Das bestgehütete Geheimnis Lateinamerikas

Wer sich mit Kolumbien beschäftigt, wird mit den unterschiedlichsten Pressemeldungen zum innerkolumbianischen Konflikt konfrontiert. Immer neue Beschuldigungen, angebliche Verbindungen und Verstrickungen der Konfliktparteien. Erst Anfang Dezember wurde eine Agenturmeldung verbreitet, daß der Iran in der „Entspannungszone“, wo die Guerillaorganisation FARC seit über einem Jahr offiziell präsent ist, in eine Verpackungsfabrik für Fleisch investieren will. Sprengstoffexperten und Militärberater soll es gleich dazu geben. Alarm! Jetzt paktieren die FARC schon mit dem Iran? Wohl kaum. Oder doch?
Solche Verwirrungen haben Methode. Am Ende entsteht der Eindruck, alle Konfliktparteien seien gleichermaßen für die innerstaatlichen Zustände verantwortlich – und werden durchweg in einen Topf geworfen. Die Guerilla wird als Drogenbetrieb und Entführungsmaschinerie ohne sozialen Hintergrund diskreditiert. Dem Paramilitarismus wird andererseits ein politisches Profil gegeben und Selbständigkeit zugesprochen. Der Staat ist das gelähmte Opfer zwischen diesen beiden Akteuren, der alle Jahre wieder eine „Friedensinitiative“ startet.

Entstehung des Paramilitarismus

Das Buch von Raul Zelik und Dario Azzellini versucht, diese Darstellung zu korrigieren und die Verstrickungen des Staates mit dem Paramilitarismus auszuleuchten. Darum wird besonders der Entstehung und Entwicklung des Paramilitarismus – treffend als „uneheliches Kind des Staates“ charakterisiert – viel Platz eingeräumt.
Für die Gründung der ersten Paramilitärs in ihrer heutigen Gestalt wird auf den 3. Dezember 1981 in Cali verwiesen. Damals entstand auf Initiative von Mafiabossen eine Privatarmee mit dem Namen Muerte a Secuestradores (Tod den Entführern), die die Entführungen durch die heute nicht mehr existierende Guerilla M-19 mit Terror verhindern sollte. Bereits ein Jahr später wurde die erste Zusammenarbeit mit einem Geheimdienstbataillon bekannt. Die Armee – also der Staat – hatte erkannt, daß der Paramilitarismus eine geeignete Methode ist, um gegen Rebellen vorzugehen und, „daß man – wenn man die Guerillabewegungen selbst nicht besiegen kann – das soziale Netz verändern muß, aus dem sie hervorgehen.“
Was das bedeutete, wurde kurze Zeit später klar, als der Paramilitarismus als Pilotprojekt im Gebiet des Mittleren Magdalena gestartet wurde. Die Massaker und Massenvertreibungen, die das Land derzeit in brutalster Form erlebt (siehe Kasten), nehmen dort ihren Anfang.

Ökonomische Hintergründe

Doch der Paramilitarismus, so die Autoren, ist weit mehr als nur die schmutzige Form der Guerillabekämpfung. Hinter diesem „Krieg niedriger Intensität“ stehen auch handfeste ökonomische Interessen. Das wird in den Beiträgen von Dario Azzellini zum Kanalbauprojekt in der Region Urabá und zur Drogenökonomie deutlich. Führende Köpfe der Paramilitärs wie Carlos Castaño gelten als die derzeit größten Drogenhändler und Großgrundbesitzer Kolumbiens. „Allein die Familien Castaño und Carranza sollen sich durch Morde und Massaker 3,5 Millionen Hektar Land, das heißt ein Drittel der besten landwirtschaftlichen Flächen Kolumbiens, angeeignet haben.“ Man spricht mittlerweile von einer Gegenlandreform.
Zum anderen machen sich nationale und internationale Konzerne die paramilitärischen Dienste zunutze. Für den Energiesektor werden die British Petroleum (BP), Shell und Texaco (heute Dea) genannt, die unter Mißachtung aller Umweltstandards und Menschenrechte schalten und walten können.
Schon Mitte 1982 knüpften die Erdölfirmen Kontakte zum Aufbau von Milizen. „Man begann bei dem Dorf San Juan Bosco de la Verde auf einem von der Texaco zur Verfügung gestellten Gelände mit dem militärischen Training der neuen Gruppen.“ Dies geschah unter der Federführung einer Armee-Einheit, die dem General Farouk Yanine Díaz unterstand. Dieser gilt, wie etliche andere Generäle, als Schlüsselfigur des Paramilitarismus.
Gerade im ökonomischen Bereich liegt eines der Grundprobleme. In einem Land wie Kolumbien, das mit riesigen Bodenschätzen und immenser Artenvielfalt gesegnet ist, lassen sich unter dem Deckmantel der Guerillabekämpfung riesige Geschäfte machen.

Darstellung der Guerilla

Daß die kolumbianische Guerilla heute noch so einflußreich ist, liegt nach Ansicht der Autoren nicht zuletzt in der langen Geschichte von Bauernaufständen und Protestbewegungen, die weit ins letzte Jahrhundert zurückreichen. Durch eine detaillierte Aufarbeitung der Entwicklung solcher Bauernproteste zur heutigen Guerilla wird plausibel erklärt, daß mit einer kontinuierlichen Niederschlagung legaler Oppositionsformen durch den Staat der Spielraum für politische Arbeit heute gegen Null tendiert.
Allerdings bleibt auch der Guerilla – neben vielen anderen Fehlern – der Vorwurf einer gewissen Mitverantwortung für die extreme Polarisierung in Kolumbien nicht erspart. Daß sie beispielsweise oppositionelle Bewegungen instrumentalisiert und der legalen Opposition somit das Terrain genommen zu hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings relativiert Zelik dieses Vorgehen, wie auch andere Aspekte, indem er das Pferd von hinten aufzäumt: „Wie viele konkrete Verbesserungen der Lebensverhältnisse (…) wurden durch den persönlichen Einsatz von Untergrund-AktivistInnen erzwungen, die Bewegungen organisierten oder Druck auf Unternehmen und Regierung ausübten?“ Eine fragwürdige Argumentation, betrachtet man die heutige soziale Situation und die extreme Militarisierung der Gesellschaft.
Trotzdem muß man die Guerilla von Vorurteilen und Verteufelungen befreien, die über sie im In- und Ausland kursieren, und zugleich deutlich ihre Fehler benennen. Ersteres tun die Autoren mit weit größerem Nachdruck. Sie bemerken spitz, daß „alle Einwände, die man gegenüber dem sandinistischen Nicaragua oder der salvadorianischen FMLN zu machen vergaß, nun nachgeschoben werden.“
Die Forderungen der Guerilla, die sie im aktuellen Friedensprozeß formulieren, muten eher „sozialdemokratisch“ an, so die Autoren. Den Bewegungen geht es um deutliche soziale Veränderungen und einen Umbau des erstarrten politischen Systems. Um „Umstürzler stalinistischer Prägung“, was ihnen permanent vorgeworfen wird, handelt es sich nicht.

Objektivität ohne Neutralität

Daß die Autoren nicht wertfrei argumentieren und es auch nicht wollen, machen sie schon zu Anfang klar: Journalistische „Neutralität“ betrachten sie im Fall Kolumbien mit Skepsis. Um Objektivität und Aufrichtigkeit mit den Fakten geht es ihnen, aber nicht um fragwürdige „Unparteilichkeit“. Zweifelsohne ein nachvollziehbarer Ansatz, denn zu enorm sind die Vorwürfe gegen das politische System in Kolumbien. Wünschenswert wäre allerdings in vielen Fällen eine Nennung der Informationsquellen gewesen, damit die selbstgesetzte Objektivität gewahrt wird.
Nichtsdestotrotz ist dieses Buch eine beeindruckende Anklage gegen die sozialen Verhältnisse Kolumbiens und seine verworrene Repressionspolitik. Ein ehemaliger US-Staatssekretär sprach im Zusammenhang mit der kolumbianischen Ökonomie vom „bestgehüteten Geheimnis Lateinamerikas“. Eine treffende Formulierung für das ganze Land. Vielleicht trägt das Buch dazu bei, dieses Geheimnis etwas zu lüften und sich auch mit der kolumbianischen Guerilla im neuen Jahrtausend objektiver auseinanderzusetzen, als es bisher getan wird.

Raul Zelik / Dario N. Azzellini: „Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“, ISP-Verlag, Köln 1999, 246 S.

KASTEN

„…Der General Yanine Díaz trat in Kontakt mit (dem Viehzüchter) Henry Pérez … Danach rief Pérez mich an und sagte mir, daß uns die 19 Händler von Cimitarra auf der Nase herumtanzten … Wenige Tage später war ich in der Militärschule 01, wo einige Leute für eine Militäroperation in der Nähe von San Fernando bei Cimitarra instruiert wurden. Cargalarga (Verantwortlicher des Massakers) erzählte mir, wie sie die Händler umgebracht hatten: `Mann, wir haben eine verdammte Schlachterei veranstaltet … Wir haben sie von der Schule 01 bis nach Palo de Mango (…) gebracht und dort getötet, in Stücke geschnitten und in den Fluß geworfen.` (…) Man schneidet ihnen die Hände, den Kopf und die Füße ab, reißt ihre Eingeweide heraus und wirft sie getrennt in den Fluß, damit die Körper nicht wieder auftauchen. Die Leute wurden immer an dieser Stelle umgebracht, denn die Strömung kommt frontal von vorne und wird Richtung Antioquia umgeleitet. Das ist wie eine Mühle … und dient dazu, daß es keine Spuren gibt.“
Aussage des Paramilitärs „Vladimir“ Alonso de Jesus Baquero
als Kronzeuge gegenüber der Staatsanwaltschaft

No more stars, no more stripes

Am 1. November übergab der US-Botschafter in Panama Simon Ferro der panamesischen Präsidentin Mireya Moscoso feierlich einen riesigen Plastikschlüssel als Symbol für die Übergabe der Luftwaffenbasis Fort Howard. Jetzt unterhält die US-Armee nur noch zwei Stützpunkte in Panama, doch auch Fort Clayton und Fort Corozal werden bis zum Jahresende den Besitzer wechseln. Die dort noch verbliebenen letzten 300 US-Soldaten müssen Anfang Dezember die Stars-and-Stripes-Flagge einholen und den Heimflug antreten. Zum Jahreswechsel wird dann auch die Oberhoheit über die 80 Kilometer lange Kanalzone von den USA an Panama übertragen. Damit wird die offizielle Präsenz der USA in Panama nach fast einem Jahrhundert beendet sein.
Mit dem Abzug der US-Truppen geht für Panama eine historische Epoche zu Ende. Der Jubel über das Erlangen „vollständiger Souveränität“ ist über die Parteigrenzen hinweg groß. Dennoch sind mit der Schließung der US-Militärbasen auch zahlreiche Befürchtungen und Unsicherheiten verbunden. Wie kann die panamesische Wirtschaft den Abzug der zahlungskräftigen Gringos verkraften und neue Perspektiven aufbauen? Vor allem aber stellt sich die Frage, wie die USA ihre Militärpräsenz in der Region in Zukunft aufrechterhalten möchte. Denn eines steht für alle Beobachter fest: Der Abzug der US-Armee aus Panama heißt nicht, daß die USA ihr Interesse an der Region verloren hätten. Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, daß das US-Verteidigungsministerium nach neuen Wegen sucht, nationale Interessen in der Region auch militärisch abzusichern.
Offizieller Grund dafür ist der seit der Reagan-Ära mit großem Aufwand geführte „Kampf gegen die Drogen“. Das südlich an Panama angrenzende Kolumbien gilt als weltweit größter Kokainproduzent, das Land am Kanal selbst soll als Drehscheibe des internationalen Drogenhandels fungieren. Doch es gibt noch andere Ursachen: Erstens wollen die USA die Kontrolle über den geostrategisch noch immer bedeutsamen Kanal nicht ganz aufgeben. Zweitens stellen die beiden linksorientierten kolumbianischen Guerillaorganisationen FARC und ELN, die militärisch stärksten in ganz Lateinamerika, eine latente und wachsende Gefahr für US-Interessen dar. Dazu kommt, daß auch die politischen Entwicklungen in Venezuela und Ecuador aus dem Ruder zu laufen drohen.

Das „achte Weltwunder“

Die Geschichte des Panama-Kanals gleicht einer Erzählung des magischen Realismus über den brutalen Zugriff der Modernisierung auf ein verwunschenes Land am Ende der Welt. Sie stellt gleichzeitig ein Kapitel aus dem Lehrbuch über den ungeschminkten Imperialismus der Supermacht USA dar. Genau betrachtet war der Bau des Panama-Kanals sogar der Durchbruch der USA auf der Bühne internationaler Machtpolitik und damit der Beginn des Hinterhofdaseins Zentralamerikas. Andererseits wäre Panama ohne die Politik der USA als Staat niemals entstanden.
Die Idee, in Panama einen Kanal zu bauen, um damit die beiden Weltmeere zu verbinden, entstand bereits während der Eroberung Amerikas durch die Spanier. 1513 durchquerte Vasco Núñez de Balbao als erster Europäer mit zweihundert Landsleuten und vielen indianischen Lastenträgern den Isthmus von Panama. Es dauerte aber noch bis zur Weltumsegelung Ferdinand Magellans, bis klar war, was das für ein Meer war, das Núñez entdeckt hatte, nämlich der Pazifik. 1534 entwickelten die Spanier dann erste Pläne, in Panama einen Kanal zu bauen. Aber der Einfluß der Kirche bewahrte sie vor diesem Abenteuer. Die Kleriker argumentierten, daß, wenn Gott den Kanal gewollt hätte, er ihn selbst gebaut hätte. So blieb es zunächst bei einem Trampelpfad für Maultiere.

Der Bau war die Hölle

Vielleicht hatte die Kirche nicht ganz unrecht. Denn als Ende des 19. Jahrhunderts die Idee des Kanalbaus zum ersten Mal ernsthaft umgesetzt wurde, kam es zur Apokalypse, zumindest für die Beteiligten. Der Franzose Ferdinand de Lesseps, Erbauer des Suezkanals in Ägypten, hatte sich das Projekt in den Kopf gesetzt und begann eine Aktiengesellschaft aufzubauen, um den Kanalbau zu finanzieren.
1881 wurden die ersten französischen Ingenieure nach Panama geschickt. Mit großem Aufwand wurden moderne Maschinen nach Panama verfrachtet und Arbeitskräfte angeheuert. Doch in acht Jahren Bauzeit konnten gerade einmal zehn Prozent des Kanals fertiggestellt werden. Die geographischen und klimatischen Bedingungen machten die Bauarbeiten zur Hölle auf Erden.
Entlang der geplanten Strecke erstreckten sich Dschungel, Sümpfe und Schlamm, die Fläche war zudem nicht gerade eben. An einer Stelle mußte eine Hügelkette von hundert Meter Höhe durchbrochen werden. 20 000 Arbeiter, die meisten aus Jamaica, starben elend, zerquetscht zwischen den Maschinen, verschüttet von Erdrutschen oder an grassierenden Tropenkrankheiten wie Gelbfieber, Typhus, Pocken, Cholera, Ruhr und Beriberi. Die ständigen Angriffe der Moskitoschwärme ließen die Lebenden sich den Tod wünschen. Ende 1889 wurden die Arbeiten schließlich eingestellt. Lesseps AG machte pleite.
Doch der wachsende Welthandel benötigte den Kanal, und der 1901 an die Macht gekommene US-Präsident Theodore Roosevelt wollte sein Land zur Weltmacht machen. Der erste Schritt war, den Einfluß von Briten, Franzosen und Deutschen in Lateinamerika zurückzudrängen. Dazu gehörte die Kontrolle Zentralamerikas und der Transportwege um den amerikanischen Kontinent. Zunächst zog Roosevelt Nicaragua für einen Durchstich in Erwägung, doch 1902 entschied sich der Kongreß für Panama, das damals zu Kolumbien gehörte.
Die US-Regierung legte Kolumbien einen Vertrag vor, der dem Land anbot, den USA das Kanalterritorium zu vermieten, doch der kolumbianische Kongreß lehnte im August 1903 definitiv ab. Jetzt änderten die USA die Strategie. Warum keinen eigenen Staat gründen für den Kanal? Großprojekte brauchen Visionen. Die USA bauten also eine bereits vorhandene, aber politisch und militärisch schwache sezessionistische Bewegung auf, die Panamas Unabhängigkeit von Kolumbien erstreiten sollte.
Der ehemalige Chefingenieur des französischen Kanalprojektes Philippe Bubau-Varilla, jetzt im Dienst der USA, verfaßte eine Unabhängigkeitserklärung, setzte eine Verfassung auf und entwickelte einen militärischen Aktionsplan, um den Sezessionisten auf die Sprünge zu helfen. Seine Frau nähte eine Nationalflagge für den zukünftigen souveränen Staat. Sie gefiel den Panamesen aber nicht und wurde von ihnen geändert, ein erstes Zeichen der Weigerung, sich gänzlich zu unterwerfen.
Nur drei Monate nach der Ablehnung des ersten US-Vorschlages durch den kolumbianische Kongreß erklärten die Panamesen am 4. November 1903 ihre Unabhängigkeit. Um nachdrücklich deutlich zu machen, wer die Panamesen unterstützte, schickte die US-Armee bereits einen Tag vorher ein US-Kriegsschiff in die Bucht von Colón. In den folgenden Tagen kreuzten noch mehr amerikanische Kriegsschiffe auf, die USA erkannten das neue Land als erster Staat an, und fortan existierte die unabhängige Republik Panama. In jener Zeit wurde der Terminus „Kanonenbootpolitik“ geprägt.
Nur zwei Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung schloß der neue Staat mit den USA das Hay-Brunau-Varilla-Abkommen. Für 10 000 Dollar wurden den USA die unbegrenzten Nutzungsrechte und die vollständigen Hoheitsrechte über ein Territorium von einem Küstenstreifen zum anderen und jeweils acht Kilometer Breite an beiden Seiten des zu bauenden Kanals eingeräumt. Der Vertrag von 1904 gewährte den USA unbefristete Hoheitsrechte, ohne daß Panama allerdings auf die Souveränität verzichten mußte. Die Zone besaß eine eigene Polizei, Verwaltung, Gerichtsbarkeit und sogar eine eigene Posthoheit, weshalb die seltenen Briefmarken aus der Kanalzone bis heute zu den begehrtesten Sammelobjekten der Philatelisten zählen.
Die US-Amerikaner hatten die Lektion der französischen Kanalbaupleite gelernt. Bevor sie mit den Bauarbeiten begannen, legten sie die Sümpfe trocken und konnten die Gegend so mit der Zeit entseuchen. Jetzt entstand das „achte Weltwunder“. 50 000 Arbeiter aus 97 Nationen, die meisten von der Karibikinsel Barbados, buddelten mit modernstem Gerät den Kanal durch die tropischen Sümpfe. Über 25 Millionen Kilogramm Sprengstoff wurde in die Luft gejagt, sechzig 95 Tonnen schwere Dampf-Bagger gruben sich durch den Schlamm, mit preßluftgetriebenen Bohrern wurden die Felsen zerkleinert.
Und wieder mußten die Arbeiter das Wunder mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit bezahlen. „Wie Vögel flogen manchmal Menschenteile durch die Luft“, schrieb ein Beobachter. Offiziell starben 5 609 Arbeiter, 4 500 davon waren Schwarze. Wieviele einfach unter Schlammlawinen oder im Dschungel ihr Grab fanden, weiß bis heute niemand.

Ersparnis von 14 800 Kilometern

Neun Jahre später, am 10. Oktober 1913, war das Bauwerk schließlich fertig. Als Meilenstein der Globalisierung wurde es zeitgemäß eröffnet. Präsident Wilson betätigte in Washington ein Knöpfchen, per Telegraf wurde das Signal Tausende Kilometer weit nach Panama geschickt und löste dort die Sprengung eines provisorischen Damms aus, der die Gaillard-Schleuse überflutete. Am 15. August 1914 konnte dann das erste Dampfschiff von Colón auf der Atlantikseite nach Panama-City am Pazifik fahren.
Heute passieren jedes Jahr über 13 000 Schiffe den Kanal. Die zwölf Stunden für die 80 Kilometer zwischen den beiden Häfen Colón auf der Atlantikseite und Panama-City am Pazifik ersparen ihnen einen Umweg von 14 800 Kilometer durch die überdies gefährliche Magellanstraße an der Südspitze Chiles. Der Kanal fungiert so als Schnittstelle nicht nur für den Handel zwischen der Ost- und Westseite Amerikas, sondern auch zwischen Europa und Asien.
Doch die Ausweitung des Handels und die immer größeren Schiffe haben den Kanal mittlerweile zum Nadelöhr gemacht. 2002 soll zwar die Modernisierung der Gaillard-Schleuse beendet sein, damit die Kapazität um 20 Prozent erhöht werden kann, doch das wird nicht ausreichen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Derzeit können nur Schiffe bis 65 000 Tonnen passieren. Seit Jahren wird ein Projekt diskutiert für etwa acht Milliarden US-Dollar eine dritte Gruppe von Schleusen zu bauen, um Schiffen bis 220 000 Tonnen die Durchfahrt zu ermöglichen.

Stützpunkt zur Kontrolle des Hinterhofs

Die Militärpräsenz der USA wurde offiziell immer mit der Bedeutung des Kanals für den Welthandel begründet. Der Kanal sollte nie in die Hände der „roten“ und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs auch nicht der „deutschen Gefahr“ fallen. Die 65 000 US-Soldaten, die zeitweise in Panama stationiert waren, erfüllten aber auch andere Pflichten. Von den Luftwaffenstützpunkten Fort Howard und Fort Albrook, vom Marinestützpunkt Fort Rodman, von den Basen der 193. Infanteriebrigade Fort Amador und Fort Kobb oder dem Spionagezentrum auf der Galeta-Insel aus kontrollierte die USA ihren karibischen Hinterhof. In Panamas US-Basen wurden Staatsstreiche geplant, Aufstandsbekämpfungsoperationen koordiniert und Geheimmissionen vorbereitet.
Vom Putsch gegen Jacobo Arbenz in Guatemala 1954, der Landung in der Schweinebucht nach der Kubanischen Revolution über die Verminung der Häfen des sandinistischen Nicaraguas nach 1979 bis zur Invasion Grenadas 1983, hier wurden die Fäden gezogen. In der berüchtigten School of Americas (SOA), die bis zu ihrem Umzug nach Fort Bragg im amerikanischen Bundesstaat Georgia 1984 am Gatún-See in Panama beheimatet war, trainierte die US-Armee seit dem Zweiten Weltkrieg 50 000 lateinamerikanische Offiziere in den Techniken der Aufstandsbekämpfung und des „wissenschaftlichen“ Folterns. Viele der führenden Juntageneräle und Folterknechte der Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre wurden in Panama auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ein Kapitel, das der juristischen Aufarbeitung wahrscheinlich noch lange harren wird.

Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe

Damoklesschwert ohne genaue Bestimmung

Die Bedeutung der NO MAS-Demonstrationen ist vorsichtig zu bewerten. Zwar gelang es der Bewegung, an die zehn Millionen Menschen auf die Straßen zu bringen, doch die Botschaft des Protesttages blieb undeutlich. Während sich NO MAS anderswo in Lateinamerika als antimilitaristische Opposition gegen die Straflosigkeit versteht, ist die Bewegung in Kolumbien ein merkwürdiges Hybrid aus Basisprotesten und einer Inszenierung der großen oligarchisch kontrollierten Medien.
Die Entstehung der Bewegung ist tatsächlich bizarr. Sie wurde unter anderem von der Anti-Entführungsorganisation País Libre ins Leben gerufen, in der die Santos-Familie das Sagen hat. Dieser Clan gehört zu den traditionellen Machteliten Kolumbiens, spielt eine zentrale Rolle in der Liberalen Partei und ist Eigentümer eines der größten Wirtschaftskonsortien des Landes sowie der konservativen Tageszeitung El Tiempo. Aber auch andere regierungstreue Medien feierten das NO MAS und hoben in der Berichterstattung hervor, daß die Bewegung vorrangig ein Ende der Entführungen und Schutzgelderpressungen forderte.
Diese oft langwierigen, aber meist unblutigen Entführungen sind für die Angehörigen der Oberschicht die spürbarste Seite des Bürgerkriegs. Daß bei den NO MAS-Protesten besonders die Entführungen, aber vergleichsweise wenig die Massenvertreibungen, Massaker und Bombardierungen angeprangert wurden, ist durchaus als politische Positionierung zu begreifen. Wenn die Bewegung – wie vielerorts geschehen – die Einstellung der Kampfhandlungen fordert, werden Regierung, Unternehmerverbände und Großgrundbesitzer kaum etwas einzuwenden haben. Der kolumbianische Staat spekuliert auf einen Friedensschluß ohne soziale Veränderungen, bei dem er sich selbst als Mittler zwischen den Extremen profilieren kann.
Das macht sogar aus der Sicht derjenigen Sinn, die die Paramilitärs finanzieren. Immerhin wurden die Todesschwadrone in Kolumbien Anfang der achtziger Jahren nur deswegen ins Leben gerufen, um die sozialen Protestbewegungen zu vernichten. Nun, da die Gewerkschaften geschwächt und Tausende von Oppositionellen ermordet wurden, könnte auch der rechteste Flügel der Landoligarchie mit einer Demobilisierung der Paramilitärs leben, solange die Besitzverhältnisse im Land unangetastet bleiben.
Allerdings kann sich die Dynamik der Friedensbewegung auch schnell gegen die Mächtigen im Land wenden. “Die NO MAS-Bewegung ist wie ein Damoklesschwert, das über uns genauso wie über der Regierung schwebt”, äußerte Domingo Gonzalez, einer der Sprecher der ELN, bei einem Telefoninterview. “Es ist deutlich geworden, daß die Leute den Krieg satt haben. Völlig offen ist jedoch, welche Art von Frieden sie wollen. In Anbetracht der schweren Wirtschaftskrise und wachsender Arbeitslosigkeit kann sich die Bewegung der Kontrolle der großen Medien auch schnell wieder entziehen.” Das NO MAS könnte dann als “Nie wieder Staatsmassaker, Entlassungen und soziale Ungerechtigkeit” interpretiert werden, womit sich die kolumbianische Oberschicht unversehends selbst in der Zwickmühle manövriert hätte.

Weniger medienwirksam

Schon wenige Tage nach den städtischen Anti-Kriegsdemonstrationen zeigte sich in den ländlichen Regionen Kolumbiens, wie sich dort der soziale Protest äußert. Im Südwesten protestierten Zehntausende von BäuerInnen und Indígenas mit Straßensperren und Rathausbesetzungen gegen die permanente Nichteinhaltung von Verträgen durch den Staat. Kein einziges der in den letzten 15 Jahren mit den sozialen Bewegungen geschlossenen Abkommen sei eingehalten worden, erklärten die protestierenden BäuerInnen. Angekündigte Sozialprogramme seien auf dem Papier geblieben, Entwicklungsprojekte zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit eine Ausnahme.
Als Folge der Proteste ging in den Provinzhauptstädten Popayán und Pasto gar nichts mehr. Nach zehn Tagen Blockade war in Popayán das Benzin alle, die Lebensmittel wurden knapp. Verschärft wurde der Konflikt zudem durch Streitereien zwischen dem Innenminister Néstor Humberto Martínez und dem Gouverneur des Departements Cauca, César Negret. Innenminister Martínez, der wieder einmal Polizei und Armee gegen die Proteste mobilisierte, warf Negret vor, auf die Proteste nicht angemessen reagiert zu haben. Außerdem weigerte sich der Innenminister, an direkten Gesprächen mit der Protestbewegung teilzunehmen, die unter anderem auch vom Erzbistum Popayán und diversen Gremien unterstützt wurde.
Noch viel schärfer verliefen die Auseinandersetzungen im 300 Kilometer nördlich von Bogotá gelegenen Departement Bolívar, wo Paramilitärs und Armee seit nun inzwischen 20 Monaten eine Großoffensive gegen Bauernbewegungen und Guerilla durchführen. Das Ziel dieser Operationen ist es, die Gebirgsregion Serranía San Lucas, in der 80 Prozent der kolumbianischen Goldvorkommen vermutet werden, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Verschiedene Quellen sprechen von 3.000 vertriebenen BäuerInnen (siehe Kasten). Besonders schwerwiegend sind die Vorfälle vor dem Hintergrund, daß die Pastrana-Regierung nach großen Bauerndemonstrationen erst im Oktober 1998 ein Abkommen mit der dortigen Landbevölkerung geschlossen hatte. Damals verpflichtete sich die Regierung, den BäuerInnen Schutz vor den Paramilitärs zu gewähren und soziale Hilfsmaßnahmen zu leisten. Auch dieser Vertrag wurde nie in die Tat umgesetzt.

Gespräche zwischen Guerilla und Regierung

Positiv ist zu werten, daß parallel zu den Demonstrationen die Kontakte zwischen Regierung und den beiden Guerillaorganisationen wieder enger geworden sind. Nach monatelangem Stillstand nahm eine gemischte Delegation von Regierungsvertretern, Unternehmern und Politikern Ende Oktober Verhandlungen mit der größten Guerilla des Landes, den KP-nahen Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) auf. Dabei soll zunächst über die Einhaltung der Genfer Konventionen, soziale Reformen, einen Gefangenenaustausch und Demokratisierungsmaßnahmen diskutiert werden. Auch spricht die Regierung nicht mehr davon, daß die FARC die von den Armee geräumten 40.000 Quadratkilometer um die Verhandlungsorte in absehbarer Zeit wieder zurückgeben müsse, wie dies noch vor einigen Monaten anklang.
Auch der Verhandlungsprozess mit der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), die sich dem Guevarismus und der Befreiungstheologie verpflichtet fühlt, ist wieder in Gang gekommen. Mitte 1998 hatte die ELN in Deutschland mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Kolumbien die Durchführung einer Nationalkonvention vereinbart. Für diese mehrmonatige Konferenz sollten alle gesellschaftlichen Sektoren (darunter vor allem Basisorganisationen) in einem der Guerillagebiete zusammenkommen, um dort über mögliche Transformationen der kolumbianischen Gesellschaft zu debattieren.
Auf Druck der USA boykottierte die Regierung Pastrana bisher diese Initiative. Die USA wollen um jeden Preis verhindern, daß der ELN (so wie bereits den FARC) eine Art “autonomes Gebiet” innerhalb Kolumbiens zugebilligt wird. Man werde, so der Präsident noch vor wenigen Wochen, der Guerilla keine weiteren Gebiete überlassen. Nachdem aber die ELN mit mehreren spektakulären Entführungsaktionen die Interessen der Oberschicht direkt berührt hatte, lenkte Pastrana jetzt ein. Seit September führten Regierungsvertreter mit den ELN-Kommandanten Pablo Beltrán und Ramiro Vargas in Venezuela und Kuba mehrere Gesprächsrunden, die fortgesetzt werden sollen. Angeblich sind sogar schon Vorvereinbarungen für die Abhaltung der Nationalkonvention getroffen worden. Pastrana sprach gegenüber der kolumbianischen Presse von einem Beginn vor der Jahreswende, während die ELN Zurückhaltung üben will.

KASTEN

Dokumentation eines fast alltäglichen Vorgangs in Kolumbien

Die vertriebenen Bauern des Magdalena Medio senden SOS

„Seit dem 20. Oktober findet eine paramilitärische Offensive gegen mehr als 17 Ortschaften der Munizipien des Departements Bolívar statt. Im Rahmen dieser Aktionen, die gegen die Menschenrechte und das internationale Kriegsrecht verstoßen, wurden mehrere Häuser niedergebrannt und die Ortschaft Paraíso vollständig zerstört. Dort wurden drei Menschen getötet. Die Gesamtzahl der Toten beläuft sich auf 15 Personen. In den vergangenen Stunden wurde in der Umgebung von Paraíso ein Grab mit sechs bisher nicht identifizierten Leichen gefunden. Nach Aussagen der Vertriebenen finden in dem Gebiet im Augenblick Armeeoperationen statt, während in der gleichen Zone etwa 400 Paramilitärs die Versorgungswege für Lebensmittel und Medikamente unterbrochen haben.
Der Terror hat dazu geführt, daß sich etwa 3.000 Personen in die anliegenden Wälder geflüchtet haben und nun in Richtung der Munizipien Cantagallo (Departement Antioquia) unterwegs sind. Von diesen Vertriebenen sind 1.480 Kinder und 820 Frauen. Die Situation der Vertriebenen ist verzweifelt, da sie über keine Nahrungsmittel, Medikamente, Kleider, Decken und Regenplanen verfügen. Die Vertriebenen werden teilweise durch die Bauernassoziation des Valle de Rio Cimitarra versorgt, aber aufgrund der knappen Mittel dieser Organisation ist die Lage prekär.“
Wie schon in früheren Kommuniques bekräftigen wir unsere Forderungen an den kolumbianischen Staat, die Internationale Gemeinschaft und die nationalen und internationalen humanitären Organisationen:
-Verbreiten Sie Informationen darüber, was in weiten Teilen des Magdalena Medio geschieht
-Setzen Sie Mechanismen in Gang, damit derartige Ereignisse nicht weiter zubeklagen sind
-Üben Sie politischen Druck auf den kolumbianischen Staat aus, damit dieser das nach den Bauernprotesten am 4. Oktober 1998 von Präsident Andrés Pastrana unterzeichnete Abkommen einhält
-Unterstützen Sie die 3.000 Vertriebenen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten.

Über zehn kolumnianische Basisorganisationen haben diesen Aufruf bisher unterschrieben.
Wir bitten die nationale und internationale Gemeinschaft, den kolumbianischen Präsidenten mit Briefen aufzufordern, das Recht auf Leben zu respektieren und Verantwortliche zu bestrafen:

ANDRES PASTRANA ARANGO, Presidente de la República, Carrera 8 # 7-26, Palacio de Narino, Santa Fé de Bogotá. Tel: 5629300 ext. 3550 (571) 284 33 00
Fax (571) 286 74 34 – 286 68 42 – 284 21 86. E-mail: pastrana@presidencia.gov.co

Die Intervention hat schon begonnen

Was macht das IPC für die Paramilitärs so
gefährlich?

Das Institut ist vor allem durch seine Menschenrechtsarbeit bekannt. Jedes Jahr veranstalten wir eine Woche der Menschenrechte. Auf einer Pressekonferenz stellen wir dann unsere jüngste Studie über die Entwicklung auf diesem Gebiet vor. Ich glaube, das ist einer der Punkte, weswegen wir Schwierigkeiten bekommen. In Medellín kommen 140 Morde auf 100.000 Einwohner. Davon sind zwar nur etwa 15 Prozent politisch motiviert, aber das ist noch immer ziemlich viel – landesweit etwa 3200 pro Jahr. Ungefähr 70 Prozent davon gehen auf das Konto von Paramilitärs und Armee.
Darüberhinaus veranstalten wir Seminare über Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht. Letztes Jahr gingen wir damit in alle Diözesen der Provinzen Antioquia und Chocó, um Menschenrechtskomitees in allen Pfarrbezirken einzurichten. In den Slumvierteln von Medellín arbeiten wir an Programmen zur alternativen Konfliktlösung, damit die Leute aufhören, wegen jeder Kleinigkeit zur Waffe zu greifen.

Die bewaffneten Gruppen, die einander in Medellín gegenüberstehen, sind auf den ersten Blick nicht überschaubar.

Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Die ersten Gruppen waren Milizen, die mit der Guerilla sympathisierten. Dazu kamen die soziale Krise und der Drogenhandel. Mit der Drogenmafia begann sich ein neues Justizsystem durchzusetzen: alles wurde mit der Waffe ausgetragen, weil die staatliche Justiz nicht funktioniert. Geld war leicht zu verdienen. Zum Beispiel durch bezahlte Morde, das Phänomen des „sicariato“. Für ein paar Tausend Pesos, also wenige Dollars, kann man jemanden ermorden lassen. Nicht nur wichtige Personen wurden so umgebracht, sondern ganz gewöhnliche Leute, mit denen jemand aus irgendeinem Grunde Streit hatte. Dann entstanden kriminelle Banden. Sie sperrten oft ganze Straßen ab und raubten ein Haus nach dem anderen aus. Die Polizei ließ sich nie blicken. Also bildeten sich Gegenbanden oder Milizen, um die Einwohner zu schützen. Diese Milizen übten strenge territoriale Kontrolle aus. Das ging soweit, daß die Einwohner eines Viertels nicht in das Nachbarviertel konnten, weil dort eine gegnerische Bande herrschte. In solchen Konflikten versuchen wir zu vermitteln. Es wurden Nichtangriffspakte unterschrieben. In letzter Zeit haben die Milizen, hinter denen oft die Guerilla steckt, an Einfluß verloren. Gleichzeitig geraten die Banden immer mehr unter den Einfluß der Paramilitärs. Sie ermorden Anführer sozialer Organisationen und bedrohen die NGOs. Sie erkaufen sich auch Unterstützung mit Geld. Was wir erleben, ist der Versuch, das Projekt der Paramilitärs in einer Großstadt zu etablieren.

Ihr habt Carlos Castaño, den obersten Chef der Paramilitärs, getroffen. Wie ist dieser Mann, und welches Ziel verfolgt er?

Er ist ein charismatischer Typ und begrüßte uns freundlich: ‘Entschuldigen Sie, daß wir Sie so behandeln mußten.’ Dann kam er schnell zur Sache: ‘Ich werde euch den Prozeß machen wegen eurer Verbindung zur Guerilla.’ Er behauptete, er hätte einen Informanten. Es kam aber nie zur Gegenüberstellung mit dieser Person. Dann hat er uns aus Dokumenten der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) vorgelesen, hat uns seine Meinung über die Situation in Kolumbien vorgetragen.

Hat er über die Massaker an der Landbevölkerung gesprochen, die ihm zur Last gelegt werden?

Castaño hat sogar die Massaker zugegeben. Er sagte: ‘Schaut, wir bringen ein paar Leute um, damit es später nicht noch mehr Tote gibt. Es kommen 20 oder 30 Menschen um. Wir haben das genau untersucht: Die Leute fliehen von ihrem Land, und 30 Prozent kommen dann wieder zurück. Mit diesen und einigen anderen, die wir dort ansiedeln, bauen wir dann das Land wieder auf, und so vermeiden wir einen weiteren Krieg – dieses Gebiet lebt dann in Frieden.’ So hat er die Massaker gerechtfertigt.

Und hat er auch einen Plan für die anderen 70 Prozent, die nicht zurückkehren?

Nein, die sind ihm gleich, die sollen tun, was sie wollen …

Wie stehen die Paras zum Friedensprozeß?

Da gibt es einige Punkte, die für sie inakzeptabel sind. Zum Beispiel werden sie nicht akzeptieren, daß die Regierung nur mit der Guerilla verhandelt. Oder daß im Land autonome Regionen eingeführt werden, in denen dann die Guerilla die Kontrolle ausüben könnte. Und hinsichtlich des freien Unternehmertums werden sie keine Restriktionen akzeptieren.
Auch das Militär läßt in einigen Punkten nicht mit sich reden. Als zum Beispiel bekannt wurde, daß in der Agenda der geplanten Friedensgespräche mit der Guerilla auch die Rolle der Streitkräfte aufgenommen wurde, gab es große Unruhe in der Armee. Natürlich ist das ein grundlegender Punkt: das Thema der Straflosigkeit und die Demilitarisierung der Gesellschaft, darüber muß gesprochen werden – aber die Militärs wollen das nicht.

Kann man sagen, daß Castaño die Anordnungen der Militärs ausführt, oder hat er schon eine gewisse Autonomie in seinem Handeln erreicht?

Wenn Castaño hören würde, daß man ihn als Befehlsempfänger der Militärs bezeichnet, würde ihn das nur ein Lachen kosten. Hinter Castaño steht doch viel mehr. Sicherlich die Militärs, aber eben auch noch andere Kreise. Natürlich würde Castaños Macht reduziert, wenn die Militärs ihm die Unterstützung entzögen. Seine militärische Schlagkraft ist sehr auf die Hilfe der Armee angewiesen, aber das ist ja hinlänglich bekannt: Zum Beispiel benutzen die Paras Militärhubschrauber. Auch bei unserer Entführung flogen wir eine Stunde lang mit dem Hubschrauber, mit Handschellen gefesselt und einer Kapuze über dem Kopf.

Wie ist die innere Struktur der Paramilitärs? Kann man sagen, daß Carlos Castaño wirklich der oberste Chef aller im Lande operierenden paramilitärischen Einheiten ist?

Er ist der Oberkommandant und der offizielle Sprecher der Paramilitärs, aber jeder regionale Verband hat seine Autonomie. Zum Beispiel die von Santander, die für das Massaker von Barrancabermeja verantwortlich sind. Von den ‘Autodefensas’ von Córdoba und Urabá hingegen ist Castaño der uneingeschränkte Chef, das sind seine eigenen Truppen und gleichzeitig die mächtigsten. In der AUC sind sieben solcher regionalen paramilitärischen Verbände zusammengeschlossen, die einen gemeinsamen Generalstab haben und eine einheitliche Struktur. Die einzelnen Verbände wiederum haben natürlich viele Beziehungen auf lokaler Ebene.

Wie arbeiten der militärische und der zivile Flügel der Paras zusammen?

Das mit dem zivilen Flügel der Paramilitärs ist eine sehr undurchsichtige Sache, da ist es schwierig – und auch höchst gefährlich –, Namen zu nennen. Aus all dem, was Castaño uns erzählte, geht hervor, daß er einen ganzen Stab von Beratern hat. Er ist ausgezeichnet informiert: Es ist eindrucksvoll und erschreckend, wie gut er informiert ist. Er selbst sagt, daß er auch eine Gruppe von Intellektuellen hat, die ihn beraten.
Schlimm ist auch, was sich zur Zeit an den Universitäten abspielt. Die Paras dringen dort immer stärker ein. Es gibt bereits ‘Autodefensas’ der Universidad de Antioquia in Medellín, und diese Paramilitarisierung der Universitäten breitet sich immer weiter aus.

Ich bin immer wieder erstaunt über den so gut funktionierenden Geheimdienst der Paras. Da arbeiten sie wohl eng mit dem Militär zusammen.

Das ist der Bereich, wo man am deutlichsten die enge Zusammenarbeit sieht. Der Geheimdienst der Paras ist eigentlich der Geheimdienst des Militärs, der alle Informationen weitergibt.

Und wie steht es mit der Unterstützung für die Paramilitärs aus Kreisen der Wirtschaft?

Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmern, die Carlos Castaño unterstützen, weil er Effizienz bewiesen hat. Es gibt aber auch einen Sektor, der die Paras nicht will, und der Auffassung ist, man solle direkt das Militär stärken und in seinem Kampf gegen die Guerilla unterstützen.
Eine verzwickte und undurchsichtige Sache ist die Haltung der USA gegenüber Castaño. Es gibt Informationen, wonach sie ihn bremsen wollen und nicht mit ihm einverstanden sind. So hat Washington ja die Zusammenarbeit einiger hoher Offiziere mit den Paras publik gemacht und bei der kolumbianischen Regierung auf deren Absetzung gedrängt. Offenbar – aber das ist eine unbestätigte Information – gab es ein Abkommen zwischen der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA, der US-Botschaft in Bogotá und Castaño zur Bekämpfung des Rauschgifthandels im Süden des Landes. Und das, obwohl sie wissen, daß Castaño mit dem Kokainhandel, der von Urabá aus läuft, zu tun hat. Die Vereinigten Staaten reden immer nur von der Narcoguerilla, also der Verbindung der FARC mit dem Rauschgifthandel, aber sie reden nie davon, wie sehr die Paramilitärs in diesem Geschäft stecken. Und in diesem Zusammenhang ist immer nur von einer Offensive gegen die Guerilla, aber nie gegen die Paramilitärs die Rede. Aber wie gesagt, wir wissen nicht genau, was die USA mit Castaño vorhaben. Und wir wissen auch nicht, was Castaño von den USA hält, denn er ist sicher kein Dummkopf und wird sich schon eine diesbezügliche Strategie ausgedacht haben.

In letzter Zeit wird immer wieder von einer drohenden militärischen Intervention der USA in Kolumbien gesprochen. Was halten
Sie davon?

Also ein massives Eingreifen wie in Vietnam wird es nicht geben. Ich glaube, es wird eher wie damals in El Salvador: mit Beratern und logistischer Unterstützung, das läuft ja de facto bereits. Es gibt über 1.000 sogenannte Militärberater im Land. Dazu könnte lokal begrenzt eine Art Krieg wie in Serbien kommen: mit Bombardements aus der Luft, unterstützt zu Land von den nationalen Sicherheitskräften.

Und was denkt die kolumbianische Öffentlichkeit über dieses Szenario?

Das ist eine komplizierte Sache. Eine Meinungsumfrage ergab, daß eine Mehrheit der Bevölkerung für eine US-Intervention ist. Wie soll man sich das erklären? Es ist ein Ausdruck der Angst und der Verzweiflung der Menschen. Da es keine sichtbare Alternative gibt, wollen sie einfach irgendeine Lösung des Konflikts, egal wie, wenn nur der gegenwärtige Alptraum aufhört. Für viele ist es ja nicht klar ersichtlich, woher die Gewalttätigkeit kommt, wer der Urheber ist. Und da sagen sie sich: egal, wer es nun ist – ob ein Vertreter der harten Hand oder ein Faschist – egal, wenn er nur mit dieser Gewalt aufhört. Diese Haltung hat auch dazu geführt, daß Castaño in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an Sympathie gewonnen hat. Und aus diesem Grund würden sie auch eine US-amerikanische Intervention unterstützen.

Indígenas zwischen allen Fronten

Die bisherigen Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betroffenen konnten die grundsätzlichen Probleme nicht klären. Die Indigenen vom Volk der Embera-Katío wollen sich in ihrer Mehrheit nicht mit einer bloßen finanziellen Entschädigung zufrieden geben. Sie fordern Unterstützung für die unausweichliche Umstellung ihrer gesamten Lebens- und Arbeitsweise. Trotz seiner Zusage, sich für die BewohnerInnen des Gebietes einzusetzen, genehmigte Umweltminister Juan Mayr am 8. Oktober die Flutung des Staubeckens. Der kolumbianische Vizepräsident Bell, der sich zu dem Zeitpunkt gerade in Europa aufhielt, kündigte an, Mayr zur Klärung der Hintergründe des Sachverhalts zu einer Reise auf den Alten Kontinent zu veranlassen.
Wer in Kolumbien für seine Rechte eintritt, lebt gefährlich. Sechs führende VertreterInnen des Indianervolkes der Embera-Katío wurden allein in den letzten Monaten ermordet. Paramilitärische Gruppen bedrohen die Menschen, die sich gegen die Inbetriebnahme des Wasserkraftwerkes im nordkolumbianischen Department Córdoba zu Wehr setzen, zerstören ihre Hütten und Boote oder bringen sie mit gezielten Kopfschüssen um. Auf diese Weise versuchen sie, nicht nur den Widerstand gegen das Stromprojekt, sondern auch herrschendes Recht zu brechen.
Das Oberste Verfassungsgericht des Andenstaates gab den klagenden Embera-Katío im November 1998 recht: Die Betreiber und der Staat hätten verfassungswidrig gehandelt, indem sie den Betroffenen das Mitspracherecht vorenthielten. Die Richter hatten den Kraftwerksbetreibern die Fertigstellung nur unter der Auflage erlaubt, daß sie sich mit den Embera-Katío einvernehmlich auf eine angemessene Entschädigung und Starthilfen bei der Umsiedlung einigen. Das ist bisher nicht geschehen, trotzdem hat der nordkolumbiansche Stromlieferant CORELCA die Staumauer und die Turbinen fertiggebaut und Umweltminister Mayr nunmehr die Flutung des Staubeckens genehmigt.

Wunderwerk der Moderne?

Gebaut wurde das 340 Megawatt-Kraftwerk Urrá I am Oberlauf des Sinú-Flusses seit 1994 für knapp 200 Millionen US-Dollar von einem schwedischen Konsortium unter Federführung von Skanska Cementgjuteriet. Den Auftrag hatte CORELCA erteilt, der 1,2 Millionen Menschen an der Karibikküste mit Elektrizität versorgt. Im vergangenen Jahr übernahm die Houston Industries Enegery Inc. mit ihrer venezolanischen Tochter Electricidad de Caracas 65 Prozent der Anteile.
Der 7 400 Hektar große Stausee wird überwiegend Land der Embera-Katío sowie einen Teil des Paramillo-Nationalparks überfluten. Die betroffenen Menschen hat niemand befragt, geschweige denn über die anstehenden Veränderungen unterrichtet. „Wir hatten nie einen Staudamm gesehen und konnten uns gar nicht vorstellen, wie so etwas aussehen würde“, erinnert sich ein Indianer-Vetreter in der Gemeinde Tierra Alta in unmittelbarer Nähe der Staumauer. Die Informationen von Seiten der Investoren waren ebenso spärlich wie unverständlich für die UreinwohnerInnen des Gebietes, die zwar reichhaltige Erfahrungen über die schonende Nutzung des Regenwaldes und der Flüsse vorweisen können, den High-Tech-Neuerungen der westlichen Welt jedoch mit Unwissen und Unverständnis gegenüberstehen.

Strom statt Fische

Erschwert wird die Lage in dem Emberagebiet durch den Konflikt zwischen der linken Guerilla FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und den rechten Paramilitärs. In den letzten Jahren terrorisieren die von Offizieren, Großgrundbesitzern, Drogenbossen und lokalen Machthabern unterhaltenen paramilitärischen Milizen die Zivilbevölkerung. Ihr Anführer Carlos Castaño verkündete letztes Jahr, ein riesiges Gebiet im Nordwesten Kolumbiens, in dem auch das Wasserkraftwerk Urrá I liegt, von Guerilleros zu säubern. In dieser Region, wo die Macht aus den Gewehrläufen kommt und Gewalt zum Alltag gehört, zählen Gesetz und Recht so gut wie nichts. Die kolumbianische Verfassung von 1991 räumt den UreinwohnerInnen des Landes zwar das Recht ein, sich in unabhängigen Reservaten zu organisieren und über ihr Land zu verfügen. Doch wenn dieses Land wirtschaftlichen Interessen im Wege steht, werden die Bewohner bedroht, vertrieben und ermordet. Selbst das Urteil des Obersten Verfassungsgerichts scheint kaum das Papier wert zu sein, auf dem es niedergeschrieben ist.
Die Embera-Katío am Oberlauf des Sinú-Flusses leben überwiegend von Landwirtschaft und Fischfang. Das Staudammprojekt bedroht ihre Lebensgrundlagen. Heftig widersprechen sie den Aussagen von Kraftwerksbetreibern und Regierungsstellen, der Fischfang hätte nach Errichtung der Staumauer deutlich zugenommen. „Seitdem der Fluß für den Bau des Damms umgeleitet wurde, gab es immer weniger Fische“, beklagt ein Bewohner des Tals. Wenn das Kraftwerk erst einmal in Betrieb genommen wird, drohen am unteren Flußlauf weitere Gefährdungen für Mensch und Tier. Da in Urrá I die Turbinen mit Wasser aus den tiefen, nicht belüfteten Schichten angetrieben werden, wird der Sinú mit übelriechenden und teilweise giftigen organischen Abfällen belastet, die beim Absterben der Pflanzen auf dem Grund des Stausees entstehen. An geeigneten Filteranlagen wurde gespart. Die Betroffenen ahnen immer mehr die Konsequenzen des Großprojekts. Doch wer sich gegen das Wasserkraftwerk wehrt, lebt gefährlich und gerät in die Schußlinie der Paramilitärs.

Ganz normale Katastrophen

Wer in den letzten Wochen die kolumbianische Presse verfolgte, hätte den Eindruck gewinnen können, die Öffentlichkeit sei fast etwas erleichtert darüber, daß ausnahmsweise einmal nicht Krieg und Wirtschaftskrise, sondern nur eine ganz gewöhnliche Naturkatastrophe dem Land Schwierigkeiten bereitete. Sintflutartige Regenfälle im ganzen Land führten zum Zusammenbruch des innerkolumbianischen Verkehrs: Auf den meisten Straßen ging nichts mehr. Die Tageszeitung El Colombiano schrieb gar, daß Kolumbien seine Flüsse als Hauptverkehrsadern neu entdecken müsse. Bis weit in dieses Jahrhundert hinein wurde der Personen- und Güterverkehr zwischen andinem Hochland und der Atlantikküste fast ausschließlich über Cauca und Magdalena, die beiden großen Ströme des Landes, abgewickelt. In Anbetracht weggespülter Straßen und überschwemmter Landesteile seien Boote wieder zu einem zentralen Verkehrsmittel geworden, so das Medelliner Blatt.

Interventionspläne vorerst auf Eis gelegt

Ruhiger wurde es hingegen um das zentrale Thema der Monate Juli und August, nämlich die befürchtete Militärintervention in Kolumbien, wie sie Teile der US-Regierung gefordert haben. Hatte es im Sommer während der Lateinamerika-Rundreise von Clinton-Berater Thomas Pickering und dem obersten US-Drogenbekämpfer Barry McCaffrey noch so ausgesehen, als sei eine von der US-Luftwaffe unterstützte Invasion von argentinisch-peruanisch-ecuadorianischen Militärs nur noch eine Frage der Zeit, werden derartige Spekulationen im Moment von den beteiligten Regierungen wieder zurückgewiesen. Selbst der argentinische Präsident Menem, der sich im August noch lautstark für die Entsendung einer multinationalen Eingreiftruppe ausgesprochen hatte, lehnte nun Anfang Oktober eine derartige Maßnahme ab.
Der Grund für diese Kehrtwende dürfte in der heftigen Reaktion der internationalen Öffentlichkeit zu suchen sein. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez und sein Außenminister José Vicente Rangel (der im übrigen aus dem linkssozialdemokratischen Movimiento al Socialismo kommt), hatten ihrerseits bei mehreren Staatsbesuchen für eine Verhandlungslösung im kolumbianischen Konflikt die Werbetrommel gerührt und sich gegen eine Intervention ausgesprochen. Der Druck wurde schließlich so groß – Prominente wie der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes nannten die Interventionspläne „selbstmörderisch“, und die kolumbianische Öffentlichkeit zeigte sich empört –, daß selbst die Regierung in Bogotá Stellung gegen die mögliche Invasion bezog. Solange er Präsident sei, so Andrés Pastrana, werde es keine derartige Intervention geben.
Damit dürfte die Sache vorübergehend auf Eis gelegt sein, denn die US-Pläne sahen bisher vor, daß Präsident Pastrana die Nachbarregierungen wegen der prekären Sicherheitssituation im Land offiziell um die Entsendung von Truppen bitten solle. Dies erscheint nun jedoch recht unwahrscheinlich.

Die Militarisierung geht weiter

Es ist jedoch gut möglich, daß die Debatte um eine Militärintervention in den vergangenen Monaten auch deshalb so lautstark geführt wurde, um eine reibungslosere Erhöhung der US-Militärhilfe durchzusetzen. Tatsächlich beschäftigt sich die außenpolitische Kommission des US-Senats im Augenblick mit einer Aufstockung der Militärhilfe von offiziell bisher 289 Millionen auf 1,5 Milliarden US-Dollar. Immer deutlicher wird dabei, daß die USA gewillt sind, innenpolitisch massiv in Kolumbien einzugreifen. So berichtete die Bogotaner Tageszeitung El Tiempo Anfang Oktober, daß der US-Senat die Militärhilfe an Bedingungen knüpfen werde. Die Gelder würden demnach nur fließen, wenn die kolumbianische Regierung zusichere, die Kontrolle über die entmilitarisierte Zone in Südkolumbien „ausüben zu können“. Dies sei zwar – so die Quelle von El Tiempo – kein Ultimatum an die kolumbianische Regierung, aber der Hinweis zeigt doch, wie wenig Washington von den Friedensgesprächen zwischen Regierung und Guerilla hält. Immerhin hatte erst die Übergabe des 42 000 Quadratkilometer großen Gebiets an die FARC die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen Regierung und Guerilla im Januar diesen Jahres ermöglicht. Seitdem hat die US-Regierung mehrmals versucht, dieses Zugeständnis Pastranas an die Aufständischen wieder rückgängig zu machen.
So schreitet denn auch die Militarisierung der Region munter weiter voran. Wie nun bekannt wurde, werden 3 300 Soldaten der noch in Panama stationierten US-Truppen das Land nicht, wie im Torrijos-Carter -Abkommen vereinbart, zum Jahresende verlassen. Mit ihnen soll eine 2.000 Mann starke, panamaisch-US-amerikanische Sondereinheit gegründet werden, die die Grenze zu Kolumbien kontrollieren wird. Desweiteren berichtete die alternative Nachrichtenagentur ANNCOL, daß die US-Army in der Nähe der kolumbianischen Grenze uranhaltige Munition getestet habe, um deren Tauglichkeit in tropischen Ländern zu untersuchen.

Alltäglicher Wahnsinn

Und auch in Kolumbien selbst bleibt die Situation gespannt. In der Umgebung der Ortschaft Arenal im Departement Bolívar wurden erneut schwere Kämpfe zwischen Armee und Paramilitärs auf der einen und der Guerilla auf der anderen Seite gemeldet. Genau ein Jahr nach der Unterzeichnung eines Abkommens, in dem sich die Pastrana-Regierung gegenüber regionalen Bauernverbänden verpflichtete, die Zivilbevölkerung vor paramilitärischen Massakern zu schützen, gehen Armee und Todesschwadrone wieder einmal gemeinsam gegen die Zivilbevölkerung vor. So zitierten Menschenrechtsorganisationen den Fall dreier Bauern aus der Region, die in Arenal von Soldaten an Paramilitärs übergeben und dann erschossen worden seien.
Schon beinahe skurril sind die Meldungen aus Süd- und Ostkolumbien, wo Luftwaffenkommandant Hector Fabio Velásco einfach ein nächtliches Fahrverbot verhängte. Von nun an dürfen Fahrzeuge nach 18 Uhr nicht mehr ohne Erlaubnis der Luftwaffe auf den Straßen der Region unterwegs sein. Die Armee hofft dadurch offensichtlich, die Kontrolle über das Gebiet aus der Luft zurückzuerobern. Die Maßnahme wurde allerdings selbst von der Defensoría del Pueblo, einer Regierungsstelle zum Schutz der Zivilbevölkerung, als inakzeptabel zurückgewiesen. Es handele sich um eine Drohung gegen die Zivilbevölkerung, so der Vorsitzende José Fernando Castro. Gerechtfertigt wird die Militarisierung unter anderem damit, daß sich die kolumbianische Guerilla auf eine Eskalation des Bürgerkriegs vorbereite. Der Armee-Geheimdienst veröffentlichte Anfang Oktober unter anderem die Information, die FARC hätten 10 000 russische Gewehre gekauft, die sie nun unter der Bauernbevölkerung verteile wolle. Selbst wenn die Information stimmen sollte – was durchaus anzuzweifeln ist – läßt sich in Anbetracht der Milliardenbeträge, die die Regierung jährlich in den Krieg investiert, allerdings kaum von einem Wettrüsten sprechen.

Eine zivile Opposition formiert sich

Das größte Kopfzerbrechen dürften der Pastrana-Regierung jedoch im Augenblick weder Naturkatastrophen noch der Krieg bereiten. Viel unberechenbarer für sie ist die Entwicklung der politischen und sozialen Landschaft, denn in Kolumbien entsteht allmählich wieder so etwas wie eine öffentliche Opposition. In Venezuela gehen die Gespräche zwischen ELN-Guerilla und VertreterInnen der Gesellschaft weiter, die vergangenes Jahr im Kloster Himmelspforten aufgenommen worden waren. Besondere Bedeutung bekommen diese Kontakte dadurch, daß die venezolanische Regierung nun auch offiziell angeboten hat, die geplante Nationalkonvention auf venezolanischem Territorium stattfinden zu lassen. Dies wäre eine akzeptable Lösung, sowohl für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen als auch für die Guerilla, die die Konvention wegen nicht vorhandener Sicherheitsgarantien auf kolumbianischem Territorium immer wieder verschieben mußten.
Interessant ist auch die Entwicklung der „No mas“-Bewegung, die sich gegen die Praxis des Verschwindenlassens und der Entführungen richtet und sowohl auf die regierenden Eliten als auch auf die Guerilla Druck ausübt. Anders als vielleicht zu vermuten war, haben diese „politisch-neutralen“ Massendemonstrationen bisher nicht zu einer Einheitsfront gegen die Linke, sondern zu einer Radikalisierung rechter Armeekreise geführt. Mit den Morden an dem Universitätsprofessor Bejarano und dem Fernsehsatiriker Garzón haben die Paramilitärs nun auch die politische Mitte zum Gegner auserkoren. Als Ergebnis davon ist nun auch die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba ins Exil gegangen, die bei ihrem Abschied schwere Vorwürfe gegen den Innenminister Néstor Humberto Martínez erhob, weil dieser auf ihre wiederholten Bitten um bessere Sicherheitsvorkehrungen nicht reagiert habe.
Explosiv ist schließlich auch die Situation im Arbeitssektor. Die Lehrergewerkschaft FECODE hat zum 14. Oktober einen unbefristeten Streik ausgerufen, nachdem die Regierung nicht im geringsten auf die Forderungen des Generalstreiks Anfang September eingegangen war. „In Wirklichkeit gab es keine Verhandlungen“, so die FECODE-Leitung, „sondern eine Farce. Während wir am Verhandlungstisch saßen, hat die Regierung eine neue Erhöhung der Benzinpreise beschlossen, einseitig eine Lohnkürzung für 90 Prozent der Staatsangestellten durchgesetzt und ein neues Abkommen mit dem IWF geschlossen.“(siehe dazu Kurznachrichten) Auch die Wochenarbeitszeit der Lehrer sei erweitert und eine faktische Abschaffung der Abendschulen beschlossen worden, die vor allem tagsüber arbeitenden Jugendlichen zugute kommt.
Hierzu addiert sich schließlich die schwere Krise des Gesundheitswesens, das durch die Privatisierungen der Regierungen Gaviria und Samper praktisch zerschlagen wurde. Mit der Einführung von versicherungsfinanzierten „Gesundheitsunternehmen“ (EPS) hat sich der kolumbianische Staat seiner Verantwortung für die Krankenversorgung 1995 praktisch entledigt. Das Ergebnis liegt nun vor: Mehr als 20 Krankenhäuser sind von Schließungen bedroht. Vor diesem Hintergrund haben inzwischen auch die anderen Gewerkschaften des öffentlichen Sektors zum Generalstreik aufgerufen – nur sechs Wochen, nachdem das Land das letzte Mal streikbedingt still stand.

Vom selben Autor ist im ISP-Verlag „Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“ erschienen. Der Autor steht für Veranstaltungen gerne zur Verfügung; Kontakt über die Lateinamerika Nachrichten.

Militärintervention in Kolumbien?

Die beunruhigendste Nach-
richt im Zusammenhang mit dem kolumbianischen Konflikt wurde Anfang September nicht aus dem südamerikanischen Land selbst, sondern aus dem brasilianischen Manaos vermeldet. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez traf sich dort mit seinem brasilianischen Kollegen Cardoso, um diesen zu einer klaren Stellungnahme gegen die mögliche Militärintervention zu bewegen. Eine solche Operation wäre verhängnisvoll, erklärte Chávez, und würde auch Venezuela in den Konflikt hineinziehen.

Venezolanische
Reisediplomatie
Für wie ernst die venezolanische Regierung die Interventionsgerüchte hält, zeigt sich am Ausmaß ihrer Reisediplomatie. Obwohl die innenpolitischen Konflikte in Venezuela nicht gerade unbedeutend sind, seit die Verfassungsgebende Versammlung das Parlament in Caracas faktisch ausgeschaltet hat, entwickelt die Regierung Chávez derzeit zahlreiche außenpolitische Initiativen. So reiste Außenminister José Rangel ebenfalls Anfang September nach Buenos Aires, um gegenüber Menem die venezolanische Position zu bekräftigen – immerhin gilt der argentinische Präsident neben seinem peruanischen Amtskollegen Fujimori als wichtigster Allierter der US-Militärs. Außerdem kündigte Chávez an, sich Ende September mit den Generalsekretären der UNO, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und dem Papst zu treffen, um über Friedensinitiativen für Kolumbien zu beraten. Chávez schwebt nach eigenen Angaben eine internationale Konferenz unter UN-Mandat vor, die er eventuell schon bei der Generalkonferenz der UNESCO im Oktober öffentlich vorstellen will.
Die venezolanische Reisediplomatie hat handfeste Ursachen. Ende August war der US-Drogenbekämpfer Barry McCaffrey allein deswegen nach Argentinien gereist, um mit Menem über eine Militäroperation in Kolumbien zu sprechen. Auch aus Peru und Ecuador wird berichtet, daß US-Gesandte bereits detaillierte Absprachen mit den jeweiligen Regierungen getroffen haben.
Tatsächlich sind bereits seit 1996 – als die FARC-Guerilla in Südkolumbien zum Bewegungskrieg überging und der Armee mehrere schwere Niederlagen zufügte – hochrangige US-Delegationen in der Region aktiv und haben unter dem Deckmantel der „Drogenbekämpfung“ eine schleichende Intervention eingeleitet. So ist Kolumbien im vergangenen Jahr zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe aufgestiegen. Ex-General Barry McCaffrey, Mitglied des US-Sicherheitsrats, verkündete zudem, die von Kolumbien angeforderten 500 Millionen US-Dollar seien in Anbetracht der katastrophalen Lage vor Ort nicht genug. Inzwischen ist von bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich die Rede.

Konkrete Pläne für
eine Eingreiftruppe
Bei ihren Besuchen haben Barry McCaffrey, der Chef des US-Kommandos „Süd“ Charles E. Wilhelm sowie der Clinton-Vertraute Thomas Pickering angeblich auch konkrete Pläne für eine multinationale Eingreiftruppe vorgelegt. McCaffrey erklärte bei seinem Besuch in Buenos Aires gegenüber der Tageszeitung Clarín recht deutlich, „die FARC hätten kein Interesse an einer friedlichen Lösung“ und die US-Regierung „müsse bis Weihnachten eine Entscheidung getroffen haben“.
Um nicht in eine Situation wie in Vietnam hineinzurutschen, versucht sich die Clinton-Administration allerdings in verschiedene Richtungen abzusichern. So erklärte McCaffrey, eine direkte US-Intervention sei „selbstmörderisch“. Man bevorzugt stattdessen die Entsendung einer peruanisch-argentinisch-ecuadorianisch-brasilianischen Eingreiftruppe, die diskret von US-Sicherheitsspezialisten und Militärberatern geleitet und von Flugzeugträgern der US-Navy unterstützt werden könnte. Um vor Regierungswechseln gefeit zu sein, sprach Barry McCaffrey in Argentinien auch mit Menems potentiellen Nachfolgern: Eduardo Duhalde von den Peronisten und Fernando De la Rúa von der Radikalen Partei.

Neuformierung der
US-Truppenpräsenz
In der kolumbianischen Tageszeitung El Colombiano wurde unterdessen sogar schon ein Termin für die Militäroperation genannt. Anfang 2000 könne die Regierung Pastrana ihre Gespräche mit der Guerilla abbrechen und dann internationale Hilfe anfordern, hieß es Anfang September. Der im schwedischen Exil ansässige kolumbianische Nachrichtendienst Anncol zitierte zudem den peruanischen Geheimdienstchef Montesinos, den Drahtzieher Fujimoris. Ihm zufolge sei an den Einsatz von 120.000 Soldaten gedacht, die 45 bis 60 Tage lang die Guerilla-Camps in der Grenzregion angreifen und von der kolumbianischen Armee eroberte Gebiete sichern könnten.
Schon jetzt gibt es eine umfassende Neuformierung der US-Truppenpräsenz in der Region, die sich nur noch schlecht unter dem Deckmantel der „Drogenbekämpfung“ verbergen läßt. Die US-Armee erklärte, daß die heute in Panama stationierten Truppen nach der Übergabe der Kanalzone an Panama auf keinen Fall nach Norden zurückverlegt würden. Sie sollten vielmehr innerhalb der Karibik auf verschiedene Stützpunkte verteilt werden. Der neuen panamenischen Präsidentin Moscoso zufolge werden 3300 US-Soldaten „zum Minenräumen“ im Land bleiben, die die panamenische Polizei in Anti-Guerilla-Taktiken ausbilden sollen (Panama besitzt seit der US-Invasion 1990 keine eigene Armee mehr).
Weitere 1830 US-Infanteristen aus der Kanalzone sowie 2700 Angehörige von Spezialeinheiten werden auf den Karibikinseln Aruba und Curacao unweit der kolumbianischen Küste stationiert, wo im Moment neue Armee-Flugplätze gebaut werden. Etwa 1.000 Soldaten plus Hubschrauber kommen auf den hondurenischen Stützpunkt Soto de Caño, von dem aus sowohl die Unruhegebiete in Mexiko als auch Kolumbien erreicht werden können. Der Rest soll nach Puerto Rico verlegt werden.
Zur wichtigsten Basis für die Anti-Guerilla-Operationen in Kolumbien werden jedoch das Amazonasbecken sowie diverse Stützpunkte im Land selbst. Die in den vergangenen sechs Monaten ausgebauten Militärbasen in Riverine (Peru) und El Coca (Ecuador) werden vollständig vom US-Verteidigungsministerium finanziert und haben eine starke Präsenz von US-amerikanischen Special Operation Forces, die dort auch brasilianische Militärs im Dschungelkampf ausbilden. Ebenfalls mit US-Hilfe modernisiert wurden die kolumbianischen Stützpunkte Puerto Leguízamo (an der peruanischen Grenze) und Tres Esquinas (Departement Guaviare) sowie die zentrale kolumbianische Militärbasis in Tolemaida – die pikanterweise in diversen kolumbianischen Gerichtsakten als wichtiger Ausbildungsort der Paramilitärs auftaucht. Die US-Präsenz wird allein in den zwei wichtigsten Stützpunkten im Augenblick mit 160 Militärs sowie 30 zivilen Spezialisten beziffert, die dort mit der Ausbildung sogenannter Batallones Anti-Narcóticos beschäftigt sind. Diese Einheiten dienen zwar formal der Drogenbekämpfung, werden aber vor allem in Anti-Guerilla-Taktiken ausgebildet. Insgesamt sollen nach Wunsch von General Wilhelm etwa 2.000 Militärberater nach Kolumbien entsandt werden.
Auch die zivil-militärische Präsenz der USA wächst beträchtlich. In der im reichen Norden Bogotás neugebauten US-Botschaft, die einem Bunker gleicht, ist das Personal im vergangenen Jahr von 282 auf 360 Angestellte aufgestockt worden, davon 120 Personen mit „Spezialaufgaben“. Die US-Berater sind längst nicht mehr nur in der Armee und Polizei, sondern auch im Justiz- und Gefängniswesen tätig. Der Schlüsselbereich ist allerdings die Luftunterstützung. Seit neuestem dürfen US-Flugzeuge offiziell „zur logistischen Unterstützung“ in Kämpfe in Kolumbien eingreifen. Bei den letzten Gefechten mit der größten kolumbianischen Guerillagruppe FARC im Juli diesen Jahres lieferte sie den kolumbianischen Piloten die Informationen für ihre Bombardierungen.

Vom Autor erscheint im Oktober 1999 das Buch „Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“, ISP-Verlag, 248 Seiten, ca. 30,- DM (ca. 15 Euro)

Tödlicher Ernst

Der Lebenslauf des bekannten kolumbianischen Satirikers Jaime Garzón spiegelt bis hin zu seinem gewaltsamen Tod am 13. August in Bogotá geradezu exemplarisch die Komplexität des kolumbianischen Bürgerkriegs. Als Student schloß Garzón sich für wenige Monate der Guerilla-Gruppe ELN (Ejército de Liberación Nacional) an, vertrat dann jedoch die Auffassung, daß der bewaffnete Kampf Kolumbien dem Frieden nicht näher bringen würde.
Jahre später ernannte ihn der damalige konservative Bürgermeister von Bogotá (und heutige Präsident) Andrés Pastrana zum Bezirksvorsteher in Sumapaz, einem ländlichen Vorort der Hauptstadt, in der die Guerilla traditionell stark präsent ist. Mit den Satiresendungen „Zoociedad” und „Quac“ wurde Garzón im ganzen Land bekannt als politischer Humorist, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Zuletzt interviewte er als Schuhputzer „Heriberto de la Calle“ Politiker und Prominente und brachte manchen mit seinen frechen Fragen dabei gehörig ins Schwitzen.
Durch seine Art, schonungslos nach rechts und links auszuteilen, geriet er wiederholt in Schwierigkeiten. Nach einem Radiointerview mit dem FARC-Sprecher Marcos Calarcá erklärte ihn eben diese Guerilla-Gruppe zum „militärischen Ziel“. Garzón sprach daraufhin in Sumapaz mit Farc-Kommandanten, um die Drohung aus der Welt zu schaffen.
Auf solchen direkten Kontakten fußte auch sein in der Öffentlichkeit nur wenig bekanntes Engagement als Vermittler bei Entführungen durch die Guerilla. Diskret, aber mit großem persönlichen Einsatz sponn er Gesprächsfäden, die in vielen Dutzend Fällen zur Freilassung der Geiseln führten. Auch der Friedensprozeß war ihm ein Anliegen: Zuletzt bemühte er sich, zwischen ELN und kolumbianischer Regierung einen direkten Kontakt aufzubauen, um die blockierte Friedensinitiative wieder in Gang zu bringen.
Vieles deutet darauf hin, daß der Mord nicht dem Humoristen Jaime Garzón galt, sondern dem Friedensvermittler. Garzón erhielt wiederholt Todesdrohungen von rechtsgerichteten Paramilitärs, zuletzt von den Autodefensas Unidas de Colombia (AUC). Wieder suchte der Satiriker das direkte Gespräch und vereinbarte mit AUC-Chef Carlos Castaño ein Treffen. Einen Tag vor dem anvisierten Termin trafen ihn die tödlichen Kugeln. Castaño beeilte sich zu erklären, daß seine Organisation nichts mit dem Mord zu tun habe. Auch über eine Beteiligung ultrarechter Militärs wird spekuliert: Im vergangenen Jahr hatte Armee-General Jorge Enrique Mora, der heutige Chef der Streitkräfte, gegen den Satiriker ein Ermittlungsverfahren wegen seiner Vermittlungstätigkeit gefordert und ihn als „Freund der Guerilla“ bezeichnet. Eine Aussage, die in Kolumbien einem Mordauftrag gleichkommen kann.
Vermutlich aber werden auch in diesem Fall die Hintermänner nie ernsthaft verfolgt und vor Gericht gestellt – so wie in den meisten Fällen von Morden an JournalistInnen die Ermittlungen im Nichts verlaufen. Nicht zuletzt diese Straflosigkeit ist es, die Kolumbien in Statistiken über Morde an Presseleuten ganz oben stehen läßt. Aber Garzón war nicht nur Journalist, und der Mord nicht nur ein Anschlag auf die Pressefreiheit. Sein bissiger Humor machte ihn zum vielbeachteten Kritiker, der sich traute, auch unbequeme Wahrheiten über die in Kolumbien herrschenden Verhältnisse auszusprechen. Und durch seinen Einsatz für den Dialog zwischen den Kriegsparteien war er eine Schlüsselfigur im Friedensprozeß. Mit Garzón ist wieder einmal ein Hoffnungsträger ermordet worden. Tausende KolumbianerInnen versammelten sich am Tag des Mordes zu spontanen Demonstrationen.

Roter Pfad und roter Vorhang

Die anwesenden Journalisten glaubten, in einer Theateraufführung zu sein und rieben sich verwundert die Augen. Sie waren auf eine Pressekonferenz vorbereitet, in der sie Einzelheiten über die Festnahme des Sendero-Führers Feliciano zu erfahren hofften. Im Auditorium des obersten peruanischen Militärgerichts sahen sie sich einer sechs Meter breiten und drei Meter hohen Bühne gegenüber, die zum Publikum mit einer Glasscheibe abgegrenzt war. Der riesige rote Vorhang im Hintergrund der Bühne wurde an diesem Tag allerdings nicht gelüftet. Denn der Akteur des Einmannstücks, das nun aufgeführt wurde, trat vor den Vorhang. Es war niemand anderes als Feliciano selbst, der für etwa vierzig Minuten vor den erstaunten Presseleuten seine Runden auf der Bühne drehte. Auf Fragen oder Zeichen reagierte der Sendero-Führer nicht. Offenbar war der Raum hinter der Scheibe schalldicht isoliert und die Scheibe selbst auf seiner Seite undurchsichtig. Womöglich wußte er nicht einmal, wo er sich in diesem Moment befand. Auch wenn er einmal kurz seine Faust erhob. Der Intendant des Schauspielhauses, Perus Präsident Alberto Fujimori, und sein Regisseur, der Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos, ließen ihrem Hauptdarsteller zumindest bei der Garderobe freie Wahl. So blieb Feliciano der gestreifte Sträflingsanzug erspart. In den war sein Vorgänger an der Spitze Senderos gezwängt worden, bevor er der Öffentlichkeit im Anschluß an seine Verhaftung in einer Art Raubtierkäfig vorgeführt wurde.

Aufstieg und Fall Felicianos

Offiziellen Angaben zufolge ging Feliciano dem Militär nach einer breitangelegten Operation am 14. Juli zusammen mit drei Begleiterinnen in Jauja, im peruanischen Hochland, ins Netz. In den folgenden Tagen wurden drei weitere Senderisten festgesetzt. Präsident Fujimori rechnet sich die Festnahme als persönlichen Erfolg an, Pluspunkte für den demnächst anlaufenden Wahlkampf. Zeugenaussagen deuten dagegen darauf hin, daß die Festnahme eher zufällig zustande kam. Ein Polizist, der nebenberuflich als Busfahrer arbeitet, erkannte demnach den Sendero-Führer, als dieser bei ihm einen Fahrschein lösen wollte, und alarmierte schleunigst das Militär.
Feliciano hatte im September 1992, nach der Festnahme des bis dahin unumstrittenen Sendero-Führers Abimael Guzmán, die Leitung des Leuchtenden Pfades übernommen. Zuvor hatte er bereits dem Politbüro angehört. Die Verhaftung Guzmáns ließ damals viele Peruaner erleichtert aufatmen. Sie beendete eine besonders schreckliche Periode des Terrors im Land. In der Hauptstadt Lima waren fast täglich vor Polizeigebäuden, Banken oder anderen offiziellen Einrichtungen Bomben hochgegangen. Die Einwohner des Stadtviertels Miraflores werden niemals jenen grauen Winterabend im Juli des Jahres 1992 vergessen, als ein vom Sendero Luminoso gezündeter Sprengsatz irrtümlich vor einem Wohnhaus explodierte und über dreißig Menschen den Tod fanden. Der Leuchtende Pfad säte Terror, doch die Reihen seiner bewaffneten Einheiten waren, beispielsweise im Vergleich zu den kolumbianischen FARC, dünn besetzt. Auch zu seinen besten Zeiten verfügte der Pfad nicht über mehr als zwei- bis dreitausend bewaffnete KämpferInnen. Mit Guzmán wurde damals fast das gesamte Politbüro der maoistischen Organisation festgenommen. Außer Feliciano. Unter seiner Leitung zog sich der Leuchtende Pfad wieder weitgehend aus Lima zurück in die Gebiete des Alto Huallaga und in einige Regionen der Provinz Ayacucho.

Die Spaltung des Sendero Luminoso

Was nach der Verhaftung Guzmáns geschah, fand später seine Parallele im Prozeß gegen den PKK-Führer Öçalan in der Türkei. Abimael Guzmán unterschrieb zusammen mit anderen Führungskadern, offenbar unter dem Einfluß von Drogen stehend, vor surrenden Fernsehkameras einen Aufruf zur Waffenruhe. Ein Teil des Leuchtenden Pfades folgte diesem Aufruf. Begründung: die Bedingungen für den bewaffneten Kampf seien zur Zeit nicht gegeben. Doch die Fraktion des nunmehrigen Presidente Feliciano, die jetzt von den Medien Sendero Rojo – Roter Pfad – genannt wurde, lehnte diesen Aufruf ab und setzte den bewaffneten Kampf fort.
Mit Abimael Guzmán fehlte dem Pfad fortan der ideologische Kopf. Feliciano sorgte nur dann für Schlagzeilen, wenn ihm die Sicherheitskräfte wieder einmal auf den Fersen waren. Der polizeilichen „Antiterroreinheit“ DINCOTE gelang es in Zusammenarbeit mit der Armee zusehends besser, den Leuchtenden Pfad in die Defensive zu drängen. Wiederholt gelangen spektakuläre Festnahmen. Eine Kronzeugenregelung, in deren Folge auch mehr als tausend Unbeteiligte hinter Schloß und Riegel wanderten, ein breit angelegtes Bespitzelungssystem, drastische Gefängnisstrafen, entwürdigende und unmenschliche Haftbedingungen taten ihr übriges. Die Blutspur, die der Sendero Luminoso im Namen des Kommunismus in den achtziger und frühen neunziger Jahren durch das Land zog, verschreckte auch die Bevölkerung. Nicht umsonst fährt Fujimori in den ehemaligen Hochburgen des Leuchtenden Pfades seine besten Wahlergebnisse ein, obwohl das Militär in diesen Gebieten nicht weniger gewütet hat als der Pfad.
Übereinstimmenden Angaben von peruanischen Menschenrechtsorganisationen zufolge ist die Anzahl der Opfer des bewaffneten Kampfes zuletzt drastisch zurückgegangen. Für das Jahr 1998 wurden weniger als 150 Tote gemeldet. Sie sind das Resultat von gezielten Anschlägen des Leuchtenden Pfades oder von bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Streitkräften. Die Orte des Geschehens lagen fast ausnahmslos im Alto Huallaga, besonders in der Zone von Aucayacu, im Department Huánuco. Die andere Guerillaorganisation, der MRTA, ist im gleichen Zeitraum fast gar nicht mehr in Erscheinung getreten.
Die Zeit der Guerilla in Peru scheint vorerst abgelaufen zu sein, und die Verantwortung dafür trägt nicht zuletzt der Leuchtende Pfad selbst. Vom Genossen Feliciano werden sich die verbleibenden Senderisten jedenfalls endgültig verabschieden müssen. Er wird der strengen Isolation im Marinegefängnis von Callao und den menschenunwürdigen Haftbedingungen (siehe LN 301/302) nicht lange unbeschadet trotzen können. Seine lebenslange Gefängnisstrafe stand schon vor der Verhandlung fest. Das oberste Militärgericht, das sich seiner im Schnellverfahren annahm, hatte es nicht einmal nötig, das Urteil zu begründen. Felicianos Nachbarn in Callao sind Abimael Guzmán und der MRTA-Comandante Víctor Polay. Sie alle bekommen keine Zeitungen oder Bücher und dürfen weder Radio noch Fernsehen empfangen. Die künftige Entwicklung seines Leuchtenden Pfades wird dem Genossen Feliciano daher weitgehend verborgen bleiben. Derweil steht sein Nachfolger an der Spitze des Sendero Luminoso schon fest. Dessen Deckname ist Artemio, und über seine wahre Identität ist fast nichts bekannt. Jetzt ist er der meistgesuchte Mann im Land.

KASTEN:
Faire Prozesse für Víctor Polay Campos und alle anderen
politischen Gefangenen in Peru!

Das Peru-Solidaritätskomitee München hat eine Postkartenaktion initiiert, mit der gegen die Praktiken der peruanischen Militärjustiz und gegen die unmenschlichen Haftbedingungen in den peruanischen Gefängnissen protestiert werden soll. Zuletzt erschien in LN 301/302 ein Artikel zu diesem Thema. Wir dokumentieren hier den Aufruf des Solidaritätskomitees:

Als am 17. Dezember 1996 ein Kommando des Movimiento Revolucionario Túpac Amaru MRTA (Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru) die Residenz des japanischen Botschafters in Lima besetzte und die Freilassung von 478 GenossInnen auf die Tagesordnung setzte, blickte die ganze Welt nach Peru. Das Schweigen wurde gebrochen, die unmenschliche Situation der schätzungsweise 7000 politischen Gefangenen (nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Casa Latina) geriet in den Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Am 22. April 1997 traten die peruanischen Staatsterroristen in Aktion und beendeten mit einem Massaker an dem 14köpfigen MRTA-Kommando die Botschaftsbesetzung. Mit Waffengewalt wurde das Schweigen wiederhergestellt.
Peru ist aus den Schlagzeilen verschwunden, doch die unmenschlichen Haftbedingungen der Gefangenen dauern an. Die Häftlinge vegetieren in dunklen Löchern dahin oder frieren in den Hochlandgefängnissen.
Inzwischen werden die Prozesse gegen politische Gefangene bzw. deren Haftbedingungen auch vom UN-Menschenrechtskomitee und dem Interamerikanischen Gerichtshof kritisiert, ein Punkt, an den Solidaritätsbewegte anknüpfen sollten, um erneut das Schweigen zu brechen.
Bezüglich des MRTA-Mitbegründers und politischen Gefangenen Víctor Polay Campos besagt ein seit dem 9. Januar 1998 existierendes Dokument des UN-Menschenrechtskomitees, daß dieser in einem unfairen Prozeß am 3. April 1993 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde und seine Haftbedingungen den Tatbestand der unmenschlichen, grausamen und erniedrigenden Behandlung erfüllen. Das UN-Menschenrechtskomitee fordert einen fairen Prozeß nach international anerkannten Standards bzw. die Freilassung von Victor Polay.
Neue Prozesse vor Zivilgerichten, dieses Mal im Falle von vier Chilenen, denen Verbindungen zur MRTA nachgesagt werden, fordert jetzt auch der Interamerikanische Gerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Die vier Chilenen waren 1993 im Rahmen der „Terroristen“-Prozesse von „Richtern ohne Gesicht“ zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Bei den Gerichtsverfahren mit den „Richtern ohne Gesicht“ ist zwischen Angeklagten und Richtern eine Glasscheibe angebracht, durch die die Angeklagten nicht sehen können. Zudem werden die Richter in allen Dokumenten mit Zahlen und nicht mit ihren Namen erwähnt.
Zu diesen Gerichtsverfahren heißt es in dem bereits erwähnten Dokument des UN-Menschenrechtskomitees: „In dem System der Prozesse mit ‘Richtern ohne Gesicht’ ist weder die Unabhängigkeit noch die Unparteilichkeit der Richter garantiert, da das ad hoc gegründete Tribunal aus Militärs im aktiven Dienst zusammengesetzt sein kann. Nach Meinung des Komitees sichert dieses System auch nicht den Respekt vor der mutmaßlichen Unschuld“. (Inzwischen wurde dieses System aufgrund zahlreicher nationaler und internationaler Proteste abgeschafft.).
Die peruanische Regierung ist kein Freund internationaler Menschenrechtsabkommen, auch wenn sie diese unterzeichnet. Berechtigte Forderungen wie Beendigung der unmenschlichen Haftbedingungen und neue Prozesse nach international anerkannten Standards werden einfach ignoriert.
Das Peru-Solidaritätskomitee München möchte ein Zeichen setzen – Gegen das Vergessen – und generell die Situation aller politischen Gefangenen in Erinnerung rufen. Durch das Gutachten des UN-Menschenrechtskomitees ergibt sich die Möglichkeit, konkrete Forderungen aufzustellen und politischen Druck zu entwickeln.
Postkartenvordrucke gibt es beim Peru Solidaritätskomitee Schwanthaler Str. 139 Rgb. 80339 München
Spenden unter dem Stichwort „Peru“ auf das Konto Mittelamerika-Sekretariat, Bank für Gemeinwirtschaft BLZ 70010111 Konto-Nr. 1342377900.

„Good guy“ Schmidbauer?

Das politische Panorama in Kolumbien wird immer komplizierter: Während die Pastrana-Administration Mitte Juli in der Gemeinde La Uribe/Meta nun offiziell Verhandlungen mit der größten Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) eröffnen will, sind die Beziehungen zur ELN (Ejército de Liberación Nacional) auf einem Tiefpunkt angelangt. Daß das so ist, hat vor allem der Präsident zu verantworten. Monatelang hatten Regierungsquellen die ELN als besiegt bezeichnet und alles unternommen, um die im Juni 1998 unter Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz vereinbarte Nationalkonvention (ein Treffen von politischen und sozialen Gruppen mit der Guerilla) zu verhindern. Armee und Paramilitärs konzentrierten ihre Aktivitäten auf jene Gebiete, die als möglicher Sitz der Nationalkonvention in Frage kamen, die Bauernbevölkerung der betreffenden Regionen wurde brutal angegriffen und die in Haft sitzenden politischen Sprecher der Guerillaorganisation bedroht.
Vor diesem Hintergrund führte die ELN von April bis Juni eine Reihe spektakulärer Aktionen durch, darunter eine unblutig verlaufene Flugzeugentführung, eine (gemeinsam mit den FARC durchgeführte) Offensive auf das paramilitärische Kerngebiet in Córdoba sowie die Gefangennahme von etwa 70 Oberschichtsangehörigen aus einer Kirche im Süden Calis. Vor allem die zuletzt durchgeführte Aktion Anfang Juni sorgte für Aufregung.
Eine bedenkliche Entwicklung für die ELN dürfte sein, daß Zehntausende im ganzen Land gegen die Entführungen demonstrierten. Die Medien präsentierten die Aktion als Angriff auf die Kirche, unterschlugen allerdings, daß die meisten Geiseln zu der wirtschaftlichen Elite des Landes zählen. Auch auf internationalem Terrain steht die ELN auf einmal als „bad guy“ da. Obwohl die ELN-Kommandanten Nicolás Bautista und Antonio García in einer schon länger geplanten diplomatischen Rundreise durch Europa um Schadensbegrenzung bemüht waren, blieb die Atmosphäre vergiftet. Besondere Empörung rief hervor, daß Nicolás Bautista bei seinem Besuch im Vatikan politische oder wirtschaftliche Gegenleistungen für eine Freilassung der Geiseln forderte. Wie diese aussehen sollen, ist bisher offen, doch es dürfte entweder um die von der ELN geforderte Demilitarisierung eines Gebietes für die Nationalkonvention oder aber um Geldzahlungen gehen.

Rot-grün spielt nicht mit

Diese kompromißlose Haltung hat die im Ausland befindlichen Guerilleros selbst zu Geiseln gemacht. Der Druck auf die sich in Europa (wahrscheinlich Deutschland) aufhaltenden ELN-Führer wächst. Interessanterweise ist es vor allem die ELN selbst, die deutsche Politiker als Vermittler ins Gespräch gebracht hat. Offensichtlich setzt die Organisation, die nach dem Ende des kalten Kriegs neue Hegemonialkämpfe zwischen Euro-Deutschland und den USA heraufziehen sieht, darauf, einen Gegenpol zu den US-Interessen in der Region ins Spiel zu bringen. Dabei hegt die ELN nach eigenen Aussagen keine Illusionen darüber, daß eine europäische Außenpolitik demokratischer wäre als die der USA. Vielmehr gehe es darum, sich überhaupt Spielräume zu eröffnen.
Unter der Regierung Kohl ging dieses Kalkül lange Zeit auf. Ex-Kanzleramtsminister Schmidbauer und das Agentenehepaar Mauss werteten die Guerilla als Gesprächspartner auf und bezogen eine neutrale Position im kolumbianischen Konflikt. Unter Rot-grün hat sich dies nun grundlegend verändert. Volmer und Fischer wollen von den Kolumbien-Kontakten nichts mehr wissen. Die SPD-Abgeordneten Kortmann und Hempel lehnten es Anfang Juni sogar ab, an einer rein humanitären Delegation teilzunehmen, die die Freilassung von 30 Geiseln kontrollieren sollte. Man werde das Spiel der ELN nicht mitspielen, hieß es in einer in der Tageszeitung El Espectador abgedruckten Erklärung aus den Reihen der SPD-Fraktion.
Nachdem ein anderer wichtiger deutscher Vermittler, der in Ecuador ansässige progressive Bischof Emil Stehle, von den kolumbianischen Behörden im Juni Einreiseverbot erhielt, sind nun letztlich nur noch Schmidbauer und die Agenten Mauss übriggeblieben. Diese haben sich im Juni erneut hervorgetan: Der CDU-Abgeordnete Schmidbauer war in Bogotá als Überbringer von ELN-Verhandlungsvorschlägen unterwegs und überwachte die Freilassung von einem Teil der in Cali genommenen Geiseln. Michaela Mauss ging noch einen Schritt weiter und kritisierte die Reaktion der Medien auf die Geiselnahme von Cali. Man habe die Entführung dramatisiert, obwohl den Oberschichtsangehörigen keine ernste Gefahr drohe, gleichzeitig jedoch blieben die Morde an Dutzenden von Bauern im Nordosten Kolumbiens völlig unbeachtet.
Aus was für Interessen handeln Schmidbauer und Mauss? Man darf annehmen, daß Mauss und Schmidbauer auf ihre alten Tage keineswegs zu linken Humanisten werden. Der Grund für ihr Engagement dürfte eher mit den deutschen Investitionserwartungen in dem an Erdöl und Kohle reichen Land zu tun haben, das lange das stabilste Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent besaß. Schon ein Teilabkommen mit der ELN könnte für deutsche Unternehmen interessant werden. Erfahrungen diesbezüglich gibt es bereits, schließlich handelte das Duo 1984 für die Mannesmann AG einen Pipeline-Bau durch ELN-Gebiet aus. Der Konzern verpflichtete sich zu Sozialausgaben in der Region und konnte unbehelligt seine Rohre verlegen. Bewaffnete Wohlfahrtspolitik sozusagen. Aus linker Sicht in Deutschland müssen diese Verbindungen als dubios erscheinen, aus kolumbianischer Sicht gibt es gute Argumente dafür.

Militärische Ambitionen der USA

Die USA streben immer deutlicher eine militärische Lösung an. Beim letzten OAS-Treffen im Mai 1999 schlug die Clinton-Regierung mit Blick auf Kolumbien vor, eine kontinentale Eingreiftruppe zur „Verteidigung der lateinamerikanischen Demokratien“ zu gründen. Die Rechtsregierungen in Peru und Argentinien forcieren ihrerseits eine derartige Intervention, die in gewisser Weise das fortsetzen würde, was man in Jugoslawien vorexerziert hat: militärische Einsätze mit „humanitärer“ Legitimation.
Auf dem OAS-Gipfel wurde das Anliegen noch abgelehnt, doch der Chef des US-Kommandos in Panama Charles William hat bereits angekündigt, daß der im Torrijos-Carter-Vertrag für dieses Jahr vereinbarte Rückzug der US-Truppen möglicherweise ausgesetzt werden muß. Die panamenischen Truppen seien allein nicht in der Lage, die Grenze zu Kolumbien dauerhaft zu sichern. Seit einigen Monaten gibt es dort ständig Überfälle auf Polizeiposten, die im Namen der FARC verübt werden. Die Guerillaorganisation hat jedoch erklärt, nichts mit den Angriffen zu tun zu haben. Warum auch? Mit der panamenischen Polizei haben die FARC keinen Ärger. Da weder die Pastrana-Regierung noch die Paramilitärs ein klares Interesse an einer US-Intervention im Land haben dürften (dafür herrscht zu große Unklarheit über die weiteren Pläne Washingtons), gibt es eigentlich nur einen Beteiligten, der mit den Überfällen gewinnt: die US-Armee selbst, die damit ihre Truppenpräsenz in Panama verlängern möchte. Verwunderlich wäre eine solche Operation nach allem, was man aus Zentralamerika weiß, nicht. Daß die ELN versucht, hiergegen ein politisches Gegengewicht ins Spiel zu bringen, ist vor diesem Hintergrund einigermaßen verständlich – selbst wenn die betreffenden Personen Schmidbauer oder Mauss heißen. Paradox angehendes 21. Jahrhundert: Die guten alten Hegemonialpolitiker stehen für eine „humanere“ Außenpolitik als die Interventionsexperten von Rot-grün.

“Carlos Castaño hat sich nicht verselbständigt“

In den Medien wird oft behauptet, der Paramilitarismus habe sich verselbständigt, die Truppen des paramilitärischen Chefs Carlos Castaño würden von der Regierung Pastrana nicht mehr kontrolliert. Inwieweit ist das richtig?

Carillo: Das ist völlig falsch. Der Paramilitarismus entstand als staatliche Politik zur Bekämpfung der Aufständischen und richtet sich gegen diejenigen, die zu ihrem Einflußbereich gezählt werden. Ständig werden neue Beweise für die Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs vorgelegt. Selbst die kolumbianische Justiz, die nun wahrlich nicht staatskritisch ist, hat eine Reihe von Prozessen gegen Armeeoffiziere und hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft eröffnen müssen.

Aponte: Man muß nur zwei einfache Beobachtungen anstellen: Wo agieren die Paramilitärs? Ausschließlich dort, wo die Sicherheitsinteressen der Eliten auf dem Spiel stehen. Sie verfolgen die Gewerkschaften in den wirtschaftlich sehr wichtigen Exportbranchen wie der Bananen- und Erdölproduktion und säubern jene Gebiete, die für den Staat militärstrategisch wichtig sind. Wo sind ihre Stützpunkte? Es gibt Hunderte von Zeugenaussagen, die belegen, daß die Paramilitärs neben oder in Armeekasernen untergebracht sind und sich regelmäßig mit hochrangigen Offizieren treffen. Die Paramilitarismus ist nach wie vor eine staatliche Politik.

Aus Washington gab es zuletzt kritische Stellungnahmen zur Menschenrechtssituation in Kolumbien. Darüberhinaus werfen einige US-Geheimdienste Carlos Castaño vor, Drogenhändler zu sein. Ändert sich etwas an der Politik der USA?

Aponte: Uns erscheint diese Position heuchlerisch. Man muß daran erinnern, daß das Konzept der paramilitärischen Gruppen von US-amerikanischen Militärstrategen entwickelt wurde. Es ist Bestandteil der Nationalen Sicherheitsdoktrin, wie sie die US-Regierung in ganz Lateinamerika zur Anwendung brachte. Nun haben die Paramilitärs in Kolumbien sowohl Beziehungen zu den Viehzüchtern und den politischen Eliten, als auch zum Drogenhandel. Und aus diesem Grund bezieht Washington öffentlich Stellung gegen die Paramilitärs, nutzt sie andererseits aber weiter aus, um die Situation im Land zu kontrollieren. Es mag paradox erscheinen, doch Tatsache ist, daß der Paramilitarismus gebraucht wird, um einen Aufstand zu verhindern, und deswegen auch weiter gefördert wird.

Es heißt, die Familie Castaño sei nach dem Zerfall des Medellín-Kartells zum wichtigsten Drogenhändlerclan aufgestiegen. Ist das auch nur eine Lüge?

Carillo: Für mich ist das ein Ablenkungsmanöver, über das im Ausland viel geredet wird, an das jedoch in Kolumbien kein Mensch glaubt. Castaño ist kein Drogenhändler wie Pablo Escobar oder die Gebrüder Rodríguez Orejuela. Er ist ein Agent des kolumbianischen Staates zur Bekämpfung der Aufstandsbewegung. Darüber hinaus verteidigen die Paramilitärs die wirtschaftlichen Interessen der Eliten, darunter auch diejenigen des Drogenhandels. Das heißt, die Paramilitärs haben kein eigenes politisches Projekt, sie sind dazu da, die Geschäfte der Oligarchie zu verteidigen, und das kann genauso eine Bananenplantage wie ein Koka-Laboratorium sein. Die Paramilitärs haben also möglicherweise dem Drogenhandel neue Handelswege eröffnet, aber sie sind kein Drogenkartell.

Castaño ist also, anders als Pablo Escobar dies war, nicht autonom…

Maecha: Nein. Er hat sich nicht verselbständigt. Das Problem ist allerdings, daß im Kolumbien häufig das Gegenteil behauptet wird, vor allem in den herrschenden Medien. Für sie ist Castaño die dritte Konfliktpartei, die den Staat zum unparteiischen Mittler zwischen den Extremen machen soll, zur einzigen Kraft, die die beiden Seiten noch auseinanderhalten kann. Was mit dieser Darstellung bezweckt werden soll, liegt auf der Hand: Der Staat wird von jeder Verantwortung freigesprochen und soll gestärkt werden.

Die Regierung Pastrana zeigt sich im Ausland als gemäßigte, kompromißbereite Regierung. Was hat sich verändert, seitdem der konservative Präsident Mitte 1998 das Amt übernahm?

Aponte: Pastrana hat viel von Frieden gesprochen, aber seine Politik läuft auf eine Verschärfung des Konflikts hinaus. Das sieht man am deutlichsten an seinen Wirtschaftsplänen. Der sogenannte „Entwicklungsplan“ sieht Lohnsenkungen und den Abbau von Sozialversicherungen vor. Er verschärft die Einkommensgegensätze und macht es immer mehr KolumbianerInnen unmöglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Frieden kann es nicht ohne soziale Gerechtigkeit geben, das weiß auch Pastrana. Insofern sind seine Verhandlungsangebote an die Guerilla nicht mehr als Medienpropaganda. Tatsächlich hat sich die Repression gegen die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen auch eher verschärft.

Carillo: Pastrana hat im Ausland durch zwei Ereignisse gepunktet: die Wiederaufnahme der Beziehungen zu den USA und der Dialog mit den FARC. Doch aus unserer Sicht sind dies nicht die Hauptprobleme Kolumbiens. Der Konflikt in unserem Land ist Ergebnis einer miserablen sozialen Situation, das heißt ein Friedensvorschlag muß mit Inhalten gefüllt werden, mit realen Veränderungen. Die Wirtschaftspolitik Pastranas spricht eine andere Sprache. Allein in Bogotá werden im Augenblick 20.000 StraßenhändlerInnen vertrieben.

Zielt die Politik Pastranas nur auf einen Prestigegewinn ab?

Maecha: Möglich. Der kolumbianische Staat steckt in einer tiefen Krise und muß Fortschritte in der Befriedung des Landes machen – auf subtile oder auf gewalttätige Weise. Die aufständische Bewegung ist in den vergangenen fünf Jahren in unerwarteter Weise gewachsen, gleichzeitig haben sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung spürbar verschlechtert. Diese Mischung ist hochexplosiv. Die Regierung erkennt offiziell eine Arbeitslosenrate von 17 Prozent an, und zwar Arbeitslose, die keinerlei Absicherung absitzen. Darüberhinaus gibt es eine ausufernde Korruption, gegen die seit nun acht Jahren in den Eliten eine Lösung gesucht wird. Die Regierung muß also etwas unternehmen, wenn sie eine Explosion verhindern will.

Aber wird diese Befriedung eher gewalttätig oder politisch sein?

Maecha: Ein großer Teil der Eliten, einschließlich der Armee, scheint auf eine gewalttätige Lösung zu setzen. Das Problem ist allerdings, daß der Paramilitarismus als eine Art staatlicher Terrorismus der Subversion keine strategische Niederlage zugefügt hat. Er hat die sozialen Bewegungen stark geschwächt – allein 3000 GewerkschafterInnen sind umgebracht worden – aber er hat der Guerilla neuen Zulauf verschafft.

Immer mehr Menschenrechtsbüros müssen schließen. Mein Eindruck ist, daß das Vakuum, das die regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen (NRO) hinterlassen, von regierungsfreundlichen ausgefüllt wird. Es gibt eine ganze Reihe Menschenrechtsorganisationen, die von den wirtschaftlichen Eliten unterstützt werden, wie die Anti-Entführungsorganisation País Libre oder die Indigena-Gruppe Organización Indígena de Antioquia. Die Gruppen treten international als Sprachrohr einer unabhängigen
Menschenrechtsbewegung auf. Sind die Nichtregierungsorganisationen zu einem Teil des Krieges geworden?

Maecha: Vielleicht. Aber ich glaube, daß es eher so ist, daß sich viele NRO anpassen, weil sie wirtschaftlich ausgehalten werden, oder auf die Drohungen der Todesschwadrone reagieren. Der Paramilitarismus hat den Diskurs der NRO völlig aufgeweicht. Es tut mir leid, das so hart sagen zu müssen, aber von meinem Standpunkt aus kommt es regelrecht einem Verrat an den Menschenrechten gleich, was viele NRO in den letzten Jahren betrieben haben.
Das zweite, was die NRO beeinflußt, ist die Unterstützung der internationalen Agenturen. In Kolumbien ist es heute praktisch unmöglich, von internationalen Stiftungen eine Finanzierung für ein Projekt mit politischen Gefangenen zu bekommen, von Geldern für die Verteidigung von Kriegsgefangenen ganz zu schweigen. Geld gibt es für Projekte, die von Frieden, Ökologie und Entwicklung reden, aber nicht für solche, die sich nach offener Opposition anhören.
Man sollte also grundsätzlich immer berücksichtigen, daß „Nicht-Regierung“ zu sein noch lange nicht bedeutet, auch oppositionelle Positionen zu vertreten.

Es gibt also keinen strategischen Plan, bestimmte NRO zu zerschlagen und durch regierungsfreundlichere zu ersetzen?

Aponte: Natürlich gibt es ein Interesse, die Veröffentlichung bestimmter Informationen zu verhindern. Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung spielt eine wesentliche Rolle im Krieg.

Maecha: Unter den NRO sind alle politischen Spektren vertreten, und natürlich gibt es auch welche, die von Viehzüchtern und Industriellen gegründet wurden und sich ausschließlich mit dem Thema Entführungen beschäftigen, weil das die Seite des kolumbianischen Konflikts ist, die sie am deutlichsten zu spüren bekommen. Dagegen kann man nichts einwenden, schließlich ist es Aufgabe der internationalen Öffentlichkeit, sich ein reelles Bild der kolumbianischen Wirklichkeit zu machen. Man muß sich in Europa damit auseinandersetzen, mit wem man es zu tun hat und welche Interessen eine bestimmte NRO vertritt.

KASTEN:
Weiter und doch nicht weiter
Auf Verhandlungserfolg folgt die schwerste Krise für Pastrana

Nach anfänglichem Zögern einigten sich die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die Pastrana-Regierung Anfang Mai doch noch auf eine gemeinsame Tagesordnung für weitere Verhandlungen. Zunächst hatte es so ausgesehen, als ob die Guerillaorganisation weitere Gespräche in anbetracht der paramilitärischen Angriffe auf GewerkschafterInnen und soziale Bewegungen abbrechen würde. Regierung, FARC und eine hochrangige Parlamentarierdelegation unterzeichneten in der Provinz Caquetá einen gemeinsamen Themenkatalog, der in den kolumbianischen Medien als Durchbruch interpretiert wurde. In zu bildenden Kommissionen sollen zwölf Hauptpunkte mit so kritischen Themen wie Sozialpolitik, Umstrukturierung der Armee, Substitution des Drogenanbaus und Austausch von Kriegsgefangenen diskutiert werden.
Doch schon wenige Tage nach dem unerwarteten Erfolg bei den Gesprächen schlitterte die Regierung Pastrana in ihre bisher schwerste Krise. Nachdem der Präsident bekannt gegeben hatte, daß das von den FARC kontrollierte Gebiet im Süden des Landes für die Dauer der Verhandlungen in den Händen der Aufständischen bleiben solle, widersetzte sich die Armeespitze und machte gegen das Angebot Pastranas mobil. Verteidigungsminister Rodrigo Lloreda und 16 hochrangige Generäle gaben aus Protest am 27. Mai ihre Rücktritte bekannt. Eine unbefristete Überlassung der Gebiete sei für sie nicht hinnehmbar, hieß es drohend, was manche Beobachter dazu brachte, gar von einem Mini-Putsch zu sprechen. Um solchen Putsch-Gerüchten vorzubeugen, übte man sich in verbaler Schadensbegrenzung. Die USA stärkten in einer ersten Stellungnahme dem Präsidenten den Rücken und das (verbliebene) Oberkommando der Streitkräfte versprach, der Friedenspolitik Pastranas nicht im Wege zu stehen. Doch hinter den Kulissen lassen sich große Zerwürfnisse vermuten. Nicht zuletzt, weil sich Pastrana unmittelbar nach den Rücktritten mit dem Oberkommando und 64 Generälen in Tolemaida zu Gesprächen über die weitere Verhandlungspolitik getroffen hat.
Das erwähnte Gebiet von 42.000 Quadratkilometer, welches die Krise auslöste, hatten die FARC vergangenen November in den Provinzen Caquetá und Meta von der Regierung übergeben bekommen, um dort die Sicherheit der Gespräche zu garantieren. Tatsächlich gilt die Region seitdem als ausgesprochen ruhig. Kriminalität und politische Verbrechen verschwanden fast völlig von der Bildfläche, was offensichtlich bei Teilen der Oligarchie und gerade bei der Armeespitze Unruhe auslöst. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen und den Einfluß der Guerilla vergrößern.
Auch in anderer Hinsicht polarisiert die Rechte die Situation. In der Nähe von Medellín entführten Paramilitärs die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba, die als eine der wenigen KritikerInnen der Ultrarechten im Parlament gilt, und verlangten die Anerkennung als politische Kraft. Die von der Armee getragenen Todesschwadrone wissen, daß eine derartige Anerkennung zu einem Abbruch der Kontakte zwischen Regierung und Guerilla führen würde.
Unter Druck geriet die Pastrana-Administration auch international. Ein mit JuristInnen und MenschenrechtsaktivistInnen hochkarätig besetztes Meinungstribunal in Barrancabermeja verurteilte den kolumbianischen Staat am 16. Mai wegen seiner Mitverantwortung für das im Vorjahr verübte Massaker an 32 BewohnerInnen der Erdölstadt Barrancabermeja. Nach Zeugenaussagen halte man es für offensichtlich, daß Mitglieder von Armee und Polizei an den Morden beteiligt gewesen seien. Zudem habe die Regierung nichts unternommen, um den Fall aufzuklären. Trotz der Eröffnung der Verhandlungen stehen Kolumbien nun schwere Zeiten bevor.
Raul Zelik

Pastrana verliert an Boden

Die Entführung des Linienfluges Bucaramanga–Bogotá Mitte April durch das ELN (Nationales Befreiungsheer) schien aus einem Agenten-Film zu stammen, allerdings mit offenem Ausgang. Die Guerillaorganisation, die in den kolumbianischen Medien in den vergangenen Monaten als stark geschwächt gehandelt wurde, ließ unter den Augen der Flugsicherheit eine Fokker 50 der Fluglinie Avianca mit mehr als 40 Personen an Bord regelrecht verschwinden. Trotz schwerster Sicherheitsmaßnahmen auf dem Flughafengelände von Bucaramanga war es einer Gruppe gut gekleideter Männer, darunter auch ein Pfarrer, gelungen, Waffen in die Maschine zu schmuggeln und wenige Minuten nach dem Start die Kontrolle über das Flugzeug zu übernehmen.
Erstaunen rief in den Medien vor allem hervor, daß einer der Entführer offensichtlich beste Kenntnisse über die Maschine besaß. So deaktivierte der Copilot der ELN sämtliche Ortungsgeräte, brachte das Flugzeug damit vom Radar der Kontrollstationen und ließ die Maschine wenig später auf einer stillgelegten Piste nahe der Kleinstadt Simití in der Provinz Bolívar landen. Nach Berichten von freigelassenen Passagieren sei die Landebahn dort bereits von mehreren Hundert ELN-Guerilleros gesichert gewesen. Auch in den anliegenden Ortschaften, in die man während der folgenden mehrstündigen Autofahrt gelangt sei, habe „alles grün ausgesehen“, so die Augenzeugen.
Die Omnipräsenz der Guerilla besaß eine klare Botschaft, immerhin hat das 8.000 Quadratkilometer große Gebiet im Süden der Provinz Bolívar für beide Seiten enormen Symbolwert: Armeespitze und Paramilitärs hatten zur Jahreswende großspurig verkündet, die ELN aus der Gegend vertrieben zu haben, in der 80 Prozent der kolumbianischen Goldvorkommen vermutet werden. Auf der anderen Seite wollte die Guerillaorganisation die Gemeinden Simití, Morales, San Pablo und Santa Rosa zum Sitz der zwischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Guerilla im vergangenen Jahr vereinbarten Nationalkonvention machen.

Ein dramatisches Warnsignal

Im April nun ließ sich die ELN nicht mehr aus dem Gebiet vertreiben. Nach Angaben der Tageszeitung Vanguardia Liberal aus Bucaramanga seien so viele Guerilleros zwischen Simití und San Pablo zusammengezogen worden, daß die Armee auch nach über einer Woche nicht in der Lage war, die Stellungen der Rebellen einzunehmen. Die Militärs seien daher dazu übergegangen, die Region aus der Luft unter Feuer zu nehmen. Bei Redaktionsschluß war die Situation so kritisch, daß sowohl die Angehörigen der Entführten als auch der Gouverneur der Provinz Santander eine Einstellung der Bombenangriffe forderten. Die Regierung Pastrana lehnte dies jedoch nicht nur strikt ab, sie kappte auch noch den letzten Kanal zur ELN. Die in Medellín inhaftierten ELN-Sprecher Felipe Torres und Francisco Galán wurden schweren Repressalien unterworfen. Man nahm den beiden Guerilleros, die als Vertreter ihrer Organisation gewisse Sonderrechte besitzen, Funkgeräte und Telefone ab und untersagte ihnen alle Besuche.
Auch in anderen Landesteilen ist die Entwicklung dramatisch. In den Provinzen Córdoba, Antioquia, Cauca, Boyacá und Arauca kam es zu weiteren schweren Angriffen durch die ELN, in Bogotá zündete die Untergrundorganisation mehrere große Sprengsätze vor Armeekasernen. Dabei äußerten ELN-nahe Quellen in Europa, daß sich die Organisation durchaus des Ernstes dieser Eskalation bewußt sei. Immerhin wurde die Flugzeugentführung von mehreren Menschenrechtsorganisationen, unter ihnen auch die Angehörigen der Verschwundenen, ASFADDES, offen kritisiert. Es besteht nämlich kein Zweifel, daß damit die Genfer Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung verletzt wurden. Doch die gleichen Quellen bekräftigten auch, daß die ELN ein dramatisches Warnsignal habe abgeben wollen. Wenn in den nächsten Monaten kein gesellschaftlicher Dialog über eine politische Lösung in Gang kommt (und die Voraussetzung dafür vor allem ein Ende des paramilitärischen Terrors), wird Kolumbien in einen blutigen Bürgerkrieg stürzen.
Eine Meinung, die auch der exilierte Journalist und Soziologe Alfredo Molano teilt. Im El Espectador äußerte der Publizist, die Guerilla sei jahrelang ein Randphänomen der Gesellschaft gewesen. Erst durch die Paramilitärs sei die kolumbianische Gesellschaft so stark polarisiert worden, daß nun ein offener Bürgerkrieg zwischen Staat und Aufständischen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich sei.

Die Gespräche mit den FARC bleiben „eingefroren“

Auch vom Treffen zwischen Friedensberater Victor Ricardo und der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbien) am 20. April gab es keine guten Neuigkeiten. FARC-Kommandant Raúl Reyes erklärte nach der Zusammenkunft bei San Vicente de Caguán (Südkolumbien), die Gespräche blieben vorerst eingefroren. Seine Organisation wolle zunächst einmal prüfen, ob die Regierung tatsächlich Maßnahmen gegen die Paramilitärs ergriffen und Verbindungen zwischen Armee, hochrangigen Politikern und Todesschwadronen gekappt habe. „Das Treffen war nicht dazu da, eine neue Dialogrunde zu eröffnen, sondern von der Regierung Ergebnisse im Kampf gegen den Paramilitarismus präsentiert zu bekommen“, äußerte Reyes kühl. Wenn in der Frage nichts passiert sei, sei eine schnelle Wiederaufnahme der Verhandlungen unwahrscheinlich.
Die FARC hatten die erst Anfang Januar aufgenommenen Gespräche für drei Monate ausgesetzt, nachdem paramilitärische Gruppen in einer Woche 200 Personen ermordet hatten. Die Guerillaorganisation erklärte, sie könne nicht mit einer Regierung diskutieren, die die Massaker an der Bevölkerung mitzuverantworten habe, und legte ein 20seitiges Dokument über die Hintermänner des schmutzigen Krieges vor. Zwar wurden nach der Ermordung von drei US-amerikanischen Umweltschutzaktivisten (siehe LN Nr. 298) auch die FARC von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert, doch die Vorwürfe der Guerilla gegen die Armee bleiben dennoch richtig. Selbst das US-State Department, das die kolumbianischen Militärs mit jährlich 400 Millionen US-Dollar unterstützt, mußte letztlich zugeben, daß „örtliche Militärkommandanten in verschiedenen Regionen taktische Vereinbarungen mit den paramilitärischen Gruppen getroffen haben“.
In der Tageszeitung El Colombiano äußerten der eher rechte Politologe Alfredo Rangel und der CINEP-Mitarbeiter Mauricio García daher auch unabhängig voneinander, daß Pastrana geschwächt in die neue Verhandlungsrunde gehe. „Die Regierung hat es nicht verstanden, die Unterbrechung (…) zu nutzen und wieder die Initiative zu ergreifen“, äußerte Alfredo Rangel. Der Pfarrer Mauricio García betonte darüberhinaus, daß Pastrana keine schlüssige Sozial- und Entwicklungspolitik verfolge, die eine Grundlage für den Friedensprozeß schaffe.
Die einzige nennenswerte Aktivität des Präsidenten war die Abberufung der wegen ihrer Verbindungen zu den Paramilitärs schwerbelasteten Generäle Fernando Millán und Alejo Rito del Río, die in Santander, Bolìvar und Urabá an der Vorbereitung mehrerer Massaker beteiligt waren. Die Armee protestierte zwar gegen den „Kniefall vor den FARC“, aber als ernsthafte Maßnahme gegen den schmutzigen Krieg wird Pastrana die Entlassung der Generäle dennoch nicht darstellen können. In den von der Armee scharf kontrollierten Ortschaften um die entmilitarisierte Zone im Süden des Landes herum häufen sich die paramilitärischen Drohungen. Wenn das Gebiet der FARC weiterhin geräumt bleibe, werde man ins Gebiet der FARC vordringen und die Dorfbewohner massakrieren, kündigten die Todesschwadrone an.

Die sozialen Proteste nehmen wieder zu

Besonders katastrophal für Pastrana, von dem inzwischen nur noch 35 Prozent der KolumbianerInnen ein positives Bild besitzen, ist jedoch die Verschärfung der sozialen Probleme. Praktisch alle Wirtschaftsdaten sind rückläufig. Der kolumbianische Mittelstand, der in den vergangenen 20 Jahren auf das stabilste Wirtschaftswachstum des Subkontinents zählen konnte, ist am Verarmen. Das verarbeitende Gewerbe ist eingebrochen wie noch nie in der Geschichte. Die Industrieproduktion schrumpfte im Januar 1999 um 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, in der Automobilindustrie waren es gar 63 Prozent. Die Arbeitslosigkeit – wegen der hohen Dunkelziffern sowieso schwer zu registrieren – erreichte im April 19 Prozent, die Nachfrage nach Energie fiel um etwa den gleichen Wert.
Von sozialem Ausgleich will Pastrana schon gar nichts wissen. Die Reichtumsgegensätze wachsen enorm, und der Präsident ist weit davon entfernt, von der neoliberalen Politik seiner Vorgänger abzurücken. So ist es denn auch wenig überraschend, daß die Protestbewegungen wieder wachsen. Die Lehrergewerkschaft FECODE hat sich bei den letzten Wahlen spürbar radikalisiert und im April einen unbefristeten Streik aufgenommen. Staatsangestellte, StraßenverkäuferInnen, Schuldnerverbände und StudentInnen nahmen sich die Straße, zudem kam es im Nordosten des Landes erneut zu Bauernprotesten. Die Landbewohner errichteten in der Nähe Bucaramangas Straßensperren und forderten die Asphaltierung von Zufahrtswegen in ihre Dörfer.
Pastrana antwortete auf all diese Proteste nur mit der Entsendung von Truppen. Der noch im vergangenen August so gefeierte „Friedenspräsident“ hat sich verbraucht – keine Seite setzt mehr besondere Hoffnung in ihn. Korruptionsfälle und schwere Zerwürfnisse innerhalb des Kabinetts haben das Ansehen der Regierung stark erschüttert. So teilten viele BeobachterInnen, was der republikanische Abgeordnete des US-Bundesstaates Florida, Lincoln Diaz-Balart, gegenüber dem El Espectador erbost äußerte: „Pastrana ist ein Desaster, seine Regierung besteht aus Amateuren.“

Die Regionalisierung des Konflikts

Die Töne aus dem Norden werden deutlicher: Mitte März bezeichnete die US-amerikanische Heritage Foundation die Gespräche Pastranas mit der Guerilla als „Kapitulation“ und forderte ein Ende des Dialogs. Die us-amerikanische Rechte will eine militärische Lösung des Konflikts.
Doch auch wenn die Signale klarer werden, kommen sie nicht überraschend. Unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung unternehmen die USA schon seit Ende der achtziger Jahre enorme Anstrengungen, um ein Vorrücken der kolumbianischen Opposition (was sich ausdrücklich nicht auf die Guerilla beschränkt) in Kolumbien zu verhindern. Im 1988 zum Amtsantritt der Regierung Bush veröffentlichten Santa Fe II-Dokument wurde Kolumbien als „das El Salvador der neunziger Jahre“ bezeichnet, und tatsächlich ist das südamerikanische Land mit dem stabilsten Wirtschaftswachstum auf dem Subkontinent zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe in der Welt aufgestiegen. Die USA unterhalten in Kolumbien mehrere Dutzend Militärstützpunkte, eine unbekannte Anzahl Militärberater und Geheimdienstagenten sowie umfangreiche Kommunikationsstrukturen. Seit Mitte 1996 wird die US-Präsenz weiter ausgebaut.
Der Hintergrund für die US-Bemühungen sind die Erfolge der Guerillaorganisation FARC, die 1996 im dünn besiedelten Süden Kolumbiens vom Guerilla- zum Bewegungskrieg überging und große Militäreinheiten anzugreifen begann. Mindestens ein halbes Dutzend schwerer Niederlagen hat die Guerilla der Armee auf diese Weise in den vergangenen zwei Jahren zugefügt, mehr als 300 Polizisten und Soldaten befinden sich in den Händen der Aufständischen. Eine wahrscheinlich bewußt übertreibende Studie aus dem US-Verteidigungsministerium sagte letztes Jahr sogar einen möglichen Sieg der Guerilla innerhalb der nächsten fünf Jahre voraus, wenn das US-Engagement nicht verstärkt werde.

The empire strikes back

Kein Wunder also, daß zuletzt hochrangige Funktionäre aller US-Sicherheitsdienste in Kolumbien gewesen sind. Verteidigungsminister William Cohen, der Boß der Drogenbekämpfungsagentur DEA Thomas Constantine, FBI-Direktor Louis Freeh, der selbsternannte Anti-Drogen-Zar Barry McCaffrey, mehrere CIA-Delegationen sowie der Chef des Kommandos Süd der US-Armee, Charles E. Wilhelm, haben sich in Bogotá die Klinke in die Hand gegeben. Im Dezember 1998 – just als Außenministerin Madeleine Albright die Verfehlungen in der US-amerikanischen Chile-Politik der siebziger Jahre eingestand – unterzeichnete ihr Amtskollege, Verteidigungsminister Cohen, ein weitreichendes Militärabkommen. So wird die kolumbianische Armee 1999 nicht nur 400 Millionen US-Dollar Militärhilfe erhalten, sondern auch tatkräftig mit Hochtechnologie ausgerüstet und in Geheimdienstpraktiken ausgebildet werden. Mehr als 300 US-Berater werden im Verlauf des Jahres zusätzlich nach Kolumbien kommen und den Krieg zum Teil direkt mitdirigieren. Schon jetzt überwachen US-Spionageflugzeuge und -satelliten Bodenbewegungen in den Guerillagebieten und lassen ihre Erkenntnisse der Armeespitze in Bogotá zukommen (siehe LN 296). Neu kommt außerdem dazu, daß ein aus Berufssoldaten zusammengesetztes Elitebataillon der kolumbianischen Armee, das sogenannte Batallón Anti-Narcótico, unmittelbar einem US-Militärberater unterstehen wird.
Mit dem verstärkten Engagement der USA ist vor allem die Medienpolitik der Regierung spürbar professioneller geworden. Militärische Kampagnen werden nun von großen politischen Kundgebungen begleitet, wie zuletzt in der nordkolumbianischen Stadt Santa Rosa. Die Stadt am Fuß der Serranía de San Lucas, in der 80 Prozent der kolumbianischen Goldvorkommen konzentriert sind, steht seit Mitte letzten Jahres unter massivem Druck von Paramilitärs und Armee. Nachdem ein Teil der Bevölkerung mit Massakern und Drohungen aus der Region vertrieben wurde, organisierte die Pastrana-Regierung eine Demonstration gegen die Demilitarisierung der Region. Die Guerillaorganisation ELN hatte dies als Sicherheitsgarantie für die geplanten Gespräche zwischen Gesellschaft und ELN gefordert. Nach der Ablehnung der Regierung mußte der Beginn der schon organisierten Gespräche auf unbefristete Zeit verschoben werden. Offensichtlich setzt man in der kolumbianischen Regierung immer mehr darauf, die Öffentlichkeit politisch für den Krieg zu mobilisieren.

Die Grenzen werden militarisiert…

Vieles deutet darauf hin, daß auf das gesamte im Kalten Krieg entwickelte Repertoire des low intensity warfare (Kriegführung geringer Intensität) zurückgegriffen werden soll. Der „Krieg geringer Intensität“ ist keine Erfindung der Linken, sondern ein offizieller Begriff der internationalen Sicherheitspolitik. Im erst vor kurzem gegründeten bilateralen Verteidigungsausschuß USA-Kolumbien wird die nordamerikanische Großmacht beispielsweise durch einen – so die hochoffizielle Bezeichnung – „Staatssekretär des State Department für Low-Intensity-Konflikte“ vertreten.
Die Mobilmachung gegen die kolumbianische Aufstandsbewegung erfaßt inzwischen die ganze Region. Nach Angaben der liberalen Bogotaner Tageszeitung El Espectador hält das US-Verteidigungsministerium Kolumbien für den „größten Instabilitätsfaktor Lateinamerikas“ und verlangt ein konzertiertes Vorgehen. Besonders die engsten Verbündeten Washingtons in der Region sind aktiv geworden. Bereits letztes Jahr rief der argentinische Präsident Carlos Menem zur Bildung einer multinationalen Eingreiftruppe für Kolumbien auf – offiziell natürlich zur effizienteren Drogenbekämpfung. Seit dem interamerikanischen Militärgipfel im Dezember 1998 im kolumbianischen Cartagena machen nun auch die direkten Nachbarstaaten an ihren Grenzen mobil. Der peruanische Präsident Fujimori – wahrscheinlich der treueste Statthalter der USA in der Region – erklärte unmittelbar nach einer Dienstreise nach Washington, daß seine Regierung alle kolumbianischen Guerilleros, die peruanisches Territorium betreten, verfolgen und mit lebenslanger Haft bestrafen werde. Kurz darauf verlegte Fujimori 5.000 Soldaten an die Grenze im Amazonasgebiet. Die Tageszeitung El Espectador wies weiterhin darauf hin, daß Washington im vergangenen Jahr die Regierungen von Ecuador und Peru unter anderem deswegen zur Beilegung des Grenzkonflikts bewegt habe, um Truppen für die Kontrolle der kolumbianischen Grenzen freizusetzen. Und auch in Brasilien, Panama und Ecuador habe die Clinton-Administration Druck ausgeübt, damit die betreffenden Armeen die Versorgungswege der Guerilla unterbreche.

…und der Paramilitarismus erreicht die Nachbarstaaten

Die Internationalisierung des Konflikts beginnt allmählich auch die innenpolitische Situation in den Nachbarstaaten grundlegend zu verändern. So ermordete ein kolumbianisches Kommando im Februar den linken ecuadorianischen Abgeordneten Jaime Hurtado (siehe LN 297). Der Anwalt und wichtigste schwarze Politiker seines Landes war zweimal Präsidentschaftskandidat der Volksdemokratischen Bewegung MPD gewesen und gehörte zu den Unterstützern der kolumbianischen Opposition.
Offiziell wurde die Verantwortung für die Aktion zwar dem kolumbianischen Paramilitär-Chef Carlos Castaño zugeschoben, doch ist kaum davon auszugehen, daß die Todesschwadrone eine derartige Ausweitung des Konflikts auf die Nachbarländer ohne Zustimmung der Armeespitze getroffen haben. Gegen Castaño existiert in Kolumbien zwar ein Haftbefehl, aber er unterhält dennoch beste Verbindungen zum Generalstab und stimmt in allen Krisenregionen sein Vorgehen mit der Armee ab.
Daß der Mord an Hurtado abgesprochen war, wäre nicht weiter verwunderlich. Immerhin nutzt der Tod des linken Abgeordneten den Regierenden in Quito, Bogotá und Washington gleichermaßen: Die ecuadorianische Regierung hat einen unangenehmen Kritiker weniger, die ausländische Solidaritätsbewegung mit der kolumbianischen Linken wird weiter eingeschüchtert, und Washington hat ein weiteres gewichtiges Argument zur Militarisierung der Grenzen. In der Presse argumentierte man, die kolumbianische Armee habe die Extremisten von Rechts und Links nicht mehr unter Kontrolle, weswegen der Einsatz ecuadorianischer Truppen immer dringlicher werde.
Das einzige Land, das sich dieser Strategie im Augenblick grundsätzlich widersetzt, ist Venezuela. Der Ende 1998 ins Amt gewählte Offizier Hugo Chávez hat den Plänen des Pentagons eine klare Absage erteilt und den kolumbianischen RebellInnen sogar die Möglichkeit des politischen Asyls zugesichert, wenn sie unbewaffnet in venezolanisches Territorium gelangen. So halten sich mit Zustimmung Chávez’ seit einigen Wochen denn auch hochrangige Delegationen von ELN und FARC in Venezuela auf. Die Anerkennung der Guerillas geht so weit, daß ELN-Kommandant Antonio García, der im Februar und März in Maracaibo Gespräche mit kolumbianischen und venezolanischen PolitikerInnen führte, von einer Leibwächtergruppe begleitet wurde, die gleichermaßen aus ELN-Guerilleros und venezolanischen Polizisten zusammengesetzt war.
Noch ist die Pastrana-Administration zwar um einen freundschaftlichen Ton gegenüber dem hochpopulären Chávez bemüht, doch hinter den Kulissen wird der Ton schärfer. Völlig unvermittelt sagte die kolumbianische Regierung Anfäng März wegen der venezolanischen Kontakte zu FARC und ELN ein Treffen zwischen den Präsidenten beider Länder wieder ab. Wenig später kündigte der Paramilitärchef Carlos Castaño an, daß die Todesschwadrone ihren Aktionsradius auf Venezuela ausweiten werden. Regierungsmitglieder in Caracas erwiderten darauf, daß sie die Paramilitärs bedingungslos verfolgen würden, sobald sie die Grenze überschritten, und der Friedensberater Hugo Chávez’, Ex-General Alberto Muller Rojas, ging sogar noch weiter, als er Mitte März erklärte, die Paramilitärs seien Teil der kolumbianischen Staatsmacht.
Viele BeobachterInnen fürchten nun sogar, daß Chávez sein Engagement im kolumbianischen Konflikt den Kopf kosten könnte. Anfang März hieß es in der venezolanischen Presse, daß es einen Komplott gegen die neue Regierung gebe. Chávez könne ein ähnliches Schicksal widerfahren wie dem panamenischen Staatspräsidenten Omar Torrijos, der in den siebziger Jahren die SandinistInnen in Nicaragua unterstützte. Torrijos, der auch politisch einiges mit Chávez gemein hat, kam 1981 unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Hinter dem Anschlag steckte damals der in den USA ausgebildete Offizier und zeitweilige CIA-Agent Noriega, der wegen seiner Drogengeschäfte zehn Jahre später schließlich selbst zum Opfer einer US-Militärintervention werden sollte.

Ein Desaster für die FARC

Paradoxerweise ist der schwerwiegendste Vorfall im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet jedoch von der Guerilla selbst zu verantworten. Anfang März wurden die drei nordamerikanischen Indígenas Terence Freitas, Ingrid Wahinawatok und Larry Gay Lahe’ena’e auf der venezolanischen Seite des Arauca-Flusses tot aufgefunden. Als die Morde bekannt wurden, deutete zunächst alles in Richtung rechter Todesschwadrone. Selbst die Tageszeitung Washington Post zweifelte die offizielle Version des State Department an, wonach die Guerilla die drei native americans ermordet habe. Immerhin waren Freitas, Wahinawatok und Lahe’ena’e nach Kolumbien gereist, um die U’wa-Indigenas in ihrem Kampf gegen den Erdölmulti OXY zu unterstützen, der auf dem Territorium der U’was nach Öl bohren will.
Doch obwohl es keinen vernünftigen Grund für eine Täterschaft der Guerilla gab, stellten sich die von den Medien präsentierten Anschuldigungen gegen die FARC schließlich als wahr heraus. Nach einer Woche Recherche trat FARC-Sprecher Raúl Reyes sichtlich schockiert vor die Presse und gestand die Verantwortung seiner Organisation für die Morde ein. Ein Kommandant der 10. FARC-Front mit dem Decknamen „Gildardo“ habe die drei US-Amerikaner im Gebiet der U’was als „unbekannte Ausländer“ festgenommen und ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten erschossen. Reyes, der gleichzeitig Verhandlungsführer der FARC bei den Gesprächen mit der Regierung ist, beeilte sich klarzustellen, daß das Vorgehen nicht der Politik seiner Organisation entspreche und kündigte die Bestrafung der Verantwortlichen an. Trotzdem wird der angerichtete Schaden kaum gutzumachen sein.
Die drei Morde bedeuten für die Guerilla ein politisches Desaster. Erst im Januar hatten die FARC die Gespräche mit der Regierung Pastrana wegen der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen für drei Monate eingefroren und ein gut recherchiertes Papier über die Hintermänner des schmutzigen Kriegs vorgelegt. Doch nach den letzten Ereignissen wird von den systematischen Kriegsverbrechen der Armee und der zivilen Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik kaum noch die Rede sein. Die internationale Debatte wird sich auf den Tod der NordamerikanerInnen konzentrieren.
Dabei wäre internationale Öffentlichkeit im Augenblick so nötig wie nie. Praktisch kein Landesteil ist mehr vor paramilitärischen Überfällen sicher. 25 Prozent der ländlichen Bevölkerung befinden sich auf der Flucht, ganze Stadtteile sind in den letzten Monaten zu paramilitärischen Angriffszielen erklärt worden, und selbst die bescheidenste Menschenrechtsarbeit ist unmöglich geworden. Neben der kirchlichen Untersuchungskommission Justicia y Paz haben nun auch die Solidaritätskomitees mit den politischen Gefangenen CSPP sowie diverse Medelliner Büros des Gewerkschaftsdachverbandes CUT ihre Büros wegen Drohungen von Armee und Paramilitärs schließen müssen.
Das Problem ist dabei nicht nur, daß die Täter mit Straffreiheit rechnen können, sondern auch, daß von der kolumbianischen Rechten zunehmend Menschenrechtsorganisationen gegründet werden (wie z.B. die vom Santos-Clan kontrollierte Anti-Entführungsgruppe Pais Libre), die sich als neutrale Nichtregierungsorganisationen präsentieren und den Staat als Opfer von Rechts und Links darzustellen versuchen. So existiert anders als bei den zentralamerikanischen Bürgerkriegen der achtziger Jahre praktisch keine kritische Öffentlichkeit mehr, die den Terror gegen die Land- und Slumbevölkerung öffentlich machen würde.

Eine politische Lösung rückt in weite Ferne

Vor diesem Hintergrund wird eine politische Lösung des Konflikts immer unwahrscheinlicher. Einiges spricht sogar dafür, daß es Präsident Pastrana mit seinen Gesprächsbemühungen in den letzten Monaten vor allem um einen Zeitgewinn ging. Nach den militärischen Erfolgen der Guerilla galt der Zustand der Armee als desolat. Interessanterweise hat Pastrana von den fünf Zusagen, die er im August vergangenen Jahres bei seinem Gipfeltreffen mit Guerilla-Kommandant Marulanda machte, nur eine einzige wirklich eingelöst. Zwar wurde ein 40.000 Quadratkilometer großes Gebiet um San Vicente de Caguán geräumt, aber sonst bleibt alles beim alten: Der Paramilitarismus wächst, die legale Opposition wird weiter kriminalisiert, Streiks werden brutal niedergeschlagen.
Gegenüber der unauffälligeren, aber kaum kleineren ELN setzt Pastrana inzwischen offen auf eine militärische Lösung. Fast täglich sind in den kolumbianischen Tageszeitungen Artikel über die Krise der guevaristisch-basischristlichen Guerillaorganisation zu lesen. Offensichtlich soll der Eindruck eines nahen Sieges vermittelt werden, damit keine weiteren Zugeständnisse mehr gemacht werden müssen.
Antonio García, militärischer Kommandant der ELN, erklärte daraufhin im venezolanischen Maracaibo, daß man die geplanten Gespräche mit der Gesellschaft nun ohne Beteiligung der Regierung im Ausland organisieren werde.
Doch auch auf diesem Feld bemüht sich Präsident Pastrana geschickt, den Spielraum der Aufständischen einzuengen. Seit seinem Amtsantritt ist der Konservative darum bemüht, die Beziehungen zu den EU-Staaten zu verbessern, die sich zuletzt als Fürsprecher von Verhandlungen hervorgetan und der Guerilla gewisse Spielräume eingeräumt hatten.

ELN: „Keine Gespräche mehr mit Pastrana“

Der Friedensbeauftragte von Präsident Pastrana, Victor Ricardo, und die Nummer 2 der ELN, Antonio García, hatten sich im Februar in Venezuela getroffen, um Sicherheitsgarantien für die geplante Nationalkonvention zu vereinbaren. Auch ein direktes Gespräch zwischen Präsident Pastrana und dem ELN-Chef Nicolas Bautista sollte ausgemacht werden. Doch bei den Gesprächen platzten alle Pläne. Die Regierung wies die Forderung der Guerillaorganisation nach Räumung der vier Gemeinden Morales, Simití, Santa Rosa und San Pablo im Süden der Provinz Bolívar kategorisch zurück. Die ELN bekräftigte hingegen, daß sie die Sicherheit der Konvention, die eigentlich schon am 15. Februar hatte beginnen sollen, nur in einem von der Armee geräumten Gebiet garantieren könne.
Die Durchführung der Nationalkonvention, an der 400 Delegierte verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen teilnehmen sollen, war im vergangenen Juli zwischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und dem ELN in Mainz vereinbart worden. Ein demokratisches Forum sollte entstehen, das vor allem den Unterschichten ein Sprachrohr bieten könnte. Der Haken an dem Projekt ist jedoch, daß Bauernverbände, Basisorganisationen und Gewerkschaften in Kolumbien von den Todesschwadronen so massiv unter Druck gesetzt werden, daß sich kaum jemand traut, öffentlich Stellung zu beziehen. Nur wenn paramilitärische Angriffe wirklich ausgeschlossen sind, könnte eine derartige Konvention funktionieren. Das ist der Grund, warum der Sicherheitsfrage eine so große Bedeutung zukommt.

Die „Santa Ana“-Methode

Die Regierung Pastrana, die schon für die Übergabe von Gebieten im Süden des Landes an die revolutionären FARC massive Schelte aus den USA bezogen hatte, wollte sich auf eine neuerliche Räumung nicht einlassen. Stattdessen schlug sie die sogenannte „Santa Ana“-Methode vor, die vor zwei Jahren bei der Übergabe von entführten OAS-Mitarbeitern angewandt worden war. Danach soll die Armee in der Nähe des Konferenzortes bleiben und nur für die Dauer des Treffens ihre Operationen einstellen. Armeekommandant Tapias Stahelin bekräftigte, daß seine Truppen die Konvention zu schützen bereit seien.
Zahlreiche potentielle Konventionsteilnehmer dürften allerdings genau das befürchten. Erst im vergangenen September hatte Präsident Pastrana 10.000 protestierenden Bauern aus der Provinz Bolívar ganz ähnliche Zusagen gemacht. Kaum war ein Abkommen unterzeichnet, verstärkte die Armee ihre Präsenz in der betroffenen Region und massakrierte in Kooperation mit Paramilitärs mindestens 100 Bauern. In San Pablo, das als Konventionsort im Gespräch war, erschossen Uniformierte Anfang des Jahres unter den Augen der Soldaten 14 Jugendliche in einem Billardsalon.
Ähnlich sind die Erfahrungen auch in San Carlos im Departement Antioquia, wo im Oktober ein Vortreffen für die Nationalkonvention stattfand. Wenige Tage nach dem feierlichen Akt besetzten Paramilitärs ebenfalls mit Rückendeckung der örtlichen Armeeeinheit die Stadt und töteten 50 Personen. Und schließlich kam es sogar bei der zitierten Übergabe in Santa Ana 1997 zu einem schweren Zwischenfall. Ein Armee-Hubschrauber simulierte damals einen Angriff und löste fast eine bewaffnete Konfrontation aus. „Die Santa Ana-Methode ist für die Konvention keine brauchbare Lösung“, sagte ein deutlich verstimmter Antonio García nach den Gesprächen in Venezuela.
Den Meinungsverschiedenheiten vorausgegangen waren Militäroperationen gegen das ELN in den Departements Bolívar und Antioquia und Medienberichte über eine Schwächung der Guerilla. Die konzertierte Aktion von Paramilitärs und Armee habe den ELN wenigstens teilweise aus einer ihrer Hochburgen, der Serranía San Lucas, vertrieben, hieß es. Offensichtlich war die Regierung Pastrana nach den Zeitungsartikeln davon überzeugt, der Organisation weniger Zugeständnisse machen zu müssen als den FARC, deren militärische Macht so groß wie noch nie scheint.

Wenig Bereitschaft zu Kompromissen

Nach dem Abbruch der Gespräche wurden beide Seiten wegen ihres Verhaltens öffentlich kritisiert. Generalstaatsanwalt Bernal, der in Mainz Sprecher der Vorbereitungsgruppe war, wies darauf hin, daß eine Räumung von Gebieten nicht vereinbart worden sei und deshalb nun vom ELN nicht als Vorbedingung genannt werden könne. Demgegenüber erklärte eine Gruppe Abgeordneter aus der Provinz Santander ebenso wie der vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez benannte Vermittler Muller, daß die kolumbianische Regierung mehr Kompromißbereitschaft hätte zeigen müssen. Es sei nicht begreiflich warum man dem ELN etwas verweigere, was man den FARC zugestehe.
Allem Anschein nach wird die geplante Konvention nun im Ausland stattfinden müssen. Im Gespräch dafür sind Schweden, Norwegen, Spanien, Deutschland, Puerto Rico und Venezuela. ELN-Chef Nicolas Bautista stellte jedoch klar, daß die Regierung zu dieser Konvention nicht eingeladen sein werde. Ungeklärt ist auch, wie die Teilnahme von Basisorganisationen gewährleistet werden kann.
Auch der Friedensprozeß mit den FARC steckt in einer schweren Krise. Die Anfang Januar in San Vicente de Caguán aufgenommenen Gespräche sind bis April auf Eis gelegt. Die FARC verlangten beim letzten Zusammentreffen mit Victor Ricardo von der Regierung entschlossene Maßnahmen gegen die Paramilitärs und legten eine Liste von aktiven Paramilitärs vor. Unter diesen sind auch zehn hochrangige Offiziere, die nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen beste Verbindungen zum Drogenhändler und Paramilitärkommandanten Carlos Castaño besitzen sollen. Ob die Räumung der Gebiete im Süden des Landes bis über den Mai hinaus fortbestehen wird, steht in den Sternen. Es ist jedoch ziemlich wahrscheinlich, daß die angekündigte Re-Militarisierung ein Ende der Gespräche bedeuten würde.

Internationalisierter Konflikt

Als ob diese Entwicklung nicht beunruhigend genug wäre, geht an den kolumbianischen Grenzen das Säbelrasseln weiter. Unmittelbar nach einer Reise nach Washington ließ der peruanische Präsident Fujimori Armeeeinheiten ins Amazonasgebiet verlegen, um der kolumbianischen Guerilla Versorgungswege abzuschneiden. Nach Angaben der liberalen Tageszeitung El Espectador hat die Clinton-Administration auch auf Panama, Ecuador und Brasilien Druck ausgeübt, um – wie es in einer Pentagon-Studie heißt – „auf die von Kolumbien ausgehende wachsende Instabilität in der Region zu reagieren“. Die Beilegung der Grenzstreitigkeiten zwischen Ecuador und Peru sei, so El Espectador, von Washington forciert worden, um Truppen beider für den Einsatz an der kolumbianischen Grenze frei zu bekommen.
Der kolumbianische Verteidigungsminister Rodrigo Lloreda zeigte für die Maßnahmen des südlichen Nachbarn jedoch vollstes Verstädnis. „Wenn ich Fujimori wäre, würde ich das gleiche tun“, sagte Lloreda in einem Interview mit El Espectador und wies darauf hin, daß auf dem amerikanischen Militärgipfel im vergangenen Dezember in Cartagena ein derartiges Vorgehen besprochen worden sei. Immer wieder betonte Lloreda in den letzten Tagen die Existenz eines „Plans B“, der in Kraft trete, wenn die Verhandlungen scheiterten.
Was das bedeutet, ist nicht schwer auszumalen: Im Augenblick wird ein neues Bataillon mit 1000 Berufssoldaten aufgebaut, das von US-Offizieren mitkommandiert wird und bis Mitte des Jahres in den Provinzen Guaviare und Meta einsatzfähig sein soll. Die Elite-Einheit soll offiziell den Drogenanbau bekämpfen, wird aber in Wirklichkeit eher dazu dienen, das Hauptquartier der FARC in die Zange zu nehmen. Alle Zeichen stehen auf Sturm.

Kolumbianische Realitäten

Ein Hauch von Frieden weht über das Land. Seit einem halben Jahrhundert bestimmen Gewalt und Bürgerkrieg das Leben in Kolumbien. Nun schickt sich erneut ein Präsident an, einen Ausweg aus der Spirale von Mord und Totschlag zu suchen. Ausgestattet mit der Selbstverständlichkeit der Machtausübung, wie sie nur die Konservativen besitzen, spricht der ehemalige Fernsehtalkmaster und heutige Staatschef Andrés Pastrana landauf, landab unermüdlich vom Frieden. Fraglos ein ehrenwertes Unterfangen, selbst wenn manche ihm neben persönlichem Ehrgeiz vor allem die Absicht unterstellen, auch in Kolumbien eine neoliberale „Strukturanpassung“ durchsetzbar zu machen. Die längerfristigen politischen Kosten seines hohen Einsatzes lassen sich derzeit kaum abschätzen. Enttäuscht die jetzige Regierung die von ihr geschaffene hohe Erwartungshaltung, indem die Verhandlungsbemühungen scheitern, werden weitere Gespräche auf absehbare Zeit unmöglich.

Die Gefahr ist groß, nicht nur wegen der erzeugten Erwartung. Bisher läßt Pastrana nicht die ernsthafte Absicht erkennen, grundlegende Probleme und Konfliktursachen auch nur zu benennen, geschweige denn anzugehen. Zwar scheint eine Unterstützung seiner Friedensinitiatve und sogar weitergehende soziale Veränderungen in Wirtschaft und Politik durchsetzbar. Aber die Beilegung des bewaffneten Konflikts braucht mehr als soziale Reformen. Ohne wirkliche Veränderung der Machtverhältnisse, ohne Offenlegung vor allem der wirtschaftlichen Interessen und ohne echte Beteiligung der Bevölkerung wird sich die ebenso diffuse wie explosive Mischung aus Guerilla, Armee, Drogenmafia, Paramilitärs, in- und ausländischen Konzernen sowie korrupten PolitikerInnen und StaatsvertreterInnen nicht entschärfen lassen.

Der Komplexität des Konfliktes mögen sich viele KolumbianerInnen durchaus bewußt sein. Doch scheinen die wenigsten wissen zu wollen, worum es dabei geht. Die FARC-Guerilla kritisiert das fehlende Bewußtsein ihrer Landsleute über das wirkliche Ausmaß der Auseinandersetzungen. Wesentlichen Anteil daran haben die Medien: Immer auf der Suche nach der schnellen Nachricht, wird Information zweitrangig. Oder auf erstaunlich hemmungslose Weise manipuliert und verdreht. In den Köpfen vieler KolumbianerInnen hält sich hartnäckig das Bild einer gewaltbereiten, rücksichtslosen Guerilla. Jeder militärische Angriff der Aufständischen wird in Funk und Fernsehen ausführlich von Verteidigungsminister und Generälen verdammt. Die gezielten Morde der Todesschwadronen verstärken das kollektive Gefühl, in einem Land zu leben, das im Strudel der Gewalt untergeht. Nach politischen Forderungen und Interessen, nach den Ursachen des langjährigen bewaffneten Konflikts und nach den Verbindungen der Paramilitärs zur Armee fragt öffentlich kaum jemand.

Das ist zum Teil ein Ergebnis der soziokulturellen Entwicklung Kolumbiens, wo politisch motivierte Morde an der Tagesordnung sind. Wo ein Menschenleben bisweilen nicht mehr als zehn Mark wert ist. Wo der Umgang mit dem Tod so routiniert ist, daß nur zehn Minuten nach der Tat allenfalls leicht rosa verfärbtes Spülwasser davon zeugt, daß hier soeben ein Mensch erschossen wurde. Wo US-amerikanische Unfallchirurgen zum üben hinfahren, um den Umgang mit Schußverletzungen zu trainieren. Und wo ein jeder im Dunkeln intuitiv die Straßenseite wechselt, wenn ihm zwei oder drei Gestalten entgegenkommen.

Um in diesem Klima von geballter Gewalt und ständiger Bedrohung überleben zu können, braucht es Ventile. Die extreme Ausgelassenheit, die Lust am Feiern erscheinen, von außen betrachtet, angesichts der dauernden Klagen über das Leben in Kolumbien schizophren. Ebenso die alljährlich mit Riesenpomp zelebrierte Wahl der „Miss Colombia“, die in Form spärlich bekleideter junger Damen über die Bildschirme flimmert und bisweilen die Hälfte der Fernsehnachrichten einnimmt. Dann bleibt eben keine Zeit mehr für andere Meldungen, geschweige denn für Informationen. Und die KolumbianerInnen sind abgelenkt vom Trauerspiel in ihrer Heimat. Sonst müßte man vielleicht wirklich eines Tages die eigene Haltung verändern.

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