„Die Frente Amplio müsste auf die Bevölkerung hören“

Was bedeutet der Wahlsieg der Frente Amplio für Uruguay?

Am 31. Oktober 2004, dem Tag des Wahlsiegs der Frente Amplio, feierte eine Million Menschen überschwänglich auf den Straßen von Montevideo und überall im Land – bei einer Bevölkerungszahl von etwas mehr als drei Millionen Einwohnern in Uruguay. Die Menschen gingen auf die Straße, um ihre Freude auszudrücken, Freude über die Zurückweisung der alten bürgerlichen Parteien, die am Militärputsch teilgenommen und bis heute die Militärs in Schutz genommen haben, und Freude über die Absage an das Wirtschaftsmodell des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Hoffnung war groß, dass jetzt der Wahlkampfslogan „für ein produktives Land“ in die Realität umgesetzt werden würde. Im Zentrum des Projekts der neuen progressiven Regierung steht das Vorhaben, den produktiven Apparat Uruguays zu reaktivieren. Die Menschen verstehen darunter: mehr Arbeit, bessere Löhne, Erhöhung der Renten. Die Regierung der Frente bedeutet für die Bevölkerung genau diese Perspektive.

Haben sich die Erwartungen an die neue Regierung knapp ein Jahr nach ihrem Wahlsieg bestätigt?

In Wirklichkeit war die Frente in ihren Äußerungen zu den Themen Wirtschaft oder Menschenrechte schon vor den Wahlen sehr gemäßigt – und nominierte Danilo Astori als Wirtschafts- und Finanzminister, weil er das Vertrauen der internationalen Finanzorganisationen in Washington besitzt. Die erste politische Aktion der Frente Amplio war dann, Verhandlungen mit dem IWF über die Verträge zu beginnen, die die Regierung Battle mit ihm ausgehandelt hatte. Vor einiger Zeit noch verlangte die Frente in ihrem Progamm ein Moratorium für die Auslandsschulden. Astori hat jetzt einfach die Zahlungsbedingungen des IWF akzeptiert, ohne diese überhaupt neu zu verhandeln. Die Wirtschaftspolitik der Frente liegt auf derselben Linie wie die der Vorgängerregierung.
Ich denke nicht, dass darüber der Glaube und das Vertrauen der Wähler in ihre Führung, also in Astori, Tabaré Vázquez oder Pepe Mujica, bricht. Die Leute sagen sich: Es sind ja erst sieben Monate seit der Regierungsübernahme vergangen, sie werden schon noch was ändern. Aber wenn man die einzelnen Schritte der Regierung genauer verfolgt hat, dann erkennt man, dass sie unumkehrbar sind.

Die Regierung sagt immer, dass sie nicht von bereits unterzeichneten Verträgen zurücktreten könne.

Könnte sie wohl – wenn sie die Bevölkerung mobilisieren würde, von der sie schließlich gewählt worden ist. Nehmen wir als Beispiel Hugo Chávez: Mit einer politisierten und mobilisierten Bevölkerung im Rücken hat er seine Positionen Stück für Stück radikalisiert. Die Führungsspitze der uruguayischen Linken ist den umgekehrten Weg gegangen: Statt sich an die Spitze der mobilisierten Bevölkerung zu stellen, nimmt sie diese Unterstützung nicht ernst und meint stattdessen, dass sich die Stärke der Regierung aus dem Kontakt und den Übereinkünften mit der besitzenden Klasse, den internationalen Finanzorganisationen und den Militärs ergebe.

Pepe Mujica ist der mit den meisten Stimmen gewählte Politiker und ist heute Landwirtschaftsminister. Die Tupamaros sind die stärkste Fraktion der Frente Amplio. Sie entstanden in den 60er Jahren aus der Forderung einer Landreform heraus. Ist das heute ein Thema für die Regierung?

Die Tupamaros begannen unter Raúl Sendic mit der Besetzung von Großgrundbesitz, um mit den Landarbeitern eine Kooperative zu gründen. „Der Boden gehört denen, die ihn bearbeiten“, war unsere Forderung. Als wir 1985 aus dem Gefängnis kamen, war gerade Raúl in dieser Hinsicht sehr konsequent und gründete eine Bewegung zum Kampf um Landbesitz für die Landarbeiter, die sich gegen den Großgrundbesitz richtete. Mujica hat zum Thema Agrarreform bloß gesagt, es handele sich hierbei um ein intellektuelles Problem.

Von der Frente gibt es dazu also keinen Vorschlag?

Gar nichts. Als in Salto 30 Familien der Landlosenbewegung MST (Movimiento Sin Tierra) forderten, ihnen unbebautes Staatsland zu übergeben, meinte Mujica nur, ob sie denn ganz blöde seien. Es gibt ein staatliches Institut, das formal die Aufgabe hat, Land zu übereignen, dieser aber in keiner Weise nachgeht. Raúl Sendic hatte damals vorgeschlagen, Großgrundbesitzer, die Schulden bei der staatlichen Bank haben, dazu zu verpflichten, Land abzugeben, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen. Dieses Land sollten dann die Landarbeiter bekommen. Das Thema wurde nie aufgegriffen und heute wird darüber nicht mehr geredet. Wie aber soll die Reaktivierung des landwirtschaftlichen Produktionsapparats funktionieren, wenn dazu nicht die Struktur des Großgrundbesitzes diskutiert wird? Uruguays Petroleum ist grün, sein Reichtum ist die Erde. So bleibt das Schlagwort vom produktiven Uruguay nur Demagogie, ein Werbeslogan.

Du warst lange Zeit führendes Mitglied der Tupamaros. Schon vor einigen Jahren hast du aber begonnen, andere Auffassungen öffentlich zu äußern, und dich schließlich von der Organisation getrennt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Als Organisation haben wir immer, auch nach 1985, versucht, eine revolutionäre Perspektive zu behalten. Der Kampf der Ideen innerhalb der Frente, die Diskussionen in unseren eigenen Versammlungen, waren für uns stets mit dem Ziel einer revolutionären Umwälzung verknüpft. Dafür haben wir gearbeitet. Nicht zur Verteidigung der Institutionen der bürgerlichen Demokratie, sondern um die uruguayische Bevölkerung zu stärken.
Aber dann gab es 1994 die Möglichkeit, als Abgeordnete auf parlamentarischer Ebene Politik zu machen. Und da tauchte auch die Idee auf, dass es möglich sei, revolutionäre Kraft über Wahlen zu akkumulieren. In der Realität wurde es dann sehr schwierig, diese Möglichkeit umzusetzen. Jedenfalls kann man nach meiner persönlichen Erfahrung von einem Parlamentssitz aus oder in einer Wahlkampagne, deren Ziel es ist, Stimmen zu sammeln und nicht Bewusstsein zu entwickeln, keine revolutionäre Option stärken.
Auf diesem Weg sind die Tupamaros jetzt an eine Grenze gelangt. Jeder von ihnen ist bei jedem Schritt weitere politische Verpflichtungen mit sozialen Schichten eingegangen, die wir eigentlich nicht in Betracht gezogen hatten. Mujica hat Abkommen mit der Vereinigung der Landbesitzer abgeschlossen. Ñato (gemeint ist der langjährige Tupamaro-Führungskader Fernando Huidobro; Anm. der Red.) hat gefährliche Beziehungen zu Sektoren der Militärs, speziell zu der Logia der Tenientes Artigas, die den Militärputsch 1973 organisiert hatten. Diese Beziehungen bedeuten Verpflichtungen. Ein Schritt zieht dabei den nächsten nach sich. So war es zum Beispiel möglich, dass das Militärmanöver UNITA mit den USA genehmigt wurde. Die Zustimmung zu diesen Manövern folgt der Entsendung von Truppen nach Haiti. Während der Regierungszeit von Batlle war die Frente Amplio gegen die Teilnahme an den UNITA-Manövern, jetzt ist sie dafür.

Die neue uruguayische Regierung hat außerdem militärische und polizeiliche Beförderungen ausgesprochen, die sehr überrascht haben.

Einige Schritte der Regierung segnen die Straflosigkeit ab. So wurden mehrere Polizisten befördert, die wegen ihrer Teilnahme an dem Massaker von Jacinto Vera (dort wurden 1995 bei einer großen Mobilisierung gegen die Auslieferung von vier Basken nach Spanien zwei Demonstranten erschossen; Anm. der Red.) verurteilt worden sind und ein weiterer aus Colonia, der wegen Folterungen angezeigt ist. Der jetzige Leiter des Gefängniswesens war 1972 an der Erschießung von acht Kommunisten beteiligt und war Einsatzleiter in Jacinto Vera. Es wurden Militärs befördert, die wegen Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur bekannt sind. Zum Beispiel leitete der jetzt zum General ernannte Dalmao Kasernen, in denen wir während unserer Haft gefoltert wurden. Auch der neue Koordinator der Geheimdienste ist ein bekannter Folterer und in jüngster Zeit ging sein Name wegen Korruption durch die Presse. Ebenso ist der neue Leiter der Kommission zur technischen Zusammenarbeit zwischen Uruguay und Argentinien am Río de la Plata als Folterer bekannt. Das alles stärkt die Militärs in ihrem Gefühl der Straflosigkeit.

Gibt es Anklagen wegen Folterungen?

Bis heute wurde kein einziger Militär wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor oder während der Militärdiktatur angeklagt. Uruguay ist ein Paradies der Straflosigkeit. Pinochet kann darauf nur neidisch sein. Es gibt auch keine Verfahren gegen zivile Personen, die vor oder während der Militärdiktatur Menschen verschwinden ließen. Die uruguayische Justiz betrachtet das Verschwindenlassen von Personen bis heute als Mord, der nach 30 Jahren verjährt – im Gegensatz zu den Beschlüssen des Interamerikanischen Gerichtshofes, dem die uruguayische Justiz unterworfen ist. Alle Untersuchungen werden zu den Akten gelegt.

Was macht die Regierung in Bezug auf die Verschwundenen?

Am Anfang wurden große Hoffnungen geweckt. Direkt nach der Amtsübernahme ordnete Vázquez an, dass die Gelände um einige Kasernen auf der Suche nach den Resten von Verschwundenen durchforstet werden sollten. Allerdings auf der Basis von Informationen, die die Militärs selbst gegeben hatten. Heute wissen wir, dass das alles Falschinformationen waren. Vázquez hätte damit vorsichtiger umgehen müssen. Es war offensichtlich, dass die Militärs logen und überhaupt kein Interesse daran hatten, die Regierung zu stärken.
Ein weiteres Beispiel ist der jetzige Kommandeur der Luftwaffe Bonelli. Er hat öffentlich zugegeben, dass er Kopilot bei einem der Todesflüge war, mit denen Gefangene aus dem Folterlager Orletti in Buenos Aires nach Uruguay gebracht wurden und die danach verschwanden. Tabaré hat Bonelli nicht abgesetzt, er ist weiterhin Chef der Luftwaffe.
So wird ein Klima geschaffen, in dem die Regierung dem Druck der Militärs beim Thema Straflosigkeit nachgibt. Wenn man all das zusammenfasst, also erstens, dass das Wirtschaftsmodell des IWF beibehalten wird, zweitens Aufträge des Pentagons übernommen und drittens klare Signale für die Aufrechterhaltung der Straflosigkeit gegeben werden, dann kann man sagen, dass diese Regierung nicht einmal sozialdemokratisch, sondern einfach eine Fortsetzung der vorausgegangenen ist.
Interview: Margrit Schiller

Streit um ein anderes Amerika

Am Ende stand es 29 zu fünf. Mar del Plata wurde nicht zur Grabstätte von ALCA, wie Venezuelas Präsident Hugo Chávez noch vor dem Amerikagipfel der 34 Staats- und Regierungschefs verkündet hatte. 29 Staaten, darunter die USA, Kanada, Mexiko und Chile, sehen die Möglichkeit, den seit zwei Jahren ruhenden Verhandlungsprozess über die Freihandelszone ALCA 2006 wieder aufzunehmen. Die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay sowie Venezuela sind unter den gegenwärtigen Bedingungen dagegen. Da das Konsensprinzip galt, wurden die unterschiedlichen Positionen in der Abschlusserklärung festgeschrieben.
Zugespitzt hatte sich die Lage mit dem Streit um die US-amerikanischen Subventionen und Handelsbeschränkungen im Agrarsektor. Erst wenn hier eine Lösung erzielt werde, könne wieder über eine Freihandelszone verhandelt werden, so die Position der Mercosur-Staaten. Diese Frage wird die so genannte Doha-Runde im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO weiter beschäftigen, deren nächstes entscheidendes Treffen für Mitte Dezember vorgesehen ist.
Das Ergebnis von Mar del Plata ist nicht mehr als eine Momentaufnahme der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse. Alle Länder haben sich in der Abschlusserklärung für die weitere Integration der Staaten des amerikanischen Kontinents ausgesprochen. Aber der Süden möchte sich die Bedingungen dafür von Washington nicht diktieren lassen. Der Hinterhof der USA ist kleiner geworden. Néstor Kirchner hat den internationalen Finanzinstitutionen in seiner Eröffnungsrede deutlich die Leviten gelesen und ihnen die Mitverantwortung für die große Armut in der Region zugeschrieben. Die Politik des IWF gegenüber Argentinien bezeichnete er vor den 33 Staats- und Regierungschefs als „pervers“. Er rief dazu auf, eine “neue Entwicklungsstrategie für die Region” zu finden und kritisierte damit indirekt die von den USA favorisierte Freihandelshandelzone ALCA.
Der Süden drängt auf die Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus. Aus argentinischen Regierungskreisen wird immer wieder das Vorbild des Integrationsprozesses der Europäischen Union ins Spiel gebracht: intensive Verhandlungen über den Eingliederungsprozess; finanzielle Beihilfen und Schutzklauseln für die kleinen und schwächeren Volkswirtschaften. Doch das ist eine Horrorvision für die US-Administration.
Das Abschlussdokument lässt zu, dass die 29 Befürworterstaaten 2006 über eine ALCA „Light“-Version verhandeln können. Aber die Länder, die gegen ALCA stimmten, produzieren immerhin 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Lateinamerika. Die USA setzen deshalb weiter auf ihre bilaterale Verhandlungsstrategie, mit deren Hilfe sie Keile in die Allianzen treiben will. Kaum traf Bush aus Mar del Plata kommend zum Staatsbesuch in Brasilien ein, da lobte er seinen „Freund“ Lula „für die Führungsrolle in der ganzen Welt und auf dem amerikanischen Kontinent.“
Von der Allianz Mercosur-Venezuela ist auch keine große Umwälzung zu erwarten. Hugo Chávez’ Vorschlag einer Alternativa Boliviariana de las Americas (ALBA) ist in den beiden großen Mercosurstaaten Brasilien und Argentinien nicht durchzusetzen. Da stehen die Regierungen Lula und Kirchner gegen die Macht und den Einfluss der multinationalen Firmen und Banken in ihren Ländern.
Chávez arbeitete jedoch weiter an seiner Führungsrolle bei den sozialen Protestbewegungen. Als einziger Regierungschef trat er sowohl auf dem Regierungsgipfel als auch auf den Protestveranstaltungen auf. „Ich werde jetzt zum anderen Gipfel gehen und dort eure Stimme vertreten,” versprach er nach seiner knapp dreistündigen Rede den 30.000 Menschen im Weltstadion von Mar del Plata. Und seinen nächsten großen Auftritt hat er auch schon sicher: im Januar 2006 auf dem 6. Weltsozialforum in seiner Hauptstadt Caracas.
Chávez wurde auf dem 3. Gipfel der Völker, dem Gegengipfel zum Amerika-Gipfel, als Hoffnungsträger gefeiert. Rund 12.000 Menschen nahmen an der dreitägigen Veranstaltung teil. Unter dem Motto „Ein anderes Amerika ist möglich” diskutierten rund 150 Foren unterschiedliche Themen. In der Abschlusserklärung wurde ein alternativer Integrationsprozess in Anlehnung an die Alternativa Bolivariana de las Americas (ALBA) vorgeschlagen.
Als 15.000 DemonstrantInnen unter der Losung: „Nein zu ALCA – Nein zu Bush” friedlich durch Mar del Plata zogen, war an der Spitze noch ein anderer Hoffnungsträger mit dabei: der bolivianische Präsidentschaftskandidat und Bauernführer Evo Morales. Eine Straßenschlacht lieferten sich dagegen einige hundert DemonstrantInnen am Nachmittag mit den Sicherheitskräften an den Absperrungen der Sicherheitszone. AntiimperialistInnen und VertreterInnen des kompromisslosen Teils der Piquetero-Bewegung hatten die Aktionen zuvor angekündigt.

Neoliberale Katerstimmung

Zum ersten Mal bei einem Amerika-Gipfel sind die USA klar in der Defensive. Was hat sich in der Region verändert?

Die Wirtschafts- und die Kriegspolitik der Regierung Bush stecken in der Krise, auch in Lateinamerika. Mehrere mit den USA verbündete Regierungen sind wegen der Folgen ihrer neoliberalen Politik vom Volk durch solche ersetzt worden, die eine gewisse Distanz zu Washington einnehmen. Dazu kommt das Scheitern des Mexikaners Vicente Fox, der der starke Mann Washingtons in der Region werden sollte. Brasilien, Argentinien, Uruguay, Venezuela und Kuba setzten auf eine Politik relativer Souveränität und haben einen autonomen Raum von Allianzen begründet. All das hat zur Isolierung der USA beigetragen, ebenso die Kriegspolitik im Irak und in Kolumbien oder die Entsendung von US-Truppen nach Paraguay. So bleibt den USA nur Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe als großer Bündnispartner.

Vor allem Venezuelas Staatschef Hugo Chávez bringt Washington zur Weißglut.

Ja, zum ersten Mal gibt es eine Polarisierung zwischen Bush und Chávez in einem für Chávez günstigen Kontext. In Venezuela hat er seine Position gefestigt und die Integration mit Kuba vorangetrieben.

Wie groß ist der Anteil Brasiliens an dieser Entwicklung?

Dass die Freihandelszone ALCA nicht wie geplant Anfang 2005 in Kraft getreten ist, ist vor allem ein Verdienst der brasilianischen Außenpolitik. Bei der Integration Südamerikas hat es Fortschritte gegeben, Raum für Allianzen. Im Rahmen der WTO-Verhandlungen wurde die Gruppe der 20 Länder des Südens gegründet. Das sind alles Initiativen für eine multipolare Welt.

Könnten die ALCA-Verhandlungen wieder in Gang kommen, wenn die USA ihren Markt spürbar für die Agrarprodukte Brasiliens und Argentiniens öffnen?

Nein. Die USA sind ja vor allem an Fragen des geistigen Eigentums interessiert, an Regierungsaufträgen, an einer Reihe von Punkten, in denen Brasilien nicht nachgeben will. Das ALCA-Projekt könnte nur wiederbelebt werden, falls Lula im kommenden Jahr verliert. Im Moment ist es eingefroren.

Wegen ihrer Wirtschaftspolitik wird die Regierung Lula auch aus dem eigenen Lager stärker kritisiert denn je.

Ja, denn sie hat die neoliberale Politik reproduziert. Wegen der Spar- und Hochzinspolitik gibt es kaum Geld für Soziales, in der Gentechnik hat sie die exportorientierte Vision des Agrobusiness übernommen. Das ist Lulas großer Fehlschlag, denn diese Wirtschaftspolitik verhindert letztlich, dass er, wie versprochen, Sozialreformen Vorrang einräumt.

Wegen der Korruptionsaffäre und dem nahenden Wahlkampf wächst die Polarisierung in Brasilien. Wird Lula umsteuern?

Kaum. Er ändert vielleicht seinen Diskurs oder sein Verhältnis zu den sozialen Bewegungen. Fast alle Unternehmer werden einen Präsidentschaftskandidaten der Opposition unterstützen. Lula kann also nur gewinnen, wenn er seine sozialpolitischen Maßnahmen ausweitet. Das könnte zu einer gewissen Umverteilung der bislang für den Schuldendienst eingesparten Mittel führen, hin zu mehr Sozialausgaben. Gegen die mediale Umzingelung kann er nicht viel machen, denn bislang hat er die unabhängigen Medien kaum unterstützt.

Ist Lula also einer der verlässlichsten Partner Bushs in der Region, wie es in Washington jetzt wieder heißt?

Nein, das stimmt nicht. Sicher, wirtschaftspolitisch kann Bush zufrieden sein – besonders wenn man bedenkt, was Lula hätte tun können. Aber außenpolitisch weiß Bush genau, dass Brasilien zu seiner Isolierung beiträgt. Deshalb wird er sich bestimmt für eine Niederlage Lulas im Oktober 2006 stark machen.

Wie beurteilen Sie das Verhältnis der globalisierungskritischen Bewegung zu Hugo Chávez?

Die sozialen Bewegungen sehen ihn sehr positiv. Die Nichtregierungsorganisationen haben viele Vorurteile, doch selbst sie merken jetzt, dass Venezuela das einzige Land in Lateinamerika ist, wo es große Fortschritte auf sozialem Gebiet gibt, auch bei der Demokratisierung der Medien und der regionalen Integration. Beim nächsten Weltsozialforum in Caracas im Januar 2006 wird die Übereinstimmung wachsen.

Es besteht also keine Gefahr, dass eine so übermächtige Figur die Basisarbeit bremsen könnte?

In Venezuela ist genau das Gegenteil der Fall. Nicht Chávez, sondern das Weltsozialforum hat das Problem, seine Alternative zu formulieren. Wegen dieses Rückstands operiert es in einem politischen Vakuum. Es wird nicht klar, was es für die Welt, für Lateinamerika vorschlägt, was die Demokratisierung des Staates betrifft, die regionale Integration, die Demokratisierung der Medien. In dieser Hinsicht ist Chávez weiter.

Woran liegt das?

Vor allem daran, dass die Nichtregierungsorganisationen nur von der so genannten Zivilgesellschaft aus organisieren wollen. Sie lassen nicht nur wichtige politische Kräfte außen vor, sondern auch strategische Fragen. Die Bündelung der sozialen Kräfte führt nicht automatisch zu Alternativen zum neoliberalen Modell und noch weniger zum Kampf gegen den Krieg.

Chávez erhält für seine „Bolivarianische Alternative für Amerika“ (ALBA) kaum Unterstützung von Lula da Silva, Néstor Kirchner oder Tabaré Vázquez aus Uruguay. Warum nicht?

ALBA setzt einen Umbau des internen Systems voraus. Länder, in denen die Multis den Ton angeben, können sich kaum in diese Richtung weiterbewegen. ALBA zielt auf eine viel tiefere Integration von ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Systemen. Selbst wenn die genannten Politiker dies wollten, könnten sie es nicht, weil sie große Teile ihrer Volkswirtschaften nicht kontrollieren, etwa das Bankensystem. Wie soll da eine Integration des Bankensystems auf kontinentaler Ebene möglich sein? Bislang haben wir also eine Kombination von ALBA und der von Lula angestoßenen Südamerika-Union, also eine viel weniger profunde Integration.

Was erwarten Sie sich von den Diskussionen auf dem Gipfel in Mar del Plata?

Ich hoffe, dass für die ganze Welt der Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen in Lateinamerika klar wird, der verzweifelte Überlebensversuch des neoliberalen Modells und die Kritik an der US-Hegemonie, aber auch das Entstehen von Alternativen, neuen Räumen der Integration, die Konstruktion einer sozialeren Politik. Doch das bleibt schwierig, denn Lateinamerika ist eine sehr instabile Region. Es war das größte neoliberale Versuchslabor, und jetzt erleben wir den großen Kater.

Gerechtigkeit heilt – der internationale Kampf gegen Straflosigkeit

Im Zuge ihrer langjährigen Arbeit mit Flüchtlingen im Raum Rhein-Ruhr hat die Medizinische Flüchtlingshilfe in Bochum stets ein spezielles Augenmerk auf die politischen Hintergründe für Flucht und Vertreibung geworfen. Seit ihrer 2002 ins Leben gerufenen Kampagne „Gerechtigkeit heilt“ setzt sie sich für die strafrechtliche Verfolgung und gesellschaftliche Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen ein.
Im November 2004 wurde das zweijährige Forschungsprojekt „Kampf gegen Straflosigkeit“ gestartet, finanziert von der NRW-Stiftung für Umwelt und Entwicklung. Eine vergleichende Studie untersucht Erfahrungen und Umgang mit Straflosigkeit in verschiedenen Ländern. Die Ergebnisse werden Anfang 2007 auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch veröffentlicht. Wichtiges Ziel des Projektes ist auch der Ausbau der weltweiten Vernetzung von Nichtregierungsorganisationen, die zum Thema Straflosigkeit aktiv sind.
Der Kongress als zentraler Bestandteil dieses Projekts bot die in der Bundesrepublik wohl erstmalige Gelegenheit für MenschenrechtlerInnen aus allen Erdteilen, sich über ihre Erfahrungen mit Straflosigkeit auszutauschen und gemeinsam Lösungsansätze zu diskutieren. Die als Gesprächsforen gestalteten Vorträge und Diskussionen waren in vier thematische Schwerpunkte unterteilt: Wahrheitsfindung, strafrechtliche Verfolgung, Traumaarbeit und Therapie sowie Entschädigung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
Bei der Konzipierung der Veranstaltung hatte die MFH gezielt ReferentInnen aus Ländern eingeladen, in denen bereits Erfahrungen im Kampf gegen Straflosigkeit vorliegen. So wurde beispielsweise die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission mit der chilenischen Variante gleichen Namens und der Valech-Kommission, eingesetzt zur Untersuchung der geheimen Folterungen unter Pinochet, verglichen. Der kambodschanische Referent schilderte die Bemühungen einer NRO seines Landes, bei den Vereinten Nationen Unterstützung in der Wahrheitsfindung zum größten Völkermord seit dem Zweiten Weltkrieg zu erhalten. Die ruandischen Gacaca-Tribunale wurden mit den UN-Tribunalen zu Ex-Jugoslawien und Sierra Leone verglichen. Lateinamerikanische Delegierte berichteten von ihren Anstrengungen, die Abschaffung von Amnestieregelungen zu erwirken und so die Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zu ermöglichen. Die Anwältin Hebe Martínez aus Uruguay erläuterte das noch geltende Verjährungsgesetz „Ley de Caducidad“ und die Niederlage des Referendums von 1989. Florencia Plazas von der Menschenrechtsorganisation CELS zeichnete den langen Weg Argentiniens bis zum endgültigen Fall der Amnestiegesetze nach. Beatriz Brinkmann von der chilenischen Organisation CINTRAS, die im psychosozialen Bereich tätig ist, berichtete von der Zunahme von Konsultationen seit Pinochets Rückkehr aus der Londoner Haft. Im Gegensatz dazu sind in Ruanda angesichts hunderttausender traumatisierter Opfer lediglich Gruppentherapien möglich, wie der Psychologe Simon Gasibirege darlegte. Die gesellschaftlichen Auswirkungen von staatlicher Repression, bewaffneten Konflikten und Völkermord in den verschiedenen Ländern wurden vergleichend diskutiert und die Erfahrungen der Menschenrechtsbewegungen einander gegenüber gestellt.
Der Kongress schloss mit einer Podiumsdiskussion über die Möglichkeiten weiterer Vernetzung und Zusammenarbeit. Wenngleich alle Teilnehmenden einstimmig für eine Weiterführung des begonnenen Austauschs plädierten, machten die individuellen Beiträge deutlich, dass in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich hoher Bedarf an internationaler Vernetzung herrscht. Francisco Soberón, Leiter der nationalen Koordination Peru und Vize-Präsident der Internationalen Menschenrechtsföderation (FIDH), empfahl, sich bereits bestehenden Netzwerken anzuschließen. Auch die Stimmen prominenter lateinamerikanischer Organisationen wie das CELS in Argentinien oder die Fundación Myrna Mack in Guatemala blieben hinsichtlich der Stärkung der internationalen Vernetzung eher verhalten. Ganz anders die afrikanischen TeilnehmerInnen: John Caulker aus Sierra Leone warb dafür, ein weltweites Netzwerk gegen Straflosigkeit aufzubauen und Simon Gasibirege äußerte den Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit von PsychologInnen und Menschenrechtsorganisationen auf internationaler Ebene. Insgesamt wurde deutlich: In Lateinamerika besteht nach rund 40 Jahren organisierter staatlicher Repression und Menschenrechtsverletzungen ein anderes Erfahrungspotenzial als in den mit Bürgerkriegen und Völkermord konfrontierten afrikanischen Ländern, deren Menschenrechtsbewegungen größtenteils noch sehr jung sind. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die VertreterInnen der eingeladenen Organisationen den tatsächlichen weltweiten Bedarf an Vernetzung repräsentativ widerspiegeln. In der Nachbearbeitung des Kongresses hat sich die MFH daher die Aufgabe gestellt, Antworten auf diese Frage auch bei anderen Menschenrechtsorganisationen in aller Welt, die auf verschiedenen Gebieten der Straflosigkeitsbekämpfung tätig sind, zu suchen. Die Aufforderung der TeilnehmerInnen, bei der weltweiten Vernetzung eine zentrale Rolle einzunehmen, nimmt die MFH in jedem Fall sehr ernst.

Die vollständige Dokumentation des Kongresses wird demnächst auf der Homepage des MFH-Projekts veröffentlicht (www.gerechtigkeit-heilt.de).

Rebellische Erinnerung

Was für eine Rolle spielt Punto Final in der Medienlandschaft Chiles?

Punto Final ist eine unabhängige Zeitschrift, die nur den Interessen der breiten Öffentlichkeit verpflichtet ist. Deshalb können wir frei und immer zur richtigen Zeit über Themen berichten, die die anderen Medien lieber umgehen, um keine Akteure, von denen sie finanziell abhängig sind, in Schwierigkeiten zu bringen. Punto Final ist offen genug, um über Prozesse in den lateinamerikanischen Gesellschaften zu berichten, die von anderen Medien entweder entstellt oder sogar ganz ignoriert werden.
Welchen Themen widmete sich Punto Final in seiner Anfangszeit und mit welchen Themen beschäftigt sich die Zeitschrift heute?
Generell wurden die Fortschritte der aufsteigenden sozialen Bewegungen abgedeckt, wie zum Beispiel die Bauern- und Arbeiterbewegung. Es wurde über die kubanische Revolution berichtet und wie sie sich auf die lateinamerikanische Linke auswirkte. Auch der Vietnam-Krieg war ein großes Thema.
Heute variieren die Themen sehr. Auf internationaler Ebene berichten wir vor allem über Prozesse und Schwierigkeiten in Kuba, Venezuela, Brasilien, Bolivien, Argentinien und Uruguay. Was Chile betrifft, gibt es Reportagen über die Auswirkungen des neoliberalen Systems, aber auch über Umweltschäden und ausgeschlossene soziale Gruppen. Insbesondere über den Widerstand der Mapuche, die ihre Kultur und ihr Land verteidigen. Des Weiteren nehmen der Kampf gegen Straflosigkeit und die Menschenrechtsbewegungen sowie die Analyse der ideologischen Debatte der Linken einen zentralen Platz in Punto Final ein.

Was bedeutet für Dich das Projekt „Punto Final – Memoria Histórica online“? Was für Auswirkungen kann der freie Zugang zu den alten PF-Ausgaben im Internet Deiner Meinung nach für die chilenische Gesellschaft haben?

Ich weiß, dass die gesamte Redaktion des PF mit diesem Geburtstagsgeschenk einen Schub Dynamik bekommen wird, denn wir werden dieses Archiv nutzen können, um uns besser den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Ich war sehr beeindruckt, dass der Kampf gegen die Diktatur auch heute noch junge Menschen motivieren kann, in einer Geste der Solidarität diese historisch wichtigen Dokumente der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Dank des Online-Archivs werden diese Materialien, die in Chile in den Bibliotheken oder Archiven nicht vorhanden sind, wieder öffentlich zugänglich sein und so für viele Menschen eine wichtige Etappe der chilenischen Geschichte besser verständlich machen.

Du hast neben der Entgegennahme des Online-Archivs außerdem Dein Buch 119 de nosotros vorgestellt. Was genau war der Plan Colombo?

Der Plan Colombo stellte einen Höhepunkt der Repressionspolitik der Diktatur dar. Er diente sozusagen als Versuch für die spätere Operation Cóndor, das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen den Militärdiktaturen des Conosur. Von Mai 1974 bis Februar 1975 wurden 119 Personen entführt. Der Plan Colombo wurde mit einer massiven Medienstrategie inszeniert, um das Verschwindenlassen von Personen zu leugnen: Tagespresse und Radio verbreiteten falsche Informationen über die revolutionären Bewegungen. Die MIR wurde als eine Organisation dargestellt, die in der Lage sei, ihre eigenen Leute umzubringen. In der Tageszeitung Segunda hieß es zum Beispiel: „Exterminado como ratas“ – „Ausgelöscht wie Ratten“, ein wirklich Gänsehaut erzeugender Titel! Es wurde über Leichen in Argentinien berichtet, die mit Schildern behängt waren, auf denen stand: „Als Verräter getötet. MIR“. Später stellte sich heraus, dass es Körper von argentinischen Verschwundenen waren.
Zusätzlich wurden Zeitschriften zu Propagandazwecken erfunden, die in Argentinien und Brasilien zwei Listen mit insgesamt 119 Namen von Kameraden veröffentlichten. Daher kommt der Name „Liste der 119“, so wie die Linke sie bezeichnet hat. Diese gefälschten Meldungen wurden dann über die nordamerikanische Nachrichtenagentur UPI in Chile verbreitet. Es war also eine perfekt geplante und durchgeführte Operation. Innerhalb des Militärs hieß sie Plan Colombo. Diese interne Bezeichnung wurde natürlich erst viel später bekannt.

Was hat Dich dazu bewegt, speziell die Geschichten dieser 119 Menschen in Deinem Buch zu rekonstruieren und sie so wieder in Erinnerung zu rufen?

Ich wollte diese Namen aus der gefühllosen Kälte der Statistik herausnehmen und der heutigen Jugend die Generation von Revolutionären der 70er Jahre näher bringen. Wenn in der chilenischen Öffentlichkeit überhaupt mal die Verschwundenen thematisiert wurden, dann blieb die Liste der 119 unerwähnt. Unter den Angehörigen machte sich große Wut breit und wir gründeten die Organisation Familienangehörige und Freunde der gefallenen MIRisten. Ich war in der Kommunikationsabteilung und begann mit meiner Kollegin Sonia Cano, Informationen für Pressemitteilungen zu den 119 Verschwundenen zusammenzutragen. Das war der Beginn meines Buches. Wir hatten natürlich auch die Hoffnung, dass unsere Arbeit zu einer schnelleren juristischen Lösung beitragen würde. Dem war nicht so. Es ist nichts passiert. Nur in fünf Fällen gibt es überhaupt ein Verfahren.

Du willst also zur Aufklärung der Vergangenheit beitragen?

Das Anliegen meines Buches ist nicht allein, den Plan Colombo anzuklagen. Ich wollte die Lebensgeschichten dieser Kameraden darstellen, weil sie bis heute als Terroristen gezeigt werden und nicht als die politischen und sozialen Vorkämpfer, die sie waren. Ihre Lebensgeschichten zu kennen heißt, die Vielfalt des Kampfes der chilenischen Linken dieser Zeit kennen zu lernen. Es sind Menschen, die in den Umwälzungsprozess, den Chile damals erlebte, zutiefst involviert waren.
Diese 119 waren nicht nur physisch, sondern auch aus der Erinnerung verschwunden. Es wurde nie von ihnen gesprochen. Die Absicht des Buches ist, diese Geschichten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, vor allem den Jugendlichen.

Dein Buch richtet sich also vor allem an die heutige Jugend?

Ja. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen den Generationen in Chile. Die Jugend im Jahr 2000 hatte keine Ahnung, was vor der Diktatur in Chile geschehen ist. Von der Diktatur kannten sie nur, was jedes Jahr zum 11. September im Fernsehen gezeigt wird: die Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda. Natürlich ist das auch wichtig, stellt dieser Tag doch das Ende eines Traumes, eines Prozesses in Chile dar. Aber von den Gründen für den Putsch gegen die Regierung der Unidad Popular ist nie die Rede! Die Jugendlichen heute haben keinen Zugang zu der Zeit vor der Diktatur, sie wissen nicht wie ihre Altersgenossen in den 60er und 70er Jahren waren. Und das führt dazu, dass sie nicht verstehen können, was in dieser Zeit wirklich passiert ist. Es gibt zwar eine Absage an die Repressionspolitik der Diktatur, aber keine wirkliche Anerkennung des Widerstandskampfes in Chile. Das wird vollkommen ignoriert.

In Deutschland hat man eher das Bild einer desinteressierten chilenischen Jugend. Du bist also der Meinung, dass sie langsam wieder zu politischem Bewusstsein erwacht?

Ja, mir scheint, dass sich die Jugendlichen heute mehr zu politischen Themen hingezogen fühlen, vielleicht auch als Gegenreaktion auf den Rest der Gesellschaft. Zum Beispiel haben wir im September dieses Jahres ein Seminar über den Sozialismus im 21. Jahrhundert abgehalten, und im Publikum waren hauptsächlich Jugendliche! Was die Erinnerungskultur zur jüngsten Geschichte Chiles angeht, glaube ich, dass es ein grundsätzliches Interesse gibt. Vorausgesetzt, sie wird mit den aktuellen Problemen verbunden und nicht aus purer Nostalgie zelebriert.

Wie manifestiert sich diese Erinnerungskultur?

Das Thema Erinnerung wurde noch nicht genügend diskutiert und die Vergangenheit wartet noch immer auf eine tiefer gehende Aufarbeitung. Es gibt nur sehr kleine Organisationen, die sich intensiv mit dem Thema Erinnerung auseinander setzen und versuchen, die historischen Tatsachen zu rekonstruieren. Dieses Jahr jährt sich die Veröffentlichung der „Liste der 119“ zum 30. Mal und es hat sich ein neues Kollektiv aus Künstlern und ehemaligen Genossen gegründet, die sich für eine andere Art der Erinnerung einsetzen. In Santiago haben wir eine sehr schöne Gedenkfeier veranstaltet. Es beteiligten sich viele junge Leute, Schüler und Studenten. Ausgehend von Fotos, die die Verschwundenen in alltäglichen Situationen zeigen, haben wir ungefähr zwei Meter große Figuren gemalt. Es sollten wirkliche Abbilder sein und nicht diese schwarzen Silhouetten, die früher verwendet wurden, um das Verschwindenlassen anzuprangern. Diesmal ging es darum, die Verschwundenen zum Leben zu erwecken, sie als die Jugendlichen zu zeigen, die sie einmal waren.

Interview und Übersetzung: Katharina Severin und Olga Burkert

Entscheidungsprozesse an die Basis bringen

Parallel zu den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2004 fand eine Volksabstimmung über das Verbot der Privatisierung der Wasserversorgung statt. 65 Prozent der UruguayerInnen stimmten für eine Verankerung von Wasser als öffentlichem Gut in der Verfassung. Danach ist die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung ausschließlich Aufgabe der öffentlichen Hand. Nach einem von Präsident Vázquez erlassenen Dekret dürfen die im Land bereits tätigen internationalen Wasserkonzerne ihre Geschäfte aber weiterhin betreiben. Das führte zu erheblichem Unmut gegen die Regierung. Was hat es damit auf sich?

Tabaré Vázques hat vor den Wahlen bereits gesagt, dass bestehende Verträge nicht gekündigt würden. Der Grund für das Vorgehen der Regierung ist die Abhängigkeit Uruguays von ausländischen Investitionen. Und natürlich kommt keiner, wenn er damit rechnen muss, dass ihm morgen oder übermorgen wieder gekündigt wird. Das führt zu der grundsätzlichen Frage: Welche Spielräume hat eine linke Regierung in einem kapitalistischen System? Ohne Kapital kann man nicht arbeiten. Was ich an dem Ganzen bemängele ist, dass man das nicht offen sagt. Man sagt ganz einfach: bestehende Verträge werden nicht gekündigt.

Das widerspricht aber der Partizipationspolitik der Frente Amplio. Diese misst der Information der BürgerInnen doch einen hohen Stellenwert bei.

Wir vom Bertolt-Brecht- Haus sind ja auch ins Landesinnere gegangen, um Propaganda für das Plebiszit. zu machen. Und wir führen das Projekt fort. Wir setzen den Schwerpunkt nun allerdings darauf, dass die Verwaltung der Wasserbetriebe partizipativ sein muss, so wie es die Verfassung jetzt vorschreibt. Das heißt, dass die Verbraucher und die Arbeiter in den Verwaltungsrat einbezogen werden müssen. Auf die eine oder andere Weise werden wir das auch erreichen.

Dies hört sich nach einer schwierigen Aufgabe an.

Wir versuchen politische Entscheidungsprozesse so weit wie möglich an die Basis zu bringen. Dabei gibt es Schwierigkeiten von unten wie von oben. Die Menschen sind es gewohnt, dass die oben befehlen und die unten gehorchen. Diese Denkweise muss man erst durchbrechen. Seit die Frente Amplio 1990 die Regierung von Montevideo übernahm, kämpft sie mit diesem Problem und konnte schon viele Erfolge verzeichnen. Die Menschen honorieren die Dezentralisierung der Stadtverwaltung und die Einrichtung von Stadtteilräten, die es den BürgerInnen ermöglichen ihre Belange vorzutragen und damit endlich auch von der Regierung gehört werden (siehe LN348). Deutlich wurde dies bei den Wahlen 1995, bei denen die Frente Amplio 44 Prozent der Stimmen erzielte, und 2000, als sie sogar 58 Prozent erreichte.

Wie werden die Erfahrung mit der Partizipation aus den 90ern jetzt auf der nationalen Ebene genutzt? Beteiligen sich die BürgerInnen stärker?

Die partizipative Politik wird weitergeführt. In den Direktorien der staatlichen Unternehmen, die übrigens etwa 20 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften, sitzen nicht nur Leute von der Frente Amplio, sondern fast überall auch Gewerkschaftsführer. So werden zum Beispiel in den Erdölraffinerien, in den Elektrizitätswerken oder in den Wasserwerken zu allen Fragen die Gewerkschaften hinzugezogen. Es steht allerdings noch aus, diesen Punkt zu institutionalisieren.
Auf einem anderen Gebiet, dem Bildungswesen, stehen auch Veränderungen an. In Uruguay hat nur die Universität eine Autonomie. Sie regiert sich selbst mit einer Leitung bestehend aus ProfessorInnen, StudentInnen und AbsolventInnen. Die Schulen aber werden noch von staatlichen Ministerien gelenkt. Die internationale Entwicklungsbank hatte im Gegenzug für eine marktwirtschaftliche Ausrichtung des Unterrichtssystems einen Kredit gegeben. Deshalb will die Frente Amplio das Unterrichtsgesetz ändern und hat dazu Zusammenkünfte von DozentInnen, LehrerInnen und ProfessorInnen einberufen, damit die Betroffenen in diese Arbeit einbezogen werden.

Dagegen geht die Regierung nicht auf die Proteste derer ein, die sich für die Zurücknahme des sogenannten „Schlusspunktgesetzes“ einsetzen. Dieses Gesetz von 1986 verhindert die strafrechtliche Verfolgung aller Militärs, die an den Verbrechen der letzten Militärdiktatur beteiligt waren. Warum geht die Frente Amplio nicht auf die Forderung der Menschenrechtsorganisationen ein?

Nachdem dieses Gesetz damals erlassen wurde, haben wir Unterschriften dagegen gesammelt. Auf diese Weise haben wir uns jedoch selbst in eine Falle gelockt. Die Menschen hatten Angst, ihre Unterschriften kämen den Militärkommandos zu Gesicht. So haben wir zwar die Unterschriften zur Durchführung der Volksabstimmung zusammenbekommen; letztendlich haben die Menschen aber, aus Angst vor der Drohung der Militärs mit Putsch, gegen die Abschaffung gestimmt. Würde die Frente Amplio das Plebiszit nun brechen, so könnte man nie mehr ernsthaft eines durchführen.
Dafür wird der Artikel 4 des Straffreiheitsgesetztes unter der Frente Amplio-Regierung ernster genommen als je zuvor. Er besagt, dass dem Schicksal der Verhafteten und Verschwundenen nachgegangen werden muss. So werden jetzt Ausgrabungen an den Orten gemacht, wo man Leichen vermutet. Marine und Luftwaffe haben Tabaré Vázquéz bereits zugesagt, alle Informationen über das Schicksal der Verschwundenen zu sammeln und zu übergeben.

Für Menschenrechtsgruppen, die mit sogenannten „escraches“ versuchen, die begangenen Verbrechen dennoch anzuprangern, ist dies natürlich frustrierend. Kann man kein neues Plebiszit durchführen?

Die Leute, die Straßensperren errichten und Häuser von Militärs belagern sind in der Minderheit. Die Gewerkschaften und die Frente Amplio haben sich davon distanziert. Natürlich möchten alle die Verbrechen der Militärdikatur aufgeklärt wissen, jedoch liegen die Prioritäten im Moment woanders. Würde man ein neues Plebiszit durchführen, weiß ich nicht, ob die Menschen heute anders entscheiden würden. Die Angst vor den Militärs hat aufgrund der verstrichenen Zeit zwar abgenommen, prägt die Menschen aber noch immer. Außerdem wäre es sicherlich, trotz seiner Wichtigkeit, ein politischer Missgriff. Was die Leute bewegt, sind wirtschaftliche und soziale Fragen. Ginge man nicht zuerst auf diese Punkte ein, würden die Colorados – eine der beiden großen bürgerlichen Parteien – sicherlich wieder stark an Einfluss gewinnen, da könnte man einpacken.

Was hat die Frente Amplio denn in diesen Bereichen bisher erreicht?

Die erste parlamentarische Maßnahme, nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Fidel Castro, war die Verabschiedung des Gesetzes „panes“, des sozialen Notprogramms. Jeder Bürger, der über weniger als zwei Dollar täglich verfügt, hat Anrecht auf ein Bürgereinkommen, Gesundheitsversorgung etc. Dafür muss er die Kinder zur Schule schicken. Das läuft sehr langsam an. Es muss ja alles nachgeprüft werden. Hat die Frau wirklich fünf Kinder zu versorgen? Es gibt nicht genug Sozialbeamte dafür. Man ist bei der Vergabe von Lebensmitteln beispielsweise auf die Hilfe von StudentInnen und Gewerkschaften angewiesen.
Eine weitere Maßnahme der Frente Amplio ist der Wiederaufbau von Zuckerrohrplantagen in Bela Union, einem Ort an der Grenze zu Brasilien. In diesem Ort wurde eine öffentliche Kabinettssitzung abgehalten und man ließ dabei die Menschen dort zu Wort kommen. Das größte Problem war die Arbeitslosigkeit, nachdem die staatlichen Subventionen für die Zuckerrohrplantagen von der vorigen Regierung gestrichen worden waren. Nun hat Tabaré Vázquez Kredite und Subventionen für 1500 Hektar zugesagt, damit wieder Zuckerrohr angepflanzt werden kann.

Wie sieht die Zustimmung für die Frente Amplio im Moment aus? Wie stark ist der Missmut, der durch das Vorgehen der Regierung in der Menschenrechts- und der Wasserfrage ausgelöst wurde?

Nach den aktuellen Meinungsumfragen stimmen 70 Prozent der Bevölkerung der Frente Amplio zu. Doch natürlich gibt es auch Menschen, die ihre Hoffnungen in die neue Regierung gesetzt haben und diese nicht schnell genug erfüllt sehen. Es hängt aber nicht alles nur vom guten Willen ab. Die Dinge laufen an. Nur leider funktioniert es oft nicht in dem gewünschten Tempo.

Die Mühlen der Regionalen Integration

Freihandel und Integration sind zwei Konzepte, die auf der aktuellen politischen Agenda – nicht nur des amerikanischen Kontinents – ganz oben stehen. Gemeint ist dabei aber meist nur ersteres: die Deregulierung der Märkte durch Liberalisierung der Marktzugänge und Regulierung der handelsrelevanten Politikgestaltung der betroffenen Länder. Die Freihandelsverhandlungen zwischen 34 amerikanischen Staaten um die große Freihandelszone der Amerikas ALCA stagnieren allerdings seit Ende 2003 genauso wie die Verhandlungen zwischen dem MERCOSUR und der Europäischen Union seit Herbst letzten Jahres. Währenddessen schreiten die Freihandelsverhandlungen im Süd-Süd-Handel voran, und es wird versucht, für mehr Integration zwischen den Staaten und Regionen des Südens zu sorgen – vor allem im Rahmen des MERCOSUR und der vom brasilianischen Präsidenten Lula ins Leben gerufenen Initiative für eine Südamerikanische Staatengemeinschaft (CSN).
Das Soziale soll nicht unter den Tisch fallen. Auf dem letzten Gipfeltreffen des Gemeinsamen Marktes des Südens (MERCOSUR) und seiner Assoziierten haben die anwesenden Staats- und Regierungschefs im Juni 2005 in Asunción erleichterte Reise- und Migrationsbestimmungen für den MERCOSUR, diverse Infrastrukturprojekte sowie die Gründung eines Strukturfonds zum wirtschaftlichen Ausgleich (FOCEM) verabschiedet. Letzterer soll für die am wenigsten entwickelten Regionen des MERCOSUR Finanzhilfen in Höhe von zunächst 100 Millionen US-Dollar bereitstellen und wird zu 70 Prozent mit Geldern aus Brasilien, 27 Prozent aus Argentinien, zwei Prozent aus Uruguay und einem Prozent aus Paraguay finanziert. Gleichzeitig bekräftigte Lula seine Absicht, die Brasilianische Nationale Entwicklungs- und Sozialbank (BNDES) als Länder übergreifend agierende Regionalbank neu zu definieren, um mit Entwicklungskrediten aus Brasilien Infrastrukturprojekte auch außerhalb Brasiliens zu finanzieren – allerdings bislang nur bei brasilianischer Firmenbeteiligung.
Auf dem im Juni 2005 parallel stattfindenen Sozialforum in Paraguay forderten soziale Bewegungen und Gewerkschaften dagegen eine kontinentale Allianz, die Kultur, Unabhängigkeit und Menschenrechte als vorrangige Aufgaben regionaler Integration betrachtet: „Wir sind kein Markt. Wir sind Völker, menschliche Wesen“, sagte Rafael Freire vom brasilianischen Gewerkschaftsdachverband (CUT).
Immerhin trat Anfang Juni mit mehr als siebenjähriger Vorlaufzeit nunmehr das Abkommen über Soziale Sicherung im MERCOSUR in Kraft. Es ermöglicht die Anerkennung von Rentenansprüchen in jedem der vier MERCOSUR-Staaten. Zumindest ein realer Schritt in Richtung Integration für den MERCOSUR.

Veränderte Ziele
regionaler Integration

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Erscheinungsform des Regionalismus gewandelt. Während in den 90er Jahren auf dem amerikanischen Kontinent große Handelsblöcke geschaffen wurden, geht der Trend auch in Amerika zunehmend zu bi- und minilateralen Handelsvereinbarungen. Diese verlaufen häufig transregional, das heißt, sie werden quer über einzelne Kontinente und Weltmeere hinweg abgeschlossen. Hauptgrund für diese Entwicklung ist die strategische Konkurrenz zwischen der EU und den USA im Kampf um neue Märkte. Gerade diese beiden Akteure initiieren immer neue bilaterale Handelsprojekte. Viele kleinere Länder gehen darauf ein, weil sie einen neuen Protektionismus des Nordens fürchten. Stark exportorientierte Ökonomien des Südens, wie etwa Chile, bilden zudem selbst regelrechte Netze von Freihandelsabkommen, um ihre Handelsbeziehungen hinreichend zu diversifizieren. Zugleich werden Freihandelsabkommen zu einem wichtigen Instrument der Außenpolitik. So nutzt beispielsweise Brasilien als „global trader“ Vereinbarungen auch dahingehend, sich als „global player“ mehr politisches Gewicht zu verschaffen.
Handelspolitischer Regionalismus, wie auch die neuere Ausprägung des Bilateralismus, wird gemeinhin gleichgesetzt mit einer ökonomischen regionalen Integration: Zwei oder mehr Staaten vereinbaren die Schaffung einer Freihandelszone, eine höhere Integrationsstufe einer Zollunion oder einen gemeinsamen Markt. Kennzeichnend ist der allmähliche Abbau von politischen und wirtschaftlichen Barrieren zwischen den teilnehmenden Mitgliedsstaaten. Integration impliziert, dass nationalstaatliche Souveränität dabei partiell übertragen wird, sei es an eine supranationale Organisation oder durch Abgabe von Autonomie beim Treffen gemeinsamer wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen.
Wenngleich es immer noch die staatlichen Akteure sind, die regionale Integrationsprojekte formal initiieren, ist der gesamte Prozess heute stärker marktinduziert orientiert und im Zusammenhang der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung zu sehen. Zu erklären ist diese neue Dynamik mit der Globalisierung, die in entscheidendem Maße die Entwicklung der Weltwirtschaft und die sie formierenden Nationalökonomien bestimmt. Prozesse ökonomischer Globalisierung sind vielfältig und lassen sich in den Bereichen der internationalen Finanzmärkte, des internationalen Handels und der Direktinvestitionen ausmachen. Sie sind gleichsam verbunden mit der räumlichen Ausdehnung wie auch den transnationalen Produktions- und Vermarktungsstrategien multinationaler Unternehmen. Auf der Ebene des Nationalstaates wirkt Globalisierung als ein scheinbar unvermeidbarer, gesteigerter Wettbewerbsdruck, dem sich die nationalstaatlichen Akteure aufgrund der Integration ihrer Ökonomien in den Weltmarkt ausgesetzt sehen.

Zwischen Nationalstaat
und globalem Markt

An Handlungsspielraum nach innen gewinnen die nationalstaatlichen Akteure durch regionale Integration insofern, als sie die marktliberalen Anpassungen politisch durch den Verweis auf vertragliche Verpflichtungen gegenüber den Partnerstaaten oder die Notwendigkeit regionaler Konsensfindung begründen können. Subventions- und Sozialabbau kann beispielsweise begründet werden mit den Verpflichtungen aufgrund eines Freihandelsabkommens. Je nach Tiefe des Integrationsprozesses besteht jedoch hinsichtlich der politischen und sozialen Kosten marktliberalisierender Reformen auch die Möglichkeit, neue Instrumente zu deren Steuerung und Ausgleich zu erhalten und politische Verantwortung zu teilen.
Klassische Argumente ökonomischer Effizienz sind die Vergrößerung des Binnenmarktes und die damit verbundenen Skaleneffekte in der Produktion. Der stärkere Wettbewerb auf dem nun größeren Markt führt zu Unternehmensspezialisierung und vermehrter Arbeitsteilung. Außerdem können durch Wirtschaftsintegration Transaktionskosten, wie zum Beispiel Zölle, gesenkt und Vorteile gegenüber der Weltmarktkonkurrenz besser genutzt werden als es ohne eine Verschmelzung mehrerer Märkte möglich wäre. Gegenüber Drittstaaten gewinnen die einzelnen Mitglieder eines Integrationsprojekts einen Wettbewerbsvorteil aus deren relativer Diskriminierung, das heißt, ihrer Exklusion vom Freihandel, einem gemeinsamen Außenzoll und anderen Vereinbarungen.
In Zusammenhang dieser ökonomischen Potenziale und Anreize wird der durch Integration geschaffene größere Markt auch für ausländische Unternehmen und Direktinvestitionen attraktiver. Über das derart gesteigerte ökonomische Gewicht kann durch regionale Kooperation die politische Verhandlungsmacht der beteiligten Mitgliedsstaaten gegenüber anderen Akteuren (Investoren, Staaten, Organisationen) vergrößert werden.
Regionale Integration ist in Lateinamerika kein Novum, sie hat gewissermaßen Tradition. Nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957 war es zu einer „ersten Welle“ regionaler Integration gekommen, die in Lateinamerika vor allem durch die 1960 errichtete lateinamerikanische Freihandelszone ALALC geprägt wurde. Im Vordergrund der Bestrebungen stand, das damals auf nationaler Ebene betriebene Entwicklungsmodell einer importsubstituierenden Industrialisierung auch auf subregionaler Ebene einzuführen: Industrielle Komsumgüter, die vorerst importiert worden waren, sollten durch eigene Produktion ersetzt werden, um nationale Industrialisierungsprozesse zu verstärken und die Außenabhängigkeit zu verringern. Die Hoffnungen auf synergetische Effekte eines größeren Wirtschaftsraumes erfüllten sich allerdings kaum. Wirtschaftliche Gründe dafür sind in gewachsenen Oligopolstrukturen wie auch in mangelnden technologischen Entwicklungsanreizen aufgrund unzureichender Arbeitsteilung zu sehen. Politisch befanden sich die meisten lateinamerikanischen Staaten in den 70er Jahren unter der Ägide von Militärdiktaturen, die über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum einen Verlust ihrer politischen Kontrolle und Herrschaft fürchteten. In der Nachfolgeorganisation der ALALC, der 1980 gegründeten Lateinamerikanischen Integrationsgemeinschaft (ALADI), wurden daher nur noch wirtschaftspolitische Koordinierungsmaßnahmen zwischen den beteiligten Ländern angestrebt.

Die zweite Welle
der Integration

Die neuen Integrationsprojekte, die während der „zweiten Welle“ regionaler Integration in den 90er Jahren in Lateinamerika entstanden, weisen dagegen in eine komplett andere Richtung. Als „offene“ Integrationsräume sind sie nicht nach innen, sondern zum Weltmarkt hin orientiert. Hintergrund für diese Entwicklung ist ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel, der für die meisten Länder Lateinamerikas seit den 80er Jahren kennzeichnend ist. Den Ausschlag für diese Neuorientierung gab die Schuldenkrise sowie das Krisenmanagement des Internationalen Währungsfonds (IWF). Um zur Stabilisierung ihrer Lage neue öffentliche Kredite oder Erleichterungen zu erlangen, wurden die Schuldnerländer zur Durchführung so genannter „wachstumsorientierter Strukturanpassungsprogramme“ verpflichtet. Die Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik lagen auf der Öffnung der Ökonomien, dem Abbau staatlicher Wirtschaftstätigkeit zugunsten der Privatisierung sowie der Ausrichtung auf den Export. Infolge solch einschneidender Änderungen hat sich auch die Integrationslogik regionaler Projekte entscheidend gewandelt. Im Vordergrund der Planungen standen nicht mehr selektive Zollsenkungen und Industrieprojekte, sondern Freihandel mit übereinstimmender Wirtschaftspolitik. Integration wurde nun im Kontext marktwirtschaftlicher Öffnung betrieben und als Instrument zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt betrachtet. Ein Beispiel hierfür bietet der MERCOSUR. Mit dem Abbau der Handelsschranken und einem gemeinsamen Außenzoll wurde ein Wirtschaftsblock geschaffen, der den Handlungspielraum erweitert, indem er die Logik des Freihandels sowohl nutzt als auch begrenzt.

Globalisierung setzt Länder
unter Druck

Bei der Gründung des MERCOSUR hat die Vertiefung ökonomischer Zusammenschlüsse in anderen Weltregionen eine entscheidende Rolle gespielt, da die Konkurrenzsituation für lateinamerikanische Staaten sich verschärft hatte. Aus Sicht der beiden Initiatorenstaaten des MERCUSOR, Brasilien und Argentinien, war mit den Verhandlungen zur Bildung der ALCA seit 1990 und den Plänen zum Europäischen Binnenmarkt die Gefahr gewachsen, weltwirtschaftlich marginalisiert zu werden. Um diesen Wirtschaftsblöcken nicht vereinzelt gegenüber zu stehen, galt es, unter Einschluss Paraguays und Uruguays eigene Formen regionaler Integration zu entwickeln, zumal es auch nicht ihren Überzeugungen entsprach, sich einer von den USA dominierten gesamtamerikanischen Freihandelszone vorbehaltlos anzuschließen. Darüber hinaus standen den Ausformungen regionaler Blöcke Anfang der 90er Jahre auch nicht gerade Fortschritte in der Uruguay-Runde des GATT, dem Vorläufer der Welthandelsorganisation (WTO), gegenüber, die Anlass zur Hoffnung einer Reduzierung der Zollschranken in dem für die Länder des Südens so bedeutenden Agrarbereich gegeben hätten.
Der aktuelle Trend zu bilateralen Freihandelsabkommen knüpft an diese Entwicklungen an. Ausschlaggebend sind ebenfalls die Bemühungen der USA um eine gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA), durch welche sich in Konkurrenz dazu auch die EU veranlasst sah, bilaterale Freihandelsvereinbarungen mit lateinamerikanischen Staaten abzuschließen. Abkommen wurden bislang mit Mexiko und Chile unterzeichnet, Verhandlungen mit dem MERCOSUR wurden nach längerem Vorlauf im Jahr 2000 aufgenommen. Wesentliches Motiv ist die Sicherung wie auch der Ausbau von Marktanteilen europäischer Unternehmen. Seit der Öffnung der lateinamerikanischen Ökonomien haben sich diese Unternehmen auf den lateinamerikanischen Märkten einrichten können und damit begonnen, die gewachsenen Handelsnetze im Rahmen ihrer transnationalen Strategien zu nutzen.

Prekäre Erfolgschancen
aus Süd-Perspektive

Die Erfolgsaussichten für die einzelnen Integrationsoprojekte sind schwierig zu bemessen. In jedem Fall dürften sie für die einzelnen beteiligten Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausfallen. Das gilt gerade in Anbetracht ihres wirtschaftlichen Potenzials wie auch der Struktur und Zusammensetzung der jeweiligen Integrationszone. Der MERCOSUR beispielsweise kann als relativer Erfolg angesehen werden. Trotz Rückschlägen infolge der Realkrise 1999 und der Pesokrise 2002 hat er sich zum weltweit drittgrößten integrierten Wirtschaftsblock nach der EU und NAFTA entwickelt und konnte auch nach außen eine integrative Dynamik entfalten, die sich zunächst in den Freihandelsabkommen mit Chile und Bolivien zeigte. Verhandlungen mit der Andengemeinschaft zur Schaffung einer Freihandelszone unterstreichen diese Attraktivität. Insgesamt ist das Engagement der MERCOSUR-Mitgliedstaaten in der anvisierten Gemeinschaft der Südamerikanischen Nationen (CNS) als Bestandteil einer Strategie zu sehen, das Gewicht dieses Wirtschaftsblocks zu stärken und die Verhandlungsmacht der lateinamerikanischen Staaten innerhalb der Verhandlungen zu einer gesamtamerikanischen Freihandelszone zu bündeln.
Die Bildung von Freihandelszonen mit Industrieländern kann dagegen für Länder des Südens mit erheblichen Benachteiligungen verbunden sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Agrarhandel ganz oder teilweise ausgeschlossen bleibt. Die asymmetrischen Handelsabkommen der EU mit Chile und Mexiko sind dafür beispiele, bei denen obendrein noch Schutzklauseln eingebaut sind, die es der EU ermöglichen, ihre Märkte bei erfolgreicher Exportsteigerung der Handelspartner in den jeweiligen Sektoren zu schließen. Umgekehrt kann eine wie im Rahmen der NAFTA angestrebte komplette Liberalisierung im Agrarbereich aber auch von destruktiven Wirkungen begleitet sein. Die USA halten beispielsweise zu Ungunsten Mexikos an hohen Subventionszahlungen für US-amerikanische Großbetriebe fest. Andererseits zwingt die Schuldenproblematik alle Süd-Länder zur Exportmaximierung und begrenzt so die Dynamik einer Süd-Süd-Integration, so dass sich die betroffenen Länder häufig gezwungen sehen, sich trotz negativer Konsequenzen auf asymmetrische Handelsbeziehungen einzulassen.
Es sind vor allem soziale Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich gegen die Interpretation von Integration zwischen Staaten als bloßer Öffnung der Märkte für grenzüberschreitend operierende Konzerne und deren Waren zur Wehr setzen. Claudia Torrelli, Mitarbeiterin bei REDES Amigos de la Tierra in Uruguay und Mitglied der Kontinentalen Sozialen Allianz der Amerikas (ASC), sieht die Herausforderung für die sozialen Bewegungen vor allem darin, eine lateinamerikanische Integration zu konstruieren, die – entgegen dem neoliberalen Paradigma von Integration und Freihandel – vor allem die Kooperation und die Komplementarität der verschiedenen Regionen und Länder respektiert, um Integrationspolitik nicht für den Markt, sondern für soziale Gerechtigkeit und Freiheit zu gestalten.

„Lateinamerika muss sich vereinigen“

Venezuela ist bekannt für seine Position, die lateinamerikanische Integration voranzutreiben und sich dem US-amerikanischen Projekt der Freihandelszone ALCA zu widersetzen. Welche Rolle spielt die Europäische Union für die venezolanische Außenpolitik?

In der Tat ist Venezuela ein treibender Faktor in der lateinamerikanischen Integration. Wir befinden uns bereits in einem Integrationsprozess mit Brasilien, Argentinien, Uruguay, Kuba und den Staaten der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM), um nur die engsten Kontakte zu nennen. Die Europäische Union einschließlich Deutschland haben Lateinamerika hingegen lange vernachlässigt. Das wird dort auch anerkannt, etwa von Außenminister Joseph Fischer, mit dem ich mich getroffen habe. Ich denke aber, dass es künftig Veränderungen geben wird, schließlich ist der lateinamerikanische Markt mit seinen 530 Millionen Menschen nicht unbedeutend. Das Interesse Europas am lateinamerikanischen Integrationsprozess wird wachsen.

Das hört sich vor allem nach einem wirtschaftlichen Interesse an, das die EU entwickeln könnte?

Sicher, aber nicht nur. Lateinamerika hat große Energie- und Agrarpotenziale und die größten Süßwasserreserven der Welt. Die sind von Interesse für europäische Unternehmen, geben Lateinamerika aber auch eine Verhandlungsmacht, zumal wenn wir gemeinsam vorgehen. In Lateinamerika wächst in der Bevölkerung und den Regierungen das Bewusstsein, dass wir unsere Probleme, vor allem die Armut, nur durch Integration bewältigen können. Wir sind eine einzige Nation in Lateinamerika und wir müssen uns wieder vereinigen. Verhandlungen mit der EU werden wir nur auf der Grundlage gegenseitigen Respekts führen.
Auch dafür ist die Integration in Lateinamerika von Vorteil.

Hat der Blick auf eine verstärkte Kooperation mit der EU das Ziel, die USA auszubooten?

Keineswegs. Die USA könnten selbst den größten Nutzen aus einer lateinamerikanischen Integration ziehen. Wenn es Lateinamerika besser geht, entsteht doch ein größerer Absatzmarkt für die USA, weil ein größeres Konsumpotenzial vorhanden ist. Aus lateinamerikanischer Sicht wurde die Integration immer positiv gedacht, nur in den USA wird dieser Prozess negativ dargestellt. Ich nenne nur ein Beispiel: Seit den achtziger Jahren sind die venezolanischen Öllieferungen in die USA stabil und vertragskonform abgewickelt worden. Mit einer Ausnahme: Während des von den Chávez-Gegnern initiierten Ölstreiks von Dezember 2002 bis März 2003. Wir sind auch durchaus bereit, einen Teil des wachsenden Ölbedarfs der USA zu decken.

Der Ölsektor ist zentral für Venezuelas Entwicklung. Wie sehen die Planungen aus?

Wir wollen von derzeit 3,6 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 l) täglicher Förderung mittelfristig auf fünf Millionen Barrel kommen. Außerdem wollen wir unsere Absatzmärkte diversifizieren. Zudem verfolgen wir die Strategie der Valorisierung des Öls, das heißt, wir setzen mehr und mehr auf Weiterverarbeitung statt auf Rohölexport.

Als alleiniges Fundament für eine moderne Volkswirtschaft wird der Ölsektor aber nicht ausreichen. Wie sieht es in anderen Wirtschaftszweigen aus?

Der Ölsektor ist das Fundament, aber wir verbreitern bereits unsere wirtschaftliche Basis. 2004 verzeichnete das Land 18 Prozent Wachstum, und dabei wuchs der Nicht-Erdölsektor stärker als der Erdölsektor. Das zeigt, dass die Diversifizierung bereits erste Früchte trägt. Dennoch wird der Ölsektor große Bedeutung behalten, weil aus ihm die größten Einnahmen stammen, mit denen die sozialen Programme und die Umgestaltung der Wirtschaft finanziert werden.

Wie solide ist das Projekt der bolivarianischen Revolution politisch? Die Opposition hat fast alles versucht, um Präsident Hugo Chávez von der Macht zu verdrängen: Putsch, Ölstreik, Referendum.

Die internen Probleme sind weitgehend gelöst. Die Opposition ist nach den Niederlagen schwach und fast bewegungslos. Wir warten auf ein politisches Programm, glauben aber nicht, dass es kommen wird. Extern ist die Lage komplizierter: Die USA versuchen uns nach wie vor zu isolieren. Doch unsere Stärke ist die Wahrheit. Wir müssen nichts erfinden. Unsere Kampagne muss sich an das US-amerikanische Volk richten. Denn nur die Bevölkerung der USA selbst kann die Außenpolitik letztlich ändern.

Sonderfall Chile

Seinen Ruf als „bilateraler Freihandelsweltmeister“ hat Chile zweifellos verdient. Erste Freihandelsabkommen mit Mexiko, Kanada und den Zentralamerikanischen Staaten traten bereits Ende 1999 in Kraft. Doch insbesondere Staatsoberhaupt Ricardo Lagos, der seit 2000 amtiert, wird vermutlich als „Freihandels-Präsident“ in die Annalen der Geschichte eingehen.
Unter seiner Regierung wurde das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union abgeschlossen, das am 1. Februar 2003 in Kraft trat und Chile nach der EU-Erweiterung nun einen Markt von rund 455 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von circa 9738 Milliarden Euro (Stand 2004) erschließen soll.
Nur wenige Monate später, am 6. Juni 2003, wurde das Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnet. Nach zwölf Jahren zäher Verhandlungen kann Chile damit seit dem 1. Januar 2004 weitgehend zollfrei in ein Land exportieren, dessen 285 Millionen Einwohner im Durchschnitt acht Mal so viel verdienen wie die Chilenen.
Im April des gleichen Jahres folgten die Freihandelsabkommen mit Südkorea und dem Freihandelsbündnis EFTA (European Free Trade Association), das die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein vereint.
Doch damit ist der Freihandelsboom noch lange nicht zu Ende, denn Chile hat sein Augenmerk bereits auf Asien und weitere lateinamerikanische Länder gerichtet: Seit Dezember letzten Jahres sind die Verhandlungen mit China in vollem Gange, bis Ende 2005 wird ein Abschluss erwartet. Auch die Gespräche über ein gemeinsames Freihandelsabkommen mit Neuseeland, Singapur und Brunei (das so genannte „P4“) sowie über ein partielles Abkommen mit Indien schreiten zügig voran. Im November sollen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Chile und Japan einsetzen, das mit 126 Millionen Einwohnern und einem BIP von 3,6 Billionen Dollar 2004 einer der größten Märkte der Welt darstellt. Darüber hinaus wird seit Januar 2005 mit Peru über ein Freihandelsabkommen verhandelt und auch mit Ecuador wurden bereits Gespräche aufgenommen. Und auf der Wunschliste stehen außerdem Panama und Südafrika.
Die Zahlen scheinen den Erfolg der Freihandelsstrategie zu bestätigen: Das chilenische BIP wuchs im vergangenen Jahr um rund 5,5 Prozent, der Export erreichte mit circa 32 Milliarden US-Dollar einen Höchststand, und auch für 2005 prognostizieren die Wirtschaftsexperten ähnlich positive Resultate.
Gestützt wurden diese wirtschaftlichen Erfolge durch die intensive Außenpolitik der Lagos-Regierung, die in erster Linie darauf abzielt, das gute Image und die Stellung Chiles im internationalen Rahmen zu festigen. Politisches Engagement, wie zum Beispiel durch den temporären Sitz im Weltsicherheitsrat 2003-2004 oder durch die Gastgeberrolle bei der Jahreskonferenz des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsbündnisses APEC im November 2004, verhalfen dem Land zu seinem Ruf als Ernst zu nehmendem Partner in der „Liga der Großen“. Wo Chile früher noch als „kleines Licht“ auf dem lateinamerikanischen Kontinent erschien, strahlt das Land heute im Scheinwerferlicht der mächtigen Handelspartner als „Zugpferd“ der Region.

Der Preis der
„ersten Liga“

Diese Sonderposition Chiles hat allerdings ihren Preis: Während Chile sich um seinen Platz in der „Liga der Großen“ bemüht, setzen die Nachbarländer innerhalb des MERCOSUR (Mercado Común del Sur) auf die Stärkung der Region – und Chile droht die Isolation innerhalb Lateinamerikas. Denn obwohl Chile, neben Bolivien, bereits seit 1997 assoziiertes Mitglied des MERCOSUR ist, der Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verbindet, werden die Spannungen mit den Nachbarstaaten immer größer.
Das Aufflackern der historischen Konfliktherde zwischen Chile und den Ländern der Andengemeinschaft, die dem MERCOSUR eng verbunden sind, wie zum Beispiel die Grenzstreitigkeiten mit Peru oder über den von Bolivien geforderten Zugang zum Meer, sind Anzeichen der steigenden Spannungen.
Auch unterschiedliche, historisch zu betrachtende wirtschaftspolitische Konzepte liegen diesen Spannungen zugrunde: Chile gilt als das „Pilotprojekt“ zur Durchsetzung des Neoliberalismus auf dem lateinamerikanischen Subkontinent. Unter dem Einfluss der „chicago boys“ aus den USA deregulierte die Militärdiktatur von Augusto Pinochet bereits Mitte der 1970er Jahre die chilenische Wirtschaft nach neoliberalem Strickmuster. Währenddessen beriefen sich die Nachbarländer eher auf eine Politik des Schutzes der eigenen Wirtschaft. Und insbesondere seit dem Antritt der neuen Regierungen von Lula in Brasilien und Kirchner in Argentinien versteht sich der MERCOSUR immer stärker als Gegengewicht und Süd-Alternative gegenüber den Integrationsbestrebungen der USA im Rahmen der gesamtamerikanischen Freihandelszone (ALCA).
Deshalb sind den lateinamerikanischen Nachbarn, die auf gemeinsame Stärke setzen, die bilateralen „Alleingänge“ Chiles und gerade das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten ein Dorn im Auge. Chile bemühe sich als „neoliberaler Musterschüler der USA“ eher um die Interessen der nordamerikanischen Großmacht, Europas und Asiens als um die Entwicklung Lateinamerikas, lautet die Kritik. So wurde beispielsweise die praktisch im Alleingang getroffene Entscheidung von Ricardo Lagos, Truppen zur Friedensschaffung nach Haiti zu senden, von seinen Gegnern als Versöhnungsgeste gegenüber den USA für das Nein im Irak-Krieg interpretiert. Auch der chilenische Senator Ávila erklärte: „Mit dieser Entscheidung fangen wir an, den Preis für das Freihandelsabkommen mit den USA zu zahlen. Die Abkommen sind deren Mittel, um ihre strategischen Ziele in der Welt zu erreichen“.

Uneinigkeit über den
„chilenischen Weg“

Gerade hinsichtlich der regionalen Integration herrscht in Chile keineswegs Einigkeit, denn der „chilenische Weg“ bietet manche Vorteile gegenüber einer stärkeren Anbindung an den MERCOSUR. Durch seine Politik bilateraler Freihandelsabkommen erhält das Land seine unabhängige Sonderposition, im MERCOSUR wäre es hingegen auch von kollektiven Entscheidungen abhängig und würde vermutlich bald wieder als kleines Licht flackern. Etliche Experten, die sich auf rein wirtschaftliche Faktoren stützen, plädieren sogar dafür, Chile explizit von den schwächeren Ökonomien der Nachbarländer zu distanzieren.
Das sieht der Leiter der Generaldirektion Erweiterung bei der Europäischen Union, Ernesto Landaburu, diametral entgegengesetzt: „Isolation tötet, gerade in einer globalisierten Welt.“ Eine stärkere Integration innerhalb der Region sei allein schon deshalb unumgänglich, da Chile mit einem Markt von nur 15 Millionen Einwohnern für Investoren in erster Linie als sicheres und stabiles „Tor in die Region“ interessant sei.
Auch die Lagos-Regierung erklärt immer wieder, dass der „chilenische Weg“ durchaus mit einer lateinamerikanischen Integration vereinbar sei, und bekundet die Solidarität mit den Nachbarländern.
Vom Wort zur Tat ist es allerdings noch ein weiter Weg: Wurde über zwei Jahrzehnte lang auch in Chile die wirtschaftliche Liberalisierung auf globaler Ebene als „Allheilmittel“ gegen Armut und Not gepriesen, lassen sich nun die notwendige „soziale Reglementierung“ der liberalisierten Ökonomie Chiles und die wirtschaftliche Verknüpfung mit den Nachbarländern nur schwer umsetzen.

Unerwünschte
Nebenwirkungen

Ein Umdenken ist jedoch dringend notwendig, denn ansonsten droht der chilenischen Regierung nicht nur die Isolation in der Region, sondern auch eine Spaltung der eigenen Gesellschaft. Mehrfach haben Kritiker die Lagos-Regierung bereits als „Wirtschaftsexperten, aber soziale Analphabeten“ bezeichnet. Trotz Wirtschaftsboom verzeichnet das Land eine Arbeitslosigkeit von formell rund acht Prozent. Zwar konnte die Armutsrate von 40 auf 20 Prozent gesenkt werden, doch die „Schieflage der Lebensverhältnisse“, so Ricardo Lagos, sei immer noch zu stark.
Experten befürchten, dass das „Aufrücken in die erste Liga“ die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertiefen wird. Denn obwohl Chile darum bemüht ist, seine Export-Palette zu erweitern, um seine Abhängigkeit beispielsweise von dem – momentan sehr günstigen – Weltmarktpreis für Kupfer zu reduzieren und zunehmend „auf Qualität statt auf Quantität“ setzt, so Wirtschaftsminister Jaime Campos, nimmt die Ausfuhr von Rohstoffen und nur gering verarbeiteten Gütern immer noch den ersten Platz ein. Der Export von Rohstoffen konzentriert allerdings den erwirtschafteten Reichtum in den Händen weniger Unternehmen und schafft kaum Arbeitsplätze. Eine nachhaltige Dynamisierung und Integration der chilenischen Binnenökonomie und eine Teilhabe der gesamten Bevölkerung an den erzielten Wohlstandsgewinnen ist mit dieser Strategie jedenfalls absehbar nicht zu erreichen.
Außerdem werden sich im Schlepptau der im Rahmen der Freihandelsabkommen erzielten makroökonomischen Exportzahlen vermutlich auch „unerwünschte Nebenwirkungen“ einstellen. Experten prognostizieren beispielsweise, dass eine Öffnung nach Asien zwar Märkte erschließe, aber auch die Gefahr von Lohn- und Preisdumping, insbesondere in der Textilverarbeitung, mit sich bringe.
Auch warnen Kritiker davor, dass sich die Industriestaaten möglicherweise nicht an die von ihnen selbst aufgestellten Spielregeln halten werden. Die Erfahrung zeige, dass bei Freihandel zwischen ungleichen Partnern der stärkere dazu neige, eben diese Spielregeln recht eigenwillig und zu Lasten des schwächeren Partners zu handhaben.
So illustriere unter anderem das 1994 abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada, NAFTA (North American Free Trade Agreement), dass die Vereinigten Staaten entgegen dem Abkommen beispielsweise in Krisenzeiten Schutzzölle auf Agrarprodukte erheben. Zudem verfolgten die USA ohnehin nach wie vor eine Subventionspolitik ihrer Agrar(export)wirtschaft, während bei den jeweiligen Partnerländern derartiges abgestraft würde.
Es bleibt abzuwarten, in wie weit Chile das Spannungsfeld zwischen Mitspielen in der „Liga der Großen“ und regionaler Integration zukünftig strategisch auszubalancieren versteht. Verbündete im „Süden“ zu haben, die sich auch für die regionalen Interessen einsetzen, kann von Vorteil sein: insbesondere für den Fall, dass der erklärte Wunsch nach einem Aufstieg in die „Liga der Großen“ doch nicht in Erfüllung gehen sollte.

Neuer Krisenmanager für die Krisenregion

Man nennt ihn den „Panzer“. Nicht, weil er durch militärisches Auftreten auffiele oder alles in seinem Weg niederwalzte. Es ist die Zähigkeit, mit der er ein Ziel verfolgt und auch erreicht, die dem Chilenen José Miguel Insulza seinen martialischen Beinamen eingebracht hat. Nun hat er bei der Wahl zum Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zwei Favoriten Washingtons geschlagen. Das ist bisher noch niemandem gelungen. Denn die USA haben zwar wie alle anderen 33 Mitglieder der OAS nur eine Stimme, doch da sie für 60 Prozent des Budgets aufkommen, haben sie ihre Kandidaten bisher quasi immer durchgesetzt.
Der Kolumbianer César Gaviria war so einer. Und auch sein Nachfolger Miguel Angel Rodríguez aus Costa Rica. Der erste Zentralamerikaner auf diesem Posten, musste im Oktober schon zurücktreten. Korruptionsvorwürfe bestritt er zwar, doch eine Richterin stellte ihn unter Hausarrest. Ein neuer Kandidat musste her.
Und so brachten die USA den ehemaligen Präsidenten von El Salvador, Francisco Flores, ins Spiel. Er gilt als treuer Verfechter der von Washington diktierten Freihandelspolitik. Sein Plan, die OAS in eine Art regionale Handelsorganisation umzuwandeln, fand aber genauso wenig Anklang wie sein Nahverhältnis zu George Bush. Schon nach dem ersten Wahlgang gab Flores auf. Es blieben Mexikos Außenminister Ernesto Derbez und Chiles Innenminister José Miguel Insulza.
Washingtons Botschafter John Maisto plädierte für den Mexikaner. Dafür dürfte die Männerfreundschaft zwischen George Bush und Vicente Fox den Ausschlag gegeben haben. Insulza wurde von Brasilien vorgeschlagen. So wurde die Abstimmung zum Machtkampf zwischen Nord und Süd. Während die zentralamerikanischen Staaten ihrem Ruf als treueste Verbündete von „Uncle Sam“ geschlossen gerecht werden, versuchen die linksnationalistischen Regierungen in Brasilien, Venezuela, Argentinien und Uruguay möglichst viel Spielraum gegenüber dem Hegemonieanspruch der USA zu gewinnen.

Konsenslösung durch Verzicht

Ausschlaggebend ist daher die Entscheidung der 14 karibischen Staaten. Doch deren Stimmverteilung ergab nach der fünften Abstimmungsrunde erneut ein Patt von 17:17. Bolivien wollte nicht für Chile stimmen, weil das seit dem Salpeterkrieg von 1879 den Zugang zum Pazifik blockiert. Peru war noch immer verstimmt, weil Chile vor zehn Jahren das Waffenembargo an den Kriegsgegner Ecuador gebrochen hatte. Erst der Verzicht von Ernesto Derbez machte schließlich den Weg für eine Lösung frei.
Der Zwist um die Wahl machte das Dilemma der OAS deutlich: Sie ist schwerfällig und wenig effizient. Da sie kein Äquivalent zum UNO-Sicherheitsrat hat, wo die politischen Schwergewichte die Linie vorgeben können, muss man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, der oft genug aber zu klein ist, um notwendige Änderungen herbeizuführen.
Am 25. Mai übernahm José Miguel Insulza also eine Organisation, deren Existenzberechtigung in Frage gestellt wird. Auf die Vertreibung der Präsidenten von Bolivien im Vorjahr und Ecuador im vergangenen April hatte die OAS genauso wenig eine Antwort wie auf die Krise in Nicaragua. Insulza hat daher die Stärkung der Demokratie zur obersten Priorität erklärt. Er will ein Frühwarnsystem einrichten, das es erlaubt, rechtzeitig zu reagieren, und nicht erst dann, wenn vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter schlägt vor, einen Katalog aufzustellen, in welchem „minimale Indikatoren für inakzeptables Verhalten“ festgelegt werden. So hätte in Ecuador etwa die verfassungswidrige Entlassung der Höchstrichter durch Präsident Lucio Jiménez schon im September ein Mediations-Team der OAS auf den Plan rufen sollen. Angesichts der Krisen, die sich in mehreren Ländern zusammenbrauen, wird der neue Mann an der Spitze der OAS auf seine erste Bewährungsprobe sicherlich nicht lange warten müssen.

Linksbündnis auf Erfolgskurs

Uruguays Linkskoalition hat die konservative Hegemonie auf dem Land beendet. Nach der Regierungsübernahme am 1. März gelang es der Frente Amplio-Encuentro Progresista-Nueva Mayoría (FA-EP-NM) bei den Regionalwahlen am 8. Mai erstmals außerhalb von Montevideo, das die Linke seit 15 Jahren erfolgreich regiert, auch in sieben weiteren Provinzen den Sieg zu erringen. Insgesamt regiert sie damit über fast 75 Prozent der uruguayischen Bevölkerung.
Zehn der insgesamt 19 Provinzen konnte die konservative Oppositionspartei Blancos halten, die ehemalige Regierungspartei Colorados behauptete sich nur in einer Provinz. Für sie bedeutet dieses Ergebnis einen Fall in die Bedeutungslosigkeit. Denn die machtgewohnte „Traditionspartei“, die das Land mit Ausnahme der Zeiten der Militärdiktatur seit der Staatsgründung im Jahr 1828 fast ausschließlich alleine regierte, erreichte schon bei den Nationalwahlen am 31. Oktober 2004 nur noch zehn Prozent der Stimmen.
Bemerkenswert ist auch das Ergebnis im Departement Maldonado, in dem das Touristenparadies Punta del Este liegt. Hier wurde mit Oscar de los Santos ein 43-jähriger Bauarbeiter zum Gouverneur gewählt. Der ehemalige Kommunist ist ab jetzt verantwortlich für den Badeort in Lateinamerika, der jeden Sommer von hunderttausenden Reichen besucht wird.

Ehrlich ist Bürgermeister von Montevideo

In der Hauptstadt Montevideo, in der fast die Hälfte der 3,14 Millionen UruguayerInnen lebt, gelang es dem Linksbündnis mit fast 60 Prozent der Stimmen seinen Vorsprung vor den anderen beiden Parteien weiter auszubauen. Zum Nachfolger des über alle Parteigrenzen hinweg geachteten Architekten Mariano Arana (seit März Wohnungsbau- und Umweltminister) wurde mit dem 56-jährigen Chemiker Ricardo Ehrlich ein der MPP (Movimiento Popular de Participación) nahe stehender Bürgermeister (Intendente) gewählt. Der einflussreiche Landwirtschaftsminister José „Pepe“ Mujica hatte den ehemaligen Tupamaro Ehrlich gegen Widerstände in der Frente Amplio als einzigen Kandidaten der Linken in Montevideo durchgesetzt.
Da in Uruguay bei den Regionalwahlen noch das Listenwahlrecht gilt, können auf einer Liste mehrere KandidatInnen antreten, deren Wahlergebnisse dann summiert werden. Der Kandidat mit den meisten Stimmen auf der insgesamt siegreichen Liste ist damit gewählt. Ein Verfahren, das in fast allen Provinzen praktiziert wurde, das heißt fast überall gab es mehrere KandidatInnen – auch der Linkskoalition. Nicht so in Montevideo. Mujica, der sein Parteien- und Organisationsbündnis MPP in der Regierung nicht ausreichend vertreten sieht, wollte zumindest in der Hauptstadt den Anspruch der mit Abstand stärksten Fraktion im Linksbündnis FA-EP-NM durchsetzen.
Ehrlich, bis zu seiner Wahl Dekan der Chemie-Fakultät der Universität von Montevideo, ist ein typischer Vertreter der neuen Politikerklasse in Uruguay. Schon seit Ende der 60er Jahre Aktivist der Tupamaros, wurde Ehrlich 1972 verhaftet, konnte aber kurz vor dem Putsch der Militärs 1973 nach Argentinien fliehen und nach Frankreich ins Exil gehen. 1987 kehrte er nach Uruguay zurück.

Erste Schritte für 2005

Schwerpunkt der neuen nationalen Regierungspolitik für 2005 ist der Soziale Notstandsplan PANES. Es ist das erste Mal seit den Reformjahren des Präsidenten Batlle y Ordóñez Anfang des 20. Jahrhunderts, dass der Staat sich überhaupt um die sozial Ausgegrenzten kümmert.
Das neu geschaffene Sozialentwicklungsministerium unter Führung von Marina Arismendi, der Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Uruguays, will Mitte Mai mit der Auszahlung des „Bürgereinkommens“ (Ingreso Ciudadano) beginnen. Dafür wurden seit Anfang März die Sozialdaten registriert, letztendlich sollen in der ersten Phase 300.000 Personen, das heißt fast ein Zehntel aller UruguayerInnen, zu den Begünstigten zählen.
Zusammen mit Gewerkschaften, NROs, Kirchen und anderen soll das soziale Netz von unten geknüpft werden. Dies ist ausschlaggebend für den Erfolg des Neubeginns der Linkskoalition, denn hier wird sich entscheiden, wie viele Genossen der selbsternannte „Compañero Presidente“ Vázquez wirklich hat, beziehungsweise gewinnen wird.
Zu Gute kommt der neuen Regierung dabei ein deutlicher Wachstumsanstieg um 12,3 Prozent im Jahr 2004 im Vergleich zu 2003, dem absoluten Krisenjahr. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte 13,24 Milliarden US-Dollar, eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Genauso hoch liegt jedoch die Auslandsschuld Uruguays, die damit auch die größte Hypothek für die neue Regierung darstellt. Die Frage, wie politisch mit der Schuldenlast umzugehen ist, ist auch innerhalb der Linkskoalition das heißeste Eisen.
Wie sich schon in den Übergangsmonaten zwischen dem Wahlsieg Ende Oktober 2004 und dem Regierungsantritt am 1. März 2005 angekündigt hatte, geraten bei diesem Thema immer wieder Finanz- und Wirtschaftsminister Danilo Astori und Landwirtschaftsminister José „Pepe“ Mujica aneinander. Mujica, der mit populären Aktionen Punkte macht (so zwang er im April die Schlachthöfe dazu, verbilligtes Fleisch, „Pepe-Fleisch“, auf den Markt zu bringen), versucht gerade die extrem verschuldeten kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe zu entlasten, um Tausende Familien vor dem Ruin zu retten. Etwas, was der Politik von Astori absolut widerspricht. Dieser will die Staatsausgaben senken. Dazu verhandelt er auch in Washington mit dem IWF über die Auslandsschulden, lässt aber auch keinen Zweifel an der Zahlungswilligkeit des Landes aufkommen und lobt die Zusammenarbeit mit den internationalen Finanzinstitutionen in den höchsten Tönen. Vázquez hält sich in dieser Auseinandersetzung noch vornehm zurück, obwohl er sich zuerst eher auf der reformistischen Seite von Astori positioniert hatte.

Erste Risse

Nicht nur deswegen ist das Image des Präsidenten mittlerweile (wenn auch nur leicht) angekratzt. KritikerInnen werfen ihm einerseits zu viel Symbolik und zu wenig konkrete Handlungen vor, andererseits aber auch einen Hang zu autoritären Entscheidungen und fehlendes Bemühen, Entscheidungen zu begründen. Symbolik (und Wahlkampf) war sicher der „Ausflug“ mit anschließender öffentlicher Sitzung des gesamten Kabinetts Ende April in eine 600 EinwohnerInnen zählende Siedlung. Vázquez löste damit ein Versprechen ein, dass er im Wahlkampf im letzten Jahr gegeben hatte und wollte dies auch als Zeichen für mehr Dezentralisierung im absolut auf die Hauptstadt Montevideo ausgerichteten Uruguay verstanden wissen.
Alarmierend ist allerdings seine Haltung zur Abtreibungsfrage. Nach einem Besuch beim Erzbischof von Montevideo kündigte er an, dass er, falls es eine Mehrheit für die Legalisierung der Abtreibung geben sollte, sein präsidiales Veto einlegen werde. Das nehmen ihm viele in der Frente Amplio und vor allem in den sehr aktiven Frauenorganisationen übel. Abgesehen vom autoritären Führungsstil, der sich mit dieser Haltung andeutet und der viele überraschte, sehen viele vor allem die traditionell bewährte, schon seit Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts in Uruguay gesetzlich verankerte Trennung von Staat und Kirche in Gefahr.
Vázquez stellt sich auch taub gegenüber den massiven Protesten gegen die Errichtung einer Cellulose-Fabrik am Oberlauf des Río de la Plata. Eine Entscheidung, die noch von der konservativen Vorgängerregierung gegen den Willen der lokalen Bevölkerung, sämtlicher Umweltverbände und auch gegen den vehementen Einspruch der argentinischen Regierung getroffen wurde. Die Umweltauswirkungen der geplanten Industrieanlage sind ungeklärt und grundsätzlich gibt es große Vorbehalte gegen die weitere Förderung der Forstwirtschafts-Monokulturen, die den Holz-Rohstoff für diese (und andere geplante) Fabriken liefern sollen.

Anordnung zu Ausgrabungen

In die Aufklärung der während der Diktatur von den Militärs begangenen Verbrechen ist dagegen endlich Bewegung gekommen. Mitte April begannen Wissenschaftler nach einer Anordnung des Präsidenten mit Ausgrabungen auf Kasernengeländen. Schon nach wenigen Tagen wurden die sterblichen Überreste mehrerer Menschen gefunden. Die Identifizierung ist noch nicht abgeschlossen, aber es scheint sicher, dass es sich um während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 Verschleppte handelt. Auch mit Argentinien wird endlich bei der Aufklärung der Verbrechen zusammengearbeitet, was der ehemalige Präsident Batlle wie alle seine Vorgänger immer verweigert hatte. Ob über das Gesetz zur Straflosigkeit, das 1989 von einer Mehrheit der Bevölkerung in einem Plebiszit (noch unter dem Eindruck der Militärherrschaft) bestätigt wurde, neu diskutiert werden soll, ist noch ungeklärt. Im Prinzip ist Vázquez dagegen, aber zumindest die Fälle, die nicht unter das Gesetz zur Straflosigkeit fallen, sollen endlich aufgeklärt werden. Und da hat der Präsident Ermessenspielraum, den er nutzen zu wollen scheint – bis 2009, wenn in Uruguay die nächste Wahl ansteht.
Bis dahin ist wohl auch mit Feiern zunächst einmal Schluss. Wenn es nicht doch bald wieder ein Referendum gibt. Die UruguayerInnen lieben das Abstimmen. Und das Thema liegt auch schon auf der Hand: Es könnte passieren, dass sie sich über das eventuelle Veto des Präsidenten hinwegsetzen und in einem Referendum für die Legalisierung der Abtreibung unter bestimmten Bedingungen stimmen. Noch ist es nicht soweit, aber sicher wird es nicht lange dauern, bis auch die linke Regierung sich mit einem Referendum konfrontiert sieht.

Die Realisierung einer alten Idee

Alle haben hier schön gesprochen, aber mich wundert es, dass noch niemand darauf gekommen ist, ein lateinamerikanisches CNN zu entwickeln, ein CNN des Volkes.“ 2001 sprach Kubas Staatschef Fidel Castro bei einem Kongress lateinamerikanischer JournalistInnen erstmals konkret von einem Fernsehsender für Lateinamerika. So richtig ernst nahm diese Idee damals niemand. Im Grunde war es aber keine neue Idee. Schon in den 60er Jahren gab es Versuche, über neue lateinamerikanische Medien die regionale Integration voranzutreiben und so zur Schaffung einer lateinamerikanischen Identität beizutragen. Aber erst durch die finanzielle Unterstützung vor allem Venezuelas nahm die Idee konkrete Gestalt an, und 2002 begann eine Gruppe von JournalistInnen mit der ernsthaften Umsetzung.
Jetzt ist es so weit. Für Ende Mai diesen Jahres sind erste Probesendungen von Telesur geplant. Der neue Fernsehkanal wird von Venezuela mit 70, Argentinien mit 20 und Uruguay mit zehn Prozent des Startkapitals von insgesamt 2,5 Millionen US-Dollar finanziert. Es ist damit ein neues, auf einer regionalen Verteilung basierendes Finanzierungsmodell. Die Aktiengesellschaft Telesur ist offen für weitere Beteiligungen. Als erster Staat hat Kuba 19 Prozent des Aktienpakets erworben. Brasilien, finanziell in der Anfangsphase nicht beteiligt, leistet institutionelle Hilfe und stellt Sendekapazitäten zur Verfügung. Kooperationen mit unterschiedlichen, vorrangig im Staatsbesitz befindlichen Unternehmen sind abgeschlossen, so mit der staatlichen venezolanischen Erdölgesellschaft PDVSA und der brasilianischen Erdölgesellschaft PetroBras. Zudem soll sich Petrosur, der von Chávez, Lula und Kirchner Mitte Mai diesen Jahres beschlossene Zusammenschluss staatlicher Energieunternehmen beteiligen. Des weiteren laufen Kooperationsverhandlungen mit verschiedenen Fluglinien und nationalen Tourismusagenturen. Auf politischer Ebene unterstützt der Mercosur das Projekt.
In Bezug auf die Finanzierung also sicher kein „alternatives Projekt“. Nach Ansicht der Projektbeteiligten kann jedoch nur mit einem großen Wurf den kommerziellen Medienmonopolen in Lateinamerika etwas entgegengesetzt werden.

Ein strategisches Integrationsprojekt

Der Sender ist Teil eines politischen und strategischen Integrationsprojektes in einer Region, die dabei ist, ein gemeinsames politisches Bewusstsein zu entwickeln. Es geht um eine Alternative zu den markt- und meinungsbeherrschenden Sendern wie CNN oder Univisión des venezolanischen Magnaten Gustavo Cisneros. Die MacherInnen von Telesur betonen immer wieder, es gehe nicht darum, Telesur in eine Art „Telechávez“ zu verwandeln, wie von KritikerInnen befürchtet wird. Der venezolanische Staat hat mit Venezolana de Televisión bereits einen eigenen Fernsehsender und ist außerdem nicht der einzige Kapitalgeber von Telesur. Unabhängigkeit bedeutet für die FernsehmacherInnen nicht Neutralität: Telesur versteht sich als Teil einer progressiven Politik in Lateinamerika und insofern auch als Teil des progressiven bolivarianischen Venezuelas.
Das wichtigste ist aber der internationale Charakter der Leitungsgremien: Als Generaldirektor fungiert der Uruguayer Aram Aharoniam (siehe folgenden Artikel).
Im Direktorium sind außerdem noch Ana de Skalom vom argentinischen Fernsehsender Canal Siete, Beto Alemeida von der Mediengewerkschaft Brasiliens, Jorge Enrique Botero, Journalist und Dokumentarfilmer aus Kolumbien und Ovidio Cabrera, ehemaliger Vizepräsident von Radio TV Cuba vertreten.
Es ist jedoch Andrés Izarra, der Präsident des Direktoriums, der am meisten Aufmerksamkeit erregt. Izarra lebte lange Jahre in Deutschland als auch in Frankreich und arbeitete für CNN und verschiedene gegen Chávez eingestellte Medien Venezuelas. Heute ist er Minister für Information und Kommunikation und einer der prominentesten Figuren des Chavismus.
Die Berufung Izarras ist zwar einerseits umstritten, weil um die Unabhängigkeit des neuen Mediums gefürchtet wird, auf der anderen Seite ist er aber mit seinem internationalen Renommee das Aushängeschild des Senders.

Ausstrahlung weltweit

Der Fernsehsender hat seinen Sitz in Caracas in einem Gebäude des venezolanischen Staatsfernsehens. Telesur wird rund um die Uhr ausstrahlen und in den Nachrichtenblöcken zweisprachig (spanisch/portugiesisch) senden. In den ersten Monaten soll ein achtstündiges Programm erstellt werden, das täglich zweimal wiederholt wird. Die Nachrichten werden jeweils aktualisiert. Mehr als 30 Prozent des Programms sollen Informationen sein. Darüber hinaus sollen lateinamerikanische Dokumentationen und Filme aus und über den Kontinent gezeigt werden. Jeden Morgen wird ein kulturelles Magazin ausgestrahlt. Für das Nachrichtenprogramm werden ab Sendestart KorrespondentInnen in Buenos Aires, Brasilia, La Paz, Montevideo, Caracas, Bogotá, Havanna, Mexiko-Stadt und Washington arbeiten. Abkommen mit unabhängigen Medien und Nachrichtenagenturen in verschiedenen Ländern Lateinamerikas wurden abgeschlossen. Ausgestrahlt wird Telesur über Satellit. Das Satellitensignal wird auch in den USA (Zielgruppe sind hier die über 45 Millionen Menschen lateinamerikanischer Abstammung), Westeuropa und Nordafrika zu empfangen sein.
Um sich allerdings dauerhaft als Alternative in Lateinamerika zu etablieren, muss Telesur es erreichen, dass die ZuschauerInnen im ganzen Kontinent das Programm annehmen, sich angesprochen und umworben fühlen. Die gegenwärtig das lateinamerikanische Fernsehen bestimmenden Medienmonopole haben den Vorteil, dass sie nicht auf Ressourcen von Staaten angewiesen sind, sondern sich durch Werbeeinnahmen und über Gebühren finanzieren. Mit dem Auftritt von Telesur auf dem lateinamerikanischen Fernsehmarkt beginnt ein spannendes Experiment mit offenem Ausgang. Der Meinungsvielfalt wird es in jedem Fall gut tun.

Radio als Therapie

Samstag mittags im Hof von La Borda: Tische, Stühle und eine Tafel werden aufgestellt, Mikrofone, CD-Player und Kassettenrecorder in ein Mischpult gestöpselt. Nach und nach trudeln die RadiomoderatorInnen ein und schreiben ihre Vorschläge für die aktuelle Sendung auf die Tafel. Alle sind PatientInnen oder ehemalige PatientInnen der größten psychiatrischen Klinik in Buenos Aires. Um 14 Uhr geht Radio La Colifata auf der Frequenz 100,1 MHZ FM für fast fünf Stunden live on air.
Meist schiebt Alfredo Olivera, der Gründer des Radios, die Regler am Mischpult. „Hallo und Guten Tag. Ihr hört LT 22 Radio La Colifata direkt aus dem Hospital La Borda.“ PatientInnen und BesucherInnen applaudieren. Der erste, der zum Mikrofon greift, ist Horacio Surur, alias „Der Krieger des Lichts“. Zur Musik von Jimi Hendrix stellt er sich einen nächtlichen Spaziergang durch die argentinische Hauptstadt vor. Mit tiefer, kratziger Stimme erläutert er die Parallelen zwischen den Lebensbedingungen der SklavInnen, die den ersten Blues spielten, und der Armut, die er beim Durchqueren der Stadt vorfindet.
Die Geschichte von La Colifata beginnt im August 1991. Als Psychologiestudent kam Olivera nach La Borda, wo sich rund 1.200 Menschen in stationärer psychiatrischer Behandlung befinden. Von Anfang an bewegten ihn die Gespräche mit den PatientInnen. Ihn faszinierte die Poesie in ihrer Sprache, ihre klare Sicht und die Tiefe der Gefühle in ihren Worten. Zugleich war er bestürzt über die Einsamkeit der Männer und Frauen. Manche lebten schon zehn, zwanzig Jahre in La Borda. Viele waren verarmt, außerhalb der Klinik hatten sie keine sozialen Kontakte mehr.

Rückeroberung der Außenwelt

Eines Tages lud ihn der Moderator eines Lokalradios ein, um von seinen Erfahrungen mit den PsychiatriepatientInnen zu erzählen. Doch Olivera wollte die muchachos, wie er die PatientInnen nennt, lieber selbst sprechen lassen und befragte diese vor dem Mikrofon. Mit den Antworten auf Band ging er dann zum Radio. Während der Sendung klingelte das Studiotelefon ununterbrochen. „Damit war der Kommunikationskreis geboren,“ meint die Psychologin Laura Gobet, die auch bei La Colifata arbeitet. „Patienten diskutieren vor dem Mikrofon und erzählen von ihren Gefühlen. Die Aufnahme verlässt das Hospital, wird von einem Radio übertragen und erreicht ein Publikum. Die Anrufe der Zuhörer werden ebenfalls mitgeschnitten und kehren dann ins Hospital zurück. So beginnen die Patienten, sich ihren Platz in der Außenwelt zurückzuerobern.“
Plötzlich war da ein Radio ohne Sender und Antenne und die Idee einer Therapie mit Hilfe von Medienarbeit. Zur wichtigsten Säule wurde genau dieser Dialog zwischen PatientInnen und einem Radiopublikum. Olivera schnitt aus den Livesendungen dreiminütige „Mikroprogramme Colifatos“ zusammen. Weitere lokale Stationen in Buenos Aires übertrugen diese Beiträge.
Ein Jahr später schenkte ein freies Radio den colifatos eine minimale technische Ausrüstung, ein Zuhörer stiftete die Antenne. Mit einer Leistung von 300 Watt waren die RadiomacherInnen von nun an im Hospital und im Umkreis von drei Kilometern zu hören. Jorge Osvaldo Garcés, der Philosoph der Gruppe, schlug vor, sich „LT 22 Radio La Colifata“ zu nennen. Colifato ist im lunfardo, dem Slang der BewohnerInnen von Buenos Aires, eine liebevolle Bezeichnung für „Verrückte“. Seitdem sind die colifatos über ihren eigenen Sender zu empfangen.
Für Olivera unterscheidet sich La Colifata in zwei Aspekten entscheidend von anderen Radios: Zum einen bestehe die therapeutische Funktion darin, dass die PatientInnen ihre Individualität wieder erlangen. Zum anderen arbeite der Sender als soziales Projekt gegen das Stigma der Verrücktheit.
„Es gibt in der Gesellschaft die Vorstellung, dass ,Verrückte‘ seltsame Wesen sind, unkalkulierbar, gewalttätig, unproduktiv, fremd. Es ist sehr schwierig, dass Ihnen jemand zuhört. Sie werden ausgeschlossen,“ meint der Psychologe. Das Radio dagegen schließe ein. „Wenn man beginnt zu sprechen oder zuzuhören, bezieht man sich und andere ein. Deshalb ist unser Motto: Mauern überwinden!“
Das Konzept ist aufgegangen: Häufig kommen Interessierte, weil sie die ModeratorInnen kennen lernen wollen, und manchmal werden alte, längst verloren geglaubte Freundschaften oder familiäre Bindungen wiederbelebt.

Der Korrespondent aus dem Himmel

Auch an diesem Samstag Nachmittag kommen Bekannte und Familienangehörige, Neugierige und JournalistInnen in den Hof von La Borda. Etwa 50 Männer und Frauen sind direkt an der Sendung beteiligt und kümmern sich um das Programm. Die einen reden über persönliche Geschichten, den Alltag in der Psychiatrie, den Entlassungsschein. Andere sprechen die politische und soziale Situation in Argentinien an. Wieder andere haben feste Rubriken.
Zum Beispiel Daniel López mit seiner „Sportwelt“ oder Juliana mit ihrer Astrologiesendung. Und Maria liest ein Gedicht über die Behandlung mit einem Psychopharmaka vor. Zwei colifatos haben sonntags Zugang zur Pressetribüne im Stadion des traditionsreichen Fußballsklubs Boca Juniors. Nach dem Spiel interviewen sie Spieler und Publikum. Ever Isaac ist Korrespondent im Himmel. Er berichtet einem La Colifata-Moderator von seinem Einsatzgebiet. (siehe Kasten)

Internationale Anerkennung

Zur Radiocrew gehören vier PsychologInnen, zwei JournalistInnen, ein Musiktherapeut sowie ein Sozialarbeiter. Alle arbeiten unentgeltlich. Die Klinkleitung überlässt den RadiomacherInnen samstags den Hof, ansonsten gibt es von dort keine Unterstützung. Der Sender lebt von Spenden, Solidaritätsveranstaltungen und dem Verkauf der CDs mit den Mikroprogrammen. Manu Chao und andere Mestizo-MusikerInnen aus Barcelona unterstützen das Projekt mit ihrer Kompilation „La Colifata“. Stimmen und Versatzstücke aus Sendungsmitschnitten werden dort unter dem Thema „Siempre fui loco“ (Ich war immer verrückt) mit Ska, Reggae und Latino-Rhythmen gesampelt.
Seit 1991 präsentierten sich die colifatos 45 Mal in verschiedenen Städten mit einem Live-Akt im öffentlichen Raum. Meist fanden diese Veranstaltungen dort statt, wo lokale Sender die Mikroprogramme übertragen. Insgesamt werden ihre Programme wöchentlich von mehr als 30 Sendern in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Staaten ausgestrahlt. Bis jetzt sind 36 Projekte bekannt, die das Modell in Argentinien, Uruguay, Mexiko, Chile und einigen europäischen Ländern kopiert haben. Im Lauf der Jahre wurden die colifatos mit etlichen Preisen ausgezeichnet.
Auch mit dem „Colifata Mobil“ mischen sich die RadiomacherInnen unter ihre HörerInnen. In dieser von KünstlerInnen bemalten 2-CV-Ente machen sie sich auf den Weg, um GesprächspartnerInnen zu interviewen. Die Interviews werden live per Handy von Radio Mitre, einem der größten Sender Argentiniens, ausgestrahlt. Seit 2004 sind die colifatos sogar gelegentlich im Fernsehen zu sehen. Eine Spezialsendung hatte bei ihrer Erstausstrahlung im Januar 2004 circa zwei Millionen ZuschauerInnen. Im Anschluss daran kamen 2.000 Rückmeldungen per Email. Für das Jahr 2005 wurde nun ein Abkommen über die Ausstrahlung von 30 TV-Mikroprogrammen mit dem städtischen Fernsehkanal von Buenos Aires abgeschlossen.

Kommunikation als Werkzeug

Der Erfolg macht auch nachdenklich. Nach einer Info-Tour der colifatos im Mai 2003 in Mexiko-Stadt erinnert sich der ehemalige La Borda-Patient und TV- sowie Radiomoderator Diego Piccicaco: „Der Verrückte oder Psychiatriepatient hat gelernt zu verstehen, dass das Mikrofon und die Kommunikation Werkzeuge sind, um andere zu erreichen. (…) Als wir an der Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) waren, habe ich festgestellt, dass alle über Radio Colifata sprachen, aber die Verrücktheit mit Macht verwechselten. Dass der Verrückte das Radio als Kommunikationswerkzeug nutzt, bedeutet weder, dass er Macht hat, noch, dass er eine Ideologie schafft.“

Weitere Infos: www.lacolifata.org. Hier können die Mikroprogramme angehört und heruntergeladen werden.

Stimmen der Zeit

Mit viel Scharfsinn und Feingefühl lädt Eduardo Galeano seine LeserInnen zu einer Reise durch das Leben ein. Eine Reise, die vorbei rauscht an Liebe und Hass, Geburt und Tod, Kindheit und Alter, Macht und Ohnmacht, Krieg und Frieden, Schöpfung und Apokalypse. Wir begegnen Menschen wie dem 11-jährigen Mohammed aus Pakistan, der tagein tagaus Fußbälle benäht, ohne deren Aufschrift zu verstehen „Dieser Ball ist nicht von Kindern genäht worden.“ Oder der kleinen Ximena, die ihre Mutter verständnislos fragt: „Mama, wozu gibt es überhaupt Worte, die man nicht sagt?“ Allen, ob arm oder reich, Tier oder Mensch schenkt Galeano eine Stimme. So auch Norberto, der verhaftet wurde, weil er mit einer Spielzeuggranate seine Ersparnisse auf einer argentinischen Bank forderte oder der Prostituierten in Paris, die nachts singt, um nicht einzuschlafen, auch dem Hund Dash, der Opfer des ersten elektrischen Stuhls wurde, den Bäumen, den Göttern und den Unterdrückten, die so oft überhört und übersehen werden.
333 kleine Geschichten poetisch verpackt in wenige, doch prägnante Worte, die uns auf dieser Reise begegnen. Ihr wacher, teils kindlicher Scharfsinn fordern uns sanft auf, Augen und Ohren, Seele und Verstand zu öffnen auf unserem eigenen Weg durch das Leben in seiner Wahrheit und Komplexität. 333 Geschichten und Anekdoten, Biographien und Essays, prosaische Gedichte und Berichte aus dem stilistischen Sammelsurium des gesellschaftskritischen Publizisten aus Uruguay, die das Leben schreibt und aus denen die Zeit spricht. Frei nach dem Motto des brasilianische Schriftstellers João Ubaldo Ribeiro: „O segredo da verdade é o seguinte: não existem fatos, só existem histórias.“ – Das Geheimnis der Wahrheit ist folgendes: Es gibt keine Fakten, es existieren nur Geschichten.

Eduardo Galeano: „Stimmen der Zeit“ („Bocas del tiempo“). Aus dem Spanischen von Lutz Kliche. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2005, 386 Seiten, 22 Euro

“Gegen das autoritäre Projekt”

Die Kampagne für eine Wiederwahl von Kolumbiens Staatschef Álvaro Uribe läuft auf Hochtouren – und das 16 Monate vor den Präsidentschaftswahlen. Die kolumbianische Gesetzgebung sieht gar keine zweite Amtszeit des Präsidenten vor. Doch Uribes Parteigänger wollen eine Verfassungsreform. Ihr Argument: Politische Kontinuität sei notwendig. Dabei erinnern sie an die Regierungserfolge in Sicherheitsfragen. Dank Uribes Politik der Seguridad Democrática habe die Zahl der Entführungen abgenommen, die zuvor hochgefährlichen Überlandstraßen könnten wieder befahren werden und selbst die städtische Kriminalität sei zurückgegangen.
In Ciudad Bolívar, in jenen Slums, die die südliche Hälfte Bogotás ausmachen, zeigt sich deutlich, dass diese Analysen nur einen Teil der Realität beschreiben. Die Ziegel- und Kartonsiedlungen an den trockenen Rändern der Hochebene, bilden einen von offiziellen Statistiken kaum erfasste und von den Medien ignorierten Stadtteil. Dabei leben vier von acht Millionen Bogotaner in den Elendsquartieren im Süden der Hauptstadt.

Terror triffst meist Jugendliche

Nora Jiménez betreut eine von sieben selbstorganisierten Armenküchen, die die Frauenorganisation Organización Femenina Popular (OFP) in Ciudad Bolívar unterhält. Fast beiläufig kommt sie auf die Ermordungen vor Ort zu sprechen. „Hier gibt es viele Paramilitärs. Bei uns sind erst vor ein paar Tagen zwei Jugendliche erschossen worden. In der Siedlung nebenan waren es vor kurzem vier. In einem anderen barrio von Ciudad Bolívar allein seit vergangener Woche 20.“ Sie lacht. Bei ihnen sterbe man nicht einzeln, sondern paarweise.
Die Frauen von der OFP, einer der wichtigsten unabhängigen Frauenorganisationen Kolumbiens, berichten, dass die Todesschwadronen keinem eindeutigen System mehr zu folgen scheinen. Die so genannten „sozialen Säuberungen“ treffen ganz verschiedene Leute: Vertriebene aus Kriegsregionen, Kleinkriminelle, Homosexuelle, Straßenhändler, denen die Angehörigen der AUC-Paramilitärs ihren Verdienst abnehmen wollen. Meistens handelt es sich jedoch bei den Opfern einfach um Jugendliche, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten. Offensichtlich zielt der Paramilitarismus darauf ab, ein diffuses Klima der Angst zu erzeugen. „Man versucht nicht aufzufallen und sperrt sich abends um acht zu Hause ein. Nachts hörst du eigentlich immer irgendwo Schüsse“, sagt Nora Jiménez.
Der Rundgang durchs Viertel macht klar, welches Ziel dieser Terror verfolgt. Von Stadtplanern in der ganzen Welt wird Bogotá gefeiert, weil es den Kommunalregierungen gelungen ist, die Verwahrlosung der Innenstadt zu stoppen. Ein neues Verkehrssystem ist eingerichtet worden, die Straßen der Altstadt laden wieder zum Ausgehen ein, die Armut scheint weniger erdrückend.
In Ciudad Bolívar lässt sich jedoch die Kehrseite dieses Prozesses beobachten. Zwischen unverputzten Ziegelhütten entstehen täglich neue Plastikverschläge, in denen ganze Familien in einem einzigen brusthohen Raum wohnen. Auf 2600 Meter Höhe und bei fast täglich fallendem Niederschlag sind Kleider und Decken ununterbrochen feucht. Die Aktionen der Paramilitärs sorgen dafür, dass aus diesem Elend keine Proteste erwachsen können.

Demokratische Sicherheit polarisiert

So gesehen weist die Bilanz der Regierung Uribe zwei unterschiedliche Seiten auf. Es gibt weniger Entführungen, aber dafür mehr Verschwundene. Militär- und Polizeipräsenz haben zugenommen, aber die Morde von Ciudad Bolívar oder in den von Paramilitarismus kontrollierten Landstrichen bleiben in der Regel unregistriert. Nach zweieinhalb Jahren Politik der „Demokratischen Sicherheit“ ist Kolumbien selbst in punkto Sicherheitslage polarisiert wie nie zuvor.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die kolumbianischen Nichtregierungsorganisationen nichts so sehr fürchten wie eine Wiederwahl Uribes, die von der Rechten angestrebt und offensichtlich auch von Washington befürwortet wird. In einer gemeinsamen Erklärung von Februar 2005 zeichnen die kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen ein düsteres Bild. Trotz des „Waffenstillstands“ zwischen Regierung und den AUC-Paramilitärs – ein eigenartiges Konstrukt, immerhin haben die Paramilitärs nach eigenen Aussagen noch nie gegen Armee und Polizei gekämpft – gehen die Morde an politischen AktivistInnen ebenso wie die systematischen Vertreibungen der Zivilbevölkerung weiter.
Mehr als 6000 Menschen wurden zwischen 2002 und 2004 willkürlich verhaftet und sitzen zum Teil seit Jahren ohne Beweise in Haft. Die Gesellschaft sei militarisiert, die Justiz geschwächt und der Paramilitarismus nicht demobilisiert, sondern in den Staatsapparat integriert worden, heißt es in der Erklärung von 83 Menschenrechtsorganisationen.

Querschläger Kolumbien

Der einzig positive Aspekt in diesem Zusammenhang scheint, dass die Uribe-Regierung eine gewisse Einigung der tief zerstrittenen kolumbianischen Opposition ermöglicht hat. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es ernsthafte Bemühungen für eine breit getragene Oppositionskandidatur. „In ganz Lateinamerika spürt man den Wind der Veränderung“, erklärt Gloria Cuartas, die mit zahlreichen Friedenspreisen ausgezeichnete ehemalige Bürgermeisterin der nordkolumbianischen Kleinstadt Apartadó (Urabá). „In Venezuela, Brasilien, Argentinien und Uruguay bemüht man sich um die lateinamerikanische Einheit. In Ecuador und Bolivien stehen zwar nicht die Regierungen für diesen Trend, aber es gibt starke Basisbewegungen. Nur Kolumbien scheint eine Ausnahme zu sein.“
Um das zu ändern, setzt sich Gloria Cuartas für die Kandidatur des ehemaligen Verfassungsrichters Carlos Gaviria und die von verschiedenen linken Organisationen getragene Alternativa Democrática ein. Gloria Cuartas, die aus der Unión Patriótica stammt und miterlebte, wie ihre Partei zwischen 1985 und 1997 durch Anschläge der Todesschwadronen mehr als 4000 Mitglieder sowie sämtliche PräsidentschaftskandidatInnen und Abgeordnete verlor, macht sich dabei keine Illusionen über die Spielräume der politischen Opposition: „Unser Bündnis besteht aus den Überlebenden. Wir sind diejenigen, die dem politischen Genozid entkommen sind. Man muss der Politik Uribes – ich würde sie als faschistisch bezeichnen – öffentlich etwas entgegensetzen. Wir haben gar keine andere Wahl.“ Uribe verfolge ein Projekt völliger ökonomischer, sozialer und politischer Kontrolle der Gesellschaft. Die Legalisierung und Integration der Paramilitärs in den Staat werde auf verschiedensten Ebenen ein rechtsradikales, autoritäres Regime etablieren, so Gloria Cuartas.
Dieser Aspekt von Uribes Politik stößt auch in Teilen der beiden staatstragenden Parteien zunehmend auf Widerstand. Uribes Kandidatur 2002 wurde zwar von wichtigen Fraktionen der Konservativen und Liberalen unterstützt, doch als die Regierung Mitte 2003 ein Referendum zur Verschlankung von Staat und Justizwesen ansetzte und ganz nebenbei wichtige Bürgerrechte beseitigen wollte, formierte sich auch in den großen Parteien Widerstand gegen den Präsidenten. Der sozialdemokratische Flügel der Liberalen Partei um die afrokolumbianische Abgeordnete Piedad Córdoba gründete gemeinsam mit Gewerkschaftern und linken Organisationen die so genannte Gran Coalición Democrática, die „Große demokratische Koalition“.

Uribe verliert immer mehr Anhänger

Nach einem ohne mediale Unterstützung geführten Wahlkampf gelang es dem Bündnis im Oktober 2003 nicht nur, der Uribe-Regierung beim Referendum eine empfindliche Niederlage zuzufügen, sondern die Protestkoalition ebnete auch mehreren Mitte-Links-KandidatInnen bei den zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen den Weg. Unter anderem die Bürgermeisterposten von Bogotá, Medellín und Barrancabermeja sowie das Gouverneursamt der Region um Cali fielen an alternative KandidatInnen, die zwar die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben, aber doch Uribes Machtposition zunehmend symbolisch einschränken.
Im Zusammenhang mit Uribes Anstrengungen zur Legalisierung der Paramilitärs sind die Reihen seiner Gegner sogar noch weiter gewachsen. Ex-Verteidigungsminster Rafael Pardo, 2002 noch einer der wichtigsten Unterstützer des Präsidenten, hat sich unlängst vehement gegen die von Uribe angestrebte weitgehende Straffreiheit für die AUC-Kommandanten ausgesprochen. Und Andrés Pastrana, Uribes Vorgänger im Präsidentenamt, warnte die Regierung davor, eine politische Allianz mit dem Paramilitarismus und dessen Drogengeldern zu schmieden.

Chance der Opposition

So gesehen stehen die Chancen der Opposition, trotz der hohen Umfragewerte Uribes eine zweite Amtszeit des Präsidenten zu verhindern, gar nicht schlecht. Die entscheidende Frage lautet, wer die Opposition glaubhaft vertreten könnte. Die Führung der Liberalen Partei wird die von vielen Linken befürwortete gemeinsame Kandidatur der liberalen afrokolumbianischen Abgeordneten Piedad Córdoba mit Verfassungsrichter Carlos Gaviria sicher nicht zulassen. Dafür steht Córdoba in ihrer Partei zu weit links. Ohne die sozialdemokratischen Strömungen der Liberalen jedoch hat eine alternative Kandidatur keine großen Aussichten. Auf der jüngsten Konferenz der Gran Coalición Democrática vergangenes Wochenende in Bogotá wurde deutlich, dass wohl auch die bevorstehende Kandidatenkür von jenem politischen Geschacher bestimmt sein wird, das die öffentliche Landschaft Kolumbiens seit Jahrzehnten so nachhaltig bestimmt und das dazu geführt hat, dass sich regelmäßig 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung bei Wahlen enthält.
„Wir müssen weniger über Personen als über Inhalte sprechen“, sagt Hector Moncayo, Mitherausgeber der kolumbianischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique am Rand der Konferenz. „Es gibt einen wachsenden Flügel der Rechten, die für einen ‚Uribismus ohne Uribe’ plädieren. Das Image des Präsidenten hat zuletzt sehr gelitten. Die eher städtische, technokratische Rechte sucht deshalb nach einem neuen, unverbrauchten Gesicht. Uribe stützt sich hingegen zunehmend auf die ländlichen Eliten und die mit ihnen verbündeten Paramilitärs. Vor dem Hintergrund dürfen wir uns nicht auf den Präsidenten fixieren. Es geht letztlich nicht nur um Repression, sondern um ein neoliberales Projekt, das auch von einem Politiker der Liberalen Partei oder einem vermeintlichen Sozialdemokraten fortgeführt werden kann.“

KASTEN
Regierung und Paramilitärs

Die Bemühungen der Uribe-Regierung, die AUC-Paramilitärs zu demobilisieren, haben zu Zerwürfnissen innerhalb der politischen Eliten Kolumbiens geführt. Uribe und der größte Teil der Kongress-Abgeordneten befürworten eine Gesetzesreform, die den Paramilitärs weitgehende Straffreiheit für die vielen Tausend von ihnen begangenen Morde, die Legalisierung des durch Drogenhandel und Raub erworbenen Besitzes und den Verzicht auf Aufklärung der Verbrechen garantieren. Führende Politiker der Liberalen und Konservativen Partei haben sich mittlerweile gegen eine solche Politik des Perdón y Olvido (Vergeben und Vergessens) ausgesprochen. Ex-Verteidigungsminister Rafael Pardo, der den Paramilitarismus während seiner Amtszeit durchaus gewähren ließ, hat im Kongress sogar einen alternativen Gesetzesentwurf eingebracht und damit den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen. AktivistInnen von Menschenrechtsorganisationen vermuten, dass hinter dieser Haltung nicht nur aufrechte Empörung über die von den Todesschwadronen begangenen Verbrechen steckt. Von Bedeutung dürfte ebenfalls sein, dass die Paramilitärs und die ihn finanzierenden Viehzüchterorganisationen das Machtgefüge im Land spürbar verschoben haben. Das Phänomen des Paramilitarismus ist seit seinen Anfängen 1981 eng mit dem Drogenhandel verbunden, die lukrativen Exportrouten werden weitgehend von AUC-Kommandanten kontrolliert. Vor diesem Hintergrund könnte die Verbindung der rechten Eliten vor allem Antioquias und der nordkolumbianischen Atlantikküste mit Paramilitarismus und Drogenhandel die Macht einer eher traditionellen Oligarchie nachhaltig in Frage stellen. Zwar wird in Kolumbien damit gerechnet, dass sich Präsident Uribe im Parlament und vor dem Verfassungsgericht sowohl mit der Zusicherung weitgehender Straffreiheit für die Paramilitärs als auch mit der angestrebten Zulassung für eine Wiederwahl durchsetzen wird, doch der politische Konflikt mit Teilen der traditionellen Parteien wird sich vermutlich in den nächsten Monaten noch deutlich vertiefen.

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