Bomben und Proteste gegen den fernen Krieg und die nahen Yankees

Einige hundert Menschen demonstrierten in Santiago de Chile vor dem Sitz des größten chilenischen Rüstungsproduzenten CARDOEN. CARDOEN exportierte seit 1982 Waffen an den Irak, unter anderem eine Sorte C-Bomben, “Erstickungsbomben”, die ein Pulver versprühen, das den Sauerstoff in der Luft bindet. Anzahl und Preis der gelieferten Bomben sind nicht bekannt. 1986 halfen Techniker von CARDOEN beim Bau einer Bombenfabrik in Bagdad. Die Rü­stungsverkäufe dauerten nach offiziellen Angaben bis zum UN-Ultimatum gegen den Irak vom August vergangenen Jahres an. CARDOEN war unter der Militär­diktatur Pinochets unter dessen persönlicher Protegierung entstanden. Auch zur neuen Regierung Chiles dürften die Beziehungen blendend sein: Der Besitzer ist mit einer Nichte des christdemokratischen Präsidenten Aylwin verheiratet. CARDOEN versucht nun, den Ausfall der Lieferungen an den Irak zu ersetzen; es erging ein Angebot an Saudi-Arabien zur Lieferung von 30.000 Bomben.
Eine Guerilla-Gruppe “Frente Revolucionario Anti-Imperialista” hat verkündet, daß US-Einrichtungen in Chile angegriffen werden sollen. Es gab bereits An­schläge auf einen Mormonen-Tempel und auf Filialen der US-amerikanischen “Security Pacific”- und “Republic National”-Banken. Die “Patriotische Front Ma­nuel Rodriguez” (FPMR) schickte eine Raketenattrappe und Flugblätter in die Residenz des israelischen Botschafters in Santiago.
Auch die brasilianischen Rüstungskonzerne “Avibras Aeroespecial” und EN­GESA, die bisher den Irak mit einer ganzen Palette von Rüstungsgütern beliefer­ten, wollen nun den Handel mit Saudi-Arabien aufnehmen. Ein Manager be­gründete die Unbedenklichkeit der Lieferungen in den Irak in der Vergangenheit damit, daß “Deutschland und Frankreich die chemischen Einrichtungen” stellten, dann könne ja wohl gegen die Lieferung der Trägersysteme nichts einzuwenden sein.
Der Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Bolivien warb für Unterstützung für den Irak durch Demonstrationen und “andere Kampfformen”. Die Guerilla-Gruppe “Nationales Befreiungsheer” bezeichnete in einem Kommuniqué alle US-Einrichtungen in Bolivien als anschlagsrelevante Ziele.
In Ecuador gab es Bombenanschläge gegen die US-amerikanische und die fran­zösische Botschaft. Andererseits besetzten 12 Mitglieder der Gruppe “Alfaro Vive Carajo” (AVC) kurzzeitig die französische Botschaft und forderten eine Ver­handlungslösung.
Im von den USA teilbesetzten und kontrollierten Panama übernahm das “Volksheer für die Nationale Befreiung” (EPLN) die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf die US-Botschaft und kündigte weitere Anschläge an. Der Marionetten-Präsident Endara hatte bereits im November kurzzeitig die Durch­fahrt aller Schiffe aus oder nach Irak durch den Panama-Kanal verboten.
In Venezuela verübte eine “Internationalistische Brigade” einen Brandanschlag auf einen Mormonen-Tempel in Barquisimeto. Die Mormonen wurden als US-Spione bezeichnet. Die Menschenrechtsorganisation “Fundalatin” forderte den venzolanischen Kongreß auf, für die Dauer des Krieges alle Öllieferungen an die Länder der westlichen Allianz am Golf einzustellen.
Nach Meinung des kubanischen Präsidenten Fidel Castro ist derjenige für den Krieg verantwortlich, der zuerst schießt. Der Krieg bedeute “das Scheitern der UNO und der Politiker”. Die beteiligten Parteien hätten nicht genügend Ver­ständnis aufgebracht und der Irak habe ethische, historische, religiöse und ara­bisch-nationalistische Argumente benutzt, als eine realistische Vernunft erfor­derlich war. Kuba hat zur Versorgung der Zivilbevölkerung eine Ärztebrigade in den Irak entsandt.
(Quellen: ANN, PONAL, LA Weekly, Monitor-Dienst)


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“Der Golf ist weit weg, aber den Weltpolizisten haben wir auf der anderen Seite der Grenze!”

Der mexikanische Präsident Salinas hält eine Rede an die Nation. Er stellt seine Anstrengungen für eine Verhandlungslösung heraus. Und mit sanfter Stimme versichert er den MexikanerInnen, sie hätten allen Grund, Ruhe zu bewahren. Mexiko als Ölproduzent werde keine unmittelbaren Auswirkungen spüren. Die Versorgung mit Treibstoffen und Nahrungsmitteln sei gesichert. Damit spricht er die Hauptsorge der MexikanerInnen an. “Die Leute haben Angst, daß die Preise steigen,” erzählt mir ein Straßenverkäufer der populären Schlagzeilen-Zeitungen. Die erste größere Unruhe habe er gespürt, als die Ölpreise fielen. Das war, als die CNN allen Anschein erweckte, als ob die USA den Krieg schnell gewinnen würden.
Mit den Angriffen des Irak auf Israel ändert sich die Stimmung. Die Nachrichtenbombardierung von CNN verfehlte die vorgesehene Wirkung, verbale Angriffe gegen die USA wurden nun häufiger. “Ein ganzer Kerl ist der Saddam”. “Die Yankees haben Abschußrampen aus Pappe bombardiert”. Mit Schadenfreude und einem Schuß Machismo werden die Angriffe Iraks auf Israel kommentiert. Auch der Unmut über die “Desinformation” wächst. Besonders die offensichtliche Lüge der Medien, die berichten,. im Irak seien bisher zwanzig Menschen umgekommen, erregt die Gemüter. Über die ständigen Demonstrationen vor der US-Botschaft in Mexiko informieren die großen Radiosender nur indirekt. Sie warnen vor Staus und Verzögerungen in der Gegend um die Botschaft und empfehlen, sie weiträumig zu umfahren. Diese gegen die US-Regierung gerichteten Demonstrationen hatten einige Tage vor Ablauf des Ultimatums begonnen. Spontan versammelten sich dort die Leute, denen plötzlich die Gefahr eines Krieges bewußt wurde -eine winzige Minderheit.

‘Hussein, gib’s dem Yankee kräftig!’
Die erste große Demonstration in Mexiko-Stadt fand erst neun Tage nach Beginn des Krieges statt. 40.000 Menschen folgten dem Aufruf der Parteien: “Alle vereint für den Frieden”. Es war abgemacht, daß keine Parteifahnen getragen werden sollten. Daraus ergab sich das seltsame Bild von offensichtlich organisierten Blöcken, die mensch aber nicht zuordnen konnte. Die weißen Fahnen und die Friedenstauben konnten keine Einheit herstellen. Die beiden großen Oppositionsparteien rechts und links von der regierenden “Partei der institutionalisierten Revolution” (PRI) hatten ihre Mitglieder erst nach heftigen internen Auseinandersetzungen dazu aufgerufen, gemeinsam mit der PRI zu demonstrieren. Doch im Laufe der Demonstration ließ sich der vorgesehene Pazifismus nicht durchhalten, die DemonstrantInnen gingen zu antiimperialistischen Parolen über. Überall waren Plakate zu sehen, auf denen der Abzug der USA aus Panama gefordert wurde. Und sogar die PRI-Blöcke wechselten zu Sprechchören im Stil von “Hussein, seguro, al yanqui dale duro!” über (“Hussein, gib’s dem Yankee kräftig!”).
Am Tag darauf fand ein nationales Treffen der mexikanischen Solidaritätsgruppen (mit Zentralamerika und Haiti) statt. Dort wurde die Unfähigkeit der Bewegung beklagt, sich in spontane Mobilisationen wie die vor der US-Botschaft einzugliedern. Die PRI dagegen habe es wieder einmal verstanden, die Friedensdemonstration unter ihrer Schirmherrschaft stattfinden zu lassen und politisch zu nutzen. Die Diskussion der Soli-Gruppen über den Golfkrieg begann sich schnell um die Frage zu drehen: Ist es besser für uns, wenn die USA gewinnen, oder wenn sie verlieren? Ein Vertreter der salvadorenischen Guerilla, der FMLN, stellte klar: “Wenn die USA schnell gewinnen, und gestärkt aus diesem Krieg hervorgehen, wird der ganze Kontinent unter dieser Militärmacht zu leiden haben. In dem Maße, in dem der Krieg andauert und die USA schwächt, wird auch ihr Interesse an einem Ende des Krieges in E1 Salvador wachsen”. Bei der Diskussion mit ihm forderten die Soligruppen, die Rolle der UNO bei den Verhandlungen in E1 Salvador neu zu bewerten. Es habe sich gezeigt, daß die UNO keine Organisation für den Frieden ist, sondern daß sie dem Weißen Haus als Vorzimmer gedient und den Krieg unterstützt hat.
Die Soli-Bewegten warfen außerdem die Frage auf, ob es überhaupt richtig sei,
für Hussein Partei zu ergreifen, für einen Mann, der Ausrottungskampagnen
gegen die KurdInnen geführt habe, und von dem man nicht wüßte, ob er das
irakische Volk unterdrücke. Diese Diskussion erinnerte viele an die Auseinandersetzungen während des Malvinen-Krieges, als darum gestritten wurde, ob
eine Stellungnahme gegen die Briten die argentinische Militärdiktatur aufwerten
würde. Ergebnis der Diskussion: Jede imperialistische Unterdrückung macht es
einem Volk noch schwerer, sich gegen die nationalen Herrschaftsstrukturen , aufzulehnen.
Reisende aus den rnittelamerikanischen Ländern beschreiben die Stimmung dort als ganz anders als in Mexiko-Stadt. Die Abhängigkeit dieser Länder von Energie-Importen hat die Regierungen schon zu Sparmaßnahmen greifen lassen und bei der Bevölkerung eine viel größere Unsicherheit ausgelöst als in Mexiko. In Guatemala-Stadt beispielsweise sollen Hamsterkäufe getätigt worden sein. In E1 Salvador zeigt sich deutlich, daß jeder noch so schwachsinnigen Nachricht, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Golf-Krieg steht, eine größere Bedeutung zugemessen wird als den wirklich wichtigen Informationen. Während E1 Salvadors Präsident Cristiani einen Tag lang in den Nachrichten auftauchte, weil er die “alliierten Truppen am Golf einen Monat lang mit Kaffee versorgen” will, fand das Massaker an 15 Bauern.. und Bäuerinnen am 22.Januar nicht die angemessene Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit.
Obwohl der Krieg am Golf weit weg ist, gibt es auch hier Menschen, die ihn als eine unmittelbare Bedrohung empfinden. In der mexikanischen Region Chilapa beispielsweise treffen sich christlichen Basisgemeinden jeden Abend, um gemeinsam zu beten.
Die GuatemaltekInnen, die im Süden Mexikos in Flüchtlingslagern leben, verfolgten die Ereignisse seit August aufmerksam. Als sich das Ultimatum vom
15. Januar näherte, besorgten sich viele von ihnen Kurzwellenradios, melden die “Witnesses for Peace”. In den Lagern in den Bundesstaaten Chiapas, Campeche und Quintana Roo, in denen ungefähr 43.000 guatemaltekische Flüchtlinge leben, sei der Beginn des Krieges mit Entsetzen aufgenommen worden, “Den Führern sind all die armen Leute, die sterben werden, egal”, sagte eine Flüchtlingsfrau. “Sie sorgen sich nur um ihr Geschäft und ihre Profite.” Ein älterer Mann meinte: ‘Wenn es doch so viele arme Menschen in den USA gibt, warum schickt die US- Regierung dann soviel Geld ins Ausland, wenn sie nicht einmal ihre eigenen Leute versorgen kann?” Als eine Gruppe von Jungen aufgeregt ihr Wissen über die High-Tech-Flugzeuge und die Bombardierungen austauschte, sagte ein Vater traurig: “Diese Kinder wissen nicht, worüber sie reden. Sie waren klein, als wir (vor dem Militär; d.Red) aus Guatemala fliehen mußten. Aber wir erinnern uns genau daran, was Krieg bedeutet und darum sind wir so traurig und besorgt über diesen Krieg.”


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Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Stellungnahme von Radio Venceremos, offizielle Stimme der FMLN zum Golfkrieg vom 24. Januar
Die Aggression der US-Regierung gegen das irakische Volk ist eine Beleidigung der Völker der Welt. Wir können die kriegstreiberische Haltung der USA nicht billigen, weil wir, die verarmten Völker, besser als andere die klaffenden Wunden kennen, die uns die habgierige Politik der USA zufügt.
Obwohl die Vereinten Nationen im Verhandlungsprozeß zwischen FMLN und dem Cristiani-Regime als Vermittlerin fungiert, können wir doch nicht umhin, die Entscheidung der UNO zu kritisieren, den Krieg am Persischen Golf uneingeschränkt zu unterstützen. Eine Organisation, die gegründet wurde um Kriege zu verhindern, hat dieses Mal einer wahrhaft wilden Aggression ihre moralische Rückendeckung gewährt. Den Vereinten Nationen entgleitet ihr Einfluß auf die Entwicklung der Feindseligkeiten immer mehr; sie sind heute nicht mehr in der Lage einen Waffenstillstand für die Gewalt, die sie guthieß, herbeizuführen.
Weil wir den Krieg kennen und unter dem permanenten Risiko leben, unser Leben zu verlieren, lehnen wir die Infamie jener Regierungen mit allem Nachdruck ab, die unsere Völker als einfache Figuren auf ihrem unseligen Schachbrett ansieht. Wir alle haben die Pflicht, auf die Stärkung von Verhandlungslösungen zu drängen, um ein für alle Mal die Gefahren des Militarismus zu bannen.
In ähnlicher Weise äußerten sich eine Vielzahl von Organisationen von E1 Salvador. Nach der Entscheidung der salvadorianischen Regierung, die US- Truppen mit Nahrungsmitteln zu unterstützen, demonstrierten etwa 500 Bauern vor der US-Botschaft. Sie empörten sich gegen diese Entscheidung, weil unzählige Menschen in E1 Salvador an Unterernährung leiden. Marco Tulio Lima, Repräsentant des Gewerkschaftsdachverbands UNTS, rief Cristiani dazu auf, Abstand von jeder Hilfe für diesen Krieg zu nehmen. Jede Unterstützung der USA sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, betonte Tulio Lirna. In einer anderen Demonstration vor der US-Botschaft protestierten StudentInnen, KünstlerInnen und Intellektuelle gegen die Angriffe auf das irakische Volk. In ähnlicher Weise äußerten sich die BewohnerInnen der Rücksiedlungsstadt “Segundo Montes”, der Gewerkschaftsverband FEASIES und die Indigenen- Organisation ANIS. ANIS kündigte an, daß sie gemeinsam mit befreundeten lateinamerikanischen und europäischen Organisationen für den Frieden am Golf beten werden und “jene verurteilen, die aus Habgier und wegen des schwarzen Goldes die Menschheit und die Erde zu zerstören versuchen.”


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Anti-Imperialismus und Diplomatie

So richtig verstanden hatte es wohl niemand, als in der gespannten Zeit der rechtsextremen Offensive im Oktober/November vergangenen Jahres ausgerechnet der wichtigste Repräsentant der FSLN, der Ex-Präsident Daniel Ortega nicht im Lande war. Doch Ortega reiste in Friedensmission durch die Golfregion, während in Nicaragua ein Bürgerkrieg auszubrechen drohte. Angesichts der internen Probleme Nicaraguas wurde die Krise in der Golfregion erst relativ spät zum Hauptthema der Berichterstattung der nicaraguanischen Medien. Nur in “UNIVISION, einer in den USA produzierten spanischsprachigen Nachrichtensendung, die über den mittlerweile reprivatisierten Kanal 2 des nicaraguanischen Fernsehens allabendlich ausgestrahlt wird, erschienen schon seit Beginn der US-Truppenstationierung in Saudi-Arabien Bilder von Latino-US-Soldaten in der Wüste, die in die Kamera ihre Familie grüßten.
Doch zur echten, auch innenpolitischen Auseinandersetzung über den Golf-Konflikt kam es auch in Nicaragua erst, als der Ablauf des UN-Ultimatums kurz bevor stand. Während die Regierung Vorbereitungen traf, um möglichst schnell die nicaraguanischen Erdölreserven aufzustocken, reiste Daniel Ortega am 8.Januar erneut nach Jordanien und Bagdad, um wie andere internationale Politiker einen letzten Versuch zu einer Friedensinitiative zu starten. Landesinterne Begründung für die intensive Reisetätigkeit des Ex-Präsidenten war der Versuch, das im Esquipulas-Friedensprozeß und im Prozeß der Regierungsübergabe nach den nicaraguanischen Wahlen im Februar 1990 gewonnene internationale Prestige für den Frieden in die Waagschale zu werfen. “Auf den Spuren Carlos Andres Peres’,” so ein anderer Kommentar, sei Ortega unterwegs, um über diplomatische Aktivitäten die Aufnahme der FSLN in die Sozialistische Internationale vorzubereiten. Dafür sprechen die häufigen Treffen Ortegas mit Bonner SPD-Politikern wie Wischnewski und Brandt während seiner Reise.
Anders lesen sich hingegen die nach Kriegsbeginn veröffentlichten Stellungnahmen sowohl der FSLN als auch ihrer Parteizeitung, der Bamcada. In der Zeitung hieß es in einem Leitartikel: “Es ist ein verfluchter Krieg, weil er beschämend und ungerecht ist, sogar skandalös wegen der wirtschaftlichen, zahlenmäßigen und zerstörerischen Überlegenheit der Angreifer; weil er unmoralisch und zynisch ist, denn die niederträchtigsten wirtschaftlichen und politischen Interessen werden als das gemeinsame Wohl der ganzen Menschheit ausgegeben. Durch nichts ist der unbarmherzige Charakter und die doppelte Moral dieses Krieges so deutlich zum Ausdruck gekommen wie durch die Erlaubnis des Sicherheitsrates der UNO für die Aggression gegen Irak, weil er Kuwait besetzte, ein Land, das eine Erfindung der Ölgesellschaften auf irakischem Territorium ist.” (zit. nach ANN, 23.1.91)So versucht dieser Artikel, durch die Übernahme der irakischen Version von der historischen Zugehörigkeit Kuwaits zum Irak den offensichtlichen Konflikt zwischen zwei Grundprinzipien der sandinistischen Revolution zu umgehen: nationale Souveränität und Anti-Imperialismus. Beide Prinzipien haben in Zentralamerika einen natürlichen Feind, die USA. So ist die Tatsache, daß es diesmal die Führung des von Daniel Ortega zum “Brudervolk” erklärten Irak war, die mit der Besetzung Kuwaits ganz offensichtlich die nationale Souveränität eines Nachbarlandes verletzte, im politischen Diskurs einer zentralamerikanischen Befreiungsbewegung zumindest schwer unterzubringen. Der Feind meines Feindes ist mein Freund?
Die Nationalleitung der FSLN gibt in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme vom
18. Januar wesentlich differenziertere und moderatere Töne von sich. Es wird betont, daß dieser Krieg ums Öl besonders die Länder der “Dritten Welt” trifft, die weitere Steigerungen des Ölpreises nicht verkraften können. Das Volk Nicaraguas sei wie alle anderen Völker der Welt zur Geisel dieses Krieges geworden.
Die FSLN verurteile die Invasion des Irak in Kuwait genauso wie die US-Invasionen in Panama, Grenada und Nicaragua selbst. Es seien nicht alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft worden, daher müsse sofort ein Waffenstillstand geschlossen werden, um die Suche nach einer politischen Lösung doch noch einmal zu ermöglichen.
Doch wer das Wechselspiel zwischen Barricada-Kommentaren und Nationalleitungserklärungen in Nicaragua über längere Zeit verfolgt hat, wird einschätzen können, daß die Solidarisierung mit dem Irak dem politischen Gefühlsleben der antiimperialistisch-radikalen FSLN-Basis weit mehr entspricht als die diplomatischen Formulierungen der Nationalleitung.
Anders die konservative und regierungsnahe PRENSA, die voll auf US-Kurs steht und Hussein als ein von seinen Eltern verlassenes Kind charakterisierte, daß in jedem Lebensalter Beweise für seine Grausamkeit erbracht habe. Stolz werden in den USA lebende NicaraguanerInnen gezeigt, die als Soldaten der US Armee im Golf eingesetzt sind.
Bereits während der zweiten Jahreshälfte1990 waren die Benzinpreise in Nicaragua auf den vorher unerreichten Stand von 2´5US$ gestiegen. Der Verbrauch ging um 20% zurück und die Inflation kletterte weiter -der Benzinpreis hat eine Leitwirkung für die anderen Preise.


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“Argentinien ist im Krieg”

80% der ArgentinierInnen sind nach einer neuesten Umfrage gegen eine Beteili­gung argentinischer Truppen am Golfkrieg. Ungeachtet dieser eindeutigen Stimmung innerhalb der Bevölkerung wird Menem der Rolle des guten Verbün­deten der USA gerecht. “Dies ist ein entscheidender Schritt Argentiniens inner­halb der neuen Weltordnung, denn es erfüllt die Resolutionen, die vom UN-Si­cherheitsrat gefällt wurden”, sagte er in einer Pressekonferenz direkt nach Krie­gausbruch. Die beiden Kriegsfregatten sollen nach seiner Auffassung den kämp­fenden US-amerikanischen und britischen Truppen logitische Unterstützung lie­fern. “Länder wie Argentinien, Frankreich und Italien haben Schiffe zur logisti­schen Unterstützung entsandt, was nicht notwendigerweise Kampfbeteiligung bedeutet”, fuhr der Präsident fort. Nach dem Eintritt Frankreichs in die direkten Kampfhandlungen dürfte nach dieser Logik der argentinische Beitrag nicht lange auf sich warten lassen.
Menem spielt in Argentinien den souveränen Weltpolitiker, der “echte Verant­wortung” zu übernehmen weiß. Insgeheim hofft die Regierung allerdings darauf, daß sich diese Aufgabe des neutralen Status des Landes – eine der Prämissen der Außenpolitik unter Menems Vorgänger Alfonsín – finanziell auszahlen wird. Bis­her hat die kuwaitische Exilregierung 18 Millionen Dollar für die Entsendung be­zahlt. Doch Menem will am Krieg verdienen: “Der Krieg im Persischen Golf kann Argentinien helfen, so wie das auch beim Zweiten Weltkrieg der Fall war. Ar­gentinien hat Nahrungsmittel und einen Überschuß an Treibstoff, die in Nach­barländer exportiert werden können.” Kurz nach dem Kriegsbeginn informierte der paraguayische Industrieminister die Weltöffentlichkeit über das Angebot Ar­gentiniens, zu 100% die Ölversorgung des Nachbarlandes zu übernehmen.

Eklat im Parlament

Eine Debatte im Argentinischen Parlament nach Beginn der Krieghandlungen endete mit einem großen KrachKrach. Die regierende peronistische Partei stellte den Antrag, die logistische Unterstützung, die die argentinischen Schiffe leisten sollten, offiziell abzusegnen. Präsident Menem ging schon vor dieser Debatte da­von aus, daß “die Zustimmungdes Parlaments bei solchen sekundären Angele­genheiten nicht notwendig ist.” Das Parlament müsse lediglich einen Kriegsein­tritt Argentinien befürworten. Diesen hatte der Präsident aber kurz zuvor offizi­ell definiert: “Argentinien befindet sich im Krieg mit dem Irak”.
Die größte Oppositionspartei UCR kritisierte die Haltung der Regierung und der Vereinigten Staaten, und forderte den Einsatz von “UNO-Blauhelmen” anstelle der alliierten Truppen. Die Peronisten konterten mit der Begründung, die Ent­sendung der Schiffe im Namen der UNO sei “das Beste für das Schicksaal der Menschheit”. Gleichzeitig griffen sie die UCR für die Lieferungen der Condor-II-Raketen an den Irak an (s. Artikel im Heft). In der Erwartung eines negativen Ausgangs der Abstimmung zogen schließlich die peronistischen Abgeordneten aus und ließen die Parlamentssitzung platzen.
Die Äußerungen des Präsidenten darüber, daß das Land sich zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren im Krieg befindet, haben innerhalb der Regierung zu völliger Verwirrung geführt. Menems Bruder, Senator Eduardo, widersprach dem Präsidenten: “Nein, nein, Argentinien befindet sich nicht im Krieg!” Außen­minister Domingo Cavallo meinte dazu “Argentinien ist nicht neutral. Das heißt allerdings nicht, daß es sich im Krieg befindet.” Auf die Frage nach der Entsen­dung der Schiffe antwortete er: “Alle Länder sind verpflichtet, logistische Unter­stützung zu erteilen. Es ist richtig, daß Argentinien das einzige Land Lateiname­rikas ist, das Truppen an den Golf geschickt hat. Wir haben dies getan, weil wir am neuen internationalen Sicherheitssystem teilhaben wollen.”
Präsident Carlos Menem reagierte nach den ersten Bombenangriffen der Alliier­ten Truppen euphorisch und setzte auf einen schnellen Sieg: “Es war ein so machtvoller und starker Angriff, daß die Irakis keine Kapazitäten mehr für eine Reaktion haben.” Gleichzeitig wünschte er zwei Wochen nach der Begnadigung der Foltergeneräle Saddam Hussein “den sofortigen Tod, weil er die Menschen­rechte verletzt hat.” Diesem Zweckoptimismus wich allerdings ebenso schnell wie in den europäischen Ländern die Einsicht, daß das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist und die erste Offensive eben nicht so entscheidend war.
Wenn der Krieg sich Monate hinziehen wird, wird auch Menem in Argentinien enorme Schwierigkeiten bekommen. Die Opposition gegen die argentinische Be­teiligung am Krieg ist schon jetzt in der Mehrheit. Die Entscheidung des Präsi­denten wird sich dann spätestens bei den im Herbst anstehenden Parlaments- und Gouverneurswahlen bemerkbar machen.


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EI Condor Pasa -Wie Hussein zu seinen Raketen kam

Raketentechnologie made in Argentina

Schon zu Zeiten der Diktatur liebäugelten die argentinischen Generäle mit der Produktion von Mittelstreckenraketen, die auch atomar bestückbar sein sollten: die perfekte Ergänzung zu dem seit den 50er Jahren verfolgten Atomprogramrn. Bereits 1976 wurde hierfür in drei Fabriken an der Entwicklung der notwendigen Technologie gearbeitet.
1979 bekamen die argentinischen Militärs dann tatkräftige Unterstützung. Die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) und andere bundesdeutsche Unter-nehmen lieferten die notwendige Technologie. Unter dem Deckmantel der angeblichen Entwicklung einer “zivilen” Höhenforschungsrakete, die dazu dienen sollte, Satelliten ins All zu schießen, wurde seitdem gezielt an dem Projekt “Condor” gearbeitet. Die erste Produktion, die “Condor I”-Rakete, war mit 200 km Reichweite eine Kurzstreckenrakete, die ohne Probleme weiterentwickelt werden konnte.
1984 begannen buchstäblich über Nacht in dem 200-Seelen-Dorf Falda del Carmen in der argentinischen Provinz Cordoba die Arbeiten an dem wichtigsten argentinischen Raketenforschungs-und Produktionszentrum. Arbeiterinnen, die dafür speziell aus weit entfernten Provinzen angeheuert worden waren, konstruierten in drei Schichten Tag und Nacht innerhalb kürzester Zeit dieses Werk, ohne zu wissen, für wen und was sie da bauten.
1985 präsentierten die argentinischen Militärs dann stolz ihre Forschungsrakete “Condor 1AIII”auf der Pariser Luftschau Le Bourget. Als “Antwort auf die Herausforderungen des Weltraumzeitalters” sei diese “Vielzweckrakete” entstanden. Doch die Militärs hatten vor allem ein Ziel im Sinn: die Entwicklung einer militärischen Variante dieser Forschungsrakete. In Falda del Carmen arbeiteten jetzt 200 Fachkräfte unter der Anleitung internationaler SpezialistInnen an der Entwicklung der argentinischen Mittelstreckenrakete “Condor II”. Mit einer Reichweite von 1000 km und einer Nutzlast von 500 Kg ist sie ein “ideales” Trägersystem für alle Sprengkopftypen: chemische, biologische und nukleare.

Condor for Export -Zwischenlandung in Ägypten

Nachdem 1983 der zivile Präsident Raú1 Alfonsin den Militärhaushalt auf 2,8% des BSP zusammenstrich, konnten die argentinischen Militärs das Projekt unmöglich weiter aus eigenen Mitteln bezahlen. Die Suche nach der Kooperation mit anderen Staaten führte sie in den Nahen Osten.
Ägypten hatte der argentinischen Regierung Anfang der 80er Jahre ein Kooperationsangebot für das “Condor”-Projekt gemacht. 1985 unterzeichneten beide
Staaten einen “Langfristigen Vertrag für Technologietransfer und Zusammenarbeit” mit einem Volumen von 50 Millionen Dollar. Durch ein geheimes Präsidentendekret wurde 1987 das Joint-Venture INTESA gegründet, um den Technologietransfer nach Ägypten zu ermöglichen. Ägypten baute mit dem so erlangten Know-How seine Version der Condor II, die Badr 2000.
An dem Joint-Venture INTESA sind neben der argentinischen Luftwaffe die bundesdeutsche Firma CONSULTEC zu je 40% und die DESINTEC zu 20% beteiligt. Beide gehören der CONSEN, einem internationalen Firmenkonglomerat unter bundesdeutscher Führung.
Das ägyptische Raketenforschungszentrum,welches im Rahmen des joint-ventures mit Argentinien entstand, wurde von der Firma CONSEN geliefert. Die . wichtigsten Zulieferfirmen waren hierbei MBB, MAN und die italienische Fiat-
Tochter Snia-BPD.

CONSEN: MBBs Metamorphosen

Eine Studie des Pariser Simon-Wiesental-Zentrums lieferte 1989 detaillierte Erkenntnisse über die Geschäfte von CONSEN. CONSEN hat ihren Sitz in Zug
(Schweiz) und Montecarlo und arbeitet über ein weit verzweigtes Netz von
“Briefkastenfirmenf’ an dem Projekt “Condor”. An ihrer Spitze sitzen leitende An-
gestellte von MBB. 1987 übernahm CONSEN die argentinische Produktionsanlage in Faldas del Carmen.
Der Grund für die Schaffung der CONSEN war der “offizielle” Rückzug MBBs aus dem Condor-Geschäft. Britische, israelische und US-amerikanische Geheimdienste hatten eine Vielzahl von Einzelheiten zusammengetragen, die darauf hindeuteten, daß es bei dem Projekt “Condor” nicht nur um die Produktion einer Mittelstreckenrakete in Argentinien ging, sondern um die Weiterverbreitung dieser Waffe in die Länder des Nahen Ostens. Die Bundesregierung wurde von der UC-Regierung immer häufiger gedrängt, MBB die Exporte zu untersagen. So mußte sich MBB 1987 offiziell aus dem argentinisch-ägyptischenRaketenprojekt zurückziehen. Neben der Gründung von CONSEN, mit der MBB weiterhin im Geschäft blieb, führte das Unternehmen die sogenannte “Restabwicklung” der Aufträge jedoch über seine Tochterfirma Transtechnika bis in die heutige Zeit weiter.

Der Weg nach Bagdad

Bereits 1984 hatte der Irak großes Interesse an dem Raketenprojekt “Condor” ge-
zeigt. Im Juli 1987 schloß das irakische Staatsunternehmen Teco mit einer CON-
SEN-Tochter einen Vertrag ab, der den Irak zum Hauptträger des Condor-Projekts machte. Ein Raketenforschungszentrum im irakischen Mossul war zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden. Im Rahmen der Kooperation mit CONSEN entstanden in den nächsten Jahren zwei weitere Forschungs-und Produktionszentren im Irak.
Das Forschungs-und Raketen-Test-Gelände “Sa’ad 16” in der Nähe von Mossul wurde im Frühjahr 1989 eingeweiht. Dieses größte Militärforschungszentrum des Nahen Ostens diente vor allem der Weiterentwicklung der “Condor-II”-Technologie. Die bundesdeutsche Firma Gildemeister Projecta leitete als Generalunternehmerin die gesamte Konstruktion mit einem Volumen von 1,6 Mrd. DM. Neben dem Testgelände für die modifizierten “Condor-II”-Raketen dienten zahlreiche Labors der biologischen, chemischen und nuklearen Kampfstoffproduktion. In eigenen Hörsalen unterrichteten vornehmlich deutsche Techniker(Innen?) irakische Wissenschaftler(Innen?) und Offiziere im Umgang mit der Technologie für Wad 16. Diese hatte sich der Irak über Gildemeister Projecta vor allem von MBB (Raketenmotoren, logistische Sensorik, etc.), aber auch von 37 anderen bundesdeutschen Firmen zusammengekauft (z.B. Kar1 Kolb, Consultco, Integral Sauer und Schenk). H+H Metallform lieferte für “Sa’ad 16” eine Ultra-Zentrifugen-Anlage der Firma MAN, die zur Urananreicherung für den Atombombenbau dient. Von 1985-86 wurden außerdem eine Reihe von Forschungslaboratorien über MBB an den Irak geliefert. Auch US-amerikanische Unternehmen waren an die Sen Geschäften beteiligt. Simulations-Computer der Firma Hewlett Packard dienten in den Laboratorien zur Echtzeitflugbahnvermessung von Raketen.
Mit diesem Know-How und der über Ägypten aus Argentinien stammenden “Condor-I”-Technologie entwickelte der Irak die von der Sowjetunion gelieferten Scud-B-Raketen (300 km Reichweite) weiter. So entstanden die “Al Hussein” mit 650 km und die “Al Abbas” mit 900 km Reichweite, die der Irak im derzeitigen Golfkrieg einsetzt. Beide sind sowohl mit chemischen wie mit atomaren Spreng-köpfen bestückbar.
In Mahmudiya, südlich von Bagdad, wurde dann im Frühjahr 1989 eine weitere Raketenfabrik fertiggestellt. Es ist ein absolut identischer Nachbau der von CONSEN gebauten Raketenfabrik in Ägypten und der im argentinischen Falda del Carmen. CONSEN diente in diesem Vertrag mit dem Irak offiziell nur noch als Berater. In Wirklichkeit baute sie parallel die Fabriken in Ägypten. und im Irak. Die Lieferungen waren hierbei immer nach Ägypten deklariert. Über längere Zeit konnte sie so unbemerkt an der Anlage im Irak bauen.
Die Technologie kam wiederum aus der BRD: Schaltanlagen, Transformatoren und Stromverteilungsanlagen von Siemens, Technologie von H+H Metallform, MAN/Thyssen und anderen. Auf dem Gelände befindet sich neben der Produktionsanlage für die “Condor-II”-Rakete ein Testgelände für ihre Weiterentwicklung. Durch eine zusätzliche Stufe soll dort, laut Informationen des Spiegel, aus dem Condor-Projekt eine Interkontinentalrakete entwickelt werden.
Argentinien hat mit dem Irak nie einen direkten Vertrag unterzeichnet. Vor und nach dem Regierungswechsel in Argentinien Mitte 1989 erfolgte jedoch eine direkte Lieferung von 12 bis 20 “Condor-II”Raketen (ohne Sprengkopf) von Falda del Carmen. Fünf dieser Raketen dienten als Grundlage für die Entwicklung der irakischen “Tammuz 1”. Der Prototyp dieser 25 m langen und 48 Tonnen schweren Rakete wurde am 5.Dezember 1989 erfolgreich getestet. Sie sollte eine Reichweite von 2000 km haben und wurde vornehmlich mit westdeutscher Technologie entwickelt. Zur Serienproduktion ist es nicht mehr gekommen.

Argentinien steigt aus

Den USA waren die argentinischen Raketenentwicklungen schon seit geraumer Zeit ein Dom im Auge. So mußten die UnterhändlerInnen der argentinischen Regierung auch regelmäßig bei den IWF- und Weltbankverhandlungen oder bei anderen Gelegenheiten den US-TechnokratInnen Rede und Antwort stehen. Argentiniens Regierung versuchte den USA bis 1989 das Condor-Programm als ziviles Satellitenforschungsprojekt zu verkaufen. Anläßlich der Verhandlungen mit dem IWF im Frühjahr 1990 wurde dann allerdings von der US-Regierung eine endgültige Einstellung des argentinischen Condor-Programms verlangt. Als Deal boten die USA an, über 200 der argentinischen Übungsflugzeuge “Pampa” zu kaufen, wenn das Raketenprojekt eingestellt werden würde. Am 21.April verkündete Verteidigungsminister Romero dann öffentlich: “Argentinien hat entschieden, das “Condor-II”-Projekt einzufrieren. Die Einstellung des Projektes geschieht nicht aufgrund des Drucks anderer Länder, sondern wegen haushaltstechnischer Schwierigkeiten,” fügte er dann schnell noch an, um das Gesicht zu wahren. Experten sind sich allerdings darüber einig, daß die technologische Entwicklung der “Condor-II”-Rakete abgeschlossen ist. Ein erfolgreicher Testflug in Patagonien im März 1989 bestätigt diese.Vermutungen. Darüberhinaus hat die Weiterverbreitung der Technologie über Ägypten an den Irak ohnehin längst stattgefunden. Der US-Botschafter in Buenos Aires, Todman, lehnte einen Kontrollbesuch der stillgelegten Produktionsstätte ab, da die Zweifel der USA gegenüber dem Projekt weiter bestehen würden.
Die Entsendung der beiden argentinischen Fregatten an den Golf mag zum großen Teil durch die Trübung der Beziehungen zu den USA wegen der “Condor”-Affäre motiviert worden sein. Auch Israel soll wohl mit dieser Geste beruhigt werden, hatten sich doch die Israelis seit 1986 über den “Condor”-Deal beunruhigt gezeigt.

Befürchtungen der USA

Seit 1987 verstärkte die US-Regierung ihre Bemühungen, die internationale Weiterverbreitung (Proliferation) der Raketentechnologie zu unterbinden. Vor allem die in der “Dritten-Welt” voranschreitende Technologieentwicklung von Träger- Systemen, die geeignet sind, biologische, chemische und atomare Sprengköpfe hunderte von Kilometern zu transportieren, beunruhigen die Strategen des Pentagon. “Bis zum Ende der nächsten Dekade könnten 12 bis 15 Nationen in der Dritten Welt über eigene Raketenentwicklungssysteme verfügen -das kann de-stabilisierend wirken,” äußerte sich US-Verteidigungsrninister Cheney hierzu.
Mit dem Londoner Protokoll wurde 1987 das Raketen-Technologie-Kontroll-Regime (MTCR) etabliert. Die Unterzeichnerstaaten -USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, BRD, Japan und Kanada verpflichteten sich, keine Technologie für Mittelstreckenraketen-Programme an andere Länder weiterzuliefern. Als Paradebeispiel für die gefährliche Proliferation diente immer wieder das “Condor-II”-Projekt. Bei den Verhandlungen über das MTCR wurde die Bundesregienmg daher auch aufgefordert, MBB eindeutig zur Aufgabe des Projektes zu bewegen.

BRD: Exportieren was das Zeug hält

Die BRD-Regierung hielt die Vereinbarungen des Raketen-Technologie-Kontroll-Regimes (MTCR) unter Verschluß, während alle anderen Regierungen das Übereinkommen als großen Schritt feierten. Exporte einschlägiger Komponenten und Technologien wurden nicht verboten. Die Zollausfuhrstellen und die zuständigen Ausschüsse des Bundestages wurden nicht einmal über die Beschlüsse informiert. Kein Wunder, fürchtet doch die weltgrößte Exportnation, vom 4. Platz der Weltrangliste der Rüstungsexporteure abzusteigen.
Seit 1954 verzichtet die BRD auf die Herstellung atomarer, chemischer und biologischer Waffen im eigenen Land. Dennoch ist sie weltweit über Drittländer wie Argentinien, Ägypten oder den Irak an der Rüstungsproduktion dieser Waffentypen beteiligt. Deutsche Exportinteressen haben weiterhin Vorrang vor gesetzlichen Beschränkungen, und vor moralischen Skrupeln sowieso. Nicht nur die illegalen Rüstungsexporte sind das Problem, sondern vor allem die ganz ” “normalen”. Die “Condor-Connection” ist dabei nur ein Beispiel von vielen.

Für diesen Artikel wurden unter anderem folgende Quellen benutzt:
Página/3O; Pdginall2; lnternational Defense Review; Der Spiegel; Frankfurter Rundschau;
BUKO-Materialien.


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Bush besucht die “vertikale Hemisphäre”

Als Präsident Kennedy vor knapp 30 Jahren unter dem Eindruck der kubanischen Revolution die “Allianz für den Fortschritt” als Plan für ein großes gemeinsames Reformunternehmen der USA und Lateinamerikas aus der Taufe hob, galten als Voraussetzung einer grundlegenden Besserung noch soziale Gerechtigkeit, eine gründliche Agrarreform, Besteuerung des Luxus und des Reichtums, Kontrolle der Profite aus ausländischen Direktinvestitionen, staatlich geförderte Industrialisierung. Heute fliegt Kennedys später Nachfolger George Bush von einem Land Südamerikas in das nächste, um seine Präsidentenkollegen dazu zu beglückwünschen, daß sie “Reformen” durchgeführt haben, die im Namen von Demokratie und Marktwirtschaft mit den Illusionen von sozialer Gerechtigkeit und staatlicher Entwicklungspolitik gründlich aufgeräumt haben.
Die ganze erste Dezemberwoche war Bush unterwegs, in seinem neuen Regierungsflugzeug Air Force One jederzeit für die militärischen Planungen am Persischen Golf aufnahmebereit. Ziel waren die relativ reicheren und politisch wichtigeren Länder im Süden: Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile und Venezuela. Ausgespart wurden Länder, in denen wie in Bolivien, Peru, Kolumbien und Panama Drogenproduktion und Drogenhandel den Zorn der Führung des Hauptkonsumlandes von Drogen – nämlich der USA – erregen und wo deshalb diese Führung nicht gerade gern gesehen wird.

Die neue Morgenröte

Gefeiert wurde bei den Ansprachen vor den Parlamenten, den Treffen mit den Präsidentenkollegen Collor, Lacalle, Menem, Aylwin und Pérez sowie den Pressekonferenzen vor allem der Sieg der Marktwirtschaft, der nun – so Bush vor dem Parlament in Brasilia – die Möglichkeit “einer neuen Morgenröte für die Neue Welt” in Gestalt einer gigantischen Freihandelszone von Kanada bis Feuerland eröffne, einer “vertikalen Hemisphäre”, in der sich mehr als zwanzig marktwirtschaftlich orientierte Demokratien zusammenschließen könnten. Daß der Norden bei diesem Vertikalismus das Sagen hätte, ist gerade auch den brasilianischen Ökonomen klar, denen die Versuche einer eigenen Entwicklung von Mikroelektronik durch die erzwungene Öffnung ihres Marktes für US-Computer gerade erst ausgetrieben wurden.
Die Freihandelszone soll dem durch gewaltige Handelsbilanzdefizite angeschlagenen Imperium neue Absatzmärkte erschließen, Konkurrenzvorteile vor Japan, Südostasien und Westeuropa eröffnen und überhaupt ein Gegengewicht gegenüber der Europäischen Gemeinschaft begründen. Solange sich diese “Iniciativa para las Américas” darauf beschränkt, durch Abbau von Zollschranken und anderen Behinderungen den völlig freien Handel mit Waren und Dienstleistungen auf dem ganzen Kontinent zu organisieren, den freien Verkauf der Ware Arbeitskraft, das heißt: die freizügige Arbeitsmigration in die USA aber verhindert, so lange wird diese Art von Integration angesichts der relativen Marktmacht der “Partnerländer” und des herrschenden Produktivitätsgefälles nur im Sinne einer Verschärfung der Unterentwicklung Lateinamerikas wirken. Die in diesen Tagen verkündeten Änderungen der Einwanderungsbestimmungen der USA lassen aber nicht darauf schließen, daß solche Freizügigkeit innerhalb ganz Amerikas geplant sei.

Ohne Spendierhosen

Daß Präsident Bush seine Gastgeber zu kaufen versucht hätte, läßt sich nicht behaupten. Versprochen hat er ihnen zunächst gar nichts. Erst nach der Reise verlautete, daß die USA vielleicht zur Verbesserung der Absatzchancen für US-Produkte auf bis zu sieben der zwölf Milliarden US-Dollar verzichten könnten, mit denen die lateinamerikanischen Länder bei der US-Regierung verschuldet sind. Das wären gerade anderthalb Prozent der gesamten, ohnehin unbezahlbaren Außenschuld Lateinamerikas. Und dann wollen die USA so großzügig sein und 100 Millionen ( nicht Milliarden, Millionen! ) US-Dollar in einen multilateralen Investitionsfonds einzahlen, zu dem die europäischen Staaten noch das Doppelte beitragen sollen. Diese Summe entspricht einem Viertel eines Promille der lateinamerikanischen Auslandsschuld, oder anders: Sie entspricht der Summe, die in den letzten Jahren jeweils alle drei Tage netto aus Brasilien an die ausländischen Gläubiger geflossen ist. Das Imperium ist wahrlich bescheiden geworden.
Die gastgebenden Präsidenten gebärdeten sich wie Musterschüler. Argentiniens Menem konnte sogar mit einem zur rechten Zeit in Szene gesetzten und siegreich überstandenen Putschversuch rechtsradikaler Militärs sein Image als Vorkämpfer der Demokratie polieren, was alle Pläne für eine Demonstration der linken Opposition gegen den Bush-Besuch über den Haufen warf.
Der Chef der angeschlagenen Weltmacht konnte sich auf seiner ganzen Reise, sehen wir von ein paar Bombendetonationen in Buenos Aires und Santiago ab, über den freundlichen Empfang freuen, obwohl mindestens der eine Teil seiner frohen Botschaft, nämlich das neoliberale Programm für Privatisierung und ungehemmte Marktwirtschaft, in Brasilien und Uruguay, in Argentinien und Venezuela die schwere Krise der achtziger Jahre nicht behoben, sondern im Gegenteil noch verschärft hat. Einzig in Chile funktioniert die Marktwirtschaft, wenn auch nicht sozial und ökologisch orientiert, wie das heute gefordert wird, und schon gar nicht im Dienste der Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn sie funktioniert, dann ist das nicht das Ergebnis der Demokratie, die immer als Zwillingsschwester der Marktwirtschaft erscheint, sondern Resultat einer langjährigen und brutalen Militärdiktatur. Der Ex-Diktator General Pinochet, heute noch immer Oberbefehlshaber des Heeres in Chile, ließ es sich denn auch nicht nehmen, zur Begrüßung des Präsidenten der USA persönlich zu erscheinen und auf seine Verdienste für die Freiheit des Kapitals hinzuweisen.
Was George Bush, dem Propheten von Demokratie und Marktwirtschaft, einzig zu seinem Glück noch fehlt, benannte er auf der letzten Station seiner Reise in Caracas: Kuba, “der einzige und einsame Winkel des Totalitarismus auf dem amerikanischen Kontinent”, werde sich bald seines kommunistischen Regimes entledigen ( und damit wieder den reichen US-Amerikanern als Ferienparadies und Spielhölle zur Verfügung stehen ). Mag sein, daß er Recht behält und der Wind in diese Richtung bläst, zumal eine große Bewegung zugunsten sozialer Reformen wie vor 30 Jahren von Kuba nicht mehr ausgeht. Der Glaube aber, daß die Massen der Bevölkerung in Lateinamerika nun für immer beschlossen hätten, auf Ettikettenschwindler wie Menem in Argentinien hereinzufallen und die Mittel der Demokratie nur für die Wahl einer unterentwickelten Marktwirtschaft einzusetzen, wäre mindestens so naiv wie der Glaube an die Naturgesetzlichkeit der Weltrevolution.
Die Zeiten ändern sich. Nichts bleibt, wie es ist. Die Geschichte ist noch nicht am Ende.


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“Wir werden die größte Freihandelszone schaffen”

Diese Worte sprach der mexikanische Präsident Carlos Salinas de Gortari nach der Begegnung mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Bush der Presse. Gegenstand ihres Treffens vom 26.-27.11. in Monterrey (Mexiko) war neben der Bekämpfung der Drogenkriminalität und der illegalen Einwanderung mexikanischer TagelöhnerInnen vor allem die offizielle Aufnahme der Verhand­lungen für ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mexiko. Kanada, das schon seit 1988 einen solchen Vertrag mit den USA abgeschlossen hat, soll ebenfalls an den Verhandlungen teil­nehmen. Zu Dritt soll dann die größte Freihandelszone der Welt, mit 360 Millionen Menschen, ge­schaffen werden. Der endgültige Vertragsabschluß wird für das Jahr 1993 angestrebt, so daß spä­testens im Jahr 2000 das Vorhaben zu Realität wird.
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Osteuropa sowie der Schaffung des europäischen Binnenmarktes 1992 und der bereits existierenden Freihandelszone zwischen den USA und Ka­nada, sowie ähnlichen Entwicklungen in Asien, findet es die mexikanische Regierung in dieser neuen Ära der ökonomischen Blockbildung angemessen, sich einem der bestehenden Blöcke anzu­schließen. Entweder hat man/frau Zugang zu einem dieser Blöcke oder man/frau wird an dem Rand der Wirtschafts- und Wachstumsdynamik gedrängt, so die Botschaft von Salinas. Das Ab­kommen zur Schaffung der Freihandelszone soll die große Möglichkeit für mexikanische Expor­teure sein, sich nun endlich freien Zugang zum US-amerikanischen Markt zu verschaffen. Der Vertrag soll die Abschaffung der Zolltarife, sowie mehr Stabilität für den Zugang mexikanischer Erzeugnisse auf den US-Markt und Instanzen schaffen, durch welche Handelskonflikte gelöst werden. Bis jetzt sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Mexiko von einer nega­tiven Handelsbilanz zu Ungunsten der mexikanischen Wirtschaft bestimmt.

“Armes Mexiko, so weit von Gott und so nah an die Vereinigten Staaten!”

Dieser Satz, der paradoxerweise von jenem mexikanischen Diktator Porfirio Díaz stammt, der in seiner Regierungszeit (1877-1911) vor der mexikanischen Revolution die Tore des Landes ganz weit für ausländische Investoren öffnete und der stets im Zusammenhang mit der sozialen, wirt­schaftlichen oder politischen Lage zitiert wird, soll nun begraben werden. Schon im Vorfeld der Aufnahme von Verhandlungen zum Freihandelsabkommen ließ Salinas durch seine wirtschaftsli­berale Politik keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er es mit dem Zustandekommen des Ver­trages sehr ernst meinte. Mit einer Wirtschaftspolitik der drastischen Senkung der Zolltarife, der Liberalisierung des internen Marktes durch die Abschaffung von Subventionen (selbst für die Tor­tilla) und der Privatisierung vieler öffentlicher und staatlicher Unternehmen, wurde der Weg zu den Verhandlungen geebnet. Vor der Presse bescheinigte so auch der Präsident der US-amerikani­schen Unternehmensgruppe “Business-Round-Table” (die 200 der größten US-Unternehmen erfaßt) der Wirtschaftspolitik Salinas’ eine “uneingeschränkte Glaubwürdigkeit”. Ob die Erwartungen der mexikanischen Unternehmen in Bezug auf die Realisierung des Freihandelsabkommens erfüllt werden, ist jedoch sehr fragwürdig. Ebenso scheinen die sozialen, ökonomischen und selbst politi­schen Kosten, die ein solches Abkommen mit sich bringen würden, für den Regierenden erst ein­mal sekundär zu sein, stellt doch “diese neue Zeit” Momente dar, “denen man/frau nicht so ein­fach den Rücken zeigen darf.
Ein Blick auf die kanadische Erfahrung hätte doch zu einer kritischen Haltung sowohl der Regie­rung als auch der mexikanischen Wirtschaft gegenüber dem Abkommen verhelfen können.
Im Gegensatz zum Tempo, mit der die mexikanische Regierung den Vertragsabschluß anstrebt, ließ sich die kanadische Regierung relativ viel Zeit. Sie suchte darüber hinaus eine öffentliche De­batte über die Vor- und Nachteile des Abkommens. Sechs Jahre vor dem Vertragsabschluß (1988) wurde schon eine Regierungskommission gebildet, die sich inhaltlich mit dem Vertrag auseinan­dersetzte. In Mexiko dagegen wurde das Thema erst im September dieses Jahres im Senat disku­tiert. Der Bericht der kanadischen Regierungskomission wurde nach drei Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt, während in Mexiko die öffentliche Debatte sich quasi auf Treffen der verschiedenen Wirtschaftsverbände mit der Regierung reduziert. Der Erfolg der Verhandlungen, so der mexika­nische Handelsminister Serra Puche vor einer Unternehmerversammlung der USEM (Unión Social de Empresarios) am 18.10., erfordert, daß Regierung und Unternehmen zusammen sich auf dersel­ben Seite des Verhandlungstisches befinden. Eine breitere Diskussion in der Öffentlichkeit ist nicht beabsichtigt.

“Die Kanadier verstehen nicht, was sie unterschrieben haben. In ca. 20 Jahren wird ihre Wirtschaft in der US-Wirtschaft versunken sein.”

So resümierte Clayton Yeutter am 6.10.87 den Handelsvertrag, den die USA und Kanada an jenem Tag unterzeichneten. Und Yeutter wußte wovon er redete: Er war der Chef der US-amerikanischen Verhandlungskommission. Trotz der kritischen Stimmen, vor allem aus Gewerkschaften und der Kirche, kam es jedoch 1988 zum Vertragsabschluß zwischen Kanada und den USA. So äußerte die Vereinigte Kanadische Kirche ihre Befürchtung, daß mit der Unterzeichnung des Vertrages die Möglichkeiten, eigene Ressourcen und Kapitalanlagen für nationale Interessen zu mobilisie­ren/nutzen, sehr eingeschränkt würden. Mit der Wiederwahl des konservativen Brian Mulroney bei den kanadischen Präsident­schaftswahlen 1988 wurde zumindest formal das Ja zum Freihandelsabkommen gegeben, der im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand. Die Komplementäre Cha­rakter der Wirtschaftsstrukturen beider Länder so­wie die Ähnlichkeit der Sozial­strukturen ermöglichte denn auch einen breiten Konsens in der Öffentlichkeit über den Vertragsabschluß. In Umfragen gegen Ende 1989 nahm jedoch die Zahl der Stimmen gegen den Vertrag zu. Nach Angaben der kanadischen Zeitschrift Macleans kamen die Mehrheit der 57% Nein-Stimmen aus nationalistischen und gewerkschaftlichen Kreisen. So hätten laut der kanadischen Gewerkschaften ein­heimische Unternehmen dort schließen müssen, wo US-amerikanische gegründet worden seien. Zwischen 1988 und 1989 gingen 460 Betriebe in US-ameri­kanische Hand über, während 160 in kanadischen Besitz übergingen. 70% der ausländi­schen In­vestitionen in Kanada kommen aus den USA, während der kanadische Anteil an den ausländi­schen Investitionen in den USA nur 7,6% ausmacht. Nach Angaben des kanadischen Arbeiterkon­gresses, der den Zusammenschluß von 2,2 Millionen ArbeiterInnen repräsentiert, ist der Freihan­delsvertrag direkt für den Verlust von 105000 Arbeitsplätzen in einem Zeitraum von 8 Monaten verant­wortlich. Das Freihandelsabkommen, so wird weiter konstatiert, hat die Mög­lichkeiten der Regierung verringert, über Subventionen und Sozialleistungen für die Bevölkerung zu entschei­den. Über die kanadische Wirtschaft wird nun von ausländischen Gruppen und multinationalen Vereinigungen entschieden. Selbst der damalige kanadische Verhandlungschef Gordon Ritchie räumt gegenüber Macleans ein, daß er sich keine schlechtere wirtschaftliche Situation für die Um­setzung des Vertrages vorstellen kann, als die, die gegenwärtig das Land erfaßt.
Inzwischen mehren sich auch die Befürchtungen in Hinblick auf das Zustande­kommen des USA-Mexiko Vertrages. Ein trilateraler Vertrag mit Mexiko, den USA und Kanada wird nicht nur die wenigen Vorteile verschwinden lassen, die Kanada durch den Vertrag mit den USA hat, sondern auch die mögliche Schlie­ßung vieler Betriebe, vor dem Hintergrund der niedrigen Löhne Mexikos, mit sich bringen. Gerade der letzte Punkt hat auch den US-Gewerkschaftsdachver­band AFL-CIO dazu gebracht, sich kritisch gegenüber einem Freihandelsab­kommen mit Mexiko zu äußern. Diese Befürchtungen sind durchaus gerechtfer­tigt, da die Einkommensunterschiede enorm sind. In Ka­nada verdient ein Arbei­ter in der Industrie durchschnittlich 12 US $, in den USA 10, und in Mexiko nur 84 cents.

“Der Vertrag ist gut für Mexiko und gut für die USA; er ist gut für die mexikanischen Arbeiter und gut für die US-amerikanischen Arbeiter”

Ob sich diese Behauptung von Salinas am Tag der Unterzeichnung des Vertrages bewahrheiten wird, scheint angesichts der kanadischen Erfahrung sehr fragwürdig. Die wirtschaftliche Aus­gangssituationen von Kanada und Mexiko sind schon zu unterschiedlich als daß große Vorteile für die einheimische Wirtschaft durch den Vertragsabschluß zu erwarten wären. Mexiko sei durch die eingeleitete Modernisierung der Wirtschaft (Subventionsabbau, Privatisierung öffentlicher Be­triebe), so Salinas, jedoch bestens auf die Herausforderungen vorbereitet, die durch die Öffnung der Grenzen auf das Land zukommen, Im Vorfeld der Verhandlungen hat aber die Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung schon drastisch genug zu spüren bekommen, was diese Öffnung des Marktes für das ausländische Kapital für sie bedeutet: steigende Arbeitslosigkeit, Inflation, Sen­kung des Realeinkomens – Folgen, die die mexikanische Regierung als notwendige Schritte einer wirtschaftlichen Kurskorrektur verkauft.
In der Gegenwart ist Mexiko bereits vollständig von den USA abhängig. Der Anteil des mexikani­schen Außenhandels mit den USA beträgt 70%, während ebenfalls ca. 70% der ausländischen In­vestitionen in Mexiko aus den USA stammen. Ob die mexikanische Wirtschaft diese Abhängigkeit abbauen können wird bzw. ob sie überhaupt den Anforderungen, die auf sie zukommen, gewachsen ist, wird selbst von Vertretern der Privatwirtschaft angezweifelt. Die verarbeitende Industrie, die jetzt schon ein Handelsdefizit verzeichnet und deren Exporte ins Stocken geraten sind, wird einer der Wirtschaftszweige sein, die am stärksten durch das Freihandelsabkommen betroffen sein wird. Vor allem werden die mittleren und kleinen Betriebe von den Folgen des Ver­trages bedroht sein. Auch offizielle Angaben der Banco de México und des Handelsministeri­ums deuten auf mögliche negative Folgen für die verarbeitende Industrie hin. Die bisher stattgefunde Öffnung des mexikanischen Marktes hat sich, so die CANACINTRA (Cámara Nacional de la Industria de la Transforma­ción, Dach­verband der verarbeitenden Idustrie), schon jetzt nega­tiv für diesen Sektor aus­gewirkt. Bedenkt man/frau, daß gerade die verarbeitende Industrie in der Ver­gangenheit zu den Stützen der mexikanischen Wirtschaft gehörte, so werden alle Befürchtun­gen der Kritiker des Abkommens bestätigt.

Das Erdöl

Da ein sehr großer Teil der mexikanischen Wirtschaft sich bereits in ausländischer und privater Hand befindet und quasi, mit Ausnahme der Erdölindustrie, nur noch uninteressante “Objekte” zur Disposition stehen, fragt man/frau sich, woran die US-Wirtschaft noch so interessiert ist. Sicherlich an den billigen Arbeitskräften, die Mexiko reichlich zu bieten hat, an einem noch inten­siveren Einfluß auf die mexikanische Wirtschaft, aber vor allem am Erdöl.
Die mexikanische Regierung hat zwar stets betont, daß das Erdöl weder in die Verhandlungen einbezogen wird, noch daß ausländische Unternehmen in Zukunft am (Weiter-) Verarbeitungs­prozeß und Export beteiligt werden. Alles deutet aber daraufhin, daß die Pläne der USA anders aussehen. Gerade an diesem Punkt soll die Verhandlungsbereitschaft der mexikanischen Regie­rung gemessen werden. Ein Vertrag ohne die Einbeziehung des Erdöls würde aber das Interesse der USA am Zustandekommen desselben sehr vermindern. Salinas müßte jedoch bei einer Zusage einen zu hohen politischen Preis bezahlen, da die Privatisierung der Erdölgesellschaft seit dem Jahre 1938 Tabuthema für alle Präsidenten war/ist.

Offene Fragen

Kann mit der Öffnung der mexikanischen Wirtschaft auch auf mehr innenpolitische Glasnost gehofft werden? Die jüngsten Gemeindewahlen Anfang November in den Bundesstaaten Mexiko und Coahuila haben jedenfalls bewiesen, daß der Wahlbetrug weiterhin als Instrument der Regie­rung fortbesteht, um die Opposition aus dem politischen Geschehen fernzuhalten. Von der Oppo­sition kommen auch die kritischen Stimmen gegen die von Salinas eingerichtete Menschenrechts­kommission (Comisión Nacional de Derechos Humanos). Kein Zweifel besteht also darüber, daß die Regierung, um ihre Modernisierungspolitik fortzusetzen, weiterhin auf Wahlbetrug und Repression setzen wird. Der Widerstand gegen diese Politik nimmt indessen zu, so daß sich auch die Frage stellt, ob es die Regierung bis zum vorraussichtlichen Vertragsabschluß 1993, auch ange­sichts wachsender Kritik im US-Kongreß, schaffen wird, ohne innenpolitische Glasnost auszu­kommen.
Mexiko, ein Land, das stets versucht hat, seine Bindung zu Lateinamerika zum Bestandteil seiner Außenpolitik zu machen, wird sich vom Rest Lateinamerikas nach Vertragsabschluß gezwunge­nermaßen trennen müssen. Diese berechtigte Angst vieler LateinamerikanerInnen versuchte Salinas auf seiner jüngsten Lateinamerika-Reise (5.-13.10), kurz vor der Bush Reise (siehe Artikel in dieser LN) auszuräumen. Er vertröstete seine Gesprächspartner mit der fernen Aussicht auf ein Zustandekommen einer großen amerikanischen Freihandelszone, gemäß der Idee von George Bush (s. LN 196). Daß bis dahin sehr viel Zeit vergehen wird, und unter wessen Diktat sich dann die jeweiligen Länder stellen müssen, ist ein offenes Geheimnis. Der lateinamerikanische Markt ebenso wie eine Organisation Amerikanischer Staaten ohne die USA sind nun endgültig vom Tisch. Die Frage ist somit, welchen außenpolitischen Kurs Mexiko künftig in Bezug auf seine Brüder/Schwesterländer steuern wird? Vielleicht wird Mexiko die Rolle Spaniens übernehmen und als “Brücke für einen großen freien Markt” dienen.


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Die letzte Schlacht der Carapintadas

Im Morgengrauen des 3.Dezember hatten die ultranationalistischen Carapintadas in mehreren Gruppen das Oberkommando des Heeres (Edificio Libertador), die Patricios-Kaseme im Nobelstadtteil Palermo, eine Panzerfabrik und den Sitz der Küstenwache und Marine gestürmt. Während sie im Hauptquartier des Armeekommandos von einem der ihrigen hineingelassen wurden, schossen sie in der Kaserne kurzerhand drei Wachposten über den Haufen. “Es handelt sich hierbei nicht um einen Putschversuch”, erklärte der Sprecher der Aufständischen Mayor Hugo Abete und forderte den Rücktritt der Heeresführung, höhere Sold- zahlungen und die Wiederherstellung der “Würde des argentinischen Militärs”. Er stellte den Aufstand in den Zusammenhang der letzten Rebellionen und sprach von “der vierten Etappe der Operación Dignidad (Operation Würde, wie die Carapintadas ihr Programm nennen).

Kompromißlose Härte

Während sich in der Provinz Entre Rios eine rebellierende Panzerkolonne in Richtung auf die Hauptstadt zu bewegte, befahl Präsident Menem “mit aller Härte gegen die Rebellen vorzugehen” und verhängte landesweit den Ausnahmezustand. Kompromißlos verkündete er: “Es wird auf keinen Fall verhandelt.” Die loyalen Truppen wußte er dabei hinter sich. Der Heeresstabschef General Bonnet verkündete in einer Femsehansprache ein Ultimatum: “Ich will, daß sie sich barfuß und in Unterhosen ergeben.” Gleichzeitig bezeichnete Bonnet die Aufständischen als “Subversive”, das heißt als Todfeinde der Streitkräfte, mit denen es unmöglich ist zu leben.
Mit Ablauf des Ultimatums am Nachmittag gab Menem den loyalen Truppen den Befehl, den Aufstand niederzuschlagen. Die Einheiten hatten mittlerweile in unmittelbarer Nähe des Regierungsgebäudes ihr Hauptquartier eingerichtet und rückten nun mit Panzern und schwerster Bewaffnung zu den besetzten Rebellenstützpunkten vor. Wahrend sich die Carapintadas in der Patricios-Kaserne sofort ergaben, kam es in der Rüstungsfabrik und an der Hafenpräfektur zu starken Feuergefechten. In der Panzerfabrik bemächtigten sich die Rebellen einer fabrikneuen Serie von TAM-Panzern. Mit diesen entflohen sie aus der Stadt. Bei dieser Flucht überfuhren sie unter anderem einen Linienbus. Bilanz: 5 Tote und über 20 verletzte Zivilisten. An der Hafenpräfektur schossen die Besetzer wahllos in die Menge der angesammelten Zivilisten. Drei Journalisten wurden hierbei schwer verletzt. In dem Stadtteil brach eine Panik unter der Zivilbevölkerung aus, die buchstäblich um ihr Leben rannte. Nach einer kurzen aber heftigen Schlacht ergaben sich auch hier die Rebellen.
Die Panzerkolonne der in der Provinz Entre Rios rebellierenden Militärs wurde von der Luftwaffe bombardiert und an der Weiterfahrt gehindert. In den Abendstunden konzentrierten sich dann die Auseinandersetzungen auf das nur 200 Meter vom Regierungspalast entfernte Oberkommando des Heeres Libertador. Nach der Umstellung des Gebäudes mit Panzern und dem Überflug mehrerer Militärflugzeuge streckten auch hier die Rebellen in den frühen Abendstunden die Waffen.

Menems Entfremdungstheorie

Die Bilanz dieser kürzesten Rebellion in Argentinien ist verheerend: mindestens 21 Tote und über 200 zum Teil schwer Verletzte. Unter den Toten befinden sich mindestens 6 Zivilisten und 8 Rebellen. Bei den vorhergehenden Rebellionen waren “lediglich” in Villa Martelli 3 Zivilisten getötet worden. “Auf das vergossene Blut derjenigen, die kaltblütig ermordet wurden, wird es eine Antwort geben”, erklärte Menem auf einer Pressekonferenz, kurze Zeit nach Beendigung der Rebellion. “Dies sind die Wahnvorstellungen einer Gruppe von Dilettanten, die sich für Erleuchtete halten. Das ist nur mit vollkommener Entfremdung zu erklären.”
Der Kopf und eigentliche Anführer dieser Rebellion war wie schon in Villa Martelli im Dezember 1988 Oberst Seinelín. Zu diesem Zeitpunkt saß er allerdings in Patagonien, 1500 km südlich von Buenos Aires, in Haft. Am 20. Oktober hatte der Putschist in einem Brief an den Präsidenten vor “wachsender Unruhe und Unzufriedenheit in den Reihen des Heeres” gewarnt, die in ihrem Ausmaß von niemandem abzuschätzen seien. Er forderte Menem auf, die Einheit des.Heeres durch einen Wechsel an der Führungsspitze herbeizuführen. Für diese Äußerungen hatte er von einem Militärgericht 60 Tage Arrest bekommen. Der Sprecher der jüngsten Rebellion -Mayor Hugo Abete -gilt als engster Vertrauter des Oberst. Beim Aufstand 1988 hat er sich als letzter -vier Tage nach dem offiziellen Ende der Rebellion -den loyalen Truppen ergeben. Vor Seineldíns Abflug zur Arresthaft hatte er sich Anfang November mehrere Stunden mit ihm zu einem Gespräch in seinem Haus getroffen.
Nach der Niederschlagung der Rebellion bat Seineldin um eine Pistole, um sich zu erschießen. Als er diese nicht bekam, entschloß er sich dann, einen weiteren Brief an die Regierung zu schicken, in dem er die volle und alleinige Verantwortung für die Rebellion übernahm: “Alle befolgten strikt die Anordnungen, die
ich befohlen hatte.” Der Brief war versehen mit dem Motto: “Gott und Vaterland oder Tod!” (Dann wohl eher letzteres!)

Unliebsame rebellische Zeitgenossen

Der offensichtliche Unterschied zu den drei vorhergehenden Militärrebellionen unter der Amtszeit von Menems Vorgänger Alfonsin (LN 160,164,178) besteht in dem rigiden Vorgehen der loyalen Truppen. Dauerte die ersten Aufstände zwischen 4 Tagen und über einer Woche, so wurden die Carapintadas dieses Mal in nur 18 Stunden niedergeschlagen. Anders als Alfonsin konnte Menem mit der totalen Loyalität des Militärs rechnen. Unter Menem Vorgänger ging es den Aufständischen vor allem darum, die Verurteilung der Militärs wegen der Menschenrechtsverletzungen während der letzten Diktatur (1976-1983) aufzuheben. Hierbei wurden sie auch von den liberalen Militärs unterstützt. Die Begnadigung eines Großteils der Verurteilten durch Menem im letzten Jahr (LN 186) und die angekündigte Amnestie für die letzten 20 inhaftierten Generäle noch in diesem Jahr haben diese zentrale Forderung erfüllt und zu dem loyalen Verhalten der Mehrheit des Militärs beigetragen. Die Forderung der Rebellen nach der “Wiederherstellung der Würde der Militärs” -also der Anerkennung der “Verdienste im Kampf gegen die Subversion” (während der letzten Diktatur sind über 30.000 Menschen verschwunden) -wird von den Loyalen als unnötig angesehen. Sie haben schon längst erreicht, was sie wollen: ihre Straffreiheit.
Die breite Beteiligung an der jetzigen Rebellion -mit über 600 Soldaten mehr als je zuvor -läßt sich auf andere Gründe zurückführen. 95 %der Beteiligten waren Unteroffiziere -also niederen Ranges. Die schlechte Besoldung und die seit Monaten versprochenen aber ausbleibenden Solderhöhungen sind ein wesentliches Moment der real existenten Unzufriedenheit in diesen unteren Rängen. Gerade sie erlebten in den letzten Monaten -ähnlich wie große Teile der Bevölkerung -eine regelkrechte Verarmung. Gleichzeitig beabsichtigt die Regierung, zum 1. Januar 1991 eine Umstrukturierung des Militärs -inklusive der Privatisierung ihrer Unternehmen -und eine Reduzierung der “zivilen” Angestellten um 40% vorzunehmen. Seineldin hat durch gezielte Agitation gerade in den unteren Rängen diese Unzufriedenheit weiter geschürt und gegen das liberale Wirtschaftsprogramm Menems agitiert.

‘Die Zeit der Diktaturen ist vorbei!’

Auffallende Unterschiede zu den vorhergehenden Revolten sind zum einen die geringe Beteiligung früherer Rebellen (weniger als 10%) und die Unterstützung von Zivilisten. 83%der Beteiligten sind unter 35 Jahren, haben also ihre Karriere nach dem “schmutzigen Krieg” begonnen. Es rebellierten also andere Teile des Militärs als 1987 und 1988. Gleichzeitig schossen bei dieser Revolte zum ersten Mal seit 1963 Militärs auf ihre “Berufskollegen” und verletzten so eine interne Regel aller Militärs. Dadurch wurde das unerbittliche Vorgehen der loyalen Truppen weiter verstärkt.
Daß die Rebellion ausgerechnet zwei Tage vor dem Besuch des US-Präsidenten George Bush -dem ersten US-Staatsbesuch seit 30 Jahren -stattgefunden hat, mag den liberalen Militärs ebenfalls nicht gefallen haben. Bush stärkte Menem allerdings den Rücken und dachte “keinen Moment daran, die Reise zu verschieben”. Am 5.Dezember beglückwünschte der ehemalige CIA-Chef dann den argentinischen Präsidenten (“einer der Anführer dieser Welt”) zur Niederschlagung der Revolte und meinte: “Die Botschaft ist klar: Die Demokratie ist in Argentinien, um dort zu bleiben. Die Zeit der Diktaturen ist vorbei.”
Dennoch hat diese Militärrebellion sicherlich auch negative Effekte für das Image im Ausland: Die Instabilität des Regimes ist für viele einmal mehr unter Beweis gestellt. Und in ein solch unsicheres politisches Klima Auslandsinvestitionen zu holen , ist sicherlich noch schwieriger als ohnehin schon. Die zur Zeit in Buenos Aires kursierenden Gerüchte über angebliches Wissen der Regierung von der geplanten Rebellion verstärken diesen Trend. Wenn Menems Geheimdienste wirklich den Präsidenten vorher über den bevorstehenden Putschversuch informiert haben und Menem die Rebellen quasi bewußt ins offene Messer rennen ließ, wird das Ausland sicherlich nicht so positiv wie erwartet reagieren. Dieser angebliche Loyalitätstest für die Streikräfte könnte sich schnell in einen Bumerang verwandelnd und das Image des Präsidenten durch schlechtes politisches Management und das in Kauf nehmen von 22 Toten trüben.
Innenpolitisch hat Menem mit seinem harten und unnachgiebigen Vorgehen allerdings gewiß an Popularität gewonnen. Mit der zentralen Forderung “Kapitulation oder Auslöschung” stellte Menem seine politische Führungsmacht gerade auch im Unterschied zu Alfonsin unter Beweis und ist in seinem autoritären Führungsstil bestärkt worden. Ließ sich Alfonsín durch Verhandlungen alle Zugeständnisse abpressen, so konnte Menem den “harten Caudillo” spielen, haben die Militärs doch schon längst, was sie wollen. Wie lange dieses positive Image des Präsidenten anhält, hängt allerdings auch von dem Tempo und dem Verlauf der Prozesse ab. Wenn auch die Ankündigung der Todesstrafe sicherlich nur ein populistischer Schachzug ist, kann Menem nun auf keinen Fall geringe Arreststrafen verhängen. Aber es liegt auch in seinem Interesse, die Rebellen für längere Zeit hinter Gitter zu bringen, um sich das Problem vom Leib zu schaffen. Die Militärgerichte nahmen bereits zwei Tage nach der Beendigung ihre Arbeit auf: Die Rebellen sollen in einem gemeinsamen Gerichtsverfahren abgeurteilt werden. Pikant ist natürlich, daß die Anführer dieser Rebellion im Herbst vergangenen Jahres von Menem amnestiert worden waren. Begründung: Wiederherstellung der Einheit des Militärs. Diese Argumentation wird nun im nach-hinein Lügen gestraft.

Das Ende der Rivalitäten -Die Einheit des Militärs

Der Putschversuch vom 3. Dezember markiert das vorläufige Ende der Rivalitäten innerhalb des Militärs. In der argentinischen Geschichte prägten immer wie-der die Auseinandersetzungen zwischen den nationalistischen und den liberalen Fraktionen des Militärs die Politik. In wechselnden Allianzen mit der nationalen Industriebourgeoisie und den Großgrundbesitzern und dem Finanzkapital führten diese Auseinandersetzungen zu ständig wechselnden Regierungen und Putschen, die die Instabilität des Landes kennzeichneten. Mit dem Putsch 1976 setzte sich zum ersten Mal die liberale Fraktion, die vor allem mit dem Auslandskapital verbunden ist, langfristig durch. Das Scheitern dieser Diktatur und der verlorene Krieg um die Malvinen ließen nach 1983 die alten Konfliktlinien wieder erscheinen. Die jüngste Revolte macht allerdings Schluß mit dem Mythos des “nationalen Heeres”, welches gegen die Großmacht USA die nationalen Interessen des Landes vertritt. Vielmehr hat der “loyale”Teil der Armee verstanden, daß dem Heer in der derzeitigen politischen Situation eine neue Rolle innerhalb der argentinischen “Demokratie” zukommt. Die Entsendung von zwei Schiffen an den persischen Golf ist Ausdruck dieser neuen Aufgaben der Militärs, die nun nicht mehr offen die eigene Bevölkerung unterdrücken sollen. In dieser Position ist das Militär nun eindeutig gestärkt.
Dieser Restrukturierungsprozeß der Armee folgt der wirtschaftlichen und politischen Restrukturierung des Landes. Menem hat den Neoliberalen -dem Auslandskapital und der nationalen Finanzbourgeoisie- das politische Feld geebnet. Das Militär zieht nun nach, schließlich wurde es auch in der Vergangenheit immer wieder von wirtschaftlichen Interessengruppen instrumentalisiert (s. Kasten). Es ist ein Sieg der liberalen Militärs, nicht der demokratischen. Neoliberalismus und gute internationale Beziehungen, vor allem mit dem engsten Vertrauten USA haben über den nationalistischen Antiimperialismus der faschistoiden Carapintadas gesiegt. Es ist in dieser Zeit einfach nicht angebracht, so offen wie die Carapintadas den wahren Charakter der argentinischen Militärs zur Schau zu stellen.
Die Carapintadas werden allerdings von Zivilisten unterstützt, die ihnen schon in der Vergangenheit mit großen Geldmengen aushalfen. Diese Zivilisten sind diejenigen, die mit der Wirtschaftspolitik des Präsidenten nicht einverstanden sind und um ihre Interessen ringen. Gleichzeitig werden die Forderungen Seineldins auch von einem großen Teil -vor allem auch der armen -Bevölkerung unterstützt. Gescheitert ist allerdings die militärische Variante dieser Politik. Für Seineldín zukunftsweisender ist vielleicht das Projekt seines Kompagnons Aldo Rico, der nun über eine Partei und die Kandidatur für den Gouvemeursposten der Provinz Buenos Aires auf politischem Wege weiterzuarbeiten versucht. Rico beschimpfte seinen ehemaligen Kampfgefährten nach der Rebellion als “Hurensohn” und “Verräter”. Schon vorher hatte er Seineldín darauf hingewiesen, daß die militärischen Rebellionen kontraproduktiv und überholt seien. Die Ideen und Inhalte der Carapintadas werden auf jeden Fall noch länger das politische Leben mitbestimmen. Ein nationalistisches Projekt gewinnt dann an Bedeutung, wenn sich die Unzufriedenheit über Menems liberales Regierungs-Programm weiter steigert. Ob allerdings Seineldin dabei noch einmal eine Rolle spielen wird, ist eher unwahrscheinlich.

Kommentar von Eduardo Aliverti (Página/12, 9.12.1990)

Sein oder nicht Sein

Vor 40 Tagen hat der Folterer von Villa Martellii in seinem Brief an die Regie-rung behauptet, es werde etwas passieren, da die Unzufriedenheit der Militärs ihren Höhepunkt erreicht habe. Der letzte Montag war das bestätigende Element, denn diese wahrscheinlich unumgängliche Berufs-und vor allem Identitätskrise des Militärs, die seit den Malvinas dahinkroch, war nie so offen-sichtlich geworden. Vor langer Zeit gab es die letzten Schußwechsel zwischen den Fraktionen, aber die jetzige Krise ist konzeptionell viel schlimmer.
Damals (50er -70er Jahre) handelte es sich um zwei machtpolitische Projekte, mit dem Ziel sich der Führung des Landes zu bemächtigen oder sie zu beeinflussen. Heute ist es die Auseinandersetzung von zwei oder mehr Gruppen, die um das Wie des Überlebens des Militärs kämpfen. Selbst die USA brauchen diese teuren lateinamerikanischen Streitkräfte nicht mehr, die in Zeiten globaler Entspannung und des Siegeszugs des Kapitalismus ihren parasitären Charakter entfalten. Was am Montag endete, ist der interne Kampf zwischen einer Verbindung von Dilettanten, mit bemalten Gesichtern, die sich nicht dem kontinentalen Patron fügen wollen, obwohl sie im Genozid mitgewirkt haben, der von ihm angeordnet worden war, um ein ökonomisches Modell von Industrieruinen und 50 Mrd. US.-Dollar Auslandsschulden zu produzieren; und einer anderen Vereinigung, die bereit ist, eine neue amerikanische Ordnung zu akzeptieren, in der die Militärs für lange Zeit nicht mehr die Option für politischen Einfluß oder Macht haben werden. Auf jeden Fall sind es nicht das Volk oder dessen Repräsentanten, die darüber bestimmen, was die Aufgabe der Militärs sein soll. Es sind andere Leute, die die Wichtigkeit der Militärs in der einen Etappe und die Nutzlosigkeit in der anderen bestimmen. Unter ihnen zum Beispiel derjenige, der uns diese Woche besucht.


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Ein Jahr unter US-geschützter Demokratie

Regierung von US-amerikanischen Gnaden

Am Nachmittag des 20.Dezember 1989 wurden die drei Kan­didaten der Opposi­tion, Guillermo Endara, Ricardo Arias Calderón und Guillermo (Billy) Ford vom Chef der Südko­mandos der US-Streitkräfte nach Fort Clayton eingela­den. “Sind Sie bereit Ihre Posten einzunehmen?”, lau­tete dort die Frage an die panamaischen Politiker. Sie waren bereit. Heute besetzen die zuvor in der “Demokratischen Allianz der Zivilen Opposition” (ADOC) zusammengeschlossenen politischen Kräfte die wichtig­sten Regierungsposten. (siehe LN 193) Guillermo Endara, poli­tischer Zögling des großen Mannes der panamaischen Politik und Begründer des Panameñismo Arnulfo Arias, ist heute Präsident. Er ist es jedoch nur von “US-amerikanischen Gnaden”, denn mit einer verstärkten Besatzungsmacht im Land ist der Hand­lungsspielraum der Regierung eingeschränkt. Der Panameñismo, die über Jahrzehnte die panamaische Politik bestimmende Bewegung, befindet sich seit dem Tod seines Grün­dungsvaters Arias 1988 in der Krise. Inwischen ist er in vier Fraktionen zersplittert.
“Der Panameñismus ist in der Regierung, aber er hat keine Macht”, bestärkt Royo Linares, Rechtsanwalt und unabhängiger Politiker aus dem panameñistischen Lager, diese Tatsache und fügt hinzu: “Man muß kein besonders scharfer Beob­achter sein, um festzustellen, daß die Arnulfisten, die Endara begleiteten, nicht in hohen Führungspositionen zu finden sind, und daß die arnulfi­stische Basis durch die Parteien der Regierungsallianz verdrängt worden sind – insbe­sondere durch die Christ­demokratie, die bei den Wahlen 1989 (als die Arnulfi­sten selbst nicht zu den Wahlen zugelassen waren – V.H.) am meisten durch die Arnulfisten begünstigt wor­den ist.”
Tatsächlich haben die Christdemokraten (PDC) unter Füh­rung von Arias Calde­rón, dem jetzigen Ersten Vizepräsi­denten, zudem Justiz- und Innenminister, aus heutiger Sicht gute Chancen, die Partei der Zukunft zu sein. Sie sind die zur Zeit am besten organisierte Partei und erfreuen sich ausländischer Unterstützung.

Die Auseinandersetzungen um die Streitkräfte

Stolperstein könnte für die PDC jedoch der Aufbau der “Fuerza Publica” sein, die an die Stelle der alten Streitkräfte getreten ist. Dafür nämlich ist ihr Par­teiführer Calderón zuständig. Laut Dekret Nr. 38 soll den neuen “Öffentlichen Ordnungs­kräften” die Aufgabe zukommen, “die demokratischen Institutionen zu schüt­zen” und für den Fall eines “Krieges oder der Störung der öffentlichen Ordnung” die Einsatzkräfte zu verstär­ken.
Vielleicht die entscheidendste Konsequenz der US-Inter­vention war die Auflö­sung der panamaischen Streit­kräfte. Sie waren bisher Garant für eine eigenstän­dige panamaische Politik gewesen und seit Ende der 60er Jahre bildeten sie die ent­scheidende Machtstütze des nationalpopulistischen Regimes Omar Torijos’. Un­ter dem Namen “Panamaische Verteidigungskräfte” hatte Noriega in ihnen sei­nen bedeutendsten Rückhalt gefunden.
Der Christdemokrat Arias Calderón war bereits Mitte des Jahres heftig kritisiert worden, weil er Teile der alten Armee in die neuen Polizeikräfte übernehmen wollte. Obwohl die ehemaligen “Verteidigungskräfte” in vier polizeiliche Dienste unter getrenntem Kommando von Regierung, Justiz und Präsidentschaft gesplittet werden sollten, fürchteten die anderen politischen Kräfte, daß die Christdemokratie sich hier einen Garanten ihres eigenen “demokratischen” Pro­jektes heranziehen wolle. In den bisherigen “Fuerzas de Defensa de Panamá” (FDP) selbst finden sich unterschiedliche Interessensgruppen: die während der Noriega-Herrschaft exilierten Offi­ziere, die Offiziere, die an der Miltärrevolte am 16.März 1988 beteiligt waren, die Offiziere, die an der Militärerhebung vom 3.Oktober 1989 gegen Noriega mitwirkten und die Offiziere, die nach der Inva­sion die neue Regierung anerkannt hatten und mit ihr zusammenar­beiten woll­ten.
Inzwischen mußten bereits drei neu eingesetzte Chefs der Fuerza Publica entlas­sen werden.
Die Unruhe in den neuen Polizeikräften fand ihren Höhe­punkt in einem Mili­täraufstand am 5. Dezember. Der erst im September von seinem Posten als Chef der Fuerza Publica enthobene Eduardo Herrera hatte mit seinen Leuten das Haupt­quartier der panamaischen Staatspolizei besetzt. Nach kurzer Zeit umstellten US-Truppen jedoch das Gebäude und bereiteten dem Aufstand ein rasches Ende. Der ehemalige Oberst der panamaischen Streitkräfte war Mitstrei­ter Manuel Noriegas gewesen. 1988 wurde er von diesem jedoch auf einen Bot­schafterposten nach Israel abgeschoben. Im Verlaufe desselben Jahres noch organi­sierte er einen von der CIA geplanten Putsch gegen Noriega. Nach dessen Scheitern lebte Her­rera in Miami und kehrte am 20.Dezember mit den US-Invasi­onstruppen in seine Heimat zurück. Im Oktober nun war er unter dem Vorwurf, er plane die Desta­bilisierung der Regierung Endara, in Haft genommen worden. Mit Unterstüt­zung von außen gelang ihm jedoch die Flucht von der Gefangenen­insel Coiba. Es sei ihm um eine bessere Besoldung der neuen “Öffentlichen Ord­nungskräfte” gegangen, die ihn zu ihrem neuen Sprecher ernannt hätten. Er wolle mehr Respekt gegenüber dieser Institu­tion erreichen und fordere eine nationalisti­schere Hal­tung der neuen Führung. (Siehe dazu den Kommentar im Kasten)

Die Wirtschaftspolitik der Regierung

Der aus der als neoliberal bekannten Molirena-Partei kommende Guillermo Ford ist als Planungsminister für die Wirtschaftspolitik der Regierung Endara verantwort­lich. Er setzt mit seiner Politik auf totale Liberali­sierung und Deregu­lierung der Wirtschaft. Der Wieder­aufbau des durch das Wirtschaftsembargo der USA und die spätere Invasion stark geschädigten Landes soll durch die Steige­rung der Exporte, die Privatisierung der Staatsbetriebe und den Abbau gewerk­schaftlicher Rechte erreicht werden.
Folgt die Wirtschaftspolitik der Regierung auch in Zu­kunft der von “Billy” Ford vorgelegten “Nationalen Strategie zur Entwicklung und Modernisierung”, so steht die Liberalisierung des Arbeitsmarktes oben an. Der Codigo de Trabajo, also die arbeitsrechtlichen Bestim­mungen, Errungenschaft aus den Zeiten des Torrijismus, sollen abgebaut werden. Im Dokument heißt es wörtlich: “Die Politik der frühzeitigen Pensionierung, die exzes­sive Erweiterung staatlicher Beschäfti­gung und die Aus­dehnung der Schulpflicht haben das Arbeitsangebot redu­ziert, indem man Personen im arbeitsfähigen Alter vom Arbeitsmarkt abgezogen hat.” Hier ist zugleich eine weitere wirtschaftsstrategische Linie angedeutet: Die Pri­vatisierung der Staatsbetriebe – auch über die “Deregulierung” der Kanalzone selbst wird bereits dis­kutiert – und der Abbau sozialer Leistungen. Wirt­schaftswachstum erhofft sich die Regierung allein durch die Expansion der Exporte. Innerhalb von nur drei Jah­ren sollen dagegen alle Schutzzoll-Maß­nahmen für ein­heimische industrielle und landwirtschaftliche Produ­zenten fal­lengelassen werden.
Panamas Außenschuld beträgt knapp 7 Mrd. US-Dollar und gegenüber den internationalen Finanzorganisationen ist die Position der panamaischen Regie­rung nicht minder deutlich: “Panama erkennt die gesamte existierende Ver­schuldung an und wird in Verhandlungen versuchen, die weitere Begleichung der Schuld zu klären”, soweit das ministeriale Dokument. Diese wirtschaftliche Strategie spiegelt sich in einer Übereinkunft zwischen der pana­maischen Regie­rung und der US-amerikanischen Behörde AID wider, in der die wirtschaftliche Hilfe des “großen Bruders” festgelegt wurde. In diesem “Programm zur wirt­schaftlichen Wiederbelebung” finden sich zwei be­deutende programmatische Aussagen: Die Normalisierung der Beziehungen zu den internationalen Fianzorganisa­tionen (IWF und Internationale Bank für Wiederaufbau und Ent­wicklung BID) und die Unterstütung des Investi­tionsetats der panamaischen Regierung. Dazu gehörten bisher: eine Zahlung von 130 Mill. US-Dollar, um die ausstehenden Zahlungen Panamas bei den internationalen Finanzorganisationen begleichen zu können, sowie wei­tere 113,85 Mill. US-Dollar in drei Tranchen, um die Investitionstätigkeit der Regierung zu steigern. Im Vergleich dazu belaufen sich die Schäden, die Panama durch das US-Wirtschaftsembargo und die darauf­folgende Invasion entstanden sind, auf ca. 4 Mrd. US-Dollar.
In den letzten Monaten ist es in der Regierung und im Parlament zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Parteien gekommen. Das natio­nale Unterneh­mertum in Industriesektor und Landwirtschaft kriti­siert heftig die Pläne der Regierung. Für sie würde der Wegfall der Zollprotektion das Ende bedeuten. Nach den vollmundigen Versprechungen der US-Regierung über wirt­schaftliche Hilfe sind sie über die bisher erfolgten Zahlungen enttäuscht.
Die katastrophale soziale Lage der Masse der Bevölke­rung ist unübersehbar. Die Entlassung von 20 000 Beschäftigten – nach Angaben der Gewerkschaft der Staatsangestellten (FENASEP) gibt es allein in diesem Sektor inzwischen 5000 Beschäftigte weniger – hat die Arbeitslosigkeit drastisch ansteigen lassen. Sie liegt nach Angaben der Nachrichtenagentur IPS inzwischen bei 40% und betrifft bereits 308 000 Personen. Von der Ar­beitslosigkeit besonders betroffen sind außer den Staatsangestellten die im Handel Beschäftigten im Zen­trum der Hauptstadt. Hier waren die meisten Läden nach den umfassenden Plünderungen in den Tagen nach der Invasion von den Unternehmern ganz geschlossen worden. Selbst nach Angaben des Ökonomen und Assessors von Arias Calderón leben in Panama zur Zeit 112 500 Fami­lien in extremer Armut. Das sind ca. eine halbe Million Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von nur 2,37 Mil­lionen (Stand 1989). Aufgrund der angespannten sozialen Lage hat sich die Anzahl der Dieb­stähle, bewaffneten Raubüberfälle auf Banken und Lebensmittelgeschäfte und Morde stark erhöht. Die Polizei kann die Sicherheit auf den Straßen nicht mehr garantieren. Im Distrikt San Miguelito und Colón, in denen die meisten Delikte ver­übt wurden, haben sich bereits bewaffnete Bürgerwehren gebildet. Juan Champsaur, Direktor des “Nationalen Systems zum Schutz der Zivilbevölke­rung” (SINAPROC) zeigt sich besorgt: “Wenn sich diese Entwicklung fort­setzt, kann es zur Bildung von Todesschwadronen kom­men.”

Wachsender nationalistischer Widerstand und sozi­aler Protest

Die Proteste der Bevölkerung gegen die Regierungspoli­tik haben sich in den letzten Monaten verstärkt. Bis Mitte des Jahres hatten bereits die Kriegsflücht­linge und Angehörigen der Opfer durch vereinzelte Demonstra­tionen auf ihre miserable Lage aufmerksam gemacht. Stu­denten waren für bessere Ausbil­dungsbedingungen auf die Straße gegangen, ebenso wie Krankenschwestern und Ärzte für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Bishe­rige Höhepunkte waren die Großdemonstration am 4. Dezember, bei der ca. 100 000 Menschen gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung und die Anwesenheit der US-Trup­pen in Panama demonstrierten. Zum 24-stündigen Generalstreik am 5. Dezember riefen 68 Gewerkschaften gemeinsam auf. Sie bildeten eine einheitliche Front gegen die Regierungspolitik.
Zwar hat sich die Protestbewegung verbreitert, dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Oppositionsbewegung noch ganz am Anfang eines Erneue­rungsprozesses befindet. So ist die Gewerkschaftsbewe­gung erneut gespalten. Wie bereits unter der Noriega-Diktatur unternehmen erneut einige Gewerkschaften den Versuch einer Reorganisierung der Gewerkschaftsarbeit. So haben sich verschiedene Gewerkschaften der Staatsan­gestellten, der Eisenbahner, der Hafenarbeiter und Uni­versitätsangestellten sowie der “Central Auténtico de Trabajadores Independientes” (CATI) zur “Unión General de Trabajadores” (UGT) zusammengeschlossen. Sie machen Front gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung, die geplanten Veränderungen der Arbeitsbestimmungen, for­dern ein Moratorium für die Schuldenzahlung und für die Entschädigung der Kriegsflücht­linge. Ihr Ziel ist es, “die Gewerkschaftsbewegung von jenen Führern zu be­freien, die sie 18 Jahre lang an ein Projekt gebunden haben, daß von den Kasernen aus für den Rest der pana­maischen Gesellschaft vorgezeichnet worden ist”. Eine Absage an den Torrijismo also und an die Gewerkschaftsfüh­rer, die mit Noriega kollaborierten. Aber bis zum Auf­bau einer autonomen Gewerkschafts­bewegung ist es noch ein langer Weg.

Kasten

Panama – ein Jahr danach

Im folgenden dokumentieren wir in Auszügen einige Einschätzungen des Sozial­wissenschaftlers Raúl Leis vom “Centro de Estudios y Acción Social” (CEASPA) zur letzten Militärrevolte und zur Rolle der Opposition in Panama.
Die Opposition des Volkes
Die Regierung wurde bisher von der Nichtexistenz einer relevanten und organi­sierten Opposition begünstigt, die es versäumte, die Schwäche der Regierung Endara auszunutzen. Der “Partido Revolucionario Democratico” (PRD), die die Regierung Noriegas stützte, befand sich in einem Zustand politischer Lähmung. Die Linke war schwach und gespalten und die Volksbewegung war unorgani­siert und in den Jahren der Diktatur kooptiert. Jeden zwanzigsten des Monats gab es jedoch Protestdemonstrationen gegen die Invasion, und es entwickelten sich Mobilisierungen zu bestimmten Themen. Diese verschiedenen Aktionen gewannen an Kraft, bis in der Koordination eine Einheit verschiedener Kräfte erreicht wurde, die fast ein Jahr nach Invasion zu einem Generalstreik aufrufen konnten, der materielle Forderungen mit dem Einklagen der nationalen Souverä­nität verband. Die Regierung und die USA sahen sich also mit einer kohärent organisierten Opposition konfrontiert, organisiert jedoch eher als soziale (Volksorganisationen und -gruppen), denn als politisches Subjekt (Parteien, Avantgarde) Dieses Subjekt besaß außerdem eine Volks- und in gewissem Sinne nationale Identität. Das heißt, es handelte sich nicht um eine “trinkbare” und moderate Opposition, in der Lage, die Regierung zu stellen, sondern um eine schwarze, indianische und arme Opposition mit patriotischem Geist.
Das Manöver
Es war also nötig, diese Opposition aufzuhalten. Wie das aber in einem Moment anstellen, in dem die Popularität der Regierung extrem niedrig ist? Eine “Verschwörung” in die Wege leiten, beide Sachen zusammenbringen: Putsch und Streik, und die soziale Bewegung, die sich um die Koordination gebildet hat, praktisch außerhalb des Gesetzes stellen.
Das erklärt die merkwürdige Flucht des Oberst Herrera aus einem Gefängnis, das von US-Basen umgeben ist, seine Erhebung mit einer Gruppe von Leuten, die außerdem nur grundlegedne materielle Forderungen stellten und nicht an die Macht drängten. Diese Aktion beeinträchtigte den Streik, denn viele fürchteten ihre Entlassung und wollten sich nicht an einer aufrührerischen Bewegung betei­ligen. Dafür gab es einen Vorläufer, als am 16. Oktober eine große Gewerk­schaftsdemonstration stattfand, die zur Gründung der Koordination führte: Die Regierung beschuldigte Herrera der Konspiration (er wurde daraufhin festge­nommen) und bezog Gewerkschaftsführer in die Anschuldigung mit ein.
Es ist gut, sich daran zu erinnern, daß sich Herrera in den letzten Monaten des Noriega-Regimes in der Opposition befand und, daß er mit der Zustimmung der USA sieben Monate lang die neue Polizei leitete, bis es zu Reibungen zwischen ihm und Endara kam.
Aber es gibt Schüsse, die nach hinten losgehen. Die Mehrheit der Panameños und Panameñas wies das Manöver zurück und empfand die Militäraktion der USA wie “einen kleinen 20. Dezember”. Unter dem Strich blieben ein Toter und mehrere Verletzte, Ausgangssperre in einem Armenviertel und die Bevölkerung, die lautstark gegen die Präsenz der USA protestierte. Die Regierung Endara stellte erneut ihre Unfähigkeit, Schwäche und Abhängigkeit unter Beweis, da sie wiederum auf ein ausländisches Heer zurückgreifen mußte, während sie pro­klamierte, daß die Militärs der panamaischen Polizei der Regierung loyal gegenüberstünden. Das Manöver scheint das Markenzeichen des Geheimdienstes des Südkommandos zu tragen, der wegen seiner Effizienz bei verschiedenen Gelegenheiten militärische Preise erhalten hat.
Panorama
Ein Jahr nach der Invasion ist Panama ein besetztes Land mit einer bevormun­deten Regierung, die entschlossen ist, eine gegen das Volk gerichtete antinationale Politik der Strukturanpassung zu betreiben. Wir haben eine immer elitärere und begrenztere Demokratie, die den sozialen Akteuren immer weniger Spielraum läßt. Andererseits nehmen die Proteste und das Organisationsniveau zu, aber es handelt sich um Proteste, die wenig Alternativvorschläge entwickeln; eine Situation, die anscheinend für viele Länder gilt.
Ein Jahr nach der Invasion fehlt Panama das wichtigste Attribut einer Nation: seine Souveränität. Ohne sie hat eine Nation keine Seele. Die USA halten entgegen völkerrechtlichen Verträge das Land militärisch besetzt – auf Bitte einer Regierung, die zwar gewählt war, aber auf dem Teppich einer Invasion zur Macht kam und in einer nordamerikanischen Militärbasis vereidigt wurde. Die USA bestimmen den Ablauf auf der offiziellen Bühne, die US-Obristen begleiten die Minister auf den Reisen ins Landesinnere und setzen sich als Berater in den öffentlichen Institutionen fest. Um einen Diktator zu stürzen, ruinierten die USA ein Land, verteiften die Armut, entzogen einer Regierung die Legitimität, die sie ursprünglich besaß, und machte aus einer Nation ein Protektorat und eine Kolonie. Panama, das in der Zeit der Torrijos-Carter-Verträge eine Art Test für eine neue Form der Zusammenarbeit war, wurde in der Ära Bush-Noriega-Endara zum Schauplatz eines blutigen Konflikts.
Ein Jahr nach der Invasion lebt Panama. Der Schaum auf dem Bier ist abgesunken. Viele Panameños und Panameñas, die Invasion und Befreiung verwechselten, sehen jetzt klar. Wir werden immer mehr, die wir ein freies Vaterland ohne ausländische Herrschaft wollen, ein Land, in dem das Volk sein Schicksal selbst bestimmt und eine wirkliche Demokratie.
Raúl Leis / Übersetzung: Jürgen Weller


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Wahlen: Die Macht wird nicht an den Urnen erobert

Am 11. November erlebte Guatemala ein weiteres Mal allgemeine Wahlen.
Diesmal traten zwölf Kandidaten an, die “Interessen des Volkes” zu vertreten. Zwei Militärs und zehn Zivile von 17 Parteien boten Allheilmittel an: von kon­zeptlosen SozialdemokratInnen bis zu KandidatInnen mit dem Vorzeichen “christlich”, und natürlich den unvermeidlichen VertreterInnen der “harten Hand”, angeführt von den Militärs. Von den 3,2 Millionen beim Wahlregister eingeschriebenen GuatemaltekInnen enthielten sich 44 Prozent der Stimme, in einigen Provinzen auf dem Land waren es über 70 Prozent. Darüberhinaus hat­ten sich ungefähr anderthalb Millionen Wahlberechtigte nicht einmal einge­schrieben. Der wirkliche Anteil der Enthaltungen lag also bei circa 70 Prozent.
Die beiden Kandidaten, Jorge Carpio von der Nationalen Zentrumsunion (UCN) und Jorge Serrano Elías von der Bewegung der Solidarischen Einheit (MAS) ver­treten die “neue” oder sogar “progressive” Rechte. Carpio, Bruder des augen­blicklichen Vizepräsidenten, Roberto Carpio, taucht täglich in seiner Zeitung “El Gráfico” auf und ist als Sportmäzen und Verteidiger des
Wirtschaftsliberalismus bekannt. Gegenkandidat Serrano hat enge Beziehungen zu fundamentalistischen Sekten in den USA. Er war seit 1983 im Staatsrat von Ex-Diktator Ríos Montt bis ein erneuter Staatstreich den Diktator, mit dem Serrano religiöse Erleuchtungen teilt, absetzte. Außerdem war er Berater des militärischen Geheimdienstes. Als Mitglied der Nationalen Versöhnungskom­mission und durch einen geschickt geführten Wahlkampf, der die direkte Kon­frontation mit anderen Kandidaten vermied, konnte er wieder politischen Boden gutmachen. Die Zeitung El Gráfico im Besitz von Jorge Carpio und die evangeli­schen Kanzeln der Kirche Elim, der Jorge Serrano angehört, sind die Tribünen, von denen aus die beiden Gewählten in den nächsten Wochen die Bevölkerung von ihrer Berufenheit überzeugen wollen, bevor am 6. Januar das Präsidentenamt endgültig für 1991 bis 1995 einem dieser Rechten zugesprochen werden wird, die entweder Jesus Christus oder Milton Friedman nachbeten.
Unabhängig von den Persönlichkeiten der Kandidaten werden zwei Elemente Sieg oder Niederlage bestimmen: Die 44 Prozent der eingeschriebenen Wähler­Innen, die sich bei der ersten Runde enthalten haben werden heiß umworben sein, ebenso wie die Unterstützung der anderen wichtigen Parteien, besonders der Partei der Nationalen Aktion (PAN), die große Sympathien in der Hauptstadt genießt, und der Christdemokratischen Partei (DC), die trotz ihrer Niederlage einige Bastionen auf dem Land halten konnte.

Der Dialog auf dem Weg in die Sprachlosigkeit

Darüberhinaus ist der Krieg zum zentralen Thema der Wahlen geworden. Für die guatemaltekische Bevölkerung hängt der Aufbau einer “realen Demokratie” vom Ende des Krieges ab, und dieses ist wiederum von der Entwicklung des Dialogprozesses abhängig. Der Dialog hat im März in Oslo mit dem “Abkommen über die Suche nach Frieden mit politischen Mitteln” begonnen, unterzeichnet von der Nationalen Versöhnungskommission und der Revolutionären Nationa­len Einheit Guatemalas (URNG), in der die Guerilla-Gruppen zusammenge­schlossen sind. Seitdem haben sich viele gesellschaftlich wichtige Gruppen mit der UNRG an einen Tisch gesetzt: die Parteien , die großen und mittleren Privat­unternehmerInnen, die religiösen Gruppen, die Volksorganisationen, Gewerk­schaften und Universitäten. Jetzt steht das Zusammentreffen mit der Regierung und dem Militär aus. Serrano und Carpio hatten eingewilligt, sich schon im Dezember gemeinsam mit dem amtierenden Präsidenten Cerezo mit der Gene­ralkommandantur der URNG zu treffen.
Der bisherige Präsident Cerezo war vor vier Jahren noch mit dem Versprechen angetreten, die Macht der Militärs einzuschränken und gegen die Menschen­rechtsverletzungen vorzugehen. Er wollte damit das Land in der Weltöffentlich­keit wieder hoffähig machen. Sein Scheitern wird durch Tausende von nie aufge­klärten Morden und Entführungen überdeutlich belegt. Die Präsidentschaftskan­didaten 1991 versprechen nicht einmal mehr, dies alles zu ändern. Serrano sagte in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl: “..man muß anerkennen, daß die Militärs die Macht haben. Eine zivile Regierung hat nur die Wahl, sich gegen sie zu stellen und zu scheitern, oder mit ihnen zusammenzuarbeiten.”
Nachdem der Menschenrechtsbeauftragte harte Kritik an den Militärs geübt hatte und das Ansehen der Armee damit auch auf konservativer Seite litt, haben die Kandidaten ihre ursprüngliche Zustimmung zu einem Treffen mit Cerezo und der UNRG nun plötzlich wieder zurückgezogen. Offenbar soll die harte Linie des Kampfes gegen die Guerilla wiederbelebt werden, zurück also zu den ewigen Werten der Retter des Vaterlandes. Der Chef des Generalstabs, Roberto Mata, erklärte schon im November, die Regierung könne nur mit entwaffneten Gruppen in den Dialog treten. Der harte Standpunkt wird nun auf einmal wieder von der zivilen Rechten mitgetragen. Auch der Präsident der Zentrale der Unter­nehmerInnen, Jorge Briz, wandte sich mit der Forderung nach Waffenniederle­gung der Guerilla an die Öffentlichkeit. Die Nationale Versöhnungskommission ist damit brüskiert worden. Die vorsichtigen Hoffnungen auf die Möglichkeit eines Dialoges zur Beendigung des Krieges drohen sich dem Nullpunkt zu nähern.


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Ermittlungen abgeschlossen Verantwortliche atmen auf

Der vermeintliche Erfolg der eigens eingesetzten Untersuchungskommission kann und darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Aufklärung des Massakers von Anfang an von den Streitkräften torpediert wurde und nur sehr schleppend voranging. Trotz gegen­teiliger Behauptungen von Verteidigungsminister René Emilio Ponce – er war übrigens zum Mordzeitpunkt Chef des Generalstabes – hat die Armeeführung nicht nennenswert zur Erhellung des Sachverhalts beigetragen und die Ermittlungen eher behindert. Solange sich führende Militärs gegenseitig widersprechen und nicht zur Aufklärung dieser Widersprüche beitragen, sagt dazu der Jesuitenprovinzial für Mittelamerika, José María Tojeira, müßten sie sich nicht wundern, wenn sie im In- und Ausland verdächtigt werden, die Auftraggeber zu diesem Verbrechen gewesen zu sein.
Was die Aufkläung des Massakers vom 16. November 1989 anbelangt, so gehen die Einschätzungen weit auseinander. Justizminister Oscar Alfredo Santamaría, dem die Untersuchungskommission formal unterstellt ist, äußert sich zufrieden mit den Abschluß der Ermittlungen, wobei er immer wieder auf die Unabhängigkeit der Justiz pocht. Sein uni­formierter Ministerkollege Emilio Ponce geht noch weiter. Schon auf ei­ner kurzfristig anberaum­ten Pressekonferenz am 14.11.90 kündigte er an, die Aufklärung dieses Fallles sei seines Wissens nach bald abgeschlossen. Vertei­digungsminister Ponce, der kurzfristig für seinen undiplomatischen und kantigen Vize Zepeda eingesprungen war, erweist sich als ge­schickter Redner, der bereitwillig alle Fragen beantwortet. Die Armeeführung in El Salvador ist ganz offenbar um Transparenz und Imagepflege bemüht, und es wirkt überzeugend, wenn Emilio Ponce zum Mord an den Jesuiten erklärt: “Als erstes möchte ich sagen, daß uns ein solches Ereignis, in das die salvadorianische Armee verwickelt ist, zutiefst beschämt.” Man ist geneigt, ihm zu glau­ben, wären da nicht die vielen Spuren und Zeugenaussagen sogar von Militärs, die auf eine direkte Verantwortung des Generalstabes hinweisen…
Die salvadorianische Kirche zieht aus dem bisherigen Verlauf der Ermittlungen ihre eigenen Schlüsse: “Das Verbrechen kann nicht al­leine vom Hauptangeklagten, Oberst Benavides, begangen worden sein”, meint Weihbischof Gregorio Rosa Chávez aus San Salvador. “Es muß in irgendeiner Form eine Beteiligung höherer Offiziere ge­geben haben, vermutlich auf der Ebene des Generalstabes. Zweitens müssen wir feststellen, daß die Armee als Ganzes nicht dazu bei­trägt, die Umstände des Verbrechens aufzuklären. Und drittens scheint uns der gesamte Fall von beispielhafter Bedeutung zu sein.” Erzbischof Arturo Rivera y Damas äußert sich skeptisch zu der Aufklärung des Massakers: “Im Fall der Jesuitenmorde wird wohl nie die ganze Wahrheit an das Licht kommen!”
Er scheint recht zu behalten, denn das Ermittlungsverfahren wurde beendet, ohne daß zentrale Figuren aus der Militärführung oder der Regierung überhaupt verhört wurden. Warum z.B. gab Präsident Cristiani erst ein neun Monate nach dem Massaker zu, daß er die Durchsuchung der Wohnräume der Jesuiten durch eine Sondereinheit des Atlacatl-Bataillons zwei Tage vor der Tat genehmigt hatte? Die Durchsuchung diente offensichtlich nicht – wie behauptet – dem Auffinden von von angeblichen Waffenarsenalen, sondern dazu, die Wohn- und Schlafräume der Ermordeten auszuspähen. Dies ist auch nicht besonders verwunderlich, schließlich hatte der Präsident in der ersten Phase der letztjährigen FMLN-Offensive, in die das Massaker an den Jesuiten fiel, einen großen Teil der Zeit im Generalstab zugebracht und an dessen Sitzungen teilgenommen.
Und es überzeugt auch nicht, wenn der damalige Generalsatbschef und heutige Verteidigungsminister auf den beschluß dr Armeeführung hinweist, daß alle Standortkommandeure ausdrücklich autorisiert und aufgefordert waren, alle erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Guerilla zu ergreifen. Gerade in der Hauptstadt San Salvador war der Kontakt innerhalb der Generalität so eng, daß diese Autonomie der einzelnen Befehlshaber keine Bedeutung hatte. Zumal Oberst Benavides behauptet, der Mordbefehl müsse an ihm vorbeigelaufen sein, da die Atlacatl-Soldaten – die übrigens kurz vorher von einem Lehrgang mit us-amerikanischen Ausbildern abgezogen worden waren – bereits Vorbereitungen für das Massaker getroffen hattten, bevor er über den Einsatz informiert war. Breite Übereinstimmung herrscht in El Salvador dar­über, daß die Jesuitenmorde, die eine ganze geistige Strömung aus­schalten sollten, einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung des Landes darstellen. Offenbar hat die Ermordung der sechs prominenten Jesuiten, die im In- und Ausland anerkannt und ge­schätzt waren, mehr ausgelöst als unzählige Morde an einfachen Landarbeitern, Gewerkschaftern und engagierten Menschen.Damit sich dies im alltäglichen Leben in dem mittelamerikanischen Land auswirken kann, dazu bedarf es auch der Hilfe und des Druckes aus dem Ausland. Dieser internationale Druck, der vor allem aus Spanien – der Hei­mat von fünf der sechs ermordeten Jesuiten – und den USA auf El Salvador ausgeübt wird, könnte dazu beitragen, daß die Armee in Zukunft nicht mehr derart selbstherrlich und unbeobachtet agieren kann wie in den vergangenen Jahren

Kasten:

Offensive und Concertación

Ana Guadalupe Martínez, Mitglied der Verhandlungskom­mission der FMLN, zum Verhältnis von politischen und militärischen Aspekten ihres Kampfes:

Es liegt auf der Hand, daß es uns im Augenblick sehr gut gelingt, alle Faktoren, die die Situation für eine Verhandlungslösung bestimmen, zu kombinieren. Trotz der Militärkampagne blieben die politischen Spiel­räume erhalten. Die Parteien hatten sich versammelt, um die Situation zu analysieren, die Volksbewegung hat im Fernsehen ihre Ansichten ver­treten. Niemand ist geflohen, um sich zu ver­stecken, alle konnten wei­terarbeiten: Zur gleichen Zeit gab es die Militärkampa­gne und die kon­zertierte Aktion aller sozialen und politischen Kräfte.
Wir wissen z.B., daß sich am vergangenen Freitag die “Interpartidaria” versam­melt hat, also die Gruppe der neun legal eingeschriebenen Parteien. Bei diesem Treffen verlangte ARENA eine Verurteilung der militärischen Ak­tionen der FMLN. Die übrigen acht Parteien sagten, gut, wenn es eine Verurteilung durch dieses Gremium geben soll, dann müßte sie sich ge­gen beide Seiten richten, da beide militärische Aktionen durchführten.
Verschiedene Ansätze stehen heute zur Debatte. Dies hat es im November letzten Jahres (während der bisher größten FMLN-Offensive, d.Red.) nicht gegeben. Es hat damals keine vermittelnden Stimmen gegeben, nur die offiziellen Radio- und Fernsehsender der Regierung und Radio Vencere­mos. Ja, es gibt heute ein ausge­glicherenes Verhältnis der militäri­schen und der politischen Aspekte.

Frage: Hat die FMLN nicht die Befürchtung, daß die USA die jüngste Mi­litärkampagne zum Vorwand nimmt, um die auf 50% gekürzte Militärhilfe wieder zu 100% auszuzahlen?

Wir haben sehr viel darüber nachgedacht. Wir haben die Operationen als eine begrenzte Kampagne definiert, die im Zusammenhang mit dem Fort­schreiten am Verhandlungstisch zu sehen ist. Von daher haben wir nicht den Eindruck, daß unsere Aktivitäten im Widerspruch zu den vom US-Kon­greß diktierten Bedin­gungen zur Suspendierung der Hilfe stehen. (Für den Fall, daß die Regierung durch eine Offensive der FMLN gefährdet ist – so der Kongreß – soll die Hilfe wieder zu 100% ausgezahlt wer­den; d.Red.). Wenn die USA und die salvadoria­nische Regierung aber die Situation dazu benutzen sollten, die Hilfe wieder komplett auszuzah­len, würden sie die Lage auf den Stand von 1981 zurückver­setzen. Dies­mal aber unter wesentlich schwierigeren Bedingungen, was die Mo­ral und den politischen Stand der Armee, aber auch der US-Administration selbst angeht. Wir glauben, daß die USA einen großen Fehler begehen würde. Es würde dann für weitere zehn Jahre Krieg geben.

Frage: Kann man sagen, daß jener Teil des US-Kongres­ses, der sich um eine Veränderung der US-Politik hin­sichtlich El Salvador bemüht und den Verhandlungsprozeß stärken will, nun den Eindruck haben kann, die FMLN stehe ihren Zielen entgegen?

Wir sehen das nicht so. Es ist vielmehr so, daß auch wir die Verhand­lungen be­schleunigen wollen. Es ist die Argumentation der salvadoria­nischen Armee, die uns in der Öffentlichkeit mangelnden Verhandlungs­willen unterstellt.


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Honduranische “Rambos” entscheiden den Golfkonflikt

Die Regierung von Honduras hat den Tyrannen des Irak, General Saddam Hussein, Schach gesetzt. Ende vorigen Monats hat sie eine Spezialeinheit – bereit zum Kampf! – zum potentiellen Kriegsschau­platz am Persischen Golf geschickt. Und höchstwahrscheinlich wird dies die Zukunft des Konfliktes entscheiden, bei dem die Super­mächte auf die irakische Armee treffen.
Nach Informationen aus dem Präsidentenpalast handelt es sich um ein honduranisches Kontingent von 750 Soldaten, ausgerüstet mit modernen Waffen und sicherlich trainiert für den Kampf in der Wüste gegen einen hochgerüsteten Feind, der über ein gewaltiges Arsenal an tödlichen chemischen und biologischen Waffen verfügt.
Wahrscheinlich wurden diese honduranischen “Rambos” – insgeheim – in den heißen und öden Regionen unseres Landes trainiert, um sie an die extreme Hitze der Wüste zu gewöhnen; und in den abscheulich stinkenden Kloaken des Chiquito-Flusses und des Sapo-Baches in der Hauptstadt, um sie gegen chemische und biologische Gifte resistent zu machen.
Der Sprecher des Präsidenten, Herr Gilberto Goldstein, klärt uns auf über die ökonomische Potenz des honduranischen Staates ein derart kostspieliges Unternehmen durchzuführen. Unsere heldenhaften Soldaten, Meister der Kriegskunst und -Wissenschaft, “schicken wir mit unseren eigenen Mitteln, denn wir sind dazu und noch zu vielem mehr in der Lage”.
In Lateinamerika haben nur zwei Länder ihre Armeen verpflichtet gegen Hussein von Irak zu kämpfen und die Welt zu retten vor dieser Bestie, die sich von wehrlosen Kindern und westlichen Geiseln (er-)nährt: Argentinien und Honduras. Allerdings hat Argentinien eine Vereinbarung mit der kuwaitischen Exilregierung geschlossen, daß diese die Kosten der Reise übernimmt und für Kost und Logie im Lande aufkommt.
Außerdem hat Argentinien seine Soldaten unter den kriegserfahrendsten Kämpfern des sogenannten Malwinen- (oder Falk­land-)Krieges ausgewählt, wo sie die von den USA unterstützte englische Kolonialarmee ins Gras (Verzeihung!, ins Eis natürlich) beißen ließen. Von einem Extrem geht’s für sie zum anderen: vom eisigen Südpol ziehen sie in die glühende östliche Wüste.
Es gibt gar keinen Zweifel: Die Honduraner sind anders, und die Regierung von Honduras veranschaulicht das sehr deutlich vor dem Gewissen der Welt. Als Präsident Bush aus den USA sein Projekt für die Schaffung einer Freihandelszone in ganz Hispanoamerika vorschlug, war Präsident Callejas der Erste – und der Einzige – ,der sofort per Kabel antwortete – und der Idee vollkommen zu­stimmte.
Die Anderen schwiegen boshaft, ängstlich und starrköpfig. Sie lobten die “Idee”, kündeten aber nur an sie zu untersuchen und genauer zu studieren, wenn diese jene Idee eine konkretere Fassung annähme, etwa die eines Planes. Hier in Honduras zögert man nicht derart; entweder wir sind dabei, oder wir sind es nicht. Aber nur für gewisse Initiativen, wenn sie von oben kommen…


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“Operación Causa Justa” und die Menschenrechte

Bis heute ist die Zahl der Opfer nicht bekannt

“Ich will nicht mehr hinuntersteigen ins Grab, ich kann die vielen Toten nicht mehr sehen! Ich weiß, daß ich das nicht mehr aushalte!” Elira de Del Rio weint und kann sich kaum beruhigen. Mehrfach ist sie bereits in das Massengrab von Jardín de Paz, ursprünglich einem kleinen Privatfriedhof in der Nähe der Haupt­stadt, hinuntergestiegen, in der Hoffnung die Leiche ihres am 20.Dezember getöteten Mannes zu finden. Auf einer Namensliste von Invasionsopfern, zusammengestellt vom “Komitee der Familienangehörigen von Opfern des 20.Dezember” (AFC-20), hatte Elira de Del Rio den Namen ihres Mannes gefun­den und war nach Jardín de Paz gekommen, um ihn zu identifizieren. Aber es handelte sich um einen Irrtum. Und so wurden die großen Plastiksäcke mit den Leichen einer nach dem anderen geöffnet, damit sie und die zahlreichen Angehö­rigen ihre Toten identifizieren könnten. Aber viele Leichen sind nicht mehr iden­tifizierbar. Durch den Einsatz von Bomben und Flammenwerfern sind sie völlig entstellt. Hinzu kommt der Zustand der Verwesung, der bei den eilig von den US-Truppen in Massengräbern verscharrten Leichen schon fortgeschritten ist. Der bestialische Verwesungsgestank tut ein übriges, um die Identifizierung der Leichen für die Familienangehörigen zur Tortur werden zu lassen. Aber viele von ihnen werden weiter geduldig an den Gräbern Schlange stehen müssen in Ungewißheit, ob eines Tages wirklich ihre Angehörigen gefunden werden.
In der detailierten Registrierung der AFC-20 sind inzwischen über 600 Namen von identifizierten Toten zusammengetragen worden, aber es ist bekannt, daß Unzählige fehlen, nämlich die, die nicht identifiziert werden konnten, deren Lei­chen ins Meer geworfen wurden, die bei der Bombardierung der Einrichtung der “Verteidigungskräfte” völlig verbrannt sind und schließlich die, die von ihren Familienangehörigen heimlich im eigenen Garten beerdigt worden sind, aus Angst vor Repressalien. Dazu kommt eine bisher unbekannte Zahl von Vermiß­ten. VertreterInnen der Menschenrechtsorganisationen gehen von Zahlen zwi­schen 2000 und 4000 Toten aus.

“Die Toten werden das Land zurückerobern!”

Früher war Isabel Corro in den Reihen der Cruzada Civilista zu finden, die den Protest gegen das Noriega-Regime auf die Straße brachte. Heute ist sie die Präsi­dentin der “Vereinigung der Familienangehörigen der bei der Invasion am 20.Dezember 1989 gefallenen Militärs und Zivilisten”.
“Die in den Menschenrechtsorganisationen, bei CONADEHUPA und COPODE­HUPA arbeiten, sind Frauen”, sagt sie. “Die Mehrheit derer, die wir im Kampf für die Menschenrechte in der AFC-20 organisiert sind, sind Frauen, und auch in der Führung der Organisation sind wir drei Frauen neben einem Mann. Die Frau beschäftigt sich mit den Toten und die Toten werden dieses Land führen und die Toten werden die Zukunft dieses Landes bestimmen und die Toten werden die­ses Land zurückerobern. Die Toten werden das Bewußtsein des Landes entwik-keln”, so die engagierte Menschenrechtsvertreterin. “Die Regierung hat verges­sen, daß sie über die Leichen unserer Gefallenen zur Präsidentschaft gekommen ist, daß es ein verdammt hoher Preis war, den das Land bezahlen mußte, damit sie dahin gekommen sind, wo sie sich jetzt befinden.” Und sie fügt hinzu, daß weder die katholische Kirche noch die zivilen Clubs in dieser Angelegenheit etwas unternommen hätten. Ihre Organisation überlegt, eine umfassende Forde­rung an die Regierung der USA zu stellen, nämlich alle Schäden, die durch die Invasion entstanden sind, zu begleichen. Die Menschenrechtsbewegung insge­samt fordert zunächst eine internationale Untersuchung der Folgen der Invasion.

Verlust der Heimat: El Chorillo

Die Angriffe der US-Streitkräfte während der Invasion richteten sich insbeson­dere auf die armen Stadtviertel, insbesondere auf El Chorillo. Noriega und seine Truppe habe sich hier verschanzt, lautete die Legitimation für die Zerstörung eines ganzen Stadtteiles.
El Chorillo war für die Arbeiter am Kanal zu Beginn des Jahrhunderts errichtet worden. Hier lebten fast 30 000 Menschen überwiegend in einfachen Holz- und Wellblechhütten. Aber sie hatten in El Chorillo mehr als ein einfaches Dach über dem Kopf. Ihre Kinder waren hier großgeworden, ihre eigene, soziale Lebenswelt und Kultur waren hier über Jahrzehnte gewachsen. Doch mit der Entscheidung der US-Regierung zur Invasion sollte dieses Viertel mit seinen Menschen, Gebäuden und sozialen Traditionen von der Landkarte ausradiert werden. Es wurde zum Testgebiet für neueste Laserkanonen und Kampfhubschrauber, für Panzer und Bomben.
Allein in El Chorillo sind mehrere tausend Familien obdachlos geworden. Nach Angaben des “Komitees für Kriegsflüchtlinge” gibt es in Panama acht Flücht­lingszentren, die zur Zeit fast 3500 Familien beherbergen. Dazu kommen knapp 14 000 Menschen, die lediglich vorübergehend bei Verwandten unterkommen konnten, dort jedoch aufgrund der räumlichen Enge und schlechten Versor­gungslage nicht langfristig bleiben können. Aber auch in den Flüchtlingszentren herrscht große Enge. Es gibt zu wenig sanitäre Anlagen, die Zahl von Erkran­kungen wächst, die sozialen Konflikte häufen sich.
“Wir sind nicht Produkte eines Unfalls oder einer Naturkatastrophe, sondern eines Krieges. Deswegen sind wir Kriegsflüchtlinge!”, insistiert Rafael Olivardía, einer der Sprecher des “Comité de Refugiados de Guerra”, das die Interessen der in Flüchtlingscamps lebenden Panamaer vertritt. Ihre Organisation kritisiert ins­besondere die Informationspolitik der “Stiftung für die Geschädigten des Stadt­viertels El Chorillo”. Bereits im Juni hatte es die ersten Proteste von Chorilleros gegeben. Lediglich 700 Balboas (Der Balboa ist die panamaische Bezeichnung für den Dollar) sollten sie als Schadensausgleich von der Stiftung erhalten. Informa­tionen über die Aufteilung des Stiftungsfonds wurden nicht gegeben. In den Stiftungsgremien sind die Betroffenen selbst über­haupt nicht vertreten. Dement­sprechend lauten die unmittelbaren Forderungen der Betroffenen des Stadtvier­tels El Chorillo auf: die gerechte Entschädigung für die erlittenen Verluste, den raschen Bau von Wohnungen im alten Viertel und die Gründung einer Kommis­sion zur Beseitigung der Wohnungsnot.


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Ökologie in Unordnung

“Die Entwicklungsprojekte der letzten 25 Jahre für Amazonien sind durchweg gescheitert”, darin herrschte weitgehende Einigkeit unter den RednerInnen und Zuhöre­rInnen. Tatsächlich ein “gemeinsames Nachdenken über Entwicklungsalternativen für Amazonien” in Gang zu bringen, wie es die 5-tägige, unter anderem von der UNESCO, der Orga­nisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der US-amerikanischen FORD-Stiftung unterstützte Tagung als Ziel formuliert hatte, erwies sich in der Folge jedoch als ein schwieriges Unterfangen.
Bei den Podiumsdiskussionen, die Politiker und WissenschaftlerIn­nen, Holzexporteure und IndianerInnen zusammenbringen sollten, kam eine echte Debatte nur ansatzweise zustande. Die einzelnen Statements waren von sehr unter­schiedlicher Qualität, nur selten aufeinander bezogen, und auch viele interessante Beiträge endeten eben an dem Punkt, wo eine Diskussion über Entwicklungs­alternativen hätte beginnen müssen. So etwa die bedenkenswerte Überlegung des Vertreters des anthropologischen Museums von Belém: Wenn jetzt viele im Norden so gerne davon reden, “von den Indianern zu lernen”, wie sieht es dann eigentlich mit den “intellectual property rights”, den Rechten der intellektuellen Urheberschaft und des geistigen Eigentums aus? Sicherlich ist dies eine Vorstel­lung, die der internationalen Pharmaindustrie mit ihren großen Interessen an pflanzlichen Wirkstoffen aus Amazonien wenig gefallen wird.

Sammelreserven und CO2-Lager

Ein anderer Ansatzpunkt, der ein positives Echo fand, waren die “Sammelreserven”, wie sie beispielsweise auf Druck der Kautschukzapfer in dem brasilia­nischen Bundesstaat Acre einge­richtet wurden. Diese Schutz­gebiete, in denen die Nutzung des tropischen Regenwalds nicht in seiner Vernichtung besteht, bringen auch fast in jedem Falle mehr ökonomischen Gewinn als die extensiven Viehweiden auf gerodetem Urwaldland, wie der nordamerikanische Anthropologe Emilio Moran erläuterte. Und durch den gezielteren Einsatz forstwirtschaftlicher Methoden wäre in diesem Bereich noch eine beträchtliche Ertragssteigerung zu erzielen.
Die besonders von Umweltgruppen aus den USA propagierten sogenannten “Debt-for-nature-swaps” (Auslandsschulden-gegen-Natur-Tausch) wurden auf der Konferenz in Belém als “Mittel der entwickelten Länder, Kontrolle über Gebiete in unter­entwickelten Ländern zu erlangen” abgelehnt. Der katalanische Ökonom Martinez Allier jedoch riet der Umweltbewegung Brasiliens, diese Idee aufzu­nehmen und im Gegenzug aber einen gerechten Preis einzufordern: Wenn die Bedeutung des Amazonas-Waldes für die Lagerung von Kohlen­stoff und für das Weltklima einberechnet wird, müßten die Hauptproduzentenländer von Kohlendioxid alljährlich Zahlun­gen in Millionenhöhe an Brasilien leisten…
Ausgehend von der Erkenntnis, daß Amazonien nicht als ein homogenes Ökosystem betrachtet werden darf, sondern die Besonderheiten der einzelnen Regionen beachtet werden müsseen, wurde die Forderung nach einer “ökologischen und ökonomischen “Zoneneinteilung” (zoneamento) erhoben. Nur durch eine derartige Unterteilung des riesigen Amazonasgebietes ließen sich sinnvolle Aussagen über die unterschiedlichen ökologisch verträglichen Nutzungsmöglichkeiten einzelner Regionen treffen, machte der Geograph Aziz Ab’Saber von der Universität Sao Paulo deutlich.

Lutzenberger als Collors Alibi

Nur am Rande kam bei der Amazonas-Konferenz die Sprache auch auf die Politik der Regierung in Brasilia. Der erst im März gewählte Präsident Collor hatte mit der Ernennung des international bekannten Umwelt­experten José Lutzenberger zum Staatssekretär für Umweltschutz einen Überraschungscoup in Sachen Öko-Image gelandet. Dennoch setze Collors Politik das von der Militärdiktatur implantierte Konzept der Inbesitznahme Amazoniens unverändert fort, kritisierte Fabio Feldman, Abgeordneter der bei den Wahlen im März unterlegenen PT (Arbeiterpartei). Über das “Ministerium für strategische Angelegenheiten” hat das Militär auch heute noch entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung Amazoniens. Und José Lutzenberger – der zu der Konferenz in Belém eingeladen, aber nicht erschienen war – habe für Collor lediglich die Funktion, durch Auftritte auf internationalen Kongressen die Kritik des Auslands zu neutrali­sieren.
Konkrete Ergebnisse konnte das Treffen über die “ökologische Unordnung in Amazonien” keine vorweisen. Die unvermeidliche Schlußresolution faßte in “22 Empfehlungen” so richtiges wie altbekanntes zusammen, von der Forderung nach einem Stopp für Großprojekte und neue Ansiedlun­gen im Amazonasgebiet über die Eindämmung der Landspekulation bis hin zur Kontrolle der Gold­sucher und dem effektiveren Schutz der Indianer- und Natur­schutzgebiete. Befriedigende Antworten, wie all dies denn erreicht werden könne, blieben jedoch aus; die Schlußresolution wird so erst einmal der Planungs­kommission für den nächsten Kongreß zum Thema übergeben, der im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfindenden UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung…


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