SCHWACHE REGIERUNG, SCHWÄCHERE OPPOSITION

Zwei Jahre lang hatte der ehemalige US-Präsident Donald Trump versucht, Juan Guaidó als Staatschef in Venezuela zu installieren. Doch während der venezolanische Präsident Nicolás Maduro weiterhin fest im Sattel sitzt, schied Trump am 20. Januar aus dem Amt. Der Regierungswechsel in den USA wirft auch Fragen zur Zukunft Guaidós auf. Dieser hatte sich im Januar 2019 mit Rückendeckung der USA zum Interimspräsidenten erklärt. Es folgte die Anerkennung durch mehr als 50 Staaten, ohne dass Guaidó innerhalb Venezuelas jemals präsidiale Machtbefugnisse ausgeübt hätte. Den vermeintlichen Anspruch auf die Interimspräsidentschaft leiteten die US-Regierung und die rechte venezolanische Opposition verfassungsrechtlich fragwürdig vom Parlamentsvorsitz ab. Doch seit Anfang dieses Jahres ist Guaidó nicht einmal mehr einfacher Abgeordneter. Sein Boykott der Parlamentswahl vom 6. Dezember sorgte dafür, dass die Regierungsgegner*innen die letzte von ihnen zumindest auf dem Papier kontrollierte Institution eingebüßt haben.

Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung von 31 Prozent hatte das Bündnis der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) 69 Prozent der Stimmen geholt. Aufgrund des partiellen Mehrheitswahlrechts fallen ihr sogar mehr als 90 Prozent der Sitze zu. Moderat-rechte Parteien, die sich in den Augen vieler Oppositioneller von der Regierung haben kaufen lassen, konnten nur wenige Mandate erzielen. Guaidó versuchte mit einer selbst organisierten „Volksbefragung“ zu kontern, bei der laut Oppositionsangaben innerhalb und außerhalb Venezuelas knapp 6,5 Millionen Personen für Maduros Abgang und freie Wahlen mit internationaler Unterstützung votierten. Dies wären ein paar hunderttausend mehr, als sich an der Parlamentswahl beteiligt haben. Doch selbst wenn die Zahl stimmen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass Guaidó noch einmal als ernsthafter Widersacher von Maduro zurückkommt. 

Das Kapitel Guaidó ist gescheitert

Denn auch innerhalb der rechten Opposition ist er nach mehreren dilettantischen Umsturzversuchen und Korruptionsvorwürfen gegen sein Umfeld umstritten. Hardliner*innen wie María Corina Machado drängen schon seit längerem auf eine US-Militärintervention, während sich der zweimalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles für die Teilnahme an Wahlen ausspricht. In einem Interview mit der britischen BBC ließ er kurz nach der Parlamentswahl keinen Zweifel daran, dass er das Kapitel Guaidó für gescheitert hält: „Ich habe nichts gegen Guaidó persönlich, aber das hier ist zu Ende.“ Die neue US-Regierung solle sich für faire Wahlbedingungen einsetzen, so Capriles weiter.

Guaidó will erreichen, dass die alte Nationalversammlung mit ihm an der Spitze international weiterhin als legitim betrachtet wird. Anfang Januar hatten er und eine Reihe weiterer Abgeordneter ihr Mandat eigenmächtig verlängert. Zwar erkennen weder die USA noch die EU oder die rechts regierten lateinamerikanischen Länder die Parlamentswahl an. Doch vermied es die EU in einem Statement nach der Wahl, Guaidó wie zuvor noch als Interimspräsidenten zu bezeichnen. Der neue US-Außenminister Antony Blinken bekräftigte bei einer Anhörung vor dem Senat am 19. Januar hingegen, dass die USA weiterhin an Guaidó als Interimspräsidenten festhielten. Vom neuen US-Präsidenten Joe Biden erhoffen sich viele Beobachter*innen zumindest, dass er die Sanktionen gegen Venezuela lockert und sich direkte Gesprächskanäle zwischen Washington und Caracas öffnen.

Wenngleich viele Chavist*innen betonten, dass das EU-Land Rumänien auch ohne Boykott keine höhere Wahlbeteiligung aufweise, gibt es an der Parlamentswahl in Venezuela durchaus berechtigte Kritik. Im Vorfeld hatte das regierungsnah besetzte Oberste Gericht (TSJ) etwa intransparent die Führung mehrerer rechter wie linker Parteien gegen moderate und regierungsnahe Politiker*innen ausgetauscht. Somit traten mehrere große Oppositionsparteien aus dem Guaidó-Lager sowie kleinere linke Parteien lediglich als Abspaltung einer Minderheit an, verwendeten dafür aber die altbekannten Namen und Symbole. Von den Eingriffen waren auch Mitglieder des alternativen linken Wahlbündnisses Revolutionär-Populare Alternative (APR) um die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) betroffen. Die APR-Kandidat*innen sammelten sich daraufhin allesamt auf der Liste der PCV, die als einzige Partei des Linksbündnisses auf den Wahlzetteln stand. Bei mehreren öffentlichen Debatten im privaten wie staatlichen Fernsehen waren zwar Kandidat*innen der rechten Opposition, nicht aber der neuen linken Alternative eingeladen. PCV-Kandidat Pedro Eusse erklärte in einem Radiointerview kurz vor der Wahl, einen derartigen Ausschluss aus den Medien habe die Kommunistische Partei zuletzt „in den 1970er Jahren“ erlebt. Am Ende holte die PCV lediglich 2,7 Prozent der Stimmen und stellt mit ihrem Generalsekretär Oscar Figuera im neuen Parlament nur einen Abgeordneten.

Diskrete Privatisierungen von Staatsunternehmen gehen weiter

Zwar kontrolliert die venezolanische Regierung nun offiziell alle politischen Gewalten im Land. De facto ändert sich aber nicht viel, denn die bislang oppositionell dominierte Nationalversammlung war in den letzten Jahren ohnehin juristisch kaltgestellt. Die seit August 2017 als Parallelparlament fungierende Verfassunggebende Versammlung beendete im Dezember ihre Arbeit, ohne auch nur über einen Verfassungsentwurf debattiert zu haben. In den Augen der regierenden Chavist*innen kommt dies einer Re-institutionalisierung gleich. Doch in breiten Teilen der Bevölkerung und auf internationaler Ebene genießen weder Maduro noch das neue Parlament Legitimität. Zudem verfügt die Regierung nicht über ausreichend politische und finanzielle Mittel, um die Dauerkrise im Land zu beenden. Beobachter*innen rechnen daher in den kommenden Jahren mit weiteren Privatisierungen von Staatsunternehmen. Diese führt die Regierung bereits hin und wieder diskret durch, um ihren sozialistischen Diskurs nicht zu untergraben. Nutznießer sind dabei meist regierungsnahe Geschäftsleute oder Kapital aus „befreundeten“ Ländern wie China, Russland, Iran oder der Türkei. 

Venezuelas Regierung hofft auf Ende der US-Sanktionen“

Dass die Parlamentswahl die Krise nicht lösen kann, ist offensichtlich. Nötig wäre ein breiter gesellschaftlicher Dialog, der sowohl rechte wie auch linke Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Gruppen mit einbeziehen müsste. Aufgrund der verhärteten Positionen scheint dies kurzfristig jedoch unrealistisch. Der neue chavistische Parlamentspräsident, Jorge Rodríguez, kündigte in seiner Antrittsrede am 5. Januar zwar eine große Dialoginitiative mit allen Sektoren an. Gleichzeitig sagte er aber, es gebe „Verbrechen, die geahndet werden müssen“. Damit eröffnete Rodríguez diskursiv sowohl die Möglichkeit für Verhandlungen als auch eine strafrechtliche Verfolgung der Ex-Abgeordneten um Juan Guaidó, die im chavistischen Lager teilweise offensiv eingefordert wird. Am Ende könnte es also doch darauf ankommen, ob die neue US-Regierung mehr Interesse an Verhandlungen oder einer weiteren Eskalation hat. Denn für die Regierung Maduro ist die Aufhebung der US-Sanktionen das wichtigste Thema bei möglichen Gesprächen. Und dies liegt nicht im Ermessen der venezolanischen Opposition.

ZWISCHEN BOYKOTT UND NEUEN OPTIONEN

Asamblea nacional Die Nationalversammlung soll im Dezember neu gewählt werden (Foto: Paulino Moran (CC BY 2.0), Flickr)

Der Schritt kam überraschend. Gut drei Monate vor der in Venezuela geplanten Parlamentswahl begnadigte Präsident Nicolás Maduro Ende August 110 Oppositionelle. Darunter befinden sich zahlreiche Abgeordnete, die bis dato im Gefängnis, in Botschaften und im Exil waren oder unter Hausarrest standen. Vielen von ihnen wird vorgeworfen, in putschistische Aktivitäten verstrickt zu sein. Gegen die meisten fand jedoch niemals ein Prozess statt.

Begnadigt wurden auch prominente Vertraute des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó, wie dessen Stabschef Roberto Marrero. Nicht auf der Liste befindet sich hingegen Guaidós Mentor Leopoldo López, der dessen Partei Volkswille (VP) anführt und in Folge der gewalttätigen Proteste von 2014 zu fast 14 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Seit dem gescheiterten Putschversuch am 30. April vergangenen Jahres, als Guaidó ihn aus dem Hausarrest befreien ließ, sitzt López in einem Gebäude der spanischen Botschaft fest. Ebenso wenig berücksichtigte Maduro eingesperrte dissidente Militärs und linke Regierungskritiker*innen, auch wenn sich unter den Begnadigten mit Nicmer Evans ein früherer Chavist befindet, der mittlerweile Guaidó unterstützt.

Maduro begründete die Begnadigungen öffentlich als Beitrag zu „Dialog und Versöhnung“. International gab es zaghaftes Lob: Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sprach von einen „positiven Schritt“, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell von „guten Nachrichten“. Für eine von Maduro gewünschte EU-Wahlbeobachtermission fordert Borrell jedoch die Verschiebung der für den 6. Dezember geplanten Parlamentswahl. Die US-Regierung äußerte sich hingegen ablehnend. Außenminister Mike Pompeo erklärte, in Venezuela bestünden „für freie und faire Wahlen nicht die notwendigen Voraussetzungen und daran ändert auch die Freilassung politischer Gefangener nichts.“ Dieselbe Position vertritt Guaidó. „Das Regime hat heute Geiseln freigelassen“, twitterte er.

Freilassung Oppositioneller vor den Parlamentswahlen

Die Begnadigungen ermöglicht haben offenbar Ex-Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles und der Oppositionsabgeordnete Stalin Gónzalez. Unter Vermittlung der Türkei führten sie hinter dem Rücken Guaidós Geheimgespräche mit Präsident Maduro. Das Guaidó-Lager, das jeglichen Kontakt zur Regierung ablehnt und nach wie vor auf dem bedingungslosen Abgang Maduros besteht, zürnte. In den sozialen Medien wurde Capriles, der schon zuvor auf Distanz zu Guaidó gegangen war, als „Verräter“ diffamiert. Der zweifache Präsidentschaftskandidat konterte: „Mit Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft zu sprechen ist normal, wenn man an Politik und Demokratie glaubt“, schrieb er auf Twitter.

Äußerungen von Capriles und Gónzalez von Anfang September deuten darauf hin, dass sie sich an den Parlamentswahlen beteiligen wollen. Damit vollziehen die beiden prominenten Regierungsgegner den offenen Bruch mit dem Guaidó-Lager. Der Opposition droht die nächste Spaltung. Dabei hatte Guaidó erst Mitte August einen Vorschlag lanciert, um die Regierungsgegner*innen im Vorfeld der Parlamentswahlen weitgehend zu einen und den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Mittels eines gemeinsamen Fahrplans, der unter anderem eine Befragung der Bevölkerung und neue Mobilisierungen vorsieht, soll das Militär zum Umsturz bewegt werden. Doch der Vorschlag stieß nicht nur bei Pragmatiker*innen wie Capriles auf Ablehnung, sondern auch bei Hardlinern wie María Corina Machado, die offen für eine US-Militärintervention eintritt. Derartigen Forderungen erteilte Elliot Abrams, der US-Sondergesandte für Venezuela, Anfang September indes eine Absage. In Anspielung auf das literarische Werk des Kolumbianers Gabriel García Márquez bezeichnete er Machados Vorstellungen als „magischen Realismus“. Nach zahlreichen Rückschlägen wird das Guaidó-Lager politisch fast nur noch durch die Unterstützung der US-Regierung am Leben erhalten.

Geht es nach dem Willen der Regierung, könnte eine im Dezember neu gewählte Nationalversammlung ab Anfang 2021 die regierungsnahe Verfassunggebende Versammlung ersetzen. Diese fungiert seit Mitte 2017 de facto als Parallelparlament, ohne einen neuen Verfassungstext ausgearbeitet zu haben. Ebenso wie bei der Präsidentschaftswahl 2018 ruft ein Teil der rechten Opposition jedoch zum Boykott auf und hält an Guaidó als „Interimspräsident“ fest. Insgesamt 27 Parteien erklärten Anfang August, sich „nicht an dem Betrug zu beteiligen, zu dem die Diktatur aufgerufen hat.“ Die Namen der großen Oppositionsparteien Gerechtigkeit Zuerst (PJ), Demokratische Aktion (AD) und VP werden im Dezember dennoch auf dem Wahlzettel stehen. Das regierungsnahe Oberste Gericht hatte die Kontrolle über die Parteien und ihre Symbole im Juli jeweils dem Minderheitsflügel übertragen, der sich für die Teilnahme an Wahlen ausspricht. Doch um die Legitimität der Wahlen zu erhöhen, braucht die Regierungspartei Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) ernstzunehmende Gegner*innen. Zwar nehmen moderate Oppositionsparteien wie Progressiver Fortschritt (AP) des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Henri Falcón teil, der im Mai 2018 Maduro unterlegen war. Die meisten Beobachter*innen sehen in den Begnadigungen jedoch den Versuch Maduros, weitere namhafte Kandidat*innen wie eben Henrique Capriles zur Teilnahme zu bewegen.

Da das Parlament derzeit nicht arbeitsfähig ist und ein Konsens zur Neubesetzung des Nationalen Wahlrates unmöglich war, hatte das regierungsnah besetzte Oberste Gericht im Juli dessen neue Mitglieder*innen ernannt. Für die Parlamentsabstimmung im Dezember beschloss der Nationale Wahlrat anschließend einige Änderungen. Unter anderem steigt die Zahl der Abgeordneten von 167 auf 277. Elemente des Verhältniswahlrechts werden gegenüber dem Mehrheitswahlrecht gestärkt. Dies bietet kleineren Parteien mehr Chancen auf Sitze. Da das Wahlsystem aber nach wie vor die stärkste Kraft bevorzugt, ist das Risiko für die Regierung überschaubar. Mit der Wahlmaschinerie der PSUV kann keine andere Partei auch nur annähernd mithalten, der Sieg dürfte ihr aufgrund der gespaltenen Opposition kaum zu nehmen sein.

Die Parlamentswahl kann dennoch politische Verschiebungen bewirken. Wird der Trend hin zu einer sinkenden Wahlbeteiligung gestoppt, würde dies die Hardliner innerhalb der Opposition schwächen. Und der intern bereits geschwächte Guaidó, der seinen Anspruch auf die Interimspräsidentschaft vom Parlamentsvorsitz ableitet, wird nicht einmal mehr gewöhnlicher Abgeordneter sein. Eine niedrige Wahlbeteiligung hingegen könnte das Guaidó-Lager in seinem Konfrontationskurs bestätigen, moderate Oppositionelle wie Falcón und Capriles schwächen und den Machtkampf wieder verschärfen.

Regierung geht gegen neues Bündnis linker Gruppen vor

Nicht nur die rechte Opposition ist gespalten. Anfang August hatten die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), die gewerkschaftsnahe Partei Heimatland für Alle (PPT) sowie weitere linke Gruppen offiziell angekündigt, mit einem eigenen Wahlbündnis jenseits der PSUV anzutreten. Die neue „Revolutionär-Populare Alternative Venezuelas“ sieht sich ausdrücklich als Alternative innerhalb der Revolution und will sich für „die Rechte der Bevölkerung, die Löhne der Arbeiter, die nationale Unabhängigkeit und die effektive Ausübung der demokratischen Partizipation an der Basis“ einsetzen. Der Regierung wirft das Bündnis vor, diese einstigen Kerninhalte chavistischer Politik aus den Augen verloren zu haben.

Nüchtern betrachtet kann die Regierungspartei auf die Stimmen der kleineren Parteien zwar verzichten – bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen steuerten PCV und PPT zu den insgesamt 6,2 Millionen Stimmen Maduros nicht einmal 300.000 bei. Deutlich bessere Ergebnisse erzielten die kleineren Parteien allerdings bei den Bürgermeister*innen- und Kommunalwahlen 2017 und 2018, wo sie teilweise eigene, basisnahe Kandidat*innen gegen die PSUV ins Rennen schickten und in einer Ortschaft gar um den Wahlsieg geprellt wurden. Symbolisch bezog das Bündnis mit den kleineren Parteien stets Sektoren der Linken mit ein, die sonst eher mit der PSUV fremdeln. Und Parteien wie PPT und PCV leisteten häufig wichtige Debattenbeiträge, die innerhalb der PSUV kaum möglich erschienen.

Aus den Reihen der regierenden Chavist*innen wurden umgehend Stimmen laut, die den kleinen Parteien „Verrat“ vorwerfen. Kurz darauf zeigte sich, dass die Regierung nicht gewillt ist, alternative linke Kräfte anzuerkennen. Ähnlich wie bei den großen Parteien der rechten Opposition griff das Oberste Gericht Mitte August auch in die internen Strukturen kleinerer chavistischer Parteien ein. Zunächst sprach es die Führung der radikal-chavistischen Partei Tupamaro dem regierungstreuen Flügel zu. Die Tupamaros waren auf Distanz zu Maduro gegangen und wollten bei der Parlamentswahl alleine antreten. Anschließend wiederholte das Gericht dieses Vorgehen in Rekordzeit bei der PPT, deren Name und Symbole nun vom regierungsnahen Minderheitsflügel verwendet werden dürfen, der als Verbündeter der PSUV auf den Wahlzetteln stehen wird. Die Kandidat*innen des eigentlich geplanten neuen Linksbündnisses sollen nun auf der Liste der PCV antreten.

Da der Regierung vor allem an der Legitimität der Parlamentswahlen gelegen ist, überrascht das Vorgehen gegen dissidente kleinere Parteien. Denn die Regierungspartei könnte von der linken Konkurrenz sogar profitieren. Aufgrund vieler enttäuschter Chavist*innen dürfte die Wahlbeteiligung durch die linke Alternative steigen, ohne dass dies die PSUV-Mehrheit gefährdet. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist allerdings die Corona-Pandemie, die mittlerweile auch in Venezuela immer akuter wird. Aus Angst vor Ansteckung könnten zahlreiche Wähler*innen zu Hause bleiben.

DER MARKT IST VOLL, ABER KAUM JEMAND KAUFT EIN

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Dicht gedrängt trotz Quarantänebestimmungen Menschen im Markt von Ruiz Pineda (Fotos: John Mark Shorack)

Eine ältere Frau mit grauem Haar steht am Eingang zum Markt, über der Schulter trägt sie einen vollen Beutel. Mit Mundschutz und Handschuhen verkauft sie eine Mischung aus Koriander und Frühlingszwiebeln, genannt „monte“. Es ist das Einzige, was sie verkauft. “Monte ist eine gute Alternative zu Zwiebeln“, erklärt sie. Wie viele andere musste sie sich im Zuge der Pandemie neu erfinden und arbeitet jetzt als Lebensmittelverkäuferin – eine der wenigen noch erlaubten Tätigkeiten. Sie akzeptiert keine Kartenzahlung, nur Bargeld. Dies sei aber „schwierig, denn es gibt kaum Bargeld”.

Der Markt von Ruiz Pineda im Südwesten der venezolanischen Hauptstadt Caracas ist überdacht und hat sehr enge Gänge, die bereits ab dem frühen Morgen voller Kund*innen sind. Am Eingang gibt es inzwischen keine Kontrollen mehr und die Menschen stoßen immer wieder aneinander. Nach sieben Wochen in Quarantäne scheinen die Präventionsstrategien – wie Abstand zu halten und nur eine begrenzte Zahl von Käufer*innen auf einmal einzulassen – vergessen zu sein.

Nach sieben Wochen Quarantäne sind die Präventionsstrategien vergessen

Seit Mitte März gelten in Caracas und im restlichen Land Quarantänebestimmungen. Die Menschen dürfen daher ihre Wohnung nur zum Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten verlassen. Die Regierung hatte zudem die Unterbrechung der meisten Arbeitstätigkeiten, des internationalen Flugverkehrs sowie eine Mundschutzpflicht angeordnet. Nur die im Bereich der Lebensmittelversorgung, des Gesundheitssystems, des Verkehrs und der Sicherheit Beschäftigten dürfen noch arbeiten. Die Polizei und die Nationalgarde kontrollieren das Tragen des Mundschutzes und blockieren mit Straßensperren den Zugang zu den einzelnen Stadtvierteln. Die Schulen wurden ebenfalls geschlossen, die Schulküchen sind jedoch weiter in Betrieb, um Menschen über 60 und Schüler*innen unter 19 Jahren ein tägliches Mittagessen anzubieten.

Am ersten Tag der Quarantäne stehen die Menschen Schlange vor den Geschäften, um sich – die am 15. März ausbezahlten Löhne in der Tasche – mit Lebensmitteln einzudecken. „Man kann nicht zu Hause bleiben. Wie soll man essen? Man muss rausgehen,” sagt eine Frau, die  in der Schlange vor der Bäckerei wartet. Gegenüber an der Bushaltestelle steht Raul Martinez, ein Bewohner des Viertels Ruiz Pineda. “Wasser gibt es hier nur an zwei Tagen in der Woche,” sagt er. Für ihn wäre das Allerwichtigste, während der Quarantäne “immer Wasser zu haben”.

Seit Beginn der Quarantäne ist der Markt des Viertels nur noch am Vormittag geöffnet. Geschäfte, die zunächst geschlossen hatten, haben nach und nach wieder geöffnet, um Lebensmittel zu verkaufen. Sie verkaufen das, was es in der Hauptstadt ausreichend gab: Haltbare Lebensmittel, Gemüse und Früchte. Aber im Vergleich zu den Löhnen sind Grundnahrungsmittel und elementare Hygieneprodukte bereits zu Beginn der Quarantäne teuer. Ein monatlicher Mindestlohn, umgerechnet fünf Euro, reicht gerade für ein Kilo schwarze Bohnen, ein Kilo Maismehl, ein Pfund Käse und eine Packung Toilettenpapier.

Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich in 2 Monaten mehr als verdoppelt

Ende März werden einige der Einschränkungen bereits inoffiziell gelockert. Kund*innen stehen sehr nah beieinander, mehr informelle Verkäufer*innen gehen auf der Straße ihrem Geschäft nach, und in den Wohngebieten wird der Mundschutz weniger häufig getragen.

Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 führten die internationalen Sanktionen und die staatliche Misswirtschaft zu gravierenden Problemen bei der Wasser- und Stromversorgung, zu Krankenhäusern in schlechtem Zustand und Mangelsituationen in fast jedem Aspekt des Alltagslebens der Venezolaner*innen. Mit der Pandemie haben sich diese noch weiter verschärft.

Bei Erklärung der Ausgangssperre bat die venezolanische Regierung daher die Weltgesundheitsorganisation um Unterstützung und erklärte landesweit 46 Krankenhäuser zu Anlaufstellen für COVID-19-Patient*innen. Diese Entscheidungen und die Mobilisierung kamen schnell, dennoch fehlte es von Anfang an an wichtiger Ausrüstung, wie Corona-Tests und Schutzkleidung. Aufgrund der internationalen Sanktionen war deren Einkauf nicht möglich; verbündete Länder wie Kuba und China schickten jedoch im März humanitäre Hilfe in Form von Mediziner*innen, Medikamenten, Schutzausrüstung und Testkits.

Juan Guaidó, der sich im Januar 2019 selbst zum Präsidenten ernannt hatte, äußerte sich am 28. März zur Pandemie. Er forderte per Twitter-Video die Bildung einer „Nationalen Notstandsregierung“. Zwei Wochen später verkündete er, dass er “Mittel der Venezolaner*innen zurückerlangt“ habe und drei Monate lang jedem Angestellten des venezolanischen Gesundheitssystems je 100 Dollar auszahlen werde. Mehrere Medien berichteten, das Geld käme von einem Konto der venezolanischen Zentralbank (BCV) in den Vereinigten Staaten. Die Trump-Regierung genehmige die Überweisung an ein Konto der Federal Reserve Bank of New York. Die BCV nannte es eine „rüde Plünderung“ ihrer Mittel. Die Geldtransfers waren ein Versuch Guaidós, im politischen Spektrum des Landes präsent zu bleiben. Weil die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pandemie nicht von ihm getroffen werden, ist dies jedoch schwierig und seine Bedeutung in der venezolanische Opposition sinkt.

Einmal Markt und zurück, mehr geht nicht Wartende mit ihren Einkäufen an der Bushaltestelle (Foto: John Mark Shorack)

Am 11. April verlängerte die Vizepräsidentin Delcy Rodriguez in einer Fernsehansprache die landesweite Quarantäne um dreißig Tage. „Die Kurve ist abgeflacht”, sagte sie, “und wir müssen mit der Quarantäne fortfahren.“ Sie bestätigte insgesamt 175 Corona-Infektionen im Land. Im gleichen Zug verkündete sie die Ankunft von 15.000 Testkits, zusätzlich zu den bereits im März gelieferten. Als es eine Woche später 52 neue Fälle von Infektionen in drei Tagen gab, wurde im Bundesstaat Nueva Esparta eine Sperrstunde verhängt.

Caracas leidet aber nicht nur unter der Corona-Pandemie, seit Ende März gibt es auch großen Benzinmangel. „Es ist wie in San Cristóbal”, sagt ein Busfahrer und meint damit die Stadt an der kolumbianischen Grenze. Dort müssen die Leute schon seit längerem stundenlang auf Benzin warten und dafür möglichst frühmorgens gegen drei Uhr an der Tankstelle sein. Trotzdem werden viele Autos abgewiesen und müssen an einem anderen Tag zurückkehren, oder sogar mehrere Tage warten. Der Benzinmangel führt zu Störungen beim Transport von Lebensmitteln sowie im öffentlichen Verkehr.

Durch den Umsturzversuch ist die Glaubwürdigkeit von Guaidó weiter gesunken

Gleichzeitig steigen im April der Wechselkurs der Parallelwährung US-Dollar sowie die Lebensmittelpreise weiter: “Die Preise sind sehr hoch. Hähnchenschnitzel kosten 500.000 Bolivares pro Kilo,” meint eine Frau auf ihrem Weg vom Markt nach Hause. Das entspricht einem Mindestlohn von etwas mehr als einem Monat. Zwischen Anfang März und Ende April haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel wie Eier, Käse und Bananen mehr als verdoppelt.

Ab dem 1. Mai hat die venezolanische Regierung daher Preisobergrenzen für 27 Produkte angeordnet, darunter Eier, Käse und Maismehl, sowie den Mindestlohn um 60 Prozent erhöht. In der ersten Woche der Maßnahmen ist der starke Anstieg der Preise und des Dollarwechselkurses zurückgegangen. Aber auch mit einem höheren Mindestlohn ist das Essen immer noch zu teuer für viele Menschen in Caracas. Die meisten kaufen daher Gemüse und Obst der Saison wie Bananen, Maniok und Mango, die besonders billig sind. Für haltbare Grundnahrungsmittel wie Bohnen oder Reis sind viele im Stadtviertel Ruiz Pineda auf die monatliche Lebensmittelskiste der Regierung und Unterstützung von Angehörigen im  Ausland angewiesen.

“Die Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung schafft es nur deshalb, über die Runden zu kommen, weil es den informellen Sektor und die Auslandsüberweisungen gibt,” so Atenea Jimenez, Sprecher des Nationalen Netzwerks der Kommunarden und Kommunardinnen im Interview mit der Zeitung Green Left. Durch die Quarantäne “ist die Situation noch schwieriger geworden, die Leute können nicht mehr rausgehen, wann immer sie ihre alltäglichen Aufgaben im informellen Sektor erledigen müssen oder um Auslandsüberweisungen abzuholen”, sagte Jimenez weiter. Die Atmosphäre im Markt von Ruiz Pineda hat sich daher in den letzten vierzehn Tagen verändert. Der Markt ist immer noch voll, aber weniger Leute kaufen ein. „Die Menschen haben kein Geld mehr,“ erklärt der Metzger auf die Frage, warum sein Stand so leer ist. Ein Gemüsestand nebenan hat eher ältere Ware: „Es ist sehr schwer, Benzin zu bekommen. Wir haben es nicht geschafft, im Großmarkt neue Ware einzukaufen.“

Der Corona-Virus fühlt sich in Venezuela einfach an wie ein weiteres Problem

Die Zahl der Infektionen mit dem Corona-Virus steigt langsam weiter, auf zuletzt mehr als 450 Fälle und 10 Tote. Im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern steht Venezuela damit sehr gut dar, mit der geringsten Anzahl von Fällen pro eine Million Einwohner. Grund genug für die Regierung, sich selbst zu loben. Aber die Entscheidung über die Fortsetzung der Quarantäne-Maßnahmen – wie sie andere Länder mit deutlich mehr Infektionen schon gefällt haben – ist schwierig. Sie könnte wegen des Benzinmangels größere Konsequenzen haben und als ein Versuch sozialer Repression verstanden werden. Trotz der gültigen Ausgangsperre und der täglichen Pressekonferenz der Regierung öffnen schon jetzt in Ruiz Pineda und Caracas Schreibwarenläden, Friseure und andere Geschäfte, die eigentlich noch geschlossen bleiben müssten. Am 12. Mai hat Präsident Maduro die Fortsetzung der Beschränkungen um weitere 30 Tage angekündigt.

Mitten in der Pandemie ereignete sich noch ein gewaltsamer Umsturzversuch. Am Morgen des 3. Mai teilte Innenminister Nestor Reverol mit, dass „eine Invasion über das Meer“ vereitelt worden sei. Es habe acht Tote und zwei Festnahmen gegeben. Am gleichen Abend bekannten sich Jordan Goudreau, US-Amerikaner und ehemaliger Soldat, sowie Javier Nieto Quintero, ehemaliger Kapitän der venezolanische Nationalgarde, per Video zu der „Operacion Gedeon.“ Nach weiteren Festnahmen von sechs Venezolanern und zwei ehemaligen US-amerikanischen Soldaten aus einem zweiten Motorboot am folgenden Tag veröffentlichte Goudreau einen angeblichen Vertrag mit Juan Guaidó. Ziel des Vertrages, den Guaidó als „Präsident Venezuelas“ unterschrieben habe, wie die The Washington Post berichtete, sei die „Festnahme und Auslieferung Maduros“ gewesen. Guaidó bestreitet seine Unterschrift. Ein weiterer Unterzeichner bestätigte den veröffentlichten Vertrag auf CNN, allerdings als „Vorvertrag“. Die Verhandlungen seien jedoch im November abgebrochen worden. Durch den gesamten Vorfall ist die Glaubwürdigkeit des selbsternannten Präsidenten Guaidó weiter gesunken. In den folgenden Tagen wurden insgesamt 45 an dem Putschversuch Beteiligte festgenommen. Präsident Maduro sprach von einem gescheiterten Umsturzversuch, der von den USA eingefädelt worden sei. “Donald Trump ist der direkte Chef dieser Invasion”, sagte Maduro am 6. Mai. Der US-amerikanische Präsident hatte jegliche Beteiligung bereits zuvor zurückgewiesen.

Die Venezolaner*innen haben sich an Schwierigkeiten gewöhnt, Inflation und Probleme bei Transport und Verkehr gehören zum Alltag – auch wenn die Pandemie eine neue Situation ist. „Man ist nicht daran gewöhnt, nichts zu tun“, sagt eine ältere Frau auf der Straße. Vor der Pandemie hat sie Kinder beaufsichtigt, „aber jetzt arbeitet niemand mehr“. Manche putzen oder reparieren ihre Wohnungen, spielen Domino oder versammeln sich an der Straßenecke. Pandemie, mangelnde Versorgung und Putschversuch – der Corona-Virus fühlt sich in Venezuela einfach an wie ein weiteres Problem.

EL MERCADO ESTÁ LLENO, PERO POCOS COMPRAN

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Amoñonados a pesar de las regulaciones de cuarentena La gente en el mercado de Ruiz Pineda (Foto: John Mark Shorack)

Una señora con canas y arrugas en la cara está parada a la entrada del mercado y sobre su hombro carga una bolsa llena. Con tapaboca y guantes, ella vende una mezcla de cilantro y cebollín, comúnmente llamado “monte”. Es lo único que vende y “es muy buena alternativa a la cebolla,” explica. Ella, como muchxs otrxs, se tuvo que reinventar y ahora es vendedora de comida, uno de los pocos empleos que siguen funcionando durante la cuarentena. No acepta pago con tarjeta, solo efectivo. En sus palabras: la situación “está difícil, no hay mucho efectivo.”

El mercado de Ruíz Pineda, en el suroeste de la capital venezolana, está techado y tiene corredores angostos que desde temprano se llenan de clientes. Ya no hay control en las entradas y adentro se amontonan las personas. Después de siete semanas de cuarentena, las medidas preventivas, el distanciamiento social y el control sobre la aglomeración de personas, parecen estar olvidadas.

Después de siete semanas de cuarentena, las medidas preventivas están olvidadas

Desde mediados de marzo, Caracas junto con el resto del país está en cuarentena, sólo se puede salir a comprar comida o medicamentos. El gobierno también anunció la suspensión de vuelos internacionales, el uso obligatorio del tapaboca y la cancelación del día laboral, exceptuando trabajos relacionados con la provisión de alimentos, los servicios sanitarios y servicios de seguridad y transporte. En la calle, policía y Guardia Nacional controlan el uso de tapabocas y bloquean las salidas de las distintas zonas. Las escuelas también cerraron, manteniendo sus cocinas abiertas para ofrecer un almuerzo diario a ancianxs y estudiantes menores de 19 años. El primer día de la cuarentena, volvieron las filas de clientes a las tiendas de Ruiz Pineda mientras buscaban comprar con su recién llegado salario del 15 de marzo. “No puedes quedarte en tu casa, ¿cómo comes? Tienes que salir” dijo una señora en la fila de la panadería.

En la otra acera estaba Raúl Martínez, otro residente de la zona. “Aquí llega el agua dos días a la semana,” dijo. Para él lo primordial era tener “agua permanente”. Desde que comenzó la cuarentena, el mercado de Ruiz Pineda abre sólo medio día. Tiendas que los primeros días estaban cerradas, poco a poco abrieron vendiendo comida. Con clientes haciendo fila, vendían productos que durante el mes de marzo había suficiente en la capital, como comida seca, frutas y vegetales. Sin embargo, en relación con los salarios, la comida y los productos de primera necesidad estaban caros. Con un sueldo mínimo mensual, convertido sería un poco más de cinco dólares, se podía comprar un kilo de caraotas, un kilo de harina de maíz, un poco de queso y un paquete de papel higiénico.

Los precios de alimentos básicos aumentaron en dos meses  más de un 100 por ciento

Ya finalizando marzo, algunas restricciones de modo inoficial disminuyeron. Algunas personas que estaban comprando se agrupaban en espacios cerrados del mercado por la falta de control, más vendedores informales vendían en la calle y el uso de tapabocas en las zonas residenciales se volvió menos frecuente.

Antes del COVID-19, las sanciones internacionales y políticas ineficientes ya habían llevado el país a problemas de abastecimiento de agua, electricidad, hospitales en mal estado y déficits en casi cada aspecto del día a día venezolano. Con la pandemia, esta situación de emergencia sólo se ha profundizado más. Al declarar la cuarentena, el gobierno venezolano acudió a la Organización Mundial de la Salud (OMS) en búsqueda de apoyo y designó 46 hospitales para manejar el virus en todo el país. Las decisiones y movilizaciones fueron rápidas, sin embargo, desde el comienzo faltaron kits de prueba, maquinaria y uniformes de protección. Sin poder comprar estos materiales debido a las sanciones, el gobierno enfrentó la pandemia con ayuda humanitaria de países aliados como Cuba y China, quienes han traído equipos médicos, personal, medicina, uniformes y kits de prueba.

Juan Guaidó, quien se había autoproclamado presidente interino en enero 2019, dio un comunicado en el contexto de la pandemia el 28 de marzo por video en la red social Twitter. Llamó a la creación de un “Gobierno de Emergencia Nacional” para gobernar el país. Dos semanas más tarde anunció que “recuperó recursos de los venezolanos” y hará entrega por tres meses de $100 mensuales a trabajadores de la salud en el país. Según reportes de varios medios, el dinero proviene de la cuenta del Banco Central de Venezuela (BCV) en Citibank. El gobierno de Donald Trump autorizó su transferencia a una cuenta en la Reserva Federal de Nueva York. El BCV en comunicado oficial lo denominó un “vulgar despojo” de sus recursos. Por medio del pago Guaidó intentó permanecer presente en la política interna del país. Sin embargo, como las decisiones en el país en relación a la pandemia no se basan en sus decisiones, esto es difícil y su importancia en la oposición venezolana está disminuyendo.

Al mercado y de regreso, más nada Gente esperando con sus compras en la parada del autobús (Foto: John Mark Shorack)

El sábado 11 de abril la vicepresidenta Delcy Rodríguez, en anuncio televisado, prolongó la cuarentena por 30 días más. “Está aplanada la curva y debemos seguir en cuarentena,” dijo a todo el país. Confirmó 175 personas infectadas con el virus y, al mismo tiempo, anunció la llegada de 15 mil pruebas PCR que se sumaron a los materiales llegados en marzo. Una semana más tarde, al confirmar 52 casos nuevos dentro de sólo tres días colocaron al Estado de Nueva Esparta en toque de queda.

Caracas sufre no sólo bajo la pandemia, desde finales de marzo hay gran escasez de gasolina. “Es tipo San Cristóbal,” comenta un conductor de transporte público refiriéndose a la ciudad fronteriza con Colombia. Allá, como ahora en Caracas, es necesario esperar horas y muchas veces madrugar en busca de gasolina. Igual, muchas de las personas esperan sin lograr llenar su tanque de gasolina y deben volver otro día o esperar varios días. La escasez ocasiona disrupción en el transporte de alimentos y también en el transporte público de la ciudad.

Al mismo tiempo, los precios tanto del dólar como moneda paralela, como de la comida están incrementando. “Los precios están altísimos, pollo milanés está en 500 mil el kilo,” dijo la señora regresando a su casa cargando solo una bolsa de cambures. Eso corresponde a un poco más de un mes de salario mínimo. Entre comienzos de marzo y finales de abril los precios de alimentos básicos como huevos, queso y cambur aumentaron más que el doble.

El intento de golpe de Estado ha reducido aún más la credibilidad de Guaidó

En respuesta, el gobierno venezolano reguló el precio de 27 productos a partir del 1 de mayo, dentro de los cuales se incluyen huevos, queso y harina de maíz, e incrementó el salario mínimo un 60 por ciento. En la primera semana de la regulación, se lograron estabilizar temporalmente los precios, tanto del dólar como de la comida, pero la realidad es que aún con el incremento de los salarios, la comida sigue siendo demasiada costosa para muchxs. La mayoría de las personas compran verduras y frutas que se encuentran en temporada, como el cambur, el mango y la yuca, porque son lo más barato que se consigue. Para comida seca como caraotas o arroz muchos dependen de una caja mensual de comida proveída por el estado y de remesas del extranjero.

“La mayoría de la población venezolana sólo sobreviven gracias al sector informal y a las remesas del extranjero” dijo Atenea Jiménez, portavoz de la Red Nacional de Comunas en una entrevista con el periódico Green Left. La cuarentena “ha hecho la situación aún más difícil, la gente ya no puede salir cuando necesita hacer sus diligencias diarias en el sector informal o para recoger remesas”, continuó Jiménez. Asímismo, el ambiente en el mercado de Ruiz Pineda los últimos catorce días ha cambiado. El mercado sigue lleno, pero menos personas están comprando. “La gente no tiene más dinero,” explica el charcutero al preguntar por qué su puesto está vacío. Y el puesto de verduras tiene productos viejos. “Está muy difícil conseguir gasolina, no pudimos ir a comprar productos”, afirma.

El número de casos confirmados de coronavirus sigue aumentando lentamente, a mediados de Mayo se contaban más de 450 casos y 10 muertes. En comparación con otros países de América del Sur, Venezuela se encuentra en muy buena posición, con el menor número de casos por millón de habitantes. Da razón suficiente para que el gobierno se elogie a sí mismo, pero la decisión de continuar con las medidas de cuarentena – en un momento en el que otros países con un número significativamente mayor de infecciones están reduciendo las medidas – es difícil. Podría tener mayores consecuencias debido a la falta de combustible y podría ser visto como un intento de control social. A pesar de la cuarentena y de la conferencia de prensa diaria del gobierno, las papelerías, peluquerías y otras tiendas que deberían permanecer cerradas ya están abriendo en Ruiz Pineda y Caracas. El 12 de mayo, el Presidente Maduro anunció la continuación de las restricciones por otros 30 días.

El coronavirus en Venezuela se siente simplemente como otro problema más

En medio de la pandemia, tuvo lugar otro intento violento de golpe de Estado. En la mañana del 3 de mayo, el ministro de Interior Néstor Reverol anunció que una “invasión vía marítima” había sido frustrada. Hubo ocho muertos y dos arrestos. Esa misma noche, Jordan Goudreau, exsoldado estadounidense y Javier Nieto Quintero, excapitán de la Guardia Nacional venezolana, anunciaron la “Operación Gedeón” a través de un video. Tras nuevas detenciones de seis venezolanos y dos exsoldados estadounidenses en una segunda lancha al día siguiente, Goudreau publicó un supuesto contrato con Juan Guaidó. El objetivo del contrato, en donde aparece la firma de Guaidó como “Presidente de Venezuela”, como informó The Washington Post, era el “arresto y detención de Nicolás Maduro”. Guaidó niega su firma. Otro signatario confirmó el tratado publicado por CNN, pero como un “tratado preliminar”, agregando que las negociaciones se habían interrumpido en noviembre. Todo el incidente ha reducido aún más la credibilidad del autoproclamado presidente Guaidó. En los días siguientes, se detuvo a un total de 45 personas involucradas en el intento de golpe de Estado. El Presidente Maduro habló de un intento de golpe fallido diseñado por los Estados Unidos de Norteamérica (EEUU). “Trump es el jefe directo de esta incursión”, dijo Maduro el 6 de mayo. El presidente de los EEUU había negado previamente cualquier implicación.

Lxs venezolanxs se han acostumbrado a superar dificultades, la inflación y la falta de transporte ya pertenecen a la rutina, pero en el caso del coronavirus se encuentran con una situación nueva. “Uno no está acostumbrado a no hacer nada,” dice una señora caminando a buscar su caja mensual de comida. Antes de la pandemia ella cuidaba niñxs, “pero ahora nadie está trabajando” y ella se tiene que quedar en casa. Otras personas están limpiando y reparando sus hogares, jugando dominó o  congregándose en las esquinas a hablar. Pandemia, suministro insuficiente y un intento de golpe de Estado – el coronavirus en Venezuela se siente simplemente como otro problema más.

NEUE MÖGLICHKEITEN ZUM DIALOG?

Norwegens Regierung vermittelt zwischen den verhärteten Fronten der venezolanischen Regierung und Opposition: Berichten zufolge wurden Gespräche mit Kommunikationsminister Jorge Rodríguez und Héctor Rodríguez, dem Gouverneur des Bundesstaates Miranda, geführt. Beide gehören der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) von Nicolás Maduro an. Von der Opposition reiste der Vizepräsident des Parlaments, Stalin González, mit zwei politischen Beratern nach Oslo. Aus diesen Gesprächen, die jeweils einzeln mit den Vermittler*innen des norwegischen Außenministeriums stattfanden, wurden keine Ergebnisse bekannt. In einer zweiten Sitzung am 29. Mai verhandelten Regierung und Opposition direkt miteinander. Die norwegische Außenministerin Ine Eriksen Søreide betonte, beide Gesprächsparteien hätten ihre Bereitschaft gezeigt, „bei der Suche nach einer gemeinsam vereinbarten und verfassungsmäßigen Lösung für das Land voranzukommen, welche Aspekte der Politik, Wirtschaft und Wahlen einschließt“. Norwegen hat eine lange Tradition als Friedensvermittler: Seit 1990 hat das Land mehr als zwanzig Friedensprozesse begleitet, unter anderem für Guatemala und Kolumbien.
Trotz der Sondierungsgespräche gehen die Konfrontationen in Venezuela weiter. Medienberichten zufolge wurde Edgar Zambrano, Vizepräsident der Nationalversammlung, am 9. Mai vom venezolanischen Geheimdienst (SEBIN) festgenommen, nachdem seine parlamentarische Immunität von der Verfassungsgebenden Versammlung aberkannt worden war. Weitere dreizehn Abgeordnete verloren ihre Immunität. Einige wurden ebenfalls verhaftet, während andere in ausländische Botschaften in Caracas flüchteten. Der Oberste Gerichtshof klagt die Abgeordneten wegen sieben Verbrechen an, darunter Landesverrat, Verschwörung und Anstachelung zum Aufstand für den Putschversuch am 30. April (siehe LN 539).
Auch auf internationaler Ebene gibt es weiterhin Konflikte. Die US-amerikanische Regierung hat Carlos Vecchio als Botschafter des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó anerkannt und stellt sich damit zum wiederholten Male hinter Guaidó. Vecchio übernahm anschließend das venezolanische Generalkonsulat in New York. Als Reaktion darauf ist eine Gruppe von Aktivist*innen des „Kollektivs zum Schutz der Botschaft“ auf Einladung der Maduro-Regierung am 11. April in die venezolanische Botschaft in Washington D.C. eingedrungen, um diese „zu beschützen“.
Die Mitglieder des Kollektivs blieben mehrere Wochen in der Botschaft, während Guaidó-Sympathisant*innen vor dem Gebäude protestierten. Nach dem 30. April verhärteten sich die Fronten. Die örtlichen Behörden unterbrachen die Wasser- und Stromversorgung des Gebäudes und blockierten die Zulieferung von Nahrungsmitteln. Am 14. Mai erwirkte die Polizei einen Räumungsbescheid, doch das Kollektiv weigerte sich weiterhin, die Botschaft zu verlassen.
Schließlich wurde das Gebäude am 16. Mai geräumt und die vier Aktivist*innen, die sich noch vor Ort befanden, wurden verhaftet. Allerdings wurden sie einen Tag später wieder freigelassen, mit der Auflage, am 12. Juni vor Gericht zu erscheinen. Auf einer Pressekonferenz vor dem Botschaftsgebäude verkündete Vecchio: „Heute sind wir in dieses Gebäude gekommen, aber bald werden wir in Miraflores (Anm. d. Red.: Sitz des Präsidenten in Caracas) ankommen.“
Von dort deklarierte Maduro die Übernahme des Generalkonsulats in New York als einen „illegalen Angriff“, der das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verletze. Zeitgleich lud die Regierung im Zuge der Kampagne #TrumpDesbloqueaVenezuela (Appell für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Venezuela, Anm. d. Red.) zu Pressekonferenzen in den europäischen Botschaften ein, auf denen es um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Sanktionen auf Venezuela ging.

Die Reaktionen der deutschen Regierung auf die Vorkommnisse in Venezuela bleiben widersprüchlich

Laut Maduro-Regierung sind über fünf Milliarden Dollar des venezolanischen Vermögens auf internationalen Bankkonten eingefroren worden, ein Großteil davon in England. Mehrere hunderte Millionen Dollar befänden sich in der Hand von US-amerikanischen, portugiesischen und belgischen Banken. Laut dem venezolanischen Botschafter in Deutschland, Orlando Maniglia, waren diese Summen ursprünglich dafür vorgesehen, den Bedarf des Landes mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Ähnlichem zu decken.
Maniglia bestätigte außerdem, „normale Beziehungen” zum Auswärtigen Amt zu führen. Die Reaktionen der deutschen Regierung auf die Vorkommnisse in Venezuela bleiben indessen widersprüchlich. Einerseits hat die deutsche Regierung Otto Gebauer nicht als venezolanischen Botschafter in Deutschland anerkannt, den Guaidó für diese Position ernannt hatte. Andererseits erkennt Deutschland Guaidó prinzipiell als Präsidenten an. Während seines Besuchs in Kolumbien am 1. Mai hat sich der deutsche Außenminister Heiko Maas mit Vertretern der Opposition getroffen und die deutsche Haltung wie folgt auf den Punkt gebracht: „Für uns ist Juan Guaidó der Übergangspräsident, der den Auftrag hat, Neuwahlen zu organisieren. Das ist auch das Ziel, das wir weiter verfolgen.” Folglich wurde der Außenminister der Maduro-Regierung, Jorge Arreaza, als einziger Außenminister nicht zu der Lateinamerika und Karibik Konferenz im Auswärtigen Amt eingeladen, an der über 20 seiner lateinamerikanischen Amtskolleg*innen am 28. Mai in Berlin teilnahmen.
Inmitten dieser politischen Spannungen auf internationalem Niveau hat sich mit den Gesprächsrunden in Oslo eine neue Möglichkeit zum Dialog zwischen beiden Parteien aufgetan. Neben diesen Gesprächen eröffnet die „Allianz für ein konsultatives Referendum” (ARC) die Möglichkeit einer alternativen Lösung vor Ort in Venezuela. Die ARC ist ein Bündnis von ehemaligen Minister*innen, moderaten Oppositionellen, Intellektuellen und linken Aktivist*innen, die am 16. Mai eine Kampagne für eine „pazifistische, demokratische, souveräne und konstitutionelle“ Lösung des festgefahrenen politischen Konflikts in Venezuela gestartet hat. Eine Unterschriftenaktion soll die politischen Akteur*innen dazu bringen, ein Referendum durchzusetzen, in welchem die Bevölkerung darüber entscheiden soll, „ob es will oder nicht will, dass Nicolás Maduro weiterhin an der Macht ist“.
Diese Initiativen verfolgen, im Gegensatz zur US-amerikanischen Isolierungsstrategie, einen lösungsorientierten Ansatz. Dennoch müssen auch sie auf ein politisches Szenario reagieren, das von einer starken Polarisierung geprägt ist – sowohl unter Politiker*innen als auch bei den Bürger*innen. Der venezolanische Sozialwissenschaftler Edgardo Lander analysiert diese Situation so: „Die venezolanische Gesellschaft ist so stark polarisiert, dass die Anhänger beider Lager in unterschiedlichen Wirklichkeiten leben. (…) Im Moment haben wir eine Situation, in der sich zwei Kräfte in einer Freund-Feind-Logik gegenüberstehen und sich gegenseitig auslöschen wollen” (siehe LN 539). Mit den Oslo-Gesprächen wird versucht, dieser Polarisierung entgegenzuwirken. Bisher sieht es jedoch nicht so aus, dass die Bemühungen erfolgreich sein werden.

 

„KEINER VON BEIDEN IST POLITISCH LEGITIMIERT”

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EDGARDO LANDER
hat in Harvard Soziologie studiert und ist emeritierter Professor für Soziologie an der Zentralen Universität in Caracas (UCV). Er gilt als einer der profiliertesten linken Intellektuellen in Venezuela und als kritischer Unterstützer des bolivarianischen Prozesses. Seine Themen sind unter anderem Kritik des Eurozentrismus, soziale Bewegungen und Neoextraktivismus in Latein­amerika.

Foto: Tilman Vogler


Seitdem sich Juan Guaidó am 23. Januar dieses Jahres selbst zum Interimspräsidenten ernannt hat, beanspruchen sowohl er, als auch Präsident Nicolás Maduro für sich, rechtmäßig im Amt zu sein. Wer ist Ihrer Meinung nach legitimiert?
Keiner von beiden. Die Regierung hat nach ihrer Niederlage bei den Parlamentswahlen 2015 beschlossen, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Dabei missachtet sie die Verfassung, denn bis dahin gab es immer noch freie Wahlen, mit einem überdurchschnittlich transparenten Wahlprozess und einem Wahlsystem, mit nahezu fehlerfreier technischer Infrastruktur. Heute stehen wir vor dem Problem, dass die Regierung die Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der venezolanischen Bevölkerung einschränkt. Es gibt aber auch Gründe, die Position von Guaidó abzulehnen. Dieser steht für ein Projekt des Regime Change, das von außerhalb kommt. Die rechte Opposition verkennt dabei die venezolanische Realität. Denn noch immer unterstützt ein Großteil des Militärs Maduro. Und auch in der Bevölkerung gibt es noch immer einen großen Rückhalt für den Chavismus, beziehungs­weise dessen Weiterführung unter Maduro, auch wenn die Zustimmung gesunken ist.

Seit dem 7. März gab es eine Reihe landesweiter Stromausfälle. Die Regierung beschuldigt die Opposition und die USA der Sabotage. Diese wiederum bringen schlechte Wartung und Korruption innerhalb der Regierung als Grund für die Stromausfälle vor.  Was halten Sie von den Beschuldigungen und Erklärungen?
Die venezolanische Gesellschaft ist so stark polarisiert, dass die Anhänger beider Lager in unterschiedlichen Wirklichkeiten leben. Das macht es so schwierig, ein Thema zu verhandeln, weil es nicht nur um die Interpretation geht.
Das venezolanische Stromnetz verfällt seit Jahren. Das liegt zum einen an der Korruption und zum anderen daran, dass Militärs an die Spitze von Stromunternehmen gesetzt wurden, die überhaupt keine Kompetenzen auf dem Gebiet haben.
Auf der anderen Seite kann man aber auch davon ausgehen, dass ein Interesse besteht, diese Situation auszunutzen und der Regierung zusätzlich Probleme zu bereiten. Und ein so anfälliges Stromnetz ist eben sehr leicht anzugreifen. Ich schließe also nicht aus, dass es sich in einigen der Fälle um Sabotage gehandelt hat, aber eben begünstigt durch ein sehr anfälliges System.

Sie gehören gemeinsam mit anderen Akademiker*innen, Aktivist*innen und früheren Minister*innen unter Chávez der Bürgervereinigung zur Verteidigung der Verfassung an. Was schlagen Sie als Ausweg aus der Krise vor?
Im Moment haben wir eine Situation, in der sich zwei Kräfte in einer Freund-Feind-Logik gegenüberstehen und sich gegenseitig politisch auslöschen wollen. Um einen Krieg zu verhindern, müssen wir zu einer politischen Einigung kommen. Um das auf demokratischem, friedlichem und verfassungskonformem Weg zu erreichen, ist die beste Option ein Konsultativreferendum, das von beiden Seiten ausgehandelt werden muss. Die Bevölkerung könnte somit darüber abstimmen, ob sie Neuwahlen aller staatlichen Gewalten will.
Aus unserer Sicht würden Verhandlungen es dem Chavismo ermöglichen, sich als politische Bewegung wieder neu zu formieren und weiterhin im Land zu agieren und zu existieren. Bei einem Regime Change, der die Regierung einfach ausradieren würde, wäre das keine Option.

Was denken Sie über die Rolle der EU in Bezug auf die Situation in Venezuela?
Dadurch, dass sie Guaidó anerkannt hat, hat die so genannte internationale Gemeinschaft Verhandlungen eher erschwert als sie zu unterstützen, weil das die Fronten verhärtet. Es ermutigt die Leute, die sich hinter Guaidó versammeln, weil sie ihn durch die internationale Unterstützung als rechtmäßigen Übergangspräsidenten sehen. Maduro wiederum wird zum Beispiel weiterhin von den Regierungen Chinas und Russlands anerkannt, übt die Kontrolle über die staatlichen Institutionen aus und kann sich auf das Militär und die chavistischen Gruppen verlassen, die immer noch aktiv sind und über großes Mobilisierungspotenzial verfügen. Dass die meisten Mitgliedsstaaten der EU also nicht an Verhandlungen interessiert sind, sondern einzig daran, Maduro aus dem Amt zu befördern, ist sehr schädlich und verringert die Möglichkeiten einer Verhandlungslösung.

Sie haben sich gemeinsam mit der Bürgervereinigung im Frühjahr mit Guaidó getroffen. Warum?
Weil er gewählter Parlamentspräsident ist. Die beiden institutionellen Sektoren in dem Machtkampf bestehen aus Regierung und Nationalversammlung. Die Haltung dieser beiden Sektoren bringt Venezuela an den Rand eines Krieges. Also haben wir beiden Seiten ein Referendum vorgeschlagen und sie auf ihre Verantwortung hingewiesen. Dafür haben wir um Treffen mit Guaidó und Maduro gebeten. Das Treffen mit Guaidó wurde von vielen Linken, besonders auch im Ausland, als eine Art Anerkennung für ihn gewertet. Wir haben uns aber mit ihm in seiner Funktion als Parlamentspräsident getroffen und nicht als Staatspräsident und das auch öffentlich gesagt. Genauso haben wir einen Brief mit der Bitte auf ein Treffen mit Maduro eingereicht. Drei Tage in Folge haben wir versucht, diesen Brief im Präsidentenpalast Miraflores abzugeben. Doch sie haben ihn nicht mal entgegengenommen. Das zeigt ihre Haltung zum Dialog.

Im Februar 2016 schuf Maduro per Dekret den Minenbogen des Orinoco (Arco Minero), eine Fläche von fast 112.000 Quadratmetern für den Bergbau. Was steckt dahinter?
Aufgrund des Preisverfalls für Erdöl und dem stetig fallenden Förderniveau hat sich die venezolanische Regierung, anstatt Wege zur Diversifizierung der Wirtschaft zu finden, erneut für den Extraktivismus entschieden. In diesem Fall für den Bergbau, denn im Gebiet des Minenbogens gibt es bedeutende Vorkommen von Eisen, Aluminium, Coltan, seltenen Erden und natürlich ganz besonders Gold. Die Regierung sieht hier also das neue El Dorado mit dem die gesunkenen Erdöleinnahmen aufgewogen werden sollen. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es einen Anstieg des illegalen Kleinbergbaus in dieser Region, der durch die Verwendung von Quecksilber nicht nur der Umwelt schadet, sondern auch negative Auswirkungen auf die dort lebenden Indigenen hat. Und nun hat die Regierung beschlossen, dies im großen Stile und unter Mitwirkung von transnationalen Unternehmen weiterzuführen.
Bisher ist die multinationale Beteiligung gering. Was nicht etwa daran liegt, dass die Regierung ihnen hinsichtlich Zollauflagen, Steuern oder Protestunter­drückung nicht genug Garantien gegeben hätte, sondern weil das ganze juristisch unter sehr unsicheren Umständen stattfindet. Es verstößt gegen die Verfassung, die Rechte der Indigenen sowie Arbeits- und Umweltrecht. Und die politische Instabilität des Landes tut natürlich ihr übriges dazu.

Steht die Gründung spezieller Wirtschaftszonen im Widerspruch zur offiziellen Politik der Regierung?
Die Entstehung des Minenbogens und das neue Gesetz, das von der Verfassunggebenden Versammlung zum Schutz ausländischer Investition verabschiedet wurde, entsprechen offensichtlich neoliberalen Interessen. Und das Beharren der Regierung auf dem extraktivistischen Modell bildet keinen Widerspruch zum globalen Wirtschaftsmodell, es stellt auch keinen Bruch mit der kolonialen Unterordnung in der internationalen Arbeitsteilung und mit der Rolle dar, die Lateinamerika historisch als Rohstofflieferant zukommt. Die Konsequenzen sind Umweltzerstörung, ein hohes Gewaltaufkommen bewaffneter Gruppen, die untereinander um das Gebiet kämpfen. Es ist ein Niemandsland, in dem alle Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden. Die indigenen Gemeinden der Region sind stark von der Gewalt betroffen und viele müssen im Bergbau arbeiten, weil ihre Lebensgrundlage zerstört wird. Mädchen werden entführt und in den Bergbaulagern zur Prostitution gezwungen.

Welche Arten des Widerstands haben sich dagegen entwickelt?
Es gibt die Plattform gegen den Minenbogen, ein Kollektiv von jungen Leuten, die aktiv sind im Kampf für Umweltrechte, Demokratie und Indigenen-Rechte und die auch schon Kampagnen zur Analyse der Situation gemacht haben. Aber der Protest ist leider sehr schwierig. Erstens, weil es in Venezuela schon lange eine auf Rohstoffexporten basierte Ökonomie gibt. Der Großteil der Bevölkerung lebt aber in den Städten, also weit weg von den Orten der Förderung, wo all das passiert. Es ist kein kollektives Bewusstsein vorhanden, das so weit reicht, die Größe des Problems zu erkennen. Zweitens sind die alltäglichen Probleme und die politische Polarisierung so groß, dass nicht nur im privaten Alltag sondern auch in den Medien über andere Dinge gesprochen wird.

 

“NINGUNO DE LOS DOS TIENE LEGITIMIDAD POLÍTICA”

EDGARDO LANDER
estudió sociología en Harvard y es profesor emérito en la Universidad Central de Venezuela (UCV). Es uno de los más famosos intelectuales de izquierda en Venezuela y  crítico defensor del proceso bolivariano. Sus temas son entre otros la crítica del eurocentrismo, los movimientos sociales y el neo-extractivismo en Latinoamérica.

Foto: Tilman Vogler


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Desde que Juan Guaidó se proclamó presidente interino el 23 de enero ha estado intentado llegar a la fuerza al poder. Ahora, los dos, tanto el Presidente Maduro y Juan Guaidó, dicen ser legítimos. En su opinión, ¿goza alguno de los dos de legitimidad?

Yo creo que no, ninguno de los dos. Desde las elecciones parlamentarias del año 2015 cuando el gobierno actual perdió muy fuertemente, claramente, se decidió preservar el poder a como diera lugar. Hay realmente una ruptura del orden constitucional muy clara. Hasta el 2015 habían habido elecciones libres, había un proceso electoral extraordinariamente transparente con un sistema electoral, con todo una infraestructura tecnológica electoral, prácticamente a prueba de trampas. Ya cuando se convoca la Asamblea Nacional Constituyente se lo hace violando las normas constitucionales porque no se le preguntó a la población si quería derogar la Constitución del año 99. Cuando se nombra una Asamblea Nacional Constituyente cien por ciento del gobierno esta Asamblea se autoproclama una Asamblea Plenipotenciaria, es decir, supraconstitucional, o sea, una Asamblea todo poderosa sin contrapeso alguno, lo que implica la derogación de la constitución del 99. No hay nada que esa Asamblea pudiese hacer que fuera anticonstitucional porque se había asumido como supraconstitucional. Entonces, ya a partir de ese momento no hay Constitución.

Efectivamente hay un gobierno que viene violando paso a paso las elecciones de una forma ya muy sistemática desde el 2015 y cerrando todos los canales posibles de consulta de la población en Venezuela. Por otro lado, con respecto a la postura de Guaidó hay razones también para rechazarlo como una salida viable. Este proyecto de cambio de régimen es un proyecto que está diseñado desde afuera. El sector más de derecha, la actual oposición, en este caso dirigido por Voluntad Popular, supone que el gobierno es un gobierno que está a punto de caer y que para eso sólo hace falta un empujoncito final. Esto efectivamente no es lo que está ocurriendo. La derecha tiene un desconocimiento muy grande de la realidad venezolana. No ven que la mayoría de la Fuerzas Armadas Venezolanas continua apoyando a Maduro y el hecho de que a pesar de que el apoyo popular chavista al gobierno hoy es muy inferior a lo que fue en épocas anteriores, éste, sin embargo, sigue existiendo.

 

Desde el 7 de marzo comenzaron una serie de apagones de luz en todo el país. El gobierno acusa a la oposición y a los Estados Unidos de sabotaje. Por otro lado, la oposición los explica por el mal mantenimiento, descuido y corrupción del gobierno. ¿Qué piensa Usted de estas explicaciones y de las acusaciones mutuas?

En Venezuela la sociedad está tan polarizada, que parecen dos mundos divididos que se retroalimentan y, a la vez, se cierran sobre sí mismo. Cada uno de los sectores vive en su propio mundo con una interpretación de una realidad propia. Entonces, eso hace extremadamente difícil el abordar un asunto tan crítico para la sociedad venezolana como es la crisis eléctrica porque no es solo un asunto de interpretación sino un asunto de los datos mismos.

Durante ya varios años el sistema eléctrico venezolano vive un proceso de franco deterioro. Esto tiene que ver en primer lugar con la corrupción y el nombramiento de militares como jefes de la Empresa Eléctrica, quienes no tienen competencias en el ámbito. Pero, por otra parte, uno también puede suponer que hay un interés claro en aprovechar la situación para generarle dificultades al gobierno, y un sistema eléctrico tan precario es muy fácil de sabotear. Yo por eso no descartó que en algunos de los últimos acontecimientos haya habido saboteo, pero en todo caso, el saboteo se ha dado sobre la precariedad del sistema.

 

¿Cómo ve Usted que la polarización política afecta a los venezolanos?

El tejido social de la sociedad venezolana se ha descompuesto de una forma dramática durante estos años. Hay familias que se han roto como familia, que no pueden convivir como tales. En mi experiencia, por ejemplo, en la vida universitaria, equipos de investigación y colectivos de trabajo que durante muchos años venían trabajando juntos, han llegado al punto de perder la capacidad de trabajar conjuntamente por los enfrentamientos políticos, se ha generado una desconfianza mutua.

 

Usted pertenece junto con otros activistxs, académicxs y exministrxs del Presidente Chavez a La Plataforma en Defensa de la Constitución de la República Bolivariana de Venezuela. ¿Cuál es su propuesta como salida a la crisis?

En el contexto actual, nos encontramos, por un lado, con un gobierno que intenta mantenerse en el poder sin importarle a qué precio, usando para ello la represión sistemáticamente y, por otro lado, con la opción de una salida violenta con apoyo militar de parte de los Estados Unidos, sumado a los bloqueos económico. En este momento se está manejando una lógica de amigo-enemigo, dos fuerzas que se oponen e intentan eliminarse entre sí. Por eso, desde la plataforma pensamos que evitar la guerra requiere necesariamente algún acuerdo político. Un acuerdo político que busque una salida que sea democrática, pacífica, electoral y constitucional, lo más cercano que existe es la oportunidad de un referéndum consultivo.

Desde la plataforma pensamos que en lugar de esta lógica de amigo-enemigo y de este intento de eliminar al otro, es necesario partir del reconocimiento del otro. Este reconocimiento implica la aceptación de la existencia del otro, implica reconocer que el otro también tiene intereses, también tiene la necesidad de sobrevivir. Es también reconocer la posibilidad de un referéndum en el que se plantee la pregunta sobre una posible renovación de todos los cargos nacionales. Esto significarían elecciones presidenciales, elecciones para la Asamblea Nacional con el nombramiento, entonces, de un Consejo Nacional Electoral y un nuevo Tribunal Supremo de Justicia que permitan reordenar el juego político y en esas nuevas condiciones, hacer esas nuevas elecciones.

Una salida negociada puede ofrecer al gobierno la posibilidad de una continuidad del proyecto político bolivariano a futuro. Algo, que sería muy difícil si se mantiene esta lógica en la que el cambio de régimen se da a través de la eliminación de una de las partes.

 

¿Qué piensa Usted del rol de la Unión Europea?
A través del reconocimiento de Guaidó por la mayoría de los países de la Unión Europea, lejos de empujar hacia una salida negociada, se están creando obstáculos aún más severos para un posible acuerdo. Están envalentonando a la gente que se organiza en torno a Guaidó, porque con este reconocimiento le otorgan el apoyo internacional para considerar a Guaidó y a los que lo acompañan como gobierno legítimo. Por otra parte, el gobierno de Maduro sigue contando con un apoyo fuerte. No solo el apoyo de China y Rusia, sino que sigue contando con el control de las instituciones del estado y con las Fuerzas Armadas, así como con una militancia chavista que sigue siendo activa, fuerte y con capacidad de movilización. Entonces, estos países que reconocen a Guadió ponen el énfasis en la salida inmediata de Maduro. Con esto hacen mucho daño, porque dificultan cualquier posibilidad de negociación.

 

La Plataforma también se reunió con Juan Guaidó, ¿con qué fin?

Estos dos sectores están representados institucionalmente por un lado el presidente de la República y por otro la Asamblea Nacional. Las políticas de estos dos sectores son las que están generando esta amenaza de guerra. Decidimos plantearle a ambas partes la propuesta del Referéndum llamándoles la atención sobre la responsabilidad que ambos sectores tienen con respecto a la forma en la que están conduciendo estas políticas.

Decidimos pedir una reunión con Guaidó y Maduro por separado. Tuvimos la reunión con Guaidó que fue interpretada por mucha gente de la izquierda, sobre todo de la izquierda fuera de Venezuela, como una especie de reconocimiento de Guaidó. Nosotros nos reunimos con él por su posición como presidente de la Asamblea Nacional pero no en tanto presidente de la República. Esto lo dijimos públicamente.

Igualmente presentamos una carta solicitando la entrevista con Maduro. Durante tres días seguidos llevamos la carta a Miraflores, las tres veces, ¡se negaron incluso a recibir la carta! Ésta es la disposición que tienen para dialogar.

 

En febrero del 2016 fue creado el Arco Minero del Orinoco, una zona de casi ciento doce mil kilómetros cuadrados para la explotación minera. ¿Qué se encuentra detrás de este proyecto?

Como consecuencia de la baja del precio del Petróleo, en primer lugar, y del progresivo colapso del nivel de producción, en segundo lugar, el gobierno venezolano en vez de reconocer el fin de la era del rentismo y buscar otras rutas, otras direcciones de la economía, optó por un nuevo rentismo, el rentismo minero. En esta zona del arco minero hay inmensas reservas de minerales de todo tipo: hierro, aluminio, coltán, tierras raras, minerales radioactivos y sobre todo oro. Entonces el gobierno decidió que esto era como el nuevo “El Dorado” y que era posible sustituir la baja del ingreso petrolero por grandes ingresos a través de esta vía. Ya durante los últimos diez años anteriores, más o menos, ha habido un incremento de la minería ilegal, irregular, en esta zona minera en pequeña escala, la cual había hecho mucho daño ambiental. El uso de mercurio y la devastación ecológica también impactó sobre los pueblos indígenas de la zona. Y ahora el gobierno se decide a convertir esto a gran escala con la participación de empresas transnacionales.

La participación de las transnacionales en este proyecto ha sido bastante limitada. Y esto no por las condiciones que ofrece el gobierno, sino por el hecho de que hay una extrema inseguridad jurídica. En primer lugar, porque todo esto representa una violación de la constitución: de la Ley de Pueblos Indígenas, la Ley Laboral, las Leyes Ambientales, y, en segundo lugar, por la inestabilidad política del país obviamente.

 

¿Considera que la creación de esta zona económica especial está en contradicción con la política oficial del Gobierno?

Hay una contradicción muy fuerte entre el contenido de la constitución y lo que efectivamente es la política que está llevando a cabo en el gobierno. Las condiciones con la que se creó el Arco Minero, así como la nueva ley aprobada por la Asamblea Nacional Constituyente de protección de la inversión extranjera son claramente decisiones neoliberales. Entonces, la orientación general del gobierno en términos del extractivismo, claramente no representa una ruptura con el modelo económico global, no representa una ruptura con la intercesión colonial y no representa tampoco un quiebre con el rol clásico que se le atribuye a América Latina como exportadora de materias primas.

Quiero insistir que hoy hay un proceso de devastación muy, muy severo. Hay unos niveles de violencia increíble en una especie de terreno de nadie donde todos los conflictos se resuelven por la vía de las armas. Hay un atropello muy violento sobre las comunidades indígenas de la zona y hay muchos indígenas que están metidos a la minería porque sus condiciones de vida están siendo devastadas y no les va quedando más remedio. Hay niñas indígenas que son raptadas y llevadas a la prostitución en los campos mineros.

 

¿Cuáles manifestaciones o grupos de resistencia se han formado en contra?

Existe por ejemplo la “Plataforma en contra del Arco Minero” que es un colectivo de gente fundamentalmente joven que viene de luchas ambientales, pero que también luchan por la democracia y por los derechos de los pueblos indígenas. Esta gente ha venido realizando campañas sistemáticamente para analizar esta situación. Sin embargo, el día a día de la situación venezolana y la sobre-determinación de la polarización política hacen muy muy cuesta arriba que exista la posibilidad de una consciencia política más ampliamente compartida en este asunto.

ERNEUTES FIASKO

„Die Gegenwart heißt kämpfen” Präsident Nicolás Maduro will Chavez’ Erbe in die Zukunft retten ( Foto: John Mark Shorack)

 

Das Video schien es in sich zu haben: Am frühen Morgen des 30. April zeigte sich der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó gemeinsam mit seinem eigentlich unter Hausarrest stehenden Mentor Leopoldo López und einer Reihe von Soldaten auf Twitter. Er behauptete, maßgebliche Teile des Militärs hinter sich zu haben und erweckte den Eindruck, bereits die Luftwaffenbasis La Carlota im Osten der venezolanischen Hauptstadt Caracas zu kontrollieren. Die Endphase der so genannten „Operación Libertad“ (Operation Freiheit) habe begonnen, um die „Usurpation“ des Präsidentenamtes durch Nicolás Maduro zu beenden. Das übrige Militär wurde von Guaidó dazu aufgerufen, überzulaufen; seine Anhänger*innen bat er, sich zum Luftwaffenstützpunkt zu begeben. López, den die Opposition bis dahin als den prominentesten politischen Gefangenen des Landes betrachtete, war in der Nacht anscheinend mit Hilfe seiner Bewacher*innen entkommen. Bis zu seiner Verhaftung im Februar 2014 koordinierte er die Oppositionspartei Voluntad Popular, der auch Guaidó angehört. Wegen seiner Rolle bei den gewalttätigen Straßenprotesten Anfang 2014 war López in einem umstrittenen Verfahren zu fast 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden, die er seit Mitte 2017 im Hausarrest absaß.

Wahrscheinlicher ist, dass Guaidó ohne Hilfe von außen wohl nicht so schnell an die Macht kommen wird

Für ganz kurze Zeit wirkte es, als stehe der Sturz von Präsident Maduro dieses Mal tatsächlich bevor. Doch es dauerte nicht lange, bis der Bluff aufflog. In Wahrheit waren es nur wenige Dutzend einfache Soldaten, die sich auf der Stadtautobahn nahe der Militärbasis postiert hatten. Einige von ihnen zogen sich von dort später zurück und gaben an, von ihren Vorgesetzten aus der Kaserne beordert worden zu sein, ohne zu wissen, dass es sich um einen Einsatz unter der Leitung Guaidós handelte. Offenbar wollte der venezolanische Oppositionsführer mit den machtvoll inszenierten Bildern eine Kettenreaktion in Gang setzen, um den durch seine Selbstausrufung zum Interimspräsident am 23. Januar eskalierten Machtkampf zu entscheiden. Die Folgen wären unkalkulierbar gewesen: Hätten sich tatsächlich größere Truppenkontingente hinter Guaidó gestellt, andere jedoch weiterhin die Regierung gestützt, wären Tote wohl unvermeidlich gewesen. Die Aufrufe an den Rest des Militärs verhallten jedoch ungehört und auch Guaidós Anhänger*innen strömten nur in geringer Anzahl auf die Straße, wo es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam. Verteidigungsminister Vladimir Padrino stellte sich einmal mehr hinter Präsident Maduro und versicherte, im Militär sei landesweit alles ruhig. Maduro bekräftigte, sämtliche Kommandanten hätten ihm ihre „absolute Loyalität“ versichert. Vor dem Präsidentenpalast Miraflores im Westen von Caracas versammelten sich tausende Regierungsanhänger*innen, um Maduro gegen den von der Regierung als Putschversuch gewerteten Vorfall zu schützen.

Vertreter der US-amerikanischen Regierung unterstützten das Vorgehen Guaidós. Auch andere Regierungen, die sich im Machtkampf früh hinter Guaidó gestellt hatten, stärkten diesem den Rücken. Etwa der deutsche Außenminister Heiko Maas, der sich gerade auf einer viertägigen Lateinamerikareise befand, die ihn nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko führte. John Bolton, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, drohte dem venezolanischen Verteidigungsminister und anderen Funktionären auf Twitter, dies sei die „letzte Chance“, die Seiten zu wechseln. US-Außenminister Mike Pompeo behauptete in einem Fernsehinterview, Maduro habe in einem bereits auf dem Rollfeld wartenden Flugzeug das Land in Richtung Kuba verlassen wollen, sei von der russischen Regierung jedoch davon abgehalten worden. Elliot Abrams, der US-Sondergesandte für Venezuela erklärte, Maduros Abgang sei ausgehandelt gewesen, die verantwortlichen venezolanischen Funktionäre hätten aber plötzlich ihre Mobiltelefone ausgeschaltet.

Jenseits der kreativ wirkenden US-Behauptungen und zahlreicher Gerüchte blieb weitgehend unklar, was tatsächlich hinter dem improvisiert und dilettantisch wirkenden Umsturzversuch steckt. Die Aktion fand genau einen Tag vor einer für den 1. Mai geplanten Großdemonstration statt, die Guaidó großspurig als die größte „in der Geschichte Venezuelas“ angekündigt hatte. An Spekulationen über seine Motive mangelt es nicht: Warum wartete Guaidó nicht bis zum 1. Mai? Wollte er einer möglicherweise geplanten Verhaftung zuvorkommen? Dachte er wirklich, dass die Militärführung mitziehen würde? Wollte er gar eine gewalttätige Reaktion der Maduro-Regierung provozieren, um eine US-Militärintervention zu rechtfertigen?  Fest steht, dass Guaidó nach 100 Tagen als selbsternannter Interimspräsident unbedingt die Aussicht auf einen Regierungswechsel aufrecht erhalten muss, damit sich die rechte Opposition nicht wieder intern zerstreitet. Doch der Tag endete damit, dass Guaidó untertauchte und Leopoldo López zunächst in der chilenischen Botschaft und anschließend in der Residenz des spanischen Botschafters Zuflucht suchte und fand.

Später am Abend veröffentlichte Guaidó dann ein weiteres Video, in dem er zur Teilnahme an der Großdemonstration am 1. Mai aufrief und versicherte, dass Maduro „nicht die Unterstützung der Streitkräfte“ habe. Dieser wiederum wendete sich in einer Fernsehansprache nach stundenlangem Schweigen an die Bevölkerung. Er warf den Strippenziehern des Putschversuches vor, ein „Massaker“ provozieren zu wollen und sagte, diese Aktionen könnten „nicht straffrei“ bleiben. Die Behauptung, er habe das Land verlassen wollen, wies Maduro im Beisein des Verteidigungsministers Padrino zurück.

Auch am 1. Mai kam es zu Ausschreitungen. Laut den oppositionellen Menschenrechtsorganisationen Provea und Foro Penal kamen an den beiden Tagen insgesamt 5 Menschen ums Leben, mindestens 130 wurden verletzt und 273 festgenommen. Insgesamt gingen offenbar weitaus weniger Menschen auf die Straße, als Guaidó gehofft hatte. Er kündigte an, den Druck aufrecht zu erhalten und mit einer Reihe „gestaffelter Streiks“ auf einen Generalstreik hinzuarbeiten. Leopoldo López, der mittlerweile per Haftbefehl gesucht wird, versicherte gegenüber der Presse, sich in seinem Hausarrest mit zahlreichen Militärs getroffen zu haben und prognostizierte weitere Erhebungen. Tatsächlich ist nicht ausgeschlossen, dass Teile des Militärs früher oder später doch noch die Seiten wechseln, zumal sich die ohnehin schon schwierige wirtschaftliche Lage durch die US-Sanktionen rasch zu einer humanitären Krise auswachsen könnte. Doch wahrscheinlicher ist, dass Guaidó ohne Hilfe von Außen wohl nicht so schnell an die Macht kommen wird. Da der Machtkampf festgefahren zu sein scheint, bleibt der einzig gangbare Ausweg ein Dialog. Doch auch die Rufe nach einer US-Militärintervention werden seit dem 1. Mai wieder lauter.

 

ERSTICKEN WIE DARTH VADER

Darth Vader: Methodisches Vorbild für Trumps Sicherheitsberater John Bolton (Foto: Josh Hallet, CC-BY-SA 2.0)

Wer eine unterhaltsame Nachhilfestunde in venezolanischem Verfassungsrecht haben will, kann derzeit auf die offiziellen Pressekonferenzen westlicher Regierungen zurückgreifen. So etwa Mitte März, als der US-Sondergesandte für Venezuela und frühere Unterstützer von Todesschwadronen in Zentralamerika, Elliot Abrams, die oppositionelle Interpretation der Magna Charta zum besten gab. Diese bestimmt in Artikel 233 für den Fall der absoluten Abwesenheit des Präsidenten, dass der Parlamentsvorsitzende vorübergehend einspringt. Auf die Frage, warum Venezuelas selbst ernannter Übergangspräsident Juan Guaidó nicht wie laut Verfassung vorgesehen innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen ausgerufen habe, beteuerte Abrams, die 30 Tage zählten „ab dem Tag, an dem Maduro geht“. Nach mehreren Rückfragen versicherte er, Guaidó sei selbstverständlich dennoch Interimspräsident, nur eben „nicht in der Lage, diese Funktion auszuüben“.

Die Anekdote sorgte bei den anwesenden Journalist*innen nicht nur für den ein oder anderen Lacher. Sie zeigt auch eindrücklich, wie sehr sich die USA und weitere gut 50 Länder mit der Anerkennung Guaidós im Januar verschätzt haben. Denn anders als erwartet, trugen sie damit nicht zum schnellen Sturz Nicolás Maduros bei, der auf internationaler Ebene weiterhin unter anderem von Russland, China und der Türkei unterstützt wird. Auch die deutsche Bundesregierung hat völkerrechtswidrig und vorschnell auf Guaidó gesetzt und sich damit ins diplomatische Abseits manövriert. Nun musste sie einräumen, dass sie Guaidós Wunsch, einen eigenen Botschafter in Berlin zu akkreditieren, aufgrund der realen Machtverhältnisse in Venezuela vorerst nicht nachkommen wird.

Guaidó bleibt einzig die Androhung einer US-Militärintervention

Der selbst ernannte Interimspräsident scheint mittlerweile nicht mehr viel in der Hinterhand zu haben. Zwar versucht er krampfhaft, die Aussicht auf einen zeitnahen Regierungswechsel aufrecht zu erhalten, wirkt dabei aber immer hilfloser. Der nächste Versuch soll die seit Wochen angekündigte „Operation Freiheit“ mit einem „Marsch auf Caracas“ sein. Konkret terminiert war bisher allerdings nur ein „Testlauf“ am 6. April. Das klingt nicht so, als würde Guaidó selbst noch an den baldigen Umsturz glauben. Ihm bleibt momentan einzig die regelmäßig wiederholte Androhung einer US-Militärintervention. Die Landung zweier russischer Militärflugzeuge Ende März in Venezuela heizten Spekulationen über eine mögliche Konfrontation zwischen Russland und den USA an, waren jedoch laut russischer Regierung der seit Jahren bestehenden Kooperation beider Länder im militärischen Bereich geschuldet.

Konkret deutet tatsächlich nicht viel auf einen unmittelbar bevorstehenden militärischen Konflikt hin. Der US-Sondergesandte Abrams bezeichnete derartige Überlegungen Anfang April als „verfrüht“. Zudem gibt es in der Region offiziell nicht einmal bei den rechten Regierungen Rückhalt für die militärische Option. Die US-Strategie besteht zunächst darin, die Regierung Maduro mittels Sanktionen finanziell auszutrocknen und die Wirtschafts- und Versorgungskrise tatsächlich in eine humanitäre Krise zu verwandeln. Dadurch könnte irgendwann vielleicht doch noch ein Aufstand der Maduro stützenden Unterschichten und des Militärs provoziert werden, so das Kalkül. Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton drückte dies in einem Interview mit dem spanischsprachigem Fernsehsender Univision am 22. März auch für politisch weniger interessierte Leute verständlich aus: „Das ist wie in Star Wars, wenn Darth Vader jemanden erstickt. Das machen wir wirtschaftlich mit dem Regime.“ Die weitere Verschlechterung der Lebensumstände sorgt zwar tatsächlich auch in den chavistischen Hochburgen für Proteste. Doch noch größer ist dort die Ablehnung der rechten Opposition. In gewisser Weise stabilisieren die Drohungen von außen sogar das chavistische Lager. Nicht verstanden zu haben, dass der Chavismus als politische Identität weit über die Regierung hinaus geht, ist einer der großen Fehler, den die rechte Opposition immer wieder begeht. Letztlich bewegen sich die regierenden Chavist*innen und die rechte Opposition in komplett getrennten Welten. Beide erkennen heute unterschiedliche Staatsorgane an, sehen die Schuld für die Wirtschaftskrise jeweils bei der anderen Seite und beurteilen praktisch jedes öffentliche Ereignis gegensätzlich. Ein Beispiel dafür ist die von den meisten internationalen Medien verbreitete Behauptung, die Regierung Maduro habe am 23. Februar auf einer Grenzbrücke zwischen Kolumbien und Venezuela Lastwagen mit Hilfslieferungen in Brand gesetzt.

Guaidó hatte an dem Tag gegen den Willen der Regierung Maduro Hilfsgüter nach Venezuela bringen wollen. Tatsächlich ist mittlerweile unter anderem durch eine Recherche der US-Zeitung New York Times belegt, dass die Lastwagen sich durch einen fehlgeleiteten Molotow-Cocktail entzündet hatten, den ein Oppositionsanhänger in Richtung der venezolanischen Sicherheitskräfte werfen wollte. Guaidó bleibt dennoch bei seiner Sicht der Dinge, wohl weil er jeden Rückschritt im Kampf um Bilder und Narrative verhindern will. Als sich die Regierung mit dem Roten Kreuz Ende März schließlich auf die baldige Verteilung von Hilfsgütern in Venezuela einigte, erklärte Guaidó dies kurzerhand zu seinem eigenen Erfolg. Sowohl das Rote Kreuz als auch die Vereinten Nationen hatten dessen für den 23. Februar geplante Aktion aufgrund der offensichtlichen Politisierung der Hilfe abgelehnt.

Die Opposition hat den Chavismus als kulturelle Identität nie verstanden

Besonders deutlich zeigen sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen in der Analyse der massiven Stromausfälle, mit denen Venezuela im März konfrontiert war. Zwar gingen in den vergangenen Jahren immer wieder stundenlang die Lichter aus, doch einen fünftägigen Stromausfall wie ab dem 7. März hatte das Land noch nicht erlebt. Im Laufe des Monats folgten zwei weitere längere Blackouts, die sich mit Unterbrechungen über mehrere Tage hinzogen. Auch die Wasserversorgung funktionierte häufig nicht, da die elektrischen Pumpen ausfielen. Nachdem es Ende März in Caracas und vielen anderen Orten zu nächtlichen Protesten kam, verkündete Maduro eine offizielle Rationierung des Stroms, die zunächst für 30 Tage lang einer Überlastung des Systems vorbeugen soll.

Über die Ursache der Blackouts gibt es zwei völlig unterschiedliche Versionen. Laut Regierung seien die Stromausfälle Folge eines von den USA geführten „elektrischen Krieges“. Ein „Cyberangriff“ auf das Steuerungssystem des wichtigsten Wasserkraftwerks Guri, elektromagnetische Wellen und Brandstiftung in einigen Umspannwerken hätten die Versorgung lahmgelegt. Ein weiterer Blackout Ende März sei durch einen Scharfschützen verursacht worden, der gezielt einen Brand am Wasserkraftwerk Guri hervorgerufen habe. Die Opposition hingegen macht Korruption und Missmanagement der Regierung verantwortlich. Guaidó erklärte, ein Cyberangriff sei unmöglich, da das venezolanische Stromnetz analog betrieben werde.

Wasserkraftwerk am Guri-Stausee Von hier bezieht Venezuela gut 70 Prozent der Energie (Foto: Fadi, CC-BY-SA 2.0)

Dass sich das Stromnetz in schlechtem Zustand befindet, ist kein Geheimnis. Venezuela ist einseitig von Wasserkraft abhängig und bezieht alleine gut 70 Prozent seiner Energie aus dem Guri-Stausee im Süden des Landes. Anhaltende Dürreperioden führten zuletzt in den Jahren 2003, 2010 und 2016 beinahe zum Kollaps. Die Regierung unter Hugo Chávez hatte privatisierte Energieunternehmen zurückgekauft und 2007 unter dem Dach des neu gegründeten staatlichen Elektrizitätsunternehmens Corpoelec gebündelt.

Das Szenario eines anhaltenden Stromausfalls ist in Handbüchern für Regime Change beschrieben

Doch die angekündigte Modernisierung der Infrastruktur fand nicht ausreichend statt. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren aufgrund der Krise und drastischen inflationsbedingten Reallohnverlusten viele Arbeiter*innen ihre Jobs gekündigt oder gleich das Land verlassen haben. Ansätze der Selbst- und Mitverwaltung im staatlichen Elektrizitätsunternehmen, die möglicherweise einige der heutigen Probleme hätten verhindern können, hatte die staatliche Bürokratie bereits vor Jahren ausgebremst. Und auch aufgrund der US-Sanktionen ist derzeit nicht ausreichend Treibstoff für den Betrieb von Wärmekraftwerken vorhanden, die zur Stabilisierung des Stromangebots dienen könnten.

Doch anders als Guaidó behauptet, funktioniert das Stromnetz nicht komplett analog. Das computergestützte Steuerungssystem des Guri-Kraftwerks könnte unter Umständen auch ohne Internetanbindung attackiert worden sein. Das 2010 entdeckte Schadprogramm Stuxnet etwa war auch in das nach außen geschlossene iranische Atomprogramm eingeschleust worden. Die Vorstellung, dass die USA eine Cyberattacke durchführen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen, bezeichnete der Computerexperte Kalev Leetaru im US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes am 9. März als „durchaus realistisch“.

Für die These der Sabotage spricht vor allem der aus oppositioneller Sicht günstige Zeitpunkt der Blackouts. Der Plan, Präsident Nicolás Maduro zu stürzen, war Anfang März bereits gehörig ins Stocken geraten. Das Szenario eines anhaltenden Stromausfalls ist in Handbüchern für Regime Change beschrieben und fand auch vor dem Putsch gegen Salvador Allende in Chile 1973 Anwendung.

Unmittelbar nach Beginn des Stromausfalls am 7. März versuchten rechte Opposition und US-Regierung denn auch, politisch Kapital aus dem Vorfall zu ziehen. Floridas Senator, Marco Rubio, heizte die Stimmung durch dramatisierende Tweets und Falschmeldungen an und erweckte durch einzelne Äußerungen den Verdacht, bereits vorab von dem Blackout gewusst zu haben.

Belege für ihre jeweiligen Theorien haben bisher aber weder Regierung noch Opposition geliefert. Und es ist kaum vorstellbar, dass irgendein Beweis die jeweils andere Seite überzeugen würde. Maduro entließ mittlerweile den bisherigen Energieminister Luis Motta Domínguez, der zu Beginn des Blackouts am 7. März noch versichert hatte, dieser werde innerhalb von drei Stunden behoben sein. Zum neuen Minister und Chef des staatlichen Energieversorger Corpoelec ernannte der Präsident den Ingenieur Igor Gavidia, der langjährige Erfahrung im Stromsektor mitbringt. Bereits Mitte März hatte Maduro angekündigt, sein Kabinett grundlegend umzugestalten, nannte bisher jedoch keine weiteren Namen.

Nachdem die Opposition an Schwung verloren hat, gehen die Regierung und die von ihr kontrollierten Institutionen nun verstärkt gegen Guaidó und sein Umfeld vor. Bereits am 21. März verhaftete die Geheimdienstpolizei Sebin Guaidós Büroleiter Roberto Marrero. Der Vorwurf lautet, er habe gemeinsam mit anderen Mitgliedern von Guaidós Partei Voluntad Popular terroristische Anschläge geplant. Eine Woche später verhängte der Rechnungshof gegen Guaidó ein 15-jähriges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Begründet wurde dies mit finanziellen Unregelmäßigkeiten.

Am 2. April dann hob die regierungstreue Verfassunggebende Versammlung (ANC), die weitgehend die Funktionen des von der Opposition dominierten Parlamentes (Nationalversammlung) ausübt, Guaidós parlamentarische Immunität auf. Ermittelt wird gegen ihn wegen Missachtung der Verfassung im Zuge seiner Selbstausrufung als Interimspräsident und wegen mutmaßlicher Sabotage des Stromnetzes.

Damit könnte Guaidó früher oder später festgenommen werden. Mit diesem Schritt war bereits Anfang März gerechnet worden, nachdem er sich gegen ein gerichtlich verhängtes Ausreiseverbot widersetzt hatte. Am 22. Februar war er nach Kolumbien gereist, um die Hilfslieferungen nach Venezuela zu bringen. Nach einer zehntägigen Lateinamerika-Reise, auf der er mehrere Präsidenten der Region besuchte, kehrte er unbehelligt nach Venezuela zurück. Die Frage ist, welche Auswirkungen eine Festnahme haben würde. Innerhalb der Opposition rechnen einige damit, dass dies die Proteste erneut anheizen könnte. Andererseits könnte es aber auch das Ende des jüngsten Umsturzversuchs bedeuten. Viel dürfte davon abhängen, ob sich die Drohungen aus den USA als real oder als heiße Luft entpuppen werden.

US-Senator Rubio schrieb auf Twitter, eine mögliche Inhaftierung Guaidós sollte „von jedem Land, das ihn als legitimen Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt hat, als Putsch betrachtet werden.“ Damit hätte jede Seite einmal mehr ihre eigene Wirklichkeit. Für die einen wäre Guaidó Putschist, für die anderen Opfer eines Staatsstreichs.

 

RÜCKSCHLAG FÜR GUAIDÓ

Aussicht vom alten Militärmuseum: Die kontrastreiche Skyline von Caracas (Foto: John M Shorack)

Es waren brachiale Bilder. Bei dem Versuch, die Einfuhr von Hilfsgütern zu erzwingen, kam es an den Grenzen Venezuelas am 23. Februar zu schweren Ausschreitungen. Tausende Freiwillige hatten im kolumbianischen Cúcuta mehrere Lastwagen bis zur Grenze begleitet, wo das venezolanische Militär unter dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen jedoch ein Weiterkommen verhinderte. Auf der kolumbianischen Seite ließen die Sicherheitskräfte derweil auch Protestierende gewähren, die mit Steinen und Molotowcocktails ausgestattet waren. Laut schwer zu überprüfenden Medienberichten wurden fast 300 Menschen verletzt, zudem brannten zwei Lastwagen aus. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Hilfsgüter bewusst in Brand gesetzt zu haben. In der venezolanischen Stadt Santa Elena de Uairén an der Grenze zu Brasilien erlitten laut der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Foro Penal 34 Protestierende Schussverletzungen, mindestens vier Menschen starben. Demon­stra­tionen von Regierungsanhänger*innen und der rechten Opposition in Caracas blieben hingegen friedlich.

Guaidó und die USA betrachten die humanitäre Hilfe vor allem als Hebel für einen regime change

Seit Wochen hatte der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó den 23. Februar zum Tag der Entscheidung hochstilisiert, an dem die humanitäre Hilfe „unter allen Umständen“ ins Land kommen solle. Er selbst und Vertreter der US-Regierung forderten die venezolanischen Soldat*innen nahezu täglich dazu auf, die Hilfsgüter passieren zu lassen und drohten andernfalls mit Konsequenzen. Laut Informationen der kolumbianischen Migrationsbehörde desertierten seit dem 23. Februar mehr als 400 Militärs – angesichts von bis zu 200.000 aktiven Soldat*innen eine überschaubare Zahl. Das Kalkül der rechten Opposition bestand darin, dass die Regierung am Ende gewesen wäre, wenn venezolanische Militärs sich massenhaft den Befehlen Maduros widersetzt hätten. Dieser hatte die vermeintliche humanitäre Hilfe als „Show“ bezeichnet, die das alleinige Ziel verfolge, einer militärischen Intervention das Feld zu bereiten. Um die schwierige Versorgungslage zu verbessern, fordert Maduro stattdessen die Aufhebung der US-Sanktionen, die das Land ein Vielfaches der von den USA in Aussicht gestellten Hilfsgüter kosten. Tatsächlich machen Guaidó und die US-Regierung kaum einen Hehl daraus, dass sie die humanitäre Hilfe vor allem als Hebel für den von ihnen angestrebten regime change in Caracas betrachten. Sowohl die Vereinten Nationen als auch das Rote Kreuz hatten aufgrund der Politisierung der Hilfe im Vorfeld eine Beteiligung an der Aktion abgelehnt.

Straßenszene in Caracas Einkaufen an einem Samstagmorgen (Foto: John M Shorack)

Auf medialer Ebene tobt nun ein Kampf um die Interpretation der Bilder und Ereignisse, bei dem Guaidó klar im Vorteil ist. Einen Monat nach seiner Selbstausrufung zum Interimspräsidenten steht er dennoch weitgehend mit leeren Händen da. Zwar hat er die Rückendeckung der USA, mehr als 50 weiterer Regierungen – darunter der meisten EU-Staaten – sowie gewichtiger Teile der venezolanischen Bevölkerung. Kompetenzen als Interimspräsident übt er bisher jedoch nur außerhalb Venezuelas aus. Laut dem Verfassungsartikel 233, der die absolute Abwesenheit des Staatspräsidenten behandelt und auf den sich Guaidó maßgeblich beruft, hätten innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen stattfinden müssen. Der Umsturzversuch droht sich somit in die Liste der glücklosen Versuche der letzten Jahre einzureihen, Maduro zu stürzen. Spätestens wenn sich das Gefühl durchsetzt, dass die rechte Opposition wieder einmal unrealistische Erwartungen geweckt hat, dürften die internen Streitereien erneut aufbrechen und Guaidó wäre am Ende. Er muss also um jeden Preis die Spannung hochhalten, damit der oppositionelle Protest nicht wieder einschläft. Bei einem Treffen von Guaidó mit US-Vizeminister Mike Pence und den Außenminister*innen lateinamerikanischer Staaten der so genannten Lima-Gruppe wurde am 25. Februar aber deutlich, dass es anscheinend gar keinen Plan B gibt. Sowohl die US-Regierung als auch Guaidó haben sich offensichtlich verschätzt, indem sie davon ausgingen, das venezolanische Militär würde zeitnah die Seiten wechseln. Zudem vernachlässigen sie, dass Maduro keineswegs nur die Militärführung, sondern noch immer mehrere Millionen Anhänger*innen hinter sich hat. Hinzu kommt ein Teil der Bevölkerung, der sich als chavistisch versteht und die rechte Opposition ablehnt, ohne aber offen die Regierung zu unterstützen.

Mit dem Scheitern der medienwirksam inszenierten Hilfsaktion wächst die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation des Konfliktes weiter. Laut US-Regierung liegen nach wie vor „alle Optionen auf dem Tisch“, das heißt auch eine mögliche Militärintervention. Guaidó hat mittlerweile die US-amerikanische Formulierung übernommen. Innerhalb Lateinamerikas stößt ein mögliches militärisches Eingreifen aber selbst bei rechten Regierungen weitgehend auf Ablehnung, die Lima-Gruppe sprach sich vorerst dagegen aus. Die USA wollen nun weitere Sanktionen beschließen und die Maduro-Regierung wirtschaftlich in die Knie zwingen. Bereits Ende Januar hatte Trump erstmals Sanktionen verhängt, die direkt die Öllieferungen aus Venezuela in die USA treffen. Die Einnahmen landen seitdem auf einem Sperrkonto, auf das Guaidó Zugriff bekommen soll. Leidtragende des immer zynischer ausgetragenen Machtkampfes ist somit in erster Linie die venezolanische Bevölkerung, deren Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten sich voraussichtlich weiter verschlechtern wird. Unklar ist, ob die USA auch ohne Rückendeckung in der Region militärisch eingreifen würden. Wenn es nach der Rhetorik der Hardliner um Präsident Trump herum geht, fehlt dazu nur noch ein konkreter Anlass. Vor allem US-Außenminister Mike Pompeo, der Senator für Florida, Marco Rubio und der nationale Sicherheitsberater von Trump, John Bolton, drohen der Regierung Maduro unverhohlen ein gewaltsames Ende an. Bolton stellte dem venezolanischen Präsidenten einen Aufenthalt im US-Gefangenenlager Guantánamo in Aussicht, Rubio twitterte ein Bild des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, das ihn kurz vor dessen Ermordung im Jahr 2011 zeigt. Als Sondergesandter für Venezuela dient mit Elliott Abrams zudem ein alter antikommunistischer Haudegen, der in den 1980er Jahren in die Unterstützung von Todesschwadronen in Zentralamerika und die illegale Finanzierung der nicaraguanischen Contras verwickelt war.

Auch innerhalb Venezuelas dringen mäßigende Stimmen kaum durch. Und es deutet einiges darauf hin, dass Venezuela nur der Anfang sein soll. Sicherheitsberater Bolton spricht mittlerweile in Anspielung auf die von George W. Bush vor Jahren als „Achse des Bösen“ bezeichneten Länder Irak, Iran und Nordkorea von einer „Troika der Tyrannei“. Gemeint sind Venezuela, Kuba und Nicaragua. Die Lage ist vor allem deshalb so gefährlich, weil es in Venezuela bisher keine Anzeichen für eine mögliche Verhandlungslösung gibt. Dass so viele Staaten Guaidó anerkannt haben, der de facto überhaupt keine Macht über den staatlichen Sicherheitsapparat ausübt, ist nicht nur völkerrechtlich höchst fragwürdig. Es führt auch dazu, dass auf internationaler Ebene nur wenige Akteure wie Mexiko und Uruguay glaubhaft auf einen Dialog hinarbeiten könnten. Damit verstärkt sich die Dynamik des Alles oder Nichts, des unbedingten Willens beider politischer Lager, sich gegen das jeweils andere durchzusetzen. Dies aber kann nicht zu einer tragfähigen Lösung der venezolanischen Krise führen. Weder wird Maduro einfach wie bisher weitermachen und die Krise aussitzen können, noch die rechte Opposition nach einem Umsturz gegen den chavistischen Teil der Bevölkerung regieren können.

Auch innerhalb Venezuelas dringen mäßigende Stimmen bisher kaum durch. Aus den Reihen der linken Maduro-Kritiker*innen der Bürgerplattform zur Verteidigung der Verfassung stammt ein Vorschlag, mittels Wahlen und der Neubesetzung der staatlichen Gewalten eine demokratische Lösung der Krise auszuhandeln. Um die dafür nötigen Schritte demokratisch zu legitimieren, solle zunächst ein laut Verfassung mögliches verbindliches Referendum stattfinden. In der Bürgerplattform haben sich mehrere ehemalige Minister*innen unter Chávez sowie kritische linke Akademiker*innen und Aktivist*innen zusammengeschlossen, darunter der bekannte Soziologe Edgardo Lander. Für Kritik innerhalb des chavistischen Spektrums sorgte allerdings ein Treffen mit Guaidó, bei denen Mitglieder der Plattform ihm ihren Vorschlag präsentierten. Der frühere chavistische Bildungsminister Héctor Navarro betonte anschließend, dass die Bürgerplattform Guaidó lediglich als Parlamentspräsidenten anerkenne und den Vorschlag des Referendums ebenso Maduro unterbreiten wolle. Dieser reagierte allerdings nicht auf den Vorstoß. Innerhalb der venezolanischen Linken kontrovers zu diskutieren ist zurzeit ohnehin kaum möglich, Kritik an der Regierung wird meist in die rechte Ecke gestellt. Die wichtigste linke Nachrichtenseite und Debattenplattform Venezuelas, aporrea.org, bei der sowohl Regierungs­anhänger­*innen als auch linke Kritiker*innen Maduros publizieren, wird in Venezuela seit Wochen vom staatlichen Internetanbieter CANTV blockiert. Eine Begründung dafür gibt es nicht.

„Zusammen mit Maduro gestaltet das Volk Zukunft” Wandbild in Caracas (Foto: John M Shorack)

Eine weitere Eskalation könnte bereits kurz bevorstehen. Denn seit dem 22. Februar, als er in Cúcuta ein unter dem Motto „Venezuela Aid Live“ organisiertes Konzert besuchte, befindet sich Guaidó außer Landes. Da er sich damit einem gerichtlich verhängten Ausreiseverbot widersetzte, könnte er bei der Wiedereinreise festgenommen werden. Maduro betonte bereits, dass sich Guaidó in diesem Fall „der Justiz stellen muss“. Der selbsternannte Interimspräsident zeigte sich zunächst unbeeindruckt. „Ein Gefangener bringt niemandem etwas, aber ein exilierter Präsident auch nicht“, versicherte er und kündigte seine baldige Rückkehr an. Eine Inhaftierung komme einem Staatsstreich gleich und werde seitens der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft „eine beispiellose Antwort“ nach sich ziehen, drohte Guaidó. Nicht bekannt ist, welche Garantien er für diesen Fall seitens der US-Regierung erhalten hat. Aber bis auf Weiteres liegen alle Optionen auf dem Tisch.

 

ZWISCHEN PUTSCH UND DIALOG

Wimmelbild: Wer ist Präsident? Juan Guaidó jedenfalls ist der zweite von links (Foto: OEA-OAS (CC BY-NC-ND 2.0)

Der 23. Januar ist für Venezuela ein geschichtsträchtiges Datum. An diesem Tag im Jahr 1958 stürzte ein Massenaufstand die Militärdiktatur unter Marcos Pérez Jiménez. Die rechte Opposition würde das Datum nun gerne für ihre ganz eigenen Zwecke vereinnahmen: Als den Tag, an dem sie nach 20 Jahren Chavismus wieder die Macht übernommen hat. Bisher gilt dies jedoch nur theoretisch. Praktisch sind die Dinge komplizierter. Noch Ende Dezember schien der venezolanische Präsident Nicolás Maduro angesichts einer intern zerstrittenen Opposition relativ fest im Sattel zu sitzen. Doch am 23. Januar mobilisierten die Regierungsgegner*innen erstmals seit anderthalb Jahren wieder erfolgreich auf die Straße.
Der Mann, der die Opposition binnen weniger Wochen in Hoffnung versetzt hat, ist Parlamentspräsident Juan Guaidó. Bis vor kurzem war der 35-jährige Ingenieur auch in Venezuela kaum jemandem ein Begriff. Mittlerweile halten ihn viele jedoch für den neuen Staatspräsidenten, weil er sich in Caracas selbst vereidigt hat. „Am heutigen 23. Januar schwöre ich, als ausführender Präsident formell die Kompetenzen der Nationalen Exekutive zu übernehmen, um die Usurpation zu beenden“, rief Guaidó auf der oppositionellen Großdemonstration tausenden jubelnden Anhängern im wohlhabenden Osten der Hauptstadt zu.

Guaidó hat auch im Ausland Unterstützer. Kurz nach seiner Proklamation teilte US-Präsident Donald Trump per Twitter mit, Guaidó offiziell als Interimspräsidenten anzuerkennen. US-Vizepräsident Mike Pence hatte den Anhänger*innen der Opposition im Vorfeld der Demonstration bereits die Unterstützung der USA gegen den als „Diktator“ bezeichneten Maduro zugesichert. Rasch erhielt Guaidó die Anerkennung weiterer lateinamerikanischer Länder, darunter Venezuelas rechts regierte Nachbarstaaten Brasilien und Kolumbien sowie unter anderem Argentinien, Chile, Ecuador, Peru und Paraguay. Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erkannte in Person ihres Generalsekretärs Luís Almagro Guaidó umgehend an. Die Europäische Union vollzog diesen formellen Schritt zwar bisher nicht, stärkt dem selbst ernannten Interimspräsidenten aber den Rücken und fordert Neuwahlen. Bundesaußenminister Heiko Maas etwa positionierte sich gegenüber der Deutschen Welle eindeutig: „Wir sind nicht neutral in dieser Frage, wir stehen auf der Seite von Guaidó“. Für die Regierungen Kubas, Nicaraguas, El Salvadors, Mexikos, der Türkei, Irans, Russlands und Chinas heißt der legitime venezolanische Präsident hingegen weiterhin Nicolás Maduro.

Heiko Maas ist auf der Seite von Guaidó

Bei seiner Selbstvereidigung bezog sich Guaidó neben den Artikeln 333 und 350, die das Recht auf Widerstand gegen verfassungswidrige Handlungen und undemokratische Regime festschreiben, auf Artikel 233 der Verfassung. Dieser behandelt die dauerhafte Abwesenheit des Staatspräsidenten in Fällen wie Tod, Krankheit oder Abberufung durch ein Referendum. Auf den vorliegenden Fall lässt sich der Artikel somit nur mit viel Fantasie anwenden.

(Foto: David Hernández (CC BY-SA 2.0))

Auf der zeitgleich stattfindenden Demonstration von Regierungsanhänger*innen im Westen von Caracas, gab sich Diosdado Cabello, Vorsitzender der regierungstreuen Verfassunggebenden Versammlung (ANC) kämpferisch: „Wer Präsident sein will, soll uns in (dem Präsidentenpalast, Anm. d. Red.) Miraflores suchen, denn dort wird die Bevölkerung Nicolás Maduro verteidigen.“ Daraufhin zogen die Chavisten vor den Präsidentenpalast. „Hier ergibt sich niemand“, rief Präsident Maduro seinen Anhänger*innen vom „Balkon des Volkes“ aus zu. Der US-Regierung warf er vor, eine „Marionettenregierung“ installieren zu wollen und brach die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Den in Caracas ansässigen US-Diplomaten gab er 72 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.

Guaidó reagierte umgehend und bat darum, sich den Anweisungen zu widersetzen. Die US-Regierung zog in den folgenden Tagen zwar einen Teil des Botschaftspersonals ab, kündigte jedoch an, sich dem Ultimatum, nicht beugen zu wollen. Die Maduro-Regierung rückte daraufhin von ihrem 72-Stunden-Ultimatum ab. Stattdessen solle nun über – wie es hieß – Interessenvertretungen in den jeweiligen Hauptstädten verhandelt werden, teilte das Außenministerium in Caracas mit. Sollte es darüber jedoch binnen 30 Tagen keine Einigung geben, müssten die verbliebenen US-amerikanischen Diplomaten das Land verlassen.

Mit der Installierung eines Parallelpräsidenten eskaliert der Konflikt zwischen der Regierung Maduro und der rechten Opposition auf gefährliche Weise. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Machtkampfes, der seit dem oppositionellen Wahlsieg bei den Parlamentswahlen Ende 2015 mit harten Bandagen geführt wird. Die Opposition setzte von da an alles auf einen Sturz Maduros und schürte bei ihren Anhänger*innen unrealistische Erwartungen auf einen zeitnahen Machtwechsel.

Die Regierung hingegen griff bei der Ernennung von Verfassungsrichter*innen und der Festlegung von Wahlterminen tief in die juristische Trickkiste, um sich an der Macht zu halten. Maduros Wahl im Mai vergangenen Jahres betrachten Opposition und zahlreiche Staaten als illegitim, unter anderem weil potenzielle Kandidat*innen nicht antreten durften. Die meisten Parteien hatte damals zum Boykott aufgerufen. Bei einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 46 Prozent blieben die drei Gegenkandidaten dann auch chancenlos. Glaubhafte Hinweise auf Wahlbetrug gab es zwar nicht, die Umstände spielten jedoch eindeutig Maduro in die Hände. Die umstrittene Verfassunggebende Versammlung, die seit Mitte 2017 praktisch die Funktionen des Parlamentes übernahm, hatte den Wahltermin in einer Schwächephase der Opposition von Dezember auf Mai vorgezogen.

Nach Maduros erneuter Amtseinführung am 10. Januar kochte der Konflikt erneut hoch und die zuvor notorisch zerstrittene Opposition versammelte sich hinter Guaidó. Der frühere Studierendenaktivist sitzt seit 2011 als Hinterbänkler in der Nationalversammlung und wurde am 5. Januar allein aus Mangel an Alternativen zum Präsidenten der juristisch kalt gestellten Nationalversammlung gewählt. Laut Absprache der vier größten Oppositionsparteien steht das Amt dieses Jahr der rechten Partei Voluntad Popular zu. Weil deren erste Garde um Leopoldo López, Freddy Guevara und Carlos Vecchio entweder unter Hausarrest steht oder sich im Exil befindet, kam Guaidó zum Zug. Bereits auf einer öffentlichen Versammlung in Caracas am 11. Januar deutete er an, als Interimspräsident bereit zu stehen, sofern er die Unterstützung der Bevölkerung, des Militärs und der internationalen Gemeinschaft hätte. Eine kurzzeitige Festnahme Guaidós durch die Geheimdienstpolizei Sebin am 13. Januar verschaffte diesem zusätzlichen Rückenwind. Die Regierung Maduro gab anschließend kein gutes Bild ab, als sie erklärte, die Agenten seien angeblich auf eigene Faust tätig geworden. Dass Guaidó bisher kaum jemand kannte, scheint dabei eine seiner größten Stärken zu sein. Denn er wirkt jung und frisch, obwohl er politisch überhaupt nichts Neues zu bieten hat. Jenseits der radikalen Ablehnung des Chavismus und einer Rückkehr der alten Eliten an die Erdöltöpfe, verfügen weder Guaidó noch der Rest der rechten Opposition über ein überzeugendes Programm.

Schulterschluss zwischen Opposition und USA könnte Maduro helfen

Der Schulterschluss zwischen Opposition und US-Regierung könnte Maduro helfen, die eigenen Reihen zu schließen. Viele Chavisten sind von der Regierung zwar enttäuscht, würden jedoch keinesfalls tatenlos einen rechten Putsch mit US-Unterstützung akzeptieren. Bei dem kurzzeitigen Staatsstreich gegen Hugo Chávez im April 2002 hatte der Druck der Bevölkerung dazu geführt, dass der überwiegende Teil der Soldaten den Putschisten die Gefolgschaft verweigerte.

Sicher ist, dass Guaidó für eine tatsächliche Machtübernahme auf die Unterstützung des Militärs angewiesen ist. In den vergangenen Wochen hatte er die Streitkräfte wiederholt dazu aufgerufen, „die verfassungsmäßige Ordnung“ wiederherzustellen und ihnen für diesen Fall eine Amnestie zugesichert, die er mittlerweile auch Maduro selbst im Falle eines Rücktritts in Aussicht stellte. Außer einer kurzzeitigen Erhebung einiger Nationalgardisten am frühen Morgen des 21. Januars verhallten die Aufrufe bisher jedoch ungehört. Verteidigungsminister Vladimir Padrino López stellte sich seit dem 23. Januar mehrmals demonstrativ hinter die Regierung Maduro.

Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass sich die Militärführung auf Guaidós Seite schlägt. Denn sie profitiert von einer engen politischen und wirtschaftlichen Verflechtung mit der Regierung. Doch es ist unklar, wie es in den unteren Rängen aussieht und welche Auswirkungen weitere Proteste oder eine Eskalation der Gewalt haben könnten. Seit der kurzzeitigen Erhebung der Nationalgardisten kam es täglich zu lokalen Anti-Maduro-Protesten in verschiedenen Städten. Davon betroffen waren in Caracas auch Stadtteile, die bisher als sichere Bank für die Chavisten galten. Dabei sollen nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen landesweit bereits 29 Menschen ums Leben gekommen und hunderte festgenommen worden sein. Dennoch blieb der befürchtete große Gewaltausbruch bisher aus und Guaidó befindet sich nach wie vor auf freiem Fuß.

Unabhängig vom Ausgang des Machtkampfes verfügt keines der beiden großen politischen Lager über wirkliche Lösungen, um die politische und wirtschaftliche Krise zu überwinden. Insbesondere der Bevölkerung in den Armenvierteln, die sich kulturell überwiegend dem Chavismus zugehörig fühlt, hat die Opposition wenig anzubieten. Die Regierung Maduro hingegen zeigt in den barrios durch Lebensmittelkisten und unregelmäßige Bonuszahlungen nach wie vor Präsenz. Doch ihre seit Mitte vergangenen Jahres umgesetzten Wirtschaftsreformen hatten kaum einen Effekt, jede Erhöhung des Mindestlohnes wird umgehend von der Hyperinflation aufgefressen.

Klar ist, dass eine Überwindung der tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Krise nicht durch ein Beharren auf einzelne Verfassungsartikel beigelegt werden kann, die beide Seiten für ihre Zwecke instrumentalisieren. Eine Lösung kann nur im Dialog erreicht werden. Dafür müssten beide Seiten jedoch zu ernsthaften Kompromissen bereit sein. Als Vermittler boten sich bereits die Regierungen Mexikos und Uruguays an. Während sich Maduro offen für Gespräche zeigte, erteilte Guaidó dem „falschen Dialog“ eine Absage. Stattdessen kündigte er weitere Proteste an.

 

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