“Tragikomödie” nennt der Schriftsteller José Augustín das Wahlspektakel. Cuauhtémoc Cárdenas, Kandidat der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), der eigentlich der zweite Hauptdarsteller war, muß sich nun mit einer Statistenrolle zufriedengeben geben. Er wird von den Wahlsiegern als der ewige Nörgler, der immer Beleidigte an der Spitze einer frustrierten Linken abgestempelt. Er ist jedoch nicht bereit, die “Geburt der neuen Demokratie” als solche zu bezeichnen, sondern redet, wie schon so oft, von Wahlbetrug.
Diego Fernández de Cevallos, Kandidat der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) zeigt sich hingegen einsichtig und akzeptiert noch in der Wahlnacht, vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse, seinen zweiten Platz.
Doch das Bild von weitgehend sauberen Wahlen hat sich inzwischen getrübt. Die mit 60.000 Mitgliedern größte Wahlbeobachterorganisation “Alianza Cívica” stellt die Qualität der Wahlen in Frage. Millionen von MexikanerInnen seien massiv von Regierungsmitgliedern und Gewerkschaften zugunsten der PRI unter Druck gesetzt worden.
Auf dem Land wurden die VertreterInnen der Oppositionsparteien von den Wahltischen verjagt. PRI-Vertreter hätten, so wurde berichtet, den WählerInnen über die Schultern geschaut und Zögernden so manches Mal die Hand geführt. Das Tintenfaß mit der unauslöschlichen Tinktur war oft leer, oder aber sie konnte rasch wieder vom Daumen gewischt werden. Viele MexikanerInnen konnten nicht wählen, weil ihre Namen nicht auf den Listen auftauchten, an ihrer Stelle wählten andere, die nicht auf der Liste standen.
Eine Gruppe von Journalisten wühlte sich im Archiv des mexikanischen Wahlinstituts (IFE) durch die Akten der Stimmabgabe. Ergebnis: bei 30 Prozent der überprüften Dokumente paßten die Daten nicht zusammen. Oppositonsstimmen waren mit Korrekturstift ausgelöscht worden, zwischen Stimmzetteln und Endauszählung klaffte ein Unterschied bis zu 700 Stimmen.
Ein mißlungenes Experiment
Fehlende wissenschaftliche Methoden warfen die Wahlsieger den Journalisten vor. Ein hoher Angestellter des Wahlinstituts versuchte, die Angriffe zu entkräften und seinerseits die Akten zu überprüfen. Nachdem zwei von drei Wahlunterlagen “Unregelmäßigkeiten” aufwiesen, brach er jedoch das Experiment mit dem Hinweis ab, es habe den Verantwortlichen an der notwendigen Schulreife gefehlt oder sie seien schlichtweg müde gewesen.
Der Nationale Rundfunk- und Fernsehrat schickte ein Memorandum an alle mexikanischen Medienstationen mit der Empfehlung, das Wort “Wahlbetrug” aus dem Vokabular der Nachrichtensendungen zu streichen und durch “Unregelmäßigkeiten” zu ersetzen. Man solle die Aktivitäten des PRD-Kandidaten Cárdenas weitgehend ignorieren, ebenso wie jegliche negative Berichterstattung bezüglich der vergangenen Wahlen. In mehreren Bundesstaaten kam und kommt es immer noch zu Protestaktionen von PRD und PAN, Demonstrationen, Straßenblockaden und Besetzungen von Rathäusern. In Chiapas, dem einzigen Bundesstaat, in dem gleichzeitig vorgezogene Gouverneurswahlen stattfanden, haben sich der PRI-Kandidat Eduardo Robledo und der PRDler Amado Avedaño zum Sieger erklärt. Tausende von Bauern halten Farmen und Ländereien besetzt, um gegen den Wahlbetrug an Avedaño zu protestieren, während Sub-Commandante Marcos verlauten ließ, Chiapas würde in einem Blutbad ertrinken, wenn Robledo sich nicht zurückzieht. Hektische Besprechungen zwischen Regierung und Oppositionsparteien, der Friedenskommision und Samuel Ruiz, dem Bischof von San Cristóbal sind an der Tagesordnung angesichts der Gefahr, daß die Situation in Chiapas völlig außer Kontrolle gerät. Aus den sogenannten informierten Kreisen ist zu hören, daß man in Chiapas auf eine Lösung zurückgreifen werde, die in den vergangenen sechs Jahren mehrmals auf Bundesstaatsebene angewendet wurde: eine Übergangsregierung, die im Laufe der nächsten 18 Monate zu Neuwahlen aufrufen muß.
“Säuberung der Wahlen”
Während die “Nationale Demokratische Konvention” an einem Aktionsprogramm des zivilen Widerstands für die nächsten Wochen bastelt, wurde der PAN-Kandidat Fernández de Cevallos von seiner eigenen Parteibasis überholt, die in drei Bundesstaaten von einem massiven Wahlbetrug spricht. Ein Sonderparteitag der PAN ergab, daß an die Wahl jetzt als “nicht demokratisch” bezeichnen werde. Cuauhtémoc Cárdenas rief die militante Basis seiner Partei auf, einen kühlen Kopf zu bewahren. Er könne sich nicht zum Sieger dieser Wahlen erklären, aber das könne keiner, der poliitsch verantwortlich handelt. Sein Ziel sei es, die Wahlen zu säubern, Beweise zusammenzutragen, um den enormen Wahlbetrug zu dokumentieren, noch bevor der neue Kongress am 1. November seine Arbeit aufnimmt. Eine neugegründete Kommission der Wahrheitsfindung hat sich zusammengesetzt, in der sowohl Ex-Priisten, Mitglieder der PAN, der PRD und unabhängige Persönlichkeiten vertreten sind.
“Säuberung der Wahlen” ist das Schlagwort, das momentan politische Kreise zieht. Der unabhängige Bürgerrat, mit Sitz in dem von der Regierung kontrollierten Wahlrat, drängt – bislang vergeblich – darauf, den Oppositionsparteien alle Wahlunterlagen zugänglich zu machen. “Für zukünftige Wahlen ist es problematisch, wenn wir die heute existierenden Zweifel nicht ausräumen können”, argumentierte Santiago Creél, Mitglied des Rates.
So diskutiert man nicht nur innerhalb der PRD darüber, ob es überhaupt Sinn ergibt, unter den aktuellen Bedingungen an den bevorstehenden regionalen Wahlen teilzunehmen. Es gibt Gruppen im Land, bewaffnet oder auch nicht, die allmählich den Glauben daran verlieren, das politische System mit einem Gang zur Wahlurne verändern zu können, meint einer der Berater von Cárdenas.
Trotz des Wahlbetrugs hätte die PRI gewonnen
Allerdings geht man selbst in den Kreisen der PRD davon aus, daß der Wahlbetrug zwar bedeutend, aber nicht entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahlen war. “Ich bin überzeugt, daß Ernesto Zedillo gewonnen hat, nur nicht mit 49 Prozent der Stimmen”, meint Jorge Castañeda, renommierter mexikanischer Politikwissenschaftler. Er ist nicht allein mit der Auffassung, daß es für die politische Zukunft des Landes gesünder gewesen wäre, auf eine starke Opposition im Kongress und auch im Senat hinzuarbeiten.
Die Frage bleibt, ob der traditionelle Sieg der PRI dem zukünftigen Präsidenten Zedillo Grund gibt, die Reformen durchzuführen, die er während seines Wahlkampfes versprach: Demokratisierung und tiefgreifende Reformen seiner Partei.
Zwischen Hoffnung, Banalität und Farce
Während “Nación Purhépecha”, eine regionale Koordination der Dorfgemeinden, alle Aufahrtsstraßen blockiert, und so das Hochland zumindest einen Tag lang symbolisch die erstrebte Territorialautonomie erreicht, ziehen Beamte des Landwirtschaftsministeriums durch die Dörfer und verteilen PROCAMPO-Schecks. Das sind umgerechnet 200 Mark-Almosen, die jede Bauernfamilie aus dem “Programm zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der mexikanischen Landwirtschaft” gegenüber den NAFTA-Partnern Kanada und den USA, erhält.
Als Gegenleistung müssen sich die Bauern verpflichten, die “solidarische” Hilfe bei den Wahlen entsprechend zu würdigen. Nur in einigen, besonders kämpferischen Gemeinden betonen die campesinos ihr Anrecht auf Gelder der öffentlichen Hand und werfen die Beamten aus dem Ort. Gleichzeitig ziehen PRI-Führer durch die Dörfer und kaufen in letzter Minute ein paar Stimmen in dieser cardenistischen, also oppositionellen Region. Die Herren Ruíz, Toral und Velásquez, die PRI-hörige Elite von Paracho, tauschen Stimmen gegen Lebensmittelpakete.. Währenddessen beglückt das Gemeindekommittee der PRI in Cherán fieberhaft die Jungwähler mit Alkohol (1 Stimme = 1 Liter “Ron Presidente”), die campesinas mit Kilopackungen Tortillas und Bohnen und ihre Männer mit 50- bis 300 Peso-Scheinen; einige wichtige Familien erhalten Kälber als Geschenk, und die BewohnerInnen des vor ein paar Jahren entstandenen Slums am Dorfeingang werden mit Wellblechdächern beglückt.
Eine saubere Wahlmanipulation
Eine andere Variante der “Unregelmäßigkeiten” ist das Einziehen der persönlichen Wahlausweise, um Duplikate anzufertigen, oder um sie ganz einzubehalten. In Nuro, einem rein cardenistischen Dorf, verschwinden so vierzig Ausweise, die von Doña Celia Rubio, der Frau des Kaziken, eingesammelt werden. In Paracho willigt eine Frauenkooperative sogar ein, ihre Ausweise dem PRI-Ortsvorstand auszuliefern – gegen das Versprechen, Kredite für sie zu beantragen. Angesichts dieser althergebrachten Fälschungspraktiken, die entgegen allen “Modernisierungs-” und Öffnungsversprechen in den letzten Tagen um sich greifen, breiten sich Wut und Verzweiflung aus. Die Leute befürchten, daß sich die Wahlsituation von 1988 wiederholen könnte: Die Trends sprachen für die Opposition, aber dann fiel der Zentralcomputer der Wahlbehörde angeblich aus. Ergebnis: PRI-Kandidat Salinas gewann.
Die große Mehrheit der Purhépecha tröstet sich damit, daß ja diesesmal Wahlbeobachter zugelassen sind und daß die großen Abschlußkundgebungen der Kandidaten für einen deutlichen Sieg von Cárdenas sprachen. Entsprechend hoch ist die Wahlbeteiligung. Ab acht Uhr morgens bilden sich Schlangen vor den Urnen, alle warten geduldig darauf, ihren Wahlausweis vorzuzeigen, ihren Namen im WählerInnenverzeichnis wiederzufinden, die drei Stimmzettel – für die Präsidentschaftswahlen sowie für die zwei Kammern des Nationalparlaments – auszufüllen und abzugeben und schließlich ihren rechten Daumen mit waschfester Tinte zu markieren. Skeptische WählerInnen prüfen sofort, ob ihr Tintenfleck waschfest ist: Er ist es.
Wahlhelfer aus einer Großfamilie
In Tacuro bildet die ortsansässige PRI-Kazikenfamilie den Vorstand der einzigen Wahlkabine, und das, obwohl doch die Zusammensetzung aller Wahlvorstände einer Zufallsstichprobe entsprechen sollte! Auch in anderen Orten sind auffällig viele Kader der PRI-Minderheit in den Vorstand gelangt und kontrollieren die Urnen. In Cherán finden sich nicht nur sämtliche Tote im Wahlverzeichnis, sie haben sogar schon allesamt zu früher Stunde gewählt! Dagegen müssen wirklich lebende Purhépecha unverrichteter Dinge nach Hause gehen, da sie trotz Besitz eines Wahlausweises nicht im Verzeichnis auftauchen und folglich gar nicht existieren.
Bei wackeligen Mehrheiten
wird nachgeholfen
Paracho, PRI-Festung im Hochland: Der Kazike Don Jesús Carranza , Besitzer der größten Gitarrenfabrik der Region verspricht seinen Arbeitern: “Wenn ihr PRI wählt, gibt es eine Lohnerhöhung, wenn nicht, werdet ihr entlassen!” Dann werden seine Tagelöhner zur nächsten Wahlkabine gefahren, wo sie unter Aufsicht des Vorarbeiters ihr Kreuz machen.
In der Dämmerung
beginnt die Arbeit
Als die Wahllokale schließen, beginnt die Mobilisierung. Nur wenigen Wahlvorständen gelingt es, die Stimmenauszählung ganz ohne ZeugInnen durchzuführen, fast überall bilden sich Menschentrauben um die Urnen, um zu verhindern, daß noch im Nachhinein weitere “Gespenster” wählen. Dennoch leistet der von der PRI gekaufte Wahlvorstand in Zopoco ganze Arbeit: Präsident und Sekretär sprinten mit den drei Urnen des Dorfes zur bereitstehenden camioneta und verschwinden. Wie später in der Distrikthauptstadt bekannt wird, erringt die Regierungspartei in Zopoco – als einzige Gemeinde in der Region – eine knappe Mehrheit…
In der Nachbargemeinde Nurío, in der die Opposition 840 Stimmen und die Regierungspartei 7 Stimmen errungen hat, versucht eine Patrouille der politischen Polizei, die Urne zu entwenden. Die DorfbewohnerInnen strömen auf den Platz, um die Urne zu “retten” – solange, bis die Patrouille sich geschlagen gibt. Viele verbringen die Nacht in Gruppen um Fernseher versammelt, um die ersten Hochrechnungen abzuwarten. Zweifel und Befürchtungen werden bestätigt, als ein schweißgetränkter Innenminster auf der Bildfläche erscheint und mit gefrorenem Lächeln erklärt, es werde “aus informationstechnischen Gründen” keine Hochrechnungen der staatlichen Wahlbehörde geben, und das Verbot der Veröffentlichung von Hochrechnungen der Nichtregierungsorganisationen bleibe bestehen. Dann, kurz nach Mitternacht, erste “Trends”: mindestens 50% für die Regierungspartei.
Dorfbewohner, die aus Chiapas von den ZapatistInnen zurückkommen, fassen die Entscheidungen der “Nationalen Demokratischen Konvention” zusammen: Wahlen waren immer nur ein Weg unter vielen. Sie sind gescheitert, nun beginnt der zivile und bewaffnete Widerstand.
Glocken läuten
den Widerstand ein
Am nächsten Morgen beginnt in Cherán, im Kerngebiet der Purhépecha, die “insurgencia civil”. Glocken läuten, alle kommen auf der Plaza zusammen, die Frauen mit Keulen und die Männer mit Macheten bewaffnet, die politische Polizei zieht sich zurück und funkt in die Provinzhauptstadt. Während die Männer noch die letzten Wahlergebnisse diskutieren, besetzen die Frauen das Gelände des “Nationalen Indígenainstituts” (INI), einer Regierungsbehörde zur “Integration der indianischen Bevölkerung in die nationale Entwicklung”. Der einzige indianische Hochlandsender des INI verbreitet daraufhin zum ersten Mal in zehn Jahren unzensierte Interviews mit den Purhépecha. Die Bundesstraße nach Guadalajara wird blockiert; Touristenbusse werden angehalten., – “um Cárdenas in den Nationalpalast zu bringen”. Auch die LKWs von Coca-Cola und anderen multinationalen Unternehmen werden beschlagnahmt. Ganz Cherán gleicht einer Wagenburg; Fahrer und Fahrgäste aus den Großstädten irren herum. Die Büros sämtlicher Regierungsinstanzen werden gestürmt. Die Beamten werden “in den Urlaub nach Acapulco” geschickt, die Gebäude versiegelt. Ein Regenguß bewahrt das örtliche PRI-Büro vor einem ähnlichen Schicksal.
Chaotische Zustände
Am anderen Ende des Hochlands, in der Caoada, geht nichts mehr: Alle Straßen sind blockiert, nicht einmal die politische Polizei kann die Region verlassen. Die Regierung schickt daraufhin einen Militärhubschrauber, der im Tiefflug über die Dörfer kreist, um “Aufrührer” zu fotografieren. Ein Landeversuch auf der Plaza von Paracho erscheint allerdings angesichts der aufgebrachten BewohnerInnen für die Militärs lebensgefährlich, sie fliegen weiter. Beim zweiten Versuch in Cherán bereiten die BlockiererInnen ihren Besuchern ein wahres Feuerwerk: Mit Böllern und Raketen wird der Hubschrauber so lange beschossen, bis er hinter der Vulkankette verschwindet. Eine Versammlung wird einberufen. Was soll geschehen? Bloß vor den Fernsehern hocken und fluchen? Ein junger Lehrer schlägt vor, alle PRI-AnhängerInnen aus dem Ort zu treiben, ihnen die kommunalen Landrechte abzuerkennen. Eine ältere Frau greift kopfschüttelnd ein: “Das sind doch auch Purhépecha wie wir! Was würdest Du tun, wenn Deine Frau nach einer schwierigen Geburt zu Hause im Sterben liegt und Dir der Kazike gegen eine lächerliche PRI-Stimme ein Bett im Krankenhaus in der Stadt anbietet? Wir sind doch alle so arm, daß wir leicht zu kaufen sind. Nicht die PRI-Leute unter uns sind schuld, sondern die Regierung, Laßt uns nicht gegeneinander kämpfen!” Nicken, breite Zustimmung. Als Kompromiß wird beschlossen, die lokalen PRI-Anführer nicht mehr im Gemeinderat zuzulassen. Was tun? Die politische Polizei entwaffnen und ihre Wagen verbrennen? Der besonnene Don Chano winkt ab: “Aber dann kommt das Militär, und ich sag`s Euch, die sind noch schlimmer, fragt unsere Brüder und Schwestern in Chiapas!” Überhaupt Chiapas – “Warum glauben wir immer noch an Urnen und Stimmzettel, nach soviel Betrug? Was haben wir die letzten zehn Jahre getan, als sich die Zapatistas in der Selva organisiert haben, sich Waffen beschafft haben und trainiert worden sind? “Eine Nachbarin wendet ein, Chiapas sei ja reich, es gäbe Kaffee, Zukkerrohr und Rinderherden, davon könne man Waffen kaufen, aber doch nicht von unserem Mais, von unseren Bohnen. Krieg führen mit leerem Magen? Der Regen und die Dämmerung lösen das Treffen langsam auf; Einigkeit wird darüber erzielt, Kräfte zu schonen und gemeinsam am Samstag zur “Eroberung” des Zócalo, des Hauptplatzes von Mexiko-Stadt, zu fahren, um “unseren legitimen Präsidenten Cuauhtémoc Cárdenas” in sein Amt einzusetzen – Busse gäbe es ja jetzt zur Genüge. Und was die Sache mit den Waffen betrifft, mal sehen…
Cardoso auf dem Weg ins Präsidentenamt
Plano Real als Königsmacher
Die Antwort ist relativ einfach: Der Erfolg des neuen Wirtschaftsplans ist die primäre Ursache für den Aufstieg von Fernando Henrique Cardoso oder FHC, wie er in Brasilien häufig genannt wird. Dessen Karriere als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat begann im Oktober 1993 als Wirtschaftsminister in der Regierung Itamar. In diesem Amt legte er die Grundlagen für einen neuen Stabilisierungsplan, der die zuletzt bei 45 Prozent pro Monat liegende Inflation eindämmen sollte. Aber diesmal war es kein über Nacht erlassener Schockplan, sondern ein transparentes, ausgehandeltes Vorgehen ohne Überraschungen. Cardoso konnte als Wirtschaftsminister nur die Grundlagen für diesen Plan legen, aber dies reichte schon aus, um ihn in den Augen vieler als einzige realistische Alternative zu Lula erscheinen zu lassen. Im April 1994 mußte FHC aufgrund der brasilianischen Wahlgesetze sein Amt niederlegen, um offiziell seine Kandidatur für die PSDB – die sich gern als sozialdemokratische Partei Brasiliens sehen würde – anzumelden. Die Exekution des Planes blieb seinem Nachfolger, dem Karrierediplomaten Recupero vorbehalten. Am 1. Juli, während der Fußball-WM, trat der Plan in seine entscheidende Phase. Die neue Währung Real ersetzte den maroden Cruzeiro. Währungsreformen sind in Brasilien allerdings keine Neuigkeit. Der Real ist die siebte Währung Brasiliens seit 1987. Diesmal wurden zwar nicht nur wie sonst lediglich drei Nullen gestrichen und der Name geändert. Die neue Währung ist an den US-Dollar gekoppelt und die Zentralbank garantiert, daß ein Real nicht weniger als ein Dollar wert sein kann. Diese Umstellung einer Wirtschaft, die weit weniger “dollarisiert” war als etwa die argentinische vor einer ähnlichen Operation, wurde durch die Einführung einer Rechnungseinheit (ein URV = ein Dollar) vorbereitet. Damit sollten die BrasilianerInnen an ein neues und stabiles Preisniveau gewöhnt werden. Am 1. Juli wurde schließich die größte Währungsumstellung in der Geschichte der Menschheit eingeleitet, so die brasilianische Presse. Innerhalb von nur zwei Wochen wurde die alte Währung aus dem Verkehr gezogen und durch die neuen “Reais” ersetzt. Verständlicherweise kam es am Anfang zu einigen Umstellungsschwierigkeiten. Hilflos standen die BrasilianerInnen an den ersten Tagen des Planes vor den neuen Preisen in den Supermärkten und versuchten mit Tabellen und Taschenrechnern zu ermitteln, wieviel denn etwa 53 centavos für eine Dose Erbsen seien. Der am letzten Tag des Junis fixierte Umtauschkurs zum Cruzeiro von 1:2750 erleichterte die Rechnerei nicht gerade. Ungewohnt war auch der Umgang mit Münzen, die aufgrund der hohen Inflation fast vollkommen aus dem Gebrauch gekommen waren. Insgesamt vollzog sich nach diesen Anfangsschwierigkeiten die Umstellung aber erstaunlich reibungslos.
Stabile Preise =
Steigende Popularität
Nach zwei Monaten kann nun ein erstes Fazit gezogen werden. Der Wirtschaftsplan hat in den von seinen Schöpfern vorgegebenen Koordinaten funktioniert. Praktisch alle Preise, mit denen die NormalbürgerInnen alltäglich konfrontiert werden, sind seit Inkrafttreten der neuen Währung stabil geblieben. Die Preise für Brot und Reis sind sogar gesunken. Währungsstabilität ohne Preisstop, das ist schon ein kleines Wunder in Brasilien. Allerdings wurden die Preise in der Regel auf einem sehr hohen Niveau in den Real umgewandelt, während für die Löhne ein Mittelwert von vier Monaten zugrunde gelegt wurde. Am Anfang hielten sich die Klagen über hohe Preise und die Zufriedenheit mit der Stabilität die Waage. Begünstigt wurde der Plan durch einen international schwachen Dollar und steigende Kaffeepreise. Überraschend fiel der Dollarkurs auf 0,89 Real, also weit unter der von der Zentralbank garantierten Parität. Aufgrund des hohen internen Zinsniveaus besteht weiterhin eine hohe Nachfrage auch internationaler AnlegerInnen nach dem Real, was zu dem Verfall des Dollarkurses führte. Zudem explodierten die Börsenkurse sobald sich der Aufstieg Cardosos in den Umfragen abzeichnete. Unruhe machte sich allerdings in der Regierung breit, da der offizielle Inflationsindex noch für August einen Wert von 5,5 Prozent anzeigt. Seitdem ist ein Streit um die verschiedenen Indices entbrannt, die alle andere Inflationsraten im Spektrum von von 0 bis 8 Prozent angeben. Die Regierung argumentiert, ihr Index spiegele noch die Inflation in Cruzeiro wieder, die Inflation sei also “residual” und nicht aktuell. Tatsächlich nähern sich Indices, die nur die Verbraucherpreise nach Einführung des Reals berücksichtigen, der 0 Prozent Marke. Lediglich saison-bedingtes Ansteigen der Obst- und Gemüsepreise wirken sich hier negativ aus.
Der Plano Real erweist sich bisher als ein technisch recht solider Stabilisierungsplan ohne soziale Komponente. Er ist bewußt nicht mit einem Kaufkraftanstieg oder einer Lohnsteigerung verknüpft, um nicht durch eine “Konsumexplosion” die Preisstabilität zu gefährden. Auf der anderen Seite erweist sich der Plan bisher nicht als rezessiv. Das brasilianische Bruttosozialprodukt wird dieses Jahr wohl um 3 bis 4 Prozent wachsen. Die Anpassung der Preise auf hohem Niveau dürfte für die unteren Einkommensgruppen durch den Wegfall der Inflationsverluste zumindest annähernd kompensiert werden, zumal der Mindestlohn zum 1. September von 64 auf 70 Real anstieg. Längerfristige Strukturschwierigkeiten, die vor allem mit dem Problem der internen Verschuldung zu tun haben, werden sich wohl erst nach den Wahlen einstellen. Auch ist zu fragen, wie lange eine Wirtschaft ein so hohes Realzinsniveau (etwa 20 Prozent pro Jahr) durchhalten kann. Hier bleibt Brasilien ein Sonderfall einer entwickelten kapitalistischen Ökonomie, die fast ohne Kredit funktioniert.
Ein neuer Optimismus
im Land der Weltmeister
Fernando Henrique Cardosos Popularität wuchs mit und aufgrund des Planes. Dessen bescheidene und zunächst kurzfristige Stabilisierungseffekte haben das Land zwar nicht wie zu den Zeiten des Cruzados in Euphorie versetzt, aber neuen Optimismus wachsen lassen. Da paßte der Gewinn der Fußball-WM gut in die Landschaft. Die Regierungspropaganda versucht dies auch direkt auszuschlachten: “Wir haben in der WM gesiegt. Nun werden wir die Inflation besiegen”, verkünden riesige Plakate allerorten. Der Sieg von Romário und Co. hat das alte Gespenst besiegt, daß dieses Land einfach zur Erfolgslosigkeit verurteilt sei. Und wie der Erfolg im Fußball nicht den Glanz der Zeiten Pelés wiederbelebte, so ist man in der Politik mit einem Plan zufrieden, der zwar nicht alle Probleme des Landes löst, aber doch ein Stückchen Stabilität bringt. Fernando Henrique versucht mit jeder Faser seines Körpers, insbesondere aber mit seinem Gebiß, diesen neuen Optimismus in Szene zu setzen. Ein lachender und heiterer Kandidat, kaum einmal agressiv gegen seine Gegner, eher mild mitleidig. So präsentiert sich der alte Dependenztheortiker heute als Protagonist eines breiten Bündnisses, das inzwischen einen guten Teil des Rechten Lagers absorbiert hat. “Er übermittelt die Idee von Sieg, Größe, Glück und Essen im Magen. Der andere (Lula), verkörpert die schmerzhafte Wunde, das Bild des Hungers. Lula ist hervorragend in seiner Analyse. Aber das Volk will keine Analysen hören. Es will Lösungen spüren, an die es glaubt.” So charakterisiert der Politologe Gaudencio Torquato den Gegensatz zwischen Lula und FHC.
Im Land des real existierenden Hungers scheint tatsächlich die schwammige Idee eines neuen Aufschwungs eine ausreichende Grundlage zu geben, um einen Präsidenten zu wählen. Oder wie es der Filmemacher Caca Diegues (“Bye, Bye Brasil”) formulierte: “Wir lernen wieder Brasilien zu mögen.” Gegen das Siegerimage von Cardoso ist Lula immerhin überhaupt noch der einzige Kandidat, der ernsthaft Widerstand leistet. Alle anderen, wie Brizola oder Quercia, dümpeln aussichtslos bei der 5 Prozent Marke herum, genauso wie der erzreaktionäre Politikclown Eneas mit dem Hauptslogan: “Mein Name ist Eneas”.
Die Antwort der PT:
Klagen und Kampf
Der plötzliche Aufstieg des Fernando Henrique hat Lula und seine Arbeiterpartei (PT) auf falschem Fuße erwischt. Im Mai hatte die PT noch Hoffnungen gehegt, bereits im ersten Wahlgang zu gewinnen, und unter den Anhänger machte sich eine siegessichere Stimmung breit. Auf der Suche nach den Ursachen für den Niedergang beschuldigt die PT vorwiegend die Medien, allen voran den dominierenden Fernsehsender Globo, massiv FHC zu unterstützen. Ebenso kritisiert sie, daß der Regierungsapparat durch die Propaganda für den Plan mehr oder weniger offen in den Wahlkampf eingreife. Die Kritik am Plano Real scheint jedoch einfach nicht zu greifen. Zwar rechnen die PT-Ökonomen vor, daß der Plan drastische Lohneinbußen gebracht habe, aber die Linke scheint zu unterschätzen, daß Stabilisierungserfolge durchaus “Opferbereitschaft” mobilisieren können. Und gegen den oben beschriebenen diffusen Optimismus läßt sich anscheinend nur schwer gegenargumentieren.
Noch gibt die PT allerdings die Schlacht nicht verloren. Die Anhängerschaft der Partei (“Militancia”) soll nun verstärkt auf der Straße den Wahlkampf führen. Ziel ist es, wenigstens einen zweiten Durchgang zu ermöglichen um so nach einer ersten Ernüchterung über die Effekte das Planes das Blatt wenden zu können. Der Einsatz der Aktivisten wird allerdings dadurch erschwert, daß am 3. Oktober auch die Gouverneure sowie Landtags- und Bundesparlamentsabgeordenete gewählt werden. Aufgrund des brasilianischen Wahlsystems sind auch diese Wahlen in höchstem Grade personalisiert, so daß ein großer Teil der AktivistInnen von dem Wahlkampf für seinen/ihren Abgeordneten absorbiert ist. Jedenfalls will der Schwung und Einsatz, der den Wahlkampf Lulas 1989 charakaterisierte, noch nicht recht aufkommen. Die PT wird es schwer haben, einen Wahlsieg Cardosos zu verhindern, wenn nicht noch Unvorhergesehenes passiert. Was in Brasilien schließlich keine Seltenheit wäre.
Kasten:
Wirtschaftsminister verplappert sich!
“Ich habe keine Skrupel. Was gut ist, stellen wir heraus, was schlecht ist, verbergen wir,” sagte kein geringerer als Wirtschaftminister Recupero. Zustande kam diese Äußerung hinsichtlich des Wirtschaftsplans im vertrauten Gespräch vor einem Interview mit einem Globo Reporter. Was beide nicht ahnten: Die Satellitenübertragung zwischen Brasilia und Rio, nur für den internen Gebrauch von Globo bestimmt, wurde von einigen Parabolantennenbesitzern empfangen und aufgezeichnet. Der Skandal war perfekt. Ricupero gab offen zu, den Regierungsapparat in Unterstützung für Fernando Henrique einzusetzen und bestätigte somit alle Beschuldigungen der PT. Als der gesamte Wortlaut des Gesprächs bekannt wurde, zögerte Präsident Itamar nicht: Recupero wurde entlassen. Die Überraschung in der brasilianischen öffentlichkeit war besonders groß, da sich Recupero als gelernter Diplomat in der Öffentlichkeit immer mit betonter Bescheidenheit in Szene setzte und gut das Image des ehrlichen Katholiken verkaufen konnte. Sein Ausspruch “ich habe keine Skrupel” bestätigt geradezu symbolhaft alle negative Voreingenommenheit gegen brasilianische Politiker. Zudem legte Recupero eine unglaubliche Arroganz an den Tag: “Die Regierung braucht mich mehr als ich die Regierung.” Für die PT erschien die Indiskretion des Ministers als ein Geschenk des Himmels und Anfang des Niedergangs von Fernando Henrique. Sie fordert gar die Annulierung dessen Kandidatur wegen verbotener Parteinahme der Regierung für einen Kandidaten. Es bleibt aber abzuwarten, ob der Fall Recupero mehr als eine Episode sein wird. Die Börse reagierte mit einem drastischen Kurssturz.
Nachfolger Recuperos wurde am 8. September Ciro Gomes, Parteigenosse von Fernado Henrique und populärer Gouverneur von Ceará. Diese Wahl könnte nach ersten Turbulenzen durchaus die Position Fernando Henriques stärken. Ciro Gomes ist angesehen, gilt als effektiv und nicht korrupt, hat als Gouverneur in Ceará ein gutes Bild gemacht und verstärkt eher die Verbindung zwischen Plano Real und der Kandidatur Cardosos.
Exil im eigenen Land
Nascimento hat seit Ende der 80er Jahre nicht aufgehört, die Hintermänner von Todesschwadronen zu ermitteln und mit Namen zu nennen. Begonnen hat er mit dieser Recherche-Arbeit, als 1986/87 in 19 Monaten 21 Kinder und Jugendliche aus seiner Straßenkindergruppe ermordet wurden und daraufhin das von ihm initiierte Zentrum in der Favela do Lixao geschlossen werden mußte.
Die Recherche und Öffentlichkeitsarbeit machten Nascimento bekannt, vor allem aber kamen die Strukturen der mörderischen Kartelle der Macht ans Tageslicht, die Verquickung von legaler und extralegaler Repression.
“Wer die Macht angreift, der bleibt nicht ungestraft” – nach diesem Motto war das Delikt schnell konstruiert, von eben jenen Richtern (Rubem Medeiros, Luíz Cesar Bittencourt, Renato Simoni und Mario dos Santos Paulo), die in die Strukturen der Todesschwadronen verwickelt sind: Üble Nachrede – gegenüber denjenigen, die die Macht haben.
Asyl in Europa keine Alternative
Nascimento hätte sich der Verhaftung durch Flucht entzogen, denn Gefängnis bedeutet für ihn den sicheren Tod. Als er in diesem Frühjahr nach Europa reisen konnte, als das Europäische Parlament zu seinem Fall und den Morden an Straßenkindern eine Resolution abfaßte, machte sich Nascimento nochmals Hoffnungen: Er hätte sich in Brasilien in eine Botschaft geflüchtet und politisches Asyl beantragt. Aber die Reise in die Festung Europa hat ihn in jenem Monat vor Augen geführt, was politisches Asyl heißt, hätte er es überhaupt bekommen. Die Internierung in ein Lager, wie es nach deutscher Norm mittlerweile in der EU üblich wird, hielt er nach genauen Erkundigungen für derart unmenschlich, daß er diese Alternative verworfen hat. Er fuhr zurück nach Rio de Janeiro, in Erwartung der Urteilsbestätigung. Und Davi, seinen jüngsten, wenige Tage alten Sohn, hatte er noch nicht gesehen.
Anfang Juli 1994: Viele ErzieherInnen und Straßenkinder-Engagierte hat Nascimento von seinem neuen Wohnsitz aus zu einem Fortbildungs-Seminar geladen, Thema: Wie können die rechtlichen Möglichkeiten in der Kinder- und Jugendarbeit voll ausgeschöpft werden. Zu dem Seminar reisten mehr als hundert Personen an, viele von ihnen direkt bedroht wegen ihres mutigen Engagements für die Straßenkinder. Aber das war nicht Thema des Seminars.
Ein Nachsatz, eine Überlegung: Ist es eine lateinamerikanische Besonderheit, daß man sich der staatlichen und parastaatlichen Bedrohung – der Drohung, umgebracht zu werden – durch Ortswechsel entziehen kann? Durch Verlassen der Konflikte in der Großstadt? Oder ist es ein Anzeichen für die neue lokale Aufteilung der Macht, der zersplitterten Einflußbereiche von bewaffneten halbstaatlichen Banden und Milizen, wie es mehr und mehr auch in einigen Teilen von Europa zu beobachten ist?
Wie Shakespeares Hamlet zum Bahiano wurde
Gemeinsam mit der Theatermacherin und Psychologin Maria Eugenia Milet und Streetworkern des mittlerweile international bekannten Straßenkinderprojektes “Projeto Axé” planten sie einen theaterpädagogischen Workshop für etwa 50 Kinder aus allen sozialen Schichten, darunter mehrheitlich “KlientInnen” von “Projeto Axé” und einigen Mitgliedern der Jugendtheatergruppe NOSSA CARA. Vier Monate lang wollten die Workshop-TeilnehmerInnen das Thema Gewalt in Improvisations- und Rollenspielen bearbeiten. Damit sollte den Kindern die Möglichkeit gegeben werden, ihre traumatischen Erfahrungen des Straßenlebens spielerisch auszudrücken und aufzuarbeiten. Als künstlerisches Ergebnis dieses gemeinsamen Lernprozesses war von Anfang an eine Theaterproduktion über das Leben der “meninos da rua” (Straßenkinder) angepeilt. Eine mögliche Vorlage für ein solches Theaterstück hatte Volker Quandt im Reisegepäck: das Manuskript von Shakespeares Hamlet. Außer einer guten Story – so schreibt Quandt in einem Bericht über seine brasilianischen Erfahrungen – reizten ihn am HAMLET die klassischen Motive wie Macht, Verrat, Liebe und Tod und deren Übertragbarkeit auf die aktuelle Situation eine Straßenkinderbande. Da die HAMLET-Idee jedoch auf keinen Fall die theaterpädagogische Arbeit beeinflussen sollte, blieb Shakespeares Klassiker wochenlang in Quandts Reisegepack vergraben, aber natürlich erhoffte sich das Dreiergespann Quandt/ Achatkin/Milet aus der Workshoparbeit Inspirationen für die spätere Theaterproduktion.
Grünes Licht für Hamlet
Tatsächlich förderten die intensiven Improvisationsarbeiten mit den Kindern und Jugendlichen reichlich “Material” zu Tage: Da wurden zerrüttete Familienverhältnisse und die Konfrontationen mit der Polizei dramatisiert, Überfälle und erlebte Vergewaltigungen nachinszeniert und das Verhältnis zu Drogen problematisiert. Immer wieder – so erzählt Quandt – ergaben sich erstaunliche Parallelen zur HAMLET-Geschichte: “Ein 17-jähriger improvisiert einen seiner immer wiederkehrenden Träume. Sein bester Freund ist vor kurzem von der Polizei erschossen worden. Nun erscheint ihm im Traum der Geist seines Freundes und fordert Rache…Hamlets Geist! Bei Rollenspielen über die Machtstruktur in einer Straßenbande kristallisiert sich schnell ein “Anführerpärchen” heraus. Die Kinder geben ihm den Namen Cabeça (Kopf), sie heißt Rainha (Königin)….Claudius und Gertrud! Immer wieder stehen die Schicksale der Mädchen im Mittelpunkt der Improvisationen: wie sie auf der Straße “gelandet” sind, welche Rolle sie in den Kinderbanden spielen und ihr Verhältnis zur Sexualität, das fast immer als gestört dargestellt wird. Einige Mädchen spielen ihre kollektive Vergewaltigung durch … Hamlets Ofelia!”
Für den Tübinger Theaterregisseur reichen diese Parallelen aus, um grünes Licht für das HAMLET-Experiment zu geben: Zusammen mit der Theatergruppe NOSSA CARA unter der Leitung von Maria Eugenia Milet machen sich Quandt und Achatkin an die zweimonatigen Probenarbeiten, um die szenischen Ergebnisse des pädagogischen Workshops in den dramatischen Handlungsablauf von Shakespeares HAMLET einzupassen. Im folgenden “Bahianisierungsprozeß” mußte sich dann der europäische Klassiker etliche Veränderung gefallen lassen: Figuren wurden umbenannt, andere hinzugefügt, aktuelle Bezüge aus dem Alltagsleben Salvadors eingefügt und mit afro-bahianischer Musik unterlegt. Ob beim dumpfen Trauermarsch zu Beginn des “Straßenhamlet” (so der deutsche Titel des Theaterstücks) oder beim Samba-Reggae, der eine Kampf-szene innerhalb der Straßenbande untermalt, den Rhythmus der Aufführung geben die Trommeln an, wichtigstes Instrument der afro-bahianischen Musik Salvadors.
Auch an Shakespeares Textvorlage und Sprache wurde ganz gehörig herumgefeilt. Wochenlang arbeitete die Dramaturgin Vera Achatkin mit Jamerson Felix und Fabio Tobias, um die Subsprache der Straßenkinder Salvadors mit ihren eigenen Wortschöpfungen, die nicht einmal der “Normalbahiano” kennt, so authentisch wie möglich wiederzugeben, ohne dabei gänzlich die Poesie der Originalfassung zu zerstören. Die beiden Jungs hatten selbst Jahre ihres Lebens auf den Straßen Salvadors verbracht und galten deshalb den 14- bis 19-jährigen LaienschauspielerInnen von NOSSA CARA als unentbehrliche Referenz bei der Erarbeitung von Sprache und Gestik.
Hamlet – Medium der Aufarbeitung
Sein schauspielerisches Naturtalent verhalf Fabio Tobias schließlich zur Hauptrolle des Stücks. Im Spiel des 17-jährigen Brasilianers gewinnt die Frage nach Sein oder Nichtsein eine völlig neue Dramatik; liegen doch der bahianischen Version des klassischen Hamlet-Monologs der ganze Erfahrungsschatz von fünf Jahren Leben auf der Straße zugrunde. Fabio Tobias beginnt den selbstentwickelten Monolog über seine erste Begegnung mit Gewalt und Elend auf den Straßen Salvadors immer mit den gleichen Worten. Doch was dann folgt, ist meistens improvisiert. Immer fallen ihm neue Geschichten aus seinem Leben ein, oft sehr tragische und brutale Episoden. Er erzählt sie auf eine tragisch-komische Art, so daß die Zuschauer nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen. Außerhalb der Bühne auf seine Vergangenheit als “menino de rua” angesprochen, winkt er nur unwirsch ab. Über diese Zeit mag er heute nicht mehr reden. Wer etwas über das Leben der Straßenkinder Salvadors wissen wolle, solle sich doch einfach das Stück ansehen oder die anderen Mitglieder von NOSSA CARA fragen. Die wüßten schließlich genauso gut wie er, was es heißt, als Kind in den Straßen der brasilianischen Großstädte sein Überleben sichern zu müssen. Für Fabio Tobias ist der Hamlet zum alter ego geworden, zum Sprachrohr seiner eigenen, verdrängten Geschichte.
Nach einer sehr erfolgreichen Premiere in Salvador da Bahia im Mai letzten Jahres und sich anschließenden Gastspielen in Rio, Sáo Paulo und Minas Gerais, stellen NOSSA CARA ihren Straßenhamlet im September zum erstenmal dem deutschen Publikum vor. Befragt, was sie sich von der Deutschlandtournee erhofft, antwortet Amaranta (im Stück spielt sie Horatia, die Kaffeeverkäuferin und fester Bezugspunkt der Straßenkinderbande): “Hier in Brasilien unterscheidet die Gesellschaft kaum noch zwischen den Straßenkindern und dem Müll, in dem die Kinder leben müssen. Ich möchte gern wissen, ob es in Deutschland auch Kinder gibt, die auf der Straße leben und wie die Deutschen damit umgehen.”
Kasten:
Tourneedaten von StraßenHamlet/O rei do trono de barro
Termin Stadt Veranstaltungsort
22.09. Berlin Haus der Kulturen der Welt
23.09. Berlin Haus der Kulturen der Welt
24.09. Berlin Haus der Kulturen der Welt
25.09. Berlin Haus der Kulturen der Welt
26.09. Potsdam Lindenpark
29.09. Kieselbronn Stadthalle
01.10. Stuttgart Treffpunkt Rotebühlplatz
02.10. Tübingen Foyer
03.10. Tübingen Foyer
06.10. Frankfurt Künstlerhaus Mousonturm
07.10. Frankfurt Künstlerhaus Mousonturm
10.10. Hannover Theater am Aegi
11.10. Hannover Theater am Aegi
13.10. München Stadthalle Germering
14.10. München Stadthalle Germering
15.10. Nürnberg Wilhelm-Löwe-Schule
16.10. Nürnberg Wilhelm-Löwe-Schule
19.10. Bochum Bahnhof Langendreer
20.10. Osnabrück Lagerhalle
21.10. Köln Alte Feuerwache
Tourneeplanung: Pachanga Promotions, Tel. 030 – 694 78 32
Polizeireportage und Bergpredigt
Diese und ähnliche Meldungen gehen täglich dutzendweise über den Sender von Rádio Regional, der kleinen Radiostation der Diözese Paulo Alfonso im Landesinneren des brasilianischen Bundesstaates Bahia. An den Wochenenden steht das Telefon von Rádio Regional kaum eine Minute still. Das ist die Zeit, in der die in Sâo Paulo hilflos gestrandeten Migranten aus dem Nordosten versuchen, übers Radio Kontakt zu ihren zurückgebliebenen Familienangehörigen aufzunehmen. Da werden dann Bitten um Geldüberweisungen zur Rückkehr in den Nordosten oder die Adressen von irgendwelchen Vettern und Onkeln in Sâo Paulo über den Äther gejagt, die den Gestrandeten weiterhelfen sollen. Irgendwann nach Wochen kann es dann vorkommen, daß zurückgekehrte Migranten plötzlich in der Tür des Sendestudios von Rádio Regional stehen und die ModeratorInnen des Wochenenddienstes überglücklich in ihre Arme schließen. Unter tausend Danksagungen beteuern die Rückkehrer, daß ihnen nur die Durchsage im Radio die Heimkehr aus dem Inferno der Megametropole im Süden Brasiliens ermöglicht habe.
“Für diese auseinandergerissenen Familien ist das Radio ein wichtiges Kommunikationsmittel, da es kaum öffentliche Telefone in der Gegend gibt. In den vier Jahren seiner Existenz ist das Radio zur Anlaufstelle für alle möglichen familiären Angelegenheiten geworden”, erklärt Radioleiter Pedro Paulo.
Rádio Regional ist einer von insgesamt 130 Mittelwellen- und UKW-Sendern, die die katholische Kirche und ihr nahestehende Stiftungen in Brasilien unterhalten. Ihr vorrangiger Auftrag ist die Verbreitung des Evangeliums vor dem Hintergrund der sozialen, politischen und ökonomischen Realität Brasiliens. Damit hören aber auch schon die Gemeinsamkeiten der katholischen Radiostationen auf. Denn die Interpretation dieses Auftrages bleibt in dem Riesenland den mehr oder weniger konservativen Bischöfen der einzelnen Diözesen bzw. den von ihnen berufenen Radiodirektoren überlassen. Zwar bemüht sich die UNDA, das nationale Kommunikationsgremium der brasilianischen Bischofskonferenz, eifrig um eine einheitliche ideologische Linie ihrer Kommunikationsmedien. Doch wie die Radiosendungen vor Ort gestaltet werden, entzieht sich weitgehend ihrer Kontrolle. So sind denn auch die Programme der 130 katholischen Sender von sehr unterschiedlicher Couleur. Die meisten haben sich inhaltlich der seichten Welle der kommerziellen Medien angepaßt. Sie versuchen, sich mit populärer Musik und viel Werbung finanziell über Wasser zu halten. Ihre Wortbeiträge beschränken sich gewöhnlich auf das tägliche “Ave Maria”, besinnliche Worte des örtlichen Geistlichen und die Live-Übertragung der Sonntagsmesse. Komplettiert wird diese journalistische Glanzleistung allenfalls noch durch hastig heruntergeratterte Kurznachrichten. Deren Informationswert ist jedoch gleich Null, da es sich meist um abermals gekürzte Versionen ohnehin schon kurzer Zeitungsmeldungen handelt.
Vom aufrechten Katholiken
zum Medienstrategen
Als Zugeständnis an den Massengeschmack und wegen der ständig schrumpfenden Zuschüsse aus den bischöflichen Geldtöpfen sind einige der katholischen Radiostationen inzwischen dazu übergegangen, die bei der brasilianischen Bevölkerung so beliebten Polizeireportagen zu senden. Diese sensationslüsternen Gruselstories von lokalen Raubüberfällen und Gewalttaten aller Art gelten in Brasiliens Medienlandschaft als wahre Publikumsrenner und somit als Garant für steigende Werbeeinnahmen. Im unerbittlichen Konkurrenzkampf mit den kommerziellen Privatradios hat sich schon so manch aufrechter Katholik und Radiodirektor zum knallhart kalkulierenden Medienstrategen wandeln müssen und zugunsten einer sehr großzügigen Interpretation des kirchlichen Sendeauftrags entschieden. Kann doch eine einmalige Verbeugung vor dem Diktat des blutrünstigen Massengeschmacks unter Umständen etliche Sendungen der Bergpredigt finanziell absichern. Unter dem Druck ökonomischer Zwänge und des klerikalen Konservativismus schaffen es nur wenige Radiostationen der katholischen Kirche, den von der UNDA ursprünglich durchaus fortschrittlich gemeinten Auftrag, eine christliche und sozialkritische Alternative zu den kommerziellen Massenmedien Brasiliens zu sein, in ihren Programmen umzusetzen. Einer der Sender, die dies ernsthaft versuchen, ist Rádio Regional von Cícero Dantas.
In der Isolation des bahianischen Sertâo, in der das Leben einem ewig gleichen Rhythmus folgt, sich Gespräche um die immer gleichen Probleme wie anhaltende Dürre und Wassermangel, vertrocknete Bohnenernten und ungerechte Landverteilung drehen, hat das gesprochene Wort noch eine besondere Bedeutung. In einigen der abgelegenen Weiler des Sertâo, wo die Armut den Kauf des sonst allgegenwärtigen Fernsehgeräts nicht zuläßt und das defizitäre Bildungssystem eine Analphabetenrate von fast 40 Prozent produziert, bleibt nach Einbruch der Dunkelheit oft nichts anderes als sich endlose Geschichten zu erzählen. Da werden dann die Geburten und Todesfälle in den weitverzweigten Familien durchgehechelt, über den letzten Besuch des Landpfarrers oder sonstige Neuigkeiten aus der Nachbarschaft berichtet, oder – wenn dies alles schon tausendmal erzählt worden ist – einfach schweigend gewartet, bis es Zeit zum Schlafengehen ist. Neuigkeiten, zumal wenn sie über Dutzende von Kilometern aus der Bezirkshauptstadt kommen, haben hier noch einen ganz besonderen Stellenwert. So ist denn auch das “Jornal da Regional”, die tägliche halbstündige Nachrichtensendung von Rádio Regional, für die Landbevölkerung der Region zu einer einflußreichen Instanz in ihrem Alltag geworden. Was das Jornal an lokalen und regionalen Nachrichten verbreitet, wird in den isolierten Dorfgemeinden unbesehen geglaubt und eifrigst kommentiert. Noch immer erregt es Aufsehen, wenn die Radioreporter mit ihrem Reportagewagen durch die Gegend fahren und fürs Jornal da Regional Interviews aufnehmen, um den Gründen für Trinkwasserverseuchung, Viehsterben, unhaltbare Zustände in Schul- und Gesundheitswesen auf die Spur zu kommen, oder über undurchsichtige Winkelzüge irgendwelcher Lokalpolitiker berichten. Und wenn die BewohnerInnen der betroffenen Gemeinden am nächsten Tag gar ihre eigene Stimme im Radio hören, sind die Alltagssorgen wenigstens für einige Minuten vergessen.
Der erste Schritt zu
neuem Selbstbewußtsein
“Für die Leute hier im Nordosten ist es unglaublich wichtig, ihre Stimme im Radio zu hören. Solange sie sich erinnern können, werden sie von Großgrundbesitzern ausgebeutet, von Politikern in Wahlzeiten als billiges Stimmvieh benutzt und ansonsten mit Armut und Hunger allein gelassen. Jetzt hört ihnen endlich mal jemand zu und gibt ihren Sorgen und Problemen eine öffentliche Stimme. Endlich können sie von sich und ihren Festen erzählen und ihre eigene Musik hören, und das ist schon der erste Schritt zu einem neuen Selbstbewußtsein”, so Pedro Paulo zur Bedeutung des Radios.
Der kleine Sender gibt sich in der Tat sehr volksnah. Die Eingangstür steht den ganzen Tag lang offen. Wer immer eine Anzeige aufgeben oder eine Veranstaltung ankündigen möchte, wer Informationen über Impfkampagnen, anstehende Volksfeste, Streiks oder andere wichtige Ereignisse weitergeben oder erfragen will, oder einfach nur auf ein Schwätzchen vorbeischaut, der findet im Rádio Regional offene Ohren.
An den Montagen, wenn der Wochenmarkt von Cícero Dantas die BewohnerInnen aus den umliegenden Gemeinden anlockt und überall Menschen durch die sonst stillen Gassen der verschlafenen 15.000-Einwohner-Stadt wuseln, übt das Radio eine magnetische Anziehungskraft aus. Dann drücken sich Kinder und Erwachsene dutzendweise die Nasen an der großen Glasscheibe des Sendestudios platt. Das ist die Gelegenheit, endlich einmal die Lieblingsmoderatorin oder den Nachrichtensprecher, von denen sie häufig nur die Stimmen kennen, live in Aktion zu erleben. Auch für das Radioteam ist der Montag immer besonders hektisch. Denn dann heißt es: raus auf den Marktplatz mit Mikrofon, Aufnahmegerät und transportablem Mischpult, um die neuesten Nachrichten über Preissteigerungen, Ernte- und Vermarktungsprobleme und was es sonst noch Wichtiges aus dem bäuerlichen Alltag zu berichten gibt, direkt aus dem Marktgeschehen zu übertragen.
Neben dieser allwöchentlichen Attraktion lebt das Wortprogramm von Rádio Regional hauptsächlich von kurzen, in den “Musikteppich” eingeschobenen Beiträgen, deren Themen sich um Gesundheitsvorsorge und Erziehungsfragen, um die Zubereitung von Hausmitteln aus heimischen Kräutern oder um Tips für pestizidfreien Gemüseanbau drehen. Einmal pro Woche berichten Mitglieder der Landarbeitergewerkschaften aus der Region über Fortschritte und Rückschläge im Kampf um bessere Lebensbedingungen für die Bauernfamilien und nutzen die Infrastruktur des Radios zur Mobilisierung ihrer Mitglieder. Allerdings müssen auch die Gewerkschafter – wie alle anderen Normalsterblichen aus der Region – für die Benutzung von Fax, Telefon oder Kopiergerät einen kleinen Kostenbeitrag entrichten. Die Zeiten, in denen die “Rádios Populares” – die Volksradios – linken Gewerkschaften und Volksorganisationen als kostenlose ideologische Sprachrohre dienten, sind für den Befreiungstheologen Pedro Paulo vorbei.
Das Konzept von Rádio Regional, das in Zusammenarbeit mit dem lateinamerikanischen Radionetzwerk ALER entwickelt wurde, entspricht wohl am ehesten einem volksnah arbeitenden Dienstleistungsbetrieb. “Wir machen Radio für und mit der gesamten Bevölkerung, und damit meine ich vor allem die breite Masse der verarmten Landbevölkerung und nicht nur die organisierten Gruppen des ‘Movimento Popular’. Unser Hauptanliegen ist die Stärkung der Volkskultur.” Das ist auch der Grund, warum ein Großteil des Musikprogramms von Forró und Sertanejo-Musik, der Volksmusik des brasilianischen Nordosten, bestritten wird. Lokale Musikgruppen und Volksdichter geben sich die Türklinke des Aufnahmestudios in die Hand, um die Rhythmen von Sanfona (Ziehharmonika), Sabumba (Blechtrommel) und Gitarre live ins Programm einzuspielen oder selbstverfaßte Gedichte darzubieten.
Wettbewerbe, in denen die HörerInnen eigene Geschichten und Lieder zum Besten geben, gehören ebenso zum Programm wie die Lieder der repentistas, Stegreifmusikern, die in ihren Spontankompositionen von alltäglichen Ereignissen aus dem Leben der Menschen im Nordosten bis hin zur Weltpolitik alles kommentieren, was für ihr Publikum interessant sein könnte.
Keiner aus dem neunköpfigen Team von Radio Regional hat jemals eine reguläre Ausbildung in Tontechnik, Werbeakquisition oder Radiojournalismus absolviert. Wie üblich in den Radios Populares haben auch die jungen MitarbeiterInnen von Rádio Regional ihr Handwerk irgendwo und irgendwann in der Praxis erlernen müssen. Sie wurden einfach ins kalte Wasser der Sendepraxis geschmissen und mußten von einem auf den anderen Tag die Regler im Sendestudio bedienen und auch noch selbst moderieren. Viel Zeit für inhaltliche Diskussionen hat es nie gegeben. Daß deshalb nicht jedes gesendete Wort auf die Goldwaage gelegt werden darf, versteht sich von selbst. So kann es schon mal vorkommen, daß dem Nachrichtenredakteur, der die wöchentliche Debattensendung zu aktuellen Themen der Lokalpolitik moderiert, die Diskussion mangels journalistischem Know How und “ideologischer” Klarheit entgleitet und die falsche Seite, beispielsweise ein Vertreter der Volksbewegungen, in die Pfanne gehauen wird. Derlei Ausrutscher sind allerdings selten und werden in der nächsten Sendung mit Gegendarstellungen wieder korrigiert. “Niemand ist perfekt”, meint der Radioleiter lakonisch. “Es hat vier Jahre harte Arbeit gebraucht, bis aus neun jungen Leuten ohne jegliche Radioerfahrung und teilweise nur mäßiger Schulbildung ein eigenverantwortlich arbeitendes Radioteam wurde, das sich nicht mehr von jedem halbwegs sprachgewandten Lokalpolitiker einschüchtern läßt.”
25 Jahre “Tropicália”
Die Produzenten kündigten Gil und Caetano mit einem “akustischen Konzert” an. Die Anweisung, das Publikum möge doch während des Konzerts sitzenbleiben, widersprach den Erwartungen und dem Temperament der Exilgemeinde. Dennoch kam der Nationalstolz – gelegentlich unerbittlich und hemmungslos – zum Ausdruck. Eine kulturelle Identität wurde herausgesungen. Eine Identität, die immer auf dem Prüfstein steht und die viel den immer neuen Varianten dessen schuldet, was sie schon immer war und weiterhin sein wird – “Tropicália”.
Zur allgemeinen Überraschung blieben fast alle sitzen, erst nach der Zugabe explodierten die Begeisterungsstürme über die vierfache Weltmeisterschaft. Die Besucher hatten Fahnen, Rhythmusinstrumente und Trommeln mitgebracht, die aber nur zwischen den Stücken den Applaus anheizten. Getanzt wurde wenig – zu Freud oder Leid der ZuhörerInnen, wie bei jeder anderen Vorstellung der beiden Musiker. Alte und neue Klassiker wie “Avenida Sao Joao” oder “O Haiti é aqui” wurden im Chor von Sao Paulo nach Bahia getragen. Andere wurden von Caetano und Gil selbst von einem Ende zum anderen, von Süden nach Norden angestimmt, wobei sie einander abwechselten und das Publikum zum mitsingen animierten.
Ein magischer Moment des Konzerts war sicher der afro-brasilianische “Jodler” von Gilberto Gil. Ein spiritueller Widerhall, der bis in die Seele vordringt – durch Kontinente und Jahrhunderte hindurch. Gemeinsames Solo. Eine Wiederbesinnung auf die Vorfahren, ein Kreisen um die Sterne. Ein Gefühl, als ob diese Zelebrierung der Stimmen plötzlich das Universum in einen Klangraum für ein sehr langes Echo verwandelt. Ein in sich geschlossenes Verständnis von sich und der Welt, in dem die Ursprünge des Kosmos offenbar werden, losgelöst von dem Teil der Welt, in dem wir uns befinden. Diese ästhetische Erfahrung bringt auf den Punkt, was Gilberto Gil für die brasilianische Musik und Kultur überhaupt ist.
Die Bedeutung von Caetano läßt sich vielleicht mit Hilfe einer kleinen Anekdote aus dem Konzert beschreiben: Gil lädt einen Musiker aus dem Publikum spontan auf die Bühne ein. Irgendwann deckt dann eine brasilianische Fahne Caetanos Gesicht zu, das für einen langen Augenblick erstarrt. Caetano rührt sich nicht, bis man ihm die Fahne abnimmt. Ohne aus der Fassung zu geraten verwandelt er den Zwischenfall in seine und nur seine Performance. Unter dem brasilianischen Banner, das sein Gesicht verdeckt hatte, hinterläßt er den Sarkasmus und das Rästel seines Lächelns.
Es ist bekannt, wie gut er die Bühne beherrscht: Caetano Veloso der Begnadete, das enfant terrible. Anlaß für unzählige Interviews und wissenschaftlicher Abhandlungen. Doch seine einzigartige und widersprüchliche Persönlichkeit kann eigentlich nur durch die Texte seiner eigenen Musik ergründet werden: “Wenn du eine unglaubliche Idee hast, mach’ am besten ein Lied daraus – es ist bewiesen, daß Philosophieren nur auf Deutsch möglich ist.”
Caetano war zweifelsohne der Motor der tropikalistischen Bewegung. Er bedient sich der konkreten Poesie nicht nur für den Samba, oder bietet Fados, Tangos und Rock’n Roll. Er geht zurück zu den Anfängen von Oswald de Andrade und verkörpert die kulturelle Identität der Anthropophagie. Eine Anthropophagie, die für die Einverleibung aller nur möglichen Einflüsse steht und sich nicht in der politischen Metapher “eat the rich” erschöpft. Die “Tropicália” wurde für sich politisch, weil sie aus der Kunst entstand. Mehr als bloße Metapher, entspringt die Anthropophagie, die Caetano wieder aufleben läßt, aus dem brasilianischen “Wilden Denken”. Reines Stückwerk: “Kaugummi mische ich mit Banane”. Dieses Manifest, gemeint ist das “Anthropophagische Manifest” von Oswald de Andrade, das am Beginn der Verquickung der städtischen und ländlichen Kultur steht, wird innerhalb des Landes nur selten verstanden, noch weniger allerdings außerhalb der Tropen.
Man muß sie sich erst vor Augen führen, die ständige Erneuerung des Populären und seiner Rhythmen: in der Literatur der Avantgarde (von Oswald de Andrade bis Paul Leminsky), in der ernsten Musik, in der Pop- und Folk-Musik. Es ist daher nicht verwunderlich, daß viele der anwesenden Deutschen die Dimension der Darbietung nicht zu verstehen schienen.
Caetano ist auch “blanker Ruhm”. Das jedenfalls behauptet er selbst und verabschiedet sich damit von der Wiege seiner Lieder. Caetano, Vater dreier Kinder: “Ich bin ein Schwindler; drittes Geschlecht, dritte Welt, drittes Jahrtausend”. Es gibt in Brasilien keine andere berühmte Person, die so viele persönliche Deklarationen macht, ohne ihre Intimsphäre preiszugeben.
Er ist eine vielseitige Persönlichkeit, manchmal zwiespältig und sich seines Größenwahns bewußt. Ein Anarchist-Superstar, Sohn eines Heiligen des Candomblé, der die religiöse Unterdrückung der sexuellen gleichsetzt. Caetano hat keine Gelegenheit ausgelassen, seine radikale politische, musikalische und parteiische Unabhängigkeit zu demonstrieren. Im politischen Exil stößt er die Linken vor den Kopf, indem er Nietzsche zitiert: “es ist notwendig, die Starken vor den Schwachen zu beschützen”.
Wenn er in Liedern wie “Haíti nao é aqui” von Rassismus oder auch in seinen poetisch-politischen Manifesten über Straßenkinder und Aids singt; gegen “…Schürzenjäger, in Krawatte oder Priestergewand”, ist er immer weit entfernt vom nur Plakativen, von alten Stereotypen und Geschichten “vom Arsch der Welt”. Es sind musikalische Abhandlungen, auch über die Anthropophagie, über “die selben alten Menschen”: “Amerikaner fühlen, daß etwas verlorengegangen, am Zerbrechen ist”. Seine Rolle ist heute immer noch die des Provokateurs, des Künstlers jenseits der schnellen Antworten, dessen, der die tausendjährigen Fragen noch einmal stellt. Caetano ist die narzißtische Sphinx des Textes und der Musik und durch all seine undefinierbaren Verknüpfungen der regional-kosmopoliten brasilianischen Kultur … unerschöpflich.
OLODUM – MEHR ALS MUSIK
LN: Wie definiert Ihr Eure Musik?
Joao Jorge: Den Rhythmus nennen wir Samba-Reggae, eine Mischung aus traditionellem Samba mit Reggae und politischen Botschaften. Die Musik ist eine Synthese der afrikanischen und brasilianischen Kultur mit der Utopie auf ein anderes Brasilien.
Verfolgt Ihr mit der Musik bestimmte Ziele?
Die Musik Olodums ist zur Erholung und zur Bildung des politischen Bewußtseins da; sie ist religiös und gefühlvoll. Es werden verschiedene Aspekte des Lebens behandelt. Sie verurteilt die Politiker, die die Schwarzen diskriminieren, beschreibt unsere historischen Persönlichkeiten wie Lampiao, Maria Bonita, die Königin von Saba, den Pharao von Ägypten usw. Zugleich ist sie eine Botschaft der Hoffnung.
Euer Lied “Avisa lá” wird auch von Gil und Caetano auf ihrer LP “Tropicália 2” interpretiert. Wie sind Eure Kontakte zu den “quatro baianos” Gil, Caetano, Maria Bethania und Gal Costa?
Gil ist seit vielen Jahren ein Weggenosse im antirassistischen Kampf, und auch Caetano hat sich in den letzten Jahren den Ideen Olodums angeschlossen. Das Thema des Karnavals 1994 war der Tropicalismo, den sie begründeten. Caetano Veloso beteiligte sich zusammen mit Roberto Beto, unserem Kunstdirektor, an den Kostümen (fantasias). Wir führten Blocos de Indios auf, die an die 70er Jahre erinnerten. Gal Costa hat Revolta do Olodum aufgenommen und Bethania hat von Caetano Reconverso gespielt, ein Lied, das von Bahia handelt und fragt “wer hat noch nicht Olodum im Pelourinho spielen gesehen?”.
Die Beziehung zu ihnen ist eng, obwohl es damals in Bahia zwei verschiedene Wege von Widerstand gab. Caetano, Gil, Gal Costa und Maria Bethania leisteten mit ihrer künstlerischen Konzeption der Diktatur Widerstand. Sie verließen sehr früh Brasilien und produzierten weiterhin brasilianische Musik von hoher Qualität. Unsere Situation war schwieriger, weil wir in Brasilien blieben und die Diktatur am eigenen Leibe erlitten. Wir haben eine eigene Vorstellung von Philosophie, Kunst, Kultur und Widerstand; dem Widerstand der Jugendlichen, die in den 70er Jahren Brasilien nicht verlassen haben und die afrikanische und karibische Kultur mit dem antirassistischen Kampf verbanden.
Was sagt Ihr zu dem Vorwurf, Eure neueste LP sei zu kommerziell geworden?
Olodum ist eine populäre Gruppe, die für alle verständlich sein soll. Die Musik, die wir jetzt machen, ist zugänglicher als früher. Vorher sprachen wir von Dingen, die ohne genauere Kenntnisse schwierig zu verstehen waren. Z.B. spielen wir ein Stück über die Pharaonen. Heute sagt Olodum etwas über die Welt aus, in der wir uns befinden, wo vieles zum Leben fehlt und die Politiker betrügen. Jetzt ist es direkter. Wir machen Musik, die von mir, dir und dem politischen Alltag handelt. Wir benutzen mehr portugiesisch, während wir früher in afrikanischen Sprachen, wie Yorubá (Benin, Nigeria) sangen, die nicht jeder verstand. So sehr wir auch politisieren möchten, haben wir die Aufgabe, Menschen zu sein. Wir möchten in einer menschlichen Welt leben anstatt in einer illusionären Welt aus Luft, die nur über politische Fragen redet. Wir haben viele Lieder über das Ende der Apartheid und über die Befreiung Nelson Mandelas gemacht. Jetzt wurde Nelson Mandela befreit und es gab Präsidentschaftswahlen. Was sollen wir machen, nicht mehr über die Armut in Südafrika reden? Olodum hat den künstlerischen Weg einer langsamen, schrittweisen Revolution eingeschlagen. Z.B. sind das Klavier und das Saxophon nicht Eigentum der Weißen, der Gelben oder der Schwarzen. Es sind Instrumente, die sich vor langer Zeit entwickelten. Jedes Volk kann sie benutzen und Musik mit ihnen machen. Eine 15 Jahre alte Gruppe ist zu jung, um in einem Bereich der künstlerischen und menschlichen Erfahrung gefangen zu bleiben. Wir müssen mit allem experimentieren: Schallplatten, Computer, Video, Aufnahmegerät. Wenn wir ein Konzert auf dem Mond geben könnten, würden wir es tun.
Welches sind Eure Ziele als Teil der Schwarzenbewegung?
Olodum ist wahrscheinlich das spektakulärste Element der brasilianischen Schwarzenbewegung. Seit 1695, dem Ende des Quilombo de Palmares, gab es keine Organisation mit solcher Energie zum Kampf und dessen Verbreitung. Als wir 1979 anfingen, gab es keine Organisation, die die Erfahrungen des Candomblé und der Capoeira zusammenfasste. Olodum führt zusammen mit dem Movimento Negro Unificado, der Gewerkschaft und indianischen Gruppen den Kampf gegen die Apartheid und für Bürgerrechte. Hauptziel von Olodum ist, die Anerkennung der Schwarzen durchzusetzen. Wir müssen noch für viele Sachen kämpfen, die Schwarze in anderen Ländern schon haben. Wir haben keine schwarzen Minister, keine schwarzen Generäle, keine schwarzen Ökonomen in Brasilien, Ausnahmen gibt es im Fußball und der Musik. Unser Ziel ist es, in Bereichen wie Handel, Industrie, Universität, Armee, Politik präsent zu sein. Wir benutzen eine neue Form, die Politik, Kultur, Kunst und Erziehung mischt und das schwarze Selbstbewußtsein und den antirassistischen Kampf fördert. Der Zugang zu Olodum ist nicht auf Schwarze beschränkt. Im Gegenteil, wir möchten, daß Nichtschwarze an unseren Aktionen teilnehmen. Wir handeln wie Mandela und der ANC: sie haben ein rassistisches System bekämpft und sich auf die Machtübernahme vorbereitet. Als sie an die Macht gelangten, regierten sie mit allen. Unsere Perspektive ist, an die Macht zu kommen und für alle zu regieren – nicht wie jetzt, wo die Minderheit der Mehrheit befiehlt.
Glaubt Ihr, daß dieser Weg mit Parteien zu gehen ist?
Wir beteiligen uns an keiner Partei. Dies muß ein Wunsch der Gesellschaft sein. Man braucht Parteien und die Zivilgesellschaft, Kirche, Presse, Rechtsanwälte, Architekten, Ingenieure, Arbeiter, um das Land zu verändern. Es muß ein neues soziales Gespräch geben. Die heutigen Parteien, die Olodum fördern, sind linke Parteien, weil wir eine demokratische und progressive Organisation sind. Unsere Priorität liegt bei der PCB, PCdoB, PT und einigen Bereichen der PDT. Diese Parteien haben die gleiche Zielsetzung wie wir. Auch progressive Kräfte der Kirche möchten das Elend und die Armut beenden. In Brasilien ist Rassismus durch die Ausbeutung der Frauen, der Armen etc. charakterisiert. Also müssen wir alle Betroffenen zusammenrufen, um etwas dagegen zu tun.
Letztes Jahr hat Cristina Maria Santos Rodrigues (Präsidentin von Olodum 1983-1989) eine Kampagne gegen den Sextourismus initiiert.
Vor zwei Jahren gründete Cristina eine Frauengruppe zur Verteidigung der Rechte der Frauen. Als sie die Möglichkeit hatten, nach Deutschland zu kommen, erfuhren sie vom Frauenhandel mit Brasilianerinnen aus dem Nordosten, die durch fingierte Heiraten nach Europa kommen. Salvador und Recife sind die am stärksten betroffenen Städte, was die sexuelle Ausbeutung betrifft. Es wird versucht, auf Fälle aufmerksam zu machen. Die Frauen haben es geschafft, die brasilianischen Frauen und Männer aufzurütteln, indem sie das Seminar Mae, Mulher e Maria initiiert haben. Es ist öffentlich für Frauen und Männer und Gäste von verschiedenen Orten und wird einmal im Jahr im Casa do Olodum veranstaltet.
Früher war der Pelourinho/Maciel der Platz, wo die schwarzen SklavInnen ausgepeitscht wurden. Ihr habt Euch diesen Platz zurückerobert. Heute gibt es das Problem der Sanierung vieler Häuser. Wie sieht der Kampf der AnwohnerInnen aus, um in ihren Häusern zu bleiben?
Joel: Der Sanierungsplan der Regierung wurde ausgeführt: 80% des historischen Zentrums wurden bereits in vier Etappen saniert. Jetzt beginnt die fünfte Etappe in San Antônio, Pascoal. Pelourinho, Maciel, Terreiro de Jesus, Praça da Zé wurden schon restauriert. Die ehemaligen Anwohner mußten in Vororte umziehen. Sie benutzten die Entschädigungen, um ein Stück Land in der Peripherie zu kaufen, aber viele bekamen zu wenig Geld ausgezahlt.
Die Sanierung des historischen Zentrums war in Wirklichkeit ein Plan des Gouverneurs von Bahia, um Präsidentschaftskandidat zu werden. Nach der Sanierung ist er als Kandidat aufgestellt worden. Eigentlich ist es ein wichtiges Projekt gewesen, die historischen Häuser zu restaurieren, aber in das historische Zentrum ist der Kommerz eingezogen. Die Bewohner sind vertrieben worden. Wir haben es nicht geschafft, gegen ein so starkes System anzukommen; nur einige kulturelle Treffpunkte, wie die Bar do Reggae, konnten erhalten werden. Die Finanzierung reichte nicht zur Beendigung der Sanierung aus. Es gibt noch immer viele Häuser, wo nur die Fassaden stehen. Die Straßenhändler sind jetzt marginalisiert und haben keinen Standort mehr, weil sich die bahianische Bourgeoisie in der Altstadt breitgemacht hat.
Welche Funktion hat die Escola Criativa do Olodum?
Joao Jorge: Die Escola Criativa do Olodum ist eines der wichtigsten sozialen Projekte von Olodum. Letztes Jahr wurde ein altes Haus für die Schule im Pelourinho gekauft und mit der Sanierung begonnen. Heute wird sie von 350 Kindern zwischen 6 und 16 besucht. Verschiedene Kurse wie Percussion, Tanz, Portugiesisch, Geschichte sowie Gesundheitsvorsorge werden angeboten. Es wird eine “interethnische” Pädagogik benutzt, die von dem Bahianer Mauro Almeida entwickelt wurde und indianische, schwarze und europäische Erfahrungen mischt, ohne sie zu bewerten. Die Escola Criativa ist auch Partner des Projektes Axé. Die musikalische Ausbildung schloß die Kinder von der Straße zusammen, die keine Straßenkinder sind. Wir nehmen alle Kinder, wir geben allen die gleiche Behandlung, egal ob sie auf der Straße leben oder Familie haben. Im Moment befindet sich die Kinderband, die Banda Mirim, in Port Bouin, Südfrankreich zu einem internationalen Austausch mit französischen Jugendlichen, wo sie Französisch, Informatik und Videotechnik lernen. Danach werden die französischen Jugendlichen nach Bahia fahren, um Percussion zu lernen.
Ihr habt jetzt einen Verlag gegründet, das erste Buch ist im Frühjahr erschienen. Was sind die Themen für die nächsten Bücher?
Die nächsten Bücher werden für und über Kinder sein, z.B. ein Candomblé-Buch für Kinder, ein Buch über die Geschichte der Schule von Olodum und das politische und ideologische Engagement. Die Idee ist, Publikationen über afrobrasilianische Themen rauszugeben: Freiheit und Demokratie.
Vor einiger Zeit wollte die ganze Welt, daß es keine Mauer gibt. Viele wollten, daß der Kampf zwischen Palästinensern und Juden aufhört, wie auch die Apartheid. Aber die ganze Welt denkt, daß es in Brasilien Gleichberechtigung gibt. Wir haben viele Gründe zu sagen, daß dies nicht zutrifft und es noch viel zu verändern gibt. Deshalb ist es wichtig, unsere Utopien und Träume ausdrücken zu können, damit die Menschen nicht nur sagen: dort gibt es Strände, Getränke, schöne Menschen und Karneval. Diese Sachen haben einen hohen Preis und wir sind die Opfer davon. Zwei unserer Mitglieder wurden von der bahianischen Militärpolizei angeschossen. Einem anderen wurde der Arm von der Militärpolizei gebrochen. Heute hat sich das Verhältnis zur Polizei durch die politische Macht von Olodum verändert. Doch nicht alle Brasilianer haben die Möglichkeit, frei und ohne Bedrohungen zu reden. Wir müssen trotz Ängsten weiterkämpfen, bis wir unsere Ziele erreicht haben.
Abelardo Barroso und die vergessene Stimme des Son
Gesang und ein
Hauch von Tabak
Den Danzón, das Erbe französischer culture und spanischer Regimentskapellen, verdrängt den Son musikalisch wie atmosphärisch. Der Gemessenheit der charangas francesas mit ihren Holzbläsern und Violinen setzt der Son die Unbekümmertheit der Provinz entgegen, als kulturelles Erbe Afrikas und der Sierra Maestra, mit einem Hauch von Tabak, Melasse und gebratenem macho. Der Son ist volkstümlicher, wilder und billiger als der Danzón, er kann überall gespielt werden, spontan, ohne Bühne, ohne Stühle, ohne Klavier und Gelehrsamkeit. Seine Instrumente zusammen kosten weniger als eine einzige Violine, und so begnügen sich die frühen Sextette mit Open Air, Eingebung und Improvisation, mit Gitarre, Tres, Rasseln, Claves, Bongos und bearbeiteten Tonkrügen oder Holzschachteln jeweils als Baß und Kontrabaß. Vor allem: der Son lebt vom Gesang und der Stimme, aber anders als das Teatro Nacional von Caruso, der in Havanna am Abend zehntausend Dollar bekommt. Der Son mit seinen Sextetten, Septetten und dem Trio Matamoros löst nicht nur den Danzón ab, sondern auch Caruso und Walzer in den Musikautomaten; durch Radio und Schallplatte verfeinert sich schließlich die Stimme des Sonero, und das führt zum Auftritt, qué dulzura, von Abelardo Barroso.
Der Name klingt nach Tango oder Erudition, aber Barroso sucht das Boxgeschäft und landet als Sänger bei den ersten und wichtigsten Son-Formationen, die sich in Havanna bilden (Sexteto Habanero, Sexteto Boloña, später Sexteto Nacional). Sein Solo rivalisiert mit dem mehrstimmigen Chor und die melodiöse Stimme trägt über den dumpfen Klang von botijuela und marímbula hinweg, den Baßinstrumenten aus der Heimwerkstatt. Sein Gesang läßt die schlechte Aufnahmequalität von damals, Kratzen und Hupen, vergessen: “Mujeres Enamórenme”.
Barroso ist der Carusito des Son, Sonero mayor und einer der größten Soneros aller Zeiten. Doch in den dreißiger Jahren gründet er eine eigene Charanga und verschreibt sich dem Danzonete: dem Danzón, der die Einflüsse des Son aufnimmt als danzón cantado, also Danzón mit Gesang, aber ohne Chor. Der Danzonete lebt kurz, von Leidenschaft, Tragik, Bolero und vor allem durch Barbarito Diez/”Ay, Aurora”. Die Charanga López-Barroso allerdings wird bekannt nicht nur durch die Stimme von Barroso/Carusito, sondern auch durch Orestes López, den Vater des künftigen Mambo.
Mambo statt Schwermut
Der Mambo ist das Zugeständnis des Danzón/Danzonete an die afrikanischen Wurzeln der kubanischen Musik: Schon 1939 erweitert das Orchester von Antonio Arcaño seine Charanga um Congas, und zusammen mit dem lebendigen Baßspiel von Israel López (dem legendären und bescheidenen “Cachao”, der später die Cuban Jam Sessions im New Yorker Exil einführt) bekommt der Danzón einen neuen Rhythmus und der Tanz mehr Ausgelassenheit. Durch den Mambo und andere Zutaten (Kuhglocke an den Timbales, Cello und Viola) gelangt der Danzón aus den bürgerlichen Salons auf die Straße und reicht von Havanna bis nach Yucatán. Der Mambo von Pérez Prado dagegen entsteht erst zehn Jahre später und ist ein Markenzeichen ohne Danzón, denn der “König” des Mambo entwirft kein Arrangement, sondern schafft einen eigenen Stil, mit Big Band, schnellerem Takt und kubanischer Perkussion, in Mexiko und weiter nördlich.
Orestes López entwickelt also den Danzón/Mambo und Arsenio Rodríguez, Sonero und Tresero, den Montuno (eine Art Mambo für den Son), doch Barroso kultiviert nur die Melodie und Perfektion seiner Stimme. Barroso bleibt als Sonero oder Charanguero ein musikalischer Traditionalist und gerät in den vierziger Jahren in Vergessenheit, während Beny Moré, inspiriert von Pérez Prado, die Posaune in die afrokubanische Musik einführt, den Tres durch das Saxophon ersetzt und dem Mambo eine Stimme gibt. Beny Moré, nur der “Prinz” des Mambo, bleibt aber im Grunde beim Son, den er mit Mambo, Batanga und anderen Sachen anreichert. Barroso bleibt in der Versenkung, aber die Arrangeure des Danzón sind kreativ, und mit dessen Entwicklung zum Cha-Cha-Cha in den fünfziger Jahren wird Barroso erneut entdeckt und singt mit dem Orchester Sensación: Cha-Cha-Cha ist der Enkel des gesungenen Danzón, mit kurzen Phrasen eines Chors, der von Violinen unterstützt wird. Barroso singt zwischen Flöten, Violinen und Chor, also im Orchester einer Charanga, im langsamen Takt, zum Geräusch des schrappenden Guiros (Flaschenkürbis) oder der schlurfenden Tanzschuhe: Cha-Cha-Cha.
Erst als Pachanga und Rock’n Roll Furore machen, in den späten Fünfzigern, kehrt Barroso nach Oriente zurück, zur Schwermut der Boleros und zur Tradition des Son. Barroso singt im Conjunto seiner Freunde, der Gloria Matancera, denn die alten Septette haben inzwischen eine zweite Trompete, Congas, Timbales und ein Klavier dazugenommen. In der Gloria Matancera indessen steht nicht das Klavier im Mittelpunkt (wie bei der berühmten Sonora Matancera und anderen Conjuntos), sondern der traditionelle Tres mit seinen drei Doppelsaiten und, natürlich, die Stimme Barrosos.
Barroso erreicht seinen künstlerischen Höhepunkt und das Maximum an dulzura als Sänger der Gloria Matancera. Er veredelt den Son und weitere Genres aus Oriente mit seiner Stimme und seiner Erfahrung. Machito, einer der Big Three des Mambo in New York, arrangiert die “Guajira Guantanamera” mit vielen Saxophonen und Metall, aber der große Barroso zeigt bei “Guantanamera” wie auch sonst Innovation und Einfluß des Jazz in einer Mischung aus feeling und Kunstlied. Barroso verleiht der Stimme größere Freiheit und damit dem Son eine neue Atmosphäre: seinen Gesang legt er mehr in die Harmonie als in den Rhythmus.
Barroso verändert also den Son durch seine Stimme und bereichert ihn um dulzura und die Eleganz des Danzón/Danzonete. Dabei wandert er durch die ganze kubanische Musikgeschichte, fort von und immer wieder zurück zum Ursprung, dem Son. Aber Barroso, ay, endet wie in einem tragischen Bolero, von den meisten Leuten verkannt und vergessen, so wie der Danzonete.
Der schwarze Mittwoch
“Seit 25 Jahren gab es keinen solchen Polizeieinsatz mehr, selbst während der Militärdiktatur (1973-1984) haben die Milicos bei den verbotenen Demonstrationen zwar übel geprügelt und Gas und Gummigeschosse eingesetzt, aber nie scharf auf unbewaffnete DemonstrantInnen geschossen”, berichtet eine ältere Aktivistin. Die Regierung verkündete derweil in Abwesenheit des auf Wahlkampftour befindlichen Präsidenten, es habe mehr verletzte Polizisten als DemonstrantInnen gegeben und verteidigt ihr Vorgehen damit, daß sie entschlossen gegen internationalen wie nationalen Terrorismus vorgehen müsse. Innenminister Gianola sah zunächst keine Veranlassung, dem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Er begab sich erst dann ins Abgeordnetenhaus, als am 7.September die notwendige Stimmenzahl, für die Erzwingung einer großen Anfrage zusammenkam, bei der er sich den Fragen der ParlamentarierInnen stellen mußte.
Zahlreiche Gewerkschaften, soziale Organisationen, u.a. auch das Linksbündnis Frente Amplio fordern den Rücktritt des Innenministers. Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften und viele nationale und internationale Verbände und Organisationen haben Protestschreiben geschickt und fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Im Parlamentsausschuß für Menschenrechte werden Videoaufnahmen gesichtet, und ein Richter nimmt die Anzeigen von Betroffenen und Zeugen auf. Die spanische Regierung hingegen schickt Noten, in denen beteuert wird, daß viele Menschen in Uruguay “offensichtlich ungenügend oder falsch informiert sind”.
Der Entzug der Sendelizenz für Radio Panamericana CX 44 und die 48stündige Schließung von Radio CX 36 – beide hatten ständig aktuell über die Situation vor der Klinik El Filtro berichtet – lösten auch international heftige Proteste aus. Der Innenminister versucht offensichtlich im Zuge des Wahlkampfs in die Offensive zu gehen. Er spricht von ultralinken Splittergruppen (er meint damit in erster Linie die MLN Tupamaros), die die gewalttätigen Auseinandersetzungen provoziert hätten und beschuldigt zwei Radiosender, zur Gewalt angestiftet zu haben. Ein Staatsanwalt gibt bekannt, daß er Strafverfahren gegen verantwortliche Redakteure bzw. die Direktion von Radio Panamericana einleiten wird. Vorwurf: Falschinformation, Verunglimpfung von Staatsorganen etc.
Die baskischen Gefangenen in Uruguay
Der Fall der baskischen Gefangenen hatte in Uruguay erheblichen Wirbel ausgelöst. Am 15.Mai 1992 wurden in einer Großaktion der uruguayischen Polizei insgesamt 24 Baskinnen und Basken, teilweise mit ihren Kindern, festgenommen. Bis auf sechs wurden die meisten sehr schnell wieder freigelassen. Die Vorwürfe gingen vom Besitz falscher Personaldokumente bis zur Mitgliedschaft in der ETA. Schon bei den polizeilichen Ermittlungen gab es einige Unregelmäßigkeiten und Rechtsbrüche, so wurden z.B. auch die Kinder der Festgenommenen, einige davon waren minderjährig, erkennungsdienstlich behandelt und verhört. Bei den Hausdurchsuchungen und Verhören in Montevideo waren auch spanische Polizeibeamte zugegen, und Staatsanwalt Langón gab schon vor dem Abschluß der Verfahren im Fernsehen etwas voreilig bekannt, daß die Ausweisungen vollzogen würden.
Es gründete sich daraufhin relativ schnell ein unabhängiges Komitee zur Unterstützung der baskischen Gefangenen. Es wurden Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert, Weihnachtspakete in den Knast geschickt und die “Kommission für Recht auf Asyl” sammelte letztes Jahr über 25.000 Unterschriften.
Zur Chronologie der Ereignisse
Nach 27 Monaten Gefängnis beginnen am 11. August die drei baskischen Gefangenen Jesús Goitia, Mikel Ibañez und Luis María Lizarralde einen Hungerstreik “bis zur letzten Konsequenz”, um nicht an Spanien ausgeliefert zu werden.
Freitag, 19.August:
Der Staatsanwalt unterschreibt die Aussetzung des Verfahrens, weswegen die Basken in Uruguay verurteilt waren (gefälschte Papiere). Die Basken können jetzt an die spanischen Behörden übergeben werden. Sie beschließen neben ihrem Hungerstreik, sofort einen Durststreik zu beginnen und werden in die Klinik “El Filtro” verlegt.
Samstag, 20.August:
Mehrere hundert Leute versammeln sich vor der Klinik, um ihre Solidarität mit den Basken zum Ausdruck zu bringen. Weder die Anwälte noch Abgeordnete der Frente Amplio dürfen mit den Gefangenen sprechen. Die Presse trifft vor dem Hospital ein, um Interviews zu machen und zu berichten.
Sonntag, 21.August:
Der Gesundheitszustand der drei Basken verschlechtert sich nach Auskunft der behandelnden Ärzte kontinuierlich. (Es ist der 11. Tag des Hungerstreiks).
Die mesa representativa des Gewerkschaftsdachverbandes PIT-CNT ruft für den kommenden Tag alle ArbeiterInnen zur Kundgebung vor dem Krankenhaus Filtro auf. Das Linksbündnis Frente Amplio erabschiedet eine Erklärung, in der das Recht auf Asyl für die drei Basken gefordert wird. Rund um die Uhr sind Menschen vor der Klinik präsent.
Montag, 22.August:
Die Gewerkschaft der LehrerInnen der staatlichen Schulen beschließt, an diesem Tag zu streiken. Auch die Uni beendet ihre Kurse um 10 Uhr. Am Krankenhaus Filtro werden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Der Erzbischof von Montevideo ruft dazu auf, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Innenminister Gianola bleibt dabei, daß die Solidaritätsdemos lediglich politische Motive hätten und kündigt an, daß die Auslieferung am Mittwoch, dem 24.8. durchgeführt werde. Am gleichen Tag wird bekannt, daß ein Flugzeug des spanischen Königs, ausgestattet mit Geräten für Intensivmedizin, die drei Basken abholen wird. 30.000 Unterschriften werden zur Unterstützung eines Gesetzesantrags vorgelegt, der die Auslieferung an Spanien untersagt. Während sich der Gesundheitszustand der drei Basken ständig verschlechtert, treffen immer mehr Menschen vor der Klinik ein. Ein großer Demonstrationszug trifft gegen 21.30 Uhr vor der Klinik ein. Alle Bemühungen, politisches Asyl fÜr die Basken zu erreichen, sind bislang gescheitert, die Regierung beharrt auf ihrer Haltung: “Es gibt einen Beschluß der Justiz zur Auslieferung der Basken, wer gegen die Ausführung dieses Beschlusses agiert, richtet sich gegen die Staatsgewalt.” Es wird berichtet, daß mehrere Beamte der spanischen Polizei in Montevideo anwesend seien, was jedoch nicht offiziell bestätigt wird. Der Gewerkschaftsdachverband PIT-CNT ruft zum Streik und zu einer Kundgebung vor dem Krankenhaus Filtro auf. Die Medien berichten laufend über die Auslieferung der Basken und über die Demonstrationen.
Dienstag, 23.August:
Viele Sektoren der Wirtschaft, wie Banken, Transport und Bildung beteiligen sich am Streik. Tausende ziehen während des Tages vor die Klinik Filtro. Innenminister Gianola nennt den Hungerstreik eine “Erpressung”.
Luis María Lizarralde hat Nierenfunktionsstörungen und Jesús Goitia wird wegen Herzbeschwerden auf die Intensivstation verlegt. Ein Versuch, das politische Asyl für die Basken über die Kommission für Menschenrechte im Abgeordnetenhaus zu erreichen, scheitert ebenfalls. Der Gewerkschaftsdachverband PIT-CNT entscheidet mit knapper Mehrheit den Generalstreik ab Mitternacht auszusetzen. Für den Mittwoch wird jedoch zu einer erneuten Kundgebung vor der Klinik aufgerufen. Der uruguayische Botschafter in Madrid teilt mit, er habe via Telefon Morddrohungen erhalten. Vertreter von Herri Batasuna erklären einen Tag später, daß die ETA nichts mit diesem anonymen Anruf zu tun habe und nicht Uruguay, sondern lediglich die spanische Regierung für die Situation verantwortlich sei.
Ein Parlamentsabgeordneter von Herri Batasuna ist in Montevideo eingetroffen und führt Gespräche mit Parlamentariern, um die Auslieferung der drei Basken zu verhindern.
Mittwoch, 24.August:
Die Lage im Umfeld der Klinik, die seit Samstag von starken Polizeieinheiten abgeriegelt ist, verschärft sich. Es gibt mehrere Verletzte, als die Polizei in den Morgenstunden einen Platz nahe der Klinik räumt. Immer mehr Menschen kommen während des Tages zum Filtro. Seit mehr als vier Tagen sind trotz naßkaltem Wetter rund um die Uhr Leute vor Ort.
Um 15.30 Uhr fordert Minister Gianola die Menschen auf, sich zurückzuziehen und teilt mit, daß die Polizei jedem Versuch, den Abtransport zu verhindern, mit allen Mitteln entgegentreten werde. Das Flugzeug aus Spanien trifft mit Verspätung ein, weil der Flughafen in Montevideo abgeriegelt und nach Bomben durchsucht wird. Gegen 17 Uhr befinden sich etwa 10.000 DemonstrantInnen vor der Klinik im Stadtteil Jacinto Vera. Die Polizei beginnt, mit Schlagstöcken, Gasgranaten und berittenen Spezialeinheiten gegen die Demonstration vorzugehen. Journalisten und Fernsehleute werden von der Polizei angegriffen. Obwohl es bereits die ersten ernsthaften Verletzten gibt, bleibt eine Menge Leute jeder Altersstufe vor der Klinik präsent. Es sind Menschen aus Betrieben und Schulen, VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen, SchülerInnen und StudentInnen, VertreterInnen von politischen Parteien etc.
Radio Panamericana erhält Drohanrufe und Morddrohungen gegen JournalistInnen.
Kurz nach 20 Uhr fahren fünf Krankenwagen, eskortiert von neun Polizeifahrzeugen, zur Klinik. Sie wählen genau die Zufahrtsstraße, auf der die Mehrheit der DemonstrantInnen versammelt ist. Die Polizei beginnt, in die Menge zu schießen. Spezialeinheiten der Polizei, teilweise beritten, prügeln auf die DemonstrantInnen ein. Es sind via Radio und Fernsehen Schüsse zu hören.
Originalton Fernsehkanal 10: “Was passiert gerade?” – “Es ist furchtbar, die Polizei schießt auf die Leute. Hört ihr nicht die Schüsse?” – “Wie, Schüsse, gibt es einen Schußwechsel?” – “Nun, ich werde mich jetzt nicht in die Schußlinie begeben, um zu sehen, ob aus verschiedenen Richtungen gefeuert wird.”
Der Stadtteil Jacinto Vera ist von der Polizei abgeriegelt, in zahlreichen Straßen ist der Strom abgestellt worden. Über Radio Panamericana CX 44 und Radio CX 36 Centenario berichten die ReporterInnen zum letzten Mal über diesen Polizeieinsatz. Die Sender haben sich zu einer gemeinsamen Ausstrahlung entschlossen. Es sind Schüsse und Schreie von Verletzten zu hören. Die JournalistInnen bitten dringend, Krankenwagen nach Jacinto Vera zu schicken. Radio Panamericana fordert alle Leute, vor allem die Jüngeren, auf, sich um Gottes Willen aus dieser Zone zurückzuziehen, in der die Polizei im Schutze der Dunkelheit regelrecht Jagd auf Menschen macht.
Sämtliche Zufahrtsstrassen zum Flughafen sind hermetisch abgesperrt. Aus östlicher Richtung kann für einige Stunden niemand mehr nach Montevideo fahren. In verschiedenen Straßenzügen rund um den Flughafen sind Strom und Telefon abgestellt. Helikopter kreisen permanent über dem Flugfeld. 12 Krankenwagen und 30 Polizeifahrzeuge bilden die Wagenkolonne, welche die drei Basken zur Luftwaffenbasis am Flughafen Carrasco fährt, wo das spanische Flugzeug bereitsteht. Zwei uruguayische Minister übergeben die drei Basken an die spanischen Behörden.
Die Opfer
Der Demonstrant Alvaro Fernández Morroni (24 Jahre) stirbt an den Folgen seiner Schußverletzungen. Es gibt über 100 Verletzte, viele davon mit Schußverletzungen, wobei die Dunkenziffer noch höher liegen dürfte, da nicht alle Verletzten in Krankenhäusern behandelt wurden. Esteban Mazza, Angestellter im medizinischen Dienst, ist schwer verletzt. Auf ihn ist viermal geschossen worden, als er einen Verletzten versorgen wollte. Ein 18jähriger Student schwebt in Lebensgefahr, er hat u.a. eine schwere Schußverletzung am Kopf. Zahlreiche Menschen waren vorübergehend festgenommen worden.
Am Donnerstag wird der Abgeordnete von Herri Batasuna des Landes verwiesen.
Am Freitag, den 26. August, wird Alvaro Fernando Morroni beerdigt. Viele tausend Menschen beteiligen sich am Trauerzug, der auch zu einer großen Demonstration gegen Repression und Gewalt wird.
Die Regierung ordnet am gleichen Tag die Schließung von Radio CX 44 und Radio CX 36 für 48 Stunden an. Sie beruft sich dabei auf ein Dekret aus der Zeit der Militärdiktatur, in dem festgelegt wurde, daß Duplex-Sendungen (gemeinsame Ausstrahlungen) 14 Tage im voraus angemeldet werden müssen. Wenige Stunden danach ordnet die Regierung die endgültige Schließung von Radio Panamericana CX 44 an. Formaljuristisch wurde der Sender geschlossen, weil beim Eintritt neuer Gesellschafter angeblich versäumt wurde, offiziell alte Gesellschaftsteile abzutreten und sich von der Behörde die entsprechenden Stempel zu besorgen. Die politische Begründung des Innenministers ist freilich eine andere – Agitation und Aufruf zur Gewalt.
Pikanterweise operiert die Regierung mit einer Verordnung, in der an anderer Stelle auch steht, daß keine Person oder wirtschaftliche Gruppe über mehr als zwei Medien verfügen darf. Wenn dies tatsächlich angewendet würde, könnten morgen die meisten Zeitungen und Radios dichtmachen, weil einige wohlhabende Leute gleich mehrere Sender und Zeitungen haben.
Auf juristischer Ebene laufen z.Zt. Verfahren gegen diese Anordnung. Die MitarbeiterInnen von Radio Panamericana setzten sich für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze ein, und es ist schon erstaunlich, wie breit auch die internationale Solidarität mit dem geschlossenen Sender ist. So sind Faxe aus aller Welt eingetroffen von Journalistenverbänden, Parteien, Gewerkschaften, anderen Radiostationen, dem Weltverband der Comunity Radios AMARC. In mehreren Ländern wurden spontan Flugblätter verteilt und zu Spenden aufgerufen. Die vergilbte Wand im Empfangsraum des Radios ist neu mit Briefen und Solidaritätserklärungen “tapeziert”.
Nach dem Bombenanschlag wächst die Angst
Der Schaden ist unermeßlich
Die “Mutual”, wie sie von den Porteños genannt wurde, war im Gegensatz zu der vor zwei Jahren gesprengten israelischen Botschaft keine ausländische Vertretung, sondern ein 1894 gegründetes argentinisch-jüdisches Zentrum. In dem siebenstöckigen Gebäude, das völlig zerstört wurde, waren unter anderem eine Anlaufstelle für bedürftige Menschen, ein Theater und ein Arbeitsvermittlungsbüro untergebracht. Auch die Dachorganisation aller jüdischen Vereinigungen DAIA (Delegación de Asociaciones Israelitas Argentinas), eine Art politische Vertretung der jüdischen Gemeinschaft in Argentinien, befand sich im Gebäude in der Pasteur Straße. Samuel Rollansky, 92-jähriger Leiter des Instituts für jüdische Studien: “Seit dem Anschlag kommt es mir vor, als hätte ich an meiner eigenen Beerdigung teilgenommen.” Das Lebenswerk des polnischen Immigranten, die 70.000 Bände umfassende Bibliothek über jüdische Kultur, ist fast vollständig verlorengegangen.
Präsident Menem, der versuchte, das Attentat für einen weiteren Vorstoß zur Durchsetzung repressiver Politik zu nutzen, versprach: “Die geistigen und materiellen Urheber des Anschlags werden eine unangenehme Überraschung erleben. Ich bin sicher, daß die Geheimdienste in kurzer Zeit positive Ergebnisse vorweisen werden”. Die Opposition zeigte sich dagegen wenig beeindruckt vom hektischen Aktivismus der Regierung, der von der Ankündigung eines Anti-Terrorismus- Gesetzes bis zur Schaffung eines Sicherheitsrates ging. “Unsere Geheimdienste bewegen sich immer noch in einer Logik der kommunistischen Bedrohung”, erklärte José Manuel Ugarte von der “Radikalen Bürgerunion” (UCR). Aus der ebenfalls angekündigten Einführung der Todesstrafe wurde in der verfassungsgebenden Versammlung in Santa Fe schließlich doch nichts. Gerade Urheber solcher Attentate werden sich kaum von der Todesstrafe abschrecken lassen. Auf dem großen Trauermarsch, an dem 150.000 Menschen teilnahmen, sah sich das Staatsoberhaupt schließlich einer geladenen Stimmung gegenüber. Die Buhrufe waren auf der Tribüne nicht zu überhören.
Angesichts dieses zweiten großen Terroranschlags auf eine jüdische Einrichtung in Argentinien wird deutlich, daß das, was für die “Gerechtigkeitspartei” des Präsidenten noch vor kurzem als Erfolg verbucht werden konnte, sich inzwischen in ein großes Manko verwandelt hat: die Einmischung Argentiniens in das internationale Politikgeschäft. “Die Teilnahme von zwei argentinischen Fregatten an der ‘Operation Wüstensturm’ im Golf hat das Land in das größte Pulverfaß der illusorischen neuen Weltordnung gezerrt”, schrieb Horacio Verbitsky in seiner Sonntagskolumne in Página 12. Außerdem sei diese Entscheidung ohne Zustimmung des Kongresses per Dekret verordnet worden: “Dabei ging es nicht um argentinische Interessen, sondern darum, sich bei einer Supermacht beliebt zu machen – eine pathetische Hinterwäldler-Phantasie, um in internationalen Ereignissen mitmischen zu dürfen.”
Obskure Beziehungen
des Präsidenten
Gerade in Anbetracht der Äußerungen Menems nach dem Anschlag erscheinen die privaten und familiären Beziehungen des syrienstämmigen Präsidenten interessant. Immerhin scheint der syrische Waffenhändler Al Kassar mehr als nur ein Verwandter der Präsidentenfamilie Menem zu sein. Der reiche Geschäftsmann, dem eine Beteiligung am Lockerbie-Anschlag nachgesagt wird, erhielt die argentinische Staatsbürgerschaft in der Rekordzeit von 30 Tagen – eine erstaunliche Leistung der sonst nicht gerade flinken argentinischen Bürokratie. Den argentinischen Reisepaß erhalten normalerweise selbst verheiratete AusländerInnen erst nach etwa einem Jahr. Noch leichter hatte es da Ibrahim al Ibrahim, ein Familienangehöriger der ehemaligen Präsidentengattin. In elf Tagen erhielt er nicht nur das blaue Dokument, sondern auch noch einen verantwortungsvollen Posten in der Zollbehörde des internationalen Flughafens Ezeiza. Schließlich flog der famose nicht einmal des Spanischen mächtige Beamte wegen Korruption und Verwicklung in Drogengeschäfte auf.
Während der mit der Untersuchung des Bombenanschlags beauftragte Staatsanwalt Juán José Galeano außer der zweifelhaften Aussage eines ehemaligen iranischen Diplomaten noch Spuren nachgeht, die zum Käufer des beim Anschlag verwendeten Lieferwagens führen sollen, steht für Präsident Menem der Urheber des Verbrechens längst fest: “Wir können den fast vollständigen Beweis einer iranischen Mittäterschaft erbringen.” Wie eine solche halbe Beweisführung aussehen soll, ist selbst in diplomatischen Kreisen nicht verstanden worden. Der Jurist Menem scheint sich der Tragweite des Ausdrucks “semiplena prueba” nicht ganz bewußt gewesen zu sein. Seine freie Übersetzung aus dem Juristenkauderwelsch bedeutet in etwa “feste, nicht nachweisbare Vermutung”. Auch die iranische Regierung hat das so verstanden: “Wo sind die Beweise?”, fragte das Mitglied der Hisbollah Nahim Kassen. “Menem ist einem Trick der Vereinigten Staaten und Israels aufgesessen.” Die sonst eher zurückhaltende englischsprachige Tageszeitung Buenos Aires Herald zweifelte an der Iran-Connection. Der Iran, so deren Herausgeber Andrew Graham-Yooll, habe gar nicht genügend Einfluß auf die schiitischen Fundamentalisten. In Wirklichkeit habe Syrien hinter dem Attentat auf die israelische Botschaft 1992 gesteckt, diesbezügliche Nachforschungen seien aber damals aufgrund innenpolitischer Überlegungen und “wegen der persönlichen Verstrickungen des Präsidenten Menem mit Syrien” eingestellt worden. Terroristenexperten gehen davon aus, daß verschiedene Motive Argentinien zum bevorzugten Angriffsziel internationaler Fundamentalisten gemacht haben. Hier befindet sich die größte jüdische Gemeinschaft Lateinamerikas. Die etwa 300.000 Mitglieder, die in ihrer Mehrzahl vollständig in die argentinische Gesellschaft integriert sind, lebten bisher ohne größere Schwierigkeiten mit den etwa 500.000 Moslems zusammen. Das Bemühen, dieses Zusammenleben jetzt nicht noch zu belasten, zeigt sich in den Erklärungen Rubén Berajas, Präsident der DAIA: “Keiner darf wegen seiner Nationalität oder seines Glaubens verdächtigt werden.”
Zweite Heimat deutscher Nazis
Neben der halbherzigen Grenzkontrollen wird als weiteres Motiv die Anwesenheit faschistischer Gruppierungen genannt. Der englische Terroristenexperte David Yallop: “Argentinien besitzt eine Vergangenheit bestehend aus einer übertriebenen Gastfreundschaft für NS-Kriegsverbrecher und einem ausgeprägten Antisemitismus während der Militärjuntas.” Schon in den vierziger und fünfziger Jahren kam es unter Juan Domingo Perón zu Ausschreitungen gegenüber argentinischen Juden. Über die “Rattenlinie” gelangten Hunderte von Nazis ausgestattet mit Pässen des Roten Kreuzes und der Hilfe des Vatikans nach Argentinien. Unter den 30.000 “Vermißten” der letzten Militärdiktatur (1976 bis 1983) gibt es eine überdurchschnittliche Zahl jüdischer Opfer. Gleichzeitig fanden in Argentinien mehr als 5000 Nazi-Hierarchen Unterschlupf, unter ihnen Joseph Mengele, Oberst Rudel, Klaus Barbie, Adolf Eichmann und Josef Schwammberger. Seit dem 9. Mai liegt ein Auslieferungsantrag für einen deutschen Nazi aus Italien vor: Der amerikanische Fernsehsender ABC hatte den ehemaligen SS-Mann Erich Priebke in Bariloche (Provincia de Río Negro) aufgespürt, der nach eigenem Geständnis am Massaker an 335 Geiseln am Stadtrand von Rom beteiligt war. Priebke, der jetzt unter Hausarrest steht, erwartet im September eine besondere Überraschung: Angehörige der 1944 exekutierten Italiener beabsichtigen, den argentinischen Luftkurort in Kürze zu besuchen, um dem Auslieferungsgesuch Nachdruck zu verleihen.
Die intensiven Kontakte dieser “alten Kameraden” zu neo-nazistischen Gruppierungen in der Bundesrepublik und Argentinien sind bekannt. Ein Forschungsprojekt der DAIA, “testimonios” (etwa: Zeitzeugen) genannt, das sich mit dem Thema der deutschen Kriegsverbrecher in Argentinien befaßte, fand noch im Dezember letzten Jahres ausführliche Erwähnung in der New York Times unter dem Titel “Argentine Files Show Huge Effort to Harbor Nazi” (14.12.93). In der deutschen Presse wurde diese Untersuchung nie erwähnt. Die Lehrerin einer deutschsprachigen Begegnungsschule in Buenos Aires äußerte: “Wenn man in den Süden runtergeht nach Argentinien oder Chile, da gibt’s noch jede Menge von den alten Ex-Vertretern des tausendjährigen Reiches. Die sind da untergetaucht, leben unter falschem Namen, teilweise mit Wissen der deutschen Botschaft.” Unbekannt dürfte der deutschen Öffentlichkeit auch sein, daß die Goethe-Schule, deren Neubau für 1600 Schüler vor einigen Jahren mit 18 Millionen Mark von der BRD subventioniert wurde, bis heute keinen jüdischen Schüler aufgenommen hat.
Menem, der der israelischen Regierung öffentlich sein Beileid aussprach, scheint argentinische Juden derweil immer noch mit Israelis zu verwechseln. Lediglich ein Fauxpas des Präsidenten, der auch schon mal behauptet, Sokrates gelesen zu haben? Von Kritikern wird der diplomatische Fehltritt bestenfalls als Ablenkungsmanöver bezeichnet. “Wir wissen nicht, warum die Mörder getötet haben. Aber ist es nicht offensichtlich, daß wir alle die Opfer sind?”, schrieb der Cartoonist Rudy erbost in einem Kommentar.
Die Angst wächst
Hundert verschüttete Personen, verzweifelte Rettungsmanöver der Feuerwehr, täglicher Bombenalarm in jüdischen Schulen und Regierungsgebäuden, Schändung eines jüdischen Friedhofs in der Provinz La Pampa. Szenen eines neuen Alltags in Argentinien, zu dem inzwischen auch Skinheads gehören. “In Extremsituationen zeigen sich sowohl die grausamsten Seiten des Menschen, als auch seine besten Züge”, erklärte ein Psychologe kurz nach dem Anschlag. Tatsächlich brachten unzählige Porteños Werkzeuge und Lebensmittel zu der israelischen Rettungsmannschaft, die eigens eingeflogen worden war. Daß Angehörige von vermißten Personen allerdings Anrufe erhielten, in denen sie bewußt irregeführt wurden und ihnen neue Hoffnung gemacht wurde: “Ich habe Ihre Tochter lebend im Krankenhaus gesehen,” verdeutlicht, wie weit derlei Grausamkeit gehen kann.
Nachdem die Regierung ankündigte, daß noch im September möglicherweise mit einem neuen Attentat zu rechnen sei, macht sich in der Bevölkerung Angst breit. So kämpfen die Nachbarn des neuen provisorischen Gebäudes der AMIA darum, die “Mutual” irgendwo, “aber nicht bei uns” zu errichten. Der Leiter des katholischen Colegio La Salle, erklärte, daß viele Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen ließen, da sie die Nachbarschaft der AMIA fürchteten. Sportveranstaltungen mit jüdischen Clubs wurden abgesagt. “Opfer sollen keine Nachbarn mehr sein”, entrüstete sich die Süddeutsche Zeitung daraufhin im August.
Der argentinische Soziologe Juan Corradi sieht die Ursachen dieses unsolidarischen Verhaltens allerdings nicht nur in einer latent antisemitischen Grundhaltung. Inzwischen sei Argentinien in ein System des zwischenstaatlichen Terrors eingetreten. Diese neue, schwer begreifbare Dimension des Terrors stelle die Gesellschaft vor eine schlimme Entscheidung: “Entweder bist du Opfer oder einfach nur Zuschauer.” Um diesen Teufelskreis der Angst zu durchbrechen, empfiehlt Corradi das Informationsmonopol der Geheimdienste durch eine eigenständige Berichterstattung zu durchbrechen und die Isolation der bedrohten Gruppe durch Solidarität zu überwinden. Zudem sei die Meinung politisch unabhängiger Persönlichkeiten in solchen Krisensituationen äußerst wichtig. “Die können eine psychologische Schutzfunktion übernehmen und symbolische Signale setzen, nicht nur für diejenigen, die hinter dem Anschlag stecken, sondern auch für die, die politisches Kapital daraus schlagen wollen”
Der Wutausbruch des Juan Tama
Vieles erinnert an den Vulkanausbruch des Nevado del Ruiz 1985, als über 20 000 Menschen von einer Schlammlawine getötet wurden. Auch diesmal war ein schneebedeckter Vulkan beteiligt: Durch ein Erdbeben der Stärke sechs lösten sich Eisplatten des 5750 Meter hohen Nevado del Huila und vermischten sich mit riesigen Erd- und Schlammassen zu einer tödlichen Lawine, die das Flußtal herunterdonnerte. Im Gegensatz zu damals ereignete sich die Katastrophe nachmittags, so daß sich die meisten Menschen retten konnten. Trotzdem gehen die vorsichtigsten Schätzungen von über 600 Toten und 400 Schwerverletzten aus, über 1000 bleiben vermißt, und weitere 18 000 Menschen sind direkt Betroffene, die oft nur ihr nacktes Leben retten konnten und noch heute in Notunterkünften leben.
Im Notlager Escalereta
Escalereta ist eines dieser Camps. In knapp 3000 Meter Höhe und bei Temperaturen zwischen fünf und zehn Grad hausen hier 2000 Menschen in teils gespendeten, teils selbstgebauten Zelten. Die feuchte Kälte und das ungewohnte Essen haben viele Indianer, besonders Kinder, erkranken lassen. Ein kleines Team von Ärzten und Krankenpflegern, zuweilen auch ein Páez-Medizinmann, sichern die nötigste Versorgung. Immer wieder hört man, daß Hilfsgüter auf dem Landweg von der Provinzhauptstadt Popayán oder in den Depots des Heeres oder des Roten Kreuzes verschwunden sind. Viele CampbewohnerInnen stammen aus Moscoco, einem Dorf, das das Erdbeben völlig zerstört hat. Zu Fuß ist es eine halbe Stunde zum Fluß Moras, wo eine kleinere Lawine 30 Menschen und die Brücke fortgerissen hat. Nach Moscoco, wo ein Teil der EinwohnerInnen unter Plastikplanen lebt, kommt man nur, wenn man sich traut, den Fluß mit einer halsbrecherischen Seilbahn zu überqueren, die jeden Moment reißen kann. Rotbraune Narben verunstalten die sonst grünen Steilhänge, dort, wo das Beben Erdrutsche auslöste.
80 Soldaten sollen Escalereta vor der Guerilla schützen, einer eher hypothetischen Gefahr. Umberto Rocha aus Moscoco berichtet, dort hätten Soldaten einen Gesundheitsposten demoliert und nach Waffen durchsucht. Die Lebensmittelverteilung wurde den Einheimischen entrissen und willkürlich gehandhabt. In Escalereta hingegen gelingt die Zusammenarbeit zwischen Heer, den Freiwilligen des Roten Kreuzes und des Zivilschutzes sowie den Führern der hier vertretenen Dorfgemeinschaften, die in enger Verbindung mit der Indianerbewegung CRIC (Regionaler Indianerrat der Provinz Cauca) stehen.
Wohin mit der Bevölkerung?
Im Katastrophengebiet wurden alle Straßen und Brücken zerstört. Man konnte sich Anfang August nur per Hubschrauber fortbewegen. Daher war in den ersten Wochen das dringendste Problem vieler BewohnerInnen die Zusammenführung ihrer Familien. In den nächsten Monaten soll die Um- und Rücksiedlung geklärt werden. Etwa 3000 Menschen haben das Páeztal bereits endgültig verlassen. Auch die Regierung favorisierte anfangs diese Variante. Dagegen besteht der CRIC, in dem die meisten Páez organisiert sind, auf einer Neuordnung der Gemeinschaften, die den weitverbreiteten Wunsch nach Zusammenhalt und Verbleib in Tierradentro berücksichtet. Diese Position scheint sich durchzusetzen.
Wie dies bewerkstelligt werden kann, ist aber noch unklar. Der nicht-indianische Teil der Betroffenen, vor allem schwarze und mestizische Campesinos, hat eine weniger intensive Bindung an die Region und läßt sich leichter in andere Gegenden der Provinz Cauca umsiedeln. Das wird auch auf einen Teil der indianischen Dorfgemeinschaften zukommen, denn vordem fruchtbare Teile des Páeztals wurden zur Hochrisikozone erklärt und können wohl auf Jahrzehnte nicht mehr besiedelt werden. Andere Ländereien in Tierradentro müßte die Regierung Privatbesitzern abkaufen, zu denen auch Drogenhändler gehören.
Mohnfelder vernichtet
Der Anbau von Mohn stellte in den letzten Jahren eine der bedeutensten Nebenerwerbsquellen vieler Bauern dar. Die Naturkatastrophe vernichtete nahezu alle – meist kleinere – Pflanzungen, die in diesem Jahr wieder verstärkt angelegt worden waren. Die desolate ökonomische Situation – Tierradentro zählt zu den ärmsten Gegenden Kolumbiens – brachte viele dazu, das zur Heroinherstellung notwendige Mohnlatex an Zwischenhändler zu verkaufen. Im vergangenen Jahr schloß die Regierung mit den Einheimischen ein Abkommen über die Ersetzung des Mohnanbaus durch alternative Produkte. Das nun von der Lawine begrabene Ausbildungszentrum in Tóez gehörte zu diesem Programm. Der Substitutionsprozeß war jedoch bereits vorher ins Stocken geraten, da die versprochenen Mittel nur spärlich flossen. Allgemein herrschte der Eindruck vor, daß das Interesse der Regierung an der erfolgreichen Durchführung des Projekts rasch nachließ.
Staatliche Inkompetenz
Inwieweit der Mohnanbau zur Abholzung und diese wiederum zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen haben, ist umstritten. Fest steht, daß WissenschaftlerInnen bereits 1986 eine Landkarte der Region mit den jetzt verwüsteten Risikogebieten erstellt hatten: Auch eine Studie der staatlichen Umweltorganisation Inderena vom vergangenen Jahr nahm in einem Krisenszenario (Vulkanausbruch oder Erdbeben) die jetzige Katastrophe ziemlich genau vorweg. Diese Studie mit den darin vorgeschlagenen Maßnahmen zur Vorbeugung verschwand unbeachtet in den Schubladen der politisch Verantwortlichen.
Ein Trauerspiel war auch die dilettantische Reaktion staatlicher Instanzen in den ersten Tagen. Die Hubschrauber der Medien waren denen der Regierung weit voraus. Erst nach 48 Stunden trafen die ersten staatlichen Hilfsleistungen ein. Noch heute gibt es Menschen in abgelegenen Winkeln des Páeztals, die keinerlei Hilfe erhalten haben.
Die Indianer mußten ihre angemessene Beteiligung in der Kommission zum Wiederaufbau erst einklagen. Der von der Regierung eingesetzte Ausschuß “Nasan Kiwb” (Land der Menschen) muß nicht nur mit der Neuordnung des Lebens in Tierradentro fertigwerden, sondern auch mit internen Streitigkeiten, die wiederum die Interessenskonflikte in der Region widerspiegeln.
Die Strafe der Götter
So stellen in der Kommission VertreterInnen regierungsnaher Positionen die Mehrheit. Dazu gehört auch der Bogotaner Archäologe und Astrologe Mauricio Puerta, eine schillernde und in Tierradentro höchst umstrittene Persönlichkeit. Er lebt seit über zwanzig Jahren dort und hat mit seinen Ausgrabungen dafür gesorgt, daß die Regierung einen archäologischen Park mit indianischen Grabstätten einrichten konnte, der zu den touristischen Hauptattraktionen Kolumbiens zählt. Puerta, Schulfreund des neuen Präsidenten Ernesto Samper und astrologischer Berater mehrerer Minister, wird beschuldigt, vor dem Beben eine wertvolle Urne mitgenommen zu haben, ohne die vorgeschriebenen indianischen Riten vollziehen zu lassen. Deswegen, so ein weitverbreiteter Glaube, seien die Götter zornig geworden und hätten das Erdbeben geschickt. Andere sehen in der Katastrophe allgemein eine Antwort der Götter auf die Tatsache, daß die Natur durch den Einfluß der Weißen aus dem Gleichgewicht gebracht worden sei. Der legendäre Indianerführer Juan Tama, der im 18. Jahrhundert den Widerstand gegen die Spanier organisierte, habe – ebenso wie Kiwe, die Mutter Erde – die Menschen strafen wollen.
Jesús Piñacué, der bekannteste Aktivist der Indianerbewegung in Cauca (siehe Interview) nimmt die erste Version ernst. Puerta bestreitet sie vehement und behauptet, der CRIC habe sie selbst lanciert, um die IndianerInnen gegen ihn aufzubringen. Tatsache bleibt, daß beide Seiten um den Erhalt von Hilfsgeldern und den Einfluß in der Region konkurrieren. Daneben gibt es Parteipolitiker, Kirchenobere und VertreterInnen der anderen ethnischen Gruppen, die ebenfalls Sitz und Stimme im Führungsgremium von “Nasan Kiwb” erhalten haben.
Die – neben den RegierungsvertreterInnen – gesicherte Beteiligung der Betroffenen am jetzt beginnenden Neuanfang in Tierradentro stellt zweifellos einen Fortschritt gegenüber der Bewältigung des Vulkanausbruchs von 1985 dar. Gustavo Wilches: “Die Krise ist eine Zeit der Gefahr, aber auch der Chancen. Deswegen müssen wir sie nutzen, um diese Region nach vorne zu bringen. Wir werden mit allen zusammenarbeiten, mit Schwarzen, Mestizen und Indianern.” In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Kommission diesem Anspruch gerecht wird, was vielleicht noch schwieriger sein wird als die technische Seite des Wiederaufbaus.
“Mit Unterstützung von außen werden wir uns erholen”
Der Páez Jesús Enrique Piñacué (30) vom CRIC ist einer der profiliertesten Aktivisten der kolumbianischen Indianerbewegung. Vor kurzem war er im Team mit Antonio Navarro Wolff (Demokratische Allianz M-19) Kandidat für die Vizepräsidentschaft des Landes.
Wie wirkt sich die Katastophe auf die Páez aus?
Unser Volk hat viele harte Proben hinter sich: den Kampf gegen die Spanier, die politische Gewalt nach der Unabhängigkeit Kolumbiens, den Bürgerkrieg der Parteien, die Gewalt von seiten der Guerilla und der Drogenhändler – all dies in einem Staat, der sich der Straffreiheit beugt.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Regierung?
In den ersten Tagen wurden wir auseinandergerissen, weil die Rettungsdienste die Leute überstürzt herausholten, ohne die lokalen Führer zu konsultieren. Allmählich kommen wir aber wieder auf den richtigen Weg zurück.
Glauben Sie, daß die Leute nach der Katastrophe wieder mehr Mohn anpflanzen werden?
Nein, denn viele einflußreiche Indianerführer sind mit diesem Lösungsversuch für die wirtschaftliche Notlage nicht einverstanden. Jetzt herrscht große Trauer, Verzweiflung und Angst, aber wenn die kolumbianische und die internationale Gemeinschaft uns unterstützen, werden wir uns erholen.
Welche Probleme sehen Sie beim Wiederaufbau?
Die Arbeit der Kommission “Nasan Kiwb” könnte von politischen Interessen behindert werden, besonders wegen der bevorstehenden Kommunalwahlen.
Wer soll die Hilfsgelder verwalten?
Präsident Gaviria hat darauf bestanden, daß alle Gelder von der Kommission kanalisiert werden. Der CRIC hat dies bereits auf seiner letzten Sitzung beschlossen.
Interview: Gerhald Dilger
und Harry Clegg
Von Deutschland aus leitet “Brot für die Welt” Spenden an den CRIC weiter. Konto 500 500 500 bei der Postbank Köln (BLZ 370 100 50), Stichwort: Erdbeben Kolumbien.
Joint Implementation
Auch wenn das Vertragswerk eine mühsam ausgehandelte Kompromißlösung darstellt, so hat sich die internationale Staatengemeinschaft dennoch auf einen anspruchsvollen Pflichtenkatalog geeinigt:
* Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Klimagase, allen voran Kohlendioxid, auf einem Niveau zu stabilisieren, das einen gefährlichen, menschenverursachten Eingriff in das Klimasystem verhindert.
* Die bereits unabwendbare Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur darf nur in einem Umfang erfolgen, in dem die Ökosysteme und die globale Ernährungssituation nicht gefährdet werden.
* Die Industrieländer als Hauptverursacher des Treibhausproblems verpflichten sich, beim Kampf gegen den Treibhauseffekt die Führung zu übernehmen.
* Die Industrieländer müssen auf jährlich stattfindenden Konferenzen über ihre Erfolge beim Klimaschutz Bericht erstatten.
* Die OECD-Staaten stellen den Entwicklungsländern zusätzlich zur bisherigen Entwicklungshilfe Finanzmittel und Technologien zur Reduktion von Treibhausgasen und zur Anpassung an die möglichen Folgen der Klimaveränderungen bereit.
Das Vertragswerk von Rio legt jedoch weder konkrete Reduktionsschritte fest – sie sollen in späteren Zusatzprotokollen verabschiedet werden – noch gibt die Konvention eine Antwort auf die heikelste Frage im globalen Klimaschutz: wie nämlich die nötigen Klimagas-Reduktionen international aufgeteilt und durch welche Maßnahmen sie erreicht werden sollen.
Eine Möglichkeit, das dringend notwendige Zusatz-Protokoll zu verabschieden, bietet sich auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimakonvention, dem Klimagipfel 1995 in Berlin. Bei den internationalen Vorverhandlungen in Genf zeichnet sich bereits ab, daß man auf dem Berliner Gipfel noch keine konkreten Reduktionsverpflichtungen festschreiben wird. Stattdessen schiebt sich die Diskussion um ein einzelnes umweltpolitisches Instrument immer weiter in den Vordergrund: Auf dem Gipfel in Berlin sollen Kriterien für die Durchführung von Joint Implementation beschlossen werden.
Hinter dem Konzept steht ein ökonomisches Kalkül: Da Treibhausgase unabhängig von ihrem Emissionsort, also nicht regional, sondern global wirken, ist es gleichgültig, an welchem Ort die Treibhausgas-Reduktionen durchgeführt werden. Deshalb kann, zumindest aus technischer Sicht, mit den billigsten Reduktionsmöglichkeiten begonnen werden, egal, wo diese sich befinden.
Die Befürworter von Joint Implementation gehen davon aus, das Treibhausgas-Reduktionen in den Entwicklungsländern oder den Transformationsstaaten Osteuropas zu geringeren Kosten möglich sind, als in den westlichen Industrieländern. Als Beispiel nennen sie die niedrigeren Wärmenutzungsgrade von Kraftwerken in Entwicklungs- und Transformationsländern im Vergleich zu entsprechenden Anlagen in Industrieländern. So schätzt der Bundesverband der Deutschen Industrie die Vermeidungskosten einer Tonne CO2 in einem deutschen Kohlekraftwerk auf 1000 DM, in einem chinesischen Kraftwerk hingegen auf 200 – 400 DM. Da der Nutzen der Emissionsreduktionen global ist und die für Umweltschutz zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, sei es ökonomisch rational, sie dort durchzuführen, wo sie am billigsten sind. Zusätzlich erhielten die Entwicklungsländer auf diese Weise Zugang zu Kapital und Technologie.
Noch handelt es sich hierbei um umweltpolitische Sandkastenspiele, die bislang vor allem von der einschlägigen Fachöffentlichkeit beobachtet werden. Doch schnell könnte aus einem umweltökonomischen Zauberstückchen international und in großem Umfang Realität werden. Sollte beispielsweise die Europäische Union ihre seit langem geplante Energie/CO2-Steuer einführen, so steht die Industrie bereits in den Startlöchern, um ihre Steuerschuld mit CO2-Reduktionen in osteuropäischen Ländern und Entwicklungsstaaten verrechnen zu lassen.
Als erste Versuchsballons wurden breits Joint Implementation-Projekte zwischen niederländischen und US-amerikanischen Kraftwerksbetreibern auf der einen Seite und malayischen Holzproduzenten auf der anderen aufgenommen. Für die Aufforstung beziehungsweise für den “schonenden Holzeinschlag” (reduced impact logging) erhalten die ausländischen Kraftwerksbetreiber eine CO2-Gutschrift. Die Holzproduzenten bekommen für den Umwelt-Deal bare Münze augezahlt.
Weitere JI-Projekte in Vorbereitung sind die Einführung energiesparender Lampen in Mexiko, Wiederaufforstung in der Republik Tschechien und die Reperatur undichter Gaspipelines in Rußland.
Entwicklungsländer und umwelt- und entwicklungspolitische NRO hingegen formulieren scharfe Kritik am Konzept der Joint Implementation. Sie sehen darin ein ungeeignetes und zudem schädliches Instrument zur Bekämpfung des Treibhauseffektes: Joint Implementation sei ein “Ablaßhandel” für den verschwenderischen Lebensstil des Nordens. Während der Klimaschutz im industrialisierten Norden weiterhin auf der Stelle tritt, müßten die Länder des Südens bei der Reduktion von Treibhausgasen schon einmal vorangehen.
Sie befürchten, daß sich durch Joint Implementation der Innovationsdruck im Norden verringert, und dadurch die Entstehung treibhausgas-armer Lebenstile und Technologien erhindert wird. Bei der Anrechenbarkeit auf die CO2/Energiesteuer verringert Joint Implementation zudem die erwünschte Lenkungswirkung der Steuer und zögert den notwendigen Strukturwandel in den Industrieländern hinaus.
Ein großes Problem beim Einsatz von Joint Implementation stellt die Möglichkeit von “Scheinreduktionen” dar. Es müßte die hypothetische Frage beantwortet werden, welche Emissionen sich in Abwesenheit des vorgeschlagenen Projektes einstellen wurden, bzw. eingestellt hatten. Ein Joint Implementation-Investor könnte beispielsweise ein Projekt mit einem jährlichen CO2-Ausstoß von 10 Mio. Tonnen durchführen und argumentieren, ohne seine Kooperation wäre ein Projekt mit einem Ausstoß von 11 Mio. Tonnen entstanden. Die Differenz von 1 Mio. Tonnen konnte er dann auf sein eigenes Reduktionskonto gutschreiben, obwohl es tatsächlich zu einer Nettoerhöhung der globalen CO2-Emissionen gekommen ist. Das Problem wird darüber hinaus dadurch verschärft, daß sowohl der Investor als auch das Gastland ein Interesse daran haben, von einem möglichst hohen Emissionsszenario auszugehen: je drastischer das Emissionsszenario, desto umfassender die Ausgleichszahlungen und Investitionen für das Gastland und desto höher die Emissionsgutschrift für den Investor. So könnten schlimmstenfalls als Konsequenz zusätzliche Treibhausgas-Emissionen entstehen.
Die notwendigen hohen Verhandlungs- und Kontrollkosten führen dazu, daß Joint Implementation-Projekte von großem Umfang sein müssen, um für den Investor rentabel zu bleiben. Der Hang zu Großprojekten hat sich bereits in den Industrieländern als ökologisch nicht tragfähig erwiesen. Dezentrale Formen der Energieversorgung wie Kraftwärmekopplung, Solarenergie oder Biomasse hätten dann auch in den Entwicklungsländern keine Chance, während emissionsintensive Großkraftwerke im Rahmen von Joint Implementation möglich blieben.
Doch selbst die Hoffnung auf Technologietransfer durch Joint Implementation kann sich als trügerisch herausstellen. Wenn Aufforstungsprojekte wie in Malaysia tatsächlich als Joint Implementation zugelassen werden, könnten Entwicklungsländer aus dem Handel keinerlei technologischen Nutzen ziehen. NROs aus Entwicklungsländern wehren sich deshalb heftig gegen Wälder als CO2-Speicher des industrialisierten Nordens und greifen die Idee als Ausdruck von “carbon colonialism” an.
Noch ist sich die Gruppe der Entwicklungsländer weitgehend einig in ihrer Ablehnung von Joint Implementation. Mit dem Versprechen von zukünftigen Finanz- und Technologietransfers können die Industrieländer jedoch einen mächtigen Hebel ansetzen. In den Vorverhandlungen für den Klimagipfel Berlin’ 95 zeichnet sich ab, daß die Industrieländer sich mit einer Pilotphase für Joint Implementation werden durchsetzen können.
“Romper el cerco”
Szenenwechsel: Eine alte Indígena in traditioneller Kleidung blickt fast eine halbe Minute lang ruhig in die Kamera. Dann beginnt sie, Maismehl zu mahlen. Ihre zupackenden, geduldigen Hände, die dem Mahlstein ein monotones, schabendes Geräusch entlocken, und die behandschuhten Trommler der Militärcombo bilden das symbolträchtige optische und akustische Kontrastmuster, welches das Video “Romper el cerco” durchzieht.
Im Mittelpunkt der Dokumentation von Uli Stelzner und Thomas Walter, die Ende `93 gedreht wurde, steht die Situation der Flüchtlinge des guatemaltekischen Bürgerkriegs. Nachdem die Autoren sich in ihrem Video “Ojalá” in erster Linie mit den guatemaltekischen Flüchtlingen in Mexiko und deren Rückkehrplänen beschäftigt haben, dokumentiert “Romper el cerco” die Situation in dem Land selbst. Im beobachtenden Reportagestil, der nur von wenigen Kommentaren durchbrochen wird, werden ruhige, lange Bildsequenzen und ausführliche Interviews aneinandermontiert. Während die Parteinahme für die Flüchtlinge unmißverständlich deutlich wird, enthalten die Filmemacher sich einer Einschätzung der politischen Chancen für einen Friedensprozeß in Guatemala.
Gespräche mit Landbesetzern in einem Armenviertel am Rande von Guatemala-Stadt, mit BewohnerInnen von Widerstandsdörfern in entlegenen Regionen des Landes und RückkehrerInnen aus Mexiko kontrastieren mit Zeugnissen der offiziösen Propaganda des guatemaltekischen Militärs: In einem Interview liest ein Presseoffizier haarsträubende Verlautbarungen vom Blatt ab. Die Rede ist von einer “Kampagne zur Verteidigung der Bevölkerung und Zerstörung der Subversion”. Anschließend führt er ein Propagandavideo vor, in dem die BewohnerInnen der Widerstandsdörfer als “entführte Bauern” und “Opfer eines Betruges” bezeichnet werden, die aus Angst oder Unwissenheit mit der Guerilla kooperieren.
Dem werden die Aussagen von BewohnerInnen der sogenannten Widerstandsdörfer entgegengestellt: Die indianischen Campesinos und Campesinas erzählen ihre persönlichen Geschichten: Vom Beginn der Repression und Vertreibung Anfang der achtziger Jahre, von der Flucht in entlegene Gebiete, wie etwa die Berge der Provinz Quiché, wo mittlerweile etwa 20.000 Menschen außerhalb der Kontrolle von Armee und Militär leben.
Insgesamt gibt es in Guatemala 1,5 Millionen Flüchtlinge. Die Widerstandsdörfer in den Bergen und im Dschungel waren und sind permanenten Angriffen und Bombardements von Seiten der Militärs ausgesetzt. Noch immer weigert sich die Regierung, die BewohnerInnen dieser Dörfer als Zivilbevölkerung anzuerkennen. Im Laufe der Jahre haben diese gelernt, Maßnahmen zum Selbstschutz zu ergreifen. Der Film dokumentiert den Alltag in diesen Dörfern und läßt die BewohnerInnen zu Wort kommen. Einige der Interviewten glauben trotz Friedensverhandlungen und der Rückkehr einiger Flüchtlinge aus Mexiko nicht an die Reformfähigkeit des guatemaltekischen Staates und wollen daher auf jeden Fall in den Bergen bleiben. So sagt ein Campesino: “Wir erklären, daß wir unser Volk nie mehr ausliefern werden, denn wir sehen, daß keine Regierung Guatemala verändert hat.”
Die 5.000 Flüchtlinge, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nach jahrelangem Exil im benachbarten Chiapas in die Urwaldregion der Provinz Quiché zurückgekehrt sind, scheinen dagegen optimistischer zu sein, setzen auf ihre guten Organisationsfähigkeiten und hoffen, die Kooperativen, die es dort vor der Vertreibung gab, wiederbeleben zu können. Gleichzeitig sehen auch sie sich vor großen Problemen, wie etwa der Knappheit von Land. So finden die RückkehrerInnen auf ihren alten Parzellen Bauern vor, die vom Staat angesiedelt wurden. Das schafft Konflikte. Die Flüchtlingsbehörde versucht, die verschiedenen Campesinogruppen gegeneinander auszuspielen. Das Militär ist massiv präsent, schüchtert ein und versucht, die RückkehrerInnen davon abzuhalten, Kontakt zu den versteckten Widerstandsdörfern in der Region aufzunehmen. Gleichzeitig werden die Offensiven gegen die Subversion fortgesetzt. Deshalb kommt ein Campesino zu dem Fazit, daß kein Wille da sei, die Problematik des Landes zu lösen: “Das ist unsere große Sorge: Wenn die Repression weitergeht, könnte es leicht sein, daß wir noch mal fliehen müssen.”
Dagegen meint ein Mann aus einem Widerstandsdorf in der Dschungelregion der Provinz Quiché: “Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ans Licht zu gehen. Wir müssen versuchen, den Kreis zu durchbrechen, oder den Eindruck zunichtezumachen, den die Armee und diejenigen von uns haben, die unserem Kampf nicht wohlgesinnt sind. Trotzdem werden wir unsere Organisationsform niemals aufgeben.”
Bettina Bremme
Romper el cerco – Flüchtlinge eines verdeckten Krieges. BRD/Guatemala 1994, Video, 60 Min. Leihgebühr: 40,- (plus Porto), Deutsche oder spanische Version
Verleih und Vertrieb:
ISKA, Oberste Gasse 24, 34117 Kassel, Tel: 0561/772894 oder: autofocus, Oranienstraße 45, 10969 Berlin, Tel. 030/6155458
Jenseits des Staates?
Im Editorial weist Albrecht Koschützke darauf hin, daß die Autonomie der lateinamerikanischen Staaten (politisch und ökonomisch) seit jeher begrenzt war, die “Durchsetzung des neoliberalen Paradigmas (…) jedoch eine extreme Form von außen induzierter Transformation der nationalen Gesellschaften mit einer offenbar weiterreichenden Eingriffstiefe” darstellt. Bietet der neoliberale Staat neue Freiräume für die multinationalen Kapitale, ist seine nationale Autonomie nach dem Umbauprozeß der achtziger Jahre noch stärker reduziert. Auch die Binnenreichweite des lateinamerikanischen Staates war traditionell begrenzt. Er garantierte zumeist weder ein fächendeckendes Bildungs- und Gesundheitssystem, noch kümmerte er sich beispielsweise um die indianische Bevölkerung und die verarmten Massen.
Der Unterschied zu früher liegt darin, “daß die strukturellen Schwächen des Staates nunmehr zu Tugenden erklärt werden, daß die Vernachlässigung seiner sozialen Funktionen nicht mehr vorwerfbar, sondern lobenswert, weil freiheitsstiftend ist, daß nur rudimentäre staatliche Dienstleistungsangebote statt als Defizit jetzt zum Ziel deklariert werden, kurz, bestehende Not wird in eine Chance zur Entwicklung umgelogen. Praktisch heißt das: Der immer schon miserable Staat wird noch miserabler; er liquidiert Hoffnung, Erwartungen, Rechte und Ansprüche auf Zukunft und Entwicklung gerade für jene, deren eigene materielle Kraft schon bisher nicht ausgereicht hat, individuell Armut, soziale Ungerechtigkeit und Unterentwicklung erfolgreich anzugehen und die jetzt auf die Chancen des Wettbewerbs und des Marktes reduziert werden.”
Die negativen Auswirkungen der Privatisierung staatlicher Funktionen beschreibt Thomas Fatheuer in seiner Analyse der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro: Ganze Stadtviertel werden von Drogenbanden, Glücksspielkartellen und Todesschwadronen kontrolliert. Das Problem ist hierbei, wie so oft, jedoch weniger die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols – die Polizei wird von den BewohnerInnen der Favelas eher als Bedrohung denn als Schutz gesehen und ist zudem mit den Strukturen privater Gewalt “symbiotisch verwachsen” -, sondern ganz allgemein die Macht der Gewalt über die Gesellschaft. Auch jenseits des Gewaltmonopols werden die staatlichen Aufgaben wie Bildungs- und Gesundheitssystem zunehmend privatisiert und von Drogen- und Glücksspielbossen übernommen. In der tiefgreifenden sozialen Krise bilden sich laut Fatheuer “neue Formen einer sich barbarisierenden gesellschaftlichen Vermittlung, die vielleicht, und das ist das Bestürzende, gar nicht so schlecht funktionieren.” Vor allem aber wirken sie systemstabilisierend, begünstigen “autoritäre und faschistische Antworten” und erschweren den Aufbau basisorientierter Alternativen innerhalb der Favelas.
Daß der Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung und der Abbau der staatlichen Regulierungsfunktionen auch Chancen bietet und die politische Organisierung der Betroffenen fördern kann, zeigt Juliana Ströbele-Gregor anhand des Hoch- und Tieflands Boliviens. Der (Wieder-)Aufbau basisorientierter Entscheidungsstrukturen und Organisationen der indianischen Landbevölkerung in den achtziger Jahren resultierte aus der Notwendigkeit, der Austeritätspolitik der bolivianischen Regierungen zu begegnen, wurde aber auch durch die neuen Freiräume erleichtert, die der Rückzug von “Stiefvater Staat” schuf. Der unabhängige Organisierungsprozeß beförderte gleichzeitig ein neues Selbstbewußtsein und die Besinnung auf die eigenständige kulturelle Identität und Tradition der indianischen Bevölkerung. Zwei Faktoren spielten in diesem Prozeß eine bedeutsame Rolle: die Führungspersönlichkeiten und die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Hatten erstere als “soziale Grenzgänger” eine wichtige Funktion als “Mittler von Ideen, Werten, politischen Vorstellungen und Kontakten” nutzten die Basisorganisationen die NGOs insbesondere zur Finanzierung notwendiger Projekte und Hilfsmaßnahmen. Dabei erwies sich die massive Ausbreitung der NGOs nicht nur als positiv: mit der Macht des Geldes korrumpierten sie Führungspersönlichkeiten und zerstörten gewachsene Dorfstrukturen.
Diese Ambivalenz der NGOs in ganz Lateinamerika diskutiert Albrecht Koschützke in seinem Artikel über “Die Lösung auf der Suche nach dem Problem: NGOs diesseits und jenseits des Staates”. Waren diese in den Jahren der Diktatur in vielen lateinamerikansichen Ländern oft dem antidiktatorialen Kampf verpflichtet und nicht selten ein Refugium für Oppositionelle, veränderten sie sich mit dem Redemokratisierungsprozeß der frühen achtziger Jahre und übernahmen oft die Aufgaben, die der neoliberale Staat nicht mehr zu erfüllen bereit war – während der Staat “immer weniger Staat wird und sich qua Privatisierung schrittweise auf reine Vermittlerfunktionen reduziert, also tendenziell einer NGO ähnlich wird”. Ohne die Bedeutung der NGOs, die seit den achtziger Jahren einen riesigen Boom erleben, in vielen Teilbereichen in Frage zu stellen, kritisiert Koschützke die verbreitete Meinung, daß diese per se effizient, kostengünstig, uneigennützig, demokratisch und basisnah seien. In der Realität bilden sich durch den expandierenden Hilfemarkt vielmehr neue Abhängigkeiten. Zudem bestehe die Gefahr, daß die NGOs, statt demokratisches Bewußtsein, Erfahrung und Organisierung zu fördern, in der Praxis insitutionelle und soziale Prozesse demokratischer Teilhabe untergraben.
Aus einer ganz anderen Perspektive untersucht Lothar Witte den Privatisierungsprozeß der letzten Jahre: Anhand der Reform der Sozialversicherung in Chile, Peru und Kolumbien macht Witte deutlich, daß die Ausformung der notwendigen Veränderungen in hohem Maße von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen abhängt. Das “chilenische Modell”, das während der Diktatur realisiert wurde, trägt vor allem den Interessen des Privatkapitals Rechnung. Die kolumbianische Reform berücksichtigt zumindest zum Teil auch die sozialen Interessen der einkommensschwachen Versicherten. Vor allem aber zeigt Witte – dem das Verdienst gebührt, ein so trockenes Thema wie eine Versicherungsreform anregend und anschaulich dargestellt zu haben -, daß weder ein staatliches System automatisch sozial gerechter, noch ein privates effizienter ist.
Hans Petter Buvollen und Robert Große zeichnen den schwierigen und widersprüchlichen Autonomieprozeß an der nicaraguanischen Atlantikküste nach. Historisch von der Zentralregierung in Managua kaum beachtet, begann erst die sandinistische Regierung Anfang der achtziger mit dem verstärkten Aufbau staatlicher Institutionen und Entwicklungsprogramme – und machte vieles falsch. Nachdem sich insbesondere die Miskito dem bewaffneten Widerstand gegen die Revolutionsregierung angeschlossen hatten, initiierte die FSLN einen Verhandlungsprozeß, der 1987 in die Verabschiedung eines Autonomiegesetzes mündete. Der Widerspruch zwischen den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Zentralregierung und den BewohnerInnen der Atlantikküste, zwischen Staat und Gesellschaft, wurde allerdings bis heute nicht gelöst. Die Atlantikküste ist noch immer “Spielball von Kräften, die außerhalb der Region liegen”.
Den Schwerpunkt des Jahrbuchs beschließt eine – bereits in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 241/242 vorabgedruckte – sehr persönliche Einschätzung von Ingrid Kummels über die Gleichzeitigkeit von Sozialismus, Kapitalismus und Santería für die Menschen in Kuba. In Gesprächen mit FreundInnen und Familienmitgliedern hat Kummels festgestellt, wie in den letzten Jahren der ökonomischen Krise die Santería für die Menschen zu einem wichtigen Bezugspunkt ihrer Alltagskultur “jenseits des sozialistischen Staates” wurde. Auch die Regierung hat ihre rigide Haltung gegen diese Volksreligion in den achtziger Jahren gelockert: “Ihre Strategie war, die Musik und die Rituale der Santería durch ihre Folklorisierung für den Tourismus zu nutzen und zugleich deren religiöse Bedeutungen auszuhöhlen.” Doch die AnhängerInnen der Santería entzogen sich auf ihre eigene Art dieser Funktionalisierung.
Insgesamt bietet der Schwerpunkt des diesjährigen Jahrbuchs einen interessanten Einblick in die Prozesse, die jenseits des (neoliberalen) Staates vor sich gehen. Erfreulicherweise werden nicht nur die negativen Auswirkungen der neoliberalen Restrukturierung analysiert, sondern auch die Chancen berücksichtigt, die der Rückzug des Staates bietet. Dies hätte allerdings noch vertieft werden müssen: Wie in dem Beitrag von Juliana Ströbele-Gregor über die Bauernorganisationen in Bolivien deutlich wurde, sind die sozialen Bewegungen entscheidende Akteure, um der neoliberalen Transformation Widerstand entgegenzusetzen. Auf sie wird allerdings kaum eingegangen. Hier hätte sich – ähnlich dem Beitrag über die NGOs – ein Überblick über die sozialen Bewegungen in Lateinamerika angeboten.
Abgerundet wird das Jahrbuch wie in jedem Jahr durch Länderberichte: Diesmal über Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Kuba, Mexiko und Peru. Wer keine brandaktuellen Informationen erwartet – Redaktionsschluß war bereits im April -, wird auch diese Berichte mit Gewinn lesen.
Jenseits des Staates?. Lateinamerika – Analysen und Berichte 18, hrsg. von Dietmar Dirmoser u.a., Horlemann Verlag (Bad Honnef), 278 Seiten, 29,80 DM, ISBN 3-89502-008-7