

Südkolumbianische Gouverneure haben eine Initiative ins Leben gerufen, verbotene Drogenkulturen selbst zu kontrollieren und regionale Alternativen zu entwickeln. Dies steht im Kontrast zur zentralisierten Regierungsform, die die Drogenpolitik national leitet. Wie hat sich dieser Vorschlag entwickelt?

Die Gruppe, genannt „Gouverneure des Südens“, hat die Notwendigkeit eingesehen, die Besprühungen zu stoppen und gemeinsam mit den Bauern Programme zur manuellen Ausrottung der Pflanzenkulturen zu entwickeln. Aber die zentrale Regierung hat auf den Besprühungen bestanden, obwohl sie die Möglichkeit einer regionalen Abstimmung nicht vollständig verworfen hat. Ich denke, dass die lokalen und regionalen Verwaltungen zweckmäßigere Politikformen erarbeiten könnten, welche weniger schädigend für die Bevölkerung und die Umwelt sind. Aber hier gibt es noch einen verfassungsrechtlichen Streit zwischen den lokalen und regionalen Mächten und der zentralen Gewalt. Die Gouverneure und viele Bürgermeister bestehen weiterhin auf diese Alternative der manuellen Ausrottung unter Teilnahme der Gemeinden. Es sollte aber auch an Großprogramme zur Rückansiedlung von Ortschaften gedacht werden, um diese angemessen in den Markt integrieren zu können.

In Deutschland redet man viel über die Narcoguerilla, das heißt, eine Guerilla, die sich durch den Drogenhandel finanziert. Ist es denkbar, dass der Frieden in diese Regionen zurückkehrt, die heute von Gruppen der Paramilitärs oder der Guerilla kontrolliert werden, wenn der Drogenhandel ausgerottet wird?

Es stimmt, dass Erlöse aus dem Drogenhandel in die Guerilla, vor allem in die Kassen der FARC (Revolutinäre Streitkräfte Kolumbiens) fließen. Aber sie finanzieren außerdem in großem Maße den Paramilitarismus und nähren die Korruption in der Gesellschaft und im Staat. Das bedeutet, dass aufständischer Krieg und internationaler Drogenhandel in Beziehung zueinander stehende Phänomene sind. Aber man darf daraus nicht eine Beziehung der Ursächlichkeit zwischen Guerilla und Drogenhandel herleiten. Die Guerilla existierte vor der Verankerung einer internationalen Drogenmafia in Kolumbien. Ihre Entwicklung hängt keinesfalls von den Geldern des Drogenhandels ab. Aus diesem Grund sollte man die Lösung des aufständischen Krieges nicht von der Lösung des Drogenhandelproblems abhängig machen. Der aufständische Krieg kann sich durch einen Prozess der politischen Verhandlungen zwischen Guerilla und Regierung unter Teilnahme gesellschaftlicher Kräfte lösen lassen. Die Lösung des Drogenhandelproblems hängt nicht nur von Kolumbien und den Kolumbianern ab. Sie ist abhängig von der weltweiten Gemeinschaft, welche die Drogen konsumiert, die finanziellen Zirkel des internationalen, organisierten Verbrechens nährt und ihnen Steuerparadiese für die Anhäufung ihres Kapitals bietet.

Für die kolumbianische Bevölkerung sind die Auswirkungen des jahrzehnte langen Krieges sehr groß. Die Gewalt beeinflusst das alltägliche Leben der Menschen, ihre Beziehungen, ihre Vision von der Welt und der Gesellschaft. Wie erleben die Kolumbianer ihren Alltag? Und gemeinsam mit den Bauern wie erleben Sie diese Problematik an der Universität?

Die kolumbianische Bevölkerung hat unter einer politischen und einer sozialen Gewalt zu leiden. Wenn wir die Gewalt in der Anzahl der Tötungsdelikte messen, sind nur zwischen 10 und 15 Prozent der Todesfälle durch politische Gewalt motiviert, die anderen sind Opfer sozialer Gewalt. Und dies beeinträchtigt das alltägliche Leben in unterschiedlichem Ausmaß je nach Schauplatz. In Zonen des bewaffneten Konflikts, also in fast allen ländlichen Zonen, leben die Leute unter der Belagerung der Guerilla, der Paramilitärs und der Polizei. Dieses schränkt die Bewegungsfreiheit ein, begrenzt den Zugang zu Nahrung, Medizin und Treibstoff. Aus diesem Grund verlassen viele ihr Land. Jeden Tag werden tausend Kolumbianer durch diese Gewalt vertrieben, in der Mehrzahl der Fälle auf Grund der Aktionen von paramilitärischen Gruppen, welche Massaker an der Zivilbevölkerung ausüben. In den städtischen Regionen ist die Gewalt dagegen überwiegend sozialer Natur. Vielleicht ist der schlimmste Effekt ihre Banalisierung, und der Verlust der Fähigkeit, sich zu empören und darauf zu reagieren. In der Universität entkommen wir natürlich diesen Effekten nicht, jedoch ist die Gewalt, wenn sie auftritt, meistens politischer Natur. Verständlicherweise suchen die verschiedenen politischen Gruppen, inklusive der illegalen, den universitären Raum, um sich kenntlich zu machen.

Welche Rolle könnte Europa in der aktuellen Situation des kolumbianischen Konfliktes spielen?

Die Lösung des Konfliktes hängt im Wesentlichen von den Kolumbianern ab, aber in der aktuellen Situation benötigt das Land politische Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Kolumbien braucht weder Waffen noch Helikopter, gebraucht wird politische Unterstützung und in diesem Sinne ist die Rolle Europas fundamental. Einige europäische Länder, unter ihnen Frankreich, die Schweiz, Spanien, Schweden und Deutschland, haben die Friedensprozesse unterstützt. Hoffen wir, dass sich Europa nicht der Unterstützung von Projekten verschreibt, die an einer Intensivierung des Krieges mitwirken, dass es keine möglichen Pläne der Einmischung aus humanitären Gründen unterstützt. Sie sollten ihre wachsame Einstellung gegenüber den bewaffneten Akteuren und auch gegenüber dem Staat beibehalten, um die Einhaltung der internationalen Menschenrechte einfordern zu können. Von Europa erwarten wir politische Unterstützung für eine Verhandlungslösung und für die Revision der Antidrogenpolitik, sowie Hilfe im Wiederaufbau unseres Landes für die Zeit nach dem Konflikt.

Interview: Fanny Rubio Lorza
Übersetzung: Anke Rafflenbeul

Die EU und der Krieg in Kolumbien

Mitte Juni erklärte die Europäische Union die kolumbianischen FARC- Rebellen zu Terroristen. Die kleinere ELN wird vermutlich demnächst folgen. Dies ist der vorerst letzte Akt zur Demontage einer gescheiterten Friedensinitiative in dem südamerikanischen Land, in dem die EU in den letzten drei Jahren noch eine Vermittlerrolle eingenommen hatte. Das kriegsgeschüttelte Kolumbien steht nach vier Jahren Pastrana-Regierung vor dem Scherbenhaufen einer Friedenspolitik, die wie bei mehreren Versuchen zuvor der Zweckentfremdung zum Opfer fiel. Während die kolumbianische Regierung die Gespräche zur Aufrüstung der eigenen Armee nutzte, verfielen die FARC dem Diktat der eigenen Stärke. Gespräche inmitten des Krieges, hieß deren Motto. Linientreue Kompromisslosigkeit auf beiden Seiten blieb das einzige Ergebnis der Gespräche.
An Schuldzuweisungen für das Ende des Friedensprozesses spart keine der beiden Seiten. Entscheidend war wohl die Terrorismusdebatte nach den Anschlägen vom 11. September. In den kolumbianischen Medien setzte sich ein Paradigmenwechsel durch. Obwohl sich an Struktur und Aktionen der Guerilla nichts Wesentliches geändert hatte, wurden die Rebellen nur noch als skrupellose Terroristen bezeichnet. Der kolumbianische Staat wurde per se zum Opfer. Das Ziel war klar: komplette internationale Marginalisierung der Guerilla. Mit der EU-Entscheidung dürfte das Ziel erreicht sein.
Was gab den Ausschlag für diesen Schritt der EU? Zunächst wohl die unbeeindruckte Weiterführung der Kriegsstrategie seitens der FARC nach Abbruch der Verhandlungen. Auch im Drogengeschäft sind die Rebellen weit tiefer verwickelt, als sie öffentlich zugeben. Die passive Akzeptanz der Drogenkulturen in ihrem Einflussbereich ist in den letzten Jahren aktiver Anbauunterstützung gewichen. FARC-Guerilleros selbst führen dazu an, nur das Spiegelbild der kolumbianischen Gesellschaft zu sein. Dies ist jedoch eine schwache Entschuldigung, wenn man sich einen revolutionären Wandel auf die eigenen Fahnen geschrieben hat und besser sein will als die herrschende Gewaltgesellschaft.
Der EU-Entscheidung ging eine längere interne Diskussion voraus. Im April setzte man zunächst nur die Paramilitärs von Carlos Castaño auf die Terrorliste. Schweden und Frankreich sollen zu diesem Zeitpunkt ihr Veto gegen die Aufnahme der FARC auf die Liste eingelegt haben, um die Tür für weitere Friedensgespräche nicht zuzuschlagen. Doch die rechtskonservative spanische Ratspräsidentschaft setzte eine Annäherung an US-Positionen durch, die von einer harten Haltung gegenüber den Rebellen gekennzeichnet sind. Es geht nun um die militärische Lösung des Konflikts.
Mit Wirtschaftshilfe und politischer Unterstützung für den neugewählten, rechtspopulistischen Präsidenten Alvaro Uribe will man dafür sorgen, dass in dem südamerikanischen Land wieder mehr Investitionssicherheit einkehrt. Das ist für europäische Konzerne, die sich bei der Privatisierung der ehemals staatlichen Energie-, Wasser- und Kommunikationsunternehmen in Lateinamerika ordentlich bedient haben, nicht weniger wichtig als für ihre US-amerikanische Konkurrenz. Nur so lässt sich erklären, dass die EU von einer druckvollen Verurteilung der staatlichen Menschenrechtsverletzungen und der nachweislichen Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs Abstand genommen hat.
Für die FARC selbst bedeutet der EU-Beschluss eine Einschränkung politischer Aktivitäten. Hatte sie bisher ihre Vertreter nach Europa schicken können, wird ihnen diese Bühne nun genommen. Trotz der militärischen Übergewichtung haben die FARC weiterhin ein politisches Grundkonzept, das nun international für nichtig erklärt wurde. Ein neuer Anstieg der Gewalt in Kolumbien ist programmiert. Bleibt es bei ihrer Unterstützung für den Hardliner Uribe, trägt die EU Mitverantwortung für die absehbare Eskalation des Krieges – und damit auch für Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen und Tausende von Toten.

Wahlen unter Feuer

Kolumbien hat unter Kriegsbedingungen seinen neuen Präsidenten gewählt. Dieser heißt Álvaro Uribe Vélez. Bereits im ersten Wahlgang am 26. Mai konnte er rund 53 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, eine Stichwahl im Juni wurde somit unnötig. Sein ärgster Gegner von der Liberalen Partei, Horacio Serpa, fuhr nur etwas mehr als 31 Prozent ein.
An dritter Stelle behauptete sich gut, aber knapp, der Linkskandidat Lucho Garzón von der Sammelbewegung Polo Democrático mit 6,2 Prozent. Nach zwölf Jahren Abstinenz auf Grund einer blutigen Mordwelle gegen linke Aktivisten Ende der achtziger Jahre haben diese wieder mit einem eigenen Kandidaten einen Achtungserfolg einfahren können. Die viertplatzierte Noemí Sanín erreichte nur 5,8 Prozent der Stimmen, nachdem sie noch Monate zuvor beste Aussichten für einen Einzug in die Stichwahl hatte.
Uribe Vélez konnte die WählerInnen mit seinem autoritären Diskurs überzeugen. Der 49-jährige Anwalt war bereits in den neunziger Jahren Gouverneur der Provinz Antioquia und zuvor Bürgermeister der dortigen Provinzhauptstadt Medellín. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft profilierte sich Uribe Veléz als Hardliner, der mit verstärkten militärischen Mitteln der Guerilla zukünftig zu Leibe rücken will. Zwar steht er in dem Verdacht, enge Kontakte zu Paramilitärs und Drogenhändlern zu besitzen, dennoch ließen sich die WählerInnen von seiner proklamierten Sicherheitspolitik überzeugen.
Besonders die Großstädte verschafften dem Rechtskandidaten den schnellen Sieg. „Es besteht nationaler Konsens, sich der Gewalt entgegenzustellen. Die Kolumbianer sind dafür zu Entbehrungen bereit“, analysierte der Ex-Bürgermeister Enrique Penalosa und Unterstützer von Uribe nach der Bekanntgabe der Ergebnisse. Das mag für die Städte gelten, weniger aber für das Land, wo der kolumbianische Konflikt in aller Härte ausgetragen wird. Während in den urbanen Zentren die Wahlbeteiligung bei über 50 Prozent lag, war diese auf dem Land weit niedriger. Im Schnitt wählten 45 Prozent der Wahlberechtigten.

Keine Bedingungen für freie Wahlen

Die Bedingungen für freie Wahlen hätten kaum schlechter sein können. Bereits Tage vor dem Urnengang gab der im August ausscheidende Präsident Andrés Pastrana bekannt, dass in etwa sieben Prozent des Landes nicht gewählt werden könne. Besonders betroffen waren fünf südkolumbianische Provinzen und die nordwestliche Region des Landes. Die Bürgermeister mehrerer Bezirke lehnten die Durchführung der Wahlen ab, da keine staatliche Autorität präsent war und Drohungen überhand nahmen. Die Guerilla rief offen zum Wahlboykott auf, ohne diese aber in großem Umfang gewaltsam zu sabotieren. In von Paramilitärs kontrollierten Gebieten übten diese Gruppen Druck auf die WählerInnen aus, für wen sie zu stimmen hätten. „Wir sagen den Leuten nur, wo sie ihr Kreuz zu machen haben“, brachte es Para-Chef Salvatore Mancuso bereits Wochen zuvor salopp auf den Punkt. Kein Zweifel dürfte darin bestehen, dass deren Kandidat Álvaro Uribe Vélez hieß (siehe auch LN 335).
Von einem programmierten Wahlbetrug sprach der Linkskandidat Lucho Garzón. In zweihundert Bezirken, das entspricht immerhin rund zwanzig Prozent des Landes, seien keine Polizisten vor Ort gewesen, die einen sauberen Wahlkampf hätten garantieren können. In weiteren 216 Bezirken gab es nur ganze acht bis zwölf Beamte. Wer also Interesse an einer Wahlfälschung hatte, konnte dort kräftig zuschlagen. Bereits bei den Parlamentswahlen am 10. März fand ein großflächiger Wahlbetrug statt. In mehr als einem Viertel der Wahllokale gab es Unstimmigkeiten. „Nach zwei Monaten weiß man immer noch nicht, ob man die Wahlen bestätigen lassen kann oder nicht“, so Garzón.
Um aber den Schein der „ältesten Demokratie Lateinamerikas“ aufrecht zu erhalten, sprach die Regierung jetzt von garantiert sauberen Wahlen. 213.000 Soldaten, Polizisten und Geheimdienstler, so die offizielle Darstellung, seien eigens dafür abgestellt worden. Um den Wahlgang international beobachten zu lassen, schickte die EU fünf Vertreter nach Kolumbien, welche die Bedingungen genauer unter die Lupe nehmen wollten. Die Organisation Amerikanischer Staaten OAS sandte gleichfalls Vertreter nach Kolumbien. Diese sprachen bereits zuvor auf Grund der gefährdeten öffentlichen Ordnung von einer möglichen Annullierung der Wahlen, sollte ein Kandidat juristischen Einspruch einlegen wollen.
Die letzten Wochen vor den Wahlen befürchtete man in Kolumbien, dass die Guerilla den Konflikt in die Städte tragen würde. Von einigen Bomben im März und April abgesehen, blieb es jedoch verhältnismäßig ruhig. Zu einem schweren Feuergefecht kam es jedoch am 20. Mai in Medellín, nachdem Sondereinheiten der Polizei und Armee ein von der Guerilla kontrolliertes Viertel angriffen. Unverhältnismäßig und brutal seien die Sicherheitskräfte vorgegangen, berichteten AnwohnerInnen und Menschenrechtsorganisationen nach dem Vorfall.
Um zwei Uhr nachts betraten schwerbewaffnete Einheiten das Viertel, um eine mutmaßliche Waffenfabrik der Stadtmilizen auszuheben. Im verarmten Westteil der Stadt kontrollieren rund 600 Milizen der FARC und ELN sowie 400 Paramilitärs verschiedene Viertel der Metropole. In dem stundenlang anhaltenden Kreuzfeuer zwischen den Milizen und den Sicherheitskräften starben mindestens neun Menschen, darunter zwei unbeteiligte Kinder von sechs und zwölf Jahren. Auf Personen, die mit weißen Fahnen auf die Straßen traten, wurde geschossen. Über 35 Menschen wurden verletzt. Zwischen dutzenden Festgenommenen seien auch Unschuldige gewesen, so BeobachterInnen vor Ort. Unschuldige, die es nicht gibt, wenn man den Worten des Polizeichefs Ernesto Gilibert Glauben schenkt: „In der einen oder anderen Form waren die Bewohner mit den Milizen verbunden“, so Gilibert in seiner Rechtfertigung dafür, dass die Streitkräfte die Viertel aus Panzerwagen und Helikoptern beschossen.

Schwerster Anschlag seit 40 Jahren

Doch nicht nur die kolumbianischen Sicherheitskräfte entfernen sich immer weiter von der Achtung der internationalen Menschenrechte, sondern auch die Paramilitärs und die Guerilla. Am 21. April entwickelten sich schwere Kämpfe zwischen beiden Gruppen in der nordwestkolumbianischen Urwaldregion Chocó, die am 2. Mai in eine der schwersten Tragödien des kolumbianischen Konflikts mündeten. Eine Bombe der FARC schlug in eine Kirche des Dorfes Bellavista im Bezirk Bojayá ein, in der rund 200 Menschen vor den Kämpfen Schutz gesucht hatten. In wenigen Sekunden starb ein Zehntel der Dorfbevölkerung: 119 Menschen, darunter 47 Kinder.
Zu dem Massaker kam es, als die Paramilitärs während der Kämpfe in das Dorf eindrangen, um Schutz zu suchen. Dabei benutzten sie die DorfbewohnerInnen als menschliche Schutzschilder. Laut Zeugen wurde von ihnen jeder erschossen, der aus der Kirche kam. Offenbar wussten die am Dorfrand positierten FARC zunächst nicht, auf wen sie mit ihren Bomben zielten. Aber mit dem Einsatz ihrer gefürchteten Gaszylinderbomben, deren Zielgenauigkeit auf Glück beruht, gegen das Dorf, scheinen sie zivile Opfer in Kauf genommen zu haben. „Mein Gott, was haben wir angerichtet!“, sagte eine Rebellin Stunden später fassungslos, nachdem die Paramilitärs aus der Ortschaft vertrieben waren. Zwei Tage später entschuldigten sich die FARC offiziell für den Anschlag, der ihren internationalen Status als Terroristen aber damit besiegelt haben dürfte.
Wie weit der Zynismus von staatlicher Stelle reicht, bewies Präsident Pastrana in den folgenden Tagen. Die Armee brauchte vier Tage, um in der Region anzukommen. Wegen schlechten Wetters, so die offizielle Begründung, die seit Jahren für die Nicht-Präsenz der Armee bei Gefechten oder Massakern herhält. Während die Luftwaffe zunächst Bomben über der Region abwarf, bei der abermals ZivilistInnen ums Leben kamen, befand sich Pastrana bereits auf einer Rundreise durch Europa, um für die Stigmatisierung der FARC als Terroristen zu werben.
Erst wenige Tage vorher hatte die EU erklärt, nur die paramilitärischen AUC auf ihre Terrorliste zu setzen, was in der Pastrana-Administration Unmut auslöste. Die FARC zu Terroristen zu erklären, so der Standpunkt innerhalb der EU, würde die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen nahezu unmöglich machen. Diese Sichtweise hat sich nach dem Anschlag geändert. Im Juni will die EU erneut entscheiden, ob die FARC zu Terroristen erklärt werden.
Diese Entscheidung, die von den in Kolumbien ansässigen Botschaftern der EU-Länder ausgeht, wird allerdings von einem UN-Bericht über den Vorfall in Bojayá abhängig gemacht. Pastrana selbst lud deren Vertreter der Menschenrechtskommission, Anders Kompass, zu einem Besuch der Region ein. Sein in der dritten Maiwoche veröffentlichter Bericht hat es in sich. Zwar spricht er von verschiedenen Kriegsverbrechen seitens der FARC und der Paramilitärs, zahlreiche Vorwürfe werden aber auch gegen den kolumbianischen Staat und die Armee laut. So wurden Warnungen von halbstaatlichen Institutionen, NRO und Bürgermeistern vor möglichen Kämpfen ignoriert, die bereits im Dezember letzten Jahres ausgesprochen wurden. Diese berichteten von der äußerst angespannten Situation zwischen den irregulären Gruppen, die in der Region mobil machten. Nur eine Woche vor dem Massaker trafen acht Boote mit Waffen für die Paramilitärs und dreihundert Käm-pfer in der Region ein. Über den Wasserweg aus dem Norden, auf dem die Armee permanent einen Kontrollposten besitzt.
Als Kompass vier Tage nach dem Anschlag die Region besuchte, berichtete er von einer gleichzeitigen Präsenz der eingetroffenen Armee und der Paramilitärs, die sich, nur zehn Minuten voneinander entfernt, in dem Ort aufhielten. Die Armee reagierte umgehend mit Kritik an Kompass und nannte seine Aussagen „unqualifiziert“. Dennoch gehört dieser Bericht zu einem der schärfsten und direktesten Anschuldigungen seitens der UNO, welche die Untätigkeit des Staates und mögliche Verstrickungen des Militärs mit paramilitärischen Gruppen anspricht.

Allein gegen die Korruption

Ingrid Betancourt, die zur Zeit von der FARC entführte Präsidentschaftskandidatin, berichtet in ihrem Buch Die Wut in meinem Herzen von ihrem Weg in die kolumbianische Politik und der Hoffnung, diese zu verbessern. Als Tochter des stellvertretenden Direktor der UNESCO und einer ehemaligen Schönheitskönigin, die durch ihre Arbeit für Straßenkinder sehr bekannt war, wuchs sie in einem intellektuell geprägten Elternhaus auf. Nach der Trennung der Eltern widmete sich die Mutter Astrid Betancourt aktiv der Politik. Dieses Engagement war für die Autorin prägend: Immer wieder zieht sie in ihrem Buch Parallelen zwischen ihrem Leben und dem ihrer Mutter.
Nach der Schule kehrte Betancourt nach Frankreich zurück, um dort Politik zu studieren. Sie lernte ihren zukünftigen Mann kennen, einen französischen Diplomaten, dem sie in verschiedene Länder der Welt folgte. Zusammen haben sie zwei Kinder.
Der Mord an dem liberalen Präsidentschaftskandidaten Carlos Galán, den ihre Mutter unterstützt hatte, war für Ingrid Betancourt entscheidend: Sie trennte sich von ihrer Familie und kehrte nach Kolumbien zurück, um Politikerin zu werden.

Politischer Werdegang

Naiv und blauäugig, wie sie selber zugibt, begann sie ihre politische Karriere, doch gleichzeitig sehr mutig. So nennt sie gleich zu Beginn ihrer ersten Wahlkampagne für das Parlament in einem Interview die Namen der fünf korruptesten Politiker. Fesselnd beschreibt sie die Politik Kolumbiens, berichtet von den bestechlichen Politikern und deren Zusammenarbeit mit Drogenhändlern, wobei sie besonders auf die Präsidentschaft Sampers eingeht, der seine Wahl mit Drogengeldern finanzierte. Im Prozess 8000, in dem der Präsident der Mitwis-serschaft an einer Spendengeldaffäre beschuldigt wurde, erhob sie ihre Stimme gegen ihn. Sie versuchte sogar mit einem Hungerstreik eine neue Besetzung der ihrer Meinung nach korrupten Untersuchungskommission durchzusetzen.
Betancourt berichtet von der Skrupellosigkeit der Politiker, die selbst vor gezielten Morden nicht zurückschreckten, und deren Unterstützung durch die Drogenhändler des Cali-Kartells, dessen Mitglieder sich nach und nach verhaften ließen, um dem Präsidenten seine Glaubwürdigkeit zurückzugeben. Nicht ohne Eigennutzen selbstverständlich, denn solange Samper an der Macht blieb, war ihnen ein angenehmer „Gefängnisaufenthalt“ sicher, sowie Schutz vor Auslieferung an dieUS-Regierung.

Samper und die Korruption

Samper wurde in dem Prozess 8000 von der Untersuchungskommission freigesprochen. Die Dokumente, welche laut Betancourt seine Schuld bewiesen, veröffentlichte sie in ihrem Buch Sí sabía (Ja, er wußte es).
Was bringt Ingrid Betancourt, eine Frau aus der gehobenen Schicht Kolumbiens, dazu, ihre Familie und ihr behütetes Leben aufzugeben und einen solch aussichtslosen Kampf zu führen? Sie musste immer wieder Rückschläge einstecken und geriet selbst auf die Anklagebank. Nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder erhielten Morddrohungen, so dass sie sie außer Landes schaffen musste.
Man will ihr einfach glauben, dass es wirklich eine Politikerin gibt, die ihr eigenes Leben aufgibt, um ihrem Land zu helfen. Und man spürt es geradezu: Sie will dieses Land verändern.
Doch trotz der Beschreibung der politischen Situation Kolumbiens, besteht beim Lesen die Gefahr, den subjektiven Blickwinkel der Autorin zu übernehmen. Betancourt zieht den Leser stark emotional in ihren Bann, indem sie Persönliches erzählt und häufig von ihren Kindern und Gefühlen schreibt. Durch die Benutzung von Dialogen versucht sie, Authentizität herzustellen.

Märtyrerin oder Egozentrikerin?

Sie erscheint wie eine Märtyrerin im Kampf für das kolumbianische Volk. Neben ihr finden andere Personen, die gegen die Kor-ruption kämpfen, kaum Erwähnung, während sie selber, laut ihrer Beschreibung, engagiert im Mittelpunkt steht. Immer wieder betont sie, wie maßgeblich ihre Texte und wie gefürchtet ihre Debatten waren, doch warum liest man gleichzeitig so wenig in der Presse, die teilweise noch bis vor kurzem den Nachnahmen Betancourt falsch schrieb (Betancur), über die Rolle, die sie im Rahmen des Prozesses gespielt hat? Ist es, weil sie von den Politikern und der Presse immer noch nicht ernst genommen wird, soll sie vielleicht tot geschwiegen werden, oder hat sie sich doch nur selber in den Vordergrund gespielt, wobei sie sich womöglich selbst überschätzt hat?
Als Basis ihres Programmes führt sie fast ausschließlich die Bekämpfung der Korruption an, darüber hinaus erfährt man jedoch wenig Konkretes über ihre politischen Absichten. Ebenfalls wenig erfährt man über die anderen alltäglichen Probleme Kolumbiens: den Bürgerkrieg, die Guerilla, die Paramilitärs, die regelmäßigen Massaker und die ganz gewöhnliche Armut.
Horacio Serpa, Sampers ehemaliger Innenminister, kandidiert dieses Jahr wieder für das Präsidentenamt. Auch Betancourt kandidiert als Präsidentschaftskandidatin, für ihre eigene Partei Oxygen (Sauerstoff). Sie wurde im Februar von der FARC entführt, auf dem Weg nach San Vincente del Cagúan, wo sie der Bevölkerung ihre Solidarität nach Ende der Friedensverhandlungen auszusprechen wollte. Da ihr ein Hubschrauber verweigert wurde, machte sie sich mit dem Auto auf den Weg. Eine unverständliche Handlung, da sie mehrmals gewarnt wurde, auf dem Landweg zu reisen, und es beinahe voraussehbar war, dass sie San Vincente, welches mitten im Zentrum der gerade von den Militärs wieder eroberten Guerillazone liegt, nicht erreichen würde. Die Guerilla versucht nun, sie als Druckmittel gegenüber der kolumbianischen Regierung zu benutzen. Ihr Wahlkampf wird derzeit von ihrem zweiten Ehemann und ihrer Mutter weitergeführt.

Betancourt, Ingrid: Die Wut in meinem Herzen. List Verlag: München 2001, 256 Seiten, 19 Euro

Rechtspopulist gegen Dinosaurier

Dreistigkeit kennt keine Grenzen. Am 11. April fuhr ein Auto mit Sprengstoffexperten der Polizei vor dem zentral gelegenen Regionalparlament in der Millionenstadt Cali vor. Die Hand voll uniformierter Männer drangen in das Gebäude ein, riefen die Abgeordneten während der Sitzung auf, schnellstens durch die Notausgänge den Saal wegen einer Bombe zu verlassen und in einen bereit gestellten Bus zu steigen. Nichts Böses ahnend, folgten zwölf Politiker den Forderungen und wurden abtransportiert. Erst im Bus merkten sie, dass es sich nicht um Polizei, sondern um Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) handelte.
Somit befinden sich seit dem Ende des Friedensprozesses bereits 18 Regional- oder Kongressabgeordnete und eine Präsidentschaftskandidatin in den Händen der Guerilla, die in den letzten Wochen spektakulär entführt wurden. Ingrid Betancourt, die Kandidatin der Grünen Partei Kolumbiens, wurde bereits Ende Februar verschleppt, als sie in einem Jeep nach San Vicente del Caguán fahren wollte, einst Hochburg der FARC in der entmilitarisierten Zone. Seitdem weiß niemand, wo sie steckt oder ob sie noch am Leben ist.
„Seitdem sie entführt wurde, gab es nicht einen einzigen Besuch der Polizei bei uns, um Informationen über die Entführung zu bekommen”, beschwert sich ihr Ehemann Juan Carlos Lecompte, der im Wahlkampfbüro die wenigen Aktivitäten leitet. Die Regierung interessiere sich nicht für den Fall, gesucht werde sie schon gar nicht. Nun müssen er und die Mutter von Ingrid Betancourt den Wahlkampf machen.
Konsequenzen hatte der Fall Betancourt weniger bei ihren Umfragewerten – diese liegen kontinuierlich bei einem Prozent –, als vielmehr für die FARC. Die besonders in Frankreich populäre Halbfranzösin Betancourt kann sich auf eine Kampagne der dortigen Grünen stützen, welche den FARC kürzlich gedroht hatten, sie innerhalb der EU als terroristische Organisation registrieren zu lassen, sollte die Kandidatin nicht bis Ende April freigelassen werden. Nach der Entführung der Abgeordneten in Cali schloss die mexikanische Regierung auf Druck des kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana das Büro der FARC in Mexiko-Stadt.

“Harte Hand für die Guerilla”

Im Zuge der „Terrorisierung” der FARC, die mit blutigen Anschlägen in der letzten Zeit nur einer Militärlogik zu folgen scheinen, nutzen fast alle Präsidentschaftskandidaten diese Entwicklung in ihrem Wahlkampf. Besonders hervor getan hat sich der Partei-unabhängige Kandidat Álvaro Uribe Velez. Ende der neunziger Jahre aus der Liberalen Partei desertiert, hat sich der ehemalige Gouverneur der Provinz Antioquia zum Sprachrohr der Hardliner mit smartem Äußeren entwickelt. „Mit harter Hand und großem Herz” – so sein Wahlslogan – wolle er als Präsident das Land umkrempeln.
Seine Versprechen können kaum populistischer sein: Aufstockung der professionellen Soldaten auf 100.000 Mann von derzeit rund 45.000 samt erhöhtem Militärhaushalt und Ausrottung der Guerilla. Für dieses Ziel, das finanzpolitisch wegen der angespannten Haushaltslage nicht realisierbar ist, lädt er offen zu einer internationalen Militärintervention in Kolumbien ein.
Hatte er noch Ende 2001 mit seiner harten Linie gegen Friedensverhandlungen nur jeden zehnten Wähler überzeugen können, schnellten seine Umfragewerte nach Ende des Friedensprozesses mit der FARC in die Höhe. Im März deutete eine 60-prozentige Zustimmung für ihn auf einen Sieg bereits im ersten Wahlgang am 26. Mai hin. So drückt die Bevölkerung ihre Frustration wegen dem auf dem Verhandlungsweg scheinbar nicht lösbaren Konflikt aus.
Die tiefe Ablehnung des 49-jährigen Uribe Velez von Friedensverhandlungen resultiert aus den achtziger Jahren. Sein Vater, ein Landbesitzer, wurde von den FARC erschossen. Der Sohn konnte nie verstehen, wie Pastrana 1998 dieser Guerilla ein Gebiet von der Größe der Schweiz für Friedensverhandlungen ohne Konditionen überlassen konnte. Damals noch Gouverneur von Antioquia, sollte er eine ganz andere Politik verfolgen, die ihm den Ruf eines Paramilitär-Unterstützer einbrachte.

Großes Herz für die Paramilitärs

Während seiner dreijährigen Amtszeit als Gouverneur forcierte Uribe Velez die Gründung von Convivir-Gruppen, eine unter Präsident Samper legalisierte Form von Selbstverteidigungsgruppen, die in den ländlichen Gebieten gegen die Guerilla vorgehen sollte. Laut Menschenrechtsorganisationen hatten diese Gruppen enge Verbindungen zu den Paramilitärs aufgebaut und sollen mitverantwortlich für Massaker gewesen sein, die besonders in der von Uribe Velez regierten Provinz anstiegen. 200.000 Menschen flohen damals wegen dem verschärften Konflikt aus ihrer Heimat. Ihm wurde vorgeworfen, der intellektuelle Urheber für ein Massaker in einem Medelliner Armenviertel gewesen zu sein. 1998 wurden die Convivir-Gruppen wieder für illegal erklärt.
Spricht man Uribe Velez auf diese Punkte an, wird er aggressiv und versucht auszuweichen. Bohrenden Journalisten hält er immer wieder Zahlen vor, wonach er in Teilen Antioquias mit der Guerilla aufgeräumt habe. So sei die Bananenregion Urabá „befriedet” worden. Dort herrschen seit den letzten Jahren jedoch brutal die rechten Paramilitärs.
Der Mann, der als Oberschichtsjunge nach einem Studium in Oxford und Harvard eine typische Beamtenlaufbahn in der Medelliner Verwaltung begann, hat dunkle Flecken in seiner Biografie. Anfang der neunziger Jahre soll er enge Kontakte zum Ochoa-Clan unterhalten haben, der zum Drogenkartell von Pablo Escobar gehörte. Dem britischen Journalisten Simon Strong, der für sein Buch „Whitewash” 1994 zu den Drogenkartellen recherchierte, drohte Uribe Velez vor einer Veröffentlichung eines Interviews, das er mit ihm geführt hatte. Als der Journalist in einem Medelliner Restaurant Fragen an den damaligen Abgeordneten Uribe Velez zu einem seiner politischen Unterstützer stellte, der Jahre zuvor enge Kontakte zu Pablo Escobar gepflegt haben soll, rannte Uribe Velez wutschnaubend aus dem Restaurant heraus. Vor der Tür erwartete den Journalisten der jetzige Präsidentschaftskandidat, Drohungen speiend, mit erhobener Faust und umringt von Bodyguards.
Seinen Willen zur Präsidentschaftskandidatur äußerte Uribe Velez 1999 auf einer Galaveranstaltung, auf der er zeitgleich zwei anwesende Armeegeneräle hochleben ließ. Fernando Millan und Rito Alejo del Rio sollten später vom Militärdienst ausgeschlossen werden, nachdem ihnen enge Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen und eine Mitverantwortung für Massaker nachgewiesen wurde. Dies hielt Uribe Velez aber in der Folgezeit nicht davon ab, die beiden Militärs bei mehreren Gelegenheiten für ihr „ehrenhaftes Verhalten” hochleben zu lassen und ihnen jede Verletzung von Menschenrechten abzusprechen.
Neben früheren Kontakten zum jetzigen Chef der paramilitärischen Selbstverteidigungsgruppen AUC, Salvatore Mancuso, ließe sich die Liste von dunklen Verbindungen Uribe Velez auf seiner Karriereleiter fortsetzen. Derzeit präsentiert sich der Kandidat für die Präsidentschaft als Saubermann, den offenbar niemand in den kolumbianischen Medien antasten will. „Viele von Uribes Anhängern unterstützen ihn, weil sie von ihm ein autoritäres Regieren erwarten“, meint der Analyst Marco Romero von der Nationaluniversität. „Das lässt viele Menschen befürchten, dass seine extrem rechte Auffassung von öffentlicher Ordnung nicht mit demokratischen Spielregeln in Einklang zu bringen sein werde.” Ob das Nicht-Antasten der Vergangenheit von Uribe Velez ein Produkt der Angst oder gewollte Unterstützung der Medien bedeutet, weiß nur der Kandidat selber.

Nachsehen für den Dinosaurier

„Ich wähle Uribe Velez”, sagt eine Ladenbesitzerin in einem kleinen Dorf nahe Bogotá. Ob sie denn nicht dessen offensichtliche Verbindungen zum Paramilitarismus beunruhige? „Das interessiert mich nicht, der Mann greift durch.“ So denken die meisten KolumbianerInnen vor den Wahlen, die in Uribe Velez nun den neuen Messias sehen, der nach der „Schande Pastrana” – so die Besitzerin, nun mit der Guerilla aufräumen wird.
Bomben, die in den ersten Apriltagen in Bogotá und Villavicencio explodiert waren, geben der Wahlkampfmaschinerie von Uribe Velez noch Nachschub. Am 14. April explodierte in der Karibikstadt Barranquilla eine Bombe auf einer Straße, kurz nachdem die Wahlkampfkolonne von Uribe Vélez daran vorbei fuhr. Sechs Menschen starben, darunter drei Bodyguards von Uribe Velez, dessen Auto stark beschädigt wurde. Unbeeindruckt rief er in die Kameras, dass nur eine „autoritäre Regierung” diesem Terror ein Ende setzen könne.
Das Nachsehen im Wahlkampf hat wieder einmal der selbst ernannte Dinosaurier der Liberalen Partei, Horacio Serpa. Nachdem er bereits 1998 wie der sichere Sieger vor den Wahlen aussah, stahl ihm Andrés Pastrana mit einem Treffen bei den FARC die Show. Dieses Mal ist es Uribe Velez, der ihn von anfangs Platz Eins in den letzten Umfragen abstürzen ließ. „Ich bin ein linker Demokrat aus Barrancabermeja”, stellte sich der schnauzbärtige Serpa Ende April bei einem inoffiziellen Treffen mit internationalen Journalisten vor. Er komme aus einer armen Familie und wisse genau, was die Leute brauchen und warum der Konflikt nicht á la Uribe beizulegen sei. Sein Credo: „Bekämpfung der Armut, soziale Gerechtigkeit”. Abgelutschte Schlagwörter, die jeder sozialdemokratische Kandidat auf der Welt formhalber auflistet und denen die Leute auf den kolumbianischen Straßen keinen Glauben mehr schenken.
Seinem ärgsten Widersacher Uribe Velez wirft Serpa eine „Pastranisierung” vor, bezogen auf den Publicity-Wahlkampf des noch amtierenden Präsidenten von 1998. Dass er im Falle Uribe nun das Gleiche tut, zeigen seine Erfahrungen aus der Vergangenheit. In seiner 32-jährigen Laufbahn bei den Liberalen führte er 1994 den Wahlkampf des späteren Präsidenten Ernesto Samper. Nach wenigen Monaten im Amt wurden Samper und der Liberalen Partei nachgewiesen, Gelder von Drogenhändlern entgegen genommen zu haben. (siehe LN 333) Den Umstand nutzte Pastrana 1998 gründlich aus, um auf Stimmenfang zu gehen.
Serpa ist anzumerken, dass er sich nicht wieder die Butter vom Brot nehmen lassen will und gibt sich weiterhin siegessicher. Uribe Velez, den er offen als Kandidaten der Paramilitärs markierte, will er die nächsten Wochen mit einer Klage konfrontieren lassen, die er bereits Ende März einreichte, und welche „die Unterstützung eines Kandidaten durch illegale Gruppen” nachweisen soll. So lässt sich ein schmutziger Wahlkampf im Mai voraussagen, der tatsächlich auf schmutzigen Grundlagen beruht. Dass dabei das kleinere Übel gegen das Große agiert, ist typisch kolumbianisch.
Jedoch einen wichtigen Effekt zeigt diese Entwicklung: Serpa, mit dem Rücken an der Wand, könnte in seinem Ehrgeiz die letzten Wochen vor der Wahl versuchen, die paramilitärischen Verbindungen von Uribe Velez ans Licht zu bringen, um so Unsicherheit bei den Wählern zu verbreiten. Der Wahlkampf würde sich somit nicht nur auf die Guerilla versteifen, sondern auch den Paramilitarismus thematisieren. Bereits jetzt findet Serpa klarere Worte gegen diese Gruppen, ob es sich im Falle eines Wahlsieges aber auch in Aktionen äußern wird, ist bisher zu bezweifeln. Schließlich hatten liberale Regierungen zuvor auch die Paramilitärs schalten und walten lassen oder sie regional unterstützt.

Und die Linke?

Nutznießer diese Hahnenkampfs könnte neben der unabhängigen und farblosen Kandidatin Noemí Sanin, die zeitweilig an zweiter Stelle lag, auch der linke Kandidat Eduardo „Lucho” Garzón werden. Der ehemalige Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CUT ist der Kandidat der vor knapp zwei Jahren gegründeten Frente Social y Político, einem Bündnis linker Parteien, sozialer Organisationen und unabhängiger Personen. Nach den Massenmorden an Mitgliedern und Kandidaten der linken Unión Patriótica UP Ende der achtziger Jahre sollte es nie zu gemeinsamen Bündnissen dieser zerstrittenen Gruppen kommen. Erstmals einigten sich diese nun auf Garzón, der kritisch, aber mit kühlem Kopf, die aktuelle Entwicklung in Bezug auf die Guerilla beurteilt.
Während alle weiteren Kandidaten die Kriegstrommel mehr oder weniger heftig schlagen, spricht er sich weiter für eine Verhandlungslösung im innerkolumbianischen Konflikt aus, da „nach Tausenden Toten sowieso wieder verhandelt werden wird.” Nach seiner Ansicht lässt sich die Guerilla nicht militärisch besiegen, dies koste Zehntausende Tote.
Einen großen Erfolg konnte er bei den Parlamentswahlen Ende März verbuchen. 17 unabhängige Parlamentarier gaben bekannt, ihn im Wahlkampf zu unterstützen. Seine Umfragewerte liegen bei nur etwa drei Prozent. Aber bei den schwierigen Bedingungen für legale Linke auf Grund der permanenten Mordanschläge ist dies ein Achtungserfolg, der sich bis zu den Wahlen 2006 ausbauen liesse.

Konservative Partei am Ende

Den vielleicht letzten Todesstoß musste die Konservative Partei von Präsident Andrés Pastrana bei den Wahlen Ende März hinnehmen. Nachdem Pastrana seit dem Ende der Verhandlungen am 20. Februar in den Köpfen der KolumbianerInnen weiterhin abgeschrieben ist, konnten sich die Wähler offenbar auch nicht mehr an seine Partei erinnern. Ganze 10 Prozent fuhren die Konservativen ein, ihr Präsidentschaftskandidat wurde umgehend zurück gezogen. Die Partei spaltete sich in Unterstützer für Uribe Velez, der andere Teil für Serpa. Damit geht letztendlich eine Zwei-Parteien-Dynastie in Kolumbien zu Ende, in der Liberale und Konservative jahrzehntelang den Präsidenten stellten.
Der Umbruch in der Parteienlandschaft sagt allerdings nichts über die Machtverteilung in Kolumbien aus. Wurden diese beiden Parteien dauerhaft von den Eliten des Landes beherrscht, gibt es nun flexiblere Einzelkandidaten, hinter die man sich stellen kann, ohne politische Altlasten mit sich herumzuschleppen. In einer Zeit, in der Krieg gegen die Guerilla angesagt und der Paramilitarismus immer hoffähiger wird, kommt Uribe Velez wie gerufen.

Rückkehr in den Krieg

Augusto sucht sich eine bequeme Position zwischen zwei Reissäcken und schiebt seine verschmutzte Mütze in den Nacken. „Bloß nicht die Orientierung verlieren“, sagt er mit leicht gequälter Stimme, nachdem das Schaukeln des knarrenden Holzfrachters, beladen mit Lebensmitteln einer deutschen NRO, immer stärker wird. Es ist sechs Uhr früh an einem Januarmorgen, das erste Licht verrät die ziemlich hohen karibischen Wellen.
Während einige dickleibige Frauen an Bord ein spärliches Frühstück aus Reis und Kartoffeln herrichten und andere Passagiere sich schon vor dem Essen an der Reling übergeben, erzählt der in die Jahre gekommene Kolumbianer die Geschichte seiner Gemeinde am Cacarica-Fluss, die vor fünf Jahren zum Symbol des Konfliktes in ihrer Region wurde. „Am 24. Februar 1997 hörten wir Armee-Hubschrauber über unserem Dorf, dann fielen in der Nähe Bomben,“ beginnt er. „Kurz danach kamen Bewaffnete in unser Dorf und töteten einige Bewohner. Einem schnitten sie den Kopf mit einem Machetenhieb ab und spielten vor den Augen einer Minderjährigen damit Fußball.“
Ihre Peiniger waren paramilitärische Gruppen, die eng mit der Armee zusammenarbeiten und die Leute auch nach der Flucht nicht in Ruhe ließen. „85 Menschen wurden in den letzten Jahren bei uns umgebracht oder sind spurlos verschwunden. Unter dem Vorwurf, Guerilla-Sympathisanten zu sein,“ berichtet Augusto.

Kampf um die Rückkehr

Über 2500 Menschen mussten vor fünf Jahren den Cacarica-Fluss verlassen und in die stinkende, vom Bananenhandel lebende Küstenstadt Turbo flüchten. Nur etwas mehr als 1.000 BewohnerInnen sind vor zwei Jahren etappenweise wieder zurückgekehrt. Viele blieben in Turbo, um dort zu leben, zu arbeiten oder mit etwas Glück zu studieren. Während sich jedoch in den meisten Fällen Dorfgemeinschaften auf alle Zeiten auflösen, konnten die meisten Cacarica-BewohnerInnen ihren Zusammenhalt bewahren. Sie suchten nicht einen Platz in irgendeinem Elendsviertel der kolumbianischen Städte, sondern kämpften für die Rückkehr auf ihr Land. „Es hat Jahre gedauert, bis uns der Staat formell Hilfe dafür zugesagt hatte. Uns war klar, dass wir inmitten des Konfliktes zurückkehren und uns somit neuer Gefahren aussetzen werden,“ so Augusto. Bürokratischen Hindernissen und weiteren Drohungen boten die BewohnerInnen die Stirn und erlangten letztendlich vom Staat ein Zertifikat über mehr als 100.000 Hektar ihres Heimatlandes. Ausgehandelte finanzielle und technische Hilfe blieben bis heute jedoch weitgehend aus.
Nachdem sich der Holzkahn endlich gemächlich den breiten Atrato-Strom hinauf bewegt, können die Leute an Bord ausruhen. Zwölf Stunden Flussfahrt, umgeben von Palmen und Tropenwäldern, stehen ihnen bevor. Die Ruhe macht es unbegreiflich, dass sich in dieser grünen Ewigkeit solche Tragödien abspielen können. „Wirtschaftliche Gründe“, erklärt der Steuermann des Schiffes, eine glimmende Zigarette im zerfurchten Gesicht. „Auf Backbordseite bemüht sich eine Papierfirma um eine Lizenz zur Rodung des Waldes, um Papier daraus machen zu können.“ Er fahre seit Jahren den Fluss entlang, manchmal nehme er auch Aufträge von Holzfirmen an, um die Schnittware in den Hafen zu transportieren, erklärt er. In den letzten Jahren wurden Tausende Hektar feinster Edelhölzer abgeholzt, die meist direkt nach Nordamerika exportiert werden. „Das meiste Holz wurde illegal geschnitten, aber das schert hier niemanden“, schließt er und widmet sich seinem Steuerrad.
Neben umfangreichen Abholzungen gibt es in der Region weitere Großprojekte. Seit Jahren liegen bei den kolumbianischen Behörden Pläne für einen innerozeanischen Kanal in den Schubladen, der den Pazifik mit der Karibik verbinden soll, um dem Panamakanal Konkurrenz zu machen. Einige Pläne sollen so weit gegangen sein, die hinderlichen Berge mit Mini-Atomsprengköpfen aus dem Weg zu räumen. Ein weiteres Projekt ist die Verbindung der Panamericana-Straße, die von Alaska bis Chile reicht und nur hier wegen der natürlichen Gegebenheiten unterbrochen ist. Weiter oben am Fluss steht ein in Morast versunkener Pfeiler, der Puente America heißt, „Brücke Amerika“. Weiter ist man bisher nicht gekommen.

Heftige Gefechte

Die Realisierung von nur einem dieser Pläne würde dem einzigartigen Artenreichtum der Region ein Ende setzen, die eine der höchsten Biodiversitäten der Welt besitzt. Die BewohnerInnen von Cacarica führen seit Jahren einen opferreichen Kampf gegen diese Vorhaben. Denn wie auch in anderen Landesteilen, die unter dem Bürgerkrieg leiden, geht es hier um militärische Vorherrschaft in einem wirtschaftlich attraktiven Gebiet, das große zukünftige Gewinne verspricht. Am unteren AtratoFluss herrschen die Paramilitärs, während weiter oben die FARC-Guerilla aktiv ist.
Im September letzten Jahres wurden 18 tote Paramilitärs an den kleinen Hafen der Ortschaft Riosucio angespült. Die Kadaver schwammen einen Tag aufgedunsen im Wasser, die BewohnerInnen haben routiniert weggeschaut, da man damit nichts zu tun haben wollte. Erst ein staatliches Ärzteteam mit Booten holte die Leichen aus dem Wasser. In regelmäßigen Abständen kommt es zu heftigen Gefechten im Chocó, bei denen nur selten jemand wirklich weiß, wie viele Tote es gibt.
Unter Taschenlampenlicht erreicht der Frachter in der Nacht sein Ziel. Ein Dutzend Einbäume, besetzt mit Familienangehörigen, wartet bereits seit Stunden auf die Passagiere und die Lebensmittel an Bord. Alles beginnt sich nach stundenlanger Trägheit erleichtert zu bewegen. Säcke mit Materialien, Gepäcktaschen und Kisten wechseln in Windeseile die Boote. Die Menschen umarmen sich, lachen und surren schließlich mit Außenbordmotor bestückten Einbäumen in die Dunkelheit davon.
Früh am nächsten Morgen treffen sich die Mitglieder des Planungskomitees des Dorfes Esperanza de Dios („Gottes Hoffnung“), um die Verteilung der Lebensmittel, die durch eine internationale NRO bereitgestellt wurden, vorzubereiten. Einige bekommen 100 Prozent, das heißt sechs Liter Öl, zwei Kilo Seife, ein Sack Reis und drei Kilo Zuckerrohrblock. Andere dagegen nur die Hälfte, manche auch überhaupt nichts. „Wir beurteilen bei der Entscheidung das Engagement der Leute bei der Gemeindearbeit“, erklärt Pascal das System. Er gehört zum Komitee und bereitet die Listen der Empfängernamen vor. „Es ist wichtig, dass die Leute nicht vergessen, dass ein starker Zusammenhalt lebenswichtig für uns ist. Viele helfen nicht auf den Feldern, um den Reis- und Maisvorrat für die Gemeinde in Notfällen anzulegen. Und umsonst gibt es nichts.“
Um seine Begründung zu unterstreichen, erwähnt er einen Vorfall vom November letzten Jahres. „Die gleichen Paramilitärs, die uns vor fünf Jahren vertrieben haben, verbrannten 40 Tonnen unserer Reisernte. Wir standen wieder vor dem Problem, nicht genügend zu essen zu haben. Deswegen ist diese Lebensmittellieferung so wichtig für uns.“ An der ausweglosen Situation der Menschen hat sich nicht viel geändert. Was sie hier hält, ist der unbezwingbare Wille, dem anhaltenden Konflikt und den Bedrohungen zu trotzen und weiter hier zu leben.
Aber eben nicht alle. Einige der jüngeren BewohnerInnen, die damals geflohen sind, arbeiten mit den gut zahlenden Paramilitärs zusammen oder haben sich in ihre Reihen eingegliedert. So soll vor einem Jahr bei einem Auftauchen der Paras ein ehemaliges Gemeindemitglied dabei gewesen sein. Ausdruck einer ausweglosen Situation in einem Krieg, der finanziell verlockend ist und Bewaffneten mehr Sicherheit bietet als ZivilistInnen.
Ein ehemaliger Präsident der Gemeinde wurde im September letzten Jahres aus der Gemeinde rausgeworfen, nachdem er Geschäfte mit der Holzfirma El Darién gemacht haben soll. Diese bieten pro gefälltem Baum auf dem Gemeindeland etwas mehr als umgerechnet einen Euro. Im internationalen Handel liegt der Wert eines ausgewachsenen Tropenbaums rund tausend Mal höher. Zwar lehnten die BewohnerInnen das Angebot ab, doch die Firma holzt unter dem Schutz der Paras trotzdem weiter in großen Umfang ab.

Paramilitärs korrumpieren die Menschen im Chocó

„Wir wissen, dass die Paramilitärs weiter auf unserem Gemeindeland sind, sie haben sogar ihr Camp auf unserem Gebiet“, erläutert Pascal. „Sie sagten uns bei ihrem letzten Besuch, dass wir großflächig afrikanische Ölpalmen und Koka anbauen sollen. Nur so lasse sich viel Geld verdienen, nicht mit dieser Gemeindearbeit.“
Um sich vor Übergriffen zu schützen, planen die Menschen mit Hilfe der Unterstützerorganisation „Gerechtigkeit und Frieden“ die Einzäunung der zwei Gemeindeweiler mit Stacheldraht und Flutlicht. Leben in einem Gefängnis. Ein Frühwarnsystem soll den BewohnerInnen bei einem Auftauchen der Bewaffneten ermöglichen, zivilen Widerstand zu organisieren. Wie genau dieser aussieht, wissen die Menschen hier zwar nicht, aber von hier vertreiben wird sie niemand mehr, wie das Komitee einstimmig äußert.
Trotzdem – und obwohl Mitglieder der Internationalen Friedensbrigaden und amnesty international anwesend waren – betraten Anfang Februar Paramilitärs die Cacaricagemeinde, verschleppten einen Bewohner und töteten einen weiteren.
Es ist ein Kampf zwischen David und Goliath, der ohne internationale Unterstützung wohl noch schlechter für die BewohnerInnen des Cacarica-Flusses aussehen würde. Gewonnen hat bisher noch niemand, aber es ist unübersehbar, dass ein Überleben sowohl politisch als auch organisatorisch für die Menschen schwierig ist. Denn es fehlt an allem.
Die Kinder zeigen Krankheitssymptome, die heilbar wären. Kinderlähmung gehört zum gravierendsten Problem, die Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen liegt bei fünf Prozent. Zudem ist die Ernährung schlecht. Die Hühner sind kürzlich fast alle an Pest eingegangen, eine Schweinezucht scheint fehlzuschlagen, weil man die Tiere nicht ernähren kann. Und für Kühe fehlt der Gemeinde der Mut, obwohl man so die Unterernährung der Kinder mit Milchrationen lindern könnte. „Das lockt die Paramilitärs an, welche die Kühe für sich schlachten würden”, meint Pascal.

Auf dem rechten Wege

Der Krieg ist ein Fest“, brachte es ein kolumbianischer Philosoph auf den Punkt – in einem Artikel, der bereits 1985 nach Beginn des Malvinenkriegs zwischen Argentinien und England erschien. Eine kleine kolumbianische Zeitschrift kramte nun eben diesen Artikel aus ihrem Archiv und druckte ihn ab, nachdem am 20. Februar der seit drei Jahren geführte Friedensprozess zwischen Regierung und FARC-Guerilla abgebrochen wurde. „‘Ehre, Patriotismus und Prinzipien’ sind die Schlagwörter, die den Wunsch nach diesem kollektiven Besäufnis (namens Krieg) rechtfertigen“, heißt es darin. Dies trifft auch auf den kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana zu, der den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens FARC mit einem „Heer von 40 Millionen Kolumbianern“ drohte, die sie bekämpfen würden.
Dass auf ein Besäufnis meist der lange Kater folgt, sollte das Land schon nach den ersten Tagen der Kriegshandlungen zu spüren bekommen. Über Wochen und Monate war die Stimmung gegen die Guerilla angeheizt worden. Die Armee rasselte mit ihren neuen Säbeln made in USA und die aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten übertrafen sich in militärischen Absichtserklärungen. Rund drei Viertel der Bevölkerung befürworteten schließlich eine militärische Bekämpfung der Guerilla, nachdem sie des schleppenden Friedensprozesses müde waren. Sie wollten endlich schnelle Erfolge sehen.
Doch schon nach einer Woche wurde deutlich, dass die FARC an militärischer Schlagkraft gewonnen hatten und die Armee nur äußerst vorsichtig gegen die Guerilla zu agieren begann. Von einem Blitzsieg war nichts zu sehen. „Es wird mindestens ein halbes Jahr dauern, bis wir die ehemalige FARC-Zone wieder unter Kontrolle haben“, verkündete der Oberkommandeur der kolumbianischen Streikräfte Fernando Tapias Ende Februar. Tapias spricht hier von einer Zone, welche die Streitkräfte nie kontrolliert hatten. Die Armeepräsenz der letzten Jahrzehnte war im Süden des Landes auf urbane Zentren beschränkt, und so scheint es auch zunächst zu bleiben. Rund 5.000 Soldaten wurden per Hubschrauber in den fünf wichtigsten Bezirksstädten abgesetzt. Kam es zu Gefechten, dominierten die Rebellen das Geschehen frei nach Clausewitz’ Strategie, selbst zu bestimmen, wo und wann gekämpft wird. Während die Armee sich auf die ehemals entmilitarisierte Zone konzentrierte, verübte die Guerilla landesweit Anschläge oder brachte die der Zone angrenzenden Orte in Bedrängnis (siehe folgender Artikel). Große Gebiete des Südens wurden von der Guerilla isoliert. In der Provinz Valle del Cauca starteten die FARC zusammen mit dem kleineren Nationalen Befreiungsheer (ELN) Ende Februar eine Offensive gegen die Paramilitärs. Über 50 Autodefensas wurden getötet. Weitere ähnliche Offensiven sollten in nördlicheren Landesteilen folgen.

Ein teurer Krieg ohne Erfolge

Als Antwort auf die angespannte Situation rief die kolumbianische Regierung am 1. März für 19 Bezirke in den südlichen Landesteilen den Kriegszustand aus. Damit bekam erstmals in der Geschichte Kolumbiens die Armee das Recht, die öffentliche Ordnung in den betroffenen Gebieten zu kontrollieren und gegebenenfalls das Zivilrecht einzuschränken. Eine Fläche von der größe etwa halb Deutschlands wurde faktisch zum Kriegsgebiet erklärt.
Dass es den Zivilisten in der neuen Kriegsrunde nicht nur ans Recht, sondern auch ans liebe Geld gehen würde, versuchte Wirtschaftsminister Juan Manuel Santos Anfang März auf einer Regierungskonferenz seinen Landsleuten schmackhaft zu machen. Jeder Kolumbianer solle das Einkommen eines Arbeitstages pro Jahr opfern, um die Streitkräfte zu finanzieren. Damit verdutzte er nicht nur den anwesenden Verteidigungsminister, sondern auch Präsident Pastrana. Nach einer sofortigen breiten Ablehnung mehrerer sozialer Sektoren revidierte dieser seinen Minister und stellte das finanzielle Kriegsopfer auf eine Freiwilligkeitsbasis. Allerdings kündigte Pastrana zeitgleich an, rund 120 Millionen Euro für eine Aufstockung des Militärhaushalts bereitzustellen und Wehrpflichtige vier Monate länger zum Kriegsdienst zu verpflichten. Die somit verfügbaren 10.000 neuen Soldaten hätten die Aufgabe, die Infrastruktur wie Brücken und Strommasten zu schützen, die sich die Guerilla offenbar zum militärischen Hauptziel auserkoren hatte.
Die Kosten würden hoch sein, kündigte Pastrana im Februar an. Schon drei Wochen später sahen die Kolumbianer die Rechnung präsentiert, die in ihren Augen keine annehmbare Summe trägt. Denn die schnellen Erfolge sind bisher ausgeblieben. Pastrana sollte die Entrüstung der KolumbianerInnen deutlich zu spüren bekommen: Auf der Beerdigung des am 16. März von Unbekannten erschossenen Erzbischofs von Cali wurde der Präsident minutenlang von tausenden von Menschen ausgepfiffen.

Ein Parlament der Paramilitärs

So läutete das Ende der Verhandlungen die heiße Wahlkampfphase ein, die Ende Mai in die erste Runde der Präsidentschaftswahlen münden soll. Den am 10. März abgehaltenen Parlamentswahlen brachte das Wahlvolk wenig Interesse entgegen. Das Ergebnis zeigte eine Polarisierung, einhergehend mit einer Schlappe für die traditionellen Parteien. Am härtesten traf es die Konservative Partei von Präsident Pastrana, die nur knapp zehn Prozent der Sitze im Parlament erreichte und somit in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht. Nur einen Tag später wurde deren Präsidentschaftskandidat Juan Camilo Restrepo zurückgezogen, um sich dem unabhängigen Rechtskandidaten Álvaro Uribe Vélez, der den Ruf eines Paramilitär-Anhängers hat, anzuschließen. Dieser kann bei einem Sieg in der Präsidentschaftswahl mit einer breiten Unterstützung der Abgeordneten rechnen.
Vor der Abstimmung wurden Stimmen laut, die eine „Paramilitarisierung“ des Parlaments befürchteten. So sollen die rechten Milizen während des Wahlkampfs eigene Kandidaten auf die Listen gesetzt oder Sympathisanten unterstützt haben. Die Paramilitärs selber gaben nach der Wahl bekannt, dass sie in dem neuen Parlament rund 30 Prozent Verbündeter sitzen haben werden. Zwar konnten auch linke Kandidaten überraschende Erfolge verzeichnen, aber eine rechte Dominanz von überwiegend so genannten „unabhängigen Kandidaten“ wird die zukünftige Politik des Landes bestimmen.

Die ELN – Lückenbüßer im gescheiterten Friedensprozess

Unter diesen Bedingungen erscheint es beinahe anachronistisch, dass Anfang März die ausgediente Regierung von Pastrana kurz vor der Unterzeichnung eines Abkommens mit der ELN-Guerilla stand. Auf Kuba einigten sich beide Seiten auf einen sechsmonatigen Waffenstillstand. Laut ELN-Kommandant Pablo Beltrán soll damit eine staatliche Finanzierung der Guerilla einhergehen, damit diese die Entführungen einstelle und sich im „öffentlichen Raum“ politisch einbringen könne. Laut Beltrán sollen sich die Wirtschaft und die Medien bei dieser Finanzierung beteiligen. Die Medien sollen darüber hinaus „eine Rolle entwickeln, die eine pädagogische Aktion für den Frieden bewirken soll, statt den Krieg in Kolumbien anzuheizen.“ Dass diese Forderung bei der herrschenden Klientel in Medien, Wirtschaft und Politik auf Gegenliebe stoßen wird, darf man derzeit getrost bezweifeln.
In den letzten Jahren hat sich die ELN in der Friedensdiplomatie bei der Pastrana-Administration zu einem Lückenfüller während der ausgesetzten Gespräche mit den FARC entwickelt. Gingen diese Gespräche weiter, ließe man die kleine Guerillagruppe wie eine heiße Kartoffel fallen. Wahrscheinlicher ist jedoch das Szenario, dass die ELN in den Sog der nationalen und internationalen Terrorismusbekämpfung geraten wird, dessen Stärke die FARC vorgeben. Ende Februar wurden gegen kolumbianische Guerillaführer internationale Haftbefehle ausgestellt, auf FARC-Chef Marulanda und einige Kommandanten wurde ein Millionen-Kopfgeld ausgesetzt. In Washington präsentierte sich dieser Tage ein angeblich ehemaliger FARC-Guerillero als Kronzeuge, der die Rebellen des weltweiten Drogenhandels und der Zusammenarbeit mit internationalen Terrorgruppen wie der IRA bezichtigt. Er kommt zur rechten Zeit. Gegen drei in den USA inhaftierten FARC-Guerilleros soll nun ein Prozess wegen Drogenhandel eingeleitet werden. Das Ziel: Am 23. März will die Bush-Regierung den Kongress um eine Petition bitten, die die militärische US-Unterstützung für die Drogenbekämpfung auch gegen Rebellen ausweiten soll. Der Zug für Friedensverhandlungen dürfte damit endgültig abgefahren sein.

Die Herren der Selva

Nervös rutscht Yolanda Nossa auf ihrem Stuhl umher und zündet sich eine Zigarette an. Das Rauchen habe sie eigentlich aufgegeben, aber heute sei kein Tag wie jeder andere. Sie ist die Koordinatorin des sozialen Hilfswerks, einer kolumbianischen Institution, die in Krisensituationen Notmaßnahmen koordinieren soll. Eine Krisensituation herrscht seit dem 20. Februar. An diesem Tag beendete der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana die seit drei Jahren laufenden Friedensverhandlungen mit den kommunistischen Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC-EP) und ließ eine militärische Großoffensive gegen die mehr als 20.000 bewaffneten Rebellen starten.
Die Auswirkungen dieser Entscheidung bekommt besonders die Stadt zu spüren, in der Yolanda Nossa ihr Büro hat. Florencia mit seinen 240.000 EinwohnerInnen liegt im Westen der tropischen Provinz Caquetá und nur drei Autostunden von der ehemals entmilitarisierten Rebellenzone entfernt. „Alle Welt schaut auf die Zone, aber nicht auf Florencia“, regt sich die Koordinatorin auf. „Hier braut sich eine Situation zusammen, die gravierender ist als in San Vicente.“ Dieser Ort galt die letzten drei Jahre als inoffizielle Hauptstadt der Guerilla, nachdem sich reguläre Truppen und Polizei aus einem Gebiet von der Größe der Schweiz zurückgezogen hatten.
Tatsächlich hatte man sich in dem 40.000-Seelenort besser auf ein Ende der Verhandlungen vorbereitet als in Florencia. Während man rund 180 Flüchtlinge, die in den ersten Tagen auf Grund der Bombardierungen angekommen waren, selbst versorgen konnte, herrscht in Florencia logistisches Chaos. Die Stadt ist weder auf eine durchgeplante Versorgung von Flüchtlingen vorbereitet, noch zur Gewährleistung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung.
Auf einer am 25. Februar abgehaltenen Krisensitzung beim Bürgermeister wurden diese Mängel offensichtlich. Während die Verwaltung von Fehlinformationen der Medien sprach und die angespannte Situation herunterspielte, widersprach die Polizei und nannte die Lage der Stadt samt Region alarmierend. Hinter der Hand wurde gemunkelt, dass sich Einbruchs- und Kriminalitätszahlen erhöht hätten. Warum? Einheiten des ansässigen 12. Armeebataillons wurden Richtung Osten zum Einsatz gegen die Rebellen verlegt, Polizeieinheiten in auf dem Weg liegende Dörfer geschickt, um Polizeistationen zu verstärken. Also fehlen Sicherheitsmaßnahmen in einer Stadt, die als Knotenpunkt militärischer Operationen und Planungen gilt. Ein Umstand, den die Guerilla auszunutzen wusste.

Isolierung durch die Guerilla

Ziel der Guerilla war es, den Süden Kolumbiens zu isolieren. Schon nach einer Woche scheinen sie dies erreicht zu haben. Seit dem 21. Februar sprengten die FARC ein halbes Dutzend Brücken um Florencia, zerstörten zwei Telekommunikationstürme und zahlreiche Strommasten inner- und außerhalb der Stadt. Landesweit sind es ganze 163 in den ersten zwei Monaten dieses Jahres. Neben Sabotageaktionen an der Wasserversorgung, die Florencia auf dem Trockenen sitzen lassen, gibt es keinen Strom, kein Telefon und immer weniger Benzin. Hunderte Generatoren rattern in den Straßen, um ein Minimum an notwendiger Energie zu produzieren.
In Florencia wurden wenige Tage nach Abbruch der Verhandlungen die Lebensmittel knapp. Der zentrale Gemüsemarkt war am 25. Februar leer gefegt. Hamsterkäufe setzten ein, um sich mit den Resten für die nächsten Wochen zu wappnen.
Petitionen an Fluglinien und Transporteure, Benzin und Lebensmittel zu liefern, wurden abgelehnt. Flüge mit Treibstoff und Lastwagen-Konvois über die Gebirgszüge sind den Händlern zu gefährlich. Die Gefahr ist groß, von der Guerilla abgeschossen oder auf den teils unpassierbaren Straßen ausgeraubt zu werden. Am 1. März schickte die kolumbianische Luftwaffe eine erste Lieferung von 60 Tonnen Lebensmitteln und ein Treibstoffflugzeug in die Stadt, um die Grundversorgung wieder herzustellen.

Fehlende Kapazitäten bei der Armee

Die Guerilla war und ist weiterhin die Hausmacht im Süden Kolumbiens. Fast alle Straßen sind unter ihrer Kontrolle. Taxifahrer berichteten von mehreren Kontrollen der Guerilla zwischen San Vicente und Florencia, was auch der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt zum Verhängnis wurde: Um werbewirksam Souveränität und Mut im Wahlkampf zu beweisen, setzte sie sich am 23. Februar trotz Warnungen mit ihrem Team und einer französischen Fotojournalistin in Florencia in ein Auto Richtung San Vicente. Nur kurz darauf wurden sie von den FARC verschleppt.
Am 28. Februar trat General Gustavo Porras, verantwortlich für das Bataillon in Florencia, von seinem Posten zurück. „Mein Schritt ist kein Sieg der FARC und bedeutet nicht die Niederlage der Armee. Es ist nur die Entscheidung eines Verantwortlichen, dessen Aufgabe nicht realisierbar war“, begründete er seinen Rücktritt. Die Armee sei nicht in der Lage, die Infrastruktur der Zone zu schützen. Schon nach wenigen Kilometern außerhalb der Stadt überquert man Brücken, die unbewacht sind und deren Zerstörung nur eine Frage von Tagen ist.
Sein Vorschlag: Eine Bewaffnung der Zivilbevölkerung, um die Armee zu unterstützen. Das lässt sich als ein Versuch werten, die rechten Paramilitärs zu legitimieren, die als extralegale Milizen seit Jahren mit Gräueltaten und vielfachen Verbindungen zur Armee für Schlagzeilen sorgen. Fast täglich verüben diese Gruppen, deren Zahl auf 8.000 Kämpfer geschätzt wird, Massaker an der Zivilbevölkerung. Eine schmutzige Methode, um der landesweiten Guerillapräsenz Herr zu werden und deren soziale Basis zu eliminieren.

Bevölkerung zwischen den Fronten

Die Militäroperation „Thanatos“ – benannt nach dem griechischen Totengott – begrenzte sich in den Anfangstagen der Offensive auf Bombenabwürfe in der ehemaligen FARC-Zone und punktuelle Besetzungen von Ortschaften. Per Hubschrauber wurden Soldaten in den fünf wichtigsten Bezirksstädten abgesetzt. Landoperationen entwickeln sich jedoch nur sehr langsam. „Die Guerilla mischt sich in Zivil unter die Bevölkerung, das macht es für uns schwierig, die Terroristen auszumachen,“ beschwichtigte Fernando Tapias, Oberkommandeur der Streitkräfte.
Die Folgen für die Zivilbevölkerung sind fatal, da jeder Bauer dadurch zu einem potenziellen militärischen Ziel wird. In der ehemaligen Rebellenzone leben 120.000 Menschen. Viele versuchten in den ersten Tagen der Bombardierungen, das Gebiet zu verlassen. Nicht zuletzt auch wegen bereits kursierender Todeslisten der Paramilitärs, die einige BewohnerInnen wegen angeblicher Kontakte mit der Guerilla zur Flucht zwangen. Jedoch vergebens. Sowohl die Armee als auch die Guerilla ließen die meisten Menschen nicht ihre Straßensperren passieren, so dass für Hilfsorganisationen nicht absehbar ist, wie viele Flüchtlinge derzeit im Gebiet umherirren. Nachdem am 21. Februar das Dorf Rubi von der Luftwaffe bombardiert wurde – zwei Kinder und ein Erwachsener starben – sollen rund 500 Menschen die Flucht angetreten haben. Seitdem weiß niemand, wo diese verblieben sind.
Glück hatte eine in die Jahre gekommene Bewohnerin von San Vicente. Floralbina saß am Abend des 20. Februar mit Nachbarn und Freunden vor dem Fernseher, als Präsident Pastrana in einer außerordentlichen Ansprache das Ende der Verhandlungen ankündigte. „Wir konnten es erst nicht glauben, doch um ein Uhr nachts hörten wir die ersten Bomben in der Nähe der Stadt detonieren“. Früh am Morgen organisierte sie sich wie viele andere BewohnerInnen einen Platz in einem Taxi, um zu Verwandten nach Florencia zu fahren. „Auf halber Strecke steckten wir in einer Straßensperre der Guerilla, die uns nicht durchlassen wollte. Über zweihundert Autos warteten auf Durchlass. Dann tauchte plötzlich ein Armeehelikopter auf, der zu schießen begann. Nur wenige Meter neben mir schlugen die Geschosse ein.“ Eine Hand voll Fahrer nutzte das Chaos und durchbrach die Sperre in Höchstgeschwindigkeit. „Was mit den anderen Leuten passiert ist, weiß ich nicht,“ so Floralbina. Sie ist froh, durchgekommen zu sein, will jetzt aber wieder zurück nach San Vicente zu ihrer Familie, da es „in Florencia auch nicht besser ist“.
In den letzten Tagen seien viele Unbekannte in die Stadt gekommen, berichten AnwohnerInnen eines Armenviertels. Sie vermuten Milizen der FARC. Seitdem geht das Gerücht um, dass die Rebellen die Stadt erobern wollen. Nur 15 Kilometer außerhalb Florencias liefern sie sich Gefechte mit der Armee.

Nach 5.000 Toten wird weiterverhandelt

„Der Kampf gegen die Guerilla wird uns viele Kraftanstrengungen abverlangen“, sagte Pastrana. Besonders die Zivilbevölkerung, die seit 38 Jahren unter dem anhaltenden Bürgerkrieg zu leiden hat. In den letzten zehn Jahren fielen dem Konflikt rund 40.000 Menschen zum Opfer, über zwei Millionen gelten als interne Flüchtlinge. „Wenn es mindestens 5.000 Tote mehr gibt, werden wir wieder verhandeln“, mutmaßte ein FARC-Kommandant dieser Tage. Wer die besseren Bedingungen

Krieg ist nicht mehr Verhandlungssache

Den Süden Bogotás mit seinen Armenvierteln versteht die Guerilla als ihre Basis. Wie weit man sich von dieser mittlerweile entfernt hat, zeigten deren Bewohner offen. In einigen Kneipen begossen die Stammbesucher das Ende der Friedensverhandlungen und äußerten unverhohlen, dass die Armee die Rebellen platt machen solle. Feierstimmung in einem kriegstrunkenen Land, das an seinem Konflikt zu ertrinken scheint. Seit dem 11. September werden die FARC medial nur noch Terroristen genannt. Dies ist ein Produkt der weltpolitischen Neubestimmung von bewaffneten Akteuren, aber auch der Taten der Guerilla, die sich in den letzten Wochen immer weiter von ihrem Status als politische Gruppierung entfremdet hatte. Innerhalb eines Monats verübten die FARC Dutzende Anschläge auf die Infrastruktur des Landes, legten Bomben in Städten und versuchten mit einer Sprengladung, die Wasserversorgung der Hauptstadt zu zerstören.
„117 Anschläge in nur 30 Tagen“, empörte sich Präsident Pastrana an die Bevölkerung gewandt, und untermalte seine Anklagen mit einem Video von zerstörten Strommasten und toten Zivilisten. „Heuchelei“ und „Arroganz“ warf er der Guerilla vor, die sich noch einen Monat zuvor zu verbindlichen Verhandlungen mit der Regierung verpflichtet hatte. Ziel war die Ausarbeitung eines temporären Waffenstillstands bis zum 7. April 2002 (siehe LN 332), die letzten Offensiven und Anschläge offenbarten hingegen andere Absichten. Beobachter spekulierten, dass es die FARC vorsätzlich darauf angelegt habe, den Friedensprozess zum Scheitern zu bringen.

Politischer Status aufgehoben

Auslöser des Verhandlungsendes war die Entführung einer Linienmaschine am Morgen des 20. Februar, bei der der Senator Jorge Eduardo Gechem Turbay verschleppt wurde. Er ist Mitglied der Senatsfriedenskommission und gehört zu einer politisch einflussreichen Familie, die bereits zuvor Ziel der Guerilla wurde. Vier Entführer ließen das Flugzeug auf einer Straße landen, nachdem zuvor Dutzende Rebellen generalstabsmäßig angrenzende Bäume gefällt hatten, um eine Landepiste zu improvisieren. Alle anderen 36 Passagiere wurden nach der riskanten Landung freigelassen, die Entführer verschwanden mit dem Senator in die Berge.
Die Reaktion folgte auf dem Fuße und fiel überraschend scharf aus. Pastrana verwies mit Fotomaterial von Luftaufnahmen darauf, dass es sich bei dem seit drei Jahren entmilitarisierten Gebiet im Süden des Landes um eine „Kriegszone handelt, in der Koka angebaut wird, Entführte fest gehalten und Beziehungen zu internationalen Terroristen gepflegt werden.“ Letzter Punkt bezieht sich auf die Festnahme von drei ehemaligen IRA-Mitgliedern Ende letzten Jahres, denen Ausbildung im Bombenbau für die FARC vorgeworfen wird und die derzeit in kolumbianischer Haft sitzen. Pastrana entzog der Guerilla umgehend den Status einer politischen Gruppierung und erneuerte die Haftbefehle für die noch zuvor am Verhandlungstisch sitzenden Rebellenchefs. Für die Nacht zum 21. Februar kündigte er die Bombardierung und Wiederbesetzung der Verhandlungszone durch die Armee an.
„Wir machen unsere Arbeit“, sagte ein Pilot der kolumbianischen Luftwaffe nach einem Einsatz über der entmilitarisierten Zone am Tage darauf. Zuvor hatte die Armee innerhalb weniger Stunden über 200 Bomben mit einem Zerstörungsradius von bis zu 100 Metern über 85 strategisch wichtigen Punkten abgeworfen. Darunter befanden sich von den FARC gebaute Straßen, Militärstützpunkte und 25 Landepisten, die laut Armee hauptsächlich für Waffentransporte und Drogenhandel benutzt wurden.
13.000 Soldaten begannen zu Redaktionsschluss in der „Operation Thanatos“ – benannt nach dem griechischen Totengott – auf dem Landweg in die Zone einzumarschieren, um schätzungsweise 8.000 Guerilleros zu bekämpfen, die in der Zone vermutet werden. Ziele der Bombardierungen waren Treibstofflager und Fahrzeuge der Guerilla. Ein Kampfflugzeug und drei Hubschrauber mussten beschädigt wieder zurückkehren, nachdem sie beschossen wurden.
Bereits am 21. Februar wurden erste zivile Opfer gemeldet. So sollen zwei Kinder und ein Erwachsener ums Leben gekommen sein. Die Luftwaffe bestritt jedoch zunächst, dass dies die Schuld der Bombardierungen sei. Nach Aussage der kolumbianischen Volksvertretungsbehörde in San Vicente del Caguán werden jedoch mehr Tote erwartet. „Bisher kamen 30 Flüchtlinge zu Fuß nach San Vicente, sie berichteten von weiteren Opfern auf Grund der Bombardierungen“, erklärte eine Vertreterin gegenüber den LN. „Mehrere Menschengruppen mit Verletzten sind auf dem Weg hierher.“ Wie viele Tote es in den ersten zwei Tagen der Bombardierungen gab, konnte sie nicht sagen. Die medizinische Versorgung sei schwierig, da es keinen Strom gebe. Die Guerilla sprengte in der Nacht zuvor mehrere Strommasten, so dass die südlichen Provinzen Caquetá und Huila komplett ohne Energieversorgung blieben.
Nach Berichten aus San Vicente kursierten bereits kurz nach Ende der Verhandlungen Todesdrohungen der Paramilitärs gegen Anwohner der ehemaligen FARC-Zone, die in den letzten Jahren in Kontakt mit der Guerilla gestanden haben sollen. 30 Personen wurden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Menschenrechtsorganisationen warnten vor Übergriffen rechter Milizen gegen die Bevölkerung, die mit der Armee in das Gebiet vordringen könnten. Para-Chef Carlos Castaño gab in einem Interview an, 3000 Milizionäre seiner Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen AUC einzusetzen, um gegen die Guerilla vorzugehen.

Internationale Reaktionen

Noch einen Monat zuvor konnten internationale Vermittler unter Leitung der UNO eine Reaktivierung des krisengeschüttelten Friedensprozesses erreichen. Geplant war die Aushandlung eines temporären Waffenstillstandes bis zum 7. April, der nun der Realität weicht. In einer Erklärung machte UN-Generalsekretär Kofi Annan die Rebellen für das endgültige Scheitern der Gespräche verantwortlich und forderte alle Seiten auf, das Leben der Zivilbevölkerung zu achten. Die FARC ihrerseits gaben Pastrana in einer inoffiziellen Stellungnahme und der „Intoleranz der Oligarchie mit ihrer Zweiparteiendominanz“ die Schuld. Nach ihrer Einschätzung ließ die Regierung die Gespräche platzen, als es um „die großen Themen“ bei den Verhandlungen ging: Bekämpfungsstrategie gegen die Paramilitärs, Alternativen zum Kokaanbau und politische Reformen.
Die EU unter dem Vorsitz Spaniens sandte eine Note an Präsident Pastrana, in der sie ihm „volle Unterstützung“ zusicherte und die Flugzeugentführung als „intolerante Provokation“ bezeichnete. Der spanische Außenminister Josep Piqué kündigte eine Überprüfung der EU-Position gegenüber den bewaffneten Gruppen Kolumbiens an, die „mit keiner Bereitschaft zum Frieden ihren terroristischen Charakter bewiesen haben“. Und setzte nach: „Der Plan Colombia ist wichtiger denn je.“

Dissenz weggewischt

Eine Wendung um 180 Grad, nachdem sich mehrere EU-Länder zuvor noch ungewöhnlich stark um eine diplomatische Lösung des Konflikts bemüht hatten und den USA das politische Terrain in Kolumbien streitig machten. „Falls vor kurzem noch Dissenz über diese Hilfe bestanden hatte, sollte dieser jetzt weggewischt sein“, ließ das State Department verlauten. Laut dem Ex-Sekretär des Departments für die westliche Hemisphäre, Bernard Aronson, sind eine verstärkte US-Unterstützung für das kolumbianische Militär und Anti-Terrorismusmissionen absehbar. In den letzten Jahren wurden im Zuge des Plan Colombia über 1,7 Milliarden US-Dollar überwiegend an Rüstungshilfe gezahlt. „Kolumbien wird zu einem Fokus in den Plänen der Bush-Administration beim Antiterrorkampf werden“, so Aronson.

Auf der Welle des 11. September

Der Friedensforscher Marco Romero von der Nationalen Universität in Bogotá kritisierte die einseitige Haltung von Pastrana, der „auf der Welle des 11. Septembers schwimmt, um größeren internationalen Rückhalt zu gewinnen”. So wurden die Rebellen seitdem nur noch Terroristen genannt und bewusst marginalisiert. Mit Erfolg. Politisch befinden sich die FARC – nicht zuletzt wegen ihrer eigenen Strategie – nun auf dem Nullpunkt und mit ihren Verbindungen im Drogenhandel auf der US-Liste terroristischer Gruppen.
Auch innenpolitisch hatte das Ganze Folgen. Die rechte Stimmung in Kolumbien vor einer Parlaments- und Präsidentschaftswahl sucht in der Vergangenheit seinesgleichen. Der unabhängige Rechtsliberale Kandidat Alvaro Uribe Vélez könnte bereits beim ersten Wahlgang Ende Mai die absolute Mehrheit einfahren und die Zielrichtung der kommenden vier Jahre vorgeben: Militarisierung des Landes, autoritärer Führungsstil und die Anrufung internationaler militärischer Unterstützung im Kampf gegen die Guerilla.
Am 22. Februar übergab ein laut Presse „ziviler Guerillero der FARC” einigen Journalisten in einem Park von San Vicente eine 13-Punkte-Mitteilung, in der sich die Rebellen erstmals öffentlich zu dem Verhandlungsende äußerten. Darin machten die FARC das ziemlich aussichtslose Angebot, mit dem kommenden Präsidenten verhandeln zu wollen. Die umfangreichen infrastrukturellen Baumaßnahmen in der Zone, die „über 1.000 Kilometer asphaltierte Straßen beinhalten, zu deren Bau die Regierung in 36 Jahren nicht in der Lage war,“ galten laut Kommuniqué der Verbesserung der Lebensgrundlage der Bauern und nicht dem Drogenhandel. Pastrana und reformunwillige Sektoren hätten bewusst alte Beweise benutzt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Zu den Anschlägen der letzten Wochen gab die FARC-Kommandantur aber keine Stellungnahme ab. So rollen jetzt Schützenpanzer der Armee über die neuen Straßen
Wie die kolumbianische Geschichte zeigt, gab es einen periodischen Wechsel von Krieg und Friedensverhandlungen. Jetzt, und noch mehr unter einem Präsidenten Uribe Velez, ist offenbar wieder der Krieg an der Reihe. „Früher oder später werden FARC und Regierung wieder verhandeln. Wenn es Tausende Tote mehr in diesem Land gibt”, meint der linke Präsidentschaftskandidat Lucho Garzón. „Dem unperfekten Friedensprozess folgt jetzt aber der perfekte Krieg.”

Die verdeckte Aufstandsbekämpfung

Die US-Drogenpolitik in Kolumbien war schon in den 1980er Jahren dubios. Nachdem die kolumbianische Armee damals mit dem Medellín-Kartell Pablo Escobars beim Aufbau von Todesschwadronen im Mittleren Magdalena kooperiert hatte, erklärten die Washingtoner Anti-Drogenbehörden Ende des Jahrzehnts eben diesem Kartell den Krieg und forcierten die Bildung eines bizarren Bündnisses aus Armee, Polizei, Cali-Kartell und Medellíner Abtrünnigen. Kernstück der Allianz war die Gründung der so genannten Los Pepes (Verfolgte von Pablo Escobar) – Todesschwadronen, die für mehr als 1.000 Morde an Angehörigen des Medellín-Kartells verantwortlich sein sollen und unter anderen auch von Carlos und Fidél Castaño befehligt wurden. Die Castaño-Brüder, die nach Pablo Escobars Ermordung 1993 von Nordkolumbien aus den paramilitärischen Dachverband AUC aufbauten, waren lange Zeit selbst in die Medellíner Drogen-Connection verwickelt gewesen und hatten sich erst spät von Escobar losgesagt.
Die Kooperation zwischen Todesschwadronen und offiziellen Stellen war nicht auf punktuelle Berührungen beschränkt. Dem Nuevo Herald, der spanischsprachigen Ausgabe des Miami Herald, zufolge, reichte sie so weit, dass Angehörige der Pepes-Kommandos im Sitz der von US-Beratern aufgebauten Antidrogen-Sondereinheit Bloque de Búsqueda ein und aus gehen konnten und über den Agenten Javier Peña, dem heutigen Subdirektor des Büros der US-Drogenbehörde DEA in Bogotá, Kontakt zu den US-Behörden unterhielten.
Sicherlich lässt sich die Politik der schmutzigen Allianzen mit der pragmatischen Überlegung erklären, dass man – wenn der Drogenhandel schon nicht zu zerschlagen ist – versuchen sollte, Fraktionierungen zu vertiefen und den jeweils bedrohlicher erscheinenden Gegner zuerst auszuschalten. Andererseits ist diese Politik aber ein Indiz dafür, dass für die USA die geopolitische Interessenvertretung bedeutender ist als die Drogenbekämpfung. Die US-Geheimdienste haben sich den Drogenhandel immer wieder zu Nutzen gemacht, wenn es darum ging, Under-Cover-Operationen zu finanzieren.

Die Narco-Guerilla

So fällt es in Kolumbien auf, dass die Drogen-Paramilitär-Connection in den US-Dokumenten zum Thema keine Rolle spielt – und das, obwohl bekannt ist, dass die Heroin-Produktion Kolumbiens in den Händen der Paramilitärs ist und auch 80 Prozent des für den nordamerikanischen Markt bestimmten Kokains über die von Armee und Paramilitärs kontrollierten Häfen Urabás exportiert wird.
Die US-Drogenbekämpfung kennt überhaupt nur ein Ziel: die Koka-Anbaugebiete in den abgelegenen, von der Guerilla kontrollierten Regionen Kolumbiens. Denn dort greifen die FARC – im Gegensatz zur kleineren Guerillaorganisation ELN, die sich aus politischen Gründen vom Kokaanbau fern hält und sogar Substitutionsprojekte durchzuführen versucht hat – aktiv in den Koka-Handel ein. Sie besteuern die Geschäfte, garantieren Preise, schützen die Kleinbauern vor den traficantes und unterhalten wohl auch eigene Pflanzungen. Solche – angebliche oder tatsächliche – Verbindungen zwischen Guerilla und Kokahandel werden von der Regierung in Washington seit anderthalb Jahrzehnten als Legitimation für die eigene Interventionspolitik herangezogen. So schuf der rechtskonservative US-Botschafter in Bogotá Lewis Tamb 1984 – parallel zu den Drogenaktivitäten der US-Geheimdienste im Rahmen der Finanzierung der nicaraguanischen Contra – den Kampfbegriff Narco-Guerilla, mit dem die Ziele der Aufständischen dauerhaft diskrediert werden sollten. Ungefähr seit diesem Zeitpunkt kursieren in der internationalen Öffentlichkeit immer neue Phantasiezahlen über angebliche Drogeneinnahmen der kolumbianischen Guerilla. US-amerikanische Wissenschaftler nennen Summen von mehreren Hundert Millionen US-Dollar pro Jahr.

Koka-Besteuerung der FARC

Auch wenn diese häufig aus Geheimdienstquellen stammenden Zahlen aus der Luft gegriffen sind, ist richtig, dass das erstaunliche militärische Wachstum der FARC seit 1990 ohne die Einnahmen aus der Koka-Besteuerung nicht möglich gewesen wäre. Und diese Tatsache beunruhigt die Verantwortlichen in Washington weitaus mehr als die Entwicklung der Kokain-Gesamtproduktion oder des Konsums in den USA selbst.
US-Geopolitiker haben schon Mitte der 1980er Jahre auf die drohende Destabilisierung Kolumbiens hingewiesen. Im Santa Fe II-Dokument war zu lesen, dass sich das südamerikanische Land bis Mitte der 1990er Jahre in ein neues El Salvador verwandeln könnte. Auch wenn man die Qualität der vor Ideologie strotzenden Santa Fe-Berichte nicht überschätzen sollte, muss man festhalten, dass sich die Voraussagen des Papiers teilweise erfüllt haben. Drei aus Regierungssicht bedrohliche Entwicklungen haben sich dabei gegenseitig verstärkt: So machte erstens das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Ernesto Samper in den Jahren 1995 bis1998 deutlich, wie eng die Verbindungen zwischen Drogenhandel und der politischen Klasse Kolumbiens sind. Der Staat stürzte damals in eine schwere Legitimationskrise. Zweitens gingen die FARC im Verlauf der 1990er Jahre von einer Politik der Nadelstiche zum Bewegungskrieg über und fügten den Elite-Verbänden der kolumbianischen Armee immer wieder vernichtende Niederlagen zu. Und drittens erschütterten von 1996 bis 1999 trotz eines unglaublich hohen Repressionsniveaus immer wieder Protestwellen das Land, die von Gewerkschaften, BäuerInnen und Gefängnisinsassen getragen wurden.
In Anbetracht dieser Lage wurden die US-Sicherheitsorgane zunehmend nervös. Einem 1997 in der kolumbianischen Tagespresse zitierten CIA-Bericht zufolge wurde sogar die Machtübernahme der Guerilla innerhalb von fünf Jahren für möglich gehalten, wenn sich die USA nicht stärker engagierten. Wenig verwunderlich ist es da, dass die US-Verantwortlichen – vom CIA-Chef bis zum Verteidigungsminister – etwa zu dieser Zeit begannen, sich in Bogotá die Klinke in die Hand zu geben. Das erklärte Ziel der Bemühungen: die Modernisierung der kolumbianischen Armee. Besonders der Chef des US-Militärkommandos Süd Charles Wilhelm sowie der damalige „Antidrogen-Zar“ Barry McCaffrey leiteten den Aufbau neuer Eliteeinheiten ein und warben sogar für eine multinationale Eingreiftruppe.
Die Invasionspläne verschwanden zwar – nicht zuletzt auf Grund der mutigen Interventionen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez – erst einmal wieder in der Schublade, doch das bisher größte US-Militärprojekt in der lateinamerikanischen Geschichte wurde dennoch weiter voran getrieben. Schon kurz nach seinem Amtsantritt legte der Konservative Andres Pastrana, der bis heute im Ausland von seinem Image als „Friedenspräsident“ profitiert, ein Programm zur Drogenbekämpfung und Restabilisierung des Staates vor. Dass es mit den wohlklingenden Zielen des als Plan Colombia bekannt gewordenen Projekts nicht weit her ist, lässt sich schon daran ersehen, dass gleichzeitig drei verschiedene Versionen des Plans kursierten. Während in der für die US-Öffentlichkeit bestimmten Fassung die militärischen Aspekte der Drogenbekämpfung hervorgehoben wurden, betonte die in der EU diskutierte Version die Verteidigung von Menschenrechten und Substitutionsprojekte.
Tatsächlich ist Kolumbien im Rahmen des Plan Colombia zu einem der drei wichtigsten Empfänger von US-Militärhilfe in der Welt aufgestiegen. Von den mehr als 1, 3 Milliarden US-Dollar, die der US-Kongress im Jahr 2000 bewilligte, waren rund 80 Prozent, nämlich 1,1 Milliarden Dollar, für Militär-, Polizei- und Justizhilfe vorgesehen. Der Löwenanteil hiervon wiederum wurde für den Aufbau der so genannten Batallones Anti-Narcóticos, Elite-Einheiten der Armee, und den Kauf von Kampfhubschraubern verwendet. Darüberhinaus wurde der Plan von US-Militärprogrammen für die Nachbarstaaten Peru, Ecuador und Panama in Höhe von 400 Millionen US-Dollar und dem Ausbau der US-Luftwaffen-Präsenz auf den Stützpunkten Manta in Ecuador, Aruba auf den niederländischen Antillen und Tres Esquinas in Kolumbien flankiert.

C-Waffen gegen die Bevölkerung

Der für die Zivilbevölkerung schwer wiegendste Aspekt des Plan Colombia war und ist der massive Einsatz von Herbiziden, die aus der Luft versprüht werden und längst nicht nur die Koka-Pflanzungen schädigen. Nach Schätzungen der Abgeordneten Piedad Córdoba werden allein in den südkolumbianischen Departments Putumayo und Caquetá 590.000 BäuerInnen direkt oder indirekt von den Sprühungen betroffen sein. Auch das kolumbianische Präsidentenamt geht von 210.000 möglichen Vertriebenen im Departement Putumayo aus. Die ökologischen Folgen dieser Politik für das Amazonasbecken sind nicht abzuschätzen.
In den letzten Monaten haben sich Berichte gehäuft, wonach Dutzende von Kleinkindern und Jugendlichen in den betroffenen Regionen nach Herbizideinsätzen an Krankheiten gestorben seien. Aus dem Osten Antioquias wurde außerdem gemeldet, dass Chemikalien aus der Luft versprüht wurden, die Hautallergien hervorrufen – und das in einer Region, in der es zwar eine starke Präsenz der ELN, aber kaum Koka-Pflanzungen gibt. Und schließlich drängt die US-Regierung auch weiterhin auf den Einsatz des als biologischen Waffe kategorisierten, genmanipulierten Fusarium Oxysporum- Pilzes (siehe Artikel über Agent Green).
Letztlich werden die im Plan Colombia vorgesehenen Maßnahmen auf die Zerstörung von bäuerlichen Strukturen in den betroffenen Gebieten hinauslaufen, nicht jedoch zu einer spürbaren Reduzierung des Drogenanbaus führen. Der Anbau wird sich ganz einfach verlagern. Mittellose Bauern werden noch tiefer in den Urwald hineingehen, um dort das einzige Produkt anzubauen, das ihnen die Subsistenz sichert: Koka. Als Folge hiervon wird noch mehr Wald zerstört und das Amazonasbecken nachhaltig geschädigt werden. Gleichzeitig jedoch werden die eigentlichen Profiteure der Drogenökonomie geschont, zum Beispiel die Filialen der US-Banken in Panamá, wo das Drogengeld gewaschen wird. Man kann diese Politik, wie manche Autoren, auf mangelnde Sachkenntnis der US-Verantwortlichen zurückführen. Den US-Behörden, die geostrategische Interessen ihres Landes zu vertreten haben, ist jedoch sehr wohl klar, um was es eigentlich geht: um die Entvölkerung der von der Guerilla kontrollierten Gebiete und die Zerstörung der Finanzquellen der FARC. Kein Wunder, dass eine neue Initiative im US-Kongress vorschlägt, das im Rahmen des Plan Colombia gelieferte Kriegsmaterial auch offiziell für Anti-Guerilla-Operationen freizugeben.

Wichtigstes Ziel: die Freihandelszone

Zu tun hat das alles unter anderem mit dem FTAA-Abkommen, das die Einrichtung einer kontinentalen Freihandelszone bis zum Jahr 2005 vorsieht. Kolumbien wird dann zum wichtigen Durchgangsland für den interamerikanischen Güterverkehr und noch interessanter für ausländische Investitionen werden, aber eben auch zu einem Sicherheitsrisiko für die gesamte Region. Trotz der Massaker, die seit 1983 fast täglich im Land verübt werden, gibt es in Kolumbien nämlich nach wie vor eine zwar untereinander keineswegs einige, aber dennoch starke Opposition: Gewerkschaften streiken gegen Privatisierungen im Erziehungs- und Gesundheitswesen, Indígenas wehren sich gegen die Ausbeutung von Bodenschätzen auf ihrem Territorium, Guerillaorganisationen besteuern transnationale Unternehmen und sabotieren die Erdölindustrie. So hat der Ölmulti Occidental im Juli 2001 die Investitionen in Kolumbien ausgesetzt, nachdem die ELN in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr als 100 Anschläge auf die Pipeline Caño Limón-Coveñas verübt und damit den Ölexport aus dem nordostkolumbianischen Arauca völlig lahm gelegt hat.
Die Beseitigung solcher Investitionshindernisse, die den Erfolg der FTAA-Freihandelszone nachhaltig beeinträchtigen könnten, ist ein wichtiges, wahrscheinlich sogar das wichtigste Ziel des Plan Colombia. Letztlich geht es um Investitionssicherheit und nicht um Drogengeschäfte.
Die Wiederherstellung von „stabilen Verhältnissen“ wird auch von den europäischen Regierungen tatkräftig unterstützt. So hat sich die EU zwar vom Plan Colombia distanziert, unterstützt parallel dazu aber die kolumbianische Regierung bei ihrer Politik. Insgesamt 300 Millionen Euro sind auf der Geberkonferenz im Mai 2001 für verschiedene kolumbianische Regierungsprojekte zur Verfügung gestellt worden. Kleinbauern-, Schwarzen- und Indígena-Organisationen aus den betroffenen Regionen fürchten nun, dass mit diesem Geld die Industrialisierung der Landwirtschaft beschleunigt und kriegsbegleitende Sozialmaßnahmen finanziert werden sollen.

KASTEN:
Ökologische Konsequenzen des Drogenanbaus

Um einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen, kommt es vor allem bei dem im großen Rahmen organisierten Drogenanbau zum massiven Einsatz von Fungiziden, Herbiziden, Pestiziden und Kunstdüngern. Verheerend wirken sich auch die Drogenmonokulturen aus, besonders im Schlafmohnanbau. Denn während die Kokapflanze in warmen Gebieten bis 1.800 Metern Höhe angebaut werden kann, führen die Schlafmohnplantagen, die darüber liegen, zur Entwaldung und Austrocknung der Böden, da der Wasserbedarf sehr hoch ist. In der Weiterverarbeitung der Drogengrundstoffe liegt eine weitere Ursache massiver ökologischer Schäden. So verseucht die Produktion der Kokapaste die Flüsse mit Benzin, Ether, Azeton und anderen Chemikalien.
Die größten Umweltschäden werden jedoch durch die Drogenbekämpfungsmaßnahmen, besonders durch Herbizideinsätze gegen Drogenpflanzungen verursacht. Die aus der Luft erfolgende Besprühung stellt einen Schwerpunkt der kolumbianischen Antidrogenmaßnahmen dar. Im Einklang mit der US-Regierung konzentrieren sie sich auf das schwächste Glied des Drogenkreislaufs, die Koka- und Schlafmohnbauern. Von der probeweisen Besprühung aus der Luft ging Kolumbien unter der Regierung Betancur (1982-86) zur massiven Besprühung von Drogenanbaugebieten aus der Luft vor allem mit Glyfosat (Round-up) über. Angesichts der mageren Resultate wurden die Besprühungen 1989 eingestellt, doch schon im Januar 1992 erlaubte Präsident Gaviria den Glyfosateinsatz gegen Schlafmohnfelder wieder. Zwei Jahre später wurden auf Druck der USA auch die Einsätze gegen Kokapflanzungen wieder aufgenommen.
Kolumbien ist weltweit das einzige Land, in dem Drogenpflanzungen aus der Luft mit den Herbiziden Glyfosat, Tebuthiuron (Spike) und Exazinon (Velpar) besprüht werden. Vor allem Exazinon schädigt die menschliche Gesundheit in irreversibler Weise. Es verursacht Krebs und Störungen des Nervensystems wie der Sehfähigkeit. Daher ist es in den USA verboten.
Im Gebiet der Sierra Nevada von Santa Marta, das vor Jahren intensiv aus der Luft besprüht wurde, sind unter den Kindern der örtlichen Siedler und Indígenas zahlreiche Missbildungen zu beobachten. Ebenso führt das vom Chemiekonzern Monsanto unter dem Markennamen Round-up vertriebene Herbizid Glyfosat zu schweren gesundheitlichen Schädigungen bei der betroffenen Bevölkerung und zur umfassenden Vernichtung jeglichen Anbaus.
Doch das reicht der US-Regierung nicht. Seit Ende der Amtsperiode von Ernesto Samper 1998 fordern die USA den Einsatz von granulatförmigen Herbiziden wie Imazapyr, Tebuthiuron und Hexazinona, die alle schwerwiegende Vergiftungen des Grundwassers mit sich bringen.
Offiziellen Angaben zufolge werden diese Stoffe bislang nicht eingesetzt, doch die Wirklichkeit sieht anders aus: In vier Proben, die Substanzen enthielten, die Ende Juli 1998 aus Flugzeugen im Departement Putumayo versprüht worden waren, fand das Laboratorium der Umweltfakultät der Universität Los Andes Imazapyr. Imazapyr ist hochätzend und bewirkt irreversible Schädigungen der Augen und der Haut. Das sehr starke und nicht-selektive Breitbandherbizid wird über den Boden aufgenommen und stellt daher auch eine große Gefahr für Gewässer dar. Die kolumbianische Ombudsstelle stellte fest, dass durch die Imazapyrbesprühungen große Flächen natürlicher Vegetation in der Nähe von landwirtschaftlich genutzten und bewohnten Gebieten zerstört worden sind.
Einer jüngst veröffentlichten Untersuchung zufolge wurden in Kolumbien durch Besprühungen bereits 150.000 Hektar tropische Wälder zerstört. Bliebe es bei der massiven Besprühung, würden sich bis zum Jahr 2015 70 Prozent dieser Fläche in sterile Böden verwandeln.
Dario Azzellini

Die Narcorepublik Peru

Dile no a la droga“ – „Sag’ nein zu Drogen“, so lautete der Kernsatz einer millionenschweren Kampagne der peruanischen Regierung gegen den Drogenkonsum Ende der 90er Jahre. Prominente Fußballspieler und Showgrößen warben für ein drogenfreies Peru. Zur gleichen Zeit beglückwünschte Barry McCaffrey, der US-amerikanische „Drogenzar“ der Clinton-Regierung, den damaligen Präsidentenberater und faktischen Geheimdienstchef der Regierung Vladimiro Montesinos zu „seinen wichtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Drogenhandel“.
In der Tat schien es damals so, als könnte die US-Regierung mit der Drogenpolitik des Fujimori-Montesinos-Regimes zufrieden sein. Innerhalb von drei Jahren, von 1995 bis 1998, waren die Kokaanbaugebiete im Land um 50 Prozent reduziert worden. Doch McCaffrey wusste nur zu genau, wem er damals zum Erfolg gratulierte. Denn die Wahrheit über die eigentlichen Aktivitäten des umtriebigen Geheimdienstchefs des Regimes war der CIA und der US-Drogenbehörde DEA seit langem bekannt. Es spricht sogar vieles dafür, dass Montesinos jahrelang im Dienst der CIA stand.

Wer ist Fayed?

Heute sitzt Vladimiro Lenin Montesinos Torres in dem von ihm selbst konzipierten Marinegefängnis Callao. Weitere Insassen sind Abímael Guzmán, ehemals als Presidente Gonzalo des Sendero Luminoso bekannt, und Victor Polay, der Gründer der Guerilla MRTA. Dazu gesellt sich Demetrio Chávez, genannt Vaticano, der Anfang der 90er Jahre für das Cali-Kartell Kokapaste nach Kolumbien flog. Alle drei sind nun Zellennachbarn jenes Mannes, der einst maßgeblich verantwortlich für ihre Festnahme, die folgenden Schauprozesse und ihre Isolationshaft war. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Montesinos wegen Folter, Entführung, Erpressung, Mord, Terrorismus, Diffamierung, Waffenhandel, Vaterlandsverrat, illegaler Bereicherung, Bestechung, Urkundenfälschung, illegaler Abhörmaßnahmen, Drogenhandel und Geldwäsche.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss unter dem Vorsitz des Abgeordneten David Waisman legte Mitte 2001 einen 1500 Seiten starken Zwischenbericht über Montesinos Verbrechen vor. Er gelangte darin zu der Schlussfolgerung, Fujimori und Montesinos hätten Peru in den 90er Jahren zu einer Narcorepublik ausgebaut. Der Ex-Geheimdienstchef persönlich wird in dem Bericht als der „Chef der peruanischen Drogenmafia“ ausgemacht. Etwa 250 Kilometer südlich von Lima, in einem Ort namens Pisco, wo sonst nur Fischmehlfabriken die Luft verpesten, hatte Montesinos sogar ein eigenes Laboratorium zur Produktion von Kokainchlorhydrat errichtet. Seine Partner, die Montesinos von Pisco aus belieferte, waren keine geringeren als die Gebrüder Arrellano Felix, die leitenden Unternehmer des so genannten mexikanischen Tijuana-Kartells. Mit Ausnahme der ganz großen Capos dürften aber nur wenige unter Montesinos Geschäftspartnern gewusst haben, wer der peruanische Drogenboss in Wirklichkeit war. Denn wenn es um geschäftliche Kontakte ging, nannte sich dieser auch gern „Rubén“ oder „Fayed“.
Von Montesinos gelieferte Ware wurde über das Unternehmen Nippon Corporation – bereits bekannt durch Montesinos Waffendeal mit den kolumbianischen FARC – auch nach Kolumbien und Großbritannien gebracht. Das Verladen der kostbaren Fracht und der Transport wurde von hochrangigen Militärs überwacht, die Transportbehälter trugen die Aufschrift des peruanischen Fischmehlherstellers Hayduk. Der war schon seit Anfang der 90er Jahre dafür bekannt, dass er neben seinem stinkenden Tierfutter auch gern lukrativere Fracht auf die Reise schickte. Ein Zollfahnder namens Fernando Ruíz hatte damals in einem Lastwagen eben dieser Firma einige Säcke Kokain entdeckt. Daraufhin verhaftete die peruanische Polizei einen gewissen Eudocio Martínez, den offensichtlichen Organisator des Transports. Ruíz sagte später aus, Montesinos habe Martínez über einen Vermittler gegen Zahlung von drei Millionen US-Dollar die Freilassung angeboten. Martínez zahlte offenbar, denn bald darauf öffneten sich für ihn die Gefängnistore.

Blühende Geschäfte

Unter unzähligen Zeugen befragte die Waisman-Kommission auch einen prominenten Kolumbianer über Montesinos: Roberto Escobar Gaviria, el osito – der kleine Bär – genannt, und kein geringerer als der Bruder des ehemaligen Chefs des Medellín-Kartells, Pablo Escobar. El osito, der in seinem kolumbianischen Gefängnis vernommen wurde, gab an, dass Montesinos – damals in Kolumbien unter dem Pseudonym Montecristo bekannt – schon seit den 80er Jahren mit dem Medellín-Kartell zusammenarbeitete. Während dieser Zeit war Montesinos in Lima ein erfolgreicher Strafverteidiger für Drogenhändler. Für den Wahlkampf seines Komplizen Fujimori im Jahr 1990 soll er eine Million US-Dollar vom Pablo Escobar persönlich in Empfang genommen haben. In den 90er Jahren habe Montesinos dann, so el osito, für den reibungslosen Transport der rohen Kokapaste von Peru nach Kolumbien gesorgt. Kolumbianische Flugzeuge seien auf Militärpisten im peruanischen Urwald gelandet und dort von der Armee beliefert und geschützt worden. Pro Flug seien dabei 120.000 US-Dollar bar an die Peruaner gezahlt worden, 40 Prozent davon an Montesinos.
Doch Montesinos unterhielt auch mit der Konkurrenz rege Geschäftsbeziehungen. Der Berater Fujimoris ließ sich nach Aussagen von Boris Foguel, dem in Panama einsitzenden Ex-Chef der Drogenbande „Die Kamele“, für jedes in Peru transportierte Kilo Kokapaste eine Provision auszahlen. Wer sich weigerte, die fälligen Schutzgelder an Montesinos zu überweisen, wurde laut Foguel gnadenlos von den peruanischen Behörden verfolgt. Mehrere Transportmaschinen sollen im Flug abgeschossen worden sein. Die „Kamele“ zahlten und durften dafür unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen. Die peruanische Luftwaffe stellte ihnen sogar Flugzeuge zur Verfügung, mit denen sie die Kokapaste über die Anden in ihre Kokainlaboratorien an der peruanischen Küste transportierten. Montesinos heutiger Zellennachbar Vaticano flog für das Cali-Kartell fünf Tonnen Kokapaste im Monat nach Kolumbien aus.

Rabatt für Vielflieger

Dafür konnte er bei Montesinos einen Mengenrabatt aushandeln und kam mit 50.000 US-Dollar pro Monat davon. Als Montesinos dann aber den Preis auf 100000 Dollar erhöhte, weigerte er sich zu zahlen und wurde prompt in Kolumbien geschnappt. Nach Peru ausgeliefert, gestand er – offenbar in Unkenntnis der Machtverhältnisse im Lande – insgesamt 1,5 Millionen US-Dollar an Montesinos und noch einmal eine Viertel Million an führende Armeegeneräle gezahlt zu haben. Das reichte für seine Isolationshaft.
Im Mai 1996 wurden in einem Flugzeug der peruanischen Luftwaffe, das in Richtung Europa starten wollte, 169 Kilogramm Kokain gefunden. Noch bevor es zu einem Prozess gegen die verantwortlichen Offiziere kommen konnte, wurden sie von Fujimori persönlich für unschuldig erklärt. Verurteilt wurde dagegen das technische Personal der Maschine. Die Techniker gaben zu, schon häufiger Kokain nach Europa und in die USA geflogen zu haben, und belasteten hochrangige Offiziere, die allerdings erst nach dem Zusammenbruch des Fujimori-Montesinos-Regimes vor Gericht kamen. Sogar im Präsidentenflugzeug wurde damals das weiße Pulver transportiert. Die Waisman-Kommission kam zu dem Schluss, dass der damalige Präsident Fujimori über die Aktivitäten seines Geheimdienstchefs bestens informiert war. In den Drogenhandel involviert waren weiterhin die komplette Armeespitze, hohe Richter und Staatsanwälte sowie der ehemalige Minister Victor Joy Way, der für die Geldwäsche zuständig war.
Die USA stützen das Fujimori-Montesinos-Regime sogar noch nach dem offensichtlichen Wahlbetrug im Jahr 2000. Wichtiger als die Bekämpfung des Drogenhandels war offenbar die Vernichtung der Guerillaorganisation Sendero Luminoso und der MRTA sowie die strikt neoliberale Wirtschaftspolitik des Regimes mit einem pünktlichen Schuldendienst. Nicht nur das: die CIA zahlte laut Los Angeles Times zwischen 1990 und 2000 sogar 10 Millionen US-Dollar direkt auf eines von Montesinos Konten. Für den Kampf gegen den Drogenhandel.

Neue Fronten tun sich auf

Der Mann hatte das Zeug zum Kanonenfutter. Oberst der venezolanischen Luftwaffe, der immer schon General werden wollte und laut Armeeangaben nie durfte, sah seine Chance am 7. Februar für gekommen. Pedro Luis Soto erklomm am Abend dieses Tages das Podest auf einem Pritschenwagen, der eiligst zu einem Platz voll mit Tausenden Oppositionellen gekarrt wurde, und begann gegen den „totalitären Staat“ unter Hugo Chávez zu wettern. „Hier herrscht keine Meinungs- und Pressefreiheit, weil die Medien eingeschränkt werden. Venezuela ist kein demokratisches Land“, wiederholte Soto seine Anklagen, die er bereits zuvor auf einer überraschenden, jedoch geplanten Pressekonferenz vor den so eingeschränkten oppositionellen Medien im Hilton Hotel von Caracas gegeben hatte. Während mehrere Kanäle die Demonstration live übertrugen, war wohl den meisten klar, dass mit diesem Mann kein von der Opposition erhoffter „pazifistischer Umsturz“ zu machen sei. Offenbar hatte die kopflose Opposition jemanden gesucht, der ihrem Protest gegen Chávez ein Gesicht geben könnte.
Das einzige Glück des venezolanischen Präsidenten liegt derzeit allein darin, keinen ernsthaften persönlichen Gegner zu haben. Der Opposition fehlt der Caudillo, mit dem sie das Phänomen Chávez endgültig entzaubern könnten, nachdem dieser in den letzten Wochen immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat. Soto, der vor zwei Jahren mit einer juristischen Klage gegen den damaligen Verteidigungsminister ohne Erfolg seine angestrebte Generalität durchpauken wollte, muss sich nun selber vor Gericht verantworten. Genauso wie zwei weitere ranghohe Militärs, die sich in der Folgezeit ebenfalls öffentlich gegen Chávez gewandt hatten.
Verteidigungsminister José Vicente Rangel nannte es „normal, dass auch Militärs in schwierigen Zeiten versuchen, ihrem Unmut Luft zu machen,“ setzte aber nach, dass „in allen Garnisonen absolute Ruhe herrscht.“ Für Wirbel hatten die rebellierenden Militärs mit ihrer Aussage gesorgt, dass bis zu 90 Prozent der Soldaten nicht mehr hinter Chávez stünden. „Ich kenne die Armee. Ich weiss, wer in den Kasernen ist“, bügelte dieser diverse Putschgerüchte trocken ab.

Demontage eines Präsidenten

Die Geschehnisse der letzten Wochen machen deutlich, dass die Opposition, von Chávez unter dem Begriff „Oligarchie“ zusammengefasst, an einer Demontage des Präsidenten feilt. Für Zündstoff hatte dieser selber gesorgt, nachdem er seine Maßnahmen nicht der venezolanischen Öffentlichkeit schmackhaft machen konnte. Neben einer quasi Verdoppelung der staatlichen Steuereinnahmen für privat gefördertes Öl stand ein neues Landgesetz auf Platz Eins der Kritik am im November verabschiedeten Gesetzespaket. Dieses sieht kaum mehr als eine Regulierung des Großgrundbesitzes nach Produktivitätskriterien vor, von großflächigen Enteignungen war nie die Rede. Jedoch Anlass genug für die betroffene Oberschicht, gegen den als „Kommunisten“ gebranntmarkten Chávez Sturm zu laufen.
Am 10. Dezember legte ein Generalstreik das ganze Land lahm, hinter dem auch der größte Gewerkschaftsverband des Landes CTV stand. Mitte Januar teilten sich zehntausende Anhänger und Gegner des Präsidenten bei Großdemonstrationen die Straßen von Caracas auf, die in den letzten drei Jahren ausschließlich Chávez-Sympathisanten vorbehalten waren.
„Chávez hat fast nichts erreicht, nur eines: die Opposition zu einen.“, umschrieb ein Analyst die derzeitige Politik in Venezuela. Dass offenbar immer weniger Venezolaner ihrem Präsidenten Vertrauen schenken und den alten abgewirtschafteten Parteien wieder als Zugpferde dienen, liegt an dessen undefinierbarem Kurs. Hatte er im Dezember noch eine Überarbeitung und Kompromisssuche mit der Opposition zu den umstrittenen Gesetzen angekündigt, verschärfte er im Januar den Konfrontationskurs. Im Blickfeld standen dabei besonders die oppositionellen Medien, allen voran die einflussreiche Tageszeitung El Nacional, welcher der Staatschef „Lügen über seine Politik“ vorwarf. Eine Karawane von aufgebrachten Chávez-Anhängern demonstrierte am 7. Januar vor verschiedenen Redaktionsgebäuden gegen die Journalisten wegen Parteinahme für die Opposition. Ein Sprengsatz explodierte Ende Januar vor dem Eingang einer Fernsehanstalt, dessen Urheber jedoch nach wie vor unbekannt sind. Die Interamerikanische Menschenrechtsorganisation (IACHR), die zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gehört, warf der Regierung daraufhin vor, eine Anfang Januar ausgesprochene Mahnung zur Einhaltung der Pressefreiheit nicht zu beachten. Außenminister Alfonso Dávila erklärte, dass es keinen Grund zu der Annahme gäbe, von einer laut IACHR herrschenden „Einschüchterung” der Presse zu sprechen. Wirklich unabhängige und unparteiische Medien lassen sich, wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch nicht in Venezuela finden. Fast alle Presseorgane befinden sich in der Hand der Opposition.

Kontakte zur kolumbianischen Guerilla

Einen folgenreichen Skandal, zum offenbar richtigen Zeitpunkt, deckte ein Anfang Februar erschienenes Video auf, dass venezolanische Militärs in Gesprächen mit kolumbianischen Guerilleros der kommunistischen FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) zeigt. Aufgenommen im Juni 1999 und ausgestrahlt von dem Sender der Opposition Así es la noticia, wird es nun zur Nagelprobe für das internationale Ansehen des venezolanischen Präsidenten. Darauf war kein minderer als der aktuelle venezolanische Innenminister Ramon Rodríguez Chacín zu sehen, welcher damals Chef des Geheimdienstes war. Laut venezolanischen Angaben handelte es sich bei dem Treffen in der FARC-Zone um Gespräche für eine Freilassung entführter Staatsbürger durch die kolumbianische Guerilla. Ein 1999 entwickelter Plan „Projekt Grenzen“ durch die Chávez-Regierung sah vor, dass diese in begrenztem Umfang Kontakt mit der Guerilla aufnehmen könne, um sofort den teils grenzübergreifenden Konflikt zu mildern und mittelfristig Entführungen und Erpressungen beenden zu können. Allerdings sah dieser Prozess eine für die kolumbianische Regierung transparente Umsetzung vor. Von einem Besuch der hochrangigen Funktionäre in der FARC-Zone wusste das Nachbarland jedoch nichts, scheinbar genauso wenig wie Hugo Chávez selbst. Nach tagelangen Untersuchungen räumte er am 8. Februar ein, dass die Kontakte zur Guerilla ein Fehler waren. Sein Stigma als Guerilla-Sympathisant wird ihm dennoch weiter anhaften.
Denn damit nicht genug: Um dem Verdacht der Guerilla-Unterstützung noch Nachschub zu leisten, wurde Ende Januar eine venezolanische Cessna über kolumbianischen Territorium zur Landung gezwungen, da sie illegal in den Luftraum eingedrungen war. An Bord befanden sich ein Dutzend Kisten mit 15.000 Schuss Munition für Ak-47-Gewehre, welche die FARC benutzen. Der venezolanische Pilot Julio González sagte gegenüber der kolumbianischen Staatsanwaltschaft aus, bereits zuvor rund 38.000 Schuss Munition über der entmilitarisierten FARC-Zone abgeworfen zu haben.
Ein gefundenes Fressen, um die Chávez-Regierung weiter in den Verdacht der Terrorismusunterstützung zu stellen. Kritik kam umgehend aus Washington. US-Außenminister Colin Powell hinterfragte die „Meinung der venezolanischen Regierung, was ein demokratisches System bedeutet“. In zwei weiteren US-Rüffeln wurde Chávez aufgefordert, „die demokratischen Spielregeln zu beachten“. Busenfreund Fidel Castro nannte Chávez zwar „den größten Demokrat Südamerikas“, in der aktuellen weltpolitischen Situation eher ein hinderliches Lob von einem so genannten Schurkenstaat. Zu einem Treffen der Länder des Andenpaktes am 23. März in Lima mit der Anwesenheit Bushs wurde Venezuela vorsorglich ausgeschlossen. Venezolanische Medien verbreiteten das Gerücht, dass man im US-State Department nun überlege, das Land wegen der Geschehnisse auf die Liste der „Terrorgruppen unterstützende Länder“ zu setzen. Diese wird im April aktualisiert.
Der venezolanische Außenminister Alfonso Dávila relativierte den Vorfall mit der Cessna und bezeichnete ihn als „illegalen Handel mit Munition“. Tatsächlich beziehen die kolumbianischen Guerillagruppen ihre Ausrüstung überwiegend über die brasilianische, peruanische und venezolanische Grenze, die weitgehend unbewacht sind. Eine direkte Verstrickung der Chávez-Regierung ist daher unwahrscheinlich, reiht sich aber in die Vorfälle ein, die den venezolanischen Präsidenten schier verrückt werden lassen müssten.

Amtsenthebungsverfahren gegen Chávez

Dieses Stadium habe Hugo Chávez laut Opposition bereits erreicht. Sie beantragten in der ersten Februarwoche vor dem Obersten Gericht des Landes die Amtsenthebung des Präsidenten, weil er angeblich geistig nicht zur Amtsführung in der Lage sei. Darin wird ihm vorgeworfen, er sei autoritär, extrem aggressiv und ein Lügner.
Eine weitere Klage reichten bereits im Januar Vertreter der gemäßigten linken Partei, der Bewegung zum Sozialismus (MAS), ein. Der Vorwurf: Veruntreuung von Staatsgeldern, die Chávez für parteipolitische Zwecke eingesetzt haben soll. Noch vor einem Jahr gehörte die MAS zur Unterstützerkoalition der Regierung im Parlament, schlug sich dann aber wegen Meinungsverschiedenheiten auf die Seite der Opposition. Laut MAS-Generalsekretär Leopoldo Puchi, ehemaliger Arbeitsminister in der Chávez-Regierung, habe der Präsident „systematisch und wiederholt die Verfassung verletzt“. In sieben Anklagepunkten wird ihm unter anderem vorgeworfen, vor der Wiederwahl vor zwei Jahren Gelder aus der Staatskasse sowie öffentliche Gebäude und Schulen für Wahlveranstaltungen seiner Partei benutzt zu haben.

Wirtschaft auf Talfahrt

Ein weiterer Klotz am Bein des Präsidenten ist eine wirtschaftliche Krise, einhergehend mit einer rapiden Abwertung der Landeswährung. Kalkulationen für diesjährige staatliche Einnahmen gehen von einem Ölpreis bei 20 US-Dollar aus. Dieser befindet sich jedoch seit Wochen fast bewegungslos bei 16 US-Dollar, so dass die Staatsausgaben, dem Öltropf ausgeliefert, revidiert werden müssen, um ein Defizit zu verhindern.
Um der anhaltenden Kapitalflucht aus dem Land entgegenzuwirken, erlaubte die Regierung am 8. Februar einen freien Tauschhandel mit dem Dollar im Inland. Nur zehn Tage später hatte der Bolívar zehn Prozent seines Wertes eingebüßt, weil nach einer Zentralbankinitiative zur Stützung der Landeswährung die Venezolaner verunsichert waren, wieviel ihr Erspartes noch wert sei. Eine Flucht in den Dollar setzte ein. „Krieg gegen die Spekulanten“ kündigte Chávez am 17. Februar an. Gemeint waren Industrielle und mittelständische Händler, welche seiner Ansicht nach als Folge der Inflation die Preise übertrieben erhöht hätten. Ihnen drohte er Gefängnisstrafen an. Eine neue Front, gegen die Chávez kämpfen will.

Der kolumbianische Patient

Einen toten Patienten zum Leben zu erwecken, fällt schwer. Trotzdem schafften internationale Vermittler unter Leitung europäischer Vertreter und der UNO in der zweiten Januarwoche eine unerwartete Reaktivierung des kolumbianischen Friedensprozesses, der einen zügigen Waffenstillstand herbeiführen soll. Davon ist man nach wie vor weit entfernt, aber „der Weg ist bereitet“, erklärte der UN-Sonderbeauftragte James Lemoyne in der Nacht des 20. Januar sichtlich erleichtert. Wo dieser Weg endet, weiß man spätes-tens am 7. April, wenn das Ultimatum für die Waffenstillstandsverhandlungen ablaufen soll.
Noch zur Mittagszeit des 20. Januar mutmaßten die Bewohner in der entmilitarisierten Zone im Süden Kolumbiens, dass der Friedensprozess am Ende sei. Ein Gerücht ging um in San Vicente, nach dem die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) am Tag zuvor alle offenen Rechnungen bei den Läden beglichen haben, die sich in den letzten drei Jahren angesammelt hätten. Bestes Anzeichen für einen bevorstehenden Rückzug in die Berge. Wenig später war allerdings klar, dass man für mindestens zwei weitere Monate mit den Rebellen zusammenleben wird.
Nach einer der schwersten Krisen im Friedensprozess zeichnet sich nun ein möglicher Waffenstillstand ab, der mit einem klar definierten Zeitplan bis zum 7. April ausgehandelt werden soll. Dafür wurde die Existenz der entmilitarisierten Zone von der Größe der Schweiz per Dekret bis zum 10. April verlängert. Diese eine ist Grundvoraussetzung für die seit drei Jahren stattfindenden Verhandlungen mit den FARC.
Noch eine Woche zuvor standen alle Zeichen auf offenen Krieg. Über 23.000 Elitesoldaten und Dutzende Kampfhubschrauber wurden am Rande der FARC-Zone zusammengezogen, um am Ende eines 48-Stunden-Ultimatums von Präsident Pastrana in das Gebiet einzumarschieren. Ein hemmungsloser Krieg war am 13. Januar nur noch eine Frage von Stunden, nachdem sich die FARC nicht auf eine Erklärung zur Akzeptanz der Zonenkontrollen durchringen konnten. Auslöser der seit Oktober 2001 schwelenden Krise waren begonnene Spionageflüge der kolumbianischen Luftwaffe über dem FARC-Gebiet und verstärkte Kontrollen an Ein- und Ausfahrten der Zone. Die FARC erkannten darin eine Provokation der Regierung sowie eine Verletzung der 1999 ausgehandelten Sicherheitsbestimmungen. Pastrana ließ jedoch von diesen Maßnahmen ab, was sich zu einer unlösbaren Krise auswuchs.
Erst die UN-Vermittlung von James Lemoyne konnte die Situation retten, und die Guerilla akzeptierte trotz weiterer Flüge die Sicherheit für Verhandlungen als gewährleistet. Pastrana, der aus diesem Kräftespiel gestärkt hervorging, ging noch weiter und forderte für weitere Verhandlungen einen verbindlichen Vorschlag zur Einstellung der Kampfhandlungen, einhergehend mit einem Ende von Entführungen und Anschlägen auf die kolumbianische Infrastruktur. Eine Anwandlung von Stärke, die ihn nun davor retten könnte, zum Ende seiner Amtszeit im August diesen Jahres als unbeliebtester Präsident in die Geschichte einzugehen. Die Kolumbianer honorierten seine harte Haltung und innerhalb weniger Tage stieg sein Ansehen von unter 20 auf mehr als 50 Prozent.

Feuerpause nicht geschenkt

Am Abend des 20. Januar akzeptierten Guerilla und Regierungskommission letztendlich den ausgehandelten Zeitplan, der für das Land alles oder nichts bedeuten kann. Klar ist nun, dass der Friedensprozess laut dem katholischen Vermittler Alberto Giraldo eine „reale Chance“ bekommen hat, allerdings auch seine letzte. Sollte es zu einer weiteren Krise kommen – daran ließ Pastrana keinen Zweifel – gelten die Verhandlungen als beendet. Beobachter gehen davon aus, dass die FARC der Regierung eine Feuerpause nicht schenken werden. Um ihre weiterhin geltende Strategie der „Friedensverhandlungen inmitten des Krieges“ zu unterstreichen, lancieren die FARC seit dem 14. Januar Angriffe, bei denen innerhalb weniger Stunden über zwanzig Soldaten ums Leben kamen. Mehrere Strommasten in der Nähe von Metropolen wurden gesprengt und führten zu Energierationierungen in weiten Teilen des Landes. Schon zwei Tage nach der gefeierten Einigung kehrte der Kriegsalltag zurück, und Pastrana und Armeespitze kündigten eine Gegenoffensive gegen die FARC an.
Eine Forderung der FARC, während der anstehenden Verhandlungen auch Konzepte für eine Arbeitslosenunterstützung zu erörtern, wirft bereits jetzt schon Gräben innerhalb der Regierung auf. Während der Arbeitsminister prinzipiell dafür wäre, lehnte der Entwicklungsminister ab. Ein Ende des Konflikts könne seiner Ansicht nach genug zu wirtschaftlichen Aufschwung beitragen, der Arbeitsplätze schaffe. Wirtschaftsvertreter sprachen sich dagegen für die Finanzierung einer Arbeitslosenversicherung aus, „wenn das der Preis für ein Ende des Konflikts sein soll“.
Der dürfte aber weit höher liegen. Parallel zu den Verhandlungen über einen Waffenstillstand muss sich die Regierung verbindlich verpflichten, gegen die Paramilitärs vorzugehen. Zwar wurde bereits ein Jahr zuvor im Vertrag von Los Pozos zwischen Regierung und FARC die Gründung einer Antiparamilitär-Kommission definiert (siehe LN 321), doch diese entpuppte sich bisher als Papiertiger. Jetziger Unterschied: Ab Februar soll eine permanente internationale Präsenz am Verhandlungstisch den Prozess begleiten. Dies erlaubt beiden Seiten nicht mehr, eingegangene Versprechungen ohne folgenreichen Gesichtsverlust zu brechen. Die FARC werden angehalten werden, ihren Friedenswillen mit einer „Abschwächung der Kampfhandlungen“ in den kommenden Wochen zu unterstreichen sowie endlich Minderjährige aus ihren Reihen auszugliedern. Die Regierung wird nicht um politische Zugeständnisse und einen ernsthaften Kampf gegen die Paramilitärs herumkommen, wenn sie einen Frieden mit den FARC anstrebt.
Allerdings bleibt fraglich, wie sich ein völlig auf Krieg eingestelltes Land zu diesem verhandelten Frieden durchringen soll. Während man in San Vicente die Sektkorken knallen ließ, erwarten bis an die Zähne bewaffnete Rebellen und Soldaten ein Ende der Verhandlungen. Denn die letzten drei Jahre der Friedensverhandlungen zeitigten bisher nicht eine einzige politische Lösung. Sie gingen jedoch mit einer nie da gewesenen Militarisierung beider Seiten einher, die aus einem tiefen Misstrauen aus zurückliegenden gescheiterten Friedensverhandlungen resultiert. Ausgerechnet eine Hand voll Europäer mit kubanischer Unterstützung und eine seit dem 11. September weitgehend deklassierte UNO versuchen in einem diplomatischen Drahtseilakt, eine weiterhin in der Luft liegende militärische Konfrontation zu verhindern. Was europäische Nationen und die UNO in Konflikten wie im Nahen Osten nicht erreichen konnten, fiel ihnen nun kurioserweise im „US-Hinterhof“ in den Schoß: Ein diplomatisches Krisenmanagement, das konträr zur US-Außenpolitik steht und zudem einen beachtlichen Etappenerfolg zu verzeichnen hatte.

Verirrte Europäer im US-Hinterhof?

Während man in Washington Mitte Januar offen über eine Neufinan-zierung von Armee-Bataillonen zur direkten Guerillabekämpfung gesprochen und sich somit weiter auf eine militärische Lösung versteift hatte, gelangen der UNO und den sechs europäischen Länder Norwegen, Schweden, Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz, die neben weiteren lateinamerikanischen Ländern zur „Gruppe der zehn befreundeten Länder“ gehören, eine Annäherung an einen politischen Ausweg. Der Erfolg vom 20. Januar,laut dem französischen Botschafter über den Frieden mit „Datum und konkreten Vereinbarungen zu verhandeln“, diskreditiert die militärische Lösungssuche der USA und stellt die bisherige Hegemonialmacht Washingtons auf den Prüfstand. Dass man im Kolumbienkonflikt nicht mit den USA an einem Strang zieht, hat seine Ursachen. Vergangene Kontroversen im Zusammenhang mit dem Plan Colombia (siehe LN 323) führten zu ungewöhnlichen Spannungen zwischen der EU, die den Kurs einer Friedensdiplomatie fährt, und der US-amerikanischen Militärstrategie.

Guerillabekämpfung

Kurz bevor James Lemoyne und der französische Botschafter am 20. Januar den Erfolg bei den Vermittlungsbemühungen ankündigten, lieferten die USA die letzten von 63 neuen Kampfhubschraubern an die kolumbianische Armee, die auch nach der Reaktivierung der Gespräche ihren massiven Truppenaufmarsch an der FARC-Zone nicht rückgängig machte. Der kolumbianische Botschafter in Washington, Luis Alberto Moreno, berichtete in einem Interview mit der Zeitung El Espectador von einer Umdefinierung der US-Militärhilfe für die „Drogenbekämpfung“ in eine direkte Guerillabekämpfung. Demnach berate die Bush-Administration derzeit einen solchen Vorschlag, der Anfang Februar dem Kongress vorgelegt werden soll. Ziel ist die Aufstockung und Umstellung der 2. Brigade von 800 auf 4.000 Soldaten in eine Spezial-Einheit, die gegen „Subversive“ vorgehen soll. Die FARC stehen neben der kleineren Kuba-orientierten ELN und den paramilitärischen AUC seit September auf der US-Liste für ausländische Terrorgruppen. Just zum Auftakt neuer erfolgversprechender Gespräche lässt sich eine indirekte Verschärfung der US-Politik gegenüber dem Friedensprozess verfolgen.
So groß die Euphorie unter den Diplomaten derzeit ist, so groß ist auch das Risiko, dass der kleinste Zwischenfall eine neue blutige Ära im kolumbianischen Bürgerkrieg auslösen könnte. Provokationsversuche innerhalb der FARC-Zone durch Paramilitärs oder Armee sind nicht ausgeschlossen. Folge wäre eine Annullierung der Gespräche durch die FARC, der Zeitplan wäre durcheinander gebracht und ein Ende des Friedensprozesses besiegelt. Unklar bleibt auch, wie sich die FARC bei einem Waffenstillstand verhalten würde. Dass Rebelleneinheiten und Paramilitärgruppen freundschaftlich ihre Wege in den kolumbianischen Wäldern kreuzen werden, ist unwahrscheinlich.
Völlig offen ist zudem, was das Land nach dem Waffenstillstand politisch zu erwarten hat. Im Mai stehen Präsidentschaftswahlen an, im August soll der neue Präsident vereidigt werden. Von den drei aussichtsreichsten Kandidaten Horacio Serpa, Noemí Sanín und dem Rechtspopulisten Alvaro Uribe Velez war bisher nichts von einer Fortführung der Verhandlungen zu hören, geschweige von einem ernsthaften Wandel in der kolumbianischen Politik. Alvaro Uribe Velez fordert permanent eine militärische Lösung, was ihn bei einem Scheitern des Friedensprozesses direkt in den Präsidentenpalast befördern könnte. „Die Zukunft des Landes steht auf dem Spiel“, sagte der UN-Sonderbeauftragte Lemoyne. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit so schnell nichts ändern.

Müde des ewigen Krieges

Es soll noch kolumbianische Dörfer geben, die in den letzten Jahrzehnten nie einem Angriff bewaffneter Gruppen ausgesetzt waren. Andere verzeichnen in einem Jahr gleich mehrere, die meist zerstörte Kirchen, Agrarbanken, Polizeistationen und immer häufiger Wohnhäuser hinterlassen. Das Schema ähnelt sich fast immer: Die Guerilla stößt bis zum Dorfplatz vor, liefert sich Scharmützel mit der Polizei, wirft Bomben in Gebäude und zieht sich nach einigen Stunden wieder zurück. Paramilitärs suchen sich dagegen ihre Ziele in der Bevölkerung. Personen werden nach Namenslisten in ihren Häusern aufgesucht, verschleppt und massakriert, oder ganze Dörfer werden dem Erdboden gleich gemacht. Die BewohnerInnen verkriechen sich derweil unter ihren Betten und hoffen, den Angriff lebend zu überstehen. Das Resultat ist bei beiden bewaffneten Gruppen meist übereinstimmend. Halb zerstörte Ortschaften sowie Angst und Einschüchterung in der Bevölkerung.
Ein für die Angreifer unerwartetes Szenario ereignete sich jedoch am 12. November 2001 in dem Dorf Caldono in der Provinz Cauca, das überwiegend von Indigenen bewohnt ist. Während die FARC-Guerilla begann, sich Straße um Straße zur Polizeistation vorzuarbeiten, schnappte sich eine Hand voll Mutiger ein Megafon und Musikinstrumente, mit denen sie auf die Straße gingen. In wenigen Minuten versammelte sich das Dorf im strömenden Regen auf dem Hauptplatz, bildete einen Ring um die Polizeistation und forderte die Guerilla auf, ihren Willen auf ein Leben in Frieden zu respektieren und sich zurückzuziehen. Die versammelte Menge sang währenddessen Lieder von Mercedes Sosa. Die Guerilla stellte daraufhin das Feuer ein und verschwand in den Bergen.
Ein ähnlicher Fall fand zwei Tage zuvor im Nachbardorf Bolívar statt, das 2001 bereits drei Mal von der FARC attackiert wurde. Nach einem 15-stündigen Scharmützel hatten einige Bewohner die Nase voll, setzten sich in ein Auto und forderten die Bevölkerung per Megafon auf, aus ihren Häusern zu kommen und sich dem Angriff friedlich entgegenzustellen. Mit Erfolg. Auch dort musste sich die Guerilla verwirrt zurückziehen.
Dass man auch den Mut hat, den Paramilitärs die Stirn zu bieten, bewies das Dorf Corinto. Nach einem Massaker an 13 Bauern rief ein Vertreter des regionalen Indígena-Rats zu einem öffentlichen Protest gegen die paras auf und forderte ein entschiedenes Engagement der Bewohner gegen die rechten Milizen, wie es die Bewohner von Caldono und Bolívar gegen die Guerilla bewiesen hatten. So solle verhindert werden, dass diese beim nächsten Mal wieder in aller Ruhe Personen aus ihren Häusern holen und ermorden können.

Wiederbelebung des zivilen Widerstands

Offenbar entdecken indigene Gemeinden Kolumbiens eine Tradition wieder, die wegweisend sein kann, um eine zivile Friedensbewegung für ganz Kolumbien aufzubauen. Bereits in der Vergangenheit gab es unter den kolumbianischen Indigenen eine ausgeprägte Form, sich äußeren Einflüssen zu widersetzen. Angefangen bei den Spaniern, die sich bei ihren Eroberungszügen an einigen Indígena-Völkern erfolglos die Zähne ausgebissen haben, bis zu Gemeinden, die schon in den Achtzigern inmitten des Konflikts Mittel entworfen haben, sich bewaffneten Gruppen entgegenzustellen. In mehreren Regionen des Landes wurden „Friedenszonen“ ausgerufen, die jedoch nicht mehr respektiert werden. Die Cauca-Indigenen forderten die Guerilla und Paramilitärs auf, sich aus ihrem Gebiet fern zu halten und ihre Kultur und Tradition zu respektieren. Sie seien kein Teil des Konfliktes.
Dass diese Forderungen bis hin zu aktivem Handeln nun wiederbelebt wurden, liegt an der Zuspitzung der Auseinandersetzungen in den letzten Monaten. So haben allein durch Massaker und Morde im Jahre 2001 mindestens 1.090 Personen im Cauca den Tod gefunden. Laut dem Bürgermeister von Caldono hätten es die BewohnerInnen nun „satt gehabt“, immerzu Opfer der Auseinandersetzungen zu sein. Dabei sei der angewandte Protest auch ein Mittel gewesen, „den Gruppen zu zeigen, dass Stärke durch Zusammenhalt entsteht, nicht durch Waffen und Granaten.“
Eine Initialzündung für den neu entstandenen Protest markierte offenbar die Entführung von drei Deutschen Mitte letzten Jahres, die für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) ein Drogensubstitutionsprojekt bei den Indigenen durchgeführt hatte. Nachdem die FARC die GTZler wegen „ungeklärter Machenschaften“ verschleppte, organisierten die Indigenen eine Demonstration von 6.000 Menschen, die deren Freilassung forderte. Viele machten sich auf, die Entführten in den anliegenden Bergen zu suchen.
Das Massaker der Paramilitärs in Corinto fand an Indígena-Vertretern statt, die noch im Mai des letzten Jahres einen Marsch gegen den verschärften Konflikt in ihrem Territorium organisierten. 42.000 Menschen machten sich damals auf den Weg bis nach Cali, wo sie Schutzmaßnahmen und ein entschiedenes Vorgehen gegen die rechten Milizen von der Regierung forderten. Der Mord der paras schüchterte sie nicht ein, sondern brachte die Gemeinden statt dessen dazu, ihre Rechte auf allen Seiten verstärkt einzufordern. Denn: „Es kann nicht sein, dass ein Massaker dem anderen folgt“, meinte Anatolio Quirá, Vertreter des Indigenenrats im Cauca (Cric). „Die Regierung unternimmt kaum etwas, um den Friedensprozess voranzubringen.“

Hilfe im Sinne des Plan Colombia

Der Friedensprozess mit der FARC-Guerilla steckte zu diesem Zeitpunkt abermals in einer Krise und Präsident Andrés Pastrana konnte sich die Zeit nehmen, der Region Mitte Dezember einen Besuch abzustatten, um sie für den „würdevollen Kampf für die Verteidigung der Autonomie und Kultur“ zu beglückwünschen. Im Gepäck hatte er ein Entwicklungspaket, das eine umfassende Elektrifizierung, 150 neue Häuser, asphaltierte Straßen und einen neuen Sportplatz beinhaltete. Des Weiteren sollten die BewohnerInnen in das „Familienprogramm in Aktion“ aufgenommen werden. Dieses wird finanziert aus dem Plan Colombia, genauso wie eine neue mobile Brigade der Armee ganz in der Nähe. Fernando Tapias, Kommandeur der kolumbianischen Streitkräfte und ebenfalls Besucher in der indigenen Widerstandsregion, kündigte eine Stationierung von 7.000 Soldaten bis März 2002 an.
Wahrscheinlich war das nicht die Antwort, die Quirá auf seine Forderungen für einen ernsthaften Friedensprozess erwartet hatte. Eine sinnvollere drückte der indigene Gouverneur im Cauca, Floro Tunubalá, nach dem Pastrana-Besuch aus. „Um den Frieden zu erreichen ist es notwendig, die Straflosigkeit, die Korruption und den Drogenanbau auszutilgen und eine wahrhafte politische Reform anzugehen. Das Geld des Plan Colombia muss dazu dienen, soziale Maßnahmen zu finanzieren, welche die Bauern und Indigenen davon überzeugen, nicht weiter Mohn, Koka und Marihuana anzubauen.“ In diesem Sinne hat sich bereits vor einigen Monaten eine südkolumbianische Initiative aus mehreren Gouverneuren entwickelt, die Alternativen für die Gelder des Plan Colombia vorschlägt. Der Großteil dient bisher ausschließlich zur militärischen Bekämpfung von Drogenfeldern. Hauptgeschädigte sind Indigene und Bauern in den südkolumbianischen Provinzen, deren Felder nach massiven Giftbesprühungen auf Jahre für den Ackerbau unbrauchbar sind.
Ein Analyst der regionalen Tageszeitung El País brachte den sich seit Monaten entwickelnden Widerstand im Cauca auf zwei wesentliche Punkte. Demnach hängt dieser einerseits von dem „langen Prozess der Schaffung einer realen Autonomie der indigenen Gemeinden mit ihren Traditionen, Gesetzen und Gewohnheiten ab“, der ihnen eine starke solidarische Gemeinschaft verschafft. Andererseits sei „eine Stärkung von Kommunen in Konfliktgebieten zu verzeichnen, die ihre eigenen Ziele mit kollektiven, direkten und pazifistischen Mitteln vertreten.“ Beide Punkte waren in der Entwicklung des kolumbianischen Konfliktes immer schwieriger zu realisieren. Ein Heer von mittlerweile über zwei Millionen internen Kriegsflüchtlingen macht es nahezu unmöglich, deren kulturelle Wurzeln wiederzubeleben. Organisierte Gemeinden wurden in der Vergangenheit immer öfter Ziele von Gräueltaten durch Paramilitärs, funktionierende Kommunen deshalb immer seltener. Erst eine aktive Unterstützung auf regionaler Ebene durch den indigenen Gouverneur ließ eine Wiederbelebung der Gemeinden im Cauca zu.

Muss Widerstand indigen sein?

Äußerst schwierig wird es jedoch, wenn man DurchschnittskolumbianerIn ist, alleingelassen in den Weiten der Selva lebt und zum Spielball machtpolitischer Interessen wird. Die BewohnerInnen des Dorfes Belén de los Andaquís in der Provinz Caquetá wollten sich ein Beispiel an der Widerstandsform der Indigenen nehmen und laufen nun Gefahr, Opfer ihrer regionalen Gegebenheiten und medialer Fehldarstellungen zu werden. Nachdem die FARC bereits zwei Mal im Jahr 2001 das Dorf attackierte, erklärte sie, dass sie entweder zu Weihnachten oder Neujahr wiederkommen werde, da sie im Caquetá weitgehend die inoffizielle Macht ausübt. Als Mauricio Arenas, Leiter des Dorfradios Radio Los Andaquís am Abend des 31. die Weihnachtskassette seines Senders wechseln wollte, hörte er entfernt Schüsse. Spontan entschied er sich, die BewohnerInnen über den Äther dazu aufzurufen, mit weißen Kleidern und Laken zum Dorfplatz zu gehen, um gegen eine neue Attacke zu protestieren. Nach einer Weile versammelten sich die BewohnerInnen tatsächlich und sangen die Nationalhymne. Zwar konnten sie die Guerilla nicht davon abhalten, drei Häuser zu zerstören, die mutmaßlichen Paramilitärs gehörten. Angekündigt gewesen war jedoch die Zerstörung von elf Gebäude. Gleichzeitig ist allerdings wegen ihrer Aktion nun die Angst vor Racheakten gewachsen.
Im Gegensatz zu den Indigenen im Cauca schützten die BewohnerInnen nicht die Polizeistation, sondern machten lediglich auf ihr „Recht auf ein friedliches Leben“ aufmerksam. In den Fernsehnachrichten wurde ihr Protest jedoch verzerrt und instrumentalisiert. Der größte Sender des Landes Caracol berichtete, die BewohnerInnen hätten sich schützend um die Polizeistation versammelt. Eine folgenreiche Lüge, wie ein Bewohner gegenüber LN berichtete: „Alle wissen, dass auf einer nahe gelegenen Finca 1.200 Paramilitärs ausgebildet werden und die Polizei Kontakte zu ihnen pflegt. Es gibt viele von den paras im Dorf. Nun glaubt die Guerilla, wir wollten diese beschützen. Das stimmt aber nicht.“
Die BewohnerInnen befürchten nun Vergeltungsaktionen. Im Dorf kursiert das Gerücht, die FARC hätte angekündigt, beim nächsten Mal auf Protestierende mit weißen Laken zu schießen.

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