Powells Liste

Seit dem 7. Oktober schlägt das Imperium zurück. Mehr als zwei Monate lang legten die USA einen Bombenteppich über weite Teile Afghanistans. Wie viele Menschen dabei getötet wurden, bleibt vorerst unbekannt. Die Taliban sprechen von zehntausend Opfern, und die UNICEF schätzt, dass während des Winters hunderttausend Kinder verhungern werden.

Kollateralschäden für die USA, so scheint es. Notwendige Übel auf dem langen Weg zu einer Welt ohne Terror. Die Taliban-Hochburg Kandahar war noch nicht gefallen, da wurde schon der Irak als nächstes Etappenziel angepeilt. Dort werden vermutlich Massenvernichtungswaffen hergestellt. Letzte Beweise dafür fehlen. Doch die US-Regierung schert es nicht, dass der Irak internationale Inspektionen akzeptieren will, wenn die gegen ihn verhängten Sanktionen aufgehoben werden. Sanktionen, an deren Folgen nach Angaben des ehemaligen UN-Irak-Beauftragten für humanitäre Fragen, Hans von Sponeck, bis Ende 2000 eine halbe Million Kinder gestorben sind.

Wer sich neben dem Irak im Fadenkreuz der USA befindet, geht aus einer Liste des State Departments hervor. Darauf steht schwarz auf weiß, welche Organisationen die USA als terroristisch einstufen. Die Hälfte, von Jihad, Hamas und der PFLP über die PKK bis hin zur Abu Sayyaf, stammen aus islamischen Ländern. Aufgeführt sind auch Staaten, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind, früher Schurkenstaaten geheißen.

Nicht auf der Liste Colin Powells stehen jene Länder, die sich im Kampf gegen den Terrorismus bereits Verdienste erworben haben. Dazu zählt die Türkei, die seit Jahren kurdische Dörfer bombardiert, in denen sich „Terroristen“ der PKK versteckt halten. Oder Russland, das ganze Städte im „terroristischen“ Tschetschenien von der Landkarte radiert hat. Der UsbekenGeneral Abdul Rashid Dostum fehlt ebenfalls auf der Liste. Seine Truppen stürzten 1992 die sowjetfreundliche Regierung Najibullah. Nebenbei vergewaltigten sie in Kabul systematisch Frauen und hinterließen Zehntausende von Leichen. Nun durfte Dostum den USA abermals zur Seite stehen: Binnen 24 Stunden nachdem seine Truppen die strategisch wichtige Stadt Masar i Sharif einnahmen, waren laut CNN um die 600 EinwohnerInnen massakriert.

In Lateinamerika sind die USA nicht minder wachsam als in der Welt des Islam: Die FARC, die ELN und die MRTA stehen auf der gleichen Terrorliste wie Al Qaida. Ebenfalls dabei ist der Sendero Luminoso, und nachträglich wurde noch die paramilitärische Mörderbande AUC aus Kolumbien hinzugefügt. Die gilt indes als weniger gefährlich, weil ihre Aktivitäten sich nicht gegen die USA richten. Das wiederum kann man von Kuba nicht sagen, das auf der Liste steht, weil es beschuldigt wird, Mitgliedern der ETA Unterschlupf zu gewähren. Dass die Ausreise von ETA-Mitgliedern nach Kuba auf einer Übereinkunft mit der spanischen Regierung beruht, spielt keine Rolle.

Es ist offensichtlich, wie sehr die Machtinteressen der USA bestimmen, wer auf die Liste aus Washington kommt und wer nicht. Die Konsequenzen können gerade auch für die Zivilbevölkerung lebensgefährlich sein. Zum Beispiel in Kolumbien, wo die USA mit ihrem „Plan Colombia“auf die Eskalation des Krieges statt auf Verhandlungen mit der Guerilla setzen.

In den 80er Jahren hätten sicherlich auch die FMLN, die guatemaltekische URNG und das sandinistische Nicaragua auf der Terrorliste gestanden. Aber nicht die salvadorianischen Todeschwadronen, das Guatemala des Massenmörders Rios Montt oder die von Honduras aus gegen die SandinistInnen operierende Contra, die allesamt von den USA gefördert wurden. Um El Salvador geht es im Schwerpunkt dieser Ausgabe. Denn genau vor zehn Jahren, im Januar 1992, trat dort ein Friedensabkommen in Kraft. Der Schlusspunkt eines Bürgerkrieges, in dem 80.000 SalvadorianerInnen starben. Nicht zuletzt, weil die gemeinsam mit den Todesschwadronen operierende Armee von den USA bis an die Zähne bewaffnet wurde. Ob 80er Jahre oder heute: Die USA sollten sich selbst auf ihre Liste setzen.

PS: Diese Ausgabe der Lateinamerika Nachrichten ist eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit aus München.

Kolumbien gleich Afghanistan? – Die Intervention hat schon begonnen

In einem Brief, den der US-Präsident George W. Bush Ende Oktober an den kolumbianischen Präsidenten Pastrana schrieb, um sich für das Mitgefühl nach den Anschlägen vom 11.9. zu bedanken, merkte er am Schluss an: „Das kolumbianische Volk hat schwer gelitten unter denen, die das Reich des Gesetzes angreifen, aber diese Kriminellen konnten eine der ältesten Demokratien der Hemisphäre nicht besiegen. Ich weiß, dass unser Beistand im Kampf Kolumbiens das Gegenstück zu Ihrem Beistand für das amerikanische Volk in diesen schwierigen Zeiten ist. Ich hoffe mit Ihnen zusammen zu arbeiten, um dieser schwierigen Herausforderung zu begegnen.“

Engagement der USA

Vom 7. – 11. November reiste dann Pastrana in die USA, um den US-Außenminister Colin Powell zu treffen. Dort dürfte ein weiter gehendes Engagement der USA in Kolumbien zur Sprache gekommen sein. Noch Anfang 2001 schrieb die rechte „Rand Corporation”, eine Stiftung des Flugunternehmens Douglas, in einem Bericht über Kolumbien für die US-Airforce, im Falle eines Scheiterns der Drogen- oder Aufstandsbekämpfung der Regierung Pastrana müssten sich die USA entscheiden, entweder einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust hinzunehmen oder ihr Engagement im Konflikt weiter zu steigern.
Dieser Fall scheint nun – im Schatten des Krieges gegen Afghanistan – eingetreten zu sein. Philip Reeker, Sprecher des US State Department, schließt zwar eine direkte US-Militärintervention in Kolumbien aus. Doch zugleich betonte Francis Taylor, „Anti-Terrorismus-Koordinator“ der dieser Behörde, am 15. Oktober auf einer Pressekonferenz nach einer nicht-öffentlichen Sitzung der „Interamerikanischen Konferenz gegen Terror (CICTE), dass „terroristische Organisationen“ in Kolumbien ebenfalls Ziel der „Antiterrorismus-Kampagne“ der USA im Gefolge des 11. Septembers sein würden. In Kolumbien und anderen Ländern Lateinamerikas werde eine ähnliche Strategie zum Tragen kommen, wie sie von den USA in Afghanistan verfolgt wird. Bezüglich der Guerillas und der Paramilitärs „werden wir alle in unserer Macht stehenden Ressourcen und wenn notwendig auch militärische Gewalt anwenden, um ihre Aktivitäten zu stoppen“, so Taylor weiter. Da die Ernennung eines Staatssekretärs für Lateinamerikafragen durch die Bush-Regierung ausblieb, kam Taylor in den vergangenen Monaten eine zentrale Rolle in der Kolumbien-Politik der USA zu.
Fernando Tapias, Generalkommandeur der kolumbianischen Streitkräfte, der auch an dem CITCE-Treffen teilnahm, betonte, Kolumbien bräuchte keine Intervention ausländischer Truppen. „Wir bieten unsere Kräfte auf und fordern Unterstützung in den Bereichen Ausbildung, technischer Beistand und geheimdienstliche Tätigkeiten“. Nach weiteren Gesprächen mit Pentagon-Vertretern zeigte Tapias sich zufrieden: „Seit dem 11. September hat sich die Situation geändert. Sie (die US-Amerikaner) verstehen uns jetzt besser, da sie die Auswirkungen dieser Mischung aus Terrorismus und Drogen, die so schwer wiegende Folgen für die Menschheit hat und unter denen wir seit Jahren leiden, selbst erleben.“

US-Botschafterin spricht Klartext

In Kolumbien transformierte die US-Botschafterin Anne Patterson die ausgegebene Linie bei einem Auftritt vor dem Kongress der Nationalen Föderation der Händler (Fenalco) Ende Oktober in einen Vergleich zwischen den Taliban und den kolumbianischen Guerillas und Paramilitärs: Ebenso wenig wie die Taliban und Osama Bin Laden den Islam repräsentierten, suchten die „kolumbianischen Terroristen“ nach sozialer Gerechtigkeit für die Bevölkerung. „Im Unterschied zu den Terroristen in Afghanistan haben die kolumbianischen Gruppen zwar keine direkte globale Reichweite. Doch jede dieser Gruppen übt Terrorismus gegenüber den Kolumbianern aus und schwächt die Fundamente der ältesten Demokratie Lateinamerikas“, so Patterson.
Die Botschafterin äußerte auch die Sorge, dass Taliban-Drogenhändler sich nach Kolumbien absetzen könnten, um von dort aus den Heroin-Fluss in die USA aufrecht zu erhalten. Doch die USA werden Kolumbien im Kampf gegen den Drogenhandel nicht alleine lassen, so Patterson weiter, und würden die militärische Hilfe fortführen und aufstocken. „Vor Ende des Jahres werden noch weitere zehn Blackhawk-Hubschrauber nach Kolumbien geliefert und Anfang nächsten Jahres weitere 25.“ Zudem wurde eine weitere Finanzspritze von 882 Millionen US-Dollar für die Andenstaaten angekündigt, von denen 440 Millionen an Kolumbien gehen sollen. Außerdem würden Sondereinheiten zur Ausbildung von Einsätzen gegen Entführungen nach Kolumbien gesandt werden, denn laut Patterson müsse „diese Plage in Kolumbien ausgerottet werden“.

Revolutionssteuern

In die unzähligen Entführungen, die jedes Jahr zu verzeichnen sind, sind alle Akteure im kolumbianischen Konflikt verwickelt: Polizei, Militär, Paramilitärs und Kriminelle zur persönlichen Bereicherung und die Guerilla-Organisationen, um nicht bezahlte „Revolutionssteuern“ von größeren Unternehmen und reichen kolumbianischen Familien einzutreiben. Doch ob gerade die kolumbianischen Spezialtruppen der GAULA, die seit Jahren in Antiguerilla-Taktiken und dem Vorgehen bei Entführungen ausgebildet werden, der richtige Adressat dafür sind, ist mehr als fraglich, denn der Wissensvorsprung der GAULA-Truppen führte bisher dazu, dass sie selbst tief in den Paramilitarismus und sogar in Entführungen verwickelt waren.
„Jede dieser Gruppen in Kolumbien ist tief in den Drogenhandel verstrickt. Jede hat enorme Einnahmen aus dem Drogenhandel. Jüngst haben auch die AUC (die Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens; A. d. Red.) den gleichen Weg eingeschlagen“, begründet die US-Botschafterin das US-Engagement gegen die Guerillas und sogar die Forderung nach Auslieferung ihrer Vertreter in die USA. Dabei spielt die Drogenökonomie nur bei den Paramilitärs tatsächlich eine zentrale Rolle. Die Verwicklung der AUC in den Drogenhandel, zusammen mit der kolumbianischen Oligarchie und dem Militär, ist wiederholt belegt worden. Vielleicht hat deshalb die US-Regierung ihren ehemaligen geheimen Verbündeten AUC in diesem Jahr in ihrer „Terrorliste“ aufgenommen.
Die ELN (Ejército de Liberación Nacional) hingegen hat aus sozialen und ökologischen Gründen eine sehr strikte Haltung gegen den Drogenanbau und -handel. Selbst Organisationen wie das „Geopolitische Drogenobservatorium“ (OGD) mit Sitz in Frankreich attestieren ihr, keinerlei Verbindung zum Drogengeschäft zu haben. Die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) hingegen besteuert in den Gebieten unter ihrer Kontrolle die Geschäfte der Händler, schützt die Kleinbauern vor den selbigen und garantiert ihnen Verkaufspreise. Dies ist jedoch nicht ihre einzige Einnahmequelle. Aussagen Pattersons wie: „US-amerikanische Experten haben ausgerechnet, dass allein die FARC jährlich mehrere hundert Millionen US-Dollar durch den Drogenhandel einnimmt. Im Putumayo, dem operativen Zentrum des Plan Colombia, ist die FARC nichts weiter als eine Organisation des Drogenhandels“, sind also dazu gedacht, die Aufstandsbekämpfung als „Krieg gegen Drogen“ zu tarnen.

Friedensprozess kommt nicht weit

Schließlich wurden bisher auch unzählige kolumbianische Politiker und Militärs und selbst MitarbeiterInnen der US-Botschaft und des mit der Organisation der Besprühung der Koka-Felder beauftragten US-Militärunternehmens DynCorp des Drogenhandels oder Waschens von Drogengeldern überführt, während es bisher noch keinen Prozess aus den gleichen Gründen gegen ein Guerilla-Mitglied gab. Die Ankündigungen von Anne Patterson kommen zudem just in einem Moment, in dem der Dialog zwischen Regierung und FARC in einer Krise steckt. Kurz vor Ablauf des Abkommens über die von der FARC kontrollierte 42.000 Quadratkilometer große entmilitarisierte Zone im Süden Kolumbiens wurde dieses Mitte Oktober von der Regierung verlängert. Zunächst drohte die Situation zu eskalieren, da die Armee in das entmilitarisierte Gebiet eingedrungen war und zwei FARC-Angehörige erschoss, während die Regierung die FARC des Mordes an der ehemaligen Ministerin beschuldigte. Ein Abkommen, in dem sich Regierung und FARC auf verschiedene Maßnahmen verpflichteten, machte eine Verlängerung der Entmilitarisierung dennoch möglich. Doch schon wenige Tage später geriet der bisher ohnehin ergebnislose Dialog erneut in eine Krise, als sich die kolumbianische Regierung weigerte, das Überfliegen der Zone mit Militärflugzeugen einzustellen. Aus der kolumbianischen Armee und rechten Kreisen Kolumbiens wurden wieder Stimmen laut, die eine militärische Lösung fordern.
Wie gefährlich es ist, sich in diesem Zusammenhang gegen eine militärische Lösung auszusprechen, zeigt das Beispiel der „Notables“, einer dreiköpfigen Kommission, die beauftragt wurde, ein Dokument mit Vorschlägen zum Friedensprozesses mit der FARC zu erarbeiten. Das Ergebnis wurde Anfang Oktober veröffentlicht und nannte unter anderem einen Waffenstillstand zwischen Regierung und FARC und die uneingeschränkte Bekämpfung der Paramilitärs durch Militär und Guerilla als eine Grundvoraussetzung für einen Frieden. Noch am Tag der Veröffentlichung gingen zwei der drei Kommissionsmitglieder auf Grund schwer wiegender Todesdrohungen ins Exil.

US-Amerikaner in Kolumbien

In den vergangenen Jahren drohten die USA wiederholt mehr oder weniger offen mit einem direkteren Eingreifen. Bisher ist die US-Army jedoch nicht einmarschiert. Das heißt allerdings nicht, dass die USA auf eine Präsenz im Konflikt verzichten würden. Aktuell befinden sich laut Pentagon 175 bis 200 US-Militärs in Kolumbien, die der kolumbianischen Armee als Militärberater im „Kampf gegen Drogen“ beistehen, sowie weitere 100 Agenten des CIA und der Antidrogenbehörde DEA. Weitere 15.000 US-Soldaten verschiedener Einheiten sind im vergangenen Jahr auf die Grenzstaaten (außer Venezuela) und einige Länder der Karibik verteilt worden. Der Krieg gegen die Bevölkerung wird auch zunehmend privatisiert, professionalisiert und internationalisiert. Zusätzlich zu US-amerikanischen Militärausbildern sind mindestens acht private Kriegsunternehmen verschiedener Herkunft in Kolumbien aktiv.
So etwa DynCorp, ein US-Unternehmen aus Reston, Virginia, das logistische Aufgaben für Militäroperationen übernimmt und traditionell eng mit der US-Army zusammenarbeitet. DynCorp ist an der Organisation der Besprühungen beteiligt und stellt die dafür notwendigen Fachkräfte wie Piloten, Mechaniker und medizinisches Personal ein und beschäftigt in Kolumbien 355 Mitarbeiter, die Hälfte davon US-Amerikaner. Auch das US-amerikanische Kriegsunternehmen MPRI, das von ehemaligen hochrangigen US-Militärs geführt wird und bei Pentagonsitzungen stets als Gast eingeladen wird, ist mit etwa 300 Ausbildern und Personal in Kolumbien tätig. MPRI ist in Abstimmung mit dem Pentagon in zahlreichen Ländern weltweit aktiv und beriet auch das kroatische Militär im Jugoslawienkrieg. Bei ihren Aktivitäten verschwimmen einerseits die Grenzen zwischen der Ausbildung von Militärs und Paramilitärs und andererseits die Grenzen zwischen beratender Tätigkeit und direkten Eingriffen in Kampfhandlungen.
Gemäß eines vom US-Kongress verabschiedeten Gesetzes zur Verhinderung der „Vietnamisierung Kolumbiens“ darf die Präsenz US-amerikanischen Personals im Rahmen des Plan Colombia die Zahl von 500 Militärangehörigen und 300 angeheuerten Privatpersonen nicht überschreiten. Doch auch wenn Unternehmen wie DynCorp und MPRI diese Bestimmung damit zu umgehen versuchen, dass etwa die Hälfte ihres in Kolumbien aktiven Personals aus anderen Ländern stammt, dürfte die zulässige Anzahl dennoch weit überschritten sein. Doch auch ein weiteres Engagement sollte stutzig machen: Allein von Januar bis September 2001 wurden bei der Handelskammer von Bogotà 1.515 neue Nichtregierungsorganisationen registriert. Die US-Botschafterin Anne Patterson äußerte gegenüber der rechten kolumbianischen Zeitung El Tiempo, die USA habe allein 80 NGOs entlang des Flusses Putumayo finanziert, die angeblich mit der Aufgabe betraut seien, die Auswirkungen der Besprühungen aus der Luft auf Mensch und Natur zu beobachten.

Chemiekonzern Monsanto

Eine Aufgabe, für die wohl kaum eine solche Vielzahl von NGOs notwendig scheint. Beispielsweise führt das vom Chemiekonzern Monsanto unter dem Markennamen Round-up vertriebene Herbizid Glyfosat, das in Kolumbien eingesetzt wird, nachweislich zu schweren gesundheitlichen Schädigungen bei der betroffenen Bevölkerung, zur umfassenden Vernichtung jeglicher Pflanzen und zur Verseuchung von Quellen und Gewässern. Wie in Vietnam ist der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden Bestandteil einer Kriegspolitik der verbrannten Erde. Als Ende Juli ein Zivilgericht dem Antrag verschiedener indianischer Gemeinden auf ein Verbot der Besprühungen der Koka-Anbauflächen mit Glyfosat aus der Luft statt gab und eine fünfzehntägige Aussetzung der Besprühungen verordnete, war dies für die US-amerikanische Botschafterin Anne Patterson Grund genug, der kolumbianischen Regierung sofortige Folgen betreffs der Unterstützung des Plan Colombia durch die USA anzudrohen. Wenige Tage später gab das Gericht wieder grünes Licht für die zerstörerischen Besprühungen. Es ist daher davon auszugehen, dass viele der NGOs Teil der Aufstandsbekämpfung sind, die die soziale Basis der Guerilla zersetzen und zugleich ein dichtes Spitzelnetz im Dienste der US-Army und der kolumbianischen Armee bilden soll.

Menschenrechtler in der Mangel

Im Dezember 2000 sind in Barrancabermeja Paramilitärs (AUC) einmaschiert. Was ist seitdem passiert?

Die Paramilitärs haben die Kontrolle in den umliegenden Gemeinden und in einzelnen Stadtvierteln übernommen. Sie arbeiten mit der Unterstützung der Militärs und der Polizei in Barrancabermeja. In unserer Stadt bleiben 97 Prozent der Verbrechen ungestraft. Diese Paramilitärs bedrohen uns, säen Terror, ermorden Menschen. Sie wollen sich in Barrancabermeja einnisten und die sozialen Organisationen, die für die Menschenrechte eintreten, nach und nach vertreiben. Daher fliehen jetzt viele aus Barrancabermeja, während sie in den letzten Jahren aus dem Umland nach Barrancabermeja geflohen sind.

Wie macht sich die Präsenz der Paramilitärs im Alltag bemerkbar?

Die Paramilitärs sind überall. Sie haben Häuser von Flüchtlingen übernommen, überwachen das Gebiet und haben Radios und Waffen dabei. Sie sind nicht uniformiert, aber viele Leute kennen sie, da sie zum Teil selbst aus dem gleichen Gebiet stammen. Häufig versammeln sie alle Menschen des Viertels oder der Gemeinde, um ihnen zu sagen, welchen Regeln sie jetzt zu folgen hätten, wenn sie weiterhin in Barrancabermeja bleiben wollen. Sie stellen neue so genannte „Regeln der gesunden Gewohnheit“ auf, und zwingen zum Beispiel Jugendliche, sich die Haare abzuschneiden. Die Paramilitärs rekrutieren Jugendliche aus den Vierteln und aus den comunidades, indem sie ihnen etwas Geld, etwa 500 Pesos, eine Waffe und ein Handy versprechen. Sie nutzen deren Armut aus und kaufen die Jugendlichen einfach.

Wird auch die OFP bedroht?

Die Paramilitärs haben die OFP zum militärischen Ziel erklärt. Wir erhalten immer wieder Drohungen, die wir natürlich bei der Polizei anzeigen, aber es wird nichts unternommen. Sie wollten uns aus unserem Haus werfen, aber wir haben uns ihnen entgegengestellt. Ähnliches haben sie auch in den Gemeinden versucht. Die stehen allerdings ganz alleine da, sie haben nur die Unterstützung von sozialen Organisationen wie der OFP. Die Gemeinden baten uns nach den Übergriffen um Hilfe. Wir zeigen die Paramilitärs immer wieder an, denn wir wissen, wo sie sind. Doch dann geht die Polizei in diese Häuser und sagt, die OFP hätte Paramilitärs denunziert. Dadurch steigt die Bedrohung für uns. Es gibt eine unglaubliche Komplizenschaft zwischen der Polizei und den Paramilitärs! Die PBI wurden auch bedroht. Aber es hat den Anschein, dass es in diesem Fall sehr starken politischen Druck gab, denn einige Tage danach haben die Paramilitärs sich bei den PBI entschuldigt und gesagt, sie hätten sich getäuscht, sie wären nicht gemeint gewesen, sondern die OFP.

Warum haben die paramilitärischen Gruppen so ein starkes Interesse an der Region Magdalena Medio und Barrancabermeja?

Die Region von Barrancabermeja und Magdalena Medio hat eine enorme strategische Bedeutung: Der Magdalena-Fluss ist eine der wichtigsten Wasseradern und einer der entscheidensten Transportwege des Landes. Es ist auch eine sehr reiche Region, wir haben hier große Ölvorkommen, sowie Gold im Süden von Bolívar, daneben noch Mineralien und Holz. Außerdem eignet sich das Land sehr gut für die Landwirtschaft. Die Region ist sehr wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung Kolumbiens. Mit der militärischen Präsenz in dieser Region will der kolumbianische Staat politische und soziale Kontrolle ausüben.

Wie arbeitet die OFP? Was sind ihre Ziele und wie lange besteht sie schon?

Die OFP existiert seit 29 Jahren und ist eine Frauen-Basisorganisation, die in der Region Magdalena Medio in verschiedenen municipios arbeitet. Zu ihren Hauptthemen gehören die juristische Arbeit und die Gesundheit der Frauen. Wir haben ein Netz von Kantinen innerhalb unserer Frauenhäuser organisiert, bieten Unterstützung für vertriebene Frauen; wir bieten auch psychosoziale Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Frauen, sowie Bildungsprogramme an. Die Frauen sind zentral in unserer Arbeit, aber wir können sie nicht aus ihrem Umfeld herausreißen, sondern beziehen ihre Söhne, ihren Ehemann, Bruder oder Vater auch mit ein. Wir informieren die Frauen über ihre Rechte und wollen ihnen helfen, zu politischen Subjekten zu werden, die ihre Wünsche artikulieren können.

Und worin besteht die Arbeit von CREDHOS?

CREDHOS arbeitet seit 1987 in der Region. Wir arbeiten in vier Bereichen: Erstens zeigen wir immer wieder die Menschenrechtsverletzungen an, die bewaffnete Gruppen begehen, die in der Region präsent sind. Zweitens veranstalten wir Seminare, Workshops und Gesprächsrunden zum Thema Menschenrechte und erstellen didaktische Materialien wie Zeitschriften, Dokumente und Videos. Weitere Arbeitsfelder sind die Solidarität mit den Opfern der Menschenrechtsverletzungen und der Bereich der Kommunikation. Leider werden wir immer wieder bedroht. Sieben Mitarbeiter sind umgebracht worden, 14 weitere konnten sich nicht länger in der Region aufhalten und mussten wegziehen. Vier Mitarbeiter leben nach massiven Drohungen sogar im Exil in Spanien. Häufig verhält sich auch der kolumbianische Staat so, als wären wir seine Feinde. Nur weil wir unsere Menschenrechtsarbeit verfolgen. Extrem wichtig ist für uns die internationale Unterstüzung, die Begleitung der PBI, die immer präsent und immer auf dem Laufenden sind, über das, was gerade passiert.

Welche Rolle spielt der Staat in diesem Konflikt? Sind die Paramilitärs Akteure des Staates, oder besteht die Möglichkeit für Gruppen aus der Zivilbevölkerung, sich bei der Suche nach Hilfe und Schutz an staatliche Institutionen zu wenden?

Wir fordern den Staat immer wieder auf, das Leben und die Rechte seiner Einwohner zu schützen. Dabei müssen wir mit dem kolumbianischen Staat zusammenarbeiten, mit seinen zivilen Institutionen wie dem Innenministerium und den Ombudsmännern. Wir setzen sie unter Druck, damit sie ihre Aufgaben erfüllen, aktiv werden. Aber meistens passiert nichts. Die Institutionen antworten den Menschenrechtsvertretern oft nicht. Der Staat hat an Glaubwürdigkeit verloren. Ein Hauptproblem besteht darin, dass die Menschen Angst haben, Verbrechen vor dem Staat anzuklagen. Aber zumindest gibt es Räume, in denen wir über die Situation der Menschenrechte in der Region reden können.

Es gab Überlegungen, in Barrancabermeja eine Zone der ELN (Ejército de Liberación Nacional) einzurichten ähnlich jener der FARC (Fuerza Armadas Revolucionarias de Colombia) im Süden. Wie ist die Situation der ELN in der Region, nachdem im vergangenen Monat die Gespräche mit der Regierung endgültig abgebrochen wurden?

Die aufständischen Gruppen der ELN haben sich aus der Region Barrancabermeja ins Umland zurückziehen müssen. Im letzten Monat hat die Regierung den Dialog mit den ELN beendet. Wir haben in diesem Dialog ein Licht der Hoffnung für Barrancabermeja gesehen, denn wir glauben, dass nur über Verhandlungen mit den bewaffneten Akteuren zu erreichen ist, dass dieser Krieg aufhört. Ich glaube vorerst nicht an eine Fortsetzung des Dialogs der Regierung mit der ELN, aber wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Wir bitten die Internationale Gemeinschaft, Druck auf die Regierung auszuüben, den Dialog fortzusetzen. Das erscheint uns als die einzige Hoffnung.

Welche Befürchtungen haben denn die Menschenrechtsorganisationen in Barrancabermeja bezüglich der im nächstes Jahr stattfindenden Wahlen?

Wir befürchten, dass Gruppen wie die Paramilitärs die Leute in den Gemeinden unter Druck setzen werden, damit sie einen bestimmten Kandidaten wählen. Unglücklicherweise halten die Paramilitärs in den Gemeinden schon Versammlungen ab, in denen sie ihre eigenen Kandidaten aufstellen.

In den letzten Wochen wurde der OFP in Bonn ein Menschenrechtspreis verliehen.

Dieser Preis ist nicht nur für uns, sondern auch für die Gemeinden sehr wichtig. Das zeigt uns, dass wir auf internationaler Ebene viel Unterstützung für die Frauen- und Menschenrechtsorganisationen bekommen.

KASTEN

Die Region Barrancabermeja

Die Organisationen OFP und CREDHOS bemühen sich um Frieden und Selbstbestimmung für die Bevölkerung in der Region Barrancabermeja. Die PBI versuchen durch internationale Präsenz zu sichern, dass Menschenrechtsorganisationen ihre Arbeit fortsetzen können. Barrancabermeja und das umliegende Gebiet Magdalena Medio liegen traditionell im Einflussgebiet der Guerillaorganisation ELN, doch seit Jahren versuchen die paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. Seit Dezember 2000 kontrollieren die Einheiten der AUC drei Viertel der Stadt. Barrancabermeja zählt etwa 300.000 Einwohner. In der gesamten Region leben etwa eine Million Menschen.

„Lügen Sie nicht, Herr Präsident!“

Zu Beginn der zweiten Augustwoche, nach einem Treffen zwischen Regierung und ELN in Venezuela, verkündete der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana das Ende der Gespräche mit der ELN, da die Organisation keinen „wirklichen Friedenswillen“ zeige. Zuvor hatte die kolumbianische Regierung 18 Monate lang jede ihrer Zusagen gegenüber der ELN gebrochen, woraufhin die Guerilla im März ihrerseits die Gespräche aussetzte. Pastrana erklärte, dass beim Treffen in Venezuela die ELN, nachdem alles nahezu geregelt war, plötzlich neue Forderungen gestellt habe, wodurch der von seiner Regierung initiierte Friedensprozess zusammen gebrochen sei.

Hinhaltetaktik der Regierung

„Lügen Sie nicht, Herr Präsident“ betitelte daraufhin die ELN ein von den fünf höchsten Comandantes unterschriebenes Kommuniqué und zerstreute damit auch gleich alle Gerüchte über vermeintliche Differenzen innerhalb der Guerilla. In dem Kommuniqué stellte die ELN zugleich klar, die Regierung Pastrana habe entgegen ihrer Aussagen niemals einen Friedensprozess mit der ELN begonnen.
Vor dem letzten Treffen hatte die Regierung versprochen, das acht Monate alte Abkommen von Havanna endlich zu erfüllen. In ihm hatte sie sich zur Entmilitarisierung der von der ELN geforderten Zone verpflichtet. Auch hatte sie sich festgelegt, in dem Gebiet keine weiteren vermeintlichen Drogenpflanzungen aus der Luft zu besprühen, sondern für eine manuelle Beseitigung der Kokapflanzen zu sorgen. Doch stattdessen begann schon kurze Zeit später unter dem Titel „Operación Bolívar“ eine große Offensive des Militärs in dem zu entmilitarisierenden Gebiet (siehe LN 323).
Beim Treffen in Venezuela aber wollte die Regierung davon nichts mehr wissen. Stattdessen wollte sie die Größe der zu entmilitarisierenden Zone reduzieren, sie verlegen oder alle Gespräche im Ausland abhalten. Das Treffen ging so ergebnislos zu Ende.

Haftbefehle gegen ELN-Comandantes erneuert

Die ELN erklärte sich zu Gesprächen mit dem nächsten kolumbianischen Präsidenten, der im März kommenden Jahres gewählt werden soll, bereit und kündigte verstärkte Aktionen an. Die Regierung ihrerseits erneuerte die Haftbefehle gegen verschiedene ELN-Mitglieder, die während der Gespräche ausgesetzt worden waren, verschärfte die Haftbedingungen für die zwei ELN-Comandantes Francisco Galán und Felipe Torres. Auch kündigte sie eine erneute Militäroffensive gegen die Guerilla an.
Die Aktionen der ELN ließen nicht lange auf sich warten. In der ersten Woche schon wurden meh-rere Ortschaften in verschiedenen Regionen Kolumbiens besetzt, die dortigen Polizeizentralen angegriffen und eine Bank ausgeraubt. Auf die wichtigste Erdölpipeline des Landes wurde ein Anschlag verübt und neun Hauptstrommasten um Medellín gesprengt, wodurch auch die Stromzufuhr für die U-Bahn unterbrochen wurde. Einheiten der ELN blockierten die wichtigsten Verbindungsstraßen Kolumbiens – darunter die von Medellín nach Bogota –, verbrannten an mehreren Orten zahlreiche LKW’s, entführten mindestens acht Soldaten und Polizisten und töteten bei Gefechten etwa ebenso viele. Bombenanschläge auf Geldinstitute und die Energieversorgung in Medellín folgten, was zum Stromausfall in weiten Teilen der Stadt führte. Weitere Anschläge und Angriffe im Nordosten des Landes folgten. In anderen Regionen kam es auch wieder zu gemeinsamen Militäraktionen der Revolutionären Bewaffneten Streitkräfte FARC und ELN.
Die Regierungstruppen verstärkten seit Mitte August ihre Offensive gegen die beiden Guerillas. Neben der ehemals der ELN zur Entmilitarisierung zugesagten Zone sind vor allem einige Departements mit starker FARC-Präsenz in den Provinzen Guaviare, Guainía, Meta und Vichada im Südosten des Landes von der Militäroffensive betroffen.
Die Armee hat dort nach eigenen Angaben mit etwa 6.000 Soldaten, von denen mehr als ein Viertel Spezialeinheiten angehören, etwas mehr als 2.000 Angehörige der FARC eingekreist. Diese seien von der entmilitarisierten Zone der FARC im Caguán in andere Regionen aufgebrochen. Bisher, so die Streitkräfte, seien nahezu 20 Guerilleros im Kampf getötet worden und etwa ebenso viele desertiert. Unter den Toten befindet sich auch Urías Cuéllar, der eine Spezialeinheit der FARC befehligte. General Carlos Fracica, Leiter der Operation, kündigte ein „massives Überlaufen“ der Guerilleros an, wenn „wir sie nicht gleich in schwarzen Säcken raustragen. Erst wenn der Block der FARC vernichtet ist, werden wir diese Region verlassen.“ In Meta habe die Luftwaffe bei Bombardements 17 Kämpfer der FARC getötet.
Die FARC bestätigte bisher nur den Tod eines ihrer Comandantes und sechs weiterer Soldaten. Die restlichen Angaben sind mit großer Vorsicht zu behandeln. Die Armee hat in der Vergangenheit immer wieder Erfolgsmeldungen erfunden. Auch die Ermordung von Bauern und ihre nachträgliche Präsentation als „im Kampf getötete Guerilleros“ gehört zur weit verbreiteten Armeepraxis.
Die FARC forderte die Regierung Pastranas mittlerweile in einem Brief auf, zu erklären, ob die Gespräche mit ihr seitens der Regierung eingestellt worden seien. Die Vertreter der Regierung waren am 16. August vor Beginn vereinbarter Gespräche ohne Angabe überstürzt abgereist. Die Regierung, die sich eine Woche lang bedeckt gehalten hatte, äußerte nun, die Gespräche seien so lange eingefroren, so lange die FARC drei Deutsche, Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), in ihrer Gewalt habe.

Remilitiarisierung gefordert

Währenddessen wird der Chor derer lauter, die die Aufkündigung der seit November 1998 von der Regierung für Gespräche mit der FARC entmilitarisierten Zone und eine Militäroffensive fordern. Allen voran beglückwünschte Carlos Castaño, Anführer der rechtsextremen Paramilitärs AUC, größter Drogenhändler des Landes und enger Verbündeter der Militärs, die Armee zu ihren Erfolgen und forderte eine intensivere Offensive gegen die FARC. Ohne explizit eine Aufkündigung der Zone zu fordern, wies auch ein Sprecher der US-amerikanischen Regierung auf einen „Missbrauch“ der Zone durch die FARC hin, die diese für Entführungen, Übergriffe und Drogenhandel nutze. Die USA hatten die Entmilitarisierung von Anfang an abgelehnt.
Indes war nach über einer Woche für eine 68 Personen große internationale Friedenskarawane das Umherirren vorbei. Der von Paramilitärs und Armee terrorisierten Bevölkerung im Süden der Region Bolívars, dem ursprünglich zu entmilitarisierendem Gebiet, konnten die mitgebrachten Hilfsgüter übergeben werden. Die Karawane war von den paramilitärischen Organisationen No al Despeje und Asocipaz an verschiedenen Stellen aufgehalten und massiv bedroht worden, mit der Begründung, es handele sich um ELN-SympathisantInnen.

Weniger schädlich als Putzmittel?

In der Region wurden auch die Besprühungen aus der Luft mit Glyfosat wieder aufgenommen, wie BäuerInnen und Gemeindeverwaltungen vermeldeten. Gleiches droht nun auch anderen Regionen Kolumbiens. Erst Ende Juli hatten verschiedene indigene Gemeinden einen Antrag auf Verbot der Besprühungen der Koka-Anbauflächen mit Glyfosat aus der Luft gestellt. Der zuständige Richter eines Zivilgerichts in Bogotá verfügte eine fünfzehntägige Aussetzung. Das war der US-amerikanischen Botschafterin in Kolumbien, Ann Patterson, Grund genug, anzudrohen dass das Ende der Besprühungen aus der Luft sofortige und verheerende Folgen bei der Unterstützung des Plan Colombia durch die USA haben werde. Die Drohung wirkte, und am Ende der ersten Augustwoche gab das Gericht wieder grünes Licht für die zerstörerischen Besprühungen: Es seien nicht die Besprühungen, die die Natur zerstörten, sondern der illegale Anbau und die weitere Verarbeitung der Koka-Blätter, so die Begründung. Der kolumbianische Justizminister Rómulo González befand sogar, Haushaltsputzmittel seien gesundheitsschädlicher als Glyfosat. Dabei führt das vom Chemiekonzern Monsanto unter dem Markennamen Round-up vertriebene Herbizid Glyfosat nachweislich zu schweren gesundheitlichen Schäden bei der betroffenen Bevölkerung, zur umfassenden Vernichtung jeglichen Anbaus und zur Verseuchung von Quellen und Gewässern.
Auch einige Gouverneure verschiedener Departements im Süden des Landes fordern seit einiger Zeit vergeblich, die Besprühungen einzustellen. Vergangene Woche schlug der Gouverneur von Tolima, Guillermo Alfonso Jaramillo, im Namen weiterer Gouverneure dem kolumbianischen Senat vor, zeitgleich zu den Parlamentswahlen im März 2002 eine Volksabstimmung über die Besprühung abzuhalten. Bezüglich der US-Drohung, die Gelder für den Plan Colombia zu streichen, meinte Jaramillo: „Es wurden mehr als 1,5 Milliarden Dollar für Hubschrauber und Waffen ausgegeben, was nicht das ist, was wir benötigen (…) Sie sollen doch mal das ganze Glyfosat in den USA auf die Marihuana-Felder kippen, mal sehen was sie dann denken.“

Drei IRA-Angehörige festgesetzt

Noch ein anderer Fall wühlt Kolumbien derzeit auf: Die Antiterror-Einheiten der kolumbianischen Armee verhafteten im Flughafen von Bogotá drei irische Männer, die mit falschen Pässen aus Kolumbien ausreisen wollten. Alle drei sollen laut Presseberichten und Angaben der britischen Behörden der IRA angehören. Sie seien mehrere Monate durch Lateinamerika gereist und hätten die vergangenen fünf Wochen in der entmilitarisierten Zone der FARC im Süden des Landes verbracht. In der kolumbianischen, britischen und irischen Presse wurde wild über die Hintergründe ihres Aufenthalts spekuliert. Die Ermittlungen der kolumbianischen Staatsanwaltschaft beziehen sich auf die gefälschten Personaldokumente und auf eine „Superbombe mit der Zerstörungskraft eines Atomsprengkörpers“, die die drei Iren für die FARC bauen sollten.
In der Medienkampagne geht es vornehmlich darum die Gefährlichkeit der FARC zu unterstreichen, indem sie mit der IRA – die in Kolumbien als besonders gefährlich gilt – in Verbindung gebracht wird. Es dauerte auch nicht lange, bis einige baskische NGO-MitarbeiterInnen in den Medien zu ETA-Mitgliedern wurden, die angeblich mit der ELN zusammen arbeiten.

Ölbohrungen eingestellt

Die einzige positive Nachricht aus Kolumbien dieser Tage ist, dass der große US-amerikanische Ölmulti Oxy angeblich die Probebohrungen auf dem Territorium der U’wa-Indígenas in den Andenausläufern im Nordosten Kolumbiens eingestellt hat. Offizieller Grund war, dass kein Erdöl gefunden wurde. Die U’wa leisteten über Jahre hinweg starken Widerstand gegen die Bohrungen, da sie das Land als heilig betrachten und die Umweltzerstörung und die Vernichtung ihrer Lebensgrundlage durch die Erdölkonzerne nicht zulassen wollen. Die Oxy, zu deren prominentesten AnteilseignerInnen der ehemalige demokratische US-Vizepräsident Al Gore gehört, sowie der spanische Ölmulti Repsol bedrohen mit vorgesehenen Probebohrungen auch andere Territorien der Indígenas in Lateinamerika.

Die Politik der verbrannten Erde

Verdorrte Maisstauden stehen inmitten von ausgebleichten Schlafmohnpflanzen, deren Knospen schlaff herunterhängen. Die Wiese daneben hat sich braungelb verfärbt. Vom Kräutergarten hinter dem properen Häuschen mit den weiß getünchten Lehmwänden sind nur noch kümmerliche Reste übrig. Oberlinda Daigón zeigt auf ein Kartoffelfeld und sagt verzweifelt: „Die ganze Ernte ist verloren.“
„Die Regierung kennt die traurigen Zustände in diesen Winkeln des Landes nicht,“ meint ihr Mann Hermes Narváez. Vor einer Woche sind über ihr Anwesen in den südkolumbianischen Anden, das kaum ein Hektar groß ist, drei Sprühflugzeuge und fünf Hubschrauber der Polizei gebraust. Durch die Besprühung mit dem Monsanto-Pflanzengift Roundup soll der Schlafmohn im Territorium der Yanacona-Indígenas vernichtet werden. Doch das gelingt nur teilweise. Ein paar Hundert Meter weiter ist ein Mohnfeld fein säuberlich in zwei Hälften geteilt: Vorne sterben die Stängel ab, hinten sind die Pflanzen intakt. Dunkelrot und rosa leuchten die Blüten herüber. Der Grund: Aus Angst vor Attacken der Guerilla wird die optimale Flughöhe von 15 Metern meist weit überschritten. „Und der Wind weht das Gift noch weiter weg,“ sagt Hermes Narváez. Wie so viele hier haben er und seine Frau einen kleinen Teil ihres Landes dem Mohnanbau gewidmet. „Dadurch, so dachten wir, kommen pro Jahr wenigstens ein paar Hundert Mark herein,“ erklärt der 55jährige Kleinbauer. Obst, Gemüse, und Getreide dienen der Eigenversorgung, denn auf dem Markt brächten sie nur ein paar Pesos ein.

Augenbrennen und Brechreiz

Doch nicht nur die Pflanzen leiden unter den Besprühungen. Das Futter für Rinder, Pferde, Hühner und Meerschweinchen wird knapp. Noch Tage nach der Besprühungsaktion, erzählt Oberlinda Daigón, habe sie Augenbrennen und Brechreiz verspürt, Kinder in der Nachbarschaft seien krank geworden. Die Krankenschwester im tiefer gelegenen Ort Guachicono bestätigt, dass nach den Besprühungen viele Bauern aus der Umgebung mit ähnlichen Symptomen zum Gesundheitsposten gekommen seien. Und auch im Krankenhaus der 90 Kilometer nördlich gelegenen Provinzhauptstadt Popayán steigt nach den Sprüheinsätzen regelmäßig der Zulauf von PatientInnen aus den ländlichen Gebieten.
Noch immer siedeln die meisten der gut 6000 EinwohnerInnen vom Guachicono ähnlich wie das Ehepaar Narvaéz in abgelegenen Höhenlagen. Doch etliche Familien haben bereits Zuflucht in ärmlichen Hütten am Dorfrand gesucht. In anderen Landesteilen, etwa in der Nachbarprovinz Putumayo, haben die Besprühungen einen Exodus bewirkt.
Alle Ansätze zur so genannten alternativen Entwicklung die durch Regierungsstellen oder auch der „Gesellschaft für technische Zusammenarbeit“ (GTZ) versuchen, die Kleinbauern vom Mohnanbau abzubringen, werden zunichte gemacht. So hätten die BewohnerInnen des Nachbarortes Rioblanco von 1997 bis 1999 ihre Mohnanbaufläche um die Hälfte reduziert, erzählt Orlando Palechor, der junge Bürgermeister von Guachicono. Doch im Juni 1999 kamen die Sprühflugzeuge. Drei Forellenfarmen, ein Projekt zur Schafszucht und unzählige Modellpflanzungen des Regierungsprogramms „Plante“ mussten von vorne beginnen.
Der Innenminister höchstpersönlich habe wenig später versprochen, dass die Besprühungen eingestellt würden. „Doch auch diese Zusage war nichts wert”, sagt Palechor bitter. Im Mai 2000 kam es besonders schlimm. Vier Tage lang hätten die Flugzeuge große Teile den Yanacona-Territoriums in Giftnebel eingehüllt. „Da baut man jahrelang mühsam Vertrauen auf, und dann wird alles kaputt gemacht”, fasst Plante-Berater Juan Hugo Torres zusammen. Die Substitution von Mohn durch legale Produkte müsse freiwillig erfolgen – so ein Kerngedanke der alternativen Entwicklung.
Am meisten dürfen sich die Mittelsmänner der Drogenmafia freuen: Da die legalen Alternativen nicht funktionieren, finden sie immer mehr Kleinbauern, die ihnen den gummiähnlichen Rohstoff für die Heroinherstellung verkaufen. Frühmorgens geht so mancher Bewohner in seine kleine Mohnparzelle, ritzt die Knospen an und lässt das Latex in kleine Plastikdöschen tropfen.
Mit einer geschätzten Mohnanbaufläche von 20.000 Hektar ist Kolumbien hinter Afghanistan zum zweitgrößten Heroinproduzenten avanciert. Im ersten Halbjahr 2001 beschlagnahmnte die kolumbianische Polizei 750 Kilo Heroin – 25 Prozent mehr als im gesamten letzten Jahr. Und ähnlich wie beim Kokaanbau verfehlen die Besprühungen ganz offensichtlich ihren angeblichen Zweck. Das räumt auch Marco Cordón ein. Von Popayán aus leitet der junge Polizeioberst die Sprüheinsätze in den südkolumbianischen Provinzen Cauca und Nariño. Wenn er über die Gebiete fliegt stellt er fest, dass „der Mohnanbau nicht wirklich zurückgeht.“ Doch das sei „ein politisches Problem“.

GTZ-Mitarbeiter entführt

In der Tat: Beharrlicher denn je drängt die US-Regierung auf die Fortsetzung des „Drogenkriegs“, den sie derzeit unter den Namen „Plan Colombia“ und „Andine Antidrogeninitiative“ finanziert. Auffällig dabei: Die mit der US-Militärhilfe hochgerüstete Armee widmet sich vorwiegend dem Antiguerillakampf, und auch die Besprühungen richten sich kaum gegen die industriell angelegten Kokagroßplantagen, die von den rechten Paramilitärs kontrolliert werden.
Guachicono gehört zum „Kolumbianischen Massiv“, dem Quellgebiet der größten Flüsse Kolumbiens, dem Magdalena und dem Cauca. Hier, in der Höhe von 2000 bis über 4500 Meter, ist die Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren besonders hoch. Auch deswegen hat die GTZ bereits 1993 die Arbeit am Projekt „Integrale Entwicklung Bota Caucana“ aufgenommen, das sich ebenfalls gegen den Drogenanbau richtet.
Am 18. Juli entführte eine Einheit der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) den GTZ-Projektleiter Ulrich Künzel und zwei seiner Begleiter. Allerdings nicht im Projektgebiet, sondern außerhalb des Touristenortes Silvia nordöstlich von Popayán. Vier Wochen später bekannten sich die Rebellen zur Tat. „Wir stellen Informationen über die Projekte der Deutschen in unserem Land zusammen, um dann zu entscheiden, was wir mit ihnen machen“, sagte Rebellenkommandant Iván Ríos gegenüber einheimischen Radiosendern. Offenbar sehen die FARC die Arbeit der GTZ im Zusammenhang mit der kolumbianischen Regierungspolitik zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Durch die „so genannten Sozialinvestitionen des Plan Colombia“ solle der „interventionistische und militaristische Kern der US-Initiative“ vertuscht werden, behaupten die Guerilleros mit einigem Recht. Während sich die USA vorwiegend im militärischen Bereich engagieren, unterstützt die EU Sozialprojekte.
Das GTZ-Vorhaben „Bota Caucana“ gehört auch dazu. Nach der Entführung entschloss sich die Organisation „aus Sicherheitsgründen“ für eine äußerst restriktive Informationspolitik. LokaljournalistInnen wurden im GTZ-Büro von Popayán brüsk abserviert. Nur einige MitarbeiterInnen des Projektpartners, der Regierungsbehörde „Netz der sozialen Solidarität“, waren zu Auskünften über die schwierige Arbeit im Andenhochland bereit.
In der Andengemeinde San Sebastián, die zum GTZ-Projektgebiet gehört, ist der Mohnanbau eine ebenso wichtige Einnahmequelle wie in Guachicono. „Die Substitution wird hier nicht funktionieren,“ lautet das Fazit des Yanacona-Indígena Aníbal Gómez im Hinblick auf die Besprühungen, die auch hier regelmäßig stattfinden.
Die FARC und dem „Heer zur nationalen Befreiung“ (ELN) sind die uneingeschränkten Herrscher in und um San Sebastián. Am helllichten Tag patrouillieren schwer bewaffnete Jugendliche in neuen Uniformen durch die steilen Gassen des malerischen Dorfes. Das FARC-Camp liegt knapp 10 Kilometer außerhalb. Paramilitärische Gruppen sind hier noch nicht aufgetaucht, auch für Armee und Polizei ist die Gemeinde tabu. „Es fehlt nur noch, dass die Zone offiziell zum Guerillagebiet deklariert wird,“ meint ein Angestellter des Bürgermeisteramtes. Am GTZ-Projekt hatten die Rebellen bislang nichts zu beanstanden, auch wenn die „Besteuerung“ des Drogenanbaus und -handels zu den wichtigsten Einnahmequellen der FARC gehört. Ulrich Künzel hatte die Besprühungen wiederholt kritisiert und gegenüber der Regierung durchblicken lassen, die GTZ könne sich deswegen zurückziehen. Was die FARC verleitet hat, die drei Deutschen wochenlang festzuhalten, bleibt daher schleierhaft. Sie haben nicht nur die Bundesregierung und die EU gegen sich aufgebracht, sondern auch die Indígenas aus Silvia und die Kleinbauern aus San Sebastián, für die das Projekt trotz aller Schwächen ein Lichtblick ist.
Anfang September wurde der greise FARC-Chef Manuel Marulanda im Fernsehen zitiert, er habe die Freilassung von Künzel, seinem Bruder Thomas und Rainer Bruchmann angekündigt – mit der sonderbaren Begründung, „wir verstehen die drei Herren nicht”.
Ob die GTZ nun im Andengebiet weitermacht, hat vor allem hohe symbolische Bedeutung. Ihr Rückzug wäre ein weiterer Beleg dafür, dass in der Logik des „Drogenkrieges“ kein Platz bleibt für zivile Ansätze. Der enge Spielraum für den „Alternativplan“ des indianischen Gouverneurs der Provinz Cauca, Floro Tunubalá, der dank der Unterstützung durch die organisierten Basisbewegungen gewählt wurde, würde weiter schrumpfen. (siehe LN 325/326).
Die AktivistInnen vor Ort setzen unverdrossen auf friedliche Mobilisierung zwischen den Fronten. Auf einem Treffen in San Sebastián wandten sie sich gegen die Bevormundung durch die Guerilla und drohten der Regierung mit einem Generalstreik. „Wir sind für das Recht auf Leben, gegen den Plan Colombia und für eine politische Lösung des bewaffneten Konflikts,“ fasst Angel Solano von der Bauernorganisation Fundecima zusammen, „und deswegen bleibt die internationale Präsenz wichtig.“

„Wir sind bereit, der Guerilla Nachhilfeunterricht zu geben“

Viele indianische Gemeinschaften in Kolumbien leben mitten im Konfliktgebiet. Wie verhalten sich die bewaffneten Gruppen?

Der Krieg findet auf unserem Territorium statt und die bewaffneten Akteure marschieren ständig hindurch. Die Paramilitärs, die mit der Guerilla aufräumen wollen, suchen die Guerilleros bei uns. Es kommt immer wieder zu Zusammenstößen. Dann beschuldigen die FARC uns wieder, die Paramilitärs zu unterstützen und es kommt zu Vertreibungen.

Was ist die Ursache dieser Anschuldigungen?

Eine bewaffnete Gruppe kommt in das Dorf und bittet um Wasser oder Essen. Wenn du es ihnen verweigerst, dann gehörst du für sie zu den Gegnern. Gibst du es ihnen, dann kommen die anderen und bezichtigen dich der Kollaboration mit dem Feind. Es kommt auch vor, dass die Guerilla einen Indígena bittet, im Dorf einzukaufen. Im Dorf sitzen die Paramilitärs und passen genau auf, wie viel eingekauft wird. Wenn sie der Meinung sind, das ist mehr, als eine Familie braucht, dann nehmen sie den Unglücklichen fest. Wenn er sich weigert, wirft ihm die Guerilla vor, nicht zu kollaborieren. Wir ergreifen nicht Partei. Wenn die FARC einen von uns ermorden, dann protestieren wir öffentlich, wenn die Paramilitärs einen umbringen, genauso. Es gibt viele Tote und von vielen erfährt man gar nichts weil die Dorfgemeinschaft Angst hat und den Mord nicht anzeigt. Wir setzen uns für ein humanitäres Minimalabkommen ein. Mit den FARC hatten wir so ein Übereinkommen seit 1987. Aber das wird nicht mehr eingehalten. Oft werden Leute einfach auf Denunzierung umgebracht. Wenn es Probleme in der Familie gibt oder mit den Nachbarn, dann suchen manche nicht die friedliche Lösung, sondern gehen zur Guerilla oder zu den Paras und verleumden die Person.

Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen FARC und dem Volksbefreiungsheer (ELN)?

In Antioquia ist das ELN kaum präsent. Wir hatten aber einige Gespräche. Bei einem Treffen mit NGOs in Costa Rica bekannte sich das ELN zur indianischen Autonomie. Aber es gibt trotzdem Probleme, wenn das ELN in indianischen Territorien operiert. Zum Beispiel bei den U’was in Arauca, wo es große Ölvorkommen gibt. Dann kamen auch die FARC und jetzt bekämpfen die beiden Guerillagruppen einander.

Im Jahre 1999 wurden drei Indigenisten aus den USA im U’wa-Gebiet von den FARC ermordet. Hängt dieses Verbrechen auch mit dieser Rivalität zusammen?

Ja, es geht um territoriale Herrschaft. Die FARC wollen das Gebiet dominieren, aber das ELN will sich nicht vertreiben lassen. Die Erklärung, die sie für den Mord gaben, war einfach, dass die Leute nicht um Erlaubnis gefragt hätten. Aber wem gehört das Territorium? Den U’was. So werden indianische Rechte und Traditionen mit Füßen getreten.

Bei den U’was geht es um Erdölinteressen. Offenbar haben FARC und ELN unterschiedliche Ansichten zur Erdölausbeutung im Konfliktgebiet.

Wir wollen mit der Guerilla darüber diskutieren, welches Entwicklungsmodell ihnen vorschwebt. Die Regierung sagt zum Beispiel, von 5000 Indios lassen wir nicht den Fortschritt der Nation aufhalten. Die U’was wehren sich gegen die Erdölbohrungen, daher gelten sie als Wirtschaftsfeinde. Welche Position würde die Guerilla vertreten, wenn sie an die Macht käme: würde sie unsere Kosmovision, wonach die Erde unsere Mutter ist, respektieren? Oder würde sie sich genauso verhalten, wie die jetztige Regierung? In der Verfassung von 1991 haben wir viel durchgesetzt: sie erkennt den multiethnischen und plurikulturellen Charakter der Nation an und definiert die indianischen Gebiete als territoriale Einheiten. Es wird auch garantiert, dass Abbau von Naturschätzen nur erlaubt ist, wenn keine indianischen, sozialen oder kulturellen Rechte verletzt werden. FARC und Regierung sprechen jetzt im Friedensdialog von einer neuen Verfassunggebenden Nationalversammlung. Wir wollen Garantien, dass eine neue Verfassung nicht hinter die von 1991, die mit vielen Mobilisierungen erkämpft wurde, zurückfällt.

Gibt es zur Ausbeutung der Ressourcen eine einheitliche Position?

Es gibt mehrere Positionen. Die U’was sagen, ihr Erdöl darf nicht ausgebeutet werden. Andere meinen, man kann sich einigen. Man will ja nicht als Fortschrittsfeind gelten. Aber die Erfahrungen auf der ganzen Welt sprechen für sich. Ich habe einmal den Bergbauminister gefragt, ob er mir ein Beispiel nennen kann, wo die Erdölausbeutung die Würde des Menschen gefördert hat. Die U’was haben erkannt, dass das Vordringen der Ölmultis ihren langsamen Tod besiegeln würde. Wenn ihr uns töten wollt, dann tut es lieber gleich, sagen sie und stellen den kollektiven Selbstmord in den Raum. In Caño Limón, wo die Macahuanes, die Ignú, die Guaibos und Sikuanis lebten, gab die Erdölgeselschaft eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Diese Studie besagte, dass es unmöglich sei, dort nach Erdöl zu bohren, denn der Río Arauca, der die Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela bildet, überschwemmt das Gebiet jedes Jahr. Wenn das Hochwasser zurückgeht, bleiben dann Seen zurück, die das Land fruchtbar machen. Zuerst gibt es Fische, dann kann man anbauen und es gibt dort viel Wild. Die Ölgesellschaft ließ also eine Straße bauen, um diese heiligen Seen trockenzulegen. Die Macahuanes, Guaibos und Sikuanis verloren damit ihre Lebensgrundlage und mussten weg. Heute betteln sie in den Straßen von Arauca, wurden Alkoholiker, nehmen Drogen oder prostituieren sich. Wir sind nicht gegen den Fortschritt aber wir verlangen, dass der Fortschritt unsere Rechte respektiert.
Dieselbe Einstellung herrscht in der Gentechnologie. Da kam ein Gringo nach Panama und nahm einer Indigenen Blut ab. In seinem Labor fand er dann heraus, dass man damit Blutzucker kurieren kann und er ließ das Blut auf seinen Namen patentieren. Die Früchte seiner Entdeckung gehören also ihm, nicht der indigenen Frau oder ihrer Gemeinschaft. Für den weißen Mann heißt Fortschritt persönliche Verbesserung oder Reichtumsmehrung für einige wenige, einen Konzern. Er verwechselt Entdeckung mit Erfindung. Wir kritisieren das. Sollte sich herausstellen, dass mein Blut irgendeine Krankheit heilen könnte, würde ich es mit Freude der ganzen Menschheit zur Verfügung stellen. Niemand sollte dieses Blut als Privateigentum betrachten. Denn wenn mich einer fragt, wie alt ich bin, sage ich, dass ich Tausende von Jahren zähle. Ich bin nicht das Produkt von 40 Jahren sondern von Tausenden Generationen seit der Erschaffung des Universums. Dasselbe trifft auf das Saatgut zu. Die Weißen wollen sich das Saatgut aneignen und im Labor herstellen. Dann darf man seinen Mais nicht mehr selbst reproduzieren sondern muss das Saatgut irgendeinem Konzern abkaufen, der ihn patentiert hat. Ich habe versucht, mich in die Köpfe der Weißen hineinzudenken, aber es gelingt mir nicht. Wir denken kollektiv, nicht individuell. Für uns kann niemand Eigentümer einer Getreidesorte sein, nur die Menschheit. Wir glauben auch an den Fortschritt, aber wir denken, er soll den Menschen nützen und nicht den einen auf Kosten von anderen einen Vorteil verschaffen. Wenn schon nach Erdöl gebohrt werden soll, dann sauber. Ich weiß nicht, ob das geht. Aber man hat mir gesagt, in den USA, da wird viel sauberer gefördert.

Wie ist die Situation in anderen Ländern Lateinamerikas?

Ich war bei den Mapuches in Argentinien und war entsetzt. Die haben Ölbohrtürme auf ihrem Territorium. Das Öl verseucht ihr Wasser. Wenn sie trinken wollen, müssen sie erst das Öl ausfiltern. Sie haben Blei und Quecksilber im Blut. Wenn sich einer verletzt, verheilt die Wunde nicht. Wie ist es möglich, dass in diesem neuen Jahrhundert Menschen so leben müssen und von ihrer Regierung vergessen werden? Dasselbe passiert in Ecuador. Wenn unsere Regierung intelligent wäre, könnte Kolumbien ein Vorbild für Lateinamerika und die ganze Welt werden. Denn wir haben die indianischen Rechte in der Verfassung festgeschrieben.Nur müssen wir uns noch irgendwann hinsetzen und diskutieren: was heißt denn das, eine multiethnische und plurikulturelle Nation? Das fängt natürlich bei der Erziehung an. Wir müssen über die territorialen Abgrenzungen reden, denn die Einteilung der Provinzen entspricht nicht den natürlichen Grenzen. Dann stellt sich die Frage, ob die Großgrundbesitzer bereit sind, einen Teil ihrer Ländereien abzugeben. Das Problem in Kolumbien ist nicht der Krieg oder die Guerilla. Das Problem ist die soziale Lage. Die Regierung ist nicht im Stande, dieses Problem in den Griff zu bekommen und stiehlt. Warum ist denn eine Guerilla entstanden? Weil die Politiker nichts für die Bauern getan haben. Wir brauchen eine Agrarreform. Wir Indigenen sind nur zwei Prozent der Bevölkerung. Aber in Ecuador sind sie fast die Hälfte. Da stellen sie die Machtfrage. In Bolivien auch. In Kolumbien wollen wir nicht die Macht ergreifen, wir wollen gemeinsam mit den Schwarzen, den Bauern, den Frauen dieses Land verändern. Die schwierigste Arbeit ist die Herstellung dieser Einheit.
Vor ein paar Wochen gab es ein Treffen von 150 Anführern aus den Gewerkschaften, den Bauernorganisationen, den Frauen, den Schwarzen, Intellektuellen. Dabei kam zur Sprache, dass wir Kolumbianer keine Identität haben. Man spricht viel von Ethno-Erziehung. Aber darunter wird immer nur der Unterricht in den indianischen Gemeinden verstanden. Wir glauben, dass alle etwas zu lernen hätten. Zum Beispiel die vielen Mythen von der Entstehung der Welt und von den Tieren. Aber unsere Kinder hören noch immer die Märchen der anderen. Nichts gegen Rotkäppchen und Däumeling. Die sind auch wichtig. Aber warum schreibt niemand unsere Märchen auf und die der Schwarzen und bringt sie in allen Schulen in den Unterricht? Auch die mestizischen Campesinos haben ihre Geschichten. Hier geht es um die Schaffung einer Identität. Es ist ja noch immer so, dass der Bösewicht immer der Indio ist. Dieses Denken muss verändert werden. Und da sitzen Regierung und FARC am Verhandlungstisch und lassen diese Wirklichkeit außer Acht.

Du hattest ja schon oft mit Comandantes zu tun. Was sagen die?

Ich habe festgestellt, dass bei der Guerilla keine politische Bildung mehr betrieben wird. Sie haben sich militärisch verbessert aber wissen weniger. Ein Comandante, mit dem ich kürzlich sprechen konnte, der wusste nicht einmal, dass die indianischen Territorien laut Verfassung für ewige Zeiten unverkäuflich, unverletzlich und unpfändbar sind. Sie marschieren ständig hindurch aber wissen nicht, was das bedeutet. Wir sind bereit, der Guerilla in dieser Hinsicht Nachhilfeunterricht zu geben.

Und sie wollen euch in den Krieg hineinziehen?

Einer hat mir gesagt: wir können weiterreden, wenn du mir sagst, wie viele junge Männer du mir zur Verfügung stellst und wie viele Waffen ihr braucht. Ihre Position ist, dass wir im Krieg stehen und daher nicht über Identität, Spiritualität und Territorium reden können, sondern nur davon, wann wir in den Krieg einsteigen. Das habe ich auch immer beim so genannten Realsozialismus kritisiert: sie haben keinen Respekt vor den Unterschieden. Aus diesen Fehlern muss man lernen. Die FARC dürfen nicht dieselben Fehler begehen, wie die Sandinisten in Nicaragua oder die FMLN in El Salvador. Ein ehemaliger FMLN-Comandante hat mir gesagt, dass es jetzt mehr Tote gibt, als im Krieg, denn die soziale Frage wurde nicht gelöst. Wofür sind so viele gestorben? Was ist mit der Autonomie der Miskitos passiert, die sie unter den Sandinisten erkämpft haben? Es gibt sie nicht mehr. Wir indigenen Völker wollen verhandeln. Unsere einzigen Waffen sind die Zunge und die Gedanken. Die ersten politischen Pakte, die in Amerika geschlossen wurden, haben kolumbianische Indígenas mit den Engländern und den Spaniern ausgehandelt. Wir schmiedeten Allianzen mit den englischen Piraten. So kam ich zu meinem Nachnamen Green. Wir müssen doch auch im Stande sein, uns unter Kolumbianern zu verständigen.

Interview: Ralf Leonhard

Rückendeckung für die Opposition

Wenn man die kolumbianischen Guerillaorganisationen betrachtet, fällt auf, dass diese die großen Krisen der lateinamerikanischen Guerillas um 1970 und 1990 nicht nur überlebt haben, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervor gegangen sind. Für das paradoxe Phänomen gibt es eine einfache Erklärung: Die kolumbianische Linke hatte keine andere Wahl, als bewaffnet zu kämpfen. Der Satz, dass es in Kolumbien ungefährlicher ist, in die Berge zu gehen, als eine Gewerkschaft zu gründen, ist mehr als eine ironische Überspitzung.
Seit mehr als 100 Jahren setzen die Eliten des Landes auf eine konsequente Vernichtungspolitik gegen jeden Ansatz sozialer Opposition. Ob man nun das Massaker an den Plantagenarbeitern der United Fruit 1928 oder die Ermordung des Oppositionsführers Gaitán 1948 und die darauf folgenden Vertreibungen nehmen will – auf Bewegungen von unten wird stets mit Waffengewalt reagiert.
Besonders deutlich zeigt sich die Bereitschaft, bei der Verteidigung der Privilegien bis zum Äußersten zu gehen, am paramilitärischen Projekt. Als 1983/84 im Rahmen eines Waffenstillstands UntergrundkämpferInnen von FARC, EPL und M-19 in die Legalität zurückkehrten und im ganzen Land soziale und politische Oppositionsgruppen entstanden, organisierten das politische und ökonomische Establishment den Terror. Finanziert von Großgrundbesitz, Industrie und Drogen-Mafia und mit der logistischen Unterstützung von Armee und (zumindest zeitweise) auch der US-Geheimdienste geht der Paramilitarismus seitdem unerbittlich gegen alles vor, was links ist oder auch nur sein könnte. 4000 AktivistInnen der Partei Unión Patriótica wurden ermordet, die drei Präsidentschaftskandidaten der Opposition Jaime Pardo, Bernardo Jaramillo und Carlos Pizarro wurden erschossen, fast jeden Tag stirbt in Kolumbien ein Gewerkschafter. Was bleibt der Linken da schon anderes übrig, als die Kriegserklärung anzunehmen?

Militarisierung des sozialen Konflikts

Insofern hat die häufig gestellte Frage nach der Legitimität des bewaffneten Kampfes in Kolumbien etwas Absurdes. Der Terror der Oberschicht ist – anders als von Paramilitär-Kommandant Castaño behauptet und von den kolumbianischen Medien häufig wiederholt – keine Antwort auf die Guerilla, sondern eine Strategie zur Bekämpfung sozialer Bewegungen. Es geht um die Zerschlagung des Protests und die Vertreibung der Bauernbevölkerung aus ökonomisch interessanten Gebieten. Auf diese Weise wird den ausländischen Investoren der Zugang zu den Rohstoffvorkommen erleichtert, der Arbeitsmarkt flexibilisiert (indem Gewerkschaften ausgeschaltet werden) und für die zügige Privatisierung öffentlicher Einrichtungen gesorgt.
Interessanter als die Debatte, ob die Guerilla nach 37 Jahren noch eine Daseinsberechtigung besitzt, ist deshalb die Frage, ob die Politik, die die Guerilla betreibt, politisch und moralisch in die richtige Richtung weist. Die Liste der Vorwürfe gegen FARC und ELN ist lang und allgemein bekannt: Entführungen, Tötung von Zivilisten, mangelnder Respekt gegenüber indigenen Gemeinden und so weiter. Erst Anfang Juli ließ Human Rights Watch-Sprecher Miguel Vivanco dem FARC-Kommandanten Manuel Marulanda einen Brief zukommen, in dem die Guerilla wegen standrechtlicher Erschießungen und der Rekrutierung von Minderjährigen scharf kritisiert wurde. Zwar hatte der Brief einen seltsamen Beigeschmack – zum einen bejubelte die bürgerliche Presse Kolumbiens zum ersten Mal einen Menschenrechtsbericht, zum anderen bewies Human Rights Watch, dass es einen sehr eingeengten Begriff von Menschenrechten besitzt (Probleme wie Gesundheit, Erziehung und Ernährung tauchen gar nicht erst auf) –, aber er machte dennoch ein grundlegendes Problem des kolumbianischen Konflikts deutlich. Die Militarisierung der Auseinandersetzung hat die sozialen Ursachen unkenntlich gemacht und auch die linken Akteure verändert. Was bis 1990 für jeden Beobachter eindeutig als Kampf zwischen Eliten und Unterschicht zu identifizieren war, scheint heute nur noch eine Auseinandersetzung um die politische Macht zu sein.
Das ist auf der einen Seite Folge des repressiven Klimas, in dem es unmöglich ist, über die Konzepte der Guerilla auch nur zu diskutieren. Auf der anderen Seite hat die Entwicklung aber auch mit der Politik von FARC und ELN zu tun. Ausgehend von der These, dass Oppositionsgruppen in Kolumbien militärische Rückendeckung brauchen, haben die Guerilla-Organisationen seit 1990 den Aufbau von Armeestrukturen vorangetrieben. Wer sich besser bewaffnen will, braucht aber auch mehr Geld, und weil die großen Unternehmen sich heute von britischen und US-amerikanischen Söldnern schützen lassen, sind die Guerilla-Gruppen dazu übergegangen, ihre Entführungsopfer immer häufiger in der städtischen Mittelschicht zu suchen. Jeder Schritt in der Eskalation zieht auf diese Weise eine weitere Verschärfung des Konflikts nach sich. Die Verfolgung von Familienangehörigen der Guerilla durch die Armee hat den Trend verstärkt, Minderjährige in die Guerilla zu integrieren. Auf die skandalöse Ausbeutungspolitik der Öl-Multis reagiert die ELN mit einer Ausweitung ökologisch desaströser Pipeline-Anschläge, und gegen vorrückende Armee-Einheiten werden immer neue Minenfelder gelegt. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.
Dabei ist nicht alles für die Bevölkerung schlecht, was die Guerilla in diesem Zusammenhang macht. Der Einsatz von Landminen hat dazu beigetragen, den Vormarsch der Paramilitärs im Süden Bolívars zu bremsen. Nur dank der Stärke der FARC sind im Juni an die 100 Gefangene aus menschenunwürdigen Haftbedingungen befreit worden (16 bei einem Gefangenenaustausch, die anderen bei einer Befreiungsaktion in Bogotá). Und schließlich hat auch die Occidental Company nicht deswegen weitere Erdöl-Investitionen in Kolumbien auf Eis gelegt, weil die U’wa-Indígenas in Arauca seit 10 Jahren mit Unterstützung von Bauernverbänden und Gewerkschaften gegen die Zerstörung ihres Landes protestieren, sondern weil die ELN seit Anfang des Jahres die Pipeline Caño Limón-Coveñas mehr als 100 Mal gesprengt und damit den Ölexport der Occidental völlig lahm gelegt hat.

Konzepte von FARC und ELN

Die Militarisierung des Konflikts hat die Ziele der Guerilla also bisweilen unkenntlich gemacht, aber deswegen zu behaupten, FARC und ELN hätten keine politischen Ziele, ist dennoch falsch. Die politischen Projekte der beiden Organisationen sind klar umrissen – auf jeden Fall klarer als das Meiste, was die politischen Parteien Kolumbiens zur Krise des Landes zu sagen haben.
Die Politik der FARC ist auf das vermeintliche Machtzentrum ausgerichtet: den Staat, und verfolgt eine Doppelstrategie. Die Organisation hat die Regierung an den Verhandlungstisch gezwungen und dort ein politisches und soziales Reformprojekt vorgelegt, das man am ehesten als linkssozialdemokratisch bezeichnen kann; gleichzeitig jedoch bereiten sich die FARC auf eine Verschärfung des Kriegs vor und rüsten sich für einen Marsch auf Bogotá.
So unglaublich es klingt – sowohl eine Lösung am Verhandlungstisch als auch ein Sieg der Guerilla sind (genauso wie ihre strategische Niederlage) vorstellbar. Im Juni haben die FARC Präsident Pastrana dazu aufgefordert, mit ihnen eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und die Verfassung so zu modifizieren, dass das ausschließlich die Oberschicht repräsentierende Zweiparteiensystem nach 170 Jahren endlich entsorgt werden kann. Im Gegensatz zur M-19, die sich Anfang der 90er Jahre ohne inhaltliches Konzept ins politische System integrierten, wollen die FARC mit einer Regierungsbeteiligung die Sozial- und Wirtschaftspolitik grundlegend verändern. Die Privatisierungen sollen gestoppt, eine Landreform durchgeführt, die Bodenschätze nationalisiert und die neoliberale Öffnungspolitik zurückgenommen werden. Alles in allem Forderungen, die sich nicht allzu sehr von denen der brasilianischen PT oder der Linken im Cono Sur unterscheiden – nur dass die FARC dank ihrer realen Macht im Land auch in der Lage wären, dieses Programm in einer Regierung umzusetzen.
Erstaunlicherweise hat Pastrana auf den Vorschlag nicht mit Ablehnung, sondern mit der Umbildung seiner Verhandlungskommission reagiert. Die bis dahin aus Politikern aller Parteien und Kirchenleuten zusammengesetzte Kommission wurde aufgelöst und durch eine neue, aus Funktionären der Regierung bestehende Gruppe ersetzt. Es war dieser Schritt, der den sich hartnäckig haltenden Gerüchten von einem Geheimabkommen zwischen Pastrana und den FARC neue Nahrung verschafft hat. Alles andere als verträumt sind auch die Vorstellungen der FARC hinsichtlich einer militärischen Lösung. Bei der einseitigen Freilassung von mehr als 200 Kriegsgefangenen im Caquetá erklärten die FARC-Sprecher, Soldaten und Rebellen würden sich in den Städten wiedertreffen, denn die Guerilla habe nicht länger vor, ihr Leben im Dschungel zu fristen. Die Befreiungsaktion im Gefängnis La Picota, für die 100 Stadtguerilleros Ende Juni ein Viertel im Süden Bogotás besetzten, hat gezeigt, dass das mehr als Aufschneiderei ist. Trotz des Plan Colombia wächst der Einflussbereich der Organisation weiter.
Insofern kann man sagen, dass die Perspektiven der FARC, in den kommenden Jahren Regierungspolitik mitzugestalten, nicht schlechter sind als die der parlamentarischen Linksparteien auf dem Kontinent. Im Unterschied zu diesen hätten die FARC darüber hinaus realistische Chancen, nicht nur Minister zu stellen, sondern auch real Macht im Land auszuüben. Der entscheidende Haken an der FARC-Politik ist deshalb weniger ein Mangel an Realismus als das zu Grunde liegende Konzept von Befreiung. Ganz in der Tradition klassischer Linksparteien scheinen die FARC davon überzeugt, die Gesellschaften von Regierungsämtern aus verändern zu müssen. Eigenständige soziale Bewegungen sind in einem solchen Konzept nur Transmissionsriemen für die Politik von oben. So meinen die FARC, wenn sie von einer „Regierung des Volkes“ sprechen, eine Regierung im Namen der Bevölkerung, nicht aber eine basisdemokratische Umwälzung der Gesellschaft.
Anders gelagert ist der Fall bei der ELN. Die kleinere Guerilla vertritt seit Anfang der 80er Jahre das Konzept des Poder Popular, der „Volksmacht“, das darauf abzielt, die bestehenden Machtstrukturen durch räteähnliche Selbstorganisierung der Bevölkerung auszuhöhlen und zu ersetzen. Das Projekt ist nicht so radikal wie das der mexikanischen Zapatisten, die eine Abschaffung der Macht propagieren: Unter Poder Popular versteht die ELN eine Kombination von linker Regierungsmacht und Basisdemokratie. Doch auch mit dieser Einschränkung geht das Konzept weit über das hinaus, was zentralamerikanische Gruppen im gleichen Zeitraum vertreten haben.
Das Problem an der Sache ist allerdings, dass der Paramilitarismus für derartige Projekte, mit denen die ELN in den 80er Jahren beachtenswerte Erfolge erzielt hat, keinen Spielraum mehr lässt. Selbstorganisierung und die Ausübung direkter Demokratie sind in einem Land, in dem das bloße politische Interesse schon verfolgt wird, lebensgefährlich. Das ist der Grund, warum die ELN Mitte der 90er Jahre den Vorschlag der „Nationalkonvention“ entwickelt hat: eine Versammlung von VertreterInnen aller gesellschaftlichen Gruppen, die über die Krise Kolumbiens und mögliche Friedenslösungen debattieren soll. Erstaunlicherweise konnte die ELN für diesen zunächst utopisch klingenden Vorschlag breite Unterstützung im Land mobilisieren. 1998 verpflichteten sich alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen zur Durchführung der Konvention. Gescheitert ist die Umsetzung bisher daran, dass Pastrana das Ende 2000 unterzeichnete Abkommen, wonach für die Nationalkonvention ein Gebiet westlich von Barrancabermeja unter Kontrolle der ELN und einer internationalen Überwachungskommission gestellt werden soll, bis heute nicht umgesetzt hat. Die Ultra-Rechte in Regierung, Armee und Industrie sowie das fehlende Interesse Pastranas an einem – vergleichsweise demokratischen – Verhandlungsmodell haben das Projekt gestoppt.
An dem Fall zeigt sich die Crux der kolumbianischen Verhältnisse. Sicher ist ein Friedens- und Reformprozess unter Mitwirkung der Bevölkerungsmehrheit sympathischer als bilaterale Verhandlungen zwischen Guerilla und Regierung. Und sicher ist auch, dass die ELN selbstkritischer mit Militarismus und Autoritarismus umgeht als die FARC. Doch was nützen gute Konzepte, wenn man sie nicht durchsetzen kann? Die Regierung Pastrana hört den FARC zu, weil diese der Armee seit 1996 immer wieder schwere Niederlagen zugefügt haben. Und das wiederum war den FARC möglich, weil sie (im Gegensatz zur ELN) den Koka-Handel besteuern, deshalb besser ausgerüstet sind und in ihren eigenen Reihen strenge militärische Disziplin eingeführt haben. Die ELN ist hingegen in den vergangenen 10 Jahren von einem (für eine Guerilla) ausgesprochen un-autoritären Stil geprägt gewesen, sie hat die politische Arbeit mit den Gemeinden höher als Militäroperationen bewertet und sich dem Koka-Geschäft verweigert. Das sind nicht die einzigen Gründe für ihre vergleichsweise geringe militärische Schlagkraft, aber doch drei sehr wichtige. Wer politisch in Kolumbien ernst genommen werden will, muss nicht nur Konzepte, sondern vor allem reale Macht vorweisen können. Es klingt bitter und ist für die Idee einer emanzipierten Gesellschaft nicht gerade verheißungsvoll – aber in Kolumbien lautet die Frage nicht so sehr, ob der Guerillakampf noch eine politische Perspektive besitzt, sondern eher, ob die Linke ohne Guerilla eine Perspektive hätte.

Beruhigungspillen ohne Wirkung

Am 17. Juni diesen Jahres, es ist Vatertag in Argentinien, möchte Carlos Santillán, ein 27-jähriger Metallarbeiter, das Grab seiner kleinen Tochter besuchen. Er stirbt paradoxerweise auf dem Friedhof, von einer verirrten Kugel in den Kopf getroffen. Ganz in der Nähe hatten Arbeitslose aus Protest eine Straße besetzt. Auch dort wurde eine weitere Person durch Schüsse der Polizei schwer verletzt und dann durch die in Panik geratene Menge zu Tode getrampelt. Beide Opfer lebten in General Mosconi, einer kleinen Stadt mit 10.000 EinwohnerInnen in der Provinz Salta im Norden Argentiniens.
Ende der 60er Jahre galt General Mosconi auf Grund der Erdölvorkommen als Hoffnung vieler Arbeiter. Heute liegt die Arbeitslosenquote bei 40 Prozent. 400.000 ArbeiterInnen wurden in Folge der Privatisierung der argentinischen Erdölförderungsgesellschaft YPF (Yacimientos Petrolíferos Fiscales), die an die spanische Firma Repsol verkauft wurde, entlassen.
Mit der Blockade der Bundesstraße 34 wollten die Arbeitslosen auf ihre soziale Situation aufmerksam machen. Unterstützt wurden sie von Arbeitern, die bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne forderten. Angefangen hatten die Proteste am 30. Mai, als eine Gruppe von Maurern, die das Krankenhaus General Mosconi bauen, einen Mindestlohn von 2,50 US-Dollar forderten und ihnen dieser nicht bewilligt wurde.

Rebellen und Aufrührer

Als die Proteste andauerten, wurden ab dem 14. Juni Polizeikräfte in General Mosconi zusammengezogen. Am darauf folgenden Sonntag eskalierte die Situation, als die Polizei plötzlich mit repressiven Maßnahmen reagierte, mit Tränengas und bis an die Zähne bewaffnet gegen die Protestierenden vorging und die seit 18 Tagen blockierte Straße stürmte. Zu dem Zeitpunkt waren nur wenige Protestierende anwesend, die Aktion rief jedoch sofort heftige Reaktionen hervor und viele BewohnerInnen kamen herbei, Schüsse waren zu hören.
Neben Carlos Santillán wurde auch der 17-jährige Oscar Barrios bei den Auseinandersetzungen getötet. 30 weitere Menschen wurden verletzt, Häuser zerstört und Geschäfte verwüstet.
Nach dem Bekanntwerden der Zwischenfälle wurden die Protestierenden von Seiten der Regierung als Guerrilleros, Rebellen und eine linke Gruppe von Aufrührern bezeichnet. Weiterhin verbreitete sich die Version, die piqueteros (Streikenden) seien der lange Arm einer Bande von Drogenhändlern aus Bolivien und eine andere schrieb ihnen von den kolumbianischen FARC kommende Instruktionen zu. Außerdem sollten angeblich 500 gestohlene Waffen in ihrem Besitz sein. Das wurde schließlich auch als Vorwand benutzt, mit massiver Staatsgewalt gegen die Straßenblockade vorzugehen, „um die Verschwörung linksgerichteter Gruppierungen“ zu verhindern.
Der Gouverneur der Provinz Salta, Juan Carlos Romero, bezeichnete die Protestierenden als eine politische Gruppe, die keine friedliche Lösung des Konflikts wolle. So rechtfertigte er den Polizeieinsatz und sagte, die Polizisten seien beschossen worden.
Gegen diese Behauptungen wehren sich die Protestierenden jedoch vehement. Seit Jahren würden die Arbeitslosen diese Form des Protestes benutzen und nie sei einer bewaffnet gewesen, nie wären von ihnen Straftaten begangen worden.
Trotz der massiven staatlichen Repression breiteten sich die Proteste schnell über weitere Provinzen im Norden Argentiniens, wie zum Beispiel Jujuy, Chaco, Catamarca und Tucumán, aus. Dort gab es sofortige Reaktionen, viele Arbeitslose erklärten sich solidarisch und errichteten ebenfalls Straßensperren.
Währenddessen schob der Präsident Fernando de la Rúa die blutigen Vorfälle der Politik von Juan Carlos Romero in die Schuhe. Er warf dem Gouverneur von Salta, der dem konservativen Partido Justicialista angehört, vor, dass die getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der sozialen und ökonomischen Missstände völlig unzureichend seien. Den politischen Preis, das heißt die Toten und das schlechte aber reale Bild, das der Konflikt hinterlässt, müsse die Landesregierung bezahlen. Romero reagierte auf die Kritik indem er darauf hinwies, dass die Regierung seine Provinz bei der Verteilung staatlicher Gelder diskriminiere, da sie von einer oppositionellen Partei regiert werde.
Dies ist ein schon immer schwelender Streit zwischen der Hauptstadt Buenos Aires und den Provinzen, zwischen der Bundes- und den Landesregierungen. Traditionell besteht Feindlichkeit zwischen den porteños (BewohnerInnen von Buenos Aires) und den provincianos. Die BewohnerInnen der Provinzen fühlen sich benachteiligt gegenüber Buenos Aires, das sich schon immer einbildete, wichtiger als das übrige Argentinien zu sein.
Unabhängig von diesem Parteienstreit hat es in General Mosconi in wenig mehr als einem Jahr drei Straßenblockaden gegeben. Im Dezember 1999 gab es die erste Straßenblockade, mit der Präsident de la Rúa kurz nach seinem Amtsantritt konfrontiert wurde. Zwei Arbeiter kamen bei den Protesten ums Leben. Ein Jahr später wurde ein 37-jähriger LKW-Fahrer, der seinen seit einem Jahr ausstehenden Lohn einforderte, erschossen. Den Statistiken der Polizei zufolge, hatte die Regierung de la Rúas im Durchschnitt mit einer Straßenblockade pro Tag zu kämpfen. In 301 Tagen des Jahres gab es 307 Demonstrationen.
Damals hatte De la Rúa den Arbeitslosen Unterstützung zugesichert. Es wurden Nahrungsmittel und 3.000 Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, die mit einem Stundenlohn von umgerechnet drei Mark vergütet wurden. Dieses „Trinkgeld“ sollte als Beruhigungspille gegen ein immer gefährlicher werdendes Ungeheuer dienen: die Verzweifelung.
Ein Sprecher des Innenministeriums ließ verlauten, dass man eine verstärkte Aktivität von linken Gruppen beobachtet habe, welche zunehmenden Einfluss auf die Bevölkerung von Salta ausübe. Er sagte, in der Regierung gebe es “große Sorgen, dass es zu noch schlimmeren Vorfällen kommen wird, wenn man es nicht schafft, den politischen Extremismus von der Bevölkerung zu isolieren“. Alarmiert durch die gespannte Lage im Norden Argentiniens, die auch schnell im Rest des Landes um sich greifen kann, muss De la Rúa nun eine Strategie definieren, mit der er der Situation entgegentreten kann. Nach der Logik der Regierung gibt es nur zwei Optionen: weitere Verabreichung von „Beruhigungspillen“ oder Repression. Der Präsident scheint sich für die zweite Option entschieden zu haben. De la Rúa war federführend bei der Verabschiedung eines neuen Gesetzes, welches die Kompetenzen der Polizei ausdehnt, „damit sie bessere Möglichkeiten hat, Verbrechen vorzubeugen und die Kriminalitätsrate zu senken“. Verschiedene Menschenrechtsbewegungen kritisierten die Reform, da sie die Tür für weiteren polizeilichen Missbrauch öffne und damit gegen die institutionellen Garantien der Verfassung verstoße.
Anfang Juli wurden aus Protest gegen die Vorgehensweise der Regierung und der Polizei in Salta auch in Buenos Aires Straßen gesperrt. Die Demonstranten in der Hauptstadt ließen sich am 5. Juli mit dem Versprechen auf Gespräche mit der Regierung zu einem Abbruch der Blockaden bewegen. Im Gegensatz dazu beschlossen die piqueteros, die die Bundesstraße Buenos Aires-La Plata besetzt halten jedoch ihre Barrikaden aufrechtzuerhalten, bis der Vizeminister für Inneres, Lautaro García Batallán, zu einem Dialog erschiene.

Schneller als ein Hahn kräht

Mitte Juni legte der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez auf seiner Reise nach Paraguay einen kurzen Stopp in Lima ein. Dort musste er sich immer wieder Fragen zum Aufenthaltsort des steckbrieflich gesuchten, ehemaligen peruanischen Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos stellen lassen. Zu eindeutig waren die Hinweise darauf, dass dieser sich in Venezuela versteckt hielt. Da machte Chávez, der bis dahin immer ausgeschlossen hatte, dass Montesinos in Venezuela sei, plötzlich eine überraschende Ankündigung: „Montesinos wird schneller nach Peru zurückkommen als ein Hahn kräht.“
Ganz so schnell ging es dann zwar nicht, doch immerhin wurde Montesinos kurz nach Chávez Ankündigung in Venezuela verhaftet. Zugeschlagen hatte die venezolanische Geheimpolizei DIM, aber erst als Montesinos mit seinen Leibwächtern schon auf dem Weg in die peruanische Botschaft war. Gerüchten zufolge sollen Montesinos Wachleute vom FBI und der schon lange vor Ort recherchierenden peruanischen Polizei überredet worden sein, sich die fünf Millionen US-Dollar Belohnung zu verdienen, die von der peruanischen Regierung auf Montesinos Kopf ausgesetzt waren. Wie dem auch sei – zwei Tage später war Vladimiro Montesinos zurück in Peru. Dort landete er in dem von ihm selbst entworfenen Marinegefängnis Callao. Seine Zellennachbarn heißen Abimaél Guzmán und Victor Polay, die Gründer des Sendero Luminoso und des MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru).
Das Strafregister des Ausgelieferten ist lang: Illegale Bereicherung, Plünderung der Staatskasse, Erpressung, Bestechung, Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel, Folter, Entführung, Verschwindenlassen von Personen, Anstiftung zum Mord, Aufbau einer Todesschwadron. Aber selbst das ist nur eine kleine Auswahl von Delikten, derentwegen er angeklagt wird. Niemand konnte im Jahre 1990 ahnen, wen sich der frisch gebackene Präsident Alberto Fujimori als Berater verpflichtet hatte. Dabei war Montesinos offenbar schon in den 80er Jahren einer der größten Drogenhändler Perus, ein Beruf, für den er die besten Voraussetzungen mitbrachte. Denn er unterhielt erstens exzellente Verbindungen zur Armee, aus der er einst im Range eines Hauptmanns unehrenhaft entlassen worden war, und zweitens kannte er durch seine jahrelange Arbeit als Strafverteidiger für Drogenhändler hervorragend den Justizapparat.

Montesinos kaufte fast alle(s)

Dass Montesinos in den 90er Jahren systematisch Schutzgelder von allen peruanischen Drogenhändlern erpresste, ist schon länger bekannt. Wer zahlte, konnte sich bei ihm einen Armeehubschrauber zum Transport der Ware mieten und wurde vor Razzien gewarnt. Drogenexporteure, die sich hingegen weigerten zu zahlen, wurden mitunter in ihrem Transportflugzeug abgeschossen. Nun fand die parlamentarische Untersuchungskommission zum Fall Montesinos heraus, dass der Präsidentenberater auch ein eigenes Kokain-Laboratorium in der Nähe der südperuanischen Stadt Pisco besaß und nicht nur mit kolumbianischen Banden, sondern auch mit dem mexikanischen Tijuana-Kartell zusammenarbeitete. Montesinos galt offenbar als Boss der peruanischen Mafia und soll in entsprechenden Kreisen unter den Pseudonymen Fayed und Rubén bekannt gewesen sein.
Aus dem Präsidentenberater und Drogenhändler wurde ein Mann, der die Richtlinien der peruanischen Politik ein Jahrzehnt lang bestimmte. Er baute einen Regierungsapparat auf, der nach dem Vorbild der Drogenmafia organisiert war. Seine Kontrolle reichte auf dem Höhepunkt seiner Macht von der Armee über Polizei und Justiz bis hin zu Steuer-, Zoll oder Wahlbehörden. Wer nicht mit Montesinos zusammenarbeitete konnte in diesen Institutionen und Behörden keine Karriere machen. Seine Methoden: Bestechung, Drohung und Erpressung. Er kaufte Presse und Fernsehsender ebenso wie Oppositionsabgeordnete. Es war Ende der 90er Jahre so, als wäre Vladimiro Montesinos der Besitzer des Landes Peru gewesen.
Mitte letzten Jahres überzog Montesinos seine Geschäftemacherei, als er sich auf Waffengeschäfte mit den kolumbianischen FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) einließ. Vermutlich fiel er durch diesen Deal bei den USA in Ungnade. Es spricht einiges dafür, dass es die CIA war, die anschließend ein Video an die Öffentlichkeit lancierte, das Montesinos bei der Bestechung eines Oppositionsabgeordneten zeigt. Die Empörung der peruanischen Bevölkerung wuchs, das Regime begann zu wanken, Montesinos musste flüchten. Der zunächst zurückgebliebene Fujimori konnte anschließend den Zusammenbruch des von Montesinos konstruierten Machtgefüges nicht mehr aufhalten.
Der ehemalige CIA-Agent Montesinos wird nun womöglich erzählen, wie er Peru zur Narco-Republik ausbaute. Doch ein Detail wird er mit Sicherheit nicht öffentlich ausplaudern: was die US-Regierung im Verein mit DEA und CIA dazu veranlasst hat, seinem Treiben zehn Jahre lang in Ruhe zuzusehen. Nicht nur das: die CIA zahlte laut Los Angeles Times zwischen 1990 und 2000 sogar zehn Millionen US-Dollar direkt auf eines von Montesinos Konten. Für den Kampf gegen den Drogenhandel.

„Effektive Kontrollmechanismen des Drogenmarktes existieren nicht“

Sie gehören zu einer Gruppe von sechs Gouverneuren im Süden Kolumbiens, die eine von den Konfliktparteien unabhängige Linie verfolgen und ein alternatives Konzept zum umstrittenen Kolumbienplan vorgestellt haben. Welche Möglichkeiten bieten sich Ihnen?

Das Hauptziel unserer Gruppe, dem „Sozial-Alternativen Bündnis“, ist die biologische Vielfalt des Amazonas zu schützen, weil wir in ihr das größte ökonomische Potenzial sehen, auf dem wir die regionalen Wirtschaftsstrukturen aufbauen wollen. Zudem verfolgen wir mit großer Sorge die zunehmende Präsenz der bewaffneten Gruppen im Süden des Landes. Diese Entwicklung erschwert es zunehmend, uns der Rekonstruktion der Wirtschaft zu widmen. Wir sprechen uns gegen die Praxis der bewaffneten Gruppen aus, Städte und Dörfer anzugreifen, und Gebäude zu zerstören. Es ist an der Zeit, die Kämpfe, auch gegen die Zivilbevölkerung, einzustellen und die Waffen niederzulegen. Besonders verurteilen wir das brutale Vorgehen der Paramilitärs, die immer wieder Dörfer angreifen und Massaker verüben.
In dieser Situation muss der Friedensprozess konkrete Maßnahmen definieren und soziale Programme anbieten, um das dem Konflikt zu Grunde liegende soziale Problem zu lösen. Strukturelle Reformen sind dringend nötig. Vor wenigen Wochen haben wir im Namen der sechs Provinzen eine Resolution verabschiedet, in der die Etablierung einer neuen ständigen Nationalversammlung gefordert wird, in welcher unter Beteiligung aller relevanten Sektoren die Probleme angegangen werden.

Sie haben auch einen Alternativplan zum Kolumbienplan angeboten. Wo liegen denn die hauptsächlichen Unterschiede?

Den Alternativplan haben wir als „Sozial-Alternatives Bündnis“ in erster Linie verabschiedet, um einen Gegenvorschlag zur Bekämpfung der illegalen Anpflanzungen vorzulegen. Wir schlagen manuelle Strategien vor, anstatt ganze Landstriche aus der Luft zu besprühen. Die Bekämpfung muss von den Bewohnern der Regionen selber und in enger Kooperation mit den regionalen Autoritäten stattfinden. Mit dem Plan ergreifen wir auch in der Sozialpolitik Partei und fordern für das Bildungs- und Gesundheitswesen eine Verbesserung. Zudem wird die Unterstützung allein erziehender Frauen und der vernachlässigten Jugend gefordert. Der Ausbau der Region hat drei Seiten. Neben der technischen und der produktiven Infrastruktur, Telefon- und Stromleitungen, sowie Unternehmen, muss auch die soziale Infrastruktur in Form von Schulen und Krankenhäusern aufgebaut werden. Der Plan ist im Gouvernement Cauca entwickelt worden und findet inzwischen von fünf angrenzenden Gouvernements Unterstützung, sodass wir uns selber an das US-Außenministerium gewandt haben, um gegen die Besprühungen mit Herbiziden zu protestieren.

Diese Besprühungen sind aber schon in vollem Gange. Wie wollen Sie diese Strategie noch verhindern?

Verhindern können wir sie natürlich nicht, wir können aber Alternativen anbieten, eben mit dem Programm zur manuellen Bekämpfung der Drogenanpflanzungen. Dabei müssen wir ja auch zwischen den Kleinpflanzungen und industriellen Anpflanzungen unterscheiden. Um die Kleinpflanzungen zu bekämpfen, müssen den Landarbeitern soziale Alternativen geboten werden. Unser Vorschlag ist, die heute arbeitslosen Landarbeiter bei der manuellen Bekämpfung der industriellen Anpflanzungen zu beschäftigen. Die Zentralregierung in Bogotá hat sich damit grundsätzlich einverstanden erklärt, aber auf die US-Außenpolitik verwiesen.

Und wie war deren Reaktion?

Das US-Außenministerium hat erklärt, dass die Region Cauca ebenso wie Kolumbien und die ganze Andenregion die bestehenden Probleme selber lösen müssten. Es gebe keine schnelle Lösung. Deswegen wenden wir uns aber gegen den von ihnen forcierten Einsatz von Herbiziden. Diese Praxis wird nun seit über zwölf Jahren praktiziert, damals rechnete man mit 15.000 bis 20.000 Hektar Drogenanpflanzungen, heute sind es weit über 100.000 Hektar. Dazu kommt eine Anheizung des Konfliktes, denn die Besprühungen verursachen eine Welle von Binnenflüchtlingen, die sich teilweise dann wieder einer der bewaffneten Gruppen anschließen.
Mit der US-Seite haben wir auch die Frage der Verantwortlichkeit erörtert. Fakt ist, dass der Drogenmarkt ein internationaler Markt ist und wir ihn nicht ausschließlich in Kolumbien bekämpfen können. Das Produkt, die Droge Koka, muss international geächtet und bekämpft werden. Hier liegt das Hauptproblem, denn effektive Kontrollmechanismen des Marktes existieren nicht. Dazu gehört auch die Kontrolle der zur Koka-Verarbeitung nötigen Chemikalien. Diese müssen erst nach Kolumbien eingeführt werden. Wieso werden also nicht die Pharmaunternehmen in die Pflicht genommen?

Vor allem gilt es aber den bewaffneten Konflikt zu lösen. Welche Gruppen sind in der Region Cauca präsent und welche Probleme ergeben sich daraus?

Im Cauca ist in erster Linie die Guerilla, die FARC und die ELN, präsent, die sich zunehmend einer politischen Lösung öffnen. Dieser Prozess geht aber sehr schleppend voran. Es kommt zu immer wieder aufflammenden bewaffneten Auseinandersetzungen. Wir halten alle bewaffneten Gruppen für Angriffe auf Dörfer und die Zivilbevölkerung für verantwortlich, dazu kommen die Verschleppungen nicht nur von Menschen, sondern auch von Material, wie LKWs. Die Zivilbevölkerung wendet sich deutlich gegen diese Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite und viel schwer wiegender ist die Offensive der Paramilitärs in den vergangenen sechs, sieben Monaten im Norden des Cauca. Sie sind für zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich und fügen der Region einen nachhaltigen Schaden zu. Wir würden uns wünschen, dass diese Gruppen über die irreparablen Schäden des bewaffneten Konfliktes nachdenken und sich darüber klar werden, dass die Toten nach einem irgendwann realisierten Friedensabkommen nicht mehr auferstehen werden. Ein Zeichen für den Friedenswillen der Menschen war der Marsch von Santander nach Cali Mitte Mai, mit dem von verschiedenen im Bloque Social Alternativo zusammengeschlossenen Organisationen mehr Toleranz gefordert wurde.

Aber welche Möglichkeiten der Partizipation haben diese Organisationen im Konflikt überhaupt?

In der Regionalverwaltung haben wir verschiedenen Organisationen einen Freiraum eröffnet.Diese Organisationen können eigene Vorschläge zur regionalen Gestaltung einreichen und ihre Analysen bezüglich der wirtschaftlichen und politischen Probleme anbieten, auch auf nationalem Gebiet. Dieser Prozess ist einmalig und unterscheidet sich von allem, was bislang realisiert wurde.

Stehen Sie mit den bewaffneten Gruppen in Kontakt?

In unserer Funktion als Regionalregierung haben wir bislang keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen. In Anbetracht der negativen Entwicklung denken wir, und diese Meinung wird auch von den anderen fünf Gouverneuren geteilt, dass ein solcher Schritt nötig werden wird. Bislang stellt sich vor allem aber die Zentralregierung einer solchen Kontaktaufnahme entgegen. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass es die politische Struktur in Kolumbien nicht erlaubt, solche Gespräche auf regionaler Ebene zu führen. An diesem Punkt haben wir natürlich erhebliche Differenzen mit der Zentralregierung, weil diese Meinung Ausdruck einer politischen Kultur ist, die es bis heute verhindert hat, dass den Regionen ebenso wie den einfachen Bürgern mehr politische Beteiligung zugebilligt wird. Auch hier liegt eine Ursache der Kultur der Gewalt.

Sollten auch die Paramilitärischen Einheiten bei den politischen Gesprächen beachtet werden?

In Kolumbien herrscht Übereinkunft darin, dass es sich bei der so genannten bäuerlichen Selbstverteidigung um nichts anderes als terroristische Gruppen handelt. Darum wenden wir uns gegen Verhandlungen mit ihnen. Ich verstehe aber, dass einzelnen Bürgermeistern in Anbetracht der Kräfteverhältnisse und Allianzen zum Teil nichts anderes übrig bleibt, als auch mit paramilitärischen Befehlshabern zu kooperieren. Als Regionalregierung haben wir bereits geeignete Schritte unternommen, uns gegen ihre Bedrohung zur Wehr zu setzen, auch physisch.

In Berlin haben Sie Mitte Juni auf Einladung der Bundesregierung an einer öffentlichen Anhörung vor einem Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses teilgenommen. Wie bewerten Sie das Treffen und die weiteren Gespräche, etwa mit dem SPD-Generalsekretär Franz Müntefering oder der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul?

Die Gespräche sind in einem guten Klima verlaufen, es scheint, dass die europäischen Regierungen allgemein sehr misstrauisch gegenüber dem herkömmlichen Kolumbienplan sind. Die Anhörung in Berlin diente aber wohl eher dem gegenseitigen Kennenlernen, über die Lage in unserem Land war ja schon recht viel bekannt. Es wurde aber deutlich, dass unter den Teilnehmern, im Deutschen Bundestag also, verschiedene Meinungen zur Lösung des sozialen Konfliktes bestehen. In diesem Sinne denke ich, dass nicht alle Teilnehmer von der Anhörung zufrieden waren.

Interview: Harald Neuber

Links bleiben, ohne sich linken zu lassen

Mein Name ist Esther, aber das ist nicht wichtig. Ich bin eine Zapatista, aber auch das ist in diesem Augenblick nicht wichtig. Ich bin eine Indígena und eine Frau, und das ist das Einzige, was jetzt wichtig ist.“ Die Worte sitzen. Nie zuvor ist eine indigene Frau, eine, die nicht zum Establishment gehört, im mexikanischen Kongress ans Mikrofon getreten. Und niemand hätte erwartet, dass ausgerechnet das im Mittelpunkt ihrer Rede steht, was normalerweise als Grund gilt, schweigend zu gehorchen, zumal in einem Land wie Mexiko, einer ausgemachten Hochburg des Machismo: ihr indianisches Frausein. Damit machte sie den angeblichen Nebenwiderspruch zum Kern der Sache.

Mexiko – Hochburg des Machismo

Nach ihrem Marsch auf die Hauptstadt und zähen Vorverhandlungen erreichen die ZapatistInnen am 28. März dieses Jahres ihr Ziel, im mexikanischen Kongress ihre Forderungen nach Umsetzung der Verträge von San Andrés vorzutragen. Comandanta Esther ergreift als Erste aus der 27-köpfigen Delegation das Wort. Und sie teilt nach beiden Seiten aus. Nicht nur prangert sie die Unterdrückung durch die Gesetze des mexikanischen Staates und die Diskriminierung durch die Weißen an. Sie legt sich ebenso mit Sitten und Bräuchen in den indianischen Gemeinden an, die die Frauen zu Menschen zweiter Klasse machen. Ein unerhörter Akt. So unerhört offenbar, dass trotz riesiger Medienpräsenz, trotz ungeteilter Aufmerksamkeit zahlreicher nationaler wie internationaler BeobachterInnen niemand diesen Aspekt später aufgreift. Dass eine Frau als Erste gesprochen hat und nicht Subcomandante Marcos, das ja, das wird erwähnt. Aber dass sie die Perspektive verrückt, ja verkehrt hat, das fällt auch diesmal wieder durch die Wahrnehmungsraster.
Die Verträge von San Andrés Larraínzar würden einen großen Fortschritt in der Geltung indianischer Rechte und Kulturen bedeuten, so sie denn in ihrem Geist und nicht in der nun verabschiedeten verwässerten Version umgesetzt würden. Bei den Verhandlungen, die zu den Verträgen führten, gab es ursprünglich auch eine Arbeitsgruppe zu Frauenrechten und Autonomie. Deren Empfehlungen wurden jedoch von der Regierung nicht akzeptiert und fehlen im endgültigen Text. Die zapatistische Seite kritisierte dies zwar, beim Ersten Treffen indigener Frauen beschlossen sie dennoch, sich für die Verträge von San Andrés einzusetzen, weil sie einen „Ausgangspunkt, und nicht einen Endpunkt“ darstellten.

Dreifache Verachtung

Wenige Tage vor ihrem Auftritt im mexikanischen Kongress, zum Frauentag am 8. März, hatte Comandanta Esther von der dreifachen Verachtung (nicht Unterdrückung!) gesprochen, unter der ihresgleichen leide: als Frau überhaupt, als indigene Frau und als arme Frau. Und dagegen gelte es anzugehen. In den autonomen Gemeinden haben Frauen inzwischen eigene Versammlungen und eigene Ladenkollektive eingerichtet. Nur unter Frauen zu sein, berichten sie, hilft, endlich Scham und Angst zu verlieren. Selbstbewusstsein zu schaffen, um Forderungen formulieren zu können, ist für sie das Wichtigste.
30 Prozent der ZapatistInnen, heißt es, sind Frauen. Der Frauenanteil – auch in bewaffneten – Befreiungsbewegungen war und ist in Lateinamerika bemerkenswert hoch. Die Fotos großer Gruppen lächelnder FARC-Kämpferinnen, zu propagandistischen oder pressereißerischen Zwecken aufgenommen, vermitteln ein keineswegs falsches Bild von ihrer Präsenz in der kolumbianischen Guerilla. Von Seiten von FARC-Guerilleras drang bislang noch keinerlei Kritik an männlichen Machtstrukturen innerhalb der Organisation an die Öffentlichkeit. Unter anderen Umständen und in anderen Ländern war dies aber durchaus schon der Fall.

Männlichkeitsverhalten in Frage gestellt

In der salvadorianischen FMLN begannen die Guerillakämpferinnen Ende der 80er Jahre massiv, das traditionelle Männlichkeitsverhalten ihrer ansonsten doch so revolutionär gesinnten Kameraden in Frage zu stellen. Es waren gerade die Frauen aus der Guerilla, die die Anfang der 90er Jahre mit dem Ende des Krieges schnell erstarkende Frauenbewegung El Salvadors trugen und autonome Frauengruppen wie die Dignas oder die Mélidas gründeten, die bis heute sehr aktiv sind. Zum einen, sagten sie, habe der Krieg ihnen geholfen, die Küche zu verlassen, zum anderen hätten sie irgendwann nicht mehr eingesehen, den compas dennoch regelmäßig die Socken zu waschen.
Die drei, vier FMLN-Kämpferinnen, die Ende 1990 auf dem lateinamerikanischen Feministinnentreffen in Argentinien auftauchten, kamen mit der Angst, ihre Organisation zu verraten, und waren noch eine Sensation. 1994 traten in El Salvador bereits 40 Frauengruppen mit einer gemeinsamen „Feministischen Plattform“ an die Parteien heran, um sie selbstbewusst in Sachen Frauenfreundlichkeit abzuklopfen.
Auch im Nachbarland Nicaragua hatte sich Frauenemanzipation zunächst innerhalb des Sandinismus als revolutionärem politischen Projekt artikuliert. Der Frauenverband AMNLAE war sozusagen Teil des sandinistischen Apparates, solange die SandinistInnen an der Macht waren. Der Bruch bereitete sich erst allmählich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vor.
Die Entwicklung verläuft immer wieder ähnlich: Frauen, die mit dem Status quo nicht zufrieden sind, engagieren sich in linken beziehungsweise revolutionären Projekten, stellen dort aber nach einer gewissen Zeit fest, dass die Geschlechterverhältnisse keineswegs Teil des Umsturzplans der männlichen Kollegen sind. Die Emanzipation aus der linken Struktur gelingt, sobald diese Risse zeigt. Die lange Zeit sichtbar starke Frauenbewegung Perus entstand auf der Basis von Frauen, die in den 70er Jahren nach und nach die linken Parteien verlassen hatten und sich damals dem Vorwurf aussetzen mussten, den Klassenkampf zu spalten.
Trotz vieler Unkenrufe, der Schwung sei weg und aus der Frauenbewegung sei eine Frauen-Projekte-Bewegung geworden, waren es nach dem Wahlbetrug Fujimoris im Jahr 2000 wieder Frauen, die in großem Stil auf der Straße protestierten: Im Mai und Juni versammelten sich die „Frauen für die Würde“ jeden Dienstag um 12 Uhr vor dem Regierungspalast, um diesen gegen Ungeziefer symbolisch auszuräuchern. Die „Breite Frauenbewegung“ veranstaltete jeden Donnerstag ein Sit-In mit Musik und künstlerischen Einlagen vor dem Justizpalast. Die „Demokratische Frauenfront“ protestierte mit Mahnwachen. Die Frauen der Partei Perú Posible machten wöchentliche Märsche durch Limas Innenstadt. Die „Frauen für die Demokratie“ zogen am 27. Juni, als der OEA-Generalsekretär César Gaviria Lima besuchte, in Trauerkleidung mit einem Sarg, in dem die gestorbene Demokratie lag, zu dessen Hotel und wurden mit Tränengas auseinander getrieben.
Wirklich bekannt geworden ist das nicht. Wie bei Comandanta Esther „vergisst“ die Medienberichterstattung, dass bis zu 80 Prozent der sozialen Bewegungen in Lateinamerika von Frauen getragen werden. In Demonstrationszügen laufen oft überwiegend Frauen, aber die Redner sind Männer.

Globalisierung aus feministischer Sicht

In vielen linken Parteien Lateinamerikas haben Frauen inzwischen Mindestquoten für Listenplätze durchgesetzt, Frauenbüros geschaffen, an Frauenförderplänen mitgeschrieben. Aber ist es wieder einmal nur der pure Zufall, dass eine Arbeitsgruppe des Foro de São Paulo, ein Zusammenschluss von Linksparteien Lateinamerikas, im Juli 2001 nach Europa reist und auf der 15-köpfigen Teilnehmerliste keine einzige Frau steht?
Während des Amerika-Gipfels in Santiago de Chile im Jahre 1998, auf dem der damalige US-Präsident Bill Clinton für eine gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA oder engl. FTAA) warb, entstand aus dem Gegengipfel heraus die Alianza Social Continental (ASC), ein breites Bündnis von FreihandelskritikerInnen von Kanada bis Chile mit dem Ziel, Alternativen zu dem geplanten Integrationsprojekt von oben zu entwerfen und gemeinsam zu propagieren (siehe Artikel S.47-51). Sehr schnell bauten die Frauen dieses Netzwerkes eigene Strukturen auf, um den geschlechterblinden Fleck in den Entwürfen ihrer männlichen Mitstreiter zu füllen. ALCA, so ihr Tenor, vertiefe bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und sei daher abzulehnen.
Obwohl das Wort „Gender“ in dem Zusammenhang wesentlich häufiger auftaucht als der Begriff „Feminismus“, scheinen sich Männer, die ja auch ein „Gender“, also eine Geschlechterrolle haben, sich nicht angesprochen zu fühlen, diese zu analysieren. Offenbar schaffen es auch alternative Ökonomen und Engagierte immer noch nicht in ausreichendem und dokumentierbarem Maß, den Gender-Aspekt mit einzubeziehen.
Die Auseinandersetzung mit den geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Globalisierung ist in Frauenzusammenhängen dagegen in den vergangenen Jahren enorm in den Vordergrund gerückt und ist gleichzeitig Grund, neue Reflexions- und Aktionsbündnisse überhaupt erst zu schmieden. Allein in Brasilien sind mindestens sieben Netzwerke entstanden, die zu den Themen Wirtschaft, Handel und internationale Finanzinstitutionen aus Frauen- und Gendersicht arbeiten.
Der Weltmarsch der Frauen, eine Idee der Frauenföderation von Québec/Kanada, um gemeinsam und weltumspannend gegen Armut und Gewalt gegen Frauen zu protestieren und eine Abkehr von Neoliberalismus und Patriarchat zu fordern, endete am 17. Oktober 2000 nach monatelangen Aktionen an allen möglichen Orten (und erschreckend geringer Resonanz in Deutschland) vor dem UNO-Gebäude in New York. Teilgenommen hatten weit mehr Frauen als erwartet: mehr als 5.400 Gruppen aus 159 Ländern, rund 20 Prozent davon aus Lateinamerika.
Ein Grund für die starke Beteiligung, schreibt die Bolivianerin Jael Bueno in einer der Auswertung des Frauenmarsches gewidmeten Ausgabe der schweizerischen Frauenzeitschrift Olympe (Heft 13, Dezember 2000), sei die starke feministische Vernetzung auf dem Kontinent seit den 80er Jahren, die sich in regelmäßig stattfindenden kontinentweiten Feministinnentreffen ausdrückt.

Lateinamerikanische Feministinnentreffen

Vor 20 Jahren, 1981, trafen sich zum ersten Mal 300 Feministinnen aus allen Teilen Lateinamerikas in Bogotá, Kolumbien. Das Einende bei den folgenden Treffen waren nicht nur Themen wie Gewalt gegen Frauen und Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Anspornend wirkte auch die Erfahrung, dass von Mal zu Mal mehr Frauen hinzustießen, bis die Treffen in den 90er Jahren zu einem Jahrmarkt der Möglichkeiten gerieten und die bei allen guten Vorsätzen vorhandenen blinden Flecken der Bewegung zutage traten: Die Lesben begehrten auf, die schwarzen Frauen klagten eigene Räume ein, die Indígena-Frauen sahen sich diskriminiert.
Das achte Treffen 1999 in der Dominikanischen Republik bedeutete eine Zerreißprobe. Verunsicherung und Streit zwischen „Autonomen“ und „Institutionalisierten“, aber auch das bis an die Grenze der Beliebigkeit strapazierte Schlagwort „Diversität“ prägten die Vorbereitungsatmosphäre. Beim Treffen selbst wuchsen dann doch wieder die Hoffnungen. Eine neue Generation von Feministinnen verschaffte sich unerwartet energisch Gehör und weckte bei vielen Frauen, die zu Beginn nicht einmal sicher waren, ob überhaupt noch gemeinsame Perspektiven existieren, Erwartungen an eine Erneuerung der Bewegung.

Feminismus und Globalisierung

Das Vorbereitungskomitee für das neunte Treffen im November 2002 in Costa Rica (weitere Informationen: www.9feminista.org) hat inzwischen optimistisch das Thema der nächsten Zusammenkunft festgelegt. Es geht um nichts weniger als „Feminismus und Globalisierung“. In ihrer Ankündigung schreiben sie: „Wir brauchen dringend eine Erneuerung der Allianzen und Pakte von Frauen aus unterschiedlichen sozialen Sektoren, wir müssen zurückkehren zum Konkreten, wir wollen den Wiederaufbau des Feminismus, mit breit gefächerten Pakten zwischen den Geschlechtern“ – was immer Letzteres bedeuten mag.
Derzeit läuft ein Wettbewerb für die Gestaltung des Veranstaltungslogos. Eingereichte Vorschläge sollen kreisen um die Zuschreibungen: „rebellisch, grenzüberschreitend, fröhlich, protestierend, anders“ – alle Adjektive, versteht sich, stehen ausdrücklich in weiblicher Form.

Milizenchef Castaño wechselt die Stellung

Die offizielle Version: In einem Zehn-Punkte-Kommuniqué erklärte das neue Oberkommando der AUC (Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens), dass die Umstrukturierungen mit dem schnellen Anwachsen der Organisation zu tun hätten. Diese umfasst derzeit etwa 8.000 Kämpfer, die in nahezu allen Landesteilen gegen die Guerilla und deren SympathisantInnen vorgehen. Deshalb sei die Spitze auf neun gleichwertige Kommandeure ausgeweitet worden statt auf eine einzige Führungsperson.
Hinter dem Rücktritt Castaños lassen sich jedoch weitere und plausiblere Erklärungen vermuten. Die naheliegendste ist ein Richtungsstreit zwischen ihm und der Nummer Zwei, dem italienisch-stämmigen Salvatore Mancuso alias „Santander Lozada“.
Was ist passiert? Am 24. Mai führten 150 Soldaten eines Spezialkommandos und 40 Agenten der Generalstaatsanwaltschaft eine Untersuchung der Finanzstruktur der AUC durch. In der Hauptstadt der Provinz Córdoba, Montería, wurden Privatgrundstücke und Firmensitze durchsucht und vier Personen festgenommen. Darunter befand sich auch der Sekretär der Organisation mit dem zynischen Namen „Gesellschaft für den Frieden in Córdoba“, der laut Anklage aktiv die Paramilitärs unterstützt haben soll. Des Weiteren wurden zwei Dutzend Computer sowie Gelder beschlagnahmt.
Der Schlag der Justiz wurde nicht wegen daraus resultierender struktureller Probleme zu einer Zerreißprobe innerhalb der AUC, denn er hatte mehr Medienwirksamkeit als Effektivität gezeigt. Eher machen sich einige Kommandeure der AUC Sorgen um ihre Nicht-Identität sowie ihre privaten Geschäfte und Familienangelegenheiten. So soll Mancuso Castaño gedrängt haben, dem Staat künftig seine Grenzen aufzuzeigen, was Aktionen gegen den Paramilitarismus betrifft. Schließlich wurde das Haus seiner Frau durchsucht und ein Chauffeur vor den Augen seiner Söhne erschossen.
Mancuso gilt spätestens seit dem 28. Dezember 2000 als die rechte Hand Castaños. In letzter Minute rettete er seinem Chef das Leben, als etwa 100 FARC-Guerilleros (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) völlig unerwartet die Finca El Diamante angriffen, um Castaño auszuschalten. In einem Black Hawk-Hubschrauber, der vermutlich der Armee gehörte, wurde er unter Gewehrfeuer ausgeflogen. Mancuso gilt aktuell als Para-Kommandant von sieben nördlichen Provinzen.

Krieg dem Staat?

Laut kolumbianischen Medien gehen nun einige AUC-Kommandeure – unter ihnen auch Mancuso – so weit, dem Staat den Krieg erklären zu wollen. Spätestens seit Februar, als FARC-Chef Marulanda den kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana am Verhandlungstisch dazu bewegen konnte, eine Anti-Paramilitär-Kommission einzurichten, lassen sich solche Forderungen vernehmen.
Castaño dagegen betonte auch nach der Aktion von Montería, weiterhin loyal und respektvoll dem Staat gegenüber aufzutreten. Schließlich hing und hängt seine Existenz und die der Paramilitärs vom guten Willen der Armee ab. Er sieht seine Kämpfer im Dienste von Staatsinteressen. Das hat ihm nun womöglich den Chefposten gekostet.
Wie die zukünftige Linie der AUC nun aussieht, steht noch nicht fest. Eine Kriegserklärung gab es noch nicht, und wird es kurzfristig wohl auch nicht geben. Unklar ist jedoch, wer für die Bomben verantwortlich ist, die Mitte Mai in den größten Städten des Landes detoniert sind. Die fehlenden Bekennerschreiben lassen in diesem Zusammenhang vermuten, dass Flügel der AUC ohne Abstimmung mit Castaño eine Konfrontation gesucht haben könnten. AnalytikerInnen machten bereits den Beginn einer neuen Terrorwelle wie Anfang der neunziger Jahre aus, die diesmal von den Paramilitärs ausgehen könnte, um einem „Flügelstutzen“ bei den Paras seitens des Staates entgegenzutreten.

Flügelstutzen statt ernsthafter Bekämpfung

Die Paramilitärs könnten einem ähnlichen Schicksal entgegen gehen wie die großen Drogenkartelle vor zehn Jahren. Der bedeutendste Kopf, der damals gerollt ist, war der von Pablo Escobar. Der Drogenhandel funktioniert jedoch reibungsloser als je zuvor, nur zersplittert und ohne Galionsfigur. Warum sollte nicht das Gleiche mit den Paramilitärs passieren? Es ist nicht auszuschließen, dass Castaño als Initiator unzähliger Massaker an der Zivilbevölkerung einer solchen Opferfunktion entgehen und rechtzeitig seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will. Den will er nämlich zukünftig noch häufiger in Zeitungen und Fernsehen zeigen. Laut dem Kommuniqué wird Castaño für die politischen Aktivitäten der AUC zuständig sein, die seit geraumer Zeit auf einen anerkannten politischen Status drängen. Dieser würde es illegalen Gruppen auf Grund der kolumbianischen Gesetzeslage ermöglichen, mit der Regierung Abkommen auszuhandeln. Castaño hatte schon immer Ambitionen, als politischer Lenker aufzutreten und seine Organisation als unabhängig und sauber zu deklarieren.
Die Folgen wären fatal: Die KolumbianerInnen gewöhnten sich mit Unterstützung aus Medien- und PolitikerInnenkreisen schnell an einen politischen Charakter der Todesschwadronen, und die Manager und Urheber weiterer Massaker blieben bis auf einige wie Mancuso ohne Gesicht. Saubermann Castaño kümmert sich schließlich nur um die Politik.
Die konservative Zeitung El Tiempo interpretiert die Polizeiaktion von Montería als einen strategischen Schachzug, der am Verhandlungstisch mit der FARC-Guerilla geplant wurde. Für einen Austausch von Geiseln, der am 5. Juni begonnen hat (siehe Kasten), soll die Guerilla die Pastrana-Administration verpflichtet haben, verschärft die paramilitärischen Strukturen in Córdoba anzugreifen. Laut dem Artikel glaube die dortige Bevölkerung, diese Politik sei die „erste Anzahlung“ der Regierung für einen erfolgreichen Friedensprozess mit der Guerilla.
In der Zeitung ist außerdem die Rede von einer Rückeroberung der vor sechs Jahren an die Paramilitärs verlorenen Gebiete. Seit Anfang des Jahres gehen FARC-Einheiten mit ungewohnter Härte gegen paramilitärische Hochburgen vor. Viehzüchter beklagen sich über Ausreden der ansässigen Armee-Bataillone, dass sie während der Guerilla-Offensiven nicht verfügbar seien, was den Rebellen große Geländegewinne im Süden der Provinz ermöglicht habe.
Wie weit diese Berichte von El Tiempo konstruiert sind, lässt sich schwer abschätzen. Im Rahmen des Möglichen ist das Gemeldete jedenfalls, da Pastrana auf einen Verhandlungserfolg mit der Guerilla angewiesen ist.

Reine Imagepflege

Gemeinsam mit der Guerilla gegen die Paramilitärs. Kann das eine neue Regierungsstrategie sein? Wohl kaum, auch wenn Pastrana für den laufenden Friedensprozess nun eine neue Richtung gegen die AUC einschlagen sollte. Auf alle Fälle sind seine Verbindungen zur Militärspitze, die in Sachen Paramilitarismus die Fäden in der Hand hält, frostiger geworden; spätestens seit er Vizepräsident Gustavo Bell Ende Mai auf den Sessel des Verteidigungsministers gehievt hat.
Dieser hatte drei Jahre die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten der Regierung inne und gilt als enger Vertrauter Pastranas. Mit der überraschenden Ernennung will Pastrana sicherstellen, dass ein Vertrauensmann auf dieser Position ist, und zugleich ein Zivilist, der das neue Image der Regierung in die Welt tragen soll. Damit versucht der Präsident dem stetigen Druck nachzukommen, der von der internationalen Gemeinschaft ausgeübt wird. Der Neue soll nun die Reihen in der Armee sauberfegen.
Nur kann er das nicht. Laut dem amnesty-Jahresbericht zur Menschenrechtslage „präsentiert Bell nicht die geringste Hoffnung, dass sich die Situation ändern wird“. Dabei bezieht sich die NRO auf die Daten während Bells Zeit als Menschenrechtsbeauftragter. Die Zahl der Massaker und Folterungen ist gestiegen und die Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs sind weiter gewachsen.

KASTEN:
FARC lässt im Rahmen des Friedensprozesses die ersten Geiseln frei

Fast zweieinhalb Jahre kränkelnder Friedensprozess zwischen FARC und Regierung waren nötig, um das erste ausgehandelte Abkommen am 2. Juni unterschriftsreif vorzulegen. Beide Seiten haben an diesem Tag zum ersten Mal ein verbindliches Dokument unterschrieben, das zunächst einen Gefangenenaustausch vorsieht. Darin verpflichten sich die FARC, 42 erkrankte Soldaten und Polizisten, die seit 1997 bei Gefechten gefangen genommen wurden, freizulassen. Die Regierung hat sich in dem Abkommen im Gegenzug auf die Entlassung von 15 Guerilleros verpflichtet.
Am 5. Juni wurden der Polizeioberst Alvaro León Acosta, der sich in einem kritischen Gesundheitszustand befand, sowie drei weitere Polizisten auf freien Fuß gesetzt. Vom Internationalen Roten Kreuz wurde eine Liste von Guerilleros erstellt, die demnächst die Gefängnisse verlassen dürfen. Dabei handelt es sich allerdings um Rebellen, die wegen weniger schwerer Delikte wie illegalem Waffenhandel und „Rebellion“ eingesperrt wurden und bereits fast ihre komplette Haftzeit abgesessen haben. Eine Ausnahme bildet der Comandante des 22. FARC-Blocks, der bereits seit elf Jahren mit Diabetes einsitzt. Laut dem Abkommen soll den befreiten Guerilleros verboten werden, an zukünftigen Kampfhandlungen teilzunehmen. Über einen Kontrollmechanismus verfügt man allerdings nicht. Insgesamt befinden sich noch über 400 Soldaten und Polizisten in Gefangenschaft der FARC. Diese stellten aber klar, dass an der Entführungspolitik weiter festgehalten wird.
Nach der Unterschrift betonten beide Seiten, dass man dieses Abkommen nur als einen Anfang betrachte. Als möglicher nächster Verhandlungspunkt wird ein Waffenstillstand in Betracht gezogen.

Wieder keine Verhandlungen in Kolumbien

Zum zweiten Mal seit Anfang März hat die Armee der Nationalen Befreiung (ELN) am 19. April weitere Verhandlungen mit der kolumbianischen Regierung unter Andrés Pastrana auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Gegenüber einem nationalen Radiosender erklärte Pablo Beltrán, Sprecher und Nr. 3 der Rebellengruppe, dass sich die Regierung keine Mühe mache, den Friedensprozess ernsthaft anzugehen. „Aus diesem Grund sehen wir uns gezwungen, den Dialog auf unbestimmte Zeit auszusetzen“, so Beltrán. Zudem sehe sich die ELN in der Lage, auf einen neuen Präsidenten zu warten, der 2002 gewählt wird, da man mit Pastrana nicht verhandeln könne. Für den wäre es ein Rückschlag, hatte er sich doch bei seiner Wahl 1998 den Friedensprozess mit der Guerilla auf die Fahnen geschrieben.
In Momenten des Fortschritts blockieren jedoch jedes Mal wieder militärische und paramilitärische Offensiven eine Weiterentwicklung der Verhandlungen. Man geht seit geraumer Zeit davon aus, dass sich die guevaristische ELN in einem labilen militärischen Zustand befindet. Bevor man politische Zugeständnisse machen muss, versucht man es also zunächst mit Waffengewalt. Im März startete die Armee mit 3.000 Soldaten ihre „Operation Bolívar“. Ziel: Zerstörung von Drogenlabors, Paramilitärcamps sowie Guerillastellungen in der Region Sur de Bolívar. Logisch war dieses Manöver nicht zu erklären, wollte man doch im selben Moment auf politischer Seite zu einer Einigung kommen. Der Kollaps liess nicht lange auf sich warten. Die Guerilla setzte die Gespräche aus, da sie eine breitangelegte Antiguerilla-Offensive vermutete.
Auf Initiative von ausländischen Diplomaten und Beobachtern konnte der Prozess nach über drei Wochen wieder aufgenommen werden. Da sich ausländische Diplomaten als Mediatoren einschalteten, war eine positive Entwicklung nun absehbar. Dass auch sie auf den harten Boden der kolumbianische Realität geholt würden, eher nicht: Kurz vor der Osterwoche starteten ultrarechte Paramilitärs eine Offensive in der Serranía de San Lucas, dem Stammgebiet der ELN. Eine kleine Ortschaft, die für einen Treffpunkt zwischen Guerilla, Regierung und internationalen Vermittlern eingeplant war, wurde von den Paramilitärs besetzt. Weitere Gespräche mussten daraufhin verschoben werden.
„Bis Ende Ostern werde ich die Zentralkommandantur der Elenos eingenommen haben“, kündigte der Chef der Bäuerlichen Selbstverteidigung (AUC), Carlos Castaño, an. Zwei Wochen lieferten sich rund 300 seiner Kämpfer und mindestens ebenso viele Guerilleros der ELN heftige Gefechte. Dass die Paras von der vorangehenden Armeeoperation profitiert haben, entspricht den gegenseitigen Verbindungen. Auch während der Kämpfe war weit und breit kein Soldat zu sehen, der gegen die Paras hätte vorgehen können.

Para-Staat in Sur de Bolívar?

Wie stark die ELN, der etwa 5.000 Bewaffnete zugerechnet werden, in den letzten Wochen tatsächlich geschwächt wurde, lässt sich schwer sagen. Der Sitz der Kommandantur wurde zwar nicht eingenommen, Kritiker des Friedensprozesses behaupten jedoch, die Guerilla würde eine entmilitarisierte Zone nur dazu nutzen wollen, sich wieder militärisch zu verstärken. Eine These, die auch bei Teilen der in dem Gebiet ansässigen Zivilbevölkerung auf fruchtbaren Boden fällt. Die Meinung der Menschen gegenüber einer Guerilla-Zone ist gespalten. Teils jedoch nur deshalb, weil die Paramilitärs zivile Organisationen lenken und nicht zuletzt Bauern zum Protest gegen die ELN gezwungen haben sollen. “Sollte Pastrana diesen Kampf um die ELN-Zone aufgeben, gibt er Castaño das Signal, dass er gewonnen hat. Dann gibt es einen Para-Staat und einzige Autorität und Regierung wäre dann Castaño“, betonte Gewerkschaftspräsident Eduardo Garzón unlängst. Ähnlich äusserte sich der Kongressabgeordnete und Ex-Guerillero der M-19, Antonio Navarro Wolf: „Wegen ein paar Quadratkilometern Land setzen wir den Friedensprozess auf’s Spiel“, beklagte er.
Ganz offensichtlich. Bei einem Treffen der Präsidenten der Andenstaaten machte Präsident Pastrana Mitte April den Vorschlag, dass man auch in Venezuela oder Europa verhandeln könne. Venezuelas Präsident Hugo Chávez fuhr auf gleicher Schiene und lud die ELN zu Verhandlungen in seinem Land ein. Die ELN selber steht solchen Verhandlungen im Ausland aber kritisch gegenüber. Schließlich gilt weiterhin die Idee, einen Nationalkonvent abzuhalten, an dem Vertreter der gesamten Zivilbevölkerung beteiligt sein würden. Die aber lassen sich kaum alle nach Caracas oder Madrid verschiffen.
Wahrscheinlicher ist zudem, dass Pastrana zwar Verhandlungen mit der ELN sucht, die aber früher oder später auf eine Entwaffnung der Gruppe hinauslaufen sollen. Um so überraschender war eine Aktion, die von der ELN in der zweiten Aprilwoche im Nordosten des Landes lanciert wurde. Sie nahmen auf einen Schlag 101 Arbeiter der US-amerikanischen Erdölfirma OXY als Geiseln. Gleichzeitig mit ihrer Ankündigung, der Friedensprozess sei suspendiert, ließen sie aber selbige wieder frei. Ein Zeichen der Schwäche?

Blutige Ostern in Kolumbien

Auch außerhalb der Diskussion um eine ELN-Zone deutet alles darauf hin, dass sich die Fronten verhärten werden. Besonders im Umgang mit den Paramilitärs, die in den letzten drei Jahren um 83 Prozent auf etwa 10.000 Kämpfer angewachsen sind. Nach der wohl blutigsten Osterwoche seit Jahren in dem lateinamerikanischen Land kündigte die ELN an, mit den revolutionären Streitkräften Kolumbiens, der FARC-Guerilla eine gemeinsame Strategie gegen die Paramilitärs zu entwickeln. Über 70 Bauern wurden über die Feiertage von den Paramilitärs ermordet. Am 11. April drangen AUC-Einheiten in den kleinen Ort La Naya in der südwestlichen Provinz Cauca ein und brachten 29 Menschen um. Man benutzte nicht Feuerwaffen, sondern Motorsägen. Einem 18-jährigen indigenen Mädchen trennten sie in äußerster Brutalität zuerst die Hände und dann den Kopf ab.
Noch eine Woche zuvor forderte die Interamerikanische Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten von der kolumbianischen Regierung, die Mitglieder von indigenen und afroamerikanischen Kommunen umgehend einem besseren Schutz vor solchen Übergriffen zu unterstellen. Eine sinnlose Forderung. Die Aktionen der AUC reihen sich somit in die 145 Massaker ein, die allein in diesem Jahr in Kolumbien von den Paras verübt wurden. 769 Menschen wurden ermordet, was eine Verdopplung zum Vorjahreszeitraum bedeutet.
Diese Entwicklung ist dem von beiden Seiten zwar angestrebten, aber zunehmend schwindenden Vertrauen nicht förderlich. Daher setzt man zunehmend auf internationale Unterstützung. Nicht nur bei verstärkt stockenden Verhandlungen mit der ELN-Guerilla, auch bei den FARC konnten auf diese Weise Erfolge erzielt werden. Als Mitte Februar die Friedensgespräche mit dieser zweiten Gruppe nach mehrmonatiger Pause wieder aufgenommen wurden, war auch eine Delegation europäischer Diplomaten zugegen. In der „Hauptstadt“ der von den FARC kontrollierten entmilitarisierten Zone gipfelte dieses Engagement in einem Treffen einer internationalen Delegation mit dem Oberkommando der FARC am 7. März. Erstmals war nach Angaben der alternativen Nachrichtenagentur AANCOL auch ein Vertreter der Deutschen Botschaft zugegen. In der Abschlusserklärung zeigten sich die Diplomaten in Übereinstimmung mit der FARC zu „mehr Engagement im kolumbianischen Friedensprozess“ bereit.

Mehr Engagement aus Europa

Das kann nun alles oder nichts bedeuten. Nach Meinung von Alberto Martinez, dem Europavertreter der Guerilla will man den Einfluss der internationalen Gemeinschaft auf jeden Fall. Doch die „Souveränität und Selbstbestimmung“ Kolumbiens muss dabei gewahrt bleiben. Das zeugt von einer Vorsicht, die auch in der deutschsprachigen Ausgabe der Zeitschrift der FARC, Resistencia, bestätigt wird. Die illegalen Anpflanzungen, die Auslandsschulden und das Landproblem haben bei den Verhandlungen absolute Priorität, jedoch „werden wir uns der Frage nach internationalen Garanten des Friedensprozesses erst dann zuwenden, wenn Einigkeit über diese zentralen Punkte herrscht“. Damit wird der zunehmend isolierte Andrés Pastrana einmal mehr unter Druck gesetzt.
Der 46-Jährige hadert nicht mit seinem Schicksal und machte sich zuletzt nach Europa auf. In Begleitung einer hochrangigen Regierungsdelegation traf er am 27. und 28. April in Berlin auch mit der Bundesregierung zusammen. Gerhard Schröder ließ sich nicht lumpen und nahm den Amtskollegen mit militärischen Ehren in Empfang. Bei Menschenrechtsorganisationen, wie der FIAN, stieß das übel auf. Armin Paasch, Leiter der Agrarreformkampagne bei FIAN, beklagte eine mangelnde Initiative der Regierung Pastranas auf dem Gebiet der Menschenrechte.Wer sich in Kolumbien für sie einsetze „steht schon mit einem Bein im Grab“. In Anbetracht der ständig wachsenden Zahl von Opfern paramilitärischer Gewalt wäre „Halbmast statt militärischer Ehren“ angebracht gewesen.
Doch auch wenn man vermuten mag, dass sich Pastrana in Anbetracht deutscher Soldaten Hoffnung auf Gelder mit ähnlichen Zielvorgaben gemacht haben könnte: In Berlin hatte man andere Pläne. Bis Ende kommenden Jahres werden dem südamerikanischen Land zwar 40 Millionen Mark zur Verfügung gestellt werden – zehn Millionen mehr als in den vergangenen zwei Jahren –, die Gelder aber sollen ausschließlich zivilen Zwecken dienen: Krisenprävention, Schutz der Menschenrechte und Umweltschutz sollen im Zentrum der bilateralen Kooperation stehen. Bei Arbeitsessen zwischen Schröder und Pastrana seien „Lage und Perspektiven Kolumbiens“ erörtert worden, hieß es aus dem Außenministerium lapidar.
Ähnlich, nur stand hier die Menschenrechtslage im Mittelpunkt, war das bei Bundesaußenminister Joseph Fischer und seinem Amtskollegen Guillermo Fernández de Soto. Auch danach hüllte man sich auf deutscher Seite auf die Bitte nach anders gewichteter Unterstützung hin weitgehend in Schweigen. Da half auch Pastranas Bemühen nicht, den in der Europäischen Union zunehmend kritisierten Plan Colombia als „zu 80 Prozent aus zivilen Projekten“ bestehend anzupreisen.

Keine Luft zum Atmen mehr

Arturo Alape, Autor des Romans Sangre Ajena ist seit Dezember 2000 in Hamburg im Exil, und wenn man das ganze Buch liest, wird einem auch klar, warum das so ist. In Sangre Ajena geht es um die Geschichte zweier Bogotaner Kinder, die von Zuhause abhauen, sich nach Medellín durchschlagen und dort ein neues Leben beginnen. Don Luis, Chef einer so genannten oficina, einer Vermittlungsstelle für Auftragsmorde, nimmt sich der beiden Jungen, Nelson und Ramón Chatarra, an und lässt sie im Umgang mit Waffen ausbilden. Auf diese Weise kommen die zwei zu einem Job. Sie werden, gerade einmal 9 und 13 Jahre alt, zu Auftragsmördern, zu Leuten, die töten, ohne nach Gründen zu fragen. Sie erschießen Kriminelle, die sich in Geschäfte eingemischt haben, Juweliere, die ihre Ware nicht herausrücken, Passanten, die einfach an der falschen Stelle stehen, aber auch políticos, wie Ramón Chatarra es ausdrückt, Oppositionelle, die der Regierung, den Eliten und den großen Unternehmen Probleme bereiten. Die mordenden Kinder und Jugendlichen wissen nicht, warum und für wen sie töten, für sie ist das Interessengestrüpp hinter den Anschlägen undurchschaubar. Dass es bei den Morden manchmal um Bandenkonkurrenz, andere Male um die Verteidigung sozialer Privilegien geht, wissen sie nicht. Sie verdienen sich einfach ihren Lebensunterhalt, kämpfen um die eigene Existenz. Es ist die grausame Tragik der kolumbianischen Verhältnisse: Oft tragen diejenigen, die unter den sozialen Zuständen am meisten zu leiden haben, als Berufssoldaten, Paramilitärs oder Todesschwadrone aktiv dazu bei, genau diese Ordnung aufrecht zu erhalten.
Arturo Alape, der sich als Maler, Historiker und Schriftsteller einen Namen gemacht hat, zeigt mit Sangre Ajena den Grad des sozialen Zerfalls in Kolumbien auf, ohne Analysen zu präsentieren. Er lässt seine Hauptperson einfach sprechen: über die Armut und Kälte zu Hause, die Zeit als Straßenkind, den Aufstieg zum Killer, der sich Respekt verschafft, den Verlust von Freunden und des Bruders, die Hoffnungen, Ängste und Wünsche und schließlich die Rückkehr in die Armut, denn Ramón Chatarra geht nach Bogotá zurück, um die Arbeit zu machen, die schon seine Eltern gemacht haben, Müll sammeln. Er zieht nach dem Tod seines älteren Bruders einfach die Notbremse: nur weg aus Medellín.
Man könnte die Geschichte – im Sinne des Sozialrealismus – als Anklage gegen die kolumbianische Gesellschaft verstehen. Und doch hat man – vor allem wenn man an Alapes Gang ins Exil denkt – den Eindruck, dass es um mehr geht, nämlich auch um Alape selbst. Immerhin schreibt ein potenzielles Opfer die Geschichte seines potenziellen Mörders; eine bizarre Begegnung, die zwei wesentliche Momente in Alapes Leben beleuchtet: Zum einen wird deutlich, warum Alape sein ganzes Leben lang politisch aktiv war – Verhältnisse wie diese muss man bekämpfen –, zum anderen versteht man aber auch, warum Alape immer wieder ins Exil gehen musste. Die zum Berufszweig gewordene Gewalt, die von den Eliten nach Belieben unter Vertrag genommen wird, hat Oppositionellen wie Alape die Luft zum Atmen genommen.
Dabei gehört der mittlerweile 62-jährige Alape im Land selbst zu den meistgelesenen Autoren. Er ist eine Institution unter den Intellektuellen, einer der wenigen Künstler, die gleichermaßen in der Literatur, der Malerei, den Geschichtswissenschaften und der politischen Praxis aktiv waren. Alape begann seine künstlerische Laufbahn als Maler, es folgten die politischen Aktivitäten im Umfeld von KP und FARC-Guerilla, die ihm bis heute ein Einreiseverbot in die USA beschert haben; Anfang der 70er machte er sich als Historiker einen Namen. Aus seiner Feder stammt die wichtigste Biografie des FARC-Kommandanten Pedro Marín alias Manuel Marulanda genannt ‘Tirofijo’. Mit El Bogotazo verfasste Alape das Standardwerk über die Ermordung des Oppositionspolitikers Gaitán und den linken Volksaufstand am 9. April 1948 (der den Auftakt des letzten großen Bürgerkriegs darstellte); und er widmete sich immer wieder den Geschichtsrealitäten von unten: 1977 der Zivilstreikbewegung, 1985 dem Thema Krieg und Frieden, 1995 den Armenvierteln von Ciudad Bolívar. Parallel dazu zeichnete, malte und collagierte er, schrieb Erzählungen, von denen einige ins Deutsche übersetzt sind und drei Romane.
Den Hass der Mächtigen, der ihn nun ins Exil getrieben hat, haben ihm allerdings nicht die künstlerischen Arbeiten beschert. Literatur darf, wie Alape feststellt, in Kolumbien einiges, denn in einem Land, in dem aus verschiedenen Gründen kaum gelesen wird, kann der Inhalt eines Buches auch keine subversive Drohung mehr darstellen. „Was die kolumbianische Oligarchie nicht duldet, ist die politische Positionierung des Schriftstellers jenseits der Kunst. Wer öffentlich einen Standpunkt vertritt, muss mit dem Schlimmsten rechnen.“ Alape weiß, wovon er spricht. 1987 musste er, damals Vorsitzender des frisch gegründeten kolumbianischen Schriftstellerverbandes, zum ersten Mal ins Exil. Es war die Zeit des Vernichtungskriegs gegen die linke Unión Patriótica, mit der Alape sympathisierte. An die 3.000 AktivistInnen der (aus Friedensverhandlungen mit der Guerilla hervorgegangenen) Partei wurden innerhalb kürzester Zeit von den Armeegeheimdiensten ermordet, darunter auch zahlreiche Freunde Alapes. Der Maler-Historiker-Schriftsteller ging nach Kuba, blieb vier Jahre dort und kehrte 1991 in ein Land zurück, in dem die legale, politische Opposition praktisch eliminiert war. Alape veröffentlichte den zweiten Teil seiner Marulanda-Biografie, schrieb an den Romanen Mirando al final del alba und Sangre Ajena und gelangte auf neue Todeslisten. Inzwischen muss man in Kolumbien nicht mehr in linken Gruppen wie der UP organisiert sein, um erschossen zu werden. Es reicht, als einer der Letzten eine andere Meinung zu haben. Die kolumbianische Ultrarechte in Armee, Großgrundbesitz und Industrie sucht die militärische Lösung des Konflikts. Auf diese Weise ist Alape als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte im Winter 2000 mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern nach Deutschland gekommen. Er habe sich Sorgen gemacht vor dem Exil, sagt er. In einem fremden Land zu arbeiten, sei schwer. Sein Vorgänger als Stipendiat, der Journalist Hernando Corral, habe es gerade einmal vier Monate in Deutschland ausgehalten. Aber jetzt sei Alape doch überraschend zufrieden. Allein die Erleichterung: keine anonymen Anrufe mehr und für die Kinder Plätze in der Schule, für die man kein Vermögen zahlen muss.

KASTEN

„Nelson und ich wurden zwei Basuqueros voller Angst und mit Geld in den Taschen. Das war das Vergnügen, das unser Leben erfüllte und die Zeit angenehmer erscheinen ließ, die wir auf die Befehle von Don Luis zu einem Überfall oder einen gefährlichen Auftrag warteten. Mit Nelson qualmte ich im Zimmer. Manchmal, vielleicht sogar meistens, begannen wir gemeinsam, andere Male fing er oder ich mit dem Basuco an und der jeweils andere wurde zum Wachhund, damit der Bruder nicht auf der Reise verloren ging. Wir machten das, um dem Herren Angst und seiner Verwandten, der Panik, Auge in Auge gegenüber zu stehen.
Und wieder Aufträge und rauchen und Attentate und rauchen. Klar, dass wir uns vor dem Qualmen gut anzogen, Spaß mit ein paar Schlampen hatten und uns Schnaps reinlaufen ließen. Dem Chef erzählten sie, dass wir rauchten, aber ihm war das egal. Er sagte, man muss sie machen lassen, was können sie sonst schon tun? Er gab uns Ratschläge, dass einem das schaden würde, dass wir nichts von unserer Arbeit hätten, wenn wir das Geld ständig verrauchten, immer nur rauchten. Wir gaben ihm Recht, aber wir machten weiter wie gehabt. In dieser Pension rauchten alle. Sie verkauften das Basuco direkt im Haus.“
(Arturo Alape, Sangre Ajena)

Der Nachlass eines untergegangenen Regimes

Fernando Olivera, Kandidat für die peruanischen Präsidentschaftswahlen am 8. April, tritt im Wahlkampf vorzugsweise mit einem Besen auf. Damit will er nicht nur seine Mitbewerber um das höchste Amt der Republik hinwegfegen. Oberstes Ziel des ehemaligen Staatsanwaltes ist es, mit der Korruption aufzuräumen. Sein Wahlkampfslogan lautet „Ehrlichkeit, Ehrlichkeit, Arbeit“, seine Partei mit dem viel versprechenden Namen Unabhängige Moralische Front (FIM) führt den Besen im Logo. Olivera gefällt sich in der Rolle des Anklägers: Er führte der Öffentlichkeit im September letzten Jahres jenen Videostreifen vor, der zum Sturz des Montesinos-Fujimori-Regimes führte. Darauf war zu sehen, wie der damalige Präsidentenberater und faktische Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos den Oppositionsabgeordneten Alberto Kouri mit 15.000 US-Dollar besticht.

Vladimiro sorgt für alle

Nun muss Olivera im Kreise seiner engsten Parteigenossen kehren. Ernesto Gamarra, Abgeordneter der FIM und langjähriger Mitstreiter Oliveras an der moralischen Front, vertrat seine Partei als Vizepräsident in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Montesinos. Dessen Mitglieder staunten nicht schlecht, als sie sich bei der Sichtung von Beweismaterial einen Videofilm anschauten, in dem Gamarra selbst auftauchte. Zu sehen war eine Szene aus dem letzten Jahr: Ein gewisser Luís Venero, dessen
Bruder Alberto zusammen mit Montesinos Waffen an die kolumbianische FARC-Guerilla lieferte, zahlt Gamarra 3.000 Dollar aus. Gamarra verpflichtet sich im Gegenzug, die Öffentlichkeit mit falschen Hinweisen zum illegalen Waffenhandel zu versorgen.
Obwohl sich Olivera umgehend von Gamarra trennte, ist die Glaubwürdigkeit seiner Moralischen Front dahin. Sein Trost: Auch andere Präsidentschaftskandidaten erwischte es. Die sozialdemokratische APRA, die den aus dem Exil zurückgekehrten Ex-Präsidenten Alán García ins Rennen schickt, musste sich von ihrem ehemaligen Innenminister Agustín Mantilla trennen. Der wurde gefilmt, als er 30.000 Dollar von Montesinos entgegennahm und versprach, sich im Wahlkampf des Jahres 2000 mit Angriffen gegen Fujimori zurückzuhalten. Alejandro Toledos Wahlbündnis Perú Posible strich seine Kongressabgeordnete Milagros Huamán Lu wegen eines kompromittierenden Videos mit Montesinos von der aktuellen Wahlliste. Und schließlich traf es auch die Kandidatin Lourdes Flores, Mitglied der konservativen PPC (Partido Popular Cristiano) und Gründerin des Wahlbündnisses Unidad Nacional. Ihr Parteigenosse Luís Bedoya, Bürgermeister in Limas feinem Stadtteil Miraflores, wurde sogar vorübergehend verhaftet, nachdem per Video bekannt wurde, dass er von Montesinos Geld angenommen hatte.
Videos und immer wieder Videos. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte nach Montesinos’ Flucht im November letzten Jahres Hunderte von Videokassetten aus dessen Wohnung. Der ehemalige Geheimdienstchef hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Spitzel und Kollaborateure bei der Bezahlung ihrer Dienste oder bei Besprechungen filmen zu lassen. Die Inhalte dieser Filme, in den Medien Vladivideos genannt, beschäftigen die peruanische Öffentlichkeit zurzeit mehr als der Wahlkampf. Sie können den Ausgang der Präsidentschaftswahlen entscheidend beeinflussen. Alle Kandidaten leben mit der Furcht, vor den Wahlen könnte belastendes Videomaterial gegen weitere Politiker aus ihren Reihen auftauchen.
Dabei hat Montesinos die brisantesten Streifen vermutlich vor seiner Flucht vernichtet oder versteckt. Auch der damalige Präsident Fujimori, der verschiedene Wohnungen seines Beraters nach dessen Abtauchen ohne Staatsanwalt oder richterlichen Durchsuchungsbefehl persönlich durchkämmte, hat wahrscheinlich ihn selbst belastendes Material sichergestellt und mit nach Japan genommen. Darauf deutet die Tatsache hin, dass Fujimori auf allen Filmen, die sich jetzt im Besitz der Staatsanwaltschaft befinden, entweder gar nicht oder nur am Rande auftaucht.

Der faktische Staatschef

Das Gesamtbild, zu dem sich die Mosaiksteinchen der Videos verdichten, ist so neu nicht. Schon zuvor war bekannt: Vladimiro Montesinos, dessen illegal erworbenes Vermögen auf knapp eine Milliarde Dollar geschätzt wird, war der Kopf einer Mafia, die sich mit Drogen- und Waffenhandel, Erpressungen von Unternehmen, der Privatisierung von öffentlichen Unternehmen oder der Einflussnahme auf Gerichtsurteile hemmungslos bereichert hat (vgl. LN 319). Minister, hohe Beamte, die Armeespitze, Funktionäre und Unternehmer waren die Profiteure einer systematischen staatlichen Korruption, deren Geflecht verschiedene gesellschaftliche Sektoren durchzog.
Dennoch nimmt die Bevölkerung die Veröffentlichung der
Videos mit Interesse auf. Denn die Vladivideos zeigen – wenn auch unvollständig –, welche Oppositionsabgeordneten, Staatsanwälte, Richter, Unternehmer oder Journalisten im Dienst der Mafia standen und wie sie dafür entlohnt wurden. Zum Beispiel überzeugte Montesinos den Besitzer des Fernsehkanals 4, José Francisco Crousillat, mit der monatlichen Zahlung von 1,5 Millionen Dollar, seinen Sender zum Sprachrohr der Regierung zu machen. Crousillat verpflichtete sich vertraglich, politische Sendungen zu eliminieren und keine Wahlspots von Oppositionsparteien zuzulassen. Eduardo Calmell, Direktor des einst angesehenen Blattes Expreso, gab sich dagegen mit zwei Millionen Dollar auf die Hand zufrieden.

Wie die Wirtschaft wuchs

Die Filmstreifen geben deutlich Auskunft über die tatsächlichen Machtverhältnisse während der vergangenen zehn Jahre: Vladimiro Montesinos war nicht nur faktischer Geheimdienstchef, sondern auch faktischer Staatschef. Der Mann im Hintergrund kontrollierte direkt Justiz, Parlament, Streitkräfte, Medien und alle Behörden. Er schmiedete politische Bündnisse, verteilte Bestechungsgelder, setzte die Verabschiedung von Gesetzen durch und instruierte die Abgeordneten der Regierungsfraktion. Sein Komplize Fujimori repräsentierte das Regime lediglich nach außen.
Auch um die Sorgen der Wirtschaftsbosse kümmerte sich Montesinos. Dionisio Romero, mächtigster Unternehmer und Banker im Land, bat Montesinos persönlich, den Konkurs des Fischmehlunternehmens Hayduk zu verhindern, dem Romeros Banco de Crédito großzügig Kredite ausgezahlt hatte. Der Geheimdienstchef erteilte den mit dem Konkursverfahren beauftragten Justizbeamten entsprechende Anweisungen. Romero, der sein Wirtschaftsimperium in den letzten zehn Jahren beträchtlich ausweitete, nahm auch an wichtigen Beratungen teil. Ein Videostreifen zeigt, wie Romero und Montesinos mit führenden Generälen vor den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr darüber diskutieren, ob man Fujimori schon nach dem ersten oder erst nach dem zweiten Wahlgang zum Sieger erklären solle.
Der US-Firma Newmont, die 51 Prozent der Anteile an der Yanacocha-Mine hält – der im peruanischen Cajamarca gelegenen, mittlerweile weltweit größten Goldmine –, hat Montesinos Umsätze von mehreren Hundert Millionen Dollar im Jahr zu verdanken. Als ein Schiedsgericht über die Anteile einiger Firmen an der Mine zu entscheiden hatte, intervenierte Montesinos persönlich zu Gunsten von Newmont. Auch das ist per Video belegt. Kein Wunder, dass bei solch rosigen Aussichten für US-Firmen einem weiteren Vladivideo zufolge der damalige US-Botschafter John Hamilton Montesinos zusicherte, die USA würden sich bei einer verfassungswidrigen dritten Kandidatur Fujimoris neutral verhalten. Wie die Unternehmensgruppe Romero oder die Firma Newmont sich für Montesinos’ Dienste bedankt haben, ist nicht bekannt.
Wenigstens sitzen führende Persönlichkeiten des alten Regimes
inzwischen hinter Gittern: die beiden letzten Oberkommandierenden der Streitkräfte des Regimes José Villanueva und Walter Chacón, der langjährige Polizeichef Fernando Dianderas, der ehemalige Vorsitzende der Wahlbehörde JNE und zwei Richter des Obersten Gerichtshofs. Auch Montesinos’ Schwester und seine Geliebte, auf deren Konten Millionenbeträge auftauchten, sitzen ein. Andere Kollaborateure der Mafia stehen unter Hausarrest. Einigen wenigen gelang es, sich rechtzeitig ins Ausland abzusetzen. Unter ihnen der Boss selbst, dessen Spuren sich in Venezuela verloren.
Ob wirklich alle Beteiligten ihren Vergehen entsprechend verurteilt werden, bleibt abzuwarten. Noch befinden sich einige von Montesinos Leuten in Justiz,
Medien und Kongress. Die verbliebenen Politiker aus Fujimoris Regierungsfraktion verteidigen das untergegangene Regime mit solcher Vehemenz, dass man glauben könnte, sie würden immer noch von Montesinos bezahlt. Sie behaupten, die Korruption wuchere in allen Parteien und Institutionen, die Praktiken der Fujimori-Regierung seien also nicht außergewöhnlich.
Nicolás Lúcar, politischer Agitator im gekauften Kanal 4 José Francisco Crousillats, versuchte Ende Januar sogar – selbstverständlich ohne Beweis –, den als integer geltenden Präsidenten Paniagua zu beschuldigen, Geld von Montesinos kassiert zu haben. Der empörte Präsident rief Lúcar daraufhin während der Sendung an, beschwerte sich und knallte den Hörer auf.
Noch dreister als Lúcar, der schließlich gefeuert wurde und in Costa Rica um politisches Asyl bat, tritt Carlos Boloña auf, der letzte Wirtschaftsminister des Regimes. Der glühende Neoliberale, der zu den engsten Vertrauten von Montesinos zählte, kandidiert bei den kommenden Präsidentschaftswahlen. Sein Hauptziel: die Bekämpfung der Korruption.

KASTEN

Dritter Weg gegen Opus Dei

Die wichtigsten Kandidaten der peruanischen Präsidentschaftswahlen

Die herausragenden Themen im diesjährigen Wahlkampf sind Arbeitslosigkeit und Korruption. Deshalb besitzt der Kandidat Carlos Boloña (50) bis November Wirtschaftsminister des korrupten Montesinos-Fujimori-Regimes, zum Glück keine Chance. Dagegen benimmt sich Alejandro Toledo (54) seit Monaten so, als sei er schon gewählt worden. Wie selbstverständlich reiste er zur Amtseinführung des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox und mischte sich unter die anwesenden Staatschefs der Region. Immerhin: Toledo, der bei den letztjährigen Präsidentschaftswahlen um den Sieg betrogen wurde, kann sich den großen Verdienst anrechnen, den Widerstand gegen das Montesinos-Fujimori-Regime angeführt zu haben.
Doch Toledo kommt schlecht damit zurecht, dass er kein Oppositionsführer mehr ist. Im Gegensatz zum letzten Jahr muss er jetzt selbst Position beziehen, und das fällt ihm schwer. Niemand versteht so richtig, wohin der von ihm propagierte dritte Weg führen soll, den seine Vorbilder Tony Blair und Bill Clinton angeblich beschritten haben. Toledo füllt im Wahlkampf zwar noch Plätze und Straßen, doch die Menschen vermissen in seinen Worten eine klare Botschaft. Toledos Angst, sich festzulegen oder einen Fehler zu begehen, könnte ihm zum Verhängnis werden.
Neben Toledo schafft es nur noch ein Kandidat, die Massen zu mobilisieren: Ex-Präsident Alan García (51) der Ende Januar aus seinem neunjährigen Exil in Kolumbien und Frankreich zurückgekehrt ist. García spricht eine klare Sprache und ist ein begnadeter Redner. Als einziger Kandidat führt García einen linken Diskurs und bezieht eindeutig Front gegen neoliberale Wirtschaftspolitik. Doch seine Regierungszeit von 1985 bis 1990 steht für Inkompetenz und Korruption. Er hinterließ ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land und eine Inflation von 7.600 Prozent. García trägt zudem die politische Verantwortung für die Ermordung von 80 meuternden Gefangenen in der Haftanstalt El Frontón im Jahre 1986. Vor allem sind es aber die zahlreichen Korruptionsskandale Garcías, die seinem erneuten Einzug in den Präsidentenpalast im Wege stehen.
García liegt in den Umfragen aber immerhin vor Fernando Olivera (42) dem Chef der Unabhängigen Moralischen Front (FIM), deren wichtigstes Thema schon seit Jahren die Korruption ist. Während der Präsidentschaft Fujimoris interessierte sich Olivera allerdings mehr für die Korruptionsskandale Alan Garcías als für jene der Regierungsmafia. So entging ihm, dass sein langjähriger Kampfgefährte an der moralischen Front, der FIM-Abgeordnete Ernesto Gamarra, selbst von Montesinos bestochen wurde. Dieses Versäumnis warf Olivera in den Umfragen deutlich zurück.
Die Entscheidung wird wahrscheinlich zwischen Alejandro Toledo und Lourdes Flores (41) fallen. Flores, langjähriges Mitglied der Christlichen Volkspartei (PPC) gründete mit dem Opus-Dei-Mann und langjährigen Fujimori-Kollaborateur Rafael Rey das Wahlbündnis Unidad Nacional. Vor einem Jahr hatte Rey noch auf den Kandidaten Federico Salas gesetzt, den Montesinos nach dem Wahlbetrug für 30.000 US-Dollar Monatsgehalt als neuen Ministerpräsidenten einkaufte. Auf der Parlamentsliste von Unidad Nacional kandidieren ebenfalls verschiedene Fujimori-Kollaborateure und Opus-Dei-Mitglieder.
Flores kommt in den Umfragen immer näher an Toledo heran. Die Gründe: Flores gilt als integrer und genießt die Unterstützung der Medien – besonders jener, die sich vorher an Montesinos verkauft hatten. Und viele PeruanerInnen trauen einer Frau mehr Standvermögen gegen die Versuchungen der Korruption zu. Toledo muss sich anstrengen. Sonst droht er abermals zur tragischen Figur der Wahlen zu werden.

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