Von Cristóbals Colón zu Uncle Sams Dollar

In weniger als einer Woche war der Spuk vorbei. In einer Fernsehansprache verkündete Präsident Francisco Flores Ende November seine Absicht, den Wechselkurs des US-Dollar zum Colón gesetzlich festzuschreiben und die US-Währung als Rechnungseinheit im Finanzsystem einzuführen. Wenige Stunden danach – auch angesichts einer vernetzten Welt verdächtig schnell – meldeten sich das US-Finanzministerium, die Interamerikanische Entwicklungsbank, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds zu Wort. Deren einhellige Unterstützung des Vorhabens kann niemanden überraschen. Weniger als eine Woche später peitschte die Rechte das Gesetzesdekret im Dringlichkeitsverfahren durch das Parlament. Am 31. Dezember 2000 wird El Salvador seine monetäre Hoheit an den Onkel im Norden delegieren.

Schleichende Dollarisierung seit 1992

Was nun gesetzlich festgeschrieben wurde, ist keineswegs neu. Seit 1992 ist der salvadorianische Colón ein Fels in der Brandung von Abwertungen. Trotz erheblich höherer Inflation in El Salvador als in den USA blieb der Wechselkurs konstant. Vor allem bei Importgütern und internationalen Unternehmen hat sich bereits eine Quasi-Dollarisierung eingebürgert. Viele Familien werden regelmäßig mit den grünen Scheinen aus dem Norden beglückt: Mehr als eine Million im Ausland lebende SalvadorianerInnen werden allein dieses Jahr rund 1,3 Milliarden US-Dollar an ihre Familien überweisen.
Vom überbewerteten Colón haben vor allem die Importunternehmen und die Banken profitiert. Erstere, da die importierten Waren gegenüber den lokal gefertigten Produkten tendenziell immer billiger wurden. Und letztere, da sie sich an der Zinsdifferenz in den vergangenen Jahren auf Kosten der KreditnehmerInnen gnadenlos bereichern konnten. Auslandskredite in US-Dollar für bis zu sieben Prozent Jahreszins konnten ohne das Risiko einer Abwertung zu Zinssätzen zwischen 16 (für Häuser) und bis zu 36 Prozent (für Kreditkarten) verliehen werden. Ein einträgliches Geschäft.
Die Panik eben dieses Finanzsektors vor einer drohenden Abwertung des Colón, den vor allem die lokale Industrie und die Exportsektoren wie die Kaffeeproduzenten und die Maquila-Industrie forderten, dürfte für Präsident Flores ein Hauptgrund gewesen sein, den seit acht Monaten fertigen Vorschlag aus der Tasche zu ziehen. Das hochspekulative Finanzsystem befindet sich seit längerer Zeit in der Krise. Bankübernahmen und internationale Allianzen verhinderten bislang Probleme im Stil von Mexiko und Venezuela, wo der Bevölkerung immense Kosten in Höhe von mehreren Prozentpunkten des Bruttosozialproduktes aufgehalst wurden, um die Kosten der ineffizienten und teilweise kriminellen Handlungsweise der Bankiers aufzufangen. Einzig im Falle des eher auf internen Streitigkeiten der herrschenden Klasse beruhenden Konkurses des Kreditinstituts Credisa hat sich der salvadorianische Staat zur Übername der Konkurskosten von mehr als 100 Millionen US-Dollar (das entspricht knapp einem Prozent des Bruttosozialproduktes) bereit erklärt.
Aber der Finanzsektor hat mit hohen Zahlungsrückständen in der Kreditsparte zu kämpfen. Tausende von vorfinanzierten Mittelschichtshäusern stehen unverkauft und leer, KreditkartenbesitzerInnen erklären sich zahlungsunfähig und kleine und mittlere Unternehmen schließen ihre Läden unter der Zinslast. Dazu kommt, dass der Kaffeepreis im Keller liegt. Statt der notwendigen 120 US-Dollar pro Zentner werden derzeit auf dem Weltmarkt nur knapp 80 US-Dollar gezahlt. Einzig die Weltmarktfabriken (Maquilas) boomen und nach der kürzlich von den USA erweiterten Textilquote werden allerorts neue Freihandelszonen aus dem Boden gestampft. Aber gerade deren Betreiber beklagen sich über die hohen lokalen Produktionskosten im Vergleich nicht nur zu Nicaragua und Honduras, sondern auch zu Mexiko – weshalb auch sie eine Abwertung der lokalen Währung forderten. Genau diese Abwertung aber hätte den Finanzsektor wohl teilweise in den Ruin getrieben, da für die Begleichung der Dollarkredite nun plötzlich erheblich mehr Colones notwendig gewesen wären.
Die Banken reagierten auf die drohende Abwertung des Colón mit dem Vorschlag, die Zinsen zu senken. Die drei staatlichen Kreditinstitute kündigten eine Senkung ihrer Kreditzinsen an. Dieses Ansinnen wurde von den potentiellen Nutznießern wie der Baubranche, dem Finanzsektor, lokalen Unternehmen und gemeinen HypothekenabzahlerInnen unterstützt.

Die Pistole von Ex-Vizepräsident Merino

Nach der kühnen Ankündigung von Präsident Flores mussten noch die notwendigen Stimmen im Parlament her. Dort verfügt die regierende „Republikanisch Nationalistische Alianz“ (ARENA) nach dem Ausschluss eines Abgeordneten nunmehr über ein Drittel der Stimmen. Die FMLN stellte sich quer und betonte, vor allem das einseitige Vorpreschen der Exekutive sei kein akzeptables Handlungsmuster. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, die Währungshoheit ohne jede Diskussion aufzugeben. Die Drohungen, Verfassungsklage einzureichen und die Dollarisierung im Falle eines Wahlsieges rückgängig zu machen, dürften dagegen eher zahnlose Drohungen sein. Immerhin wurde die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes von namhaften JuristInnen angezweifelt, einer Position, der auch ein Teil der politischen Mitte nach gewissem Lavieren folgte. Schließlich verschafften die Christdemokraten und die ehemaligen Militärs der „Partei der Nationalen Versöhung“ (PCN) der Regierung aber doch die nötige Mehrheit. Eine soziale Opposition konnte sich angesichts der kurzen Zeitspanne kaum formieren.
Hier kam die Pistole des Ex-Vizepräsidenten Merino, heute Fraktionsvorsitzender der PCN, ins Spiel. Sturzbesoffen fand er nach einer feucht-fröhlichen Nacht im September nicht nach Hause und bedrohte stattdessen einen Nachtwächter mit der Waffe. Die alarmierte Polizei empfing er mit mehreren Pistolenschüssen, eine Polizistin wurde verletzt. Wahrlich kein würdiges Verhalten für eine Person seines Ranges: die Aufhebung der parlamentarischen Immunität schien mehr oder minder beschlossen zu sein, bis ARENA, zwei Tage vor Bekanntmachung des Dollarisierungsvorschlages, ihre Unterstützung für die Überführung von Merino an die zuständigen Gerichte mit konfuser Argumentation zurückzog und die PCN im Gegenzug der Dollarisierung zur Mehrheit verhalf.

Linke Bremsen werden gelockert

Aber nicht nur dies. In eben jener Parlamentssitzung wurde mit der großen Kelle angerührt. So wurde auch der Verkauf der bis dato noch im Staatsbesitz verbliebenen 25 Prozent der Telefonaktien beschlossen. Und um nicht weiter auf internationale Kredite angewiesen zu sein, hat die Regierung angekündigt, weiter auf Privatisierungen zu setzen.
Bislang hatte die FMLN über die Bewilligung der Auslandskredite ein starkes Mitspracherecht über die Verwendung dieser Gelder. So hatte die Frente zum Beispiel angekündigt, die Kredite für die „Modernisierung“ des Wasserwesens, in denen die Privatisierung impliziert war, nicht zu bewilligen. Äußerungen von Vertretern der Regierungspartei lassen darauf schließen, dass es damit nun vorbei sein dürfte. Konsequenterweise kündigte die Frente dann auch an, sich aus den so genannten Konzertationsgesprächen, die auf Initiative des Präsidenten eingeführt worden waren, zurückzuziehen, da über die wirklich relevanten Angelegenheiten sowieso nicht gesprochen werde.
Die Auswirkungen der Dollarisierung sind noch nicht eingehend analysiert worden. Allerdings ist von einem kurzfristigen Preisanstieg auszugehen, da die UnternehmerInnen bei der Umrechnung und Fixierung von Preisen kaum abrunden werden. Die diesbezüglich besonders „beliebten“ Busbesitzer haben denn auch bereits angekündigt, dass die städtischen Busse künftig statt umgerechnet 17 Cents runde 20 kassieren wollen, was einer Erhöhung von 18 Prozent gleichkommt.

Vorgezogenes Wahlkalkül?

Dem zu erwartenden allgemeinen Preisanstieg dürfte ein positiver Effekt durch die etwas niedrigeren Zinsen gegenüberstehen. Doch in den Genuss dieser lindernden Umstände kommt natürlich nur jene Minderheit, die überhaupt Zugang zu Krediten hat. In diesem Sinne dürfte es sich um einen Versuch der ARENA handeln, die schwindende Mittelschicht wieder für sich zu gewinnen, die vor allem in den Städten entscheidend für die Wahlgewinne der Linken war.
Das Kalkül der Regierung dürfte außerdem sein, dass die Zinssenkung zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft führt und damit die Basis für einen erneuten Sieg in der Präsidentschaftswahl 2004 geschaffen werden könnte, während die mit der Dollarisierung verbundenen Preiserhöhungen bereits genügend weit zurückliegen werden. Die großen Unbekannten in diesem Spiel sind die Nachbarländer. Guatemala und Honduras haben ihre Währungen gegenüber dem Dollar in den vergangenen drei Jahren um 30 bis 50 Prozent abgewertet — und damit auch gegenüber dem Colón. In Mexiko war dasselbe Phänomen zu beobachten und im Vorfeld der Amtsübernahme von Fox wurde die Abwertung erneut zum Thema. Wenn der Freihandelsvertrag zwischen Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador tatsächlich von den Parlamenten ratifiziert werden sollte, dann wird der salvadorianische Markt gegenüber Ländern offen sein, die ihre Währungen abwerten und damit ihre Exporte verbilligen können. In einem solchen Fall wäre der Absatz der einheimischen Produktion mittelfristig noch schwieriger, sprich kaum noch möglich.
Diesbezüglich sprechen die argentinisch-brasilianischen Beziehungen Bände. Nach der brasilianischen Abwertung des Real wurde der argentinische Markt, mit dem am Dollar fixierten Peso, von brasilianischen Waren, die mit einem Mal um die Hälfte billiger waren, überschwemmt, was den Mercosur in eine tiefe Krise stürzte.
Was eine Beschränkung der Erwerbsmöglichkeiten in der Maquila-Industrie und im Import- und Dienstleistungssektor für die ländliche Bevölkerung und den informellen Sektor bedeutet, ist in seinem gesamten Ausmaß noch schwer vorstellbar. Vielleicht sind ja die mehr als eine Million SalvadorianerInnen im Ausland – davon ein Großteil Kriegsflüchtlinge – nur die Vorboten der kommenden Welle von „Freihandels- und Dollarisierungsflüchtlingen“, die versuchen werden, die neue Mauer am Río Grande zu überwinden.

LFC – Los Fabulosos Cadillacs

Es war Mitte der achtziger Jahre, als man in Argentinien anfing, Ska zu hören. Eine vorher gänzlich unbekannte Gruppe befreundeter Musiker, die sich Los Fabulosos Cadillacs nannte, hatte gerade ein wenig Bekanntheit mit ihrer Single „Silencio Hospital“ erreicht. Zur selben Zeit erlebte auch der argentinische Rock ein Comeback, nicht zuletzt dank des unermüdlichen Senders Rock & Pop 106.3. Und immer wieder spielte man Klassiker wie Charly García und Spinetta, Fito Paez, Piero und Miguel Mateos Zas, Raúl Porchetto oder Alejandro Lerner. Mit dem Ende der brutalsten Militärdiktatur der Geschichte Argentiniens tauchten dort neue musikalische Strömungen auf: Manche wie etwa Soda Stereo oder Virus lehnten sich in ihrer romantisierenden Ästhetik an den Mainstream im Stil von Duran Duran oder David Bowie an – unter den Fittichen von Gruppen wie Sumo oder Los Abuelos de la Nada erwachte aber auch ein trashiger Sound zum Leben, inspiriert durch die britischen Varianten von Reggae, Punk und Ska (Madness, The Specials, The Clash).
Die erste Platte der Fabulosos Cadillacs, „Bares y Fondas“, kam 1986 in die Läden. Als ein Jahr später das Album „Yo te avisé“ folgte, war ein neuer Musikstil geboren. Der Song „El genio del dub“ ist bis heute aus der lateinamerikanischen Musik nicht mehr wegzudenken. Damals war es allerdings ein anderer Song, der die Charts und das argentinische Publikum eroberte: „Mi novia se cayó en un pozo ciego“.

Lateinamerikanische Rhythmen im Skagewand

Ende der Achtziger bestimmen drei Strömungen die argentinische Rock-Szene Die „Klassiker“, die „Modernen“ und die „Reggae-Ska-Latinos“. Letztere wurden von den Cadillacs vorangetrieben genauso wie von Reggae-Gruppen wie Los Pericos, den Los Twist mit einer Art „Ska light“ und von Los Intocables, eine unverblümte, sozialkritische Variante des Ska am Río de la Plata. Auch die Auténticos Decadentes huldigen in ihren ersten Aufnahmen dem Ska. In der lateinamerikanischen Nachbarschaft bedienen sich die chilenischen Prisioneros und Desorden Público aus Venezuela der neuen Ska-Rhythmen, um ihre Songs auf Trab zu bringen.
In der dritten, 1988 erschienenen Platte der Cadillacs „Ritmo Mundial“experimentiert die Band verstärkt mit den „Heimatklängen“ des Kontinents, mischt traditionelle Rythmen nach Belieben mit Ska-Themen. Keine Geringere als die Salsa-Sängerin Celia Cruz begleitet Vicentico, den Bandleader in „Vasos Vacíos“. Dass eine solche Wendung in einem Land wie Argentinien, das seine kulturelle Eigenart beinahe zwanghaft aus europäischen Wurzeln ableitet, die Popularität der Cadillacs zunächst ein wenig schmälert, ist nicht verwunderlich. „El Satánico Dr. Cadillac“ (1989) und „Volumen 5“ (1990) schreiben diese Linie fort. Doch trotz einiger erfolgreicher Songs befinden sich die Cadillacs mit diesen Alben immer noch auf musikalischer Identitätssuche.

Das ganze Album ein Genuss

1992 erscheint das – nicht nur nach Ansicht des Autors, sondern auch der Gruppe – beste Album der Cadillacs: „El León“. Songs wie „El León Santillán“, „Gitana“, „Desaparecidos“ (eine hervorragende Cover-Version von Rubén Blades) oder „Siguiendo la Luna“ dominieren die Radiostationen. Das ganze Album ist ein Genuss: Jeder Song ein Hit – und doch wieder nicht, denn diese Lieder sind musikalisch und inhaltlich zu herausragend, als dass man sie mit der kommerziellen Kategorie des “Hits” umschreiben könnte. Und dennoch, paradox, aber wahr, ist dies die Cadillacs-Platte, die sich bis heute am schlechtesten verkauft.

Die El-Matador-Dosierung

Im Jahr 1993 erscheint ein „Best of“ der Cadillacs mit zwei bisher unveröffentlichten Songs: „El Matador“ und „Quinto Centenario“. „El Matador“ festigt den internationalen Ruf der Gruppe: Brasilianischer Batucada-Rhythmus, gemischt mit Reggae, Ska und zündenden, politisch anklagenden Texten. „El Matador“ beinhaltet offenbar die perfekte Kombination, die exakte Dosierung. Es ist die Mischung, die ihre Musik bis heute prägt.
Mit „Rey Azúcar“ wird den ungeduldigen Fans zwei Jahre später ein Album mit noch akzentuierteren lateinamerikanischen Klänge präsentiert. Das Lied „Mal Bicho“ wird sofort zum Hit. Auch wenn dieses Album in der Originalität des Stils nicht ganz mit „El León“ mithalten kann, zeichnet es sich durch seine potente Rhythmik aus. Der Einfluss von Flavio, dem Bassisten der Band, tritt stärker zu Tage. In einigen Themen und Passagen wird eine Annäherung an den Hardrock deutlich. In dieser Zeit wird die Globalisierung auch auf dem lateinamerikanischen Musikmarkt spürbar. Miami ist fortan die Achse, um die sich die kommerzielle Kulturproduktion Lateinamerikas dreht. Von dort wird die Latino-Ausgabe von MTV ausgestrahlt. Das hat einen radikalen Wechsel der Produktionsbedingungen und Musikkreisläufe auf dem Kontinent zur Folge.
Als es gerade so aussah, als ob sich die Cadillacs auf ihren Lorbeeren ausruhen würden, erschien überraschend ein neues Album: „Fabulosos Calavera“. Der erste Eindruck der altgedienten Fans war fürchterlich. Erst nach zwei- oder dreimaligem Hören, nachdem sich die eigenwilligen Themen im Ohr festgesetzt hatten, ließen sich die barocken, mit Metaphern überladenen Kompositionen verdauen. Die vertrauten Ska- und Latino-Klänge tauchen eher unvermittelt am Rande auf, mischen sich mit Flavios Hardcore. Jazz und Fugen gesellen sich hinzu, Musikfetzen der Siebziger mischen sich ein, Acid-Jazz, Punkrock, Pulp-Fiction-Klänge stiften willkommene Verwirrung, und auch die Präsenz des neuen Band-Gitarristen macht sich deutlich bemerkbar.
Der Tango, in Buenos Aires wieder schwer in Mode, hat die Cadillacs zu einem ganzen Thema im freien Stil Piazzollas inspiriert, und auch die Ästhetik des Plattencovers steht ganz im Zeichen des Tango. Dies ist die Band von Vicentico und Flavio, die Lieblingsgruppe von MTV Latina, musikalisch gereift und rentabel, eine Gruppe, die sich über das vergangene Jahrzehnt hinweg stetig entwickelt und auch von einigen ihrer Mitglieder getrennt hat.

Neues zum Millenium

Zum Wechsel des Milleniums und auch zum Ende einer politischen Epoche in Argentinien gab es praktisch keine argentinische Band, die nicht ein „Abschiedsalbum“ veröffentlichte. Die Cadillacs steuerte „La Marcha del Golazo Solitario“ (1999) bei, mit dem sie sehr nah an dessen Vorgänger bleiben. Insgesamt ist der Stil experimenteller und weniger einheitlich als auf „Calavera“, etwas kommerzieller orientiert, aber auch reich an subtilen Schattierungen. Eine runde Sache wird daraus erst durch die bemerkenswerte Qualität von Sound, Arrangements und melodischen Einfällen.

Die Tse-Tse-Fliege

Wirklich neu an dieser zuletzt veröffentlichten Produktion ist der wachsene Einfluss der „Murga“, ein Rhythmus, der während des Karnevals am Río de la Plata zu Hause ist. Lange Zeit wurde er hauptsächlich in Uruguay gespielt; jetzt hat ihn Buenos Aires wiederentdeckt und zur neuen Mode erklärt. Andere neue und erfolgreiche Bands wie La Mosca Tsé-Tsé oder Bersuit Bergarabat bedienen sich schon mit Erfolg dieser musikalischen Rezeptur.
Einige Songs der Cadillacs haben es inzwischen zu dem zweifelhaften Ruhm gebracht, als Jingles für Fernsehsendungen und Supermärkte oder als Fußballhymne herzuhalten: Zum Beispiel mit „En la vida no queremos sufrir, no, no…“ („Im Leben wollen wir nicht leiden, nein, nein…“), wie der Refrain des letzten Hits „La Vida“ besagt.
Nein, wer wollte das auch schon – aber was hecken die Cadillacs wohl gerade aus? Zuerst der Ska, dann eine eigenwillige Version lateinamerikanischer Musiken, schließlich eine reichhaltige Stilvielfalt aus Hardrock, Jazz, Tango und Murga. Und was kommt jetzt?

Übersetzung: Claudios Prößer

Der einsame Demokrator

Der neue Fidel Castro“ titelte die Washington Post Anfang November. Gemeint war der venezolanische Präsident Hugo Chávez Frías. Wenige Tage später legte die New York Times nach: „Hugo Chávez will offensichtlich ein Symbol für den Widerstand gegen die Vereinigten Staaten sein.“ Anlass für die in Chávez’ Augen „respektlosen“ Kommentare war der mit Pomp begangene offizielle Staatsbesuch des kubanischen Regimechefs Fidel Castro in Venezuela. Auch wenn sich selbst US-Außenministerin Madeleine Albright beeilte zu versichern, die Beziehungen zwischen ihrem Land und Venezuela seien stabil und die Leitartikler würden Einzelmeinungen vertreten – die Einschätzung der führenden Tageszeitungen im Osten der USA sind aufschlussreich für das Bild, das der seit rund zwei Jahren amtierende Präsident des nördlichsten aller südamerikanischen Länder seinen westlichen Partnern bietet.
Es ist das diffuse Bild eines Mannes aus dem Nichts, der bislang außer metaphernbeladener Reden und einiger Aufsehen erregender Auslandsreisen – wie zum irakischen Diktator Saddam Hussein – kaum eine stringente Vision von der Zukunft seines Landes hat durchblicken lassen. So ist es verständlich, dass die Meinungsmacher in den USA den Besuch Fidel Castros brauchten, um endlich zu beginnen, Konturen in die Politik von Hugo Chávez zu schleifen. Zumal Kuba in der direkten geostrategischen Interessensphäre der Vereinigten Staaten liegt und die Vorstellung eines erstarkenden USA-feindlichen Bündnisses in unmittelbarer Nähe trotz des fehlenden Rückhalts einer mächtigen sozialistischen Alternative alte Ängste weckt.
Was in Washington jedoch schwerer wiegt als die sozialistische Rhetorik Chávez’, sind die riesigen Ölreserven Venezuelas. Für die USA ist der zweitgrößte Rohölproduzent der Welt das wichtigste Energiebecken im eigenen Hinterhof. Chávez’ Bewusstsein über diese Ressourcenmacht ist vielleicht auch der Grund für seine scharfe Replik auf die Angriffe aus den regierungsnahen Zeitungen: „Diese Leitartikel zeigen das tiefe Unverständnis der Verantwortlichen über die wahren Verhältnisse in Venezuela.“
Doch wahrscheinlich war der Präsident nicht als Herrscher über ein Ölimperium der missliebigen Kritik entgegen getreten, sondern einfach beleidigt. Chávez ist kein abgeklärter Polit-Stratege, auch wenn der lange Weg vom unbedeutenden Fallschirmspringer zum mächtigsten Mann Venezuelas das vermuten ließe. Allein die überflüssigen Angriffe auf den Herausgeber der größten venezolanischen Tageszeitung El Universal, den Chávez mitverantwortlich machte für sein schlechtes Image in den Vereinigten Staaten, machen vielmehr deutlich, dass der Präsident wünscht, in seinen Geschäften nicht gestört zu werden. Es handelte sich nur um eine von unzähligen Attacken gegen die Pressefreiheit. Nicht gerade ein Zeichen von Demokratiefreundlichkeit.
Als Kind wollte der heutige Präsident noch Baseballstar werden. Der einzige Weg dorthin führte über die Armee, denn der Vater Chávez’, ein mittelloser Lehrer aus dem ländlichen Barinas, hätte es sich nicht leisten können, seinen Sohn in die Hauptstadt zu schicken, wo die Baseballarenen sind – und die Militärakademie. Als der junge Chávez nach Caracas kommt, beginnt er sich für Politik zu interessieren. Er schließt ein Studium der Politikwissenschaft ab und diskutiert mit seinen Kommillitonen die Politiktheorien von Marx über Rousseau bis Sartre.
Weil er die Situation der Armee, die Korruption und die Frustration, aus nächster Nähe erlebt, reift der Gedanke an einen Umsturz. 1982 gründet er die Revolutionäre Bolivarianische Bewegung (Movimiento Bolivariano Revolucionario) und wählt dafür den Geburtstag seines Vorbilds, des venezolanischen Unabhängigkeitskämpfers Simon Bolívar. Weder der Sinn für Symbolik, noch der Ärger über Politiker und Funktionäre, die ihren persönlichen Vorteil über den des Volkes stellen, ist Chávez abhanden gekommen. Nach seinem misslungenen Putschversuch von 1992 sann er im Gefängnis und – früh amnestiert – zurück in der Armee über einen Weg nach, die Geschicke Venezuelas in die eigene Hand zu nehmen.
„Eure Köpfe sollen in der Pfanne brutzeln“, rief der Präsidentschaftskandidat Chávez im Wahlkampf 1998 seinen Widersachern zu. Gekocht wurde nach seinem Wahlsieg freilich niemand. Aber seine martialische Rhetorik und das Wissen um Chávez Rückhalt in weiten Teilen des Militär ängstigte die alte Elite, so dass viele ihre Sachen – und vor allem ihr Vermögen – packten und außer Landes schafften. Chávez sieht darin wohl keinen Verlust. Nur ist er nun nach all den Jahren des Kämpfens von unten ein einsamer Demokrator. Kaum jemand aus den eigenen Reihen setzt ihm Widerstand entgegen. Die Vision von einem gerechteren Venezuela rückt in immer weitere Ferne.

Lebende politische Ambivalenz
Nicht zuletzt die Persönlichkeit Chávez’ macht den diplomatischen Umgang mit ihm zum Problem. Er ist die lebende politische Ambivalenz. Viele skeptische Landsleute nennen ihn „das Chamäleon“. Und tatsächlich: Der 46-Jährige wechselt die Couleur wie andere Staatsmänner ihre Feinripp-Unterhemden. Mal gibt er sich vor US-amerikanischen Wirtschaftsvertretern unternehmerfreundlich und wirbt für Investitionen „in unserem wunderbaren Land mit ungeheurem Wachstumspotenzial“. Nur ein paar Tage später ruft er im Fernsehen den verarmten Venezolanern zu, er werde ihre Ausbeutung nicht weiter zulassen und auf eine „gerechtere“, will sagen: sozialistischere Wirtschaftsordnung hinarbeiten. So verunsichert er die Wirtschaftsvertreter und wundert sich, wenn diese ihre Investitionen zurückhalten. Chávez will mit allen gut Freund sein und tritt doch – oder vielleicht gerade deshalb – von einem Fettnapf in den nächsten. Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana ist sauer, weil Chávez sich so gut mit der Guerilla versteht. Dabei wollte er doch nur vermitteln, beteuert Chávez. Vertrauensbildende politische Handlungen brauchen eben Zeit, die Chávez sich selten lässt. So kommt auch seine erklärte bolivarianisch inspirierte Vision von einem lateinamerikanischen Vereinigungsprozess nicht in die Gänge.
In seinen ausufernden, stets philosophisch inspirierten Reden bricht Chávez eine Lanze für die „wahre Demokratie“ und beschwört die Gemeinschaft des venezolanischen Volkes. Er beteiligte die WählerInnen am größten Projekt seiner ersten Amtszeit, der neuen Verfassung für Venezuela, die mit einer Umbenennung des Staates einher ging: „Bolivarianische Republik Venezuela“ heißt er nun. Doch der „neue Staat“ ist nicht demokratischer geordnet. Im Gegenteil sind die Befugnisse des Präsidenten stark erweitert, die Gewaltenteilung geschwächt. Weitere Zweifel an der Demokratietauglichkeit Chávez’: Gegen demonstrierende Studenten in Mérida wird wie einst unter dem von Chávez beinahe gestürzten Präsidenten Carlos Andrés Perez das Militär eingesetzt. Dabei hatte Chávez noch Anfang letzten Jahres geschworen: „Niemals wieder werden Panzer, Soldaten und die Flugzeuge dieser Soldaten wie damals unser Volk unter Beschuss nehmen. Niemals wieder. Niemals.“
Die Pressefreiheit sollte per Verfassung beschnitten werden. Die Teilnehmer der Verfassunggebenden Versammlung, die den neuen Verfassungstext erarbeiteten, waren zum größten Teil Chávez-Getreue. Trotzdem konnten die Chavisten sich in diesem Punkt nicht durchsetzen. Auch in anderen wichtigen Institutionen wie dem Obersten Gerichtshof wurde die alte Elite schrittweise durch Gefährten aus alten Putsch-Tagen und durch solche ersetzt, die sich nach der Machterlangung Chávez’ auf dessen Seite geschlagen hatten.

Mil Bolívares – Diez Mil Chávez’

Der Ex-Offizier scheint die notorische Korruption dieser alten Elite, die Venezuela 40 Jahre lang regierte und von einem prosperierenden Land an der Schwelle zur „Ersten Welt“ ins Armenhaus manövrierte, bisweilen als Totschlagargument gegen Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung zu missbrauchen. Wann immer sich Kritik aus der Ecke der alten – und innerhalb von nur zwei Jahren in der Bedeutungslosigkeit versunkenen – Parteien Acción Democrática und Copei rührt, weist Chávez sie mit einer lässigen Geste zurück: „Ihr könnt von Glück sagen, dass ihr die Revolution so unbeschadet überstanden habt. Für das neue Venezuela ist eure Meinung aber unerheblich.“
So ambivalent sich Chávez in den um Planungssicherheit bemühten Kreisen der westlichen Diplomatie präsentiert, so ambivalent fallen auch seine Erfolge aus. Sicherlich hat er die Beziehungen Venezuelas zum Irak, zu den meisten OPEC-Staaten, zu Kuba verbessert. Doch auch das jüngste Wirtschaftsabkommen zwischen Castro und Chávez, das Venezuela Medizin im Gegenzug für Öl garantiert, ist nicht mehr als ein symbolischer Akt und für die desolate Situation der meisten VenezolanerInnen der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Und bei den „Geberstaaten“, speziell den USA und der Europäischen Union, beäugt man die Anbandelung an „Schurkenstaaten“ und die kompromisslose Haltung Chávez’ bei den OPEC-Verhandlungen mit wachsender Skepsis.
Doch nicht nur im Ausland, auch in Venezuela sinkt der Stern des ehemaligen Fallschirmspringers. Chávez wurde gewählt von den armen Bevölkerungsteilen, die in ihm eine Chance sahen, das alte korrupte System hinter sich zu lassen und die ihn beinahe zum Heilsbringer stilisierten. „Er ist einer von uns“ war das Credo nach dem sensationellen Wahlerfolg vom Dezember 1998. Das rote Barrett des „Comandante“, der selbst aus ärmsten Verhältnissen stammt, avancierte zum Symbol für den Glauben an ein neues, gerechtes Venezuela ohne Korruption und mit steigendem Wohlstand. Die Leute trugen ihre roten Militärmützen stolz in den Straßen der Armenviertel zur Schau. Nun, nach zwei Jahren Amtszeit, werden die Fragen lauter nach den konkreten Ergebnissen der „Revolution“, die Chávez versprochen hatte. Die Wirtschaftsdaten zeigen zwar wegen des hohen Ölpreises leicht nach oben, aber die Umverteilung will nicht recht funktionieren. Und das größte Problem bleibt die Kapitalflucht, die mit dem Niedergang der alten Elite einsetzte und deren Lücke die verunsicherten ausländischen Investoren nicht schließen mögen. Wegen der hohen Inflation werden schon Stimmen für eine Dollarisierung nach dem Vorbild Ecuadors laut.
Der Dichter Chávez wird sich in seiner politischen Situation wohl manchmal an Rilkes Panther erinnert fühlen. Hinter einem Meer von „realpolitischen“ Gitterstäben faucht er nach allen Seiten aus seinem Palast. Wer sich zu nah heran wagt, bekommt vielleicht einen Tatzenhieb zu spüren. Doch auf längere Sicht stumpft sich Chávez an den Eisenstäben die Krallen ab. Im Gegensatz zu Rilkes Raubtier hat Hugo Chávez die Möglichkeit, seinen Käfig zu öffnen. Nur wenn er diese Chance wahrnimmt, sich Verbündete in den Palast holt statt sie zu vergraulen und ihnen Innenansichten gewährt, wird er als demokratischer Präsident bestehen und die ungelösten wirtschaftlichen Probleme wirkungsvoll angehen können.

Faustische Wohlstandsträume

Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist Venezuela einer der größten Erdölexporteure der Welt. Seither nutzten Staatsoberhäupter die Dynamik aus Reichtum und nationalen Träumen, um sich, in den Worten des venezolanischen Schriftstellers José Ignacio Cabrujas, als „grandiose Zauberer“ zu stilisieren und fantastische Fortschrittsträume heraufzubeschwören.
Seit den 1920ern hat der Ölreichtum eine eigenartige staatliche Vormundschaft über die Gesellschaft übernommen. Venezuela war damals von einer stagnierenden Landwirtschaft geprägt und schlecht vorbereitet auf die Ausbreitung der internationalen Ölindustrie. So gelang es General Juan Vicente Gómez (1908-1935) und seiner Clique, politische Macht zu zentralisieren und einen bedeutsamen Anteil der Öleinkünfte beiseite zu schaffen. Als Alternative zu Gómez’ autokratischer Herrschaft forderte die demokratische Opposition politische und ökonomische Anteilnahme. Dabei wurden politische Rechte und ökonomische Forderungen bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen.
Sie wollte politisch und zugleich ökonomisch am natürlichen Reichtum des Landes teilhaben. Dies begründete eine einzigartige Verbindung zwischen der Demokratisierung des politischen Lebens und dem Aufbau eines wohlwollend bevormundenden Staates. Die demokratische Ordnung geriet so in eine doppelte Abhängigkeit und musste sich auf zwei verschiedene Weisen legitimieren: Einerseits musste sie formaldemokratische Kriterien erfüllen, also eine Mehrheit der Wählerschaft an den Urnen hinter sich sammeln. Andererseits musste die Wirtschaft für den Einzelnen spürbare Verbesserungen mit sich bringen, damit die Regierung akzeptiert wurde. Deshalb war es notwendig, die Einkünfte aus der Ölförderung möglichst breit und im gesamten Wahlvolk zu streuen. Damit wurde auch der Nationalismus neu definiert. Ursprünglich war der Begriff eng mit dem Kampf um politische Unabhängigkeit verknüpft. Wer nunmehr von Nationalismus sprach, dachte vor allem an ökonomische Entwicklung und kollektiven Wohlstand.

Öl säen

„Zweite Unabhängigkeit“ war ein Slogan, den viele PolitikerInnen im zwanzigsten Jahrhundert verwendeten, um die nationale Befreiung vom ökonomischen Rückstand zu beschreiben. „Öl säen“, ein 1936 geprägter Ausdruck, wurde zum politischen Motto, welches das Bedürfnis beschrieb, die versickernden Öleinkünfte in dauerhafte Quellen des Wohlstandes zu verwandeln.
Alle Regierungen seit 1936 hatten dieses Ziel, und sie haben es in aufeinander folgenden Entwicklungsplänen immer wieder neu definiert. Zum Plan erhoben es zuerst die Militärregierungen von General Eleazar López Contreras (1936-41) und Isaías Medina Angarita. Während der Regierungszeit der Acción Democrática (AD) (1945-48) hieß „Öl säen“ dann: Konsolidierung politischer Demokratie. Die darauf folgende Diktatur von General Marcos Pérez Jiménez (1948-58) legte ihren Schwerpunkt hingegen auf öffentliche Arbeiten und industrielle Entwicklung, sprich: auf den Ausbau der physischen Grundlagen der Nation. Doch seit dem Sturz von Pérez Jiménez 1958 setzten die regierenden Parteien wieder alles daran, „Öl zu säen“, indem sie die Kontrolle über die Ölindustrie erlangten und ihre Gewinne für ökonomische und soziale Entwicklung in einem demokratischen Rahmen einsetzten. Wegen der gestiegenen Nachfrage nach venezolanischem Öl und dem globalen Wirtschaftswachstum während der drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die venezolanische Wirtschaft wachsen. Der Mittel- und Oberschicht bescherte das einen Reichtum von ungeahntem Ausmaß. Den Armen blieb im Gegenzug die Hoffnung, ihre moderaten Gewinne seien nur der Vorgeschmack eines Aufschwungs in naher Zukunft.
Ironischerweise aber haben dieselben Bedingungen, die die demokratische Entwicklung seit 1958 unterstützten, sie gleichzeitig als System politischer Repräsentation und Grundlage wirtschaftlichen Fortschritts untergraben. Die Diktatoren Gómez und Pérez Jiménez konnten wegen des Ölreichtums die politische Macht in ihren Händen ballen. Und es war ebenfalls das Öl, das es den regierenden demokratischen Parteien erlaubte, politische und wirtschaftliche Macht zu monopolisieren. Politische Demokratie wurde so zum vertikalen System von Kontrolle und klientelistischen Netzwerken, die demokratisches Handeln unterdrückten und den Aufbau produktiver Strukturen verhinderten.

Preise essen Träume auf

Der Ölboom von 1973 brachte diesen Faustischen Tausch von Öl gegen Fortschrittsträume zum Platzen. Die Vervierfachung des Ölpreises und ausländische Kredite im Überfluss spülten ungeahnte Gelder in Carlos Andrés Pérez’ Modernisierungsplan. Das verstärkte die beiden Grundmuster der venzolanischen Rentier-Wirtschaft, Verschwendung und Korruption. Am Ende blieben nur die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in Lateinamerika, eine geschwächte Wirtschaft und eine demoralisierte Gesellschaft zurück.
Es begann die Zeit nach dem Boom, eine Zeit wirtschaftlichen Niedergangs und verstärkter politischer Korruption unter Luis Herrera Campins von der COPEI (1979-83) und Jaime Lusinchi von der AD (1984-89). 1983 kam es zu einer vorher nie da gewesenen Abwertung der Währung. Im selben Jahr kostete ein Dollar 4,30 venezolanische Bolívar, heute steht er bei fast 700 000. Bis heute verkörpert der freie Fall des Bolívar für die Bevölkerung den Verlust von Venezuelas besonderem Status als Ölexporteur mit freiem Eintritt in die Weltwirtschaft. Der Verfall der Währung markiert außerdem einen Wendepunkt im fortschreitenden Legitimationsverlust der regierenden Elite. Und er war ein Schlüsselmoment für Chávez, der 1983 seine Bolivarische Befreiungsbewegung gründete. Chávez prangerte die Abwertung als ein Zeichen für die Korruptheit und den Antinationalismus der Elite an.
Ein zweiter Wendepunkt in Chávez’ politischer Laufbahn waren die Proteste gegen den wirtschaftlichen Sparkurs, die am 27. Februar 1989 in Caracas und anderen Städten ausbrachen. Dieser so genannte Caracazo war eine Reaktion der Bevölkerung auf eine weitere Täuschung: Carlos Andrés Pérez, der Präsident der Wohlstandsträume der 70er Jahre, hatte seine weitere Amtszeit im Februar 1989 mit dem Verprechen angetreten, wieder für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen und dem Neoliberalismus zu widerstehen. Er verkaufte sich als Anführer, der wie kein anderer in der Lage sei, die Nation zu retten. Er würde, so sagte er, seine Macht nicht dazu nutzen, für sein eigenes Wohl zu sorgen, sondern um „Geschichte“ zu machen. Einmal im Amt verkündete er jedoch zu lauten Fanfarenklängen „El gran viraje“ – die große Wende vom Protektionismus zum Neoliberalismus, im trauten Einklang mit dem IWF. Der Benzinpreis verdoppelte sich, was spontane Plünderungen und Zerstörungen auslöste. Die Regierung, geschockt von solchen Protesten der Massen, rief nach Armee und Sicherheitskräften. Deren “Wiederherstellung der Ordnung” endet in einem Massaker, bei dem mindestens 400 Menschen, hauptsächlich aus den Arbeitervierteln der Hauptstadt, ums Leben kamen.
Diese Ereignisse zerstörten das weit verbreitete Bild einer passiven Bevölkerung angesichts von politischem Missbrauch und wirtschaftlichem Abstieg. Aber auch die Einheitsrhetorik der dominanten politischen Parteien veränderte sich. Von nun an polarisierte sie in politischen Konflikten und trug einen rassisch geprägten Klassenkampf aus. Chávez erinnert sich, dass er und seine dissidenten Mit-Offiziere darüber entsetzt waren, dass die Armee die Bevölkerung unterdrückte anstatt sie zu verteidigen, und dass Soldaten auf Leute schießen mussten, die genau so arm waren wie sie selbst. Chávez verstand das als Verrat an Bolívars Vision der sozialen Befreiung der Nation. Der Caracazo übte einen entscheidenden Einfluss auf Chávez und seine Bewegung aus.

Putschversuch Februar 1992

Die Pérez-Regierung versuchte, die Aufstände aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen, die Liberalisierung anzupreisen und die Rhetorik nationalen Fortschritts wiederzubeleben. Der Diskurs von der nationalen Einheit machte dem Mythos vom individuellen Fortschritt in einer effizienten Nation Platz. Da aber die soziale Polarisierung voranschritt und die Korruption immer dreister wurde, entschloss sich die Bewegung um Chávez, die Regierung zu stürzen und eine verfassunggebende Versammlung als Legitimationsgrundlage einer neuen Regierung einzuberufen. Ergebnis dieser Verschwörung war der Putschversuch vom 4. Februar 1992. Chávez und andere Offiziere mittleren Ranges führten ihn an, linke zivile Gruppen unterstützten ihn.
Das Unternehmen schlug zwar fehl, erfuhr aber weit reichende Unterstützung. Vor allem offenbarten sich die Spaltungen innerhalb des Militärapparats, der Zusammenschluss von Militär und zivilen Organisationen und die tiefe Enttäuschung der Bevölkerung über die bestehende Wahldemokratie. Chávez verkörperte nun diese Gefühle und wurde sowohl als Rache-Engel wie als Erlöser dargestellt. Durch diesen Putschversuch, gefolgt von einem anderen fehlgeschlagenen Versuch im November, wurde Chávez in Gefangenschaft zum Dreh- und Angelpunkt einer abweichenden politischen Meinung. Wie es ein Beobachter beschrieb, brachte Chávez inmitten weit verbreiterter Unzufriedenheit „den Willen zum politischen Handeln“ zurück. Er wurde so zur politischen Ikone, zum Sinnbild von Mut, Gerechtigkeit und Hoffnung auf die Zukunft.
Als Antwort auf die wachsende Unzufriedenheit mit seiner Regierung wurde Pérez unter Korruptionsvorwürfen 1993 aus dem Amt gejagt. Ende desselben Jahres wurde Ex-Präsident Rafael Caldera wiedergewählt, ausgestattet mit dem Mandat, Pérez’ neoliberales Programm wieder umzukehren. Caldera jedoch erbte eine Finanzkrise, Ursache für einen Bankenkollaps, und sinkende Öleinnahmen. Er verkündete deshalb 1996, er habe keine Alternative, als seinen Plan zu ändern und ein neoliberales Wirtschaftsprogramm durchzusetzen, die „Agenda für Venezuela“. Genauso wenig wie Pérez’ „Wende“ konnte die „Agenda für Venezuela“ jedoch die stetige Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Mehrheit aufhalten. Nach seiner Begnadigung durch Caldera begann also Hugo Chávez, die politische Bewegung zu organisieren, die ihn schließlich mit einem Anti-Parteiprogramm 1998 zur Präsidentschaft führen sollte.
Die Wahlen 1998 spiegelten die Schwäche der traditionellen Parteien und die wachsende Polarisierung der venezolanischen Gesellschaft wider. Die Popularität Chávez’ wuchs in dem Maße, in dem sich der Graben auftat zwischen der Mehrheit der VenezolanerInnen, die unter die Armutsgrenze gerutscht war, und der kleinen Oberschicht, die von der zunehmenden Integration des Landes in den globalen Markt profitierte. Chávez wurde zum Racheengel für die verarmte Mehrheit und zum Dämonen für die privilegierten Eliten. Er personifizierte die Klassengesellschaft Venezuela, die ihre Spaltung nicht länger durch Appelle an gemeinsame Fortschrittsvisionen verdecken konnte.
So verkörperten zwei unabhängige Kandidaten die beiden Pole der geteilten Gesellschaft. Henrique Salas Römer, ein zum Politiker gewandelter Businessman und Gouverneur des Industriestaates Carabobo, stand für den „demokratischen Pol“. Auf der anderen Seite repräsentiert Hugo Chávez den „patriotischen Pol“. Das Wahlergebnis spiegelte die Polarisierung wider: Chávez bekam 56 Prozent, Salas Römer 40 Prozent.
Durch eine dramatische Wende wurde also der Mann, der nach dem gescheiterten Putsch 1992 als Bedrohung für die Demokratie dämonisiert worden war, nun durch die Wahlen 1998 demokratisch legitimiert. Dies schuf eine neue Bindung zwischen Militär und Demokratie in Venezuela, eine Bindung mit wichtigen historischen Bezügen. Schon 1945 hatte die AD, gemeinsam mit einigen Offizieren mittleren Ranges, ihren Putsch gegen die legitime Regierung von General Isaías Medina als Schritt zur Demokratisierung gerechtfertigt. Nach dem Putsch wurden eine verfassunggebende Versammlung gewählt, eine neue Verfassung angenommen und Wahlen abgehalten. Der Romancier Rómulo Gallegos von der AD gewann die Präsidentschaftswahlen 1947, wurde aber nur acht Monate später durch Militärs unter Führung von Pérez Jiménez gestürzt. Die Begründung: Die AD habe die Macht monopolisiert, jetzt erst werde eine „wirkliche“ Demokratie eingeführt. Aber auch die Diktatur von Pérez Jiménez wurde 1958 durch den Putsch einer militärisch-zivilen Koalition beendet, und wieder mit dem Argument, nun komme die „wirkliche“ Demokratie. Das System nach dem Putsch von 1959 basierte auf einer Reihe von Pakten und Absprachen zwischen Parteien und der Kapital- und Arbeiterseite. In den Augen von Chávez wurde der Putsch 1992 gegen die partidocracia – die Herrschaft der politischen Parteien – durch das Versagen dieser Demokratie und vor allem ihre wirtschaftlichen und sozialen Misserfolge gerechtfertigt.
Das alte System zerbrach mit der Wahl Chávez’ 1998 vollkommen. Und doch schließt sich ein Kreis: Genau wie die AD 1945 versprach Chávez 1998 eine neue Grundlage für die venezolanische Demokratie zu schaffen, durch eine verfassunggebende Versammlung, eine neue Verfassung und allgemeine Wahlen.

gekürzt aus NACLA Vol.33, No.6
Übersetzung: Silke Steinhilber

Keine Spur von Integration

Das kolumbianische Dorf La Pista liegt am Grenzfluss Río de Oro. Am gegenüberliegenden Ufer beginnt venezolanisches Territorium, bewacht von einigen Soldaten, die an der 2.200 Kilometer langen Grenze verloren wirken. Auf der kolumbianischen Seite lässt sich dagegen weit und breit kein Militär sehen. Und auch keine Einwohner mehr. Diese haben mit ihren Kanus inzwischen das Land gewechselt, nachdem am 22. August der 38-jährige Familienvater Henry Fernández von Paramilitärs erschossen wurde. 500 bis 1.500 Menschen sollen es gewesen sein, die daraufhin aus Angst vor der Gewalt ihren Grund und Boden verlassen haben.
Kein Einzelfall: Im Mai 1999 ermordeten Paramilitärs dutzende Einwohner des Ortes La Gabarra, weiter südlich von La Pista. Binnen weniger Stunden überquerten Tausende auf Mauleseln den Fluss Richtung Venezuela.
Seit Hugo Chávez auf dem Präsidentenstuhl in Caracas sitzt und die USA und Kolumbien den Plan Colombia aus der Taufe gehoben haben, steuern die bilateralen Beziehungen immer weiter einem Tiefpunkt entgegen. Chávez gilt als schärfster Kritiker der militärischen Komponente im Plan Colombia. Zudem wirft man ihm auf kolumbianischer Seite vor, mit seiner revolutionären Rhetorik nicht gerade auf Oppositionskurs zu den Guerillabewegungen zu stehen.
Ein Punkt, auf den man beim kolumbianischen Militär gerne aufmerksam macht. So hob General Fernando Tapias im Juli diesen Jahres hervor, dass sich in den Arsenalen der Guerilla Waffen und Munition mit dem Symbol der venezolanischen Armee befinden. „Es muss Personen geben, die Beziehungen zu den zuständigen Institutionen haben, aus denen die Waffen entwendet wurden,” so Tapias.
Aus Sicht der venezolanischen Behörden liegt das Problem auf der anderen Seite des Flusses. Durch die Migration über die Grenze bekommen sie die Auswirkungen des kolumbianischen Konflikts zu spüren, die Ursachen aber liegen auf fremdem Territorium. Für die Ortschaft La Fría setzte die Regierung in Caracas kürzlich einen Hilfsplan in Gang, um dort angekommene, geflohene Bauern mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.
Einige Flüchtlinge werden zwar zurückgeschickt, die Mehrheit jedoch wird in anliegende Orte durchgelassen. Zudem kann die Grenze nicht lückenlos kontrolliert werden. Wie viele Kolumbianer tatsächlich geflohen sind, weiß man auf venezolanischer Seite daher nicht. In den letzten zehn Jahren sollen es mehrere Zehntausend gewesen sein.

Klein-Kolumbien in Venezuela

Dabei hat die Migration eine lange Geschichte. Anfang der siebziger Jahre waren 30 Prozent der in Venezuela lebenden AusländerInnen kolumbianischer Abstammung, 1981 bereits 47 Prozent, was etwa eine halbe Million Menschen umfasst. Diese Wanderungsströme haben das venezolanische Grenzgebiet im Laufe der Zeit zu einer kolumbianischen Exklave gemacht.
Zum Beispiel die Stadt Machiques. 80 Prozent der etwa 100.000 Einwohner sind mittlerweile KolumbianerInnen, was den Widerstand der Alteingesessenen auf die Spitze treibt. „Die Kolumbianer bringen Krankheiten, Drogen und Entführungsdelikte in unser Land, beklagt sich eine Gruppe venezolanischer Grundbesitzer über die zunehmende Einwanderung und Verbreitung des Konfliktes in ihrer Gegend. Denn während die frühere Migration noch wirtschaftlich begründet war, spielt nun die Gewalt eine immer größere Rolle, die auch nicht vor der Grenze Halt macht.
Tatsächlich gibt es seit geraumer Zeit mehrere Fälle von Entführungen auf venezolanischem Terrain. Laut Polizeiangaben sollen in den letzten Monaten kolumbianische Banden 24 Venezolaner verschleppt haben, die sie auf der anderen Seite des Flusses an die Guerilla verkauften. Sechs wurden nach Lösegeldzahlungen freigelassen, die Situation der anderen 18 ist unklar.
Reaktionen auf diese Entwicklung blieben nicht aus. Das venezolanische Militär hat nun seine Grenztruppen um 6.000 Soldaten verstärkt. José Luis Betancourt, Präsident der venezolanischen Viehzüchterorganisation, verklagte am 11. Oktober die kolumbianische Regierung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation amerikanischer Staaten (OAS). „Die kontrollieren ihre Grenze nicht. Wir werden einem Konflikt ausgesetzt, mit dem wir nichts zu tun haben”, sagt er. Mit seiner Klage will Betancourt erreichen, dass die kolumbianische Regierung die Menschen in der Grenzregion moralisch und finanziell entschädigt.
Bei einem Erfolg auf juristischem Wege müsste die kolumbianische Seite ihrer Aufgabe der Grenzsicherung nachkommen und aktiv werden. Eine solche Auflage könnte die kolumbianische Armee aber kaum erfüllen, zumal ein Großteil des Grenzgebietes von „irregulären Gruppen“ – Guerilla und Paramilitärs – kontrolliert wird. 30.000 Hektar an Kokafeldern befinden sich im Korridor zwischen kolumbianischem und venezolanischem Staat, die diese “irregulären Gruppen” nur ungerne aufgäben.

Militärische Zwistigkeiten

Die kolumbianische Seite also wird die alarmierende Situation an der Grenze weiterhin gewissenhaft missachten. Zum einen fehlt in großen Teilen Kolumbiens ohnehin die Staatsautorität. Zum anderen liegt das Desinteresse der Kolumbianer an der Grenzregion an den schlechten politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Luftraumverletzungen, Schießereien und gegenseitige Beschuldigungen prägen den Dialog an der Grenze.
Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war der 12. Oktober, als venezolanisches Militär den kolumbianischen Grenzort Tres Bocas attackiert haben soll. Laut Angaben der kolumbianischen Armee hätten die Soldaten ein Haus beschossen, dabei mehrere Tiere getötet und ein Gebäude zerstört. „Eine vulgäre Lüge, so der venezolanische Außenminister José Vicente Rangel. „Es scheint einige kolumbianische Militärs zu geben, die das Verhältnis zu Venezuela stören wollen. Die Fronten waren so weit verhärtet, dass man diesen Vorfall nicht zusammen aufklären konnte. Beide Seiten setzten jeweils eine eigene Kommission ein, anstatt gemeinsam eine zu bilden. Das Ergebnis: beide beharrten auf ihren Versionen. Einig sind sich beide Seiten nur darin, dass das venezolanische Militär eine Kokabekämpfungsaktion im Grenzgebiet durchgeführt hat.
Um die Sicherheit an der Grenze zu erhöhen, setzt die venezolanische Seite auch recht unorthodoxe Methoden ein, die in kolumbianischen Regierungskreisen Unmut erregen. So führt man seit geraumer Zeit Gespräche mit der Guerilla. „Wenn wir uns der Guerilla nicht genähert hätten, wäre die Situation an der Grenze viel verheerender, so Rangel. Durch seine Politik habe sich die Zahl der Entführungen in den letzten zwei Jahren verringert.

Wirtschaftlicher Protektionismus

Auch in wirtschaftlichen Belangen machen sich beide Länder das Leben schwer. Zwar sehen die Regeln im andinen Wirtschaftsraum vor, dass von Caracas bis La Paz frei gehandelt wird. Doch erschwert Venezuela seit Anfang 1999 den Import von kolumbianischen Waren: Lastwagen werden verschärft kontrolliert, Auto- und Lebensmittelimporte mit Zöllen belegt. Die in Kolumbien zusammengebauten Sofasa (Renault) erlitten in Venezuela einen steilen Absatzeinbruch und Produkten wie Fleisch, Milch und Kartoffeln aus Kolumbien wurde der Marktzugang erschwert, sodass die Händler auf einem Großteil ihrer Waren sitzen blieben.
Allein im letzten Jahr ging der bilaterale Handel um eine Milliarde US-Dollar auf zwei Milliarden US-Dollar zurück. „Chávez führt einen Integrationsdiskurs, aber die Mittel, die seine Funktionäre anwenden, sind genau das Gegenteil, beklagte sich bereits im Juli letzten Jahres die kolumbianische Ministerin für Außenhandel. Dieses Jahr konnte man annähernd den Einbruch wieder auffangen, obwohl die Handelskonditionen sich nicht geändert haben.

Mit rotem Barett und gelbem Schutzhelm

Wer siegen will, kann heute nicht mehr von der Sowjetunion lernen. Aber vielleicht von Kuba, das schlechte Erfahrungen mit ausländischen Interventionen gemacht hat. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez ist ein Siegertyp und träumt davon, das zu bleiben. Womöglich hält er darum nichts von Einmischungen in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Auch dann nicht, wenn sich ein korruptes Regime nur mit einem Wahlschwindel behaupten kann, wie es im Mai dieses Jahres in Peru der Fall war. Originalton Chávez: „Kein Land der Welt kann sich zum Richter oder Präsidenten aufschwingen, weil der einzige Richter das peruanische Volk ist. Wir respektieren Peru und dessen Entscheidung. Der venezolanischen Regierung steht es nicht zu, die Legitimität von internen Angelegenheiten eines souveränen Staates anzuerkennen oder nicht.“ Chávez votierte entsprechend gegen eine Verurteilung Perus durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).
Seit seinem Amtsantritt im Februar 1999 muss Hugo Chávez damit leben, dass er mit dem peruanischen Präsidenten verglichen und als venezolanischer Fujimori bezeichnet wird. Seine Parteinahme für Fujimori gab solchen Vergleichen neue Nahrung.

Kein Baseball mit Fujimori

Dabei haben die beiden Männer eine völlig unterschiedliche Ausstrahlung. Der impulsive und leidenschaftliche Chávez gilt als charismatischer Redner, der wie sein Freund Fidel Castro stundenlang im Fernsehen plaudern und die Massen begeistern kann. Fujimori, stets beherrscht und unterkühlt, ist dagegen einer der farblosesten Präsidenten Südamerikas. Einer, der schon zwei aufeinander folgende Sätze von einem Blatt Papier ablesen muss und nicht einmal die spanische Grammatik beherrscht. Der eine ist ein Träumer, ein Idealist, der sich als Rebell einen Namen gemacht hat, als er 1992 gegen die korrupte Pérez-Regierung aufstand. Der andere – ein pragmatischer Technokrat mit stets exakt gezogenem Scheitel – schlägt eher Rebellionen nieder. Nicht einmal Baseball spielen könnte Chávez mit dem völlig unsportlichen Fujimori.
Der 1990 zum ersten Mal gewählte Alberto Fujimori schrieb in Lateinamerika Geschichte als Mann, der während seiner eigenen Präsidentschaft einen Putsch inszenierte.
Im Jahr 1992 ließ er Panzer auffahren und das Parlament schließen, weil er dort keine Mehrheit hatte. Danach regierte er ein Jahr lang per Gesetzesdekret. Auf Druck der USA schrieb der auf einer Popularitätswelle schwimmende Präsident zwar ein Jahr später wieder Wahlen zum Kongress aus, gleichzeitig setzte er aber per Plebiszit wichtige Verfassungsänderungen durch. Der Senat, die zweite Kammer des Kongresses, wurde abgeschafft und die Anzahl der Abgeordneten auf 120 reduziert. Die einmalige Wiederwahl des Präsidenten – bislang in Peru und in den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten aufgrund der negativen Erfahrungen aus der Zeit der Militärdiktaturen verboten – war fortan gestattet.

Hunger auf mehr Macht

Diese Maßnahmen fanden in Lateinamerika schnell Nachahmer. Auch der damalige argentinische Präsident Carlos Menem wollte nach einer Amtsperiode die Macht nicht mehr abgeben und beschritt mit einer Verfassungsänderung den gleichen Weg wie Fujimori. Kurz danach fand der Brasilianer Henrique Cardoso Gefallen an dieser Methode. Beide blieben allerdings einen Schritt hinter Fujimori zurück. Der besaß die Dreistigkeit, sich entgegen dem von ihm selbst geänderten Verfassungsartikel noch ein drittes Mal wählen zu lassen. Dazu verabschiedete der Kongress ein „Gesetz zur authentischen Interpretation der Verfassung“, in dem Fujimoris erste Wahl, die zeitlich vor der Verfassungsänderung lag, nicht mitgezählt wurde. Drei VerfassungsrichterInnen, die solcher scharfsinnigen Argumentation nicht zu folgen vermochten, wurden suspendiert. Das Verfassungsgericht durfte anschließend wegen Unterbesetzung nie wieder zusammenkommen. Fujimori war ein weiteres Kontrollorgan los.
Zweifellos ließ sich auch Hugo Chávez von Fujimori inspirieren. Er ließ in seiner neuen Verfassung ebenfalls die einmalige Wiederwahl des Präsidenten legitimieren und stutzte den venezolanischen Kongress auf eine einzige parlamentarische Kammer mit 165 Abgeordneten zurecht. Während Fujimoris Partner Vladimiro Montesinos sich die Mehrheit im Kongress für teures Geld zusammenkaufen musste, sorgte Chávez vor und beschnitt dessen Kompetenzen zu Gunsten der eigenen. Erst Anfang November ließ er sich für ein Jahr Sondervollmachten ausstellen, aufgrund derer er in der Wirtschafts- und Sozialpolitik Gesetzesdekrete erlassen kann. Schließlich ging der venezolanische Präsident vor seiner Verfassungsreform ebenfalls mit Armee und Polizei gegen den Kongress vor. Und auch für die Judikative scheint Chávez auf den ersten Blick nicht mehr Respekt aufzubringen als Fujimori. Er setzte sich über einen Einspruch des obersten Gerichtshofes hinweg, als er jene Kameraden beförderte, die ihm 1992 bei seinem Putschversuch zur Seite gestanden hatten.

Schweres Erbe

Die Gemeinsamkeiten von Alberto Fujimori und Hugo Chávez sind damit nicht erschöpft. Beide bauten ihre Regierung auf den Trümmern traditioneller Parteien auf. In Venezuela erhielten die bislang dominierende sozialdemokratische Demokratische Aktion (AD) und die rechte Copei bei Chávez’ Triumph 1999 zusammen gerade noch neun Prozent der Stimmen. Kein Wunder – Carlos Andrés Pérez, der letzte Präsident der AD, hatte beim Caracazo, einem Aufstand gegen seine neoliberale Politik im Jahre 1989, ein Massaker an über tausend Demonstranten zu verantworten und beendete seine Karriere wegen Korruption im Gefängnis. In Peru kamen die verbliebenen traditionellen Parteien, die Acción Popular des ehemaligen Präsidenten Fernando Belaunde und die sozialdemokratische APRA, bei den letzten Wahlen nicht einmal mehr auf zusammen fünf Prozent. Fujimoris korrupter Vorgänger Alan García (APRA) hinterließ Fujimori ein wirtschaftlich und politisch völlig zerrüttetes Land: mit einer Inflation von 8000 Prozent – ein trauriger lateinamerikanischer Rekord – und einem mörderischen Bürgerkrieg, der insgesamt 25 000 PeruanerInnen das Leben kostete.
Die traurigen Beispiele ihrer gescheiterten Vorgänger bewegten beide Präsidenten, gleich nach ihrer Amtsübernahme drastisch gegen die Korruption vorzugehen. Chávez’ neue Verfassung sieht sogar neben den traditionellen drei Gewalten noch eine „Moralische Gewalt“ (Poder Moral) vor. Den Abgeordneten wurde die Immunität entzogen, und sie sollen in Fällen von Korruption jederzeit vom Volk abgesetzt werden können. Fujimori machte die verfilzte Steuerbehörde SUNAT zu einem Musterbeispiel staatlicher Effizienz. Nach nur zwei Jahren seiner Präsidentschaft hatte er seine Steuereinnahmen nahezu verdoppelt. In der Justiz setzte er Regierungskommissionen ein, die korrupte Richter und Staatsanwälte aus dem Verkehr ziehen sollten.

Fresspakete und Kochtöpfe

Chávez und Fujimori können auf die Unterstützung der ärmeren Bevölkerung zählen. Während der venezolanische Präsident selbst aus der Unterschicht kommt, gehört Fujimori einer japanischstämmigen Minderheit an, der bislang – ebenso wie den Indígenas und den Schwarzen – der Zugang zur Macht versperrt war. Beide verstehen die Sprache der unteren Bevölkerungsschichten und wissen bei ihren häufigen Besuchen in den Armenvierteln geschickt die Medien einzusetzen. Chávez taucht unangemeldet in Schulen oder Krankenhäusern auf, und Fujimori zieht sich bei seinen Besuchen im Hochland gern eine bunte Mütze über die Ohren, streift sich einen Poncho über und bewegt sich – wenn auch ungelenk – im Rhythmus des Huayno, des traditionellen Tanzes der Andenbewohner. Während der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr erschien der Oberstleutnant Chávez mit Kampfuniform und rotem Barett vor Ort, und als im Januar 1998 „El Niño“ in Peru sein Unwesen trieb, war der Ingenieur Fujimori mit gelbem Schutzhelm, Gummistiefeln und Regenjacke zur Stelle. Besonders im Wahlkampf vergessen weder Chávez noch Fujimori die Armen: Der venezolanische Präsident verteilt Fresspakete und Fujimori verschenkt staatliche Grundstücke, Küchenherde oder Kochtöpfe.
Dennoch haben Chávez und Fujimori in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einen völlig unterschiedlichen Kurs eingeschlagen. Fujimoris Wirtschaftsminister Carlos Boloña gilt als einer der dogmatischsten Verfechter der reinen neoliberalen Lehre. Mit einer Ausnahme: von den umfangreichen Privatisierungen in Peru füllten sich nicht nur die Staatskassen, sondern auch die Taschen der zuständigen Minister.

Der peruanische Chávez – venezolanischer Fujimori

Hugo Chávez hat von seiner anfänglich scharfen Rhetorik gegen den Neoliberalismus ein wenig Abstand genommen und steht nun Privatisierungen nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber. Das Gesundheits- und Erziehungswesen will er aber – entgegen der peruanischen Politik – auf jeden Fall davon ausnehmen.
Während Hugo Chávez noch am Anfang seiner „Bolivarianischen Revolution“ steht, ist das Fujimori-Regime inzwischen definitiv am Ende. So machthungrig Fujimori auch sein mag: der eigentlich mächtige Mann in Peru ist sein nebenberuflich im Drogen- und Waffengeschäft tätiger Partner Vladimiro Montesinos. Er formte das peruanische Regime stärker als der Präsident selbst. Die Regierungskommissionen, die mit der Korruption in der Justiz aufräumen sollten, benutzte der Geheimdienstchef Fujimoris, um sich Richter und Staatsanwälte gefügig zu machen.
Die Steuerbehörde SUNAT setzte er ein, um Unternehmen zu erpressen und kritische Medien unter Druck zu setzen. Sogar die Armee brachte er in wenigen Jahren unter seine Kontrolle. Das Tandem Fujimori und Montesinos konstruierte eines der korruptesten Regime der lateinamerikanischen Geschichte. Allein das von Montesinos geraubte und durch illegale Geschäfte erworbene Vermögen wird von der spanischen Zeitung „El País“ auf rund eine Milliarde US-Dollar geschätzt.
Auch Präsident Chávez hat mit den ersten Korruptionsskandalen zu kämpfen. Die vom Volk gewählte „Moralische Gewalt“ hat aber umfangreiche Kontrollfunktionen erhalten. Sie darf außerdem die Richter des Obersten Gerichtshofes auswählen. Eine gleichgeschaltete Justiz nach peruanischem Muster scheint damit ausgeschlossen. Ein Staatsrat soll sogar den Präsidenten und die Minister überwachen und sie von verfassungswidrigen Handlungen abhalten.
Diente Hugo Chávez heute als Oberstleutnant in der peruanischen Armee, dann wäre er wohl schon längst gegen das korrupte Fujimori-Regime aufgestanden – zumal es sich auch zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat. Ende Oktober rebellierte im Südosten Perus ein Oberstleutnant namens Ollanta Humala, den sie nun den peruanischen Chávez nennen. Er will mit seinen Gefolgsleuten erst dann die Waffen niederlegen, wenn Alberto Fujimori und Vladimiro Montesinos im Gefängnis sind.

Zwischen Traumtänzer und Despot

Gabriel García Márquez, der 1999 zusammen mit Hugo Chávez von Havanna nach Caracas flog, schrieb über seinen Begleiter: „Ich bin mit zwei gegensätzlichen Männern gereist, mit denen ich mich angeregt unterhalten habe. Dem einen haben die Launen des Schicksals eine Gelegenheit gegeben, sein Land zu retten. Der andere ist ein Träumer, der in die Geschichtsbücher als weiterer Despot eingehen könnte.“ Wohin die Reise mit Chávez geht, wird die Zeit zeigen.
Kubas Máximo Lider gab sich bei seinem Staatsbesuch in Venezuela jedenfalls optimistisch. Schon in wenigen Jahren, so prophezeite er, könnte Venezuela unter Chávez’ Führung die kubanischen „Errungenschaften“ zu etwa 70 Prozent erreicht haben. Im Interesse des venezolanischen Volkes bleibt zu hoffen, dass sich Chávez stattdessen nicht die peruanischen Errungenschaften zum Maßstab nimmt. Sollte er die irgendwann zu 70 Prozent erreichen, dann hätte er – gemessen am Vermögen des Herrn Montesinos – seine Taschen bereits mit 700 Millionen Dollar gefüllt.

Francisco Arias und der Hahn

Francisco Javier Arias Cárdenas
heißt der einzige Mann, der die Wiederwahl des amtierenden venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez auf demokratischem Wege verhindern kann. Seit dem 10. März hastet der Gouverneur des Bundesstaates Zulia durch Land und Medien, immer ernst, immer um rationale Argumente bemüht. Selbst Auslandsreisen hat Arias unternommen, warb in den USA und Kolumbien für seine Vorstellungen einer „wahren demokratischen Revolution“ und schürte Misstrauen gegen seinen Kontrahenten Chávez, den er als despotisch kritisiert: „Die Situation hier ist schlimmer als in Peru“, sagte der 49-jährige Ex-Militär Arias mit Blick auf die Machtakkumulation bei Präsident Chávez und die verschobenen Wahlen. Der Präsidentschaftskandidat glaubt, dass es ein ähnliches Fiasko wie in Peru gegeben hätte, wären die für 28. Mai vorgesehenen „Megawahlen“ nicht verlegt worden. Nach der offiziellen Darstellung waren fehlerhafte Computerprogramme ausschlaggebend, die zur Stimmauszählung dienen. Einer der mit der Wartung beauftragten Firmen wurde gekündigt. Wie jedoch die Wochenzeitung El Razón berichtete, ließen wenige Tage nach der Aussetzung des Wahltermins Mitarbeiter des Wahlrates (CNE) Dokumente verschwinden. Die Zeitung vermutet, dass Spuren einer beabsichtigten Wahlfälschung verwischt werden sollten. Diese Bezichtigung will der moderate Arias nicht teilen, bis Beweise auf dem Tisch liegen. Dazu verlangt er einen Untersuchungsausschuss.
Bis die Gründe für den Stopp der Wahlen bekannt werden, kann Arias sich weiter um die Erringung des angepeilten Sieges über seinen Kontrahenten Chávez bemühen. Nach wochenlangem Tauziehen um den Termin gab die Comisión Legislativa Nacional (CLN) Ende Juni bekannt, dass in zwei Runden abgestimmt werden soll. 36.000 KandidatInnen stellen sich für 6241 Ämter zur Wahl. Am 30. Juli werden Präsident, Nationalversammlung, die regionalen Parlamente, die Stadträte sowie das Parlamento Andino und das Parlamento Latinoamericano gewählt. Am 1. Oktober folgen die Gemeinde- und Kirchenräte.
Nötig sind die Megawahlen, weil die im vergangenen Dezember verabschiedete neue Verfassung Venezuelas die Neuwahl sämtlicher öffentlicher Funktionsträger vorsieht. Trotz der größten Naturkatastrophe der jüngeren Geschichte des Landes, den Überschwemmungen weiter Teile der Küstenregion im vorigen Dezember, hatte Chávez mit Hilfe willfähriger Genossen im Verfassungsrat diesen zweiten Schritt seiner „Revolution“ vollzogen. Um seine Vision von der völligen Umwälzung der politischen Landschaft Venezuelas zu vollenden, fehlt dem Ex-Putschisten, dem seit Monaten schwere Vergehen gegen Pressefreiheit und Rechtstaatlichkeit vorgeworfen werden, nun noch der Gewinn der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Für sechs weitere Jahre lägen die Geschicke Venezuelas dann in den Händen des Mannes mit dem roten Barett und der markigen Rhetorik. Mit der neuen Verfassung sind die Rechte des Staats- und Regierungschefs stark erweitert worden.

Arias’ Wahlkampf:
solide langweilig
Nur ein Mann schickt sich ernsthaft an, Chávez einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ausgerechnet einer der drei Mitstreiter beim Putschversuch von 1992 tritt am 30. Juli an, die Demokratie zu retten. Das jedenfalls hat sich Francisco Arias auf die Fahnen geschrieben. Der Vater zweier Kinder und Mann einer Ökonomin setzt auf Besonnenheit und Sicherheit. Dem Image eines Langweilers, der nicht mit dem Herzen bei der Sache sei und seine Kampagne kalt und berechnend durchzieht, will Arias sich scheinbar gar nicht entziehen. „Solide“ soll sein Wahlkampf sein, „kohärent“ das Programm, so Arias im Interview mit El Universal. Bei so viel kühlem Konservativismus ist fraglich, wie die Massen in den Armenvierteln auf Arias aufmerksam werden sollen. Dort regiert nach wie vor die populistische Passion des Hugo Chávez, der seine Unterstützer vom Movimiento V. República (MVR) mit Fresspaketen in die Slums von San Cristóbal – Arias’ Geburtsort – oder Prolamar schickt, Wahlen zu „Schlachten“ umlobt und JournalistInnen mit Blumensträußen versöhnen will, nachdem er die Pressefreiheit mit neuen Telekommunikationsgesetzen gravierend beschnitten hat.
Arias kann zwar mit einem Wahlprogramm aufwarten, das den ausländischen Investoren weit mehr behagen dürfte als die planwirtschaftlichen Maßnahmen Chávez’. Doch die „Schlacht“ wird in der armen Bevölkerung gewonnen, der 80 Prozent der VenezolanerInnen angehören. Und dort sind die Sympathien für einen Klassenkampf, eine von Chávez angekündigte „radikale Umverteilung“ weit größer als für die um Konsens bemühte Politik von Arias.
Deshalb war auch die Aufregung bei Arias groß, als der neue Termin für die Wahlen bekannt wurde. Am 30. Juli sind alle Städter, die es sich irgendwie leisten können, in den Strandreservaten an der Küste und genießen ihre Ferien. Der für Arias so wichtige Mittelstand müsste schon auf zwei Wochen Urlaub verzichten, wollte er die Wahl mit seiner Stimme beeinflussen. Eine „kategorische Aufforderung zur Enthaltung“ nannte der Herausforderer die Entscheidung des Wahlkomitees.
Nur wenn Chávez die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlt, bleibt Arias eine Chance. Dann könnte er vielleicht die AnhängerInnen der anderen KandidatInnen hinter sich bringen und den amtierenden Präsidenten schlagen. Doch die Chancen stehen schlecht. Mitte Juni führte Chávez, laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Opinión Research de Venezuela, mit 56,9 zu 34,6 Prozent. Die erste Notierung, eine Woche nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur, sah Arias bei 20 Prozent. Die Tendenz weist also nach oben, aber der Abstand von zwölf Prozent scheint schwer aufholbar. Der sonst so korrekte Wunschkandidat der oberen Schicht behilft sich mit taktischen Tricks, um seine Siegchancen zu mehren: Nach einer „europäischen Quelle“, die der Gouverneur von Zulia nicht näher spezifizierte, habe er einen Vorsprung von vier Prozent, gab Arias vergangenen Monat gegenüber Journalisten an.
Doch den Wahrscheinlichkeitsgrad dieser Prognose hält er wohl selbst für minimal und verweist auf den wichtigsten Grund für seinen Rückstand: die ungleichen Möglichkeiten im Wahlkampf. Seit dem 25. Mai, als die Wahlen verschoben wurden, darf keine offizelle Kampagne mehr stattfinden. Die Regierung nutzt dennoch ihre Informationskanäle und weist mit Spots in den staatlichen Rundfunksendern und Beilagen in Zeitungen auf ihre politischen Errungenschaften hin. Finanziert wird die wenig kaschierte Wahlwerbung aus Steuermitteln. Währenddessen treten die Gegenkandidaten in den Hintergrund, behelfen sich mit Interviews und möglichst medienträchtiger Kritik an der Regierung, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Fresspakete und
Kapitalflucht
Arias schießt sich ein auf die Frage, warum die Megawahlen verschoben werden mussten, rechnet die Kosten für die in zwei Phasen geteilte anstehende Wahl aus und wird nicht müde, den amtierenden Präsidenten als undemokratisch und machtgierig zu bezeichnen. Dabei liegen die wunden Punkte von Chávez auf der Hand. Für den armen Teil der Bevölkerung hat sich in 18 Monaten Chávez-Regierung nichts verbessert. Die paar verteilten Fresspakete können kaum über das Scheitern eines als revolutionär versprochenen Umverteilungsprogramms hinwegtäuschen. Nachdem allein im ersten Trimester dieses Jahres mehr als eine Milliarde US-Dollar außer Landes geschafft wurde und etwa im selben Zeitraum die ausländischen Investitionen um ein Viertel zurückgingen, bleibt für den großen Umverteilungsakt auch immer weniger übrig. Aus dem boomenden Ölsektor müssten Unmengen von US-Dollars in die Staatskasse geflossen sein, nachdem die Privatisierung eines der größten Petroleumkonzerne der Welt, der PdvSA, nicht vollzogen wurde, sondern in alter venezolanischer Manier Gelder aus dem Öl-Geschäft zur Haushaltssanierung verwendet werden. Nicht nur Arias fragt sich, wo das Geld geblieben sein mag.
Doch der zurückhaltende Herausforderer scheut sich noch vor der heftigen Konfrontation mit seinem Ex-Kameraden. Nicht einmal anti-chavistisch will er sich nennen, obwohl ihn fünf Splittergruppen des ehemals cháveztreuen Blocks unterstützen. Wie die beiden anderen Militärs, die außer Arias und Chávez am Putschversuch von 1992 beteiligt waren, haben sich auch große Teile derjenigen Bewegung von ihrem Führer losgesagt, die Chávez noch 1998 zur Macht verholfen hatten. Selbst der Polo Patriótico, noch vor einem Jahr stärkster politischer Rückhalt des Comandante, distanzierte sich und opponiert gegen die Machtkonzentration im Präsidentenpalast. Als parteiartige Gruppierung bleibt nur die MVR.
Ganz einsam ist es um den Präsidenten dennoch nicht geworden. Er hat innerhalb kürzester Zeit ein Netz aus Abhängigkeiten gesponnen, das ihm Macht über die wichtigsten Medien und Militärsektoren gewährt. Ob das Netz den gewichtigen Mann aus der Armenschicht noch lange aushält, ist allerdings ungewiss. Gerüchte um einen möglichen Putschversuch mehrten sich Ende Juni, als Chávez mit der Frente Institucional Militar (FMI) zusammenstieß. Die FMI wies empört einen Bericht des Staatssenders Globovisión zurück, wonach ein hoher Militär in einem Gespräch mit Chávez die Bildung einer Junta Patriótica Venezolana verlautbart haben soll. Die Junta soll seit sechs Monaten einen Putsch planen.
Francisco Arias will das Militär völlig aus der Politik heraus halten. „Das zivile Leben müssen wir Zivilisten regeln“, sagt der Mann mit 26 Jahren militärischer Vergangenheit. Die Frage, ob ihm der Spagat zwischen wirtschaftlicher Konsolidierung, Wohlfahrtssteigerung bei den Armen und In- Schach-Halten des Militärs gelingt, wird sich dem farblosen Arias wohl gar nicht stellen. Denn zuerst müsste er die WählerInnen überzeugen. Mit Wahlkampf-Ideen wie dem berühmten „Hahn“ wird er das Rennen kaum machen. In dem Werbespot repräsentiert das Tier auf einer Hühnerleiter Chávez. Arias steht daneben und kristisierte die Weigerung seines Gegenkandidaten, sich im Fernsehen mit ihm zu messen. Eine Familie aus den Slums von Caracas würde wohl einen Hahn dem ätherischen Anzugträger Arias vorziehen. Den kann man wenigstens essen.
Sebastian Sedlmayr

Editorial Ausgabe 313/314 – Juli/August 2000

Die Geschichte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist wenig ruhmreich. In den knapp 52 Jahren ihres Bestehens war die OAS stets eine Marionette der USA. Während sie eng mit Despoten wie Batista, Somoza, Stroessner oder Pinochet zusammenarbeitete, schloss sie Kuba 1962 als Mitglied aus. Die US-Interventionen auf der Dominikanischen Republik oder Grenada wurden als Gemeinschaftseinsätze zur „Rettung der Demokratie“ verkauft.Vor wenigen Jahren wurde in die Charta der OAS ein neues Ziel aufgenommen – die „Förderung der repräsentativen Demokratie“. Doch die Nagelprobe ging Anfang Juni beim Treffen der OAS-Außenminister im kanadischen Windsor daneben, als die Versammlung sich nicht dazu durchringen konnte, den offensichtlichen Wahlschwindel in Peru zu verurteilen, entgegen den Schlussfolgerungen einer eigens nach Lima entsandten Beobachterdelegation der OAS. Bei der Entscheidung fiel auch nicht ins Gewicht, dass die peruanische Regierungsmafia um Fujimori und den als Geheimdienstchef amtierenden Mörder und Drogenhändler Vladimiro Montesinos bereits lange vor den Wahlen die Weichen zum Betrug gestellt hatte. Durch Bestechung und Erpressung war es ihr gelungen, die größten Medien, die Legislative und die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen.
Allerdings waren die Karten dieses Mal bei der Abstimmung anders gemischt als früher. Ausgerechnet die USA – mit Kanada, Argentinien und Costa Rica im Schlepptau – wollten die peruanische Diktatur an den Pranger stellen. Jene Macht, die sich bislang in Lateinamerika eher als Totengräber demokratischer Grundwerte einen Namen gemacht hatte. Die übrigen dreißig Mitgliedsstaaten der OAS empfanden eine Verurteilung der peruanischen Regierung als Einmischung in deren innere Angelegenheiten.
Die Zeiten haben sich verändert und sind doch gleich geblieben. Die mittlerweile konkurrenzlos gebliebene Weltmacht USA kann es sich leisten, weniger plump zu agieren. Und die sogenannten „jungen lateinamerikanischen Demokratien“ stimmen ab wie damals, als sie noch von der Armee regiert wurden. Das ist in einigen Fällen wenig erstaunlich. Während in Bolivien niemand anders als der ehemalige Diktator Hugo Banzer auf dem Präsidentenstuhl sitzt, ist im Nachbarland Paraguay immer noch die Colorado-Partei Alfredo Stroessners an der Macht. In Ecuador setzte das Militär direkt den Präsidenten ein. Der Präsident El Salvadors gehört der Arena-Partei an, die einst mit den Todesschwadronen in enger Verbindung stand, und sein guatemaltekischer Kollege versucht sich gerade erst von seinem Ziehvater freizumachen: dem Massenmörder und Putschisten Rios Montt.
Von Ländern wie Venezuela oder Mexiko war erst recht nicht zu erwarten, dass sie sich einer Verurteilung der peruanischen Regierung anschließen würden. Der machtorientierte Präsident Chávez fuhr kurz nach der peruanischen Wahlfarce sogar zusammen mit seinen Kollegen Banzer, Noboa und Pastrana zum Gipfel der Andenstaaten nach Lima und umarmte Fujimori öffentlich. Die mexikanische PRI ist selbst ein gebranntes Kind. Schon 1988 konnte sie nur durch massiven Wahlbetrug den Machtverlust abwenden.
Überraschend ist aber, dass Brasilien, Chile und Uruguay sich den USA nicht anschließen mochten. Die Begründung des brasilianischen Präsidenten Cardoso für seine Politik der Nichteinmischung lässt sich dahingehend interpretieren, dass es ihm um eine von den USA unabhängige Politik und um den Führungsanspruch in der Region geht.
Dabei gibt es wahrlich genügend Gelegenheiten, sich gegen die US-Politik in der Region zu wenden. Zum Beispiel könnte Brasilien die milliardenschwere Militärhilfe für Kolumbien ablehnen, die soeben bewilligt wurde und den Bürgerkrieg weiter schüren wird. Oder den Schuldenerlass auf die Tagesordnung setzen. Aber dass Wahlmanipulationen einer diktatorischen Regierung zu deren inneren Angelegenheiten gerechnet werden, darf nicht hingenommen werden. Selbst dann nicht, wenn sich mit den USA ein zweifelhafter Bündnispartner anbietet.

Nazi-Treffen mit schnellem Ende

Kurz vor Beginn des Nazi-Treffens hatten in der Hauptstadt Santiago 4.000 Chilenen gegen diese nationalsozialistische Initiative demonstriert. Sonst stieß die Zusammenkunft bei den meisten Chilenen auf wenig Interesse. Verschiedene Juristen erinnerten an das Recht auf Meinungsfreiheit, während sich die neue Regierung unter Ricardo Lagos bemühte, das Treffen zu verhindern. Auf konkrete Gesetze konnte sie sich dabei allerdings nicht berufen und so konnte sie im Vorfeld nicht mehr tun, als eine Liste mit 50 international bekannten Nazi-Vertretern zu erstellen, denen die Einreise verweigert wurde.
So wurden andere Wege gesucht, um die Realisierung dieses Kongresses zu verhindern: Zwei Tage vor dem offiziellen Beginn wurde „zufällig“ der Organisator Alexis López von der chilenischen nationalsozialistischen Patria Nueva Sociedad auf der Strasse wegen ungedeckter Schecks verhaftet. Jeglicher Zusammenhang wurde von Regierungsvertretern jedoch dementiert: „An dieser Verhaftung war die Regierung in keiner Weise beteiligt.“ Claudio Huepe, Generalsekretär der Regierung, besteht darauf, dass es sich um eine „Routinemassnahme der Polizei“ gehandelt habe und es „nicht mehr als ein Zufall“ sei, dass der Kopf der Nazi-Organisation so kurz vor Beginn des Treffens verhaftet worden sei. Arnel Epulef, ebenfalls Mitglied von Patria Nueva Sociedad, besteht hingegen darauf, dass Alexis López der „erste politische Gefangene“ der neuen Regierung ist, da er wegen seiner Ideen verhaftet worden sei.
López war gegen 23 Uhr auf der Strasse im Zentrum von Santiago verhaftet worden. Ihm wird vorgeworfen, seit 1998 seine Schulden nicht bezahlt und mit ungedeckten Schecks gezahlt zu haben. Insgesamt geht es um umgerechnet etwa 20.000 Mark.

Pünktlich zum Führergeburtstag

Das für 17. bis 22. April geplante Primer Encuentro de Nacionalidad y Socialismo wurde am Montag trotzdem in einem privaten Strandhäuschen in der Nähe von Valparaiso, in dem kleinen Ort Concon, eröffnet. Von den angekündigten 30 Teilnehmern waren schließlich sieben ausländische Vertreter aus Bolivien, Peru, Argentinien, Uruguay und Ecuador angereist, pünktlich zu „Führers Geburtstag“. Dieses Datum habe für die ausländischen Gäste, die Hitler und seine Politik im Dritten Reich verteidigen, eine besondere Bedeutung, erklärten die Veranstalter. Patria Nueva Sociedad bestehen hingegen darauf, keine Nazis zu sein: „Wir sind nicht rassistisch, wir sind nicht fremdenfeindlich, wir glauben nicht an eine Herrenrasse und respektieren die Grundrechte der Menschen.“
Dem Geist der Zeit folgend haben die chilenischen Nationalsozialisten im vergangenen Jahr ihr Image geändert, weg vom „typischen Nazi“ hin zum „aufgeklärten Patrioten“. Im Rahmen dieser Kosmetik wurde das Hakenkreuz durch das vom Ku-Klux-Klan verwendete Sonnenrad (ein Kreuz im Innern eines Kreises) ersetzt. Auch Hitlers Idee von einer einzigen Herrenrasse machte wenig Sinn innerhalb einer internationalen Bewegung. Patria Nueva Sociedad besteht deshalb darauf, dass jede Rasse für sich wertvoll ist, aber es komme eben darauf an, sie möglichst rein zu halten, also die Rassen zu trennen. Innerhalb dieser Logik ist es dann auch möglich, dass sich nationalsozialistische Vertreter beispielsweise auf den Demonstrationen der Mapuche-Indianer wiederfinden und deren Rechte verteidigen.

Austausch im Strandhaus

Viel weiter als bis zu einem allgemeinen Austausch über ihre Situation sind die Teilnehmer bei ihrem Treffen in Chile allerdings nicht gekommen, da nach 24 Stunden die Polizei auftauchte und den Versammlungsort umstellte. Die Ermittler hatten die Grenzübergänge und die Mitglieder von Patria Nueva Sociedad überwacht und so nach verschiedenen vergeblichen Polizeiaktionen im Süden Chiles schließlich das Strandhäuschen als Versammlungsort ausgemacht.
Mit der Aktion folgten die Ermittler einer Regierungsanweisung. Dort war man schließlich auf das Abkommen von San José in Costa Rica gestoßen, in dem sich unter anderem auch Chile zur Bekämpfung der Verbreitung von jeglicher Ideologie, die Gewalt oder Rassenhass fördert, verpflichtet. Zu Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen kam es dabei nicht. Noch in der Nacht verliessen die Kongressteilnehmer freiwillig das Gebäude und wurden unter Polizeibegleitung nach Viña del Mar gebracht, von wo aus sie umgehend in ihre Heimatländer zurückkehrten.
Warum dieses Treffen ausgerechnet in Chile stattfand, haben die Veranstalter offengelassen. Für Yoram Rovner, Herausgeber der jüdischen Zeitschrift Der Ruf eignet sich Chile für ein solches Treffen wegen der „Duldsamkeit der chilenischen Gesellschaft gegenüber solchen Phänomenen, der Apathie gegenüber der öffentlichen Debatte um nationalsozialistische Ideen, ohne dass es jemand stört und der Apathie der Chilenen im allgemeinen, wenn es um Menschenrechte geht.“
Für Rovner hat dieses Nazi-Treffen wegen seiner strategischen Bedeutung für die Zukunft Gewicht. „Es geht nicht um die Anzahl der Teilnehmer, es geht um die Organisationen, die hinter ihnen stehen.“ Und er erinnert daran, dass 1962 in England ein Treffen von Vertretern nationalsozialistischer Ideen unter ähnlichen Bedingungen stattfand, aus dem die „Weltweite Union der Nationalsozialisten“ entstand, in der sich schliesslich 80 nationalsozialistische Organisationen aus 40 Ländern zusammengeschlossen hatten.
Ein erstes Ergebnis des Treffens, das hinter verschlossenen Türen stattfand, wurde inzwischen bekannt. Patria Nueva Sociedad wollen sich als Partei einschreiben, um an Wahlen teilnehmen zu können.

KASTEN:
Zum Nazi-Treffen eingeladene Organisationen:
Partido Nuevo Triunfo (Argentinien), Juventud Nacionalista Socialista (Argentinien), Frente Nacionalsocialista (Ecuador), Proyecto Colombia 88 (P.88, Kolumbien), Partido Nueva Sociedad Venezolana (Venezuela), Movimiento Nueva Guardia Española (Spanien), Frente Nacionalista Socialista (Peru), Movimiento Nacional Socialista (Bolivia), Movimiento Zapatista Chiapaneco (Mexico), Movimiento Socialista Nacional (Paraguay), Movimiento Integralista Brasileño (Brasilien), Partido por la Libertad (Österreich)… und weitere Organisationen, die bisher noch keine politische Kraft in ihren Ländern darstellen und nun eine gemeinsame Strategie suchen wollen.

Chávez bläst zur finalen Schlacht

Am 28. Mai wählt das venezolanische Elektorat einen neuen Präsidenten. Bei den vorgezogenen Neuwahlen wird es für Amtsinhaber Hugo Chávez schwieriger als im Dezember 1998, über die Gegenkandidaten zu triumphieren. Vor zwei Jahren konnte der 45jährige noch einen radikalen Neuanfang in dem von Korruption und Armut gezeichneten Land versprechen. Nun ist Chávez selbst seit 15 Monaten Chef im Präsidentenpalast von Miraflores. Er hat eine neue Verfassung durchgesetzt, die er selbst als „revolutionär“ bezeichnet. Doch besonders in der wirtschaftlichen und politischen Oberschicht Venezuelas mehrt sich der Widerstand gegen den als despotisch verschrienen Ex-Militär.
Drei Offiziere hatten Chávez 1992 bei seinem ersten Sturm auf den Präsidentenpalast, einem gescheiterten Putschversuch, unterstützt und dem ehemaligen Fallschirmjäger auch während seiner ersten Monate als demokratisch legitimierter Staats- und Regierungschef den Rücken gegen die machthungrige Führungselite der Fuerzas Armadas (Bewaffnete Streitkräfte) freigehalten. Doch Mitte März sagten sich alle drei von ihrem politischen Ziehpferd los. Sie gaben an, sich von der Politik Chávez’ betrogen zu fühlen, der einzig den Ausbau seiner eigenen Macht vor Augen habe. Einer der Ex-Putschisten, Francisco Arias Cardenas, trug sich gar in die Liste der Präsidentschaftskandidaten ein.
Arias stellte bei seiner Registrierung als Kandidat fest: „Eine Revolution kann sich nicht auf einen einzigen Mann stützen, der die verschiedenen Machtstrukturen dominiert. So werden wir keine Demokratie haben.“ Nachdem er innerhalb weniger Tage nach seiner Ankündigung, gegen Chávez antreten zu wollen, bereits den Umfragewert von 20 Prozent erreicht hat, wird Arias nun als einziger ernstzunehmender Herausforderer des populistischen Präsidenten gehandelt. Zwei Splitterparteien des Parteienbündnisses, das Chávez 1998 zur Macht verholfen hatte, scharen sich um Arias: die kommunistische Causa R und der ehemals Chávez beistehende Polo Patriótico (PPT). Ihr Wunschkandidat ist momentan Gouverneur des ölreichen Bundesstaates Zulia, dem nach Caracas bevölkerungsreichsten Teil Venezuelas.
Der Grund für die neuerlichen harschen Angriffe auf Chávez aus seinen eigenen Reihen sind die anstehenden Neuwahlen. Im Dezember vergangenen Jahres verabschiedeten die wahlberechtigten VenezolanerInnen mit deutlicher Mehrheit eine neue Verfassung für ihr Land. Diese sieht Neuwahlen für alle (über 6.000) Regierungsämter des Staates vor, einschließlich für das Amt des Präsidenten. Die zentralen Änderungen gegenüber der Verfassung von 1961 liegen in der Abschaffung der zweiten Kammer des Paralaments und der Stärkung des Präsidenten, dessen Macht bis hin zur Auflösung des Parlaments erweitert wurde. Offensichtlich steigert die Aussicht auf ein recht ungehindertes Schalten und Walten für sechs Jahre den Wunsch in den Reihen der Militärs, einen guten Verbündeten wie Arias auf dem Präsidentschaftssessel zu sehen. Chávez zu kontrollieren erwies sich für die Miltärs in den letzten Monaten als schwierig.
Viel Neues gegenüber Chávez hat Arias nicht zu bieten. Er beschränkt sich darauf, die Wirtschaft wieder stärker in den Entscheidungsprozess einbeziehen zu wollen, um mehr Investoren ins Land zu locken, „den aggressiven Ton“ des Hugo Chávez zu unterlassen und – hervorstechendster Punkt in Arias’ Ankündigungen – die „demokratische Revolution“ wie gehabt aber ohne Chávez weiterführen zu wollen.
Trotz der wenigen markanten Unterschiede zwischen den beiden Favoriten sehen Anhänger Arias’, wie zum Beispiel Andrés Velásquez von der Causa R, die Gefahr eines Bürgerkriegs, sollte Chávez weiter Macht anhäufen. Hintergrund sind Spannungen in verschiedenen Blöcken des Militärs, die Chávez und Arias repräsentieren. Wer sich nicht den Vorgaben Chávez’ bei der Erstellung des neuen Verfassungstextes unterwerfen wollte, den bestrafte der „Commandante“ mit teils empfindlichen Demütigungen oder Entlassung.
Zwei weitere Kandidaten treten am 28. Mai für das Amt des Präsidenten an: Claudio Fermín und der wenig bekannte Alberto Solano. Während die Medien Solano als chancenlose Kuriosität beäugen und sich über den „Mann der sich drei Stunden vor Schließung der Listen einschrieb, als keine Journalisten mehr anwesend waren“ (El Universal) lustig machen, ordnet man Fermín eher der alten politischen Elite zu. Diese hatte Venezuela bis zur Wahl Hugo Chávez’ 40 Jahre lang in einen Sumpf aus Korruption und Misswirtschaft gezogen, was das Wahlvolk so schnell nicht verzeihen wird. Fermíns Aussichten, den Chavismo wieder rückgängig zu machen, dürften daher äußerst gering sein.

70 Prozent für Hugo Chávez

Mitte März lagen die Umfrageergebnisse bei 70 Prozent für Hugo Chávez. Der Mann mit dem roten Barett auf dem Kopf als Markenzeichen versteht es offenbar, die Massen, trotz einer Rezession von sieben Prozent im letzten Jahr und katastrophaler wirtschaftlicher Prognosen, für sich zu gewinnen. In Ansprachen setzte er mit einer von Metaphern überschäumenden Sprache, dem markigen Ton und der populistischen Zuversicht in den letzten Wochen auf Durchhalteparolen. Die Wahlen Ende Mai seien die „finale Schlacht des revolutionären Projekts“, tönte der bekennende Duzfreund Fidel Castros.
Vorangegangene „Schlachten“ waren sein Wahlsieg und die neue Verfassung, mit der Venezuela den Namen gewechselt hat: República Bolivariana de Venezuela (Bolivarianische Republik Venezuela) taufte die von Chávez in großen Teilen beeinflusste Verfassunggebende Versammlung den „neuen Staat“ im Gedenken an den venezolanischen Volkshelden Simón Bolivar, der vor rund 170 Jahren die nördlichen Länder Südamerikas durch seinen Kampf in die Unabhängigkeit führte.
Doch die Namensänderung ist freilich der geringste Stein des Anstoßes, den die neue Verfassung birgt. Die Kritik kommt aus allen Teilen des öffentlichen Lebens und betrifft eine Reihe von Änderungen. Zentrales Angriffsfeld ist die Ausweitung der Macht des Präsidenten. Dessen Position wird gestärkt durch die neue Rolle des Vizepräsidenten. Dieser wird vom Staats- und Regierungschef eingesetzt, also nicht demokratisch gewählt, und koordiniert die Arbeit der Exekutive mit der Legislative und den übrigen administrativen Organen. Er unterliegt zwar der Bestätigung durch das Parlament, lehnt dieses den Vorschlag des Präsidenten allerdings dreimal ab, kann der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen veranlassen.
Die Macht der Volksvertreter in der Asamblea Nacional wird noch gröber beschnitten. Statt zwei Kammern (Senat und Abgeordnetenhaus) gibt es künftig nur noch eine Kammer. Damit reduziert sich die Zahl der Abgeordneten, die darüber hinaus ihre Immunität verlieren. Besonders im Ressort Verteidigung werden ehemalige Kompetenzen des Parlaments auf die Exekutive übertragen. Die Einschnitte bei der demokratischen Repräsentation des Volkes soll die Einsetzung eines großspurig bezeichneten „Moralischen Rats der Republik“ (Consejo Moral Republicano) kaschieren, der sich zusammensetzt aus einer Art Ombudsmann (Defensor del Pueblo), dem „Allgemeinen Wächter der Republik“ (Contralor General de la República) und dem „Obersten Staatsanwalt“ (Fiscal General). Im Sinne des Befreiers Simón Bolivar: „Moral und Aufklärung sind unsere ersten Bedürfnisse“, weist die neue Carta Magna dem „Moralischen Rat“ einen vielfältig auslegbaren Weg.
Tatsächliche demokratische Verbesserung bringt die Umformung des Obersten Gerichtshofes (jetzt: Tribunal Supremo de Justicia). Wurde der alte Corte Suprema de la Justicia noch mit einfacher Mehrheit durch den Kongress eingesetzt, trifft nun das venezolanische Elektorat eine Vorentscheidung, die das Parlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit besiegelt.

Die Ölindustrie bleibt staatlich

Handfestere Auseinandersetzungen um den neuen Verfassungstext als mit der zersplitterten politischen Kaste führte Chávez mit der Wirtschaft. In zwei zentralen Punkten konnte der Unternehmerschreck sich durchsetzen: Die Zentralbank muss künftig vor dem Parlament Rechenschaft über ihre Währungspolitik ablegen und wird in ihrer Autonomie beschnitten. Außerdem bleibt die Ölgesellschaft PdVSA, wichtigstes Standbein der venezolanischen Ökonomie, in Staates Händen. Die Verfassung schreibt explizit fest, dass die Ölproduktion nicht der Privatisierung anheim fallen kann. Chávez’ Amtsvorgänger Rafael Caldera hatte noch auf eine Privatisierung der mächtigen PdVSA gedrängt, um Devisen ins Land zu holen. In den vergangenen Monaten verließen über 2000 Angestellte den Konzern. Der Präsident besetzte die wichtigen Posten mit loyalen Genossen. Der oft geäußerten Kritik, sein planwirtschaftlicher Umgang mit der PdVSA ruiniere die Gesellschaft, begegnet der Ex-Militär mit dem Hinweis auf seinen Beitrag zu den gestiegenen Ölpreisen. Tatsächlich verhielt sich Venezuela ungewohnt diszipliniert bei der Begrenzung der Fördermengen, doch bewirkt der ruckartig nach oben geschnellte Preis für die begehrte Ressource paradoxerweise eine Überbewertung der Währung und schadet damit dem Export und der heimischen Produktion.
Noch liegt Hugo Chávez bei den Umfragen weit vorne. Doch sein schwacher Punkt bleibt die wirtschaftliche Talfahrt Venezuelas, die nach den verheerenden Überschwemmungen im vergangenen Dezember noch drastischer ausfällt. Besonders die private Wirtschaft hat wenig Vertrauen in Venezuela. Selbst für den Wiederaufbau des zerstörten Bundesstaates Vargas verhandeln die internationalen Finanzgeber um juristische und steuerliche Sonderkonditionen. Frankreichs Entwicklungsminister Charles Josselin, dessen Land nach eigenen Angaben zu einem Viertel an den humanitären Transfers beteiligt ist, bestätigte das Misstrauen bei den privaten Investoren in einem Interview. Die „revolutionären Konnotationen“ des Diskurses, den Chávez bei seinen Auftritten pflegt, schmeckten den Finanziers nicht, so Josselin.
Francisco Arias bemüht passendere Worte, um das Geld des Establishments wieder nach Venezuela zu locken. Er will den Dialog mit den Investoren suchen und Venezuela nach alter Tradition von oben nach unten wieder aufbauen. Kaum anzunehmen, dass dieser Vorschlag bei den im Partizipationsfieber befindlichen venezolanischen Wahlberechtigten auf viel Gegenliebe stößt. Gerade in der aktuellen prekären Situation ist zu erwarten, dass die Mehrheit sich dem Ausruf Chávez’ anschließt: „La revolución sigue!“ (Die Revolution geht weiter). Worin der nächste Schritt nach der „finalen Schlacht“ (Chávez) am 28. Mai bestehen soll, hat der Kommandant allerdings noch nicht verraten.

En memoria Mario Bauzá

Sehr geehrter Herr Calzado, wo sind Sie aufgewachsen und wann haben Sie ihre erste musikalischen Gehversuche gemacht?

Ich bin 1929 in Santiago de Cuba geboren, stamme also aus dem Osten Kubas. Dort habe ich auch meine musikalische Karriere begonnen, im Orchester Mariano Mercedon, das war im Jahre 1948 oder 1949. Später bin ich dann zum Orchester Pancho Portuondo und mit ihm zusammen war ich auch das erste Mal im Ausland – in Mexiko.

War es nicht recht ungewöhnlich für eine Band aus Santiago in Mexiko zu touren? Waren Auslandsaufenthalte damals nicht eher den Bands aus Havanna vorbehalten?

Generell stimmt das schon. Deshalb bin ich auch Anfang der 50er Jahre nach La Habana gegangen, denn dort gab es ganz andere Möglichkeiten als in Santiago. Ich habe Anschluß an das Orchester von Enrique Jorrín, dem Erfinder des Cha-cha-chá, gefunden. Einige Jahre habe ich mit Jorrín und parallel mit José Fajardo und seinem Orchester, Fajardo y Sus Estrellas, zusammengearbeitet. Wir haben damals einige Jahre im Cabaret Montmatre in Habana gearbeitet, das war eine schöne Zeit, so ungefähr von 1956 bis 1959. Aber wie gesagt die Arbeit mit Jorrín und Fajardo lief zumeist parallel und 1953 war ich beispielsweise mit Jorrín im Ausland. Wir haben damals den Cha-cha-chá nach Mexiko gebracht und viel Spaß gehabt. Von dort kam ich drei Jahre später in die Vereinigten Staaten und 1958 war ich dann einige Zeit in Chicago, was mich fasziniert hat. Dann kam ein Engagement in Havanna, im Montmatre, und so bin ich für einige Zeit zurück nach Kuba gegangen. Aber ein Jahr später ging es über einige Auftritte in Venezuela zurück in die Staaten, direkt nach Chicago und da bin ich dann hängengeblieben – vierzig Jahre nun schon. Ich habe im Orchester „Nuevo ritmo de Cuba“ gespielt und 1960 reisten wir nach New York, wo ich den Meister Mario Bauzá kennenlernte – ein Treffen, das ich nie vergessen worden.

Bauzá war damals noch nicht Orchesterchef, oder?

Nein, Mario war die rechte Hand von Machito, quasi der zweite Bandleader des Machito Afro Cuban Jazz-Orchesters. Mario hatte aber eine ungeheure Ausstrahlung, er hat mich einfach beeindruckt.

Haben Sie damals schon mit ihm zusammengearbeitet?

Nein, vielleicht haben wir die eine oder andere Session gemacht, aber zusammengearbeitet haben wir nicht. Ich bin nach Los Angeles gegangen und habe dort Johnny Pacheco kennengelernt. Das war noch bevor die berühmte Fania entstand und ich habe in seinem Orchester gearbeitet. Wir haben Aufnahmen gemacht für ein Label namens „Alegre All Stars“. Wir hatten recht viel Erfolg und es war eine schöne Zeit. Ich habe Stücke geschrieben, arangiert und bin in den folgenden Jahren mit fast allen Stars der Fania auf Tour gewesen. Der Name Fania stammt übrigens von der Oma von Pacheco – die hieß Fánia. Aus dem Label ist dann ein echtes Imperium geworden, aber das ist ja hinlänglich bekannt. Ich habe damals viel mit Tito Puente gearbeitet, auf den Aufnahmen von Celia Cruz bin ich fast überall dabei und auch mit Tito Rodriguez habe ich sehr viel zusammengearbeitet.

Hatten Sie gar keine Lust ihre eigene Band zusammenzustellen, statt immer für andere zu spielen?

Doch das kam mit der Zeit. 1963 war ich mit einem eigenen Orchester in Frankreich und später in Spanien, aber ich bin immer wieder nach Los Angeles zurückgekehrt und habe mit den Leuten von der Fania zusammengearbeitet. Daran hat sich erst mit dem Tod meiner Frau 1983 etwas geändert. Ich habe mich dann der Big Band von Mario Bauzá angeschlossen und gemeinsam haben wir das Orchester geleitet – bis heute quasi, denn ich habe das Orchester nach dem Tode von Mario übernommen und nur ein wenig verändert.

Was hat Sie 1983 dazu bewogen der Band von Mario Bauzá beizutreten?

Ich habe Mario damals in Spanien wiedergetroffen und er hat mich eingeladen mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich hatte damals Angebote in Spanien zu arbeiten, aber er hat mich bearbeitet, mich aufgefordert ihn zu begleiten und mich eingeladen bei ihm zu wohnen. Fünf Jahre habe ich dann mit ihm in seiner Wohnung in New York gelebt. Wir haben uns prächtig verstanden, oft bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet, Stücke geschrieben, arrangiert und das Repertoire der Band gemeinsam zusammengestellt. Mario nannte mich seine rechte Hand und er war eine wunderbare Person, als Freund und Musiker. Er war großzügig, zuverlässig und als Organisator bzw. Direktor einer Band oder eines Orchesters unschlagbar. Er hat ein großes musikalisches Erbe hinterlassen und er war es, der die kubanische Musik mit dem Jazz verschmolzen hat. Diese Hochzeit war nicht einfach, aber er hat es geschafft und nicht umsonst wird er als der Vater des afrokubanischen Jazz bezeichnet.

Das Album zu Ehren Marios ist sehr vielschichtig. Was hat Sie bewogen eine Zeitreise durch die kubanischen Rhythmen zu unternehmen?

Bauzá ist 1926 in die Staaten gegangen, nach Chicago. Er war begeistert vom Jazz und wollte deshalb in den Staaten bleiben. Er hat sich in den Jazz verliebt, ist nach Harlem gegangen und hat dort Anschluß an Jazzorchester gesucht und gefunden. Mit Chick Webb hat er Anfang der 30er Jahre zusammengearbeitet und wurde zum zweiten Bandleader des Orchesters. Er hat Chick auch ein wenig Unterricht in Sachen kubanischer Musik gegeben und diese Einflüsse machten sich alsbald auch in der Musik des Orchesters bemerkbar.
So fing es an und die kubanischen Rhythmen schlichen sich ins Repertoire der Band. Und genau diese Rhythmen haben auch wir in unserem Repertoire und sie gehören auf diese CD zu Ehren Marios.
Zudem ist die amerikanische Jugend sehr jazzbeeinflußt und sie hat begonnen den Einfluss der kubanischen Rhythmen im Jazz zu entdecken. Die ersten Einflüsse stammen von Chano Pozo, der gemeinsam mit Dizzy Gillespie den Bebop aus der Taufe hob. Das war der erste Schritt zur Geburt des afrokubanischen Jazz. Später hat man das, was sich da entwickelte dann Latin Jazz genannt. Das ist Blödsinn ist, denn die kubanische Musik hat keinerlei Wurzeln in der lateinamerikanischen Musik. Ihre Wurzeln liegen in Europa, in Italien. Aber das ist die gleiche Geschichte, wie mit der Salsa. Salsa ist kubanischer Son. Salsa ist kein eigener Rhythmus, es gibt keinen klassischen Salsarhythmus. Sehr wohl gibt es aber den Son Montuno, den Mambo von Pérez Prado, die Guaracha oder den Guaguancó, allesamt klassische kubanische Rhythmen. Die Salsa hingegen ist kein Rhythmus, sondern nur ein neuer Name, ein Scherz, ein Verkaufstrick und nichts anderes. Der hat jedoch ausgesprochen gut funktioniert.

Allerdings gepaart mit Einflüssen aus der puertoricanischen, der dominikanischen Musik – eine Salsa der Musik der gesamten Region?

Natürlich, ist da etwas dran. Mit der politischen Entwicklung Kubas haben sich viele Türen verschlossen, viele Bezüge wurden gekappt. Kuba ist aber nun einmal ein Land, das in jeder Dekade einen neuen Rhythmus, einen neuen Stil hervorgebracht hat. Den Danzùn, den Son, den Cha-cha-cha, den Mambo und so weiter – diese Tür wurde verschlossen. Die Leute in New York haben sich davon ernährt und auf einmal war die Quelle verschlossen. Dann haben sie die Salsa kreiert und natürlich hat sie Einflüsse aus der Merengue, aus der Pachanga usw., man hat daraus einen großen Salat gemacht und ihm den Namen Salsa gegeben, doch alle Welt weiß, wo deren Grundlagen liegen – eben in der afrokubanischen Musik.
Das zeigen auch die derzeitigen Erfolge der afrokubanischen Musik, die genau diese Einflüsse neu aufleben läßt. Vielleicht ist das auch der Grund für den Erfolg der Afro Cuban All Stars und anderer Bands. Für die jungen Leute ist das neue Musik oder Musik, die sie noch nie gehört haben, für die alten ist es so etwas wie eine Zeitreise. Eine Zeitreise zu den Größen der kubanischen Musik – zu Sindo Garay, Miguel Matamoros, Maria Teresa Vera, Ignacio Piñeiro usw.. Das ist ein Treffen mit der Vergangenheit und mit der Wahrheit, denn anhand dieser Aufnahmen läßt sich wunderbar rekonstruieren, woher die Einflüsse in der kubanischen Musik kommen. Es ist nicht nur die spanische und afrikanische Musik, die im kubanischen Son Hochzeit feiern, sondern es gibt weitere gewichtige Einflüße. So die französische Musik, die die Romatik in der kubanischen Musik getragen hat. Diese Einflüße kamen mit den französchen Kaffeebaronen, die gemeinsam mit ihren Sklaven nach Santiago de Cuba flohen.
Starken Einfluß hatte auch der Flamenco, der sich in claves (den Klanghölzern) verewigt hat. Andere Einflüße stammen aus der griechischen oder der russischen Musik, das betrifft allerdings eher den klasssichen Bereich. Allerdings gibt es im punto cubano auch einen starken russsischen Einfluß, der sich in der Mandoline offenbart. Rhythmen, wie la romanza, la faldana, el rigodon, all das sind Rhythmen, die existieren, aber wenig bekannt sind. Die kubanische Musik ist nun einmal ein großer Salat – aber mit sehr eigenständigen und tanzbaren Rhythmen.

Haben Sie nach 40 Jahren in den USA noch Kontakt zu den Musikern aus Santiago und Havanna?

Ja, natürlich. Ich war erst letzten September in Kuba und habe viele alte Freunde wiedergetroffen. Wir waren im Studio und haben einige alte Songs aufgenommen, die bei Termidor erscheinen sollen. Es sind vorwiegend alte Son- und Guaracha-Klassiker, eben musica tipica cubana. Die Zusammenarbeit mit alten Freunden wie Pío Leyva, Tata Güines und anderen hat viel Spaß gemacht – ich denke, daß ist eine gute Session gewesen. Für mich war es der erste Aufenthalt in Kuba seit fast zwanzig Jahren.

Rudy Calzado & Cubarama, A Tribute to Mario Bauzá, Connector 15851-2, im Vertrieb bei Efa Medien GmbH.

No more stars, no more stripes

Die Ausläufer der revolutio-
nären Welle, die den ganzen lateinamerikanischen Kontinent nach dem Sieg der Kubanischen Revolution im Jahre 1959 erfaßte, schwappten auch bis nach Panama. 1968 putschte sich der General Omar Torrijos an die Macht und vertrieb die alteingesessene Oligarchie, die sich an den Fleischtöpfen der USA gemästet hatte. Der charismatische Torrijos verband einen nationalistischen Populismus mit den von Studenten getragenen Protesten, die sich gegen die fortwährende Präsenz der USA in Panama richteten. Torrijo verkörperte somit die klassische Version des lateinamerikanischen Caudillos. Sein Wahlspruch lautete: „Ich möchte nicht in die Geschichte eingehen, ich möchte in die Kanalzone einrücken.“ Erreicht hat er beides.
Angesichts der explosiven Lage in ganz Zentralamerika warnte Henry Kissinger im US-Kongreß vor einem möglichen Guerillakrieg, falls die USA nicht auf die Forderungen Torrijos eingingen. Gegen den erbitterten Widerstand der Konservativen schloß der demokratische Präsident Jimmy Carter am 7. September 1977 schließlich einen Vertrag, der die USA bis Ende 1999 zum Rückzug verpflichtete, das sogenannte Torrijos-Carter-Abkommen. Während dieser Übergangszeit wurde die Kanalzone von einer Kommission verwaltet, die aus fünf US-Amerikanern und vier Panamesen bestand und der Gesetzgebung der USA unterstand. Zum 1. Januar 2000 soll sie nun durch eine ausschließlich unter panamesischer Kontrolle stehende Verwaltung abgelöst werden. Panama wird die vollständige Souveränität erreichen.
Daran änderte auch die Operation Just Cause nichts, mit der die US-Armee 1989 General Noriega stürzte, der sich einige Jahre vorher an die Macht geputscht hatte und von den USA des Drogenhandels verdächtigt wurde. Sowohl die letzte Regierung unter Ernesto Balladares, als auch die seit September unter Mireya Moscoso amtierende verlangten die Erfüllung des Carter-Torrijos-Abkommens.
Einen letzten ernsthaften Versuch, die US-Militärpräsenz doch noch über das Jahr 2000 hinaus zu verlängern, startete die Clinton-Administration 1995. Sie schlug vor, ein internationales Drogenbekämpfungszentrum mit 3.000 US-Soldaten in Fort Howard einzurichten. Dieses sollte zwar unter der Führung der US-Armee und der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde (DEA) stehen, aber auch Kontingente lateinamerikanischer Armeen einbeziehen. Doch letztlich scheiterte dieses Vorhaben am anhaltenden Widerstand Panamas. 1998 wurden die Verhandlungen darüber schließlich abgebrochen. Die extreme Rechte im US-Kongreß und im Senat um den republikanischen Senator Jesse Helms hält den Verzicht der Demokraten bis heute für ein unentschuldbares Vergehen.

Die neue Strategie
der US-Armee
Insbesondere schmerzt die US-Armee der Verlust des Luftwaffenstützpunktes Fort Howard, den der Oberkommandierende Charles Wilhelm einmal „die Augen und Ohren“ des Südkommandos der US-Armee nannte. Hier starteten jährlich 15 000 Aufklärungsflüge. Per Radar wurde der gesamte Luftraum Lateinamerikas überwacht. Die Station vor den Toren von Panama-City war eine Milliarde Dollar wert. Benjamin Gilman, der Vorsitzende des Ausschusses für internationale Beziehungen des Repräsentantenhauses meinte kürzlich: „Die USA hätten den Luftwaffenstützpunkt Howard nie aufgeben dürfen.“
Des Verrats an den Interessen der „nationalen Sicherheit“ muß sich die Clinton-Administration dennoch nicht bezichtigen lassen. Als Ersatz für Fort Howard wird im Dezember eine neue Station in Puerto Rico seine Aufgabe übernehmen. Gleichzeitig werden weitere Stützpunkte aufgebaut, so auf den Karibikinseln Aruba und Curaçao, sowie im ecuadorianischen Manto. In Peru kursieren Gerüchte, daß US-amerikanische Elite-Truppen von den Basen Iquitos (Peru) und Coca (Ecuador) aus operieren. In Coca sollen deren Ausbilder auch brasilianisches und kolumbianisches Militär in den Techniken des Dschungelkampfes drillen.
Der Hintergrund ist vor allem die Entwicklung in Kolumbien. General Charles Wilhelm warnte kürzlich vor einer „Balkanisierung Kolumbiens“, die „eine Bedrohung für die ganze Region“ darstelle. Der offizielle Feldzug gegen die Drogen vermischt sich immer offener mit der Bekämpfung der kolumbianischen Guerilla. Die US-Militärhilfe für die kolumbianische Armee wurde in den letzten drei Jahren verdreifacht, nach Israel und Ägypten ist das Land jetzt der drittgrößte Empfänger weltweit. Außerdem werden Militärberater nach Kolumbien abkommandiert. Nach einer Reuters-Meldung sollen es 300 sein, Kolumbiens Armeechef Fernando Tapias spricht von „einem runden Dutzend“. Im Stützpunkt Tolemaida in der Nähe der Hauptstadt Bogotá bilden Militärberater derzeit etwa tausend Soldaten angeblich zur Drogenbekämpfung aus. Im Dezember sollen sie aber nach Tres Esquinas in den Süden verlegt werden, einer Region, wo die FARC-Guerilla operiert.
Eduardo Pizarro, Direktor des Instituts für politische Studien und internationale Beziehungen der Nationalen Universität Kolumbiens, hält sogar eine offene militärische Intervention der USA in Kolumbien mittlerweile für durchaus möglich. Drei Varianten seien denkbar: „Einseitig durch Washington, durch eine interamerikanische Armee, die, wie wir alle wissen, aus etwa 15 000 Nordamerikanern, drei Argentiniern und zwei Haitianern bestehen würde, oder durch eine Intervention der Blauhelme der Vereinten Nationen.“ Ob dies geschehe, hänge von der weiteren Entwicklung ab. Eine Intervention stände Pizarro zufolge auf der Tagesordnung, wenn der kolumbianische Staat kollabiere, es zu einer „Balkanisierung“ käme bei, der die Guerilla große Teile des Südens zu kontrollieren begänne, oder wenn der Konflikt die Region so instabil werden ließe, daß dadurch das Erdöl in Venezuela oder der Panamakanal gefährdet würden.
Obwohl all diese Szenarien auch in Panama diskutiert werden, stehen hier doch andere Probleme im Vordergrund. In die Freude über den Abzug der US-Truppen mischen sich viele Bedenken, Zukunftsängste und auch Bitterkeit. Verärgert reagiert die panamesische Öffentlichkeit vor allem auf die Weigerung der USA für die immensen Umweltschäden aufzukommen, die durch die US-Truppen angerichtet wurden.

Ungewisser Aufbruch
ins neue Jahrtausend
Aufgrund der tropischen klimatischen Bedingungen, die denen in Südostasien gleichen, benutze die US-Armee ihre Basen in den 60er und 70er Jahren als Manöverfeld für den Einsatz von B- und C-Waffen, die später in Vietnam eingesetzt wurden. Der Verdacht, daß auch mit dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel Agent Orange experimentiert wurde, konnte nie ausgeräumt werden. Des weiteren sollen Uranmunition und Senfgas eingesetzt worden sein. Das ermittelte Rick Stauber, der ursprünglich für das US-Verteidigungsministerium eine Bestandsaufnahme durchführen sollte und dann auf die panamesische Seite wechselte, als die US-Behörden versuchten, seine Ergebnisse unter Verschluß zu behalten.
Panama fordert von den USA 500 Millionen Dollar Entschädigung, um die Umweltschäden beheben zu können. Wie notwendig das ist, zeigt, daß seit dem begonnenen Abzug der Truppen bereits 20 Panamesen bei Unfällen mit Altmunition getötet wurden. Noch liegen Tausende alte Granaten im Dschungel. Doch die USA weigern sich beharrlich zu zahlen.
Die Säuberung der US-Basen von chemischen Altlasten ist auch deshalb von großer Bedeutung für Panama, weil das Land sich als Paradies für den Öko-Tourismus verkaufen möchte. Am Gatún-See wird die ehemalige School of Americas von spanischen Investoren für 20 Millionen Dollar in ein Fünf-Sterne-Hotel umgebaut. Ähnliches geschieht an anderen Orten. Doch viele Beobachter bezweifeln, daß der Tourismus in Panama große Chancen hat. Vielversprechender scheint ihnen dagegen, Panama in ein Finanz- und Handelszentrum sowie in einen Standort für die Weltmarktproduktion zu verwandeln und die günstige geostrategische Lage aufgrund des Kanals zu nutzen. Tatsächlich ist bei Colón bereits eine große Freihandelszone entstanden, in der sich viele Maquiladoras (Billiglohnfabriken) angesiedelt haben. Das taiwanesische Unternehmen Evergreen hat bereits vor zwei Jahren den Betrieb eines riesigen Container-Terminals aufgenommen. Der Komplex Balboa-Cristobal-Manzanillo kann über eine Million Container im Jahr abfertigen. Die Konzession für den Betrieb der beiden Häfen Colón und Panama-City wurde ebenfalls 1997 an Hutchison International abgegeben, ein großes Unternehmen aus Hongkong. Die bis jetzt der US-Armee verbliebenen drei großen Basen sollen in ein Transportzentrum für Luft- und Schiffsfracht umgewandelt werden. Aus Fort Clayton soll eine „Stadt des Wissens“ werden, eine mit privaten Geldern errichtete Universität.
Diese Projekte sollen sich nach dem Willen der Politiker in die neoliberale Strukturreform einpassen, die in den letzten Jahren auch in Panama begonnen wurde. Strom und Telekommunikation sind schon privatisiert, weitere staatliche Unternehmen sollen folgen. Auch die ehemaligen Unterkünfte für US-Offiziere und amerikanische Arbeiter und Angestellte der Kanalverwaltung werden privatisiert. Bisher hat diese Politik die Kluft zwischen arm und reich beständig vertieft. Offiziellen Zahlen zufolge lebt heute fast die Hälfte der drei Millionen Panamesen in Armut, ein Viertel davon im Elend. So kontrastiert in Panama-City und Colón das Glitzern des american way of life und das Elend Zentralamerikas. Ex-Präsident Balladares’ Partido Revolucionario Democrático (PRD), für die Martín Torrijos, der Sohn des legendären Caudillos Omar Torrijos bei den Wahlen im Frühjahr kandidierte, wurde hauptsächlich aus Unmut über die soziale Situation nicht mehr gewählt. Doch auch Mireya Moscoso vom Partido Arnulfista (PA) folgt trotz vieler Versprechen von sozialen Verbesserungen der neoliberalen Politik.
Ob sich der erhoffte Boom also wirklich einstellt und Panama, wie angestrebt, den Entwicklungsweg der südostasiatischen Tigerstaaten geht, wird sich erst erweisen. Noch ungewisser ist, ob dieser Weg den PanamesInnen aus der Armut helfen wird. Eine sichere Bank wird auf jeden Fall der Kanal bleiben. Gegenwärtig belaufen sich die Einnahmen aus den Benutzungsgebühren auf 750 Millionen Dollar im Jahr. Es kursieren allerdings Befürchtungen, daß die politische Elite Panamas die Übergabe des Kanals nutzen wird, um erst einmal selbst kräftig davon zu profitieren. Aus der Luft gegriffen sind diese Ängste nicht. Von den elf Personen, die der kürzlich geschiedene Präsident Ernesto Pérez Balladares ausgewählt hat, um die neue Kanalverwaltung zu führen, sind vier familiäre Verwandte. So könnte die Hoffnung vieler PanamesInnen, daß die Rückgabe des Kanals eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur, Schulen und Bibliotheken ermöglichen könnte, schnell zerplatzen.

Der erste Teil dieses Artikels erschien in der Dezemberausgabe LN 306.

Zeichen setzen gegen die Barbarei

Ich habe Angst“, bekennt Martha Cecilia Monroy. „Immer wieder treiben sich seltsame Typen vor dem Gebäude herum, manchmal sogar auf unserem Stockwerk. Sobald wir die Polizei verständigen, sind sie verschwunden.“ Die resolute Anwältin arbeitet als juristische Beraterin im Bogotaner Büro der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation Minga, die sich im Nordosten des Landes für die ländliche Bevölkerung einsetzt.
Seit der jüngsten Offensive paramilitärischer Verbände ist das Catatumbo-Gebiet an der Grenze zu Venezuela für die engagierten Minga-AktivistInnen zu heiß geworden. Unbehelligt von Armee und Polizei, teilweise sogar mit deren Hilfe, haben die Paras dort in gut drei Monaten rund 200 ZivilistInnen umgebracht. Die Geldgeber aus der lokalen Oligarchie erhoffen sich dadurch eine Schwächung der Guerillaverbände FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), ELN (Heer zur nationalen Befreiung) und EPL (Volksbefreiungsheer). Neben der strategisch wichtigen Lage ist das Gebiet auch ökonomisch attraktiv. Tausende von Menschen mußten flüchten. Weil sie die Untätigkeit der Armee angesichts der Massaker beklagten, wurden Minga und andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von einem General beschuldigt, „Sprachrohr der Guerilla“ zu sein.

Präsenz zeigen

Das mit Kameras und gepanzerter Tür gesicherte Minga-Büro in Bogotás Stadtzentrum ist eine der Stationen auf dem täglichen Rundgang von Christiane Schwarz. Die 34jährige Hamburgerin ist seit Mitte August als Freiwillige der Peace Brigades International (PBI) in Kolumbien tätig. Ihre Aufgabe ist es, bedrohte MenschenrechtsaktivistInnen zu schützen. Wenn eine der örtlichen Partnerorganisationen es wünscht, stellt PBI Begleiter für besonders gefährdete Personen ab – wenn es sein muß, rund um die Uhr. Die Präsenz von AusländerInnen im Umfeld der MenschenrechtlerInnen soll die politischen Kosten für einen Mord so in die Höhe treiben, daß er sich für die potentiellen Auftraggeber nicht mehr „lohnt“.
Anfang der neunziger Jahre hatte sich Christiane Schwarz für Nicaragua engagiert und war zu dem Schluß gekommen, sie könne „am wirkungsvollsten von Deutschland aus tätig sein“. Nach ihrem Romanistikstudium leitete sie einige Jahre das PBI-Büro in Hamburg, bei dem Aktivitäten vier deutscher Regionalgruppen zusammenlaufen. Dort reifte der Entschluß für einen Einsatz im kolumbianischen Krisengebiet. Bei den Friedensbrigaden könnten „Leute aus der ´ersten´ Welt etwas tun, ohne gleich Lösungsansätze zu suggerieren“ – dieser Ansatz gefällt ihr besonders.
In Bogotá fühle sie sich wohl, sagt Christiane Schwarz, und es klingt überzeugt. Nach zwei Monaten hat sie „das Gefühl, schon sehr lange hier zu sein.“ Die schönste Erfahrung für sie war der „herzliche und offene Empfang“ durch alle, mit denen sie zusammenarbeitet. „Die Situation der Leute, die wir begleiten, stelle ich mir sehr schwierig vor. Auch wenn sie sich sicherer fühlen, ist es bestimmt nicht einfach und auch nicht immer angenehm, ständig eine fremde Person um sich zu haben.“ Ob sie manchmal Heimweh hat? „Was mir vor allem fehlt, sind vertraute Menschen, mit denen ich sprechen kann, auch auf deutsch. Das läuft dann alles über e-mail.“

In der Tradition von Mahatma Gandhi

Der Name der 1981 in Kanada gegründeten NGO erinnert an die linken Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der bedrängten Republik kämpften – ein „Mißverständnis“, wie Christiane Schwarz meint. Denn PBI ergreift Partei für Menschenrechtsorganisationen von Haiti über Serbien bis Osttimor und steht damit in der Tradition von Mahatma Gandhis Shanti Sena (Friedensarmee), deren unbewaffnete AktivistInnen sich zuweilen „physisch zwischen die Kampflinien stellten. Das tun wir natürlich nicht, aber auch wir wollen gewaltfrei zu Konfliktlösungen beitragen.“ Gerade im kolumbianischen Mehrfrontenkrieg ist dies eine durchaus heikle Aufgabe. Offenheit ist da der beste Selbstschutz: Ständig informieren die PBI-Mitglieder die Regierung und die militärischen Behörden, wann und wohin sie eine bedrohte Person begleiten. Bei ihren Missionen tragen die Freiwilligen auffällige grüne Jacken mit dem Schriftzug ihrer Organisation auf dem Rücken.
Minga hat die FriedensbrigadistInnen gebeten, im Catatumbo-Gebiet aktiv zu werden. Doch ob es bald dazu kommt, ist fraglich. „Wir sind gegen Feuerwehreinsätze. Kontinuität und Konzentration sind sehr wichtig für uns,“ so eine andere Freiwillige aus dem Hauptstadtbüro. Sieben AktivistInnen aus Westeuropa und Nordamerika leben zusammen in einem Haus im Wohnviertel Teusaquillo, in einer Art Wohngemeinschaft. „So ist garantiert, daß wir rund um die Uhr erreichbar sind und in Notfällen sofort reagieren können,“ sagt Christiane Schwarz. Seit dem ersten Einsatz im Oktober 1994 ist das Team stetig gewachsen. Zunächst gab es neben Bogotá noch ein Büro in der Krisenregion Magdalena Medio. Seit einem Jahr ist PBI in Urabá nahe der Grenze zu Panama ständig präsent und hat seinen Schutz auf die dortigen Flüchtlingsorganisationen ausgeweitet. In Kürze wird ein Regionalbüro in Medellín eröffnet. 30 Aktive aus Westeuropa und Nordamerika sollen Ende des Jahres in Kolumbien arbeiten.

Die letzte zivile Opposition

Die nächste Station auf dem Rundgang von Christiane Schwarz ist die Vereinigung Familienangehöriger der Verhaftet-Verschwundenen (ASFADDES). Im ganzen Land versuchen derzeit 120 Familien, das Schicksal ebensovieler „Verschwundener“ aufzuklären. Dies ist eine schwierige und auch gefährliche Aufgabe, da die Verantwortlichen für diese Verbrechen in den allermeisten Fällen Polizisten oder Militärs sind. Mehrere ASFADDES-Mitglieder wurden bereits ins Exil gezwungen. Yolima Quintero, eine der Vorsitzenden, lobt den Schutz durch PBI in den höchsten Tönen: „Wenn wir direkte Drohungen erhalten, werden wir bis nach Hause begleitet. Riskant ist es auch, wenn jemand wegen einer Zeugenaussage in eine andere Stadt reisen muß. Unsere Leute fühlen sich bei den BrigadistInnen bestens aufgehoben, gerade weil sie unbewaffnet sind.“
Als „besonders angespannt“ bezeichnet die temperamentvolle 24-jährige die derzeitige Situation, nicht nur in der Provinz, wo ASFADDES bereits mehrere Büros schließen mußte, sondern gerade auch in Bogotá. Im August wurde der populäre Satiriker Jaime Garzón auf offener Straße erschossen, einen Monat später, auf dem Gelände der Nationaluniversität, der Ökonom und Friedensforscher Jesús Bejarano. In aller Öffentlichkeit zirkulieren Todeslisten eines „Kolumbianischen Rebellenheeres“, hinter dem viele den Dunstkreis rechtsextremer Armeekreise und ihrer paramilitärischen Helfer vermuten.
In den letzten zehn Jahren sind in Kolumbien rund 4.000 Menschen „verschwunden“. Bei Nachforschungen kommen selbst engagierte Staatsanwälte nicht weit. Haftbefehle werden von den zuständigen Polizeistellen oft einfach ignoriert. Wenn es tatsächlich einmal zu einem Verfahren kommt, landet es bei der Militärgerichtsbarkeit und verläuft im Sande. Immerhin befindet sich derzeit eine Gesetzesvorlage im Parlament, die das „Verschwindenlassen“ als Verbrechen definiert und hohe Strafen vorsieht. Doch die Militärs, die ähnliche Projekte in der Vergangenheit noch immer torpediert haben, wehren sich vehement. Für Eduardo Carreño, den Vorsitzenden des „Anwaltskollektivs José Alvear Restrepo“, sind die MenschenrechtlerInnen die letzte verbliebene zivile Opposition. „Der kolumbianische Staat hat sämtliche oppositionelle Gruppierungen, auch die aus dem gewerkschaftlichen Spektrum, systematisch ausgeschaltet. Die Paramilitärs setzen dieses staatliche Projekt durch.“ Verbal weise jede Regierung solche Anschuldigungen zurück, doch auch unter dem jetzigen Präsidenten Andrés Pastrana sei „kein politischer Wille“ erkennbar, die rechten Todesschwadronen zu bekämpfen. Vertreter von amnesty international (ai), die sich drei Wochen lang in Kolumbien aufhielten, sehen dies ähnlich. „Die Aktivitäten der Paramilitärs nehmen zu. Zehntausende von vertriebenen Bauern haben die Elendsviertel anschwellen lassen.
Die Regionale Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (CREDHOS) hatte vor Jahren mehrere Tote zu beklagen und gehörte daher zu den Organisationen, denen PBI von Anfang an Begleitschutz gewährte. Nach ständigen Morddrohungen ging Osiris Bayther, zeitweilig Vorsitzende von CREDHOS, ins Exil, hielt es aber nicht lange aus. Nach ihrer Rückkehr wurde sie erneut zum „militärischen Objekt“ erklärt: zunächst in einem internen Dokument der Armee, dann in einem Flugblatt der Paramilitärs. „Die Begleitung durch die BrigadistInnen,“ so die Einschätzung der couragierten Aktivistin, „hat uns das Leben gerettet.“ Daß dies keine Übertreibung ist, beweist der Fall ihres Kollegen Mario Calixto aus dem Nachbarort Sabana de Torres: Vor zwei Jahren drangen bewaffnete Unbekannte in sein Haus ein, zogen sich aber zurück, als sich die anwesenden PBI-Freiwilligen einschalteten.
Ein Jahr, maximal anderthalb, wird Christiane Schwarz im Lande bleiben, „das ist die Regel, wegen der großen psychischen Belastung.“ Dagegen scheint das Ende des Engagements von Peace Brigades International in weiter Ferne zu liegen, denn noch „ist es in Kolumbien die Stunde der Bestien, der Intoleranten“, meint Osiris Bayther, die jetzt in Europa lebt.

„Die Vertreibungen sind die Ursache des Krieges“

Der Konflikt um die Finca Bellacruz ist wie ein Spiegel der kolumbianischen Landkämpfe. Er gehört zu den ältesten in Kolumbien.

Ja, in den 40er Jahren kaufte das Familienoberhaupt der Marulandas 4.000 Hektar Land im nordkolumbianischen Departement Cesar. Während des Bürgerkriegs 1948-53 und den damit zusammenhängenden Vertreibungen eigneten sich die Marulandas dann weitere 35.000 Hektar unrechtmäßig an. Vor diesem Hintergrund begannen 1961 die ersten Besetzungen, die zu einer ersten Rückübereignung führten. Das heißt, bis 1986 hat der kolumbianische Staat im Rahmen des Agrarreform-Gesetzes 22.000 Hektar von den Marulandas abgekauft und an uns weiter veräußert.

1986 gab es dann einen Bruch.

Wir starteten die dritte Besetzungswelle auf der Finca mit etwa 500 Familien. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Besitz des Botschafters noch aus etwa 17.000 Hektar. Wir erhoben diesmal eine andere Forderung als in den Jahrzehnten zuvor. Wir wollten nicht, daß das Land aufgekauft wird, sondern daß die Besitzverhältnisse geklärt werden. Die meisten Familien besaßen ja noch Besitztitel aus dem Jahr 1908, die in Widerspruch zu den Eintragungen standen, die sich Marulanda mit Hilfe von Notaren erkauft hatte. Nach der neuen Besetzung drang das Familienoberhaupt Carlos Arturo Marulanda bei der Armee darauf, daß sie eine Basis auf der Finca einrichtete. Diese Militäreinheit vertrieb uns zwischen 1986 und 1994 insgesamt mehr als 280 mal. Unsere Hütten wurden abgebrannt, unser Besitz zerstört, mehrere FührerInnen der Bauernbewegung ermordet, Bäuerinnen wurden vergewaltigt. Trotzdem hat die Bewegung standgehalten. Die Besetzung ging weiter.

Dann jedoch wurdet ihr praktisch legalisiert…

Richtig. 1994 stellten kolumbianische Gerichte fest, daß nicht die Marulandas, sondern wir die Eigentümer des Landes waren. Die Familie des Botschafters konnte nur Landtitel für seine 4.000 Hektar nachweisen, die er 1940 gekauft hatte. Damit war klar, daß die anderen Ländereien schon vor 1940 in Gemeindebesitz gewesen waren und nicht von den Marulandas aufgekauft wurden. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Marulandas weder Armee noch Polizei gegen uns einsetzen. Bis Anfang 1996 gab es relative Ruhe. Die Marulandas legten Rechtsmittel ein, doch wurde diesen nicht stattgegeben. Deshalb bereitete die Familie schließlich den Einsatz von Paramilitärs vor.
Schon Ende 1995 kursierten Gerüchte über eine Aktion der Todesschwadrone. Der Polizeikommandant von Aguachica, der dem Paramilitarismus kritisch gegenüber stand, bekräftigte vor dem Staatsanwalt, die Armeeführung bereite gemeinsam mit Viehzüchtern aus der Region sowie Victor Carranza einen paramilitärischen Überfall vor.

Carranza ist der sogenannte „Smaragd-Zar, gleichzeitig einer der wichtigsten Hintermänner des Paramilitarismus im Land…

Genau. Carranza erklärte sich bereit, 200 Männer auf dem Landbesitz der Familie Marulanda zu stationieren. Als wir davon erfuhren, forderten wir die Regierung auf, etwas zu unternehmen, aber niemand schenkte uns Beachtung.
Am 14. Februar 1996 überfielen uns dann die Paramilitärs. Unter den Angreifern waren auch Armeeangehörige in Zivil. Sie wüteten die ganze Nacht durch, verbrannten Häuser und Schulen, töteten Tiere, zerstörten Pflanzungen und befahlen uns zu verschwinden. Sie verboten uns näher als auf 200 Kilometer an die Finca heranzukommen.
Uns wurde eine Frist von fünf Tagen gegeben. Am gleichen Tag war in Carepa / Urabá ein schweres Massaker verübt worden. Niemand zweifelte deshalb daran, daß die Paramilitärs ihre Drohungen wahr machen und uns alle umbringen würden. Uns blieb nichts anderes übrig, als den Fall öffentlich zu machen. Wir wandten uns an die Regionalverwaltung und die Regierung in Bogotá. Als von dort keine Reaktion kam, haben wir Regierungsgebäude besetzt. Das war Anfang März 1996. Es wurden vier sehr lange Besetzungen, die letzte dauerte bis Mai des darauf folgenden Jahres. Das müßt ihr euch vorstellen: Wir haben über ein Jahr ausgeharrt. In den Büroräumen wurden Kinder gezeugt und groß gezogen, es gab Epidemien, wir haben ums Überleben gekämpft. Schließlich hat die Regierung ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich verpflichtete, die paramilitärischen Gruppen zu bekämpfen, die vertriebenen BäuerInnen zu entschädigen, die Schuldigen für den Überfall zu bestrafen und die gerichtlich festgestellten Eigentumsverhältnisse auch durchzusetzen.

Ihr konntet aber trotzdem nicht auf euer Land zurückkehren.

Es war wie immer: Die Regierung hat das Abkommen einfach nicht eingehalten. Das 40. Armeebataillon „Heroes de Corea” unterhält bis heute ihren Stützpunkt auf der Finca, insgesamt 300 Mann, direkt zusammen mit den paramilitärischen Gruppen. Die Gewalt wurde immer schlimmer. 40 von uns wurden in der Folgezeit an verschiedenen Orten im Land ermordet, mich haben sie mehrmals zum Tode verurteilt, weil ich Sprecherin bei den Verhandlungen war. Unser Druck führte aber immerhin dazu, daß Marulanda von seinem Botschafterposten abberufen wurde. Uns schlug man von Regierungs- und NGO-Seite vor, daß wir uns zur „neutralen Gemeinde” erklären oder – noch weitergehend – eine CONVIVIR (paramilitärische Zivilpatrouille, Anm. d. V.) gründen sollten. Das haben wir abgelehnt. Im sozialen Konflikt kann man nicht „neutral” sein. Wir haben die Vorstellung, daß die Gesellschaft verändert werden muß. Weil an eine Rückkehr auf die Finca nicht zu denken war, haben wir darum gekämpft, Ersatzland in einer anderen Region zu bekommen.

Die Paramilitärs haben gegen euch schrecklich gewütet. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, warum sie auch Staatsangestellte angegriffen haben. Einem Angehörigen des staatlichen Instituts für Agrarreform (INCORA) haben sie die Haut an der Schulter bei lebendigem Leib abgezogen.

Sie haben auch Abgeordnete und Leute aus der Stadtverwaltung von Pelaya ermordet. Was das INCORA betrifft, hat sich die Armee beharrlich geweigert, die Kommission der Agrarreformbehörde zu begleiten. Die Leute sind dann allein gefahren und von den Paramilitärs angegriffen worden. Die Todesschwadrone wollten zeigen, daß sich niemand an das Land heranwagen sollte, denn Regierung und Militärs ging es längst nicht mehr nur um die Finca. Es ging um das gesamte paramilitärische Projekt in der Region. Schon 1996 war klar, daß ein Korridor von den Bananenplantagen in Urabá bis an die venezolanische Grenze errichtet werden sollte. Pelaya und die Finca Bellacruz waren die größten Hindernisse für dieses Projekt in der Region. Sie behaupteten daraufhin, die Kooperativen seien Guerillacamps.

Tatsächlich war es ja eher andersherum: Die Guerilla hat die BesetzerInnen der Finca Bellacruz im Stich gelassen. Es gab keinen Schutz, obwohl die ELN in der Region eine lange Geschichte hat. Wie haben die Bauern aufgenommen, daß die Guerilla, als die vermeintliche Beschützerin der Zivilbevölkerung, niemand schützen konnte?

Das war natürlich enttäuschend. Bei einer stärkeren Unterstützung wären wir nicht aus der Region vertrieben worden. Aber ich denke, daß die Guerilla in der Region damals selbst schwere Schläge erlitten hatte und sich weit in die Serranía de Perijá an der Grenze zu Venezuela zurückgezogen hatte. In der Nähe der Städte, des Flusses Magdalena und der wichtigen Überlandstraßen gab es zu diesem Zeitpunkt keine Guerilla mehr. Die Bauern haben es natürlich trotzdem als Enttäuschung empfunden.

Der Botschafter Marulanda wurde inzwischen von seinem Posten abberufen. Es gibt einen internationalen Haftbefehl gegen ihn. Trotzdem lebt er unbehelligt in den USA. Wie ist das möglich?

Nach den Verbrechen auf der Finca haben eine ganze Reihe von uns Anzeige gegen Marulanda erstattet. Die Flut von Beweisen und Indizien hat schließlich dazu geführt, daß zwei seiner Brüder verhaftet wurden und auch gegen Marulanda selbst ein Haftbefehl ausgestellt wurde. Vergangenen Sommer wurde er in Spanien fast von Interpol verhaftet, entkam nach Ägypten, wurde dort erneut aufgespürt und floh schließlich in die israelische Botschaft. Die hat dafür gesorgt, daß Marulanda in die USA ausfliegen konnte, denn er hat neben der kolumbianischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er ist in New York geboren und mit einer Kanadierin verheiratet.

Aber es existiert doch ein Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Kolumbien…

Ja, aber dafür muß die kolumbianische Regierung die Auslieferung beantragen. Weder Bogotá noch Washington sind in der Sache bisher aktiv geworden. Wir haben deshalb am 26. September neue Zeugenaussagen vorgelegt. Wenn der internationale Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft dennoch aufgehoben werden sollte, werden wir uns an einen internationalen Gerichtshof wenden.

Den vertriebenen Bauern ist von der Regierung „Ersatzland“ zugeteilt worden. Sie leben heute auf drei Fincas verteilt. Haben die Gemeinden ihre kooperativen Strukturen beibehalten?

Nachdem die Regierung ihre Versprechen nicht einhielt, akzeptierten wir schließlich die Umsiedlung auf drei Fincas. Die Regierung verlangt dafür allerdings Geld von uns. Jede Familie hat fünf Hektar zugeteilt bekommen und soll 7.000 US-Dollar pro Hektar bezahlen. Unsere Leute weigern sich für etwas zu bezahlen, daß sie nicht verlangt haben. Zudem ist das Land qualitativ schlechter als jenes, das man uns geraubt hat. Und wir haben 40 FreundInnen und Angehörige während der Landkämpfe verloren. Als Antwort darauf hat die Regierung die Gemeinden im Stich gelassen. Nicht einmal Strom und Trinkwasser gibt es auf den neuen Fincas. Die Gemeinden hängen von Wasserlieferungen ab, die der Bürgermeister von Ibague mit Tanklastzügen zu uns schickt.

Und die Paramilitärs?

Der Druck der Todesschwadronen geht auch in dieser Region, 700 Kilometer von der Finca Bellacruz entfernt, weiter. Ständig tauchen irgendwelche Männer in Jeeps auf, sprechen Drohungen aus und verschwinden dann wieder. Wir haben deswegen versucht, internationale Öffentlichkeit über die Situation herzustellen. Wir befürchten, daß auch die neuen Ansiedlungen überfallen werden könnten.

Wer sind diese Paramilitärs? Polizisten in Zivil, Privattruppen Marulandas, Soldaten?

Das weiß man nie genau. Aber der Druck wird von verschiedener Seite aufrecht erhalten. Die Regierung sagt, daß sie die BäuerInnen erneut vertreiben wird, wenn diese das Land nicht bezahlen, und die Todesschwadronen zeigen, daß man jederzeit Opfer von Angriffen werden kann. Dennoch haben die Gemeinden ihre kooperativen Strukturen verteidigt. Auf der Finca La Miel gibt es eine Kooperativenpresse für biologisches Zuckerrohr, und in allen Gemeinden existieren politische, soziale, wirtschaftliche und organisatorische Pläne, die gemeinsam verabschiedet worden sind.

Wie ist die Situation von Kleinbauern allgemein heute in Kolumbien?

Sie ist dramatisch. Es gibt 1,5 Millionen Kriegsvertriebene. Außerdem hat die wirtschaftliche Öffnung vielen Bauern das Genick gebrochen, weil niemand mit den Importen konkurrieren kann. Es gibt 7 Millionen landlose Bauern und einen rasanten Prozeß der Landkonzentration in den Händen von Viehzüchtern, Drogenhändlern und Paramilitär-Kommandanten. Diese eignen sich das Land nicht deswegen an, weil sie damit arbeiten wollen, sondern weil das Land einen strategischen Wert besitzt: Es enthält Rohstoffvorkommen wie Öl, Kohle, Gold und Smaragde oder ist in Regionen gelegen, wo Großprojekte geplant sind. Mit dem Land wird spekuliert.
Man kann sagen, daß die Vertreibungen nicht Folge des Kriegs sind, sondern seine Ursache. Die Paramilitärs verüben Greueltaten, um die Landreform von unten nach oben zu beschleunigen. Neben den militärischen Aspekten gibt es also auch wichtige ökonomische Komponenten.
Vor diesem Hintergrund hat es dieses Jahr drei große Bauernmobilisierungen für eine Agrarreform in Kolumbien gegeben. In Anbetracht der Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla hat der Bauernverband die Forderung „Ohne Landreform kein Frieden“ ins Gespräch gebracht. An den Protesten haben Zehntausende teilgenommen. Der Südwesten des Landes war den gesamten November über völlig abgeriegelt, weil Bauern Straßensperren errichteten. Und das waren keine Proteste, wo Leute davonliefen, weil Tränengas eingesetzt wurde. Die Leute haben den Angriffen der Polizei standgehalten, und wenn die Polizei Gefangene gemacht hat, haben die Bauern ihrerseits Polizisten festgehalten und gegen eigene Leute eingetauscht.

Kolumbien ist ein sehr fruchtbares Land. Wie weit ist Hunger unter den Bauern trotzdem verbreitet?

Von 40 Millionen Kolumbianern leben 22 Millionen in absoluter Armut, darunter extrem viele Bauern, die wirtschaftlich und sozial völlig marginalisiert sind. Die meisten halten sich über Wasser, weil es funktionierende Solidarstrukturen in den Dörfern gibt. Was uns den Todesstoß versetzt, ist die paramilitärische Offensive, die vor allem in jenen Regionen besonders stark ist, die für das transnationale Kapital von Bedeutung sind. Die Kleinbauern, die Großprojekte behindern, sollen beseitigt werden.

Gleichzeitig hat die Bauernbewegung stark an Bedeutung verloren.

Auf dem ganzen Kontinent sind die Bauernorganisationen in der Krise, was in Kolumbien vor allem mit der Repression zu tun hat. Die erste Maßnahme des Paramilitarismus ist es, die Mitgliedschaft in oppositionellen und sozialen Organisationen zu verbieten. Die ANUC hatte 1986 beispielsweise im Departement Córdoba 9.000 Mitglieder, 1994 kein einziges mehr. Im Gebiet des Magdalena Medio ist die ANUC inzwischen ebenfalls zerschlagen und in den Wäldern Bolívars verstecken sich zur Zeit 3.000 Menschen vor der Armee.

Im Frühjahr 2000 erscheint vom gleichen Autor der Roman „La Negra“, in dem die Geschichte der Finca Bellacruz ebenfalls eine zentrale Rolle spielt

No more stars, no more stripes

Am 1. November übergab der US-Botschafter in Panama Simon Ferro der panamesischen Präsidentin Mireya Moscoso feierlich einen riesigen Plastikschlüssel als Symbol für die Übergabe der Luftwaffenbasis Fort Howard. Jetzt unterhält die US-Armee nur noch zwei Stützpunkte in Panama, doch auch Fort Clayton und Fort Corozal werden bis zum Jahresende den Besitzer wechseln. Die dort noch verbliebenen letzten 300 US-Soldaten müssen Anfang Dezember die Stars-and-Stripes-Flagge einholen und den Heimflug antreten. Zum Jahreswechsel wird dann auch die Oberhoheit über die 80 Kilometer lange Kanalzone von den USA an Panama übertragen. Damit wird die offizielle Präsenz der USA in Panama nach fast einem Jahrhundert beendet sein.
Mit dem Abzug der US-Truppen geht für Panama eine historische Epoche zu Ende. Der Jubel über das Erlangen „vollständiger Souveränität“ ist über die Parteigrenzen hinweg groß. Dennoch sind mit der Schließung der US-Militärbasen auch zahlreiche Befürchtungen und Unsicherheiten verbunden. Wie kann die panamesische Wirtschaft den Abzug der zahlungskräftigen Gringos verkraften und neue Perspektiven aufbauen? Vor allem aber stellt sich die Frage, wie die USA ihre Militärpräsenz in der Region in Zukunft aufrechterhalten möchte. Denn eines steht für alle Beobachter fest: Der Abzug der US-Armee aus Panama heißt nicht, daß die USA ihr Interesse an der Region verloren hätten. Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, daß das US-Verteidigungsministerium nach neuen Wegen sucht, nationale Interessen in der Region auch militärisch abzusichern.
Offizieller Grund dafür ist der seit der Reagan-Ära mit großem Aufwand geführte „Kampf gegen die Drogen“. Das südlich an Panama angrenzende Kolumbien gilt als weltweit größter Kokainproduzent, das Land am Kanal selbst soll als Drehscheibe des internationalen Drogenhandels fungieren. Doch es gibt noch andere Ursachen: Erstens wollen die USA die Kontrolle über den geostrategisch noch immer bedeutsamen Kanal nicht ganz aufgeben. Zweitens stellen die beiden linksorientierten kolumbianischen Guerillaorganisationen FARC und ELN, die militärisch stärksten in ganz Lateinamerika, eine latente und wachsende Gefahr für US-Interessen dar. Dazu kommt, daß auch die politischen Entwicklungen in Venezuela und Ecuador aus dem Ruder zu laufen drohen.

Das „achte Weltwunder“

Die Geschichte des Panama-Kanals gleicht einer Erzählung des magischen Realismus über den brutalen Zugriff der Modernisierung auf ein verwunschenes Land am Ende der Welt. Sie stellt gleichzeitig ein Kapitel aus dem Lehrbuch über den ungeschminkten Imperialismus der Supermacht USA dar. Genau betrachtet war der Bau des Panama-Kanals sogar der Durchbruch der USA auf der Bühne internationaler Machtpolitik und damit der Beginn des Hinterhofdaseins Zentralamerikas. Andererseits wäre Panama ohne die Politik der USA als Staat niemals entstanden.
Die Idee, in Panama einen Kanal zu bauen, um damit die beiden Weltmeere zu verbinden, entstand bereits während der Eroberung Amerikas durch die Spanier. 1513 durchquerte Vasco Núñez de Balbao als erster Europäer mit zweihundert Landsleuten und vielen indianischen Lastenträgern den Isthmus von Panama. Es dauerte aber noch bis zur Weltumsegelung Ferdinand Magellans, bis klar war, was das für ein Meer war, das Núñez entdeckt hatte, nämlich der Pazifik. 1534 entwickelten die Spanier dann erste Pläne, in Panama einen Kanal zu bauen. Aber der Einfluß der Kirche bewahrte sie vor diesem Abenteuer. Die Kleriker argumentierten, daß, wenn Gott den Kanal gewollt hätte, er ihn selbst gebaut hätte. So blieb es zunächst bei einem Trampelpfad für Maultiere.

Der Bau war die Hölle

Vielleicht hatte die Kirche nicht ganz unrecht. Denn als Ende des 19. Jahrhunderts die Idee des Kanalbaus zum ersten Mal ernsthaft umgesetzt wurde, kam es zur Apokalypse, zumindest für die Beteiligten. Der Franzose Ferdinand de Lesseps, Erbauer des Suezkanals in Ägypten, hatte sich das Projekt in den Kopf gesetzt und begann eine Aktiengesellschaft aufzubauen, um den Kanalbau zu finanzieren.
1881 wurden die ersten französischen Ingenieure nach Panama geschickt. Mit großem Aufwand wurden moderne Maschinen nach Panama verfrachtet und Arbeitskräfte angeheuert. Doch in acht Jahren Bauzeit konnten gerade einmal zehn Prozent des Kanals fertiggestellt werden. Die geographischen und klimatischen Bedingungen machten die Bauarbeiten zur Hölle auf Erden.
Entlang der geplanten Strecke erstreckten sich Dschungel, Sümpfe und Schlamm, die Fläche war zudem nicht gerade eben. An einer Stelle mußte eine Hügelkette von hundert Meter Höhe durchbrochen werden. 20 000 Arbeiter, die meisten aus Jamaica, starben elend, zerquetscht zwischen den Maschinen, verschüttet von Erdrutschen oder an grassierenden Tropenkrankheiten wie Gelbfieber, Typhus, Pocken, Cholera, Ruhr und Beriberi. Die ständigen Angriffe der Moskitoschwärme ließen die Lebenden sich den Tod wünschen. Ende 1889 wurden die Arbeiten schließlich eingestellt. Lesseps AG machte pleite.
Doch der wachsende Welthandel benötigte den Kanal, und der 1901 an die Macht gekommene US-Präsident Theodore Roosevelt wollte sein Land zur Weltmacht machen. Der erste Schritt war, den Einfluß von Briten, Franzosen und Deutschen in Lateinamerika zurückzudrängen. Dazu gehörte die Kontrolle Zentralamerikas und der Transportwege um den amerikanischen Kontinent. Zunächst zog Roosevelt Nicaragua für einen Durchstich in Erwägung, doch 1902 entschied sich der Kongreß für Panama, das damals zu Kolumbien gehörte.
Die US-Regierung legte Kolumbien einen Vertrag vor, der dem Land anbot, den USA das Kanalterritorium zu vermieten, doch der kolumbianische Kongreß lehnte im August 1903 definitiv ab. Jetzt änderten die USA die Strategie. Warum keinen eigenen Staat gründen für den Kanal? Großprojekte brauchen Visionen. Die USA bauten also eine bereits vorhandene, aber politisch und militärisch schwache sezessionistische Bewegung auf, die Panamas Unabhängigkeit von Kolumbien erstreiten sollte.
Der ehemalige Chefingenieur des französischen Kanalprojektes Philippe Bubau-Varilla, jetzt im Dienst der USA, verfaßte eine Unabhängigkeitserklärung, setzte eine Verfassung auf und entwickelte einen militärischen Aktionsplan, um den Sezessionisten auf die Sprünge zu helfen. Seine Frau nähte eine Nationalflagge für den zukünftigen souveränen Staat. Sie gefiel den Panamesen aber nicht und wurde von ihnen geändert, ein erstes Zeichen der Weigerung, sich gänzlich zu unterwerfen.
Nur drei Monate nach der Ablehnung des ersten US-Vorschlages durch den kolumbianische Kongreß erklärten die Panamesen am 4. November 1903 ihre Unabhängigkeit. Um nachdrücklich deutlich zu machen, wer die Panamesen unterstützte, schickte die US-Armee bereits einen Tag vorher ein US-Kriegsschiff in die Bucht von Colón. In den folgenden Tagen kreuzten noch mehr amerikanische Kriegsschiffe auf, die USA erkannten das neue Land als erster Staat an, und fortan existierte die unabhängige Republik Panama. In jener Zeit wurde der Terminus „Kanonenbootpolitik“ geprägt.
Nur zwei Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung schloß der neue Staat mit den USA das Hay-Brunau-Varilla-Abkommen. Für 10 000 Dollar wurden den USA die unbegrenzten Nutzungsrechte und die vollständigen Hoheitsrechte über ein Territorium von einem Küstenstreifen zum anderen und jeweils acht Kilometer Breite an beiden Seiten des zu bauenden Kanals eingeräumt. Der Vertrag von 1904 gewährte den USA unbefristete Hoheitsrechte, ohne daß Panama allerdings auf die Souveränität verzichten mußte. Die Zone besaß eine eigene Polizei, Verwaltung, Gerichtsbarkeit und sogar eine eigene Posthoheit, weshalb die seltenen Briefmarken aus der Kanalzone bis heute zu den begehrtesten Sammelobjekten der Philatelisten zählen.
Die US-Amerikaner hatten die Lektion der französischen Kanalbaupleite gelernt. Bevor sie mit den Bauarbeiten begannen, legten sie die Sümpfe trocken und konnten die Gegend so mit der Zeit entseuchen. Jetzt entstand das „achte Weltwunder“. 50 000 Arbeiter aus 97 Nationen, die meisten von der Karibikinsel Barbados, buddelten mit modernstem Gerät den Kanal durch die tropischen Sümpfe. Über 25 Millionen Kilogramm Sprengstoff wurde in die Luft gejagt, sechzig 95 Tonnen schwere Dampf-Bagger gruben sich durch den Schlamm, mit preßluftgetriebenen Bohrern wurden die Felsen zerkleinert.
Und wieder mußten die Arbeiter das Wunder mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit bezahlen. „Wie Vögel flogen manchmal Menschenteile durch die Luft“, schrieb ein Beobachter. Offiziell starben 5 609 Arbeiter, 4 500 davon waren Schwarze. Wieviele einfach unter Schlammlawinen oder im Dschungel ihr Grab fanden, weiß bis heute niemand.

Ersparnis von 14 800 Kilometern

Neun Jahre später, am 10. Oktober 1913, war das Bauwerk schließlich fertig. Als Meilenstein der Globalisierung wurde es zeitgemäß eröffnet. Präsident Wilson betätigte in Washington ein Knöpfchen, per Telegraf wurde das Signal Tausende Kilometer weit nach Panama geschickt und löste dort die Sprengung eines provisorischen Damms aus, der die Gaillard-Schleuse überflutete. Am 15. August 1914 konnte dann das erste Dampfschiff von Colón auf der Atlantikseite nach Panama-City am Pazifik fahren.
Heute passieren jedes Jahr über 13 000 Schiffe den Kanal. Die zwölf Stunden für die 80 Kilometer zwischen den beiden Häfen Colón auf der Atlantikseite und Panama-City am Pazifik ersparen ihnen einen Umweg von 14 800 Kilometer durch die überdies gefährliche Magellanstraße an der Südspitze Chiles. Der Kanal fungiert so als Schnittstelle nicht nur für den Handel zwischen der Ost- und Westseite Amerikas, sondern auch zwischen Europa und Asien.
Doch die Ausweitung des Handels und die immer größeren Schiffe haben den Kanal mittlerweile zum Nadelöhr gemacht. 2002 soll zwar die Modernisierung der Gaillard-Schleuse beendet sein, damit die Kapazität um 20 Prozent erhöht werden kann, doch das wird nicht ausreichen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Derzeit können nur Schiffe bis 65 000 Tonnen passieren. Seit Jahren wird ein Projekt diskutiert für etwa acht Milliarden US-Dollar eine dritte Gruppe von Schleusen zu bauen, um Schiffen bis 220 000 Tonnen die Durchfahrt zu ermöglichen.

Stützpunkt zur Kontrolle des Hinterhofs

Die Militärpräsenz der USA wurde offiziell immer mit der Bedeutung des Kanals für den Welthandel begründet. Der Kanal sollte nie in die Hände der „roten“ und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs auch nicht der „deutschen Gefahr“ fallen. Die 65 000 US-Soldaten, die zeitweise in Panama stationiert waren, erfüllten aber auch andere Pflichten. Von den Luftwaffenstützpunkten Fort Howard und Fort Albrook, vom Marinestützpunkt Fort Rodman, von den Basen der 193. Infanteriebrigade Fort Amador und Fort Kobb oder dem Spionagezentrum auf der Galeta-Insel aus kontrollierte die USA ihren karibischen Hinterhof. In Panamas US-Basen wurden Staatsstreiche geplant, Aufstandsbekämpfungsoperationen koordiniert und Geheimmissionen vorbereitet.
Vom Putsch gegen Jacobo Arbenz in Guatemala 1954, der Landung in der Schweinebucht nach der Kubanischen Revolution über die Verminung der Häfen des sandinistischen Nicaraguas nach 1979 bis zur Invasion Grenadas 1983, hier wurden die Fäden gezogen. In der berüchtigten School of Americas (SOA), die bis zu ihrem Umzug nach Fort Bragg im amerikanischen Bundesstaat Georgia 1984 am Gatún-See in Panama beheimatet war, trainierte die US-Armee seit dem Zweiten Weltkrieg 50 000 lateinamerikanische Offiziere in den Techniken der Aufstandsbekämpfung und des „wissenschaftlichen“ Folterns. Viele der führenden Juntageneräle und Folterknechte der Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre wurden in Panama auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ein Kapitel, das der juristischen Aufarbeitung wahrscheinlich noch lange harren wird.

Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe

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