Auf dem Weg zum Mafia-Staat

Die Regierung des rechten Präsidenten Álvaro Uribe ist ein Phänomen. Jede andere Administration wäre bei einer vergleichbaren Häufung von Skandalen international längst isoliert: Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition wird wegen Verbindungen zu rechten Todesschwadronen ermittelt. Die Vorsitzenden von zwei Regierungsparteien sitzen im Gefängnis, der Haftbefehl gegen einen dritten Parteichef, den Cousin von Präsident Uribe, wurde auf Weisung des Generalstaatsanwaltes (eines Ex-Ministers von Uribe) vorübergehend ausgesetzt. Der Bruder des obersten Polizeikommandanten Oscar Naranjo wurde 2006 in Deutschland wegen Kokainhandels festgenommen. Die aus einer nordkolumbianischen Landbesitzerfamilie stammende Außenministerin María Consuelo Araújo musste im Februar 2007 zurücktreten, weil ihr Vater und ihr Bruder nicht nur mit den Paramilitärs verbündet waren, sondern offensichtlich auch die Entführung eines konkurrierenden (ebenfalls rechten) Bürgermeisters in Auftrag gegeben hatten. Seit einigen Wochen sitzt nun auch Guillermo León Valencia, Bruder des Innenministers und führender Staatsanwalt in Medellín, als Mitglied des berüchtigten „Büro aus Envigado“ im Gefängnis. Dabei handelt es sich um ein kriminelles Netzwerk, das in den 1980er Jahren zu Zeiten des legendären Drogen-Capos Pablo Escobar entstand und als ein Knotenpunkt von Auftragsmord und Drogenhandel gilt. Ermittlungen gegen das Büro wurden von Staatsanwalt Valencia und dem Medelliner Polizeichef immer wieder niedergeschlagen. Angeblich kam es erst zu Ermittlungen, als die deutsche Polizei nach Verhaftungen Informationen über den Drogenhandelsring nach Bogotá sandte.
Doch all diese Skandale sind verglichen mit der Affäre, die die Beziehungen zwischen dem Obersten Gerichtshof und Präsident Uribe erschüttern, vergleichsweise harmlos. Der Präsident gestand ein, dass sein persönlicher Sekretär den Drogenhändler Antonio López (alias Job) und den Anwalt des Paramilitär-Kommandanten Diego Murillo (alias Don Berna) im April 2008 im Präsidentenpalast empfangen hatte. Bei diesem Treffen ließ sich Uribes Sekretär von den Narcoparamilitärs – Drogenhandel und rechte Gewalt lassen sich in Kolumbien längst nicht mehr voneinander trennen – Material gegen den Obersten Gerichtshof aushändigen. Uribe, der sich als Opfer einer Justizkampagne sieht, lässt keine Gelegenheit aus, um die Justiz anzugreifen. Er spricht von einem „Zeugenkartell“ und behauptet, der Gerichtshof biete Paramilitärs Geld für Aussagen an. Tatsächlich ist es wohl eher andersherum: So erklärte ein Paramilitär, der vom Präsidenten vor einigen Monaten als Belastungszeuge gegen den Gerichtshof präsentiert worden war, nach Uribes Attacken, er habe die Geschichte erfunden. Santiago und Mario Uribe, Bruder und Cousin des Präsidenten, hätten ihm als Gegenleistung ein Haus für seine Mutter angeboten.
„Wir erleben in Kolumbien die Mafiotisierung des Staates“, erklärt der Senator Gustavo Petro, der in der Mitte-Links-Partei Alternativer Demokratischer Pol (PDA) eher zum rechten Flügel gehört. „Großgrundbesitz, Politik und paramilitärische Drogenmafia haben schon vor Jahren in den Regionen Allianzen geschlossen. Diese Mafias haben den Staat durchdrungen – mehr noch als in Kosovo, Sizilien oder Afghanistan.“
Tatsächlich ist, ganz anders als die Berichterstattung der führenden Medien es glauben lässt, die Bilanz der Regierung Uribe erschreckend. Dem Präsidenten ist es zwar gelungen, die FARC-Guerilla zurückzudrängen und Entführte wie die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt spektakulär zu befreien. Doch gleichzeitig ist die Organisierte Kriminalität in die höchsten Sphären von Politik und Wirtschaft vorgedrungen. So gehört zu den verhafteten Mitgliedern des Büros aus Envigado auch der angesehene Medelliner Unternehmer Juan Felipe Sierra. Sein Wachschutzunternehmen, das mehr als 1.000 Angestellte zählt, wird vom Staat für den Schutz demobilisierter Paramilitärs bezahlt. Eingebunden ins Netzwerk scheint außerdem auch Uribes Drogenbeauftragte, die im Einflussgebiet des Büros die Herbizidbesprühungen von Kokapflanzungen erfolgreich verhinderte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Präsident nicht längst gestürzt ist. Die Seriosität von Umfragen, die Uribe regelmäßig eine Zustimmung von 80 Prozent bescheinigen, ist zwar fragwürdig, da die Bevölkerung der Armenviertel von Umfrageinstituten kaum erreicht wird. Doch unzweifelhaft ist Uribe in Kolumbien hochpopulär. Erklärt werden kann das zum einen damit, dass er unablässig arbeitet und bei der Bekämpfung der Guerilla offensichtliche Erfolge vorweisen kann. Zum anderen hat er seine Popularität aber auch der Unterstützung der Medienkonzerne zu verdanken. Die Santos-Familie, der das größte Medienkonglomerat im Land gehört, ist mit dem Vizepräsidenten und dem Außenminister gleich doppelt in der Regierung vertreten. Auf diese Weise finden Uribes Manöver in der Öffentlichkeit fast immer Zustimmung.
Das beste Beispiel dafür ist die Auslieferung von 14 Kommandanten der Paramilitärs an die USA. Die im Mai erfolgte Auslieferung hatte den Effekt, dass die in Kolumbien anhängigen Menschenrechtsprozesse abgebrochen wurden. Bei diesen Verfahren hatten die Paramilitärs, darunter die ehemalige Nummer Zwei der Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), Salvatore Mancuso, Aussagen gegen Hintermänner in Armee, Politik und Wirtschaft zu machen begonnen. Da die AUC-Führer in den USA nur wegen Drogenhandels angeklagt sind, sind neue Enthüllungen nun nicht mehr zu befürchten.
Präsident Uribe verkaufte diese Auslieferung als Maßnahme gegen den Paramilitarismus. Tatsächlich ist jedoch keineswegs klar, ob sie nicht im Sinne der AUC-Führer erfolgte. Führende Paramilitärs haben in den vergangenen Jahren Deals mit der US-Justiz ausgehandelt, die ihnen kurze Haftstrafen und Aufenthaltsgenehmigungen in den USA ermöglichen. Nicolás Bergonzoli, der ehemalige Emissär des verschollenen AUC-Kommandanten Carlos Castaño, schloss schon vor einigen Jahren ein solches Abkommen und lebt heute mit einer neuen Identität in den USA. Etwas Vergleichbares zeichnet sich auch für die Nummer Zwei des berüchtigten Bloque Norte der AUC ab. Der Paramilitär Hugues Manuel Rodríguez lebt heute in Washington und ist Eigentümer von 30 Prozent des kolumbianischen Kohleunternehmens El Descanso, das zu den größten Lateinamerikas gehört.
Dass die US-Justiz derartige Abkommen zulässt, dürfte drei Gründe haben: Erstens handelt es sich bei den AUC-Führern um wichtige Informationsquellen bei der Drogenbekämpfung. Zweitens gehören zu den Abkommen auch Geldzahlungen an den US-amerikanischen Staat. Nach Aussagen des DEA-und FBI-Mitarbeiters Baruch Vega, der seit den 1980er Jahren als Vermittler zwischen kolumbianischen Drogenhändlern und US-Regierung eingesetzt wird, fließen diese Gelder angeblich „in einen Geheimfonds Washingtons“. Und drittens schließlich haben die USA selbst ein Interesse daran, dass die Paramilitärs nicht auspacken. US-Spezialeinheiten haben mindestens bei der Bekämpfung des Drogenbarons Pablo Escobar Anfang der 1990er Jahre mit den späteren AUC-Kommandanten kooperiert. Und der US-Fruchtkonzern Chiquita hat nach eigenen Angaben Millionenzahlungen an die rechten AUC geleistet.
Auf diese Weise von verschiedenen Seiten abgesichert, strebt Präsident Uribe nun eine dritte Amtszeit an. Dafür ist zwar eine neuerliche Verfassungsänderung nötig. Doch schon 2004 kam die dafür nötige Parlamentsmehrheit – durch Bestechungszahlungen an eine mittlerweile inhaftierte Abgeordnete – zustande.
Von links hat Uribe nicht viel zu befürchten: Die PDA ist tief zerstritten. Die Parteirechte möchte die Linke, die grundlegende soziale Transformationen einfordert, loswerden. Obwohl Parteichef Carlos Gaviria als sehr integer gilt, erinnert das Innenleben des PDA immer stärker an die berüchtigten kolumbianischen Klientelapparate. Die Guerilla schließlich ist völlig diskreditiert. Die FARC haben die Öffentlichkeit in zahlreichen Entführungsfällen gezielt belogen und ihre Gefangenen schwer misshandelt. Außerdem protegieren sie – paradoxerweise – in ihren Regionen den Drogenhandel. Die ELN hingegen, die enger mit sozialen Bewegungen verbunden ist und in einigen Regionen Basisarbeit leistet, wird öffentlich nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund scheint alles darauf hinauszulaufen, dass Präsident Uribe so lange weitermachen kann, bis eines Tages in den USA die Alarmsignale losgehen. Mit der Organisierten Kriminalität kann man zwar gelegentlich auch Abkommen schließen, aber einen Mafia-Staat will Washington mit Sicherheit nicht.

KASTEN:
Menschenrechtsbeobachterin ausgewiesen
Die kolumbianische Sicherheitsbehörde DAS der Stadt Santiago de Cali, Valle del Cauca, hat am 2. Oktober die deutsche Staatsangehörige und internationale Menschenrechtsbeobachterin Friederike Müller ausgewiesen. Das berichten unter anderem das Solidaritätsnetzwerk Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia und die Kolumbienkampagne Berlin. Friederike Müller war von verschiedenen kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen nach Kolumbien eingeladen worden, um eine Untersuchung über die Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Regionen des Landes durchzuführen. Ihre Ausweisung wird auch in den Zusammenhang gebracht mit ihrer Präsenz in den Departements Valle del Cauca und Cauca, in denen derzeit ein Streik mehrerer Tausend ZuckerrohrarbeiterInnen stattfindet.
Friederike Müller war am 1. Oktober gegen 17.30 Uhr von MitarbeiterInnen der DAS festgenommen und ohne richterliche Anordnung illegal festgehalten worden. Man verweigerte ihr, Kontakt zu einem Anwalt aufzunehmen und beschlagnahmte ihr Mobiltelefon. Am 2. Oktober wurde sie um 13.40 Uhr durch die DAS aus Kolumbien ausgewiesen. Das Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia stellt fest: „Die Abschiebung wurde unter völliger Missachtung internationaler Rechtsstandards vollzogen.” Die Organisationen weisen weiter darauf hin, dass gegen Friederike Müller ein siebenjähriges Einreiseverbot verhängt wurde, mit der Begründung sie würde geheimdienstlichen Informationen zufolge „die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit, den sozialen Frieden und die öffentliche Sicherheit gefährden”.
Poonal

Terroristen erfinden, Militärbudget sichern

„Wenn es einmal eine Zeit der Hegemonie der USA in Lateinamerika gegeben hat, so ist sie nun vorüber.“ Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Council on Foreign Relations, eines New Yorker Studienzentrums für auswärtige Beziehungen, der im März dieses Jahres veröffentlicht wurde. Die Heritage Foundation, eine konservative Denkfabrik, deren Arbeit auf Washingtoner Regierungskreise Einfluss hat, warnte bereits im Februar 2004 davor, im Zuge des globalen Krieges gegen den Terror „die Südflanke“ zu vernachlässigen. Den Freiraum, den man den lateinamerikanischen Regierungen dadurch gelassen habe, sei unter anderem eine Ursache dafür, dass viele von ihnen sich zunehmend kritisch gegenüber den USA äußern und sich anderweitig außenpolitisch orientieren würden.
Auch hohe Offiziere des SouthCom, des Regionalkommandos der USA für Lateinamerika und die Karibik (mit Ausnahme Mexikos), werben dafür, das militärische Engagement in der Region wieder zu intensivieren. Ihr Hauptargument ist, dass in Lateinamerika islamistische TerroristInnen Angriffe auf die USA vorbereiten würden. Ursächlich hierfür sei die Unfähigkeit oder der politisch motivierte Unwille einiger lateinamerikanischer Regierungen, für Sicherheit in bestimmten Regionen zu sorgen. Diese bis heute nicht bestätigten Behauptungen sind wohl vor allem mit der Angst vor einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit des SouthCom zu erklären. Ihre Offiziere scheinen die Meinung zu vertreten, dass sie im Zeitalter des „Kampfes gegen den globalen Terrorismus“ nur dann ein hohes Budget einfordern können, wenn sie TerroristInnen in der Region vermuten. Daher werden alle potenziellen Bedrohungen für die USA in Lateinamerika zu Terrorismus umdefiniert.
Es sind jedoch vor allem wirtschaftliche Interessen der USA und hier in entscheidendem Maße die Energielieferungen aus Lateinamerika, die gefährdet sind. Denn die „linken“ Regierungen in verschiedenen Ländern Lateinamerikas verhandeln Konzessionen für die Erdöl- und Erdgasförderung neu. Es treten zudem andere Länder wie vor allem China mit Begehrlichkeiten auf den Plan. Die Konkurrenz um die Rohstoffe des Südkontinentes nimmt zu.
Die nicht vorhandenen Berührungsängste einiger lateinamerikanischer Staatsoberhäupter mit dem Iran werden von den USA als immense Bedrohung wahrgenommen. Dies motivierte den US-Kongress im November 2007, eine Resolution zu diesem Thema zu verabschieden, in der die Treffen zwischen latein­ameri­kani­schen Staatschefs und dem iranischen Präsidenten Ahmadi­ne­dschad minutiös dargestellt werden. Die Heritage Foundation sieht diese Beziehungen als Gefahr eines islamischen „Hintertür-Terrorismus“. Eine weitere Gefährdung der Interessen wird in dem Aufkommen eines „radikalen Populismus“ gesehen, der sich unter anderem aufgrund eines starken Anti-Amerikanismus am Leben halten könnte. Insbesondere dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez wird vorgeworfen, TerroristInnen über seine Verbindungen zu Ahmadinedschad in Lateinamerika Raum zu bieten, aber auch „einheimische“ TerroristInnen, vor allem die kolumbianische Guerilla-Organisation FARC zu unterstützen. Auch indigene Organisationen werden als gefährlich eingestuft. So erklärte Connie Mack, Abgeordneter im US-Kongress, es gebe laut Angehörigen des SouthCom keinerlei Zweifel, dass islamistische TerroristInnen, wie die Hisbollah, indigene Organisationen infiltriert hätten, um ein Terroristennetzwerk in Lateinamerika zu etablieren. Zudem könnten territoriale Forderungen der indigenen Bevölkerung die Vorraussetzungen für bewaffnete Aufstände und politische Gewalt schaffen. Als weitere Bedrohungen werden der Drogenhandel, kriminelle Banden und „Massenmigration“ gesehen und das unzureichende Vorgehen der „populistischen Regierungen“ dagegen.
Angesichts der vielfältigen „Bedrohungen“ kommt die Heritage Foundation zu dem Schluss, die USA sollten die Ausbildung von Polizei und Militär in Lateinamerika übernehmen, da die Staaten teilweise nicht in der Lage seien, Kriminelle, Subversive und TerroristInnen auf ihrem eigenen Territorium zu bekämpfen. Zum anderen müsse das SouthCom „wiederbelebt“ und nicht nur zur Drogenbekämpfung sondern auch zur Bekämpfung aller anderen Bedrohungen eingesetzt werden. Des Weiteren sollten die geheimdienstlichen Aktivitäten der USA in Lateinamerika verstärkt werden, da man sehr schlecht darüber informiert sei, was dort passiere.
Präsident Bush scheint dies ähnlich zu sehen: Wurden 2007 noch 770 Millionen US-Dollar für den Bereich „Sicherheit und Frieden“ in Lateinamerika ausgegeben, beantragt er im Haushaltsentwurf für 2009 1,2 Milliarden US-Dollar. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die USA zunehmend Probleme in der Region haben, ihre militärische Präsenz zu rechtfertigen.
Die USA reagieren auf diese Probleme damit, dass sie den Schwerpunkt der Militärpräsenz vom Land auf die Gewässer um Lateinamerika verlagern. Die zunehmende Bedeutung der Marine für die Region wird besonders an der Wiederbelebung der 1943 gegründeten Vierten Flotte deutlich. Dies liegt wohl auch daran, dass mit dem Flughafen Manta an der ecuadorianischen Pazifikküste eine der wichtigsten US-Militärbasen in Lateinamerika zum nächsten Jahr geschlossen werden muss.
Der Vertrag, der dem US-Militär die Nutzung des Militärflughafens in Manta für zehn Jahre zubilligte, läuft 2009 aus und wird – wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa bereits vor seiner Wahl im Dezember 2006 ankündigte – nicht verlängert. Die Entschlossenheit dieser Entscheidung zeigt die Tatsache, dass im Entwurf für eine neue Verfassung in Artikel 5 die Errichtung ausländischer Militärbasen verboten wird. Die Basis in Manta ist aber ein wesentlicher Bestandteil des Netzwerkes von Militärbasen in Lateinamerika und zentraler Teil des US-Militärs im Plan Colombia. In dem Vertrag war festgelegt worden, dass sich die Nutzung der Basen auf die Bekämpfung des Drogenhandels beschränkt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die dort stationierten Einrichtungen auch zur Aufstandsbekämpfung in Kolumbien, zur Erhebung von Informationen in der Region sowie zur Kontrolle von MigrantInnen an der Küste Ecuadors genutzt werden. Die Befürchtung Ecuadors, durch die Anwesenheit des US-Militärs in Manta weiter in den Konflikt in Kolumbien verstrickt zu werden, wurde bereits zum Zeitpunkt der Vertragsschließung geäußert. Sie bestätigte sich im März dieses Jahres, als auf ecuadorianischem Territorium FARC-Guerilleros bombardiert wurden. Die Nachrichtenagentur IPS zitiert einen ecuadorianischen Militär damit, die Informationen über den Ort des FARC-Lagers stammten von der Basis in Manta. Auch seien die Bomber, die das Lager zerstörten, US-amerikanische Flugzeuge gewesen. Diese Einschätzung vertritt auch die ecuadorianische Regierung, während die USA und Kolumbien vehement widersprechen.
Doch nicht nur die FARC, auch MigrantInnen sind in das Visier von Manta geraten. Im Juni 2005 veröffentlichte die Lateinamerikanische Menschenrechtsvereinigung (ALDHU) einen Bericht, nach dem seit 2001 acht zivile Schiffe durch Schiffe der US-Marine versenkt worden seien. Der Generalsekretär der ALDHU sagte, die Kriegsschiffe der US-Marine würden die Fischerboote gezielt nach MigrantInnen durchsuchen.
Die USA sind nun auf der Suche nach einer neuen Basis, damit das seit 1999 gut funktionierende Netz von Überwachung und Kontrolle nicht in sich zusammenfällt. Dies gestaltet sich jedoch derzeit schwierig. Verhandlungen laufen verschiedenen Zeitungsberichten zufolge mit Kolumbien und Peru. Angesichts der Präsenz von US-Militär in Kolumbien und der Möglichkeit, mit einer Basis in Peru auch Bolivien in den Überwachungsradius mit einzubeziehen, scheint die Präferenz der USA auf Peru zu liegen. Der Oberbefehlshaber der peruanischen Armee erklärte im Juni diesen Jahres, es gäbe Verhandlungen mit den USA, einen Flugplatz in Ayacucho dem US-Militär zur Verfügung zu stellen. Die Region um Ayacucho gilt als Anbaugebiet von Kokapflanzen und als Hochburg kleinerer Gruppen der Guerillaorganisation Sendero Luminoso. Seit Mai 2008 befinden sich bereits mehr als 100 US-Soldaten in der Region, die offiziell Schulen und ein Krankenhaus bauen und mit peruanischen Soldaten Übungen durchführen. Der peruanische Präsident Alan García zeigt sich grundsätzlich zu einer engeren militärischen Zusammenarbeit mit den USA bereit, dementiert jedoch ebenso wie die US-Regierung, dass es Gespräche über die Etablierung einer Basis in Peru gäbe.
Parallel zu diesen Verhandlungen haben die USA die Vierte Flotte neu belebt. Sie war während des zweiten Weltkrieges zum Schutz der lateinamerikanischen Küste und der Karibik vor deutschen U-Booten geschaffen und 1950 wieder aufgelöst worden. Die jetzt neu aufgestellte Flotte untersteht dem SouthCom und ist seit Juli im Einsatz. Sie umfasst unter anderem einen Flugzeugträger und U-Boote und soll in den Gewässern vor der Küste der Region patrouillieren. Damit könnte die Flotte auch Funktionen der Militärbasis in Manta übernehmen. Der Oberbefehlshaber des SouthCom, James Stavridis, beteuert, Mission der Flotte seien humanitäre Hilfe, Katastrophenschutz, Umweltschutz (sic!), die Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Drogenhandel und die Regulierung und Abwehr von Massenmigration in die USA, vor allem in der Karibik.
Die Regierungen in Lateinamerika sind angesichts der Zusammensetzung der Flotte jedoch nicht davon überzeugt, dass dies die wahren Motive sind. Auch wenn die US-Marine bereits zuvor fast permanent vor den lateinamerikanischen Küsten für Militärübungen mit lateinamerikanischen Marineeinheiten präsent war, wird dies durch die Vierte Flotte verstärkt. Denn bisher mussten die USA Übungen vor Ort jedes Mal aufs Neue mit den lateinamerikanischen Regierungen absprechen. Auch wenn weiterhin die Erlaubnis eingeholt werden muss, um in lateinamerikanische Hoheitsgewässer einzudringen, ist die Flotte jederzeit präsent. Dies muss von den lateinamerikanischen Ländern als permanente Bedrohung wahrgenommen werden. Insbesondere auch aufgrund der Aussage des Oberkommandierenden der Marine des SouthCom, man werde mit der Vierten Flotte nicht nur im blauen, sondern auch im braunen Wasser (gemeint sind Flüsse) Übungen durchführen.

„Die FARC sind moralisch schwer angeschlagen“

Stecken die FARC in der tiefsten Krise ihrer Geschichte seit ihrer Gründung 1964?

Vermutlich. Mit Sicherheit ist es das erste Mal, dass die FARC in so kurzer Zeit so viele Tiefschläge hinnehmen musste. Manuel Marulanda ist zwar wahrscheinlich an Altersschwäche gestorben, aber die anderen Fälle sind für die FARC sehr beunruhigend. Raúl Reyes hat man offensichtlich mit Hilfe seines Satellitentelefons geortet. Ihm wurden quasi seine diplomatischen Bemühungen zum Verhängnis. Kommandantin Karina hat man erpresst. Ihre Tochter wurde dem Vernehmen nach entführt, und sie aufgefordert, sich zu stellen, was sie dann gemacht hat. Ganz besonders beunruhigend für die FARC ist, dass Iván Ríos offensichtlich von einem infiltrierten Militär ermordet worden ist. Das bedeutet, dass es sehr nahe an der FARC-Führungstruppe Infiltrierte aus der Armee gibt. Es gibt nichts, was so demoralisierend wirkt. Die FARC sind moralisch schwer angeschlagen.

Was bedeutet das für den Krieg in Kolumbien?

Es ist aus der Geschichte von Guerillakriegen bekannt, dass es im Wesentlichen darum geht, die Kampfmoral und die politische Moral des Gegners zu brechen. Das ist zum Beispiel den Rebellen um Fidel Castro gegen die Schergen von Batista gelungen, aber auch der peruanischen Armee im Kampf gegen Sendero Luminoso. Der Leuchtende Pfad ist nicht deshalb zerfallen, weil schlagartig alle Einheiten besiegt worden wären, sondern weil mit der Festnahme vom obersten Kommandierenden Abimael Guzmán die Kampfmoral zusammengebrochen ist. Für die FARC als eine sehr autoritär strukturierte Organisation ist dieser Verlust an Führungskadern ein schwerer Schlag, auch weil um Marulanda ein Personenkult betrieben wurde und sein Tod ein Vakuum hinterlässt.

Die Spekulationen, dass die FARC vor ihrem Ende stehen könnten, sind nicht ganz aus der Luft gegriffen?

Nein, aber es ist Vorsicht geboten. Die FARC sind eine über 40 Jahre alte Guerilla. Bei aller Kritik darf man nicht übersehen, dass sie eine sehr tiefe Verankerung in der Sozialgeschichte Kolumbiens und in der Landfrage haben. Deswegen sind sie ein gewachsenes, in der Realität in bestimmten Regionen auf dem Land sehr verankertes Phänomen. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sich das schnell völlig auflöst. Der Nachfolger von Marulanda, Alfonso Cano, gilt als intelligenter und politischer Kopf, der immer an einer politischen Lösung interessiert war. In den 1980er Jahren wurde er von der bürgerlichen Presse als „der Sozialdemokrat“ in der FARC gehandelt. Es wurde immer spekuliert, dass er den bewaffneten Kampf aufgeben würde. Mit ihm an der Spitze haben die FARC unter Umständen die Chance, sich politisch zu erneuern. Die Chance ist sehr klein, weil die FARC einen starken Autoritarismus und Militarismus haben. Aber es ist eine Chance.

Cano rückte an die Spitze, weil auch der Vize Raúl Reyes Anfang März auf ecuadorianischem Territorium getötet wurde. Die Folge war ein heftiger Disput zwischen Ecuador und Kolumbien, aber auch zwischen Kolumbien und Venezuela. Der wurde formal beigelegt. Nun streut die kolumbianische Regierung permanent Informationen, dass sich auf den angeblichen Rechnern von Reyes Informationen befunden haben, die eine sehr starke Verbindung zwischen den FARC und Hugo Chávez nahe legen. Damit wird der Konflikt wieder neu angeheizt. Was steckt hinter dieser Kampagne?

Ich finde die Geschichte mit diesen Computern sehr eigenartig. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass die kolumbianische Armee die Rechner von Reyes sichergestellt hat. Das ist vorstellbar. Interpol hat bestätigt, dass die Computer nicht manipuliert worden seien. Doch die Frage stellt sich schon vorher, wer sagt überhaupt, dass diese Computer Raúl Reyes gehörten? Man sollte sehr skeptisch sein, auch gegenüber Interpol. In Kolumbien stehen immens viele geopolitische und geostrategische Interessen auf dem Spiel. Kolumbien kommt innerhalb der US-Außenpolitik eine Schlüsselrolle für die westliche Hemisphäre zu. Das richtet sich nicht nur gegen Venezuela und die Linksregierungen in Ecuador und Bolivien, sondern es betrifft auch Brasilien. In der April-Ausgabe der Le Monde diplomatique war ein interessanter Artikel von Darío Pignotti. Demnach sieht auch die brasilianische Regierung die Rolle Kolumbiens als große Gefahr, weil es ein geostrategisches und ökonomisches Interesse der USA gibt, nicht nur die Erdölreserven, sondern auch die Bioreserven des Amazonasgebietes zu kontrollieren und sie den Lateinamerikanern abzunehmen. Insofern ist klar, dass es darum geht, Kolumbien als Militärmacht aufzubauen. Mit dem Plan Colombia wurde das aus US-Sicht sehr erfolgreich und sehr massiv gemacht. Gleichzeitig wird die Konfliktsituation mit den Nachbarländern angeschürt, ganz ähnlich wie im Mittelamerika der 80er Jahre. Dass es diese Konflikte gibt, ist keine Verschwörungstheorie, sondern ein ganz offensichtlich auf der Hand liegendes Interesse der Bush-Administration. Es ist auffällig, dass die Informationen portionsweise kommen statt auf einen Schlag alles zu enthüllen. Die Festplatten müssten ja inzwischen erforscht sein. Auf diese Weise wird ein kleiner Grenzkonflikt am Leben erhalten und gleichzeitig in Kolumbien auch eine extrem chauvinistische Stimmung geschürt. Es wird in Europa vollkommen unterschätzt, dass in den meinungsmachenden Mittelschichten in Kolumbien momentan eine krasse militaristische und nationalistische Mobilisierung abläuft, die dazu dient, die innenpolitischen Konflikte und Widersprüche und den ganzen Skandal um den Paramilitarismus komplett in den Hintergrund rücken zu lassen. Es handelt sich um eine sehr komplexe mediale Kampagne der Regierung von Álvaro Uribe und ihrer US-BeraterInnen.

Passt in diese strategischen Überlegungen nicht auch der Vorschlag des US-Botschafters in Kolumbien, William Brownfield, die Militärbasis von Manta in Ecuador an die kolumbianisch-venezolanische Grenze zu verlegen?

Interessant ist der Zusammenhang. Der Luftwaffenstützpunkt Manta, der auf Wunsch Ecuadors geschlossen werden soll, wurde ja erst im Zuge des Plan Colombia aufgebaut. Es war nicht so recht nachvollziehbar, warum die USA Luftwaffenstützpunkte auf den niederländischen Antillen und auf Ecuador nutzen, wo sie doch Kolumbien militarisieren wollen. Jetzt geht es darum, einen Stützpunkt in La Guajira in Kolumbiens Nordosten zu errichten. Zudem ist ein Ausbau von Curaçao angedacht. Was gerne vergessen wird: Curaçao gehört zu den niederländischen Antillen, die außenpolitisch den Niederlanden unterstehen. Damit ist die EU in den Krieg involviert. Dasselbe gilt für Aruba, das wie Curaçao von den USA für AWACS-Aufklärungsflüge genutzt wird. Curaçao soll wohl die Funktion von Manta übernehmen und liegt gerade mal 30 Flugminuten von Venezuelas Küste entfernt.

Wie reagiert Chávez darauf?

Sein Ansinnen, den Sicherheitsapparat auszubauen, ist natürlich in diesem Zusammenhang zu sehen. Er argumentiert, dass man sich vor Interventions- und Geheimoperationen schützen müsse. Die neuen venezolanischen Eliten im Regierungsapparat haben aber sowohl ein Eigeninteresse, sich abzusichern, als auch ein berechtigtes Sicherheitsinteresse, weil sie einen Putsch befürchten.
Andererseits rüstet Venezuela auf und will neue Flugzeuge in Russland kaufen. Das ist eine komplizierte Dynamik. Kolumbien ist bereits massiv aufgerüstet worden – auch mit Kriegsmaterial, was gegen Venezuela einsetzbar wäre und nicht nur im Bürgerkrieg. Die Rüstungspolitik Venezuelas zielt meines Erachtens weniger direkt auf die USA, weil deren militärischer Übermacht nicht mit ein paar neuen Flugzeugen Paroli geboten werden kann, sondern vielmehr indirekt. Es geht darum andere Länder in den politischen Konflikt mit den USA zu treiben wie beim Kauf von Fregatten in Spanien vor ein paar Jahren, womit ein diplomatischer Konflikt Spanien-USA provoziert wurde. Nun geht es darum in Russland einzukaufen, um strategische Bündnisse zu Russland, China und Indien aufzubauen. Und auch hier gibt es wohl eine Mischung aus Eigeninteresse des einflussreichen venezolanischen Militärs und ein berechtigtes Sicherheitsinteresse aufgrund der Aktivitäten der USA.

Und was steht hinter Chávez Aufforderung an die FARC, bedingungslos alle Geiseln freizulassen? Welchen Rückhalt hat sie eigentlich in der kolumbianischen und lateinamerikanischen Linken noch?

Bei den niedrigen Umfragewerten in Bezug auf die FARC muss man vorsichtig sein. Wer würde sich in Kolumbien schon offen als Sympathisant zu erkennen geben? Ich würde trotzdem sagen, dass die Sympathien für die FARC relativ niedrig sind, in der städtischen Bevölkerung sowieso, in den Mittelschichten tendieren sie gegen Null. Es gibt zwar nach wie vor eine politische illegale Arbeit der FARC, auch in einzelnen sozialen Bewegungen sind sie noch präsent, aber ich glaube, dass das schon viel geringer ist als in den 80er Jahren. Damals war der Einfluss von der FARC und der damals mit ihnen noch verbündeten Kommunistischen Partei bei den Gewerkschaften ein ganz wichtiger Faktor, auch bei den sozialen Bewegungen. Eine Verankerung auf dem Land gibt es jedoch sicher noch, sonst würden sie sich nicht immer wieder neu finden. Und das stützt sich nicht auf Geld, die Rebellen werden nicht eingekauft, sondern es ist schon nach wie vor die Anziehungskraft der FARC als ein Ergebnis ungelöster sozialer Probleme.

Sind die FARC inzwischen von einer Guerilla zu einer terroristischen Organisation degeneriert?

Wenn ein Phänomen so breit und so historisch verankert ist, dann macht es keinen Sinn von Terrorismus zu reden. Einzelne Anschläge können terroristisch sein, genauso wie die Praktiken der kolumbianischen Militärs terroristisch sein können. Deswegen ist die kolumbianische Armee keine Terrorstruktur an sich und auch die FARC-Guerilla ist an sich keine Terrorstruktur. Eine Lösung dieses Problems wird es nach wie vor nur geben, wenn sich an den sozialen Realitäten etwas ändert oder wenn es eine militärische Niederlage der FARC gibt, die dann aber zu einem Friedhofsfrieden führte, der keineswegs besser und weniger terroristisch und weniger gewalttätig sein wird. Das wäre dann sozusagen eine Durchsetzung der paramilitärischen Ordnung, die wäre letztlich viel terroristischer. Die Herrschaftsgewalt in Kolumbien ist über Jahrhunderte so extrem gewesen, dass es einfach in ganz vielen Momenten der kolumbianischen Geschichte zum bewaffneten Widerstand wenig Alternativen gab.

Hauen und Stechen um Paraguay

Kurz vor dem Urnengang in Paraguay ist die Stimmung äußerst gespannt. Täglich erscheinen in der Hauptstadt Asunción neue Plakate an Hauswänden oder Inserate in Tageszeitungen, die den politischen Gegner zu diffamieren suchen. Hauptopfer dieser Attacken ist Fernando Lugo, Befreiungstheologe und vormalig Bischof der Region San Pedro. Er kandidiert für das sehr heterogene oppositionelle Parteienbündnis Concertación. Erstaunen müssen die Attacken nicht auslösen, denn in verschiedenen Umfragen liegt Lugo in Führung. Der Neueinsteiger auf der politi­schen Bühne gefährdet damit nichts weniger als die politische Macht der Colorado-Partei, die seit über sechs Jahrzehnten im Lande herrscht, denn für die Präsidentschaft reicht bereits die einfache Mehrheit im ersten und einzigen Wahlgang.
Lugos HauptkonkurrentInnen um das Amt des Präsidenten sind Blanca Ovelar und Lino Oviedo. Ovelar, ehemalige Bildungsministerin des Landes und Kandidatin der regierenden Colorado-Partei, wird vom aktuellen Präsidenten Nicanor Duarte Frutos unterstützt. Lino Oviedo war bis 2005 Mitglied der Colorados und hoher General unter Diktator Alfredo Stroessner. 1989 beteiligte er sich jedoch an Stroessners Sturz. Bis Ende vergangenen Jahres saß Oviedo wegen der Anstiftung zur Ermordung des Vizepräsidenten und eines Massakers an DemonstrantInnen im Jahr 1999 in Haft. Seine Kandidatur wurde erst möglich, nachdem der Oberste Gerichtshof des Landes seine Verurteilung aufgehoben hatte. Präsident Duarte hatte sich für Oviedos Freilassung eingesetzt. Schließlich schwächte die Rückkehr Oviedos Lugos Parteienbündnis Concertación: Oviedos Partei „Nationale Union ethischer Bürger“ und die neoliberale Rechte der Partei Patria Querida („Geliebtes Vaterland“) verließen die Concertación. So hat Duartes Kandidatin statt einem Gegner zwei.
In den Umfragen in Zeitungen Paraguays erhielt Fernando Lugo bisher mit um die 35 Prozent die höchsten Zustimmungsraten. Damit läge er zwischen fünf und zehn Prozent vor den beiden anderen KandidatInnen. Die jüngste Umfrage des kanadischen Meinungsforschungsinstituts Angus Reid Global Monitor sieht für Lugo jedoch nur noch 31 Prozent und einen schwindenden Vorsprung auf Ovelar. In allen Umfragen liegt der Anteil der Unentschlossenen bei etwa zehn Prozent.
Dennoch: Die Reaktionen des amtierenden Präsidenten Nicanor Duarte Frutos auf die Umfragen sind nur noch als krankhaft zu bezeichnen. Laut dem Präsidenten ist die Presse gekauft und nur dazu da, die Colorado-Partei in den Dreck zu ziehen. Überall wittert er Verschwörung, regt sich fürchterlich auf und verliert die Fassung. Dabei schlägt er vor allem gegen Lugo aus. Wenn er sagt, das Bündnis, das Lugo führt, sei „eine pathetische Allianz zum Plündern des Landes“, dann ist das noch eine der harmloseren Formulierungen.
Ihm gleich tut es Lino Oviedo, der in den 1970er Jahren mit dem Plan Condor und somit der Unterdrückung der Opposition beschäftigt war. Auch heute noch macht er keinen Hehl aus seinem Hass auf alles Linke. Kein Tag vergeht, an dem er oder die Jugendorganisation der Colorado-Partei Fernando Lugo nicht zu diffamieren versuchen. Im Januar kleisterte die Coloradojugend das Zentrum Asuncións mit einem Plakat zu, welches Lugo in Guerilla­uniform im Dschungel zeigt und ihn als FARC-Botschafter in Paraguay bezeichnet. Im März erschien ein Inserat von Oviedos Partei UNACE in allen Tageszeitungen, das Lugo zusammen mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und dem bolivianischen Staatsoberhaupt Evo Morales zeigt. Auf der anderen Seite ist Lino Oviedo mit Cristina Kirchner und Luiz Inácio „Lula“ da Silva zu sehen – also den so genannten moderaten Linken unter den Präsidenten Südamerikas. Ein Präsident Lugo, so prophezeit Oviedo in der Wahlwerbung, werde Armut, Kapitalflucht, Zensur, Arbeitslosigkeit und fehlende Rechts­sicher­heit bedeuten. Sich selbst präsentiert er als Garanten für eine unabhängige Presse, freie Meinungsäußerung, Vertrauen und Investitionen sowie den Respekt vor der Verfassung.
Lugo ist aber nicht nur Feindbild, er wird auch instrumentalisiert. Mitte März hatte er seine Wahlkampftour im Departement Canindeyú wegen schlechter Witterung und angeblichen Morddrohungen abgebrochen. Daraufhin war es wiederum Lino Oviedo, der am 28. März in der paraguayisch-amerikanischen Handelskammer vor die Presse trat, um einen angeblichen Attentatsplan der Coloradopartei gegen Lugo aufzudecken. Laut Oviedo wollten die Colorados, verzweifelt wegen der schlechten Umfragewerte, ihren Hauptkonkurrenten Lugo aus dem Weg räumen und dann ihn, Oviedo, dieses Mordes beschuldigen, um ihn aus dem Rennen zu werfen. Somit wäre die Bahn frei für Blanca Ovelar. Die Colorados und auch Fernando Lugo wiesen die Äußerungen des Ex-Generals als Hirngespinste zurück. Im gleichen Atemzug aber ließen sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, auf die Verwicklung Oviedos in die Ermordung des paraguayischen Vizepräsidenten Luis María Argaña von 1999 hinzuweisen.
Mindestens ein tödliches Attentat mit politisch-mafiösem Hintergrund ist im Wahlkampf schon geschehen. Ende Februar wurde in der Siedlung San Antonio im südlichen Departement Caazapá der 32-jährige Geraldino Rotela Miranda erschossen und sein Bruder Emanuel schwer verletzt. Sie waren als Basisaktivisten der Bewegung Tekojoja, die Lugo unterstützt, mit einem Motorrad auf Wahlkampftour, als aus dem Hinterhalt auf sie geschossen wurde. Geraldino hatte viele Feinde, denn er zeigte den illegalen Holzhandel und die Korruption in der Region an. Außerdem engagierte sich der Lehrer stark für die sozial Ausgeschlossenen. Vor seinem Tod hatte er sich mehrmals beklagt, dass die mafiösen Strukturen seine Arbeit erschwerten. Wegen des Mordes verhaftet wurde bisher niemand. Die Straflosigkeit ist integraler Bestandteil des Systems.

Der amtierende Präsident Duarte wittert überall Verschwörungen und verliert darüber häufig auch die Fassung.

Die Opposition warnt seit Monaten vor massivem Wahlbetrug auf verschiedenen Ebenen. Zunächst gibt es eine groß angelegte Kampagne unter den Staatsangestellten. Auf zwei SteuerzahlerInnen kommt in Paraguay ein staatlicher Beamter. Der Staat ist Selbstbedienungsladen der Colorado-Partei und deshalb sind seine Bediensteten dazu angehalten, Mitglieder der Partei zu sein, für sie zu werben und zu stimmen. Wer das nicht will, läuft Gefahr, dass er selbst oder seine Familie ihre Arbeit verlieren. Gibt es offizielle Wahlveranstaltungen mit Blanca Ovelar in einer Stadt, werden die dort angestellten LehrerInnen und das Pflegepersonal der Krankenhäuser gezwungen, hinzugehen und zu jubeln. Die Partei führt Anwesenheitslisten. Laut Medienberichten bekommen die Staatsangestellten nur noch einen Teil des ihnen zustehenden Lohnes ausbezahlt, der Rest geht in die Wahlkampfkasse der Colorado-Partei.
Auch das offizielle Wahlregister bevorzugt die Colorados. Das beginnt bei der Einschreibung: Die lokalen Sektionen kennen alle Jugendlichen in jedem Viertel, denn sie verfügen über ein Informationsnetz, das jeden Geheimdienst blass aussehen lässt. Steht ein Jugendlicher kurz vor dem 18. Geburtstag, klopfen auch schon die BeamtInnen vom Wahlregister an seine Tür und bieten ihm an, sich um die Bürokratie zu kümmern. Für viele oppositionelle Jugendliche wird die Einschreibung zum sehr ermüdenden Hindernislauf. Dank der vielen Informationen über die BewohnerInnen der Viertel kennen die Colorados die Bedürfnisse und Notlagen der betreffenden Familien und beginnen Versprechen und Angebote zu machen, wenn sie „richtig“ wählen. Außerdem gibt es im Wahlregister zahlreiche Verstorbene. Von den 400 Toten einer Brandkatastrophe im Supermarkt Ykua Bolaños 2004 dürfen 39 noch immer wählen.
Am Wahltag schließlich stehen die Colorados mit ihren Geldscheinen vor den Wahllokalen und kaufen ganz offen Stimmen. In einem unteren Mittelklasseviertel in Asunción kostet eine Stimme etwa drei Dollar. Darüber ist am Wahltag auch die Präsenz von BeobachterInnen an den Auszählungstischen einschüchternd. Viele oppositionelle Stimmen werden von anwesenden Colorados einfach als ungültig erklärt.
Dank dieser Betrügereien könnte es Blanca Ovelar doch noch schaffen, Fernando Lugo zu überrunden. Angeblich gibt es Pläne, die zeigen, dass Kräfte von Polizei und Militär massiv zusammengezogen werden, um Proteste gegen Wahlfälschungen zu unterdrücken. Einige ParaguayerInnen beginnen schon, vor dem 20. April einen größeren Lebensmittelvorrat anzulegen.

Zum Abschuss freigegeben

„Wenn sie mit der narcoguerrilla kollaborierten – pues que se jodan!“. Niemand brachte die zynische Position der mexikanischen Regierung in Bezug auf die von kolumbianischen Militärs ermordeten mexikanischen StudentInnen besser auf den Punkt als der ehemalige Außenminister Jorge Castañeda. Mit dieser nur schwer – und besser nicht – ins Deutsche zu übersetzenden Formulierung stellt Castañeda mindestens dreierlei klar. Erstens, dass wer ins weite semantische Feld des Terrorismus fällt, nicht einmal tot Respekt verdient. Zweitens, dass die FreundInnen und Angehörigen der ermordeten StudentInnen Natalia Verónica Velásquez Ramírez, Juan González del Castillo, Fernando Franco Delgado und Soren Ulises Ávila von Mexikos Regierung politische, finanzielle oder moralische Unterstützung nicht erwarten dürfen. Und drittens, dass die Unterwerfung unter die Linie US-amerikanischer Sicherheitspolitik (unter anderem formuliert im Plan Colombia und Plan Mérida) selbst vor den grundlegendsten Staatsfunktionen – wie dem Schutz der Rechte von StaatsbürgerInnen im Ausland – keinen Halt macht.
Tatsächlich, so scheint es, kam der Tod der vier mexikanischen StudentInnen, von denen drei an der UNAM und einer (Soren Ulises) am Nationalen Politechnischen Institut (IPN) studierten, sowie die Einweisung der ebenfalls an der UNAM eingeschriebenen Lucía Andrea Morett Álvarez in ein ecuadorianisches Militärkrankenhaus, den rechten Kreisen Mexikos gerade recht. Kaum stand wenige Tage nach dem Angriff auf das Camp der kolumbianischen Guerilla fest, dass sich mexikanische Studierende unter den Opfern befanden, begannen die rechten Presseorgane, sich gegenseitig im Erfinden von Querverbindungen zwischen Universität, Guerrilla, und Drogenhandel zu übertreffen, und die Kategorisierung der UNAM als „Nest der Guerrilla“ wurde zum geflügelten Wort.

Tatsächlich, so scheint es, kam der Tod der vier StudentInnen den rechten Kreisen Mexikos gerade recht.

Das angewandte Schema variierte dabei kaum zwischen Milenio, Excelsior, El Universal und anderen Publikationen. „Mexiko-Stadt, sicheres Rückzugsgebiet der FARC“ titelte beispielsweise der Auflagen starke Milenio am 11. März. Unter Berufung auf die US-amerikanische Antidrogenbehörde (DEA) behauptet Milenio, „die Mitglieder der Terrorgruppe haben Kontakte mit den Universitäten, mit Foren zur Verteidigung der Menschenrechte, Studenten, Professoren und Anführern subversiver Gruppen und können auf deren Hilfe zählen, ebenso wie auf ein breites Informations- und Propagandanetzwerk“. Nachdem der Artikel zunächst bemerkte, dass insbesondere die philosophische Fakultät der UNAM sich durch Kontakte zu Guerrillagruppen hervortue, erklärt er weiter: „Die FARC sind seit etwa vier Jahren die zentrale Verbindung zwischen den kolumbianischen und den mexikanischen Drogenkartellen“. Auf diesen Artikel folgte ein weiterer – ursprünglich ein Einspalter – dessen Inhalt in den folgenden Tagen von verschiedensten anderen Zeitungen nachgedruckt und erweitert wurde: ein Dutzend Namen von Studierenden der UNAM, die „laut Geheimdienstinformationen“ in den vergangenen Wochen das Camp der FARC besucht haben sollen. Man beschränkte sich jedoch nicht auf angebliche BesucherInnen des Guerrillacamps: In den vergangen Wochen veröffentlichten die Zeitungen Namen, Fotos und sogar Adressen von Mitgliedern studentischer Gruppen, deren bolivarianische Orientierung ganz offenbar ausreicht, sie als „Unterstützerkreise der FARC“ auszumachen. Sogar aus den Magisterarbeiten einiger Betroffener wurde zitiert.
„Diese Strategie ist eine Art des Brandmarkens von Personen als gefährlich und kriminell“, erklärt Francisco vom Comité Cerezo, welches sich für politische Gefangene einsetzt und eines der 20 an der Philosophischen Fakultät der UNAM ak­tiven Kollektive ist. „Das erlaubt es auf längere Sicht, zukünftige Festnahmen oder Gewaltakte vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.“ Doch die derzeitige Repression gegen studentische Gruppen beschränkt sich nicht allein auf die Einschüchterungskampagnen der Presse. „Das Schema ist seit der Regierung Fox im Grunde immer das selbe: Es beginnt mit einer Pressekampagne. Gleichzeitig werden Kollektive und einzelne Aktivisten vom Geheimdienst verfolgt, und zwar so, dass sie es merken. Zudem erhalten sie Morddrohungen – in diesem Fall waren sie gegen Menschen gerichtet, die den in Ecuador Ermordeten nahe standen. In den letzten Wochen waren außerdem öfter Mitarbeiter des kolumbianischen Geheimdienstes hier“, erklärt Francisco.
Was die rechten Schreiberlinge außer Aufstandsbekämpfung sonst noch im Sinn hatten, wenn sie in letzter Zeit von der UNAM sprachen, wird in einem zu einiger Berühmtheit gelangten Kommentar vom Kolumnisten des Milenio, Carlos Mota, klar. Unter dem Titel „Wer will Philosophie an der UNAM studieren?“ fragte Mota sich, ob ein/e StudentIn der Philosophischen Fakultät denn „von Firmen wie Unilever, Nokia, Sony oder Cemex“ angestellt werden könne. Natürlich verneint er. „In den Vereinigten Staaten studieren viele Philosophiestudenten zusätzlich noch Business Administration. Ihr Ziel? Geschäfte machen. Prosperieren. Hier hingegen exportieren wir sie in die lateinamerikanischen Guerillacamps. Warum ist dies ihr Schicksal?,“ schließt Mota seine Kolumne. Seine ungeschriebene Antwort und die vieler seiner KollegInnen liegt auf der Hand: Weil die Universität eine öffentliche ist, weil das Falsche gelehrt wird, weil man Studierenden Räume zugesteht, in denen sie sich autonom organisieren können. Hier schließt sich der Kreis von Guerrilla, Drogenhandel, studentischen Kollektiven und öffentlicher Universität.
Wie Francisco sagt: „Wir erleben gerade die mediale Kreation einer sozialen Vorstellungswelt, mit der die Zerstörung studentischer Organisation vorbereitet wird. Die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) hat immer versucht, die rebellischen Gruppen zu kooptieren. Heute hingegen duldet man nicht einmal minimale Spuren studentischer Opposition, um jeden Widerstand gegen die Versuche der Privatisierung der Universitäten unmöglich zu machen.“

Burgfrieden im Dreiländereck

Die Regierung des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe feierte den Tod des Guerilla-Kommandanten Raúl Reyes am 1. März als großen Sieg. Für Álvaro Uribe war die Operation der lang ersehnte Beweis, dass die Politik der „Demokratischen Sicherheit“ Erfolge zeitigt. Die Botschaft scheint anzukommen: Nach letzten Umfragen, so das Uribe nahe Blatt El Tiempo aus Bogotá, wird der Staatschef von 83 Prozent der KolumbianerInnen unterstützt. Dass Ecuador und Venezuela nach der Militäraktion vom 1. März ihre diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland abbrachen und Truppen an die Grenze verlegten, scheint weniger zu stören. Bogotá gibt sich überzeugt – die Nachbarländer stecken mit der Guerilla unter einer Decke. So präsentierte man, unmittelbar nachdem die meisten südamerikanischen Staaten den Angriff auf ecuadorianisches Staatsgebiet verurteilt haben, Dokumente, wonach die Regierung in Quito mit den Bewaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) kooperiere. Venezuela wird sogar vorgeworfen, die Guerilla mit 300 Millionen Dollar unterstützt zu haben.
Für den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der sein Land mit der so genannten „Bürgerrevolution“ in den vergangenen 14 Monaten mächtig durcheinander gewirbelt und eine bemerkenswerte Demokratisierungswelle in Gang gesetzt hat, war dieser Kriegsakt ein Affront. Quito bezichtigte Uribe der Lüge und kündigte an, die Grenzen zum Nachbarland militarisieren zu wollen. Erst hierauf schaltete sich auch Venezuela ein. Die Chávez-Regierung, die realistischerweise davon ausging, dass der Protest des kleinen Ecuador ungehört verhallen würde, solidarisierte sich und brach ihrerseits die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien ab.
Dabei ging es keineswegs in erster Linie darum, dass ein Guerillakommandant außerhalb einer Gefechtshandlung getötet, sprich: ermordet worden war. Und auch die Tatsache, dass Kolumbiens Militärs zwei Kilometer weit ins Nachbarland vorgedrungen waren, stand nicht im Mittelpunkt der Affäre. Für die scharfe Reaktion in Quito und Caracas gab es eine Reihe anderer Gründe.
Erstens war die Militäraktion auch ein Schlag gegen eine politische Lösung des kolumbianischen Geiseldramas. Die FARC bemühen sich seit 1996 um einen Austausch von gefangenen Soldaten gegen inhaftierte Guerilleros. Nachdem ein solches Abkommen, das die formale Anerkennung der FARC als Bürgerkriegspartei implizieren würde, von Bogotá immer wieder blockiert wurde, ließ die Guerilla 2001 mehrere Hundert Soldaten frei. Sie begann damit Offiziere und Politiker als Geiseln zu nehmen – darunter auch die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die 2002 verschleppt wurde. Reyes war von den FARC als Verhandlungsführer in der Geiselaffäre benannt worden und stand in engem Kontakt mit den Regierungen mehrerer Staaten, darunter auch Frankreich. Auf einem unmittelbar bevorstehenden Treffen mit UnterhändlerInnen der Regierung Sarkozy wollten die – auch bei der kolumbianischen Linken weitgehend diskreditierten – FARC die Franco-Kolumbianerin Betancourt freilassen und dafür im Gegenzug von Frankreich als nicht-terroristische Organisation anerkannt werden. An diesen Gesprächen war Ecuador federführend beteiligt: Angeblich hatte die Regierung Correa von den FARC die Zusage erhalten, dass neben Betancourt 13 weitere Geiseln, darunter auch die drei Piloten eines abgeschossenen USA-Spionageflugzeuges, freikommen würden.
Präsident Uribe, der über diese Bemühungen informiert war, wollte diese politische Aufwertung der Guerilla um jeden Preis verhindern, weil sie sein Versprechen eines militärischen Sieges als Farce erscheinen lassen würde. Dass sich die Militärs die diplomatischen Kontakte per Satellitentelefon zunutze machten, um Reyes zu orten, kann durchaus als weitere, gezielte Provokation verstanden werden.
Zweitens stellte die Uribe-Regierung mit der Aktion unter Beweis, dass sie alle Freiheiten jenes Ausnahmezustands für sich in Anspruch nimmt, der mit dem War on Terror global verhängt worden ist. Entführung, Folter und Mord gelten in diesem Zusammenhang als völlig legitim, solange sie der imperialen Staatsräson dienen. Die Uribe-Regierung schlug dabei nicht zum ersten Mal in einem Nachbarland zu. 2004 bestach sie venezolanische PolizistInnen, um einen anderen FARC-Sprecher in Caracas zu entführen. Der Kolumbianer, gegen den kein internationaler Haftbefehl vorlag, wurde betäubt, über die Grenze geschafft und dort als „Fahndungserfolg“ präsentiert.

Schlag gegen eine politische Lösung des kolumbianischen Geiseldramas.

Drittens wurde der Angriff auf die FARC von US-Militärs geleitet. Diese waren offensichtlich nicht nur an der Ortung von Reyes, sondern auch an der Bodenoperation in Ecuador beteiligt. Da für Linksregierungen in Lateinamerika US-Militäraktionen erfahrungsgemäß eine weitaus größere Gefahr darstellen als jede innenpolitische Opposition, wird diese Beteiligung auf ecuadorianischem Gebiet auch als versteckte Drohung gegen Quito und Caracas verstanden.
Und viertens ist schließlich schon seit Jahren zu beobachten, dass der kolumbianische Konflikt systematisch in die Nachbarländer exportiert wird. Zwar ignoriert auch die Guerilla die Grenzen, doch im Wesentlichen vorangetrieben wird die Entwicklung von der Regierung in Bogotá und den mit ihr verbündeten Paramilitärs. Der sichtbarste Aspekt dieser Eskalationspolitik war in den vergangenen Jahren, dass Dörfer und Waldgebiete in Ecuador immer wieder mit dem Monsanto-Pflanzengift RoundUp besprüht wurden. Doch bei den Herbizideinsätzen im Rahmen des Plan Colombia handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine Reihe verdeckter Eingriffe, mit denen die innenpolitische Situation der Nachbarländer verschärft wurde. 1999 ermordeten Mitglieder des kolumbianischen Paramilitär-Dachverbandes AUC den linken Präsidentschaftskandidaten Jaime Hurtado in Quito, entführten den venezolanischen Industriellen Richard Boulton – wobei man sich als kolumbianische Guerilla ausgab – und raubten in Panama mehrere Hubschrauber. Es blieb nicht bei diesen vereinzelten Übergriffen, mit denen die Öffentlichkeit der Nachbarländer polarisiert werden sollte. Es gibt Hinweise, dass kolumbianische Paramilitärs bereits am Putschversuch 2002 gegen die Regierung Chávez beteiligt waren. Und klar ist, dass mehr als 100 Paramilitärs in Caracas 2004 verhaftet wurden, als sie einen bewaffneten Aufstand in venezolanischen Armeeuniformen vorbereiteten.
Diese Operationen hatten offensichtlich Rückendeckung aus dem kolumbianischen Staatsapparat. Ein hochrangiger Funktionär der Geheimpolizei DAS erklärte, seine Behörde, rechte Todesschwadronen, die Uribe-Regierung und venezolanische Oppositionelle hätten gemeinsam auf einen gewaltsamen Sturz von Hugo Chávez hingearbeitet. Es habe sich dabei um eine „von ganz oben“ abgesegnete Politik gehandelt.
Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass die im Fernsehen zelebrierte Aussöhnung zwischen den Staatspräsidenten Correa, Chávez und Uribe nicht von Dauer sein wird. Die Lage in Südamerika bleibt gespannt. Das hat zum Teil mit den Dynamiken in den Ländern selbst zu tun. Chávez hat den Mittelschichten nach der Niederlage beim Verfassungsreferendum eine Versöhnung angeboten und erreicht die BewohnerInnen der Armenviertel spürbar weniger als früher. KritikerInnen sprechen von einem Durchmarsch der „endogenen Rechten“ in der Regierungskoalition, aber auch von einer verwirrten, sich extremistisch gebärdenden Linken. In Ecuador muss Correa, der das politische Establishment in seinem ersten Amtsjahr geschickt ausschaltete, der Verfassungsreform nun auch soziale Transformationen folgen lassen – was in absehbarer Weise zu einer Mobilmachung der Eliten führen wird. Und in Kolumbien schließlich ist die Regierung Uribe von einer Kette von Politikskandalen gebeutelt, anderseits jedoch weder die Mitte-Links-Opposition noch die wegen ihres Autoritarismus völlig diskreditierte und nun auch noch militärisch angeschlagene FARC-Guerilla in der Lage, daraus Kapital zu schlagen.

Die USA stärken die mafiöse Rechte in Kolumbien für eine Geheimkriegführung in der Region.

Noch entscheidender als diese Entwicklungen ist jedoch die Haltung der USA. Washington hat Kolumbien als militärische Regionalmacht in Stellung gebracht. Seit 1999 wurde das Land mit jährlich 500 Millionen US-Dollar hochgerüstet, die Armee grundlegend umstrukturiert. Dabei hat man eine mafiöse Ultrarechte stark gemacht. Eigentlich ist die Regierung Uribe ein Phänomen: Der Präsident wurde Anfang der 1990er Jahre von US-Behörden als eine der 100 wichtigsten Personen des Medellín-Kartells bezeichnet. Mehrere Präsidentenberater hatten engste Kontakte zum Drogen-Capo Pablo Escobar. Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition ermittelt die Justiz wegen Verbindungen zu den Todesschwadronen der AUC, 22 Abgeordnete sitzen bereits im Gefängnis. Doch trotzdem – oder aufgrund dessen – kann Uribe nach wie vor auf Rückendeckung aus den USA zählen. Offensichtlich deshalb, weil sich die mafiöse Rechte bestens für eine Geheimkriegführung in der Region eignet. Für Washington geht es darum, dass nicht widerspruchslose, aber bemerkenswerte Erstarken von Widerstandsbewegungen und linken Wahlbündnissen auf dem Kontinent zu stoppen. By any means necessary – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Paramilitärs nehmen Feministinnen ins Visier

Zwei maskierte bewaffnete Männer drangen in die Wohnung von Yolanda Becerra in Barrancabermeja ein. Sie misshandelten die wehrlose Frau, drückten ihr die Waffe so fest in die Stirn, dass sich noch geraume Zeit später der Abdruck der Mündung abzeichnete. Und das, obwohl beim Eingang des Wohnblocks ein Wachtposten stationiert ist. Sie drohten Becerra: „Wenn du nicht binnen 48 Stunden von hier verschwindest, wird es dir und deiner Familie schlecht ergehen!“ Das war im November letzten Jahres. Vorfälle dieser Art sind jedoch keine Seltenheit in Kolumbien.
„Yolanda dachte, das wäre ihre letzte Stunde gewesen“, erzählt Jackeline Rojas. Die beiden Männer hätten die Frau ohne weiteres töten können, doch sie haben es nicht getan, sie hätten „nur“ sie und ihre Familie bedroht. Das komme daher, dass die politischen Kosten für die Täter im Fall einer Ermordung doch zu hoch seien. Auch in die Wohnung von Jackeline Rojas ist in den frühen Morgenstunden jenes Sonntags ein Kommando der Paramilitärs eingedrungen, nachdem sie ein Schutzgitter im Gang und die Wohnungstür mit Spezialschloss aufgebrochen hatten. Sie beschränkten sich allerdings darauf, das Schloss mit einem Kleber unbrauchbar zu machen, so dass Jackeline und ihre Familie die Wohnung nicht verlassen konnten. Eine Drohung mit klarer Aussage: Wir können euch jederzeit an jedem Ort erwischen, selbst in euren mit Wachpersonal und Spezialschlössern gesicherten Wohnungen.

Drei Mitarbeiterinnen wurden in den letzten Jahren von den Paramilitärs ermordet …

Beide Frauen gehören dem Führungsgremium der Organización Femenina Popular (OFP) an, eine der größten und auch international bekannten Frauenorganisationen Kolumbiens. Drei Mitarbeiterinnen der Organisation wurden in den letzten Jahren von den Paramilitärs ermordet, über 140 wurden angegriffen, bedroht oder entführt. Die OFP wurde 1972 gegründet und war Teil der Sozialpastorale der Diözese Barrancabermeja. Ihr Ziel war es, die Frauen in ihrem Kampf gegen Unterdrückung und familiäre Gewalt zu organisieren. 1988 löste sie sich von der Diözese und wurde eine eigenständige Organisation, doch erst Mitte der 1990er Jahre wurde sie auch über die Grenzen von Barrancabermeja hinaus aktiv. Zur Zeit hat die OFP rund 3.000 aktive Mitglieder (siehe Kasten).
Barrancabermeja hat etwa 350.000 Einwohner-Innen und liegt am Mittellauf des Río Magdalena, dem größten Fluss Kolumbiens, und ist seit Jahrzehnten das Zentrum der Erdölindustrie des Landes. Seit ihrer Gründung gilt Barrancabermeja als Brennpunkt der sozialen Konflikte des Landes, die Gewerkschaftsbewegung Kolumbiens ist hier traditionell sehr stark. Bis Ende der 1990er Jahre stand die Stadt noch unter der Kontrolle der Guerilla-Organisationen Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und Nationales Befreiungsheer (ELN). 1998 dann erkämpften die Paramilitärs mit tatkräftiger Unterstützung von Polizei und Militär die Vorherrschaft in der Region. Seither ist die Stadt ein Modellfall dafür, wie Kolumbien aussehen könnte, wenn alles nach dem Willen der Paramilitärs und des Präsidenten Uribe ginge.
Offiziell gibt es die Paramilitärs nicht mehr. Die erste Amtsperiode von Álvaro Uribe Vélez, seit August 2002 autoritär herrschender Präsident des Landes, war geprägt vom so genannten Demobilisierungsprozess der Paramilitärs, der Mitte 2006 abgeschlossen wurde. Über 30.000 angebliche Paras, wie sie in Kurzform in Kolumbien genannt werden, erklärten ihre Abkehr vom illegalen bewaffneten Kampf. Seither kommen immer mehr Details von der engen Zusammenarbeit der Paramilitärs mit Polizei und Militär und mit PolitikerInnen aus dem Umfeld des Staatspräsidenten an die Öffentlichkeit. Über ein Dutzend Abgeordnete sitzen deshalb bereits in U-Haft, gegen noch einmal so viele und gegen einige andere PolitikerInnen, auch engste Vertraute Uribes, laufen Voruntersuchungen.

„Der einfache Para kann auch der Sohn meiner Nachbarin sein, den sie für ihre kriegerischen Ziele eingefangen haben.“

Doch im Magdalena Medio selbst ist von der Demobilisierung der Paramilitärs nichts zu spüren. Für die Menschen hat sich hier nichts geändert. Die Paramilitärs sind weiterhin präsent, geändert haben sich nur die Namen der Einheiten. Jackeline Rojas berichtet über den Demobilisierungsprozess: „Die Paras zahlten jungen Männern und Frauen über eine Million Peso (circa 330 Euro) für drei Monate, damit sie sich in ihre Gruppen einschreiben ließen. Dann nahmen sie an der Demobilisierung teil, damit die Chefs sagen konnten, so und so viele von uns haben abgerüstet. Das war eine einzige Farce! Nachdem sie dann demobilisiert waren, erhielten sie oft Wohnungen oder Stipendien und sonstige Starthilfen.“
Seit einem Jahr berichten die paramilitärischen Führer vor einem Sondergerichtshof über ihre Verbrechen, um im Rahmen des Gesetzes Nr. 975 „Für Gerechtigkeit und Frieden“ eine wesentliche Strafreduktion und andere Vergünstigungen zu erhalten. Zuerst kamen die Aussagen schleppend und bruchstückhaft, doch gewannen sie mit der Zeit eine unerwartete Eigendynamik. Immer mehr Gräueltaten kommen ans Licht der Öffentlichkeit. Iván Laverde Zapata alias „Der Leguan“, einer der Vertrauten vom Paramilitär-Führer Mancuso, berichtete von etwa 2.000 Morden, die seine Leute von 2000 bis 2004 im Norden Kolumbiens begingen. Éver Veloza García alias „HH“ und seine Para-Truppe, der Bloque Bananero, ermordeten allein in den Jahren 1995 und 1996 in der Bananen-Region Urabá über 1.200 Personen: Bauern und Bäuerinnen, GewerkschafterInnen, AktivistInnen sozialer Bewegungen.
Das Gebiet am mittleren Magdalena mit der Hauptstadt Barrancabermeja war Mitte der 1980er-Jahre das erste große Versuchslaboratorium, in dem der Paramilitarismus großräumig mit militärischen Aktionen die Guerilla sowie oppositionelle soziale und politische Organisationen bekämpfte – in Zusammenarbeit mit der Armee sowie Großgrundbesitzern und der Drogenmafia. Seit damals fielen diesem „Kampf“, der besser als Vernichtungsfeldzug definiert werden kann, an die 15.000 Menschen zum Opfer. Iván Cepeda vom Movimiento de Víctimas de Crímenes del Estado (Movice; siehe auch Interview in dieser Ausgabe) schätzt, dass in 4.000 Gräbern die sterblichen Überreste von 10.000 Ermordeten liegen.
Yolanda Becerra ist seit knapp 20 Jahren Direktorin der OFP und war als eine der „Tausend Frauen für den Friedensnobelpreis 2005“ nominiert. Für Becerra ist es klar, weshalb die OFP zum Ziel der Paramilitärs wurde: „In unserer Arbeit und unserer Einstellung sind wir eine Bürgerbewegung von Frauen der Basis, die für eine Veränderung der Strukturen dieser Gesellschaft eintreten. Es ist klar, dass das ohne soziale Mobilisierung der Gesellschaft nicht möglich ist.“ Diese Überzeugung und der Versuch, solche Veränderungen umzusetzen, sind in Kolumbien lebensgefährlich.
Die Aktivistinnen der OFP leben und arbeiten seit Jahren in einem Klima der ständigen Bedrohung und der Angst. Jackeline Rojas hat das ganze Ausmaß der in der Region herrschenden Gewalt persönlich erlebt. Vor zehn Jahren ist ihr Vater von der FARC-Guerilla ermordet worden, da er von seinem Arbeitgeber, der damals noch staatlichen Erdölgesellschaft Ecopetrol verpflichtet wurde, als Chauffeur für das Militär zu arbeiten. Eine Leiharbeit mit tödlichen Folgen. Ihr Bruder wurde vor wenigen Jahren von den Paramilitärs umgebracht, weil er in der Gewerkschaft aktiv war. Und auf ihren Mann, ebenfalls Gewerkschafter, wurde ein Attentat verübt.
„Es ist sicher nicht leicht, mit dieser ständigen Angst umzugehen“, sagt Yolanda Becerra und lächelt, „aber wir suchen und finden immer irgendwelche Ventile. Wir sprechen viel miteinander über die Angst, um sie zu entmystifizieren. Es gibt aber dennoch Momente, in denen du glaubst, nicht weiter machen zu können.“ Yolanda Becerra hat beschlossen, trotz der Drohungen in Barrancabermeja zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen. Obwohl die Stadt auch weiterhin von den Paramilitärs kontrolliert wird.
Bei den Kommunalwahlen letzten Herbst haben zwar linke oder unabhängige Parteien die Bürgermeisterämter der drei größten Städte Bogotá, Cali und Medellín gewonnen, doch in den ländlichen Regionen, vor allem im Norden des Landes, ist der Einfluss der Paramilitärs immer noch sehr stark.
Für Jackeline Rojas ist klar, dass die Struktur des Paramilitarismus – nach deren „Demobilisierung“ haben sich zahlreiche neue paramilitärische Gruppen gegründet – auf ein politisches Ziel hin ausgerichtet ist, nämlich mit allem aufzuräumen, was in Opposition zum Staat steht. „Dazu gehören auch wir. Doch da entsteht für uns ein Widerspruch. Wir wollen nämlich nicht nur unser eigenes Leben retten, sondern auch das der Paramilitärs. Denn der einfache Para, der Kämpfer an der Basis, kann auch der Sohn meiner Nachbarin sein oder ein Spielgefährte aus meiner Kindheit, den sie für ihre kriegerischen Ziele eingefangen haben.“

„Es ist nicht leicht, mit dieser ständigen Angst umzugehen, aber wir suchen und finden immer irgendwelche Ventile.“

Das Rekrutieren des Para-Nachwuchses verläuft im allgemeinen auf zwei Ebenen. Eine ist die ökonomische. Es gibt nur wenige Arbeitsplätze in der Region; die Jugendlichen haben keine Verdienstmöglichkeiten. So nehmen sie das Angebot von umgerechnet 200 Euro monatlich an und reihen sich in die Einheiten der Paramilitärs ein. Die andere Ebene resultiert aus einem politischen Druck, der bis in die Vergangenheit reicht, als die Guerilla in der Region stark präsent war: Oft kommen Mitglieder der Paramilitärs zu den Familien und sagen: „Wir wissen, dass jemand in eurer Familie bei der Guerilla war oder immer noch ist. Nun müsst ihr für uns kämpfen.“ Und so schließt sich ein Bruder oder der Neffe den Paras an, um die Familie vor Repressalien zu schützen.
Nach der Zuspitzung der Angriffe und Bedrohungen ist die OFP nun damit beschäftigt, neue Methoden und Strategien zu entwerfen, um das Leben der Aktivistinnen und den Fortgang der Arbeit zu sichern. Einen wichtigen Stellenwert nimmt dabei die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Inland und die Unterstützung aus dem Ausland ein. Deshalb hat die OFP eine internationale Kampagne gestartet mit dem Ziel, weltweit „eine Million Freundinnen und Freunde“ zu gewinnen. „Stell dir vor, wie sie erschrecken werden, wenn es plötzlich statt 3.500 Frauen und Männer eine Million mehr sind, die uns unterstützen!“, lacht Jackeline. Sie ist überzeugt, dass Yolanda bei dem Überfall Anfang November nicht ermordet wurde, da dies der kolumbianischen Regierung international großen Schaden zugefügt hätte. Die Frauen der OFP haben inzwischen auch schon in anderen Städten des Landes Zweigstellen gegründet. Sie sind fest entschlossen, weiterzumachen.

Kasten
Organización Femenina Popular
Die rund 3.000 Mitglieder der Organización Femenina Popular (OFP) betreuen in ganz Kolumbien circa 173.000 Menschen. Sechzig Prozent davon sind direkt Betroffene des nun seit sechzig Jahren andauernden Bürgerkriegs, darunter viele Vertriebene, durch bewaffnete Gruppen bedrohte Personen, Angehörige von ermordeten AktivistInnen sowie Opfer familiärer Gewalt. Der Hauptsitz und die meisten Anlaufstellen der OFP befinden sich in Barrancabermeja, doch inzwischen verfügt die Organisation landesweit über verschiedene Netze aus Frauenhäusern, Gesundheits- und Verpflegungsstationen sowie Rechtsberatungsstellen und ein Informationszentrum.
Die Arbeit der OFP umfasst zudem ein breites soziales, politisches und wirtschaftliches Spektrum. Die Mitglieder engagieren sich in Ausbildungsprogrammen und Kooperativen;- gewerkschaftlicher Arbeit, Beratungsleistungen und Informationsveranstaltungen vor Ort;- Gesundheitsförderung durch Workshops; kulturelle Aktivitäten auch für Kinder und Jugendliche; Förderung von lokalen Entwicklungsprojekten; Menschenrechtsarbeit wie beispielsweise die Unterstützung für vertriebene Familien und Rechtshilfe für Opfer von Menschenrechtsverletzungen sowie Kampagnen gegen Gewalt und Krieg. Diese Arbeit und ihre systemkritische Haltung bringen die OFP seit Jahren in Konflikt mit der rechtsautoritären Regierung des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Laut einem Bericht der US-Sektion von amnesty international kursiert in Barrancabermeja seit 2005 eine Todesliste der Paramilitärs. Auf der Liste stehen Namen von MenschenrechtsaktivistInnen, GewerkschafterInnen und JournalistInnen sowie Menschen und Organisationen, die die Paras ablehnen, darunter auch die OFP. Die kolumbianische Regierung verspricht seit Jahren, gegen die Paramilitärs vorzugehen. Doch die Attacken, Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen die OFP halten an.
Weitere Infos: www.ofp.org.co, zur Unterstützung der internationalen Kampagne siehe www.frauensolidaritaet.orgm

„Uribe hat die Partie noch lange nicht gewonnen“

Was ist Movice und warum habt Ihr am 6.März demonstriert?
Das Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado ist eine Bewegung zum Kampf gegen die Straflosigkeit. Das heißt, wir sind ein Zusammenschluss von vielen verschiedenen Organisationen: Bauernorganisationen, Indígena- und afrokolumbianische Gemeinden, Gewerkschaften, politische Parteien, Studierende und Nichtregierungsorganisationen. Uns ist gemein, dass wir Opfer von Verbrechen des kolumbianischen Staates sind. In Kolumbien gibt es systematische Morde und enge Verbindungen zwischen staatlichen Akteuren und paramilitärischen Strukturen. Es wurden Gesetze verabschiedet, die die Menschenrechte systematisch verletzen und eine Atmosphäre der Straflosigkeit geschaffen haben. Unser Anliegen ist es, das öffentlich auszusprechen und dagegen anzukämpfen. Die Demonstrationen vom 6. März haben wir seit Oktober des letzten Jahres vorbereitet. Sie sollten das IV. landesweite Treffen der Opferbewegung einleiten und unseren Positionen Öffentlichkeit geben.

War der 6. März das politische Gegenstück zur Demonstration gegen die FARC am 4. Februar?
Die FARC hatten gegen Ende des letzten Jahres mit einer Serie von sehr zweifelhaften Aktionen in Bezug auf die Entführten in ihrer Gewalt auf sich aufmerksam gemacht. Zum Beispiel das ganze hin und her mit der Freilassung einiger Geiseln und die Meldung vom Tod der elf Abgeordneten aus Valle de Cauca, die seit fünf Jahren gefangen waren. Diese Aktionen schürten Verunsicherung und Empörung.
Doch der 4. Februar wurde als Ereignis medial geschaffen und politisch gesteuert. Regierungsnahe Sektoren und die politische Rechte haben die berechtigte Empörung der Menschen aufgepeitscht, um diese zu instrumentalisieren. Hinter ihrem Slogan: „Nein zur FARC und Nein zum Terrorismus“, stand vor allem die Intention einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, der die autoritäre Anti-Terrorpolitik der Regierung unterstützt.
Die Demonstration vom 4. Februar erhielt von der Regierung jede nur denkbare Unterstützung; zunächst in Form öffentlicher Verlautbarungen von Regierungsvertretern. Schließlich wurde der gesamte Staatsapparat mobilisiert, um das Ereignis zu unterstützen. Die Behörden und Ministerien, einschließlich der staatlichen öffentlichen Einrichtungen und staatseigenen Betriebe schickten ihre Beschäftigten am 4. Februar zur Demonstration.
Tatsächlich war die Demonstration vom 4. Februar gigantisch. Doch was medial präsentiert wurde, war sehr einseitig. Für uns war es wichtig aufzuzeigen, dass es andere Formen der Gewalt gibt und dass es nicht ausreicht, eindimensional die Gewalt der Guerilla zu verurteilen. Um uns in dieser Situation Gehör zu verschaffen, war es notwendig alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenzurufen, die Position für die Opfer beziehen: Für die Opfer von Zwangsvertreibungen. Für die Familien der Ermordeten. Für die Verschwundenen.

Wie reagierte die Regierung darauf?
Die sagte nicht nur, dass sie nicht einverstanden sei, sondern einer der wichtigsten Berater von Präsident Uribe, José Obdulio Gaviria, beschuldigte uns im Vorfeld der Demonstration in einer Serie von öffentlichen Erklärungen, wir seien Angehörige der FARC.
Am 3. März, nach dem Bombenangriff auf das Guerillacamp, bei dem der FARC-Verhandlungsführer Raul Reyes getötet wurde, erklärte ein Polizeisprecher, sie hätten auf den geborgenen und wunderbarer Weise noch völlig intakten Datenspeichern der FARC Beweise dafür gefunden, dass unsere Demonstrationen mit der Guerilla in Verbindung stehen würde.
Im Allgemeinen unternahm die Regierung viel, um haltlose Anschuldigungen gegen uns in Umlauf zu bringen und um die Bewegung und unsere Demonstrationen zu stigmatisieren. Sie versuchte die Menschen einzuschüchtern. Sie versuchte diejenigen, die gegen den Paramilitarismus und die Gewalt des Staates protestieren, als Guerilleros darzustellen. Dabei hatten wir unseren Standpunkt stets klar gemacht: Wir lehnen jeden Einmischungsversuch seitens der FARC ab. Wir erklärten öffentlich, dass wir, Opfer staatlicher Verbrechen, auch die Entführungspraxis der FARC verurteilen. Es ist nicht wahr, dass wir mit der Guerilla sympathisieren, wir haben ihr gegenüber sehr kritische und ablehnende Positionen.
Was passierte dann am 6. März?
Der 6. März war für uns ein großer Erfolg. Nicht nur, weil viele hunderttausend Menschen in 102 Städten weltweit auf die Straße gingen und ein großes gesellschaftliches Spektrum verschiedener politischer und sozialer Kräfte die Demonstrationen unterstützte. Auch der Versuch der Regierung, ihre einseitige Lektüre der politischen Lage durchzusetzen, konnten wir verhindern.
Nach dem 6. März wird es sehr schwer sein zu behaupten, es gebe keinen Paramilitarismus mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung wird dem nicht glauben. Es wird schwer sein zu behaupten, der Staat sei für die Menschenrechtsverletzungen an der Bevölkerung nicht verantwortlich und der einzige Gewaltakteur im Land sei die Guerilla.
Doch man muss auch noch ein anderes, bitteres Resumee ziehen: Seit dem 23. Februar wurden sechs Gewerkschafter aus dem Unterstützerkreis der Demonstration ermordet, zwei von ihnen waren Organisatoren der Demonstration. Mehr als 50 Personen haben mittlerweile Drohungen erhalten, AktivistInnen der Opferbewegung wurden von Polizisten, Militärs oder Paramilitärs verfolgt. Es gab Attentate, Überfälle und andere Übergriffe. In acht verschiedenen Departments wurden die sozialen Organisationen und Menschenrechtsgruppen im Zusammenhang mit dem 6. März Opfer von Angriffen. Das ganze zeigt, dass der 6. März politisch und sozial auch von unseren Gegnern sehr ernst genommen wurde. Sie bekamen Angst und reagierten in der einzigen Sprache, die sie sprechen.

Angesichts dieser starken Repression, was konnte durch die Massenmobilisierung der Opferbewegung erreicht werden?
Wir befinden uns in einer Phase, in der der Uribismo sein autoritäres politisches, soziales und wirtschaftliches Projekt durchsetzt und den Paramilitarismus darin integriert. Es sei denn, es gelingt den sozialen und demokratischen Kräften des Landes die eigenen Spielräume zu verteidigen und neue zu öffnen. Der 6. März hat einen entscheidenden Beitrag erbracht: Wir konnten zeigen, dass wir, die sozialen Bewegungen Kolumbiens, obgleich wir einen hohen Preis dafür zahlen, in der Lage sind, öffentlich gegen das autoritäre Staatsmodell von Uribe machtvoll Position zu beziehen und eine Alternative zu präsentieren. Nach dem 4.Februar hätte man denken können, Uribe habe die totale Unterstützung der Bevölkerung und 100 Prozent Zustimmung für sein Projekt. Der 6. März hat das relativiert. Wahr ist, dass der Präsident einen großen Rückhalt hat, dass die Paramilitärs nach wie vor sehr mächtig sind. Aber die sozialen Organisationen sind immer noch da. Die Partie ist für Uribe noch lange nicht gewonnen.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir werden versuchen mit dieser Mobilisierung einen politischen Prozess in Bewegung zu setzen. Es reicht nicht aus, dass die Leute auf die Straße gehen, es ist notwendig, dass wir uns politisch durchsetzen. Wir wollen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer.
Unser Konzept dieser Begriffe ist sehr weitreichend. Wir kämpfen nicht nur dafür, dass die Wahrheit der Opfer gehört wird und sie individuell materiell entschädigt werden. Wir begreifen das Ziel als Wiedergutmachung für die kolumbianische Gesellschaft. Wir wollen einen gesellschaftlichen Konsens für Frieden und Demokratie. Wir fragen, wie wäre Kolumbien, wenn es keinen Paramilitarismus gäbe? Wenn es keine Straflosigkeit gäbe? Wenn es eine gerechte Landverteilung gäbe? Wenn das Land politisch, sozial und wirtschaftlich demokratisch wäre?

Paramilitärs haben sich durch Vertreibungen mehrere Millionen Hektar Land angeeignet. Was passiert mit dem geraubten Land?
Wenn von Straflosigkeit die Rede ist, dann denkt man meistens einfach nur daran, dass es an einer Bestrafung für bestimmte Verbrechen fehlt. In Kolumbien gibt es nicht nur dieses Phänomen.
Es existiert zudem eine Legalität von Verbrechen: Ein Zusammenspiel von Institutionen des Staates und bestimmten Mechanismen, die Gewalt legitimieren und den Nutzen rechtfertigen, den manche daraus ziehen.Die Landfrage ist das beste Beispiel. Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die den Landraub der Paramilitärs legalisieren. Viele Großgrundbesitzer haben von der paramilitärischen Gewalt profitiert und sich Ländereien angeeignet, die vollkommen legal in ihrem Besitz verbleiben werden. Uns geht es nicht nur darum, dass die Mörder bestraft werden, sondern wir wollen die wirtschaftlichen und politischen Strukturen aufdecken, die den Paramilitarismus ermöglicht haben und von ihm profitieren.

Welche Funktion hat der Paramilitarismus innerhalb des Staates?
Historisch betrachtet erfüllt der Paramilitarismus im Staat drei Funktionen: erstens die Aufstandsbekämpfung, als Teil einer staatlichen Strategie zur Bekämpfung der Guerilla. Zweitens lässt sich mit Paramilitarismus Reichtum akkumulieren: Paramilitärs schufen durch Massenvertreibungen und Angriffe auf die Gewerkschaftsbewegung Bedingungen, die nationalen Eliten und transnationalen Unternehmen die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskraft ermöglichten. Drittens ist der Paramilitarismus ein Mittel, soziale Widerstände mit Gewalt zu vernichten. 20 Jahre lang wurden diese drei Aufgaben vom Paramilitarismus erfüllt. Aber insbesondere in der Zeit von 1997 bis 2003 gab es eine Offensive, in der die Paramilitärs und ihre Verbündeten weite Teile des kolumbianischen Territoriums unter Kontrolle brachten.
Dann kam der so genannte Friedensschluss zwischen Paramilitärs und der Regierung, der ihren Demobilisierungsprozess eröffnete. Es gibt mittlerweile über 30.000 demobilisierte Paramilitärs. Offiziell spricht man von mehr als 3.000 Dissidenten, welche nach wie vor mit Gewalt und Terror gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, und sich in ihrer Funktionsweise nicht von den Paramilitärs vor der Demobilisierung unterscheiden. Die so genannten Aguilas Negras haben diese Rolle in etlichen Regionen des Landes übernommen: Es gibt sie in Sucre, Guajira, Magdalena, Cesar, Córdoba, in einigen Gebieten von Antioquia, Choco, Nariño, Cauca, Putumayo und Norte de Santander.
In der gegenwärtigen Phase versucht der Paramilitarismus gleichzeitig, seine Kontrolle aufrecht zu erhalten und zu legalisieren. Dieser Punkt ist ein wichtiger Aspekt, um einem anderen politischen Projekt den Weg zu eröffnen. Uribe verfolgt die Idee eines so genannten kommunitären Staates. Dieses Staatsmodell hat sehr autoritäre Merkmale: Die Unabhängigkeit der Staatsgewalten wird aufgeweicht, in der Exekutive konzentriert sich die Macht, Freiheitsrechte werden eingeschränkt und es werden mehr gesellschaftliche Bereiche dem neoliberalen Wirtschaftsmodell unterworfen.

Kasten
Ivan Cepeda
ist Gründer und Sprecher des 2005 gegründeten Netzwerks Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado MOVICE. Sein Vater war Mitglied der kolumbienischen Linkspartei Unión Patriótica („Patriotische Front“, UP) und kam 1994 bei einem Mordanschlag ums Leben. Die UP wurde systematisch vernichtet. 5.000 ParteianhängerInnen und nahezu alle ParteifunktionärInnen und gewählten RepräsentantInnen wurden getötet.
Cepeda schreibt eine regelmäßige Kolumne in der kolumbianischen Tageszeitung „El Espectador“, in der er Menschenrechtsthemen behandelt. Wegen Morddrohungen verbrachte er schon mehrere Jahre seines Lebens im Exil

Mehr Tabaré Vázquez, weniger Frente Amplio

Was ist in Uruguay heute links? Die Debatte um den Sozialismus im 21. Jahrhundert, in Venezuela, Bolivien und anderen Staaten Lateinamerikas leidenschaftlich geführt, ist in der uruguayischen politischen Praxis kaum noch präsent. Die „Agenda 2009“ von Präsident Tabaré Vázquez von der Sozialistischen Partei Uruguays ist geprägt vom „postneoliberalen Neo-Sozialismus“: Es geht, knapp anderthalb Jahre vor den nächsten Nationalwahlen, fast nur noch um die richtige Strategie, einen erneuten Wahlsieg der „Linken“ zu sichern, inhaltliche Auseinandersetzungen sind marginalisiert. Der Präsident hat zur Konsolidierung seines Kurses (volkswirtschaftliche Stabilität, verlässlicher Schuldendienst, kontinuierliche Freihandelspolitik, Bevorzugung ausländischer Direktinvestitionen in Bezug auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik) Anfang März 2008 eine deutliche Vorgabe gemacht: Mehr „Vázquismus“. Das heißt: mehr Technokraten und enge Vertraute und weniger Regierungsbündnis Frente Amplio (FA, Breite Front).
Gleich sechs Minister wurden entlassen, darunter drei Führungspersönlichkeiten wichtiger Strömungen innerhalb der FA: Agrarminister José Mujica von der links-sozialistischen Bewegung der Bürgerbeteiligung (MPP), der mit Abstand stärksten Fraktion im Regierungsbündnis, Außenminister Reinaldo Gargano, Chef der Sozialistischen Partei und Umwelt- und Wohnungsbauminister Mariano Arana. Während der entlassene Mujica die Neuausrichtung verteidigt („Es ist der Moment, die Regierung dynamischer zu machen“), kritisieren zurückgetretene Abgeordnete wie der Sozialist Guillermo Chiflet das Fehlen eines „Plans für ein linkes Uruguay“: „Eine Reform des politischen Systems, mit dem Ziel die Partizipation auszuweiten, wird auf Regierungsebene immer weniger diskutiert“, sagte Chiflet. Dabei ist die mit dem Wahlsieg 2004 begonnene und bis heute nicht abgeschlossene Diskussion über das Spannungsverhältnis Linke Regierung – Linke Parteien – Soziale Bewegungen der Schlüssel für das Überleben des ältesten Linksbündnisses in Lateinamerika.
Einen Vorstoß, wieder eine programmatische Diskussion zu führen, hat jetzt der ehemalige Außenminister Reinaldo Gargano eingeleitet. Der nicht ganz freiwillig aus dem Amt geschiedene MERCOSUR-freundliche und USA-kritische Politveteran legte eine eigene Agenda vor, um „Links“ neu zu definieren: Besteuerung des Reichtums und des Kapitals, Erhöhungen der Löhne und Gehälter sowie der Renten, Bekämpfung der Armut und ein uneingeschränktes Bekenntnis zum MERCOSUR sind die Eckpunkte der Vorlage. „Es müssen wieder Ziele formuliert werden, die mit dem Programm der Frente Amplio vereinbar sind und es muss wieder einen lebendigen Austausch der politischen Führung mit der Basis geben“, so sein Credo. Der von seinem Parteikollegen Vázquez geschasste Gargano tritt die Flucht nach vorne an und nutzt seine Position als Vorsitzender der Sozialisten, die Entfremdung zwischen Regierung und Regierungsbündnis offen zu benennen.
Die Regierung habe es nicht vermocht oder nicht gewollt, den Prozess der Konzentration des Reichtums zu stoppen oder umzukehren. Substanzielle Änderungen in der Wirtschaftspolitik wurden nicht durchgeführt und sind für die Zeit bis zum Oktober 2009 auch nicht geplant. Die Bilanz: Ein deutlicher Anstieg der Kapitalgewinne auf der einen und ein Rückgang der Reallöhne auf der anderen Seite. „Es sind die 2.500 reichen Familien, die immer reicher werden.“ Gargano weiter: „Das ist ein Defekt unser ökonomischen Politik“. Genau für diese Politik, die für linke Ökonomen keinen strukturellen Wandel und keinen Abschied von neoliberalen Politikelementen darstellt, feiert der US-Botschafter in Montevideo den Finanz- und Wirtschaftsminister Danilo Astori in einem Bericht an seine Regierung euphorisch. Er lobt die „orthodoxe makroökonomische Politik“ Astoris und die Bevorzugung des ausländischen Kapitals durch die Regierung Vázquez. „Die Macht übernehmen, ohne die Welt zu verändern“ – frei nach John Holloway (oder besser Holloway auf den Kopf gestellt) – wird so immer mehr zum Motto der Linksregierung unter Tabaré Vázquez.
Dabei steht die FA mit ihrer 37-jährigen Tradition für Visionen und permanente Veränderung. Auch in Uruguay waren es die in der Frente Amplio vereinten linken Parteien und politisch-sozialen Bewegungen, die die neoliberale Hegemonie durchbrachen und „linke“, post-neoliberale Regierungen an die Macht brachten. Obwohl der Bruch mit der Vergangenheit in Bezug auf die Menschenrechtspolitik und den Umgang mit den Verbrechen der Militärdiktatur, die Stärkung unabhängiger Gewerkschaften, die Gesundheits- und Bildungspolitik und die Sozialpolitik unverkennbar ist, wird die ökonomische Gestaltungsmacht nach Ansicht vieler Basis-AktivistInnen der FA nicht genutzt, sondern nur noch verwaltet.
Die monatelang geführte, quälende Debatte um seine mögliche direkte Wiederwahl (dafür hätte die Verfassung verändert werden müssen) hat Vázquez Anfang 2008 beendet. Definitiv schloss er eine zweite Amtszeit aus. Trotzdem stehen immer noch nicht die inhaltlichen Debatten auf der Tagesordnung, sondern es geht darum, wer im Herbst 2009 für das Mitte-Links-Bündnis ins Rennen um die Präsidentschaft gehen soll. Der noch amtierende Finanz- und Wirtschaftsminister Astori (Mitte des Jahres soll auch er sein Ministeramt räumen) und der jetzige Senator Mujica haben ihren Hut zwar noch nicht offiziell in den Ring geworfen, aber alle Beobachter gehen davon aus, dass es zum Showdown zwischen den beiden sowohl profiliertesten als auch umstrittensten Politikern der FA kommen wird. Etwas absolut Neues für das breite Bündnis, das seine Stärke immer aus der Einmütigkeit und der Konsensfähigkeit bezog. Offensichtlich wurde das zuletzt beim Kongress der Frente Amplio im Dezember 2007, als es zum ersten Mal seit Bestehen des Bündnisses nicht gelang, einen Präsidenten oder eine Präsidentin zu wählen. Die Kandidatin von Mujica und der MPP, die Politologin Constanza Moreira (eine unabhängige Mittvierzigerin), wurde abgelehnt. In dem vergifteten Klima hatte daraufhin niemand mehr eine Chance, auch nicht die vom Präsidenten vorgeschlagenen Kompromisskandidaten. Die im doppelten Sinne alten Strukturen und Personen (fast ausnahmslos Männer), die seit über 30 Jahren das Bündnis bestimmen und in ihrer Mehrheit die Regierungspolitik unterstützen, widersetzen sich einer sowohl inhaltlichen als auch personellen Erneuerung. Für den 91-jährigen Basis-Aktivisten Ernesto Kroch ist das Gerontokratie und Machismo, er hält eine Verjüngung der Frente Amplio für überlebensnotwendig.
Auch in Bezug auf den aktuellen Konflikt Kolumbiens mit Ecuador und Venezuela wird die Entfremdung zwischen der Regierung und der FA überdeutlich. Während der neue Außenminister Gonzalo Fernández, zuvor als Sekretär des Präsidenten tätig und für seine USA-freundliche und MERCOSUR-kritische Haltung bekannt, von „Vorkommnissen zwischen den Bruderstaaten Kolumbien, Ecuador und Venezuela“ spricht und dafür plädiert „zum Dialog zurückzukehren“, drückt ein Kommuniqué der FA „die totale Zurückweisung und Verurteilung des militärischen Eindringens der kolumbianischen Regierung auf das Territorium Ecuadors“ aus und verurteilt, „dass das Klima des Friedens, das durch die Freilassung der Geiseln durch die FARC eingeleitet wurde, zerstört wurde.“ Die von der FA-Führung verabschiedete Deklaration verurteilt auch die Ermordung des Vize-Kommandanten der FARC Raúl Reyes und macht die USA mitverantwortlich für die Eskalation. In der Stellungnahme des Außenministeriums ist hingegen von einer Verurteilung Kolumbiens nichts zu lesen. Ganz im Gegensatz zu allen anderen lateinamerikanischen Staaten. Sogar die moderate chilenische Präsidentin fand deutlichere Worte: „Uribe schuldet Ecuador und ganz Lateinamerika eine Erklärung“, so Michelle Bachelet.
Die rechte Opposition in Uruguay applaudiert, sieht sie doch durch den neuen Außenminister auch die Annäherung an den verhassten Hugo Chávez gestoppt. Und sie ist gesprächsbereit. Eine der ersten Amtshandlungen von Fernández, ein enger Vertrauter des Präsidenten von diesem zum „Politischen Minister“ ernannt, waren Treffen mit den Führern der rechten Opposition, unter anderem mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Julio María Sanguinetti. Der Präsident hatte das ausdrücklich gewünscht. Während zwischen der Frente Amplio und der Regierung die Differenzen wachsen, intensiviert sich der Dialog mit der Opposition. Kaum etwas könnte die Entfremdung zwischen der Exekutive und den Bewegungen deutlicher machen – die Breite Front bewegt sich auf einer immer schmaler werdenden Basis.

// Billige Tricks mit teuren Nebenwirkungen

Es wirkte wie eine theatralische Inszenierung. Da tritt der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Manuel Santos gemeinsam mit der Militärspitze und dem dauergrinsenden Polizeichef des Landes am Morgen des ersten März vor die Kameras und verkündet freudestrahlend einen spektakulären Coup. Es sei dem Militär gelungen, Raúl Reyes, die Nummer Zwei in der FARC-internen Hierarchie, und weitere „Terroristen“ durch einen Raketenangriff zu töten. Die Aktion habe im Süden Kolumbiens, unweit der ecuadorianischen Grenze stattgefunden.

Aus Ecuador kamen bald darauf andere Infos. Auf ecuadorianischem Territorium seien über zwanzig tote Guerilleros in Schlafkleidung gefunden worden, auf die neben Präzisionsraketen offensichtlich gezielte Schüsse aus nächster Nähe abgefeuert worden waren. Ecuadors Präsident Rafael Correa sprach von einem Massaker und beorderte wie sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chávez Militäreinheiten zur kolumbianischen Grenze. Es folgten Protestnoten gegen die Verletzung der ecuadorianischen Souveränität aus fast allen Ländern des Kontinents. Eine knappe Woche später ist der Streit so plötzlich wieder vorbei, wie er vom Grenzzaun gebrochen worden war.

War das Ganze also größtenteils inszeniert oder ging es Kolumbien schlicht darum, gegen die FARC vorzugehen, ohne die Konsequenzen abzuschätzen? Weder noch. Der außenpolitische Kontext spricht für ein knallhartes Kalkül von Bogotá: Torpedierung eines Verhandlungsprozesses um jeden Preis. In Lateinamerika ist das Uribe-Regime mit seiner Politik der harten Hand und seiner Präferenz für eine militärische Lösung des Konflikts mit den Guerillas FARC und ELN so isoliert wie nie zuvor. Chávez und die linksliberale kolumbianische Senatorin Piedad Córdoba verhandeln seit Monaten trotz Widerständen der kolumbianischen Regierung mehr oder weniger offiziell mit der FARC. Mit Erfolg: Insgesamt sechs Geiseln ließ die Guerilla dieses Jahr bereits frei. Die Regierung Uribe verfolgt die Entwicklungen größtenteils vor dem Fernseher. Dort nämlich erklärten die nach Venezuela ausgeflogenen Ex-Geiseln der Weltöffentlichkeit die Notwendigkeit einer Verhandlungslösung des seit über vier Jahrzehnten andauernden Kriegs in Kolumbien.

Chávez, Córdoba und zahlreiche weitere internationale Akteure wie die französische Regierung drängen auf Verhandlungen mit der Guerilla. Die Argumentation des venezolanischen Präsidenten ist einleuchtend: Weder FARC noch Regierung würden den Konflikt militärisch lösen können.
Die Regierung Uribe hingegen macht keinen Hehl daraus, dass sie keinerlei Interesse an einer derartigen Konfliktbeilegung hat. Sie beharrt auf einer Position der Stärke. Jede bedingungslose Geiselfreilassung von Seiten der Guerilla ist ein Schlag ins Gesicht des kolumbianischen Präsidenten und setzt ihn unter Handlungsdruck. Der Raketenangriff auf Ecuador muss daher auch in diesem Kontext gesehen werden. Wer wenige Tage nach der Freilassung von vier ehemaligen Abgeordneten den Verhandlungsführer der FARC tötet, zielt nicht nur auf die Organisation selbst sondern vor allem auf den von außen angestoßenen Friedensprozess. Dass dann auch noch auf drei Computern, die im Camp der FARC gefunden und bei dem Beschuss der kolumbianischen Armee zufälligerweise nicht zerstört wurden, angeblich sämtliche Informationen gefunden wurden, die nötig waren, um die Position der kolumbianischen Regierung nach außen zu legitimieren, ist deren eigentlicher Coup: Mit dem vermeintlichen Nachweis für die engen Verbindungen von Chávez und Correa zur FARC wird die gesamte Friedenspolitik von Chávez diskreditiert. Den Geiseln und anderen Betroffenen des bewaffneten Konflikts ist zu wünschen, dass die kolumbianische Regierung mit diesen leicht durchschaubaren Tricks nicht durchkommen wird.

Kriegsparteien oder Aufständische?

In Kolumbien reiht sich Demonstration an Demonstration. Am 4. Februar gingen Millionen unter dem Motto „No más FARC“ („Keine FARC mehr“) auf die Straßen, im Januar fanden Kundgebungen gegen Venezuelas Präsident Hugo Chávez statt. Hintergrund sind die wechselhaften und spannungsgeladenen Verhandlungen in den vergangenen sechs Monaten über einen Gefangenenaustausch zwischen kolumbianischer Regierung und den Bewaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC). Nach jahrelangem Stillstand – der letzte Gefangenenaustausch fand im Juni 2001 statt – räumte die kolumbianische Regierung unter Präsident Uribe Vélez im August 2007 zunächst der Senatorin Piedad Córdoba und wenig später dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez die Befugnis zur Vermittlung mit der Guerillaorganisation ein. Beide erreichten eine Annäherung an die Guerilla und knüpften Kontakte in die USA und Frankreich. Dadurch kam der internationalen Vermittlung im bewaffneten Konflikt erstmals eine tragende Rolle zu. Allerdings fällt diese Aufgabe bei den verhärteten Verhandlungspositionen in Kolumbien nicht leicht. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass die FARC eine zeitweise Demilitarisierung zweier Gemeinden im südlichen Departement Valle de Cauca verlangen und die Regierung sich weigert, bewaffneten Guerillaverbänden ein Gebiet zu überlassen.

Dem kolumbianischen Präsidenten scheint eine eigenständige Rolle der FARC und eine Vermittlerrolle Venezuelas ein Dorn im Auge zu sein. Er versucht, öffentliche Auftritte der FARC zu unterbinden. Offensichtlich brüskiert durch eine Pressekonferenz von FARC-VertreterInnen zusammen mit Chávez und Córdoba in Caracas, sprach er den beiden am 21. November 2007 in höchst undiplomatischer Form ihre Vermittlerbefugnisse ab. Das zog einen scharfen Wortwechsel mit dem venezolanischen Staatsoberhaupt nach sich und in der Folge fror Venezuela die diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien ein. Das war der erste Schritt in der Entzweiung beider Länder.
Trotzdem setzten die FARC weiterhin auf den Kontakt zu Chávez. Sie machten deutlich, dass sie die Vermittlung Venezuelas und nicht das Ansinnen Uribes bevorzugen. Ginge es nach dem kolumbianischen Präsidenten, so würde die katholische Kirche diskret unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den FARC vermitteln. Und so kündigte die Guerilla Ende des Jahres an, als Geste des guten Willens die ehemaligen Abgeordneten Consuelo González und Clara Rojas, ehemalige Wahlkampfchefin der vor sechs Jahren ebenfalls von den FARC entführten, damaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt bald freizulassen. Auch Clara Rojas´ in Gefangenschaft geborener Sohn Emmanuel sollte freigelassen werden. Daraufhin begann die „Operation Emmanuel“, koordiniert durch Hugo Chávez. Am 30. Dezember formierte sich im kolumbianischen Villavicencio eine internationale Mission. Sie bestand aus dem Internationalen Roten Kreuz, dem ehemaligen argentinischen Präsidenten Néstor Kirchner sowie zahlreichen weiteren RegierungsvertreterInnen. Sie mussten jedoch unverrichteter Dinge nach Hause fahren, da nach Angaben der FARC Gefechte am vorgesehenen Übergabeort stattfanden.

Chávez gibt das enfant terrible: Guerillas als Kriegsparteien?

Die enttäuschte Erwartung nutzte die kolumbianische Regierung aus und diskreditierte die Guerilla als „Lügner“. Sie bestritt einen Bruch des vereinbarten Waffenstillstands in dem Gebiet und konnte zudem zeigen, dass sich Rojas’ Sohn Emmanuel längst nicht mehr in den Händen der FARC, sondern in einem staatlichen Waisenheim und damit in den Händen der Regierung befand. Aber Hugo Chávez war noch nicht aus dem Rennen. Er gab wenige Tage später bekannt, dass ihm die FARC die Koordinaten für einen zweiten Übergabeversuch mitgeteilt hätten. Diesmal lief alles reibungslos. Ohne größere internationale Beteiligung (nur der venezolanische Innenminister Chacín, der kubanische Botschafter Otero und das Rote Kreuz waren anwesend) wurden González und Rojas am 10. Januar nach Venezuela ausgeflogen, wo sie in Caracas von ihren Familien in Empfang genommen wurden. Damit hatte sich die venezolanische Vermittlung trotz ihrer Ablehnung durch die Regierung Uribe ausgezahlt.
Hugo Chávez nutzte allerdings seinen Erfolg und die mediale Aufmerksamkeit, um einen umstrittenen Vorstoß zu unternehmen. Am Tag nach der Freilassung erklärte er, dass die Guerillaorganisationen FARC und das Heer zur Nationalen Befreiung ELN Gebiete in Kolumbien besetzt halten und ein politisches, von Venezuela respektiertes „bolivarianisches“ Projekt verfolgen würden. In einem „Vorschlag für den Frieden“ ersuchte die venezolanische Nationalversammlung eine Woche darauf die kolumbianische Regierung, die Guerillas als Kriegsparteien anzuerkennen, um eine Vertrauensbasis für zukünftige Verhandlungen zu schaffen. Chávez´ Ansinnen stieß auf harsche Ablehnung. Die kolumbianische Regierung bezeichnete die Äußerungen als Eingriff in innere Angelegenheiten. Germán Vargas, Senator der Koalition Uribes, vermutete sogar, dass die FARC nun ein Büro in Caracas eröffnen oder wirtschaftliche und militärische Hilfe erhalten könnten.

Uribe setzt weiterhin auf eine militärische Lösung.

Um den venezolanischen Vorstoß zu unterbinden, besuchte Uribe Mitglieder des Europaparlaments in Frankreich und Spanien. Zugleich häuften sich in der darauf folgenden Woche die Besuche von US-Funktionären in Kolumbien. Zuerst kam Michael Mullen, Chef des US-Generalstabs, der sich besorgt über die millionenschweren Waffenkäufe Venezuelas äußerte, danach John Walters, Chef der Drogenbehörde DEA, der Venezuela unterstellte, den Drogenhandel zu begünstigen, und zuletzt Außenministerin Condoleezza Rice, die Uribe ihren Rückhalt zusicherte.
Chávez warf daraufhin der Regierung Uribe vor, als „Handlanger des nordamerikanischen Imperiums“ eine kriegerische Provokation Venezuelas zu betreiben. Damit war das Wörtchen „Krieg“ gefallen und in der kolumbianischen Öffentlichkeit erfolgte eine geistige Mobilmachung, die das Anliegen des Gefangenenaustauschs in den Hintergrund rücken ließ. Die Proteste in Kolumbien, die demonstrierte Einigkeit, mit der die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA das Ansinnen Chávez abgelehnt haben, und der geringe Zuspruch im Rest Lateinamerikas – nur in Nicaragua zeigte Präsident Ortega Sympathien für Chávez´ Vorstoß – machten deutlich, dass sich der venezolanische Präsident zu weit aus dem Fenster gelehnt und seinen Vermittlungserfolg politisch verspielt hatte.
Mit der Äußerung zum Status der Guerilla zog das venezolanische Staatsoberhaupt einen Grundpfeiler der kolumbianischen Regierungspolitik, die „demokratische Sicherheit“, in Zweifel. Begünstigt durch die internationale Konjunktur nach dem 11. September 2001 vertritt die Regierung Kolumbiens die Auffassung, die Guerillaorganisationen seien reine Terrorgruppen und ihr Kampf nicht politisch, sondern durch den Drogenhandel motiviert. Zuweilen bezweifelt sie sogar, dass in Kolumbien ein „bewaffneter Konflikt“ existiere. Diese These der Regierung ist allerdings vom Präsidenten des linksgerichteten Polo Democrático Alternativo, Carlos Gaviria, wiederholt in Frage gestellt worden. Auch er hält wenig vom Vorschlag Chávez´, die Guerillas als Kriegsparteien anzuerkennen. Nach seinem Verständnis sind die Guerillaorganisationen aufständische Gruppen, sie besitzen damit einen politischen Charakter, auch wenn die Regierung diesen nicht anerkennen will. Der Status als Kriegspartei basiert dagegen auf dem humanitären Völkerrecht, die Akteure müssen über eine zentrale Befehlsgewalt und gewisse territoriale Kontrolle verfügen. Entscheidender ist jedoch, dass ihr Status von der Bestätigung durch völkerrechtliche Subjekte wie Staaten abhängt. Obwohl sich die Guerillas von diesem Status einen Zugewinn an Anerkennung erhoffen, sind mit diesem Status per se keine weiteren Rechte verbunden.

Die Regierung Uribe geht aus den aktuellen Geschehnissen zunächst gestärkt hervor. Anscheinend denkt diese momentan wenig an humanitären Austausch, da der Präsident den Vorschlag lancierte, die FARC weiter einzukreisen, um so eine Gefangenenübergabe zu erzwingen. Allerdings schaltete die Regierung mit Spanien, Frankreich und der Schweiz erneut internationale VermittlerInnen ein. Zurzeit bemüht sich Brasilien, die Gruppe zu erweitern, so dass auch Venezuela weiterhin mit von der Partie ist. Die FARC setzen wie bisher auf den Kontakt zu Hugo Chávez und Piedad Córdoba. Sie kündigten die Freilassung von drei ehemaligen Kongresabgeordneten an, lehnen aber wegen Parteilichkeit die Vermittlung der katholischen Kirche und Spaniens ab. Für die nahe Zukunft ist daher folgendes zu erwarten: Statt Fortschritten beim Gefangenenaustausch oder der Klärung des Status der Guerilla wird es Streit um Mandat und Zusammensetzung der Vermittlergruppe geben.

Einseitige Schuldzuweisung

Unbestritten: Es war eine eindrucksvolle Demonstration am 4. Februar. Millionen Menschen zogen unter dem Motto „No más FARC“ (Keine FARC mehr) durch verschiedene Städte Kolumbiens. Dass ein Internetaufruf eines halben Dutzend junger KolumbianerInnen weltweit in wenigen Wochen Menschenmassen mobilisieren konnte, die seit Jahren resigniert und passiv dem Schicksal ihres Landes zusehen, überrascht auf den ersten Blick. Dass diese sich explizit gegen die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) richteten, weniger: Die Bilder der Ende letzten Jahres veröffentlichten Videos, die beweisen sollten, dass seit Jahren entführte Menschen in der Gewalt der FARC noch leben, brannten sich in den Köpfen der KolumbianerInnen ein. Abgemagert und stumm standen die Opfer vor der Kamera und gaben den Qualen Ausdruck, in denen sich hunderte Entführte befinden, die teils angekettet von einem Tag in den nächsten leben. Das Spektakel um die Freilassung von zwei Entführten zum Jahreswechsel und die daran anschließende Forderung des vermittelnden venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez nach einer Anerkennung des Kriegszustands in Kolumbien, brachten die Emotionen zum Überkochen. Bis zu vier Millionen Menschen machten auf der Straße deutlich, dass sie die Nase voll haben von den FARC und nicht bereit sind, diesen politische Zugeständnisse zu machen. Doch auf den zweiten Blick ist auch die hohe Anzahl der TeilnehmerInnen wenig verwunderlich, schließlich gab es in den Massenmedien penetrante Aufrufe zur Demonstration und eine breite Unterstützung durch PolitikerInnen bis hin zu Gustavo Petro, Senator des linksgerichteten Polo Democrático Alternativo.

Bei allem Verständnis für den Unmut über die FARC, deren Verstrickung in das Drogengeschäft und oft brutales Auftreten in den von ihnen kontrollierten Gebieten keinerlei Sympathie verdient, ist die einseitige Schuldzuweisung an die FARC im kolumbianischen Konflikt ein gefährlicher Kurzschluss. Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der FARC-Gefangenen werfen den DemonstrantInnen zu Recht vor, die Verhandlungsbasis für einen humanitären Austausch zu untergraben. Eines steht jedenfalls fest: Die Gewalt durch Armee und Paramilitärs, Morde, Verschwindenlassen und Vertreibungen, waren kein akzeptiertes Thema auf den Massendemonstrationen. Der Schmerz und die Forderungen der Betroffenen sind in dieser einseitig geprägten Öffentlichkeit nicht vertreten. Gustavo Moncayo, Vater eines entführten Soldaten, wurde von einer Demonstration vertrieben, weil er sich in seiner Rede für eine Vermittlung von Chávez eingesetzt und auch die Verantwortung der Paramilitärs anzusprechen versucht hatte. Militaristische Parolen überwogen auf den Kundgebungen, von einem Verhandlungswillen war wenig zu spüren. Wasser auf die Mühlen des Präsidenten Álvaro Uribe, der nach wie vor von einer militärischen Lösung träumt. Dabei ist belegt, dass Uribes politische Rechte, Drogenhandel und Paramilitärs symbiotische Beziehungen entwickelt haben. Die Paramilitärs besteuern nicht nur wie die FARC den Drogenanbau, sie kontrollieren einen Großteil des Handels. Über 3.000 Menschen fallen dem Bürgerkrieg jährlich zum Opfer. Staatlicher und parastaatlicher Terror liegt dabei weit vor den Verbrechen der Guerilla. Die sozialen Ursachen des Konflikts werden von Uribe schlicht geleugnet: Kein Wort über die ungerechte Verteilung an Boden und Einkommen. Heute kontrollieren 0,4 Prozent der LandbesitzerInnen mehr als 60 Prozent der Böden, fast doppelt soviel wie 1984.

Wie tiefgründig die kolumbianische Gesellschaft den von den Medienmonopolen des Landes einseitig zu Lasten der FARC dargestellten militärischen Konflikt verstanden hat, wird am 6. März ersichtlich. Für diesen Tag hat die Nationale Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen, ein Zusammenschluss verschiedener kolumbianischer Nichtregierungsorganisationen, zu einer Demonstration gegen den Paramilitarismus aufgerufen. Die Regierung hat bereits angekündigt, diese Demonstration nicht zu unterstützen. Wenn die Menschen an diesem Tag nicht ähnlich massiv auf die Straße gehen wie am 4. Februar, bleibt nur ein schlechter Nachgeschmack dessen, was eine der größten Demonstrationen in der Geschichte Kolumbiens war.

Eiszeit zwischen Uribe und Chávez

Vertrauen ist die Basis von Vielem – ob Gefangenenaustausch oder Handelsbeziehungen. So sieht das auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Es gibt nur ein Problem: Das Vertrauen zu Kolumbiens Präsidenten Álavaro Uribe Vélez ist aus seiner Sicht nachhaltig gestört. „Mein Vertrauen in die kolumbianische Regierung ist gleich Null. Für Handelsbeziehungen ist Vertrauen nötig, doch das ist pulverisiert“, äußerte Chávez in Buenos Aires, wo nacheinander die Gründung der Banco del Sur und die Amtseinführung von Cristina Fernández de Kirchner gefeiert wurden. Chávez neigt zuweilen zu dramatischen Äußerungen und das verlorene
Referendum (siehe Artikel in dieser Ausgabe) hat seine Laune nicht gebessert. Doch seine Aussage hat durchaus ökonomisches Drohpotenzial: Seit Jahren importiert Venezuela mit ansteigender Tendenz Waren des täglichen Gebrauchs aus Kolumbien. Dabei ist Venezuela für Kolumbien der zweitgrößte ausländische Absatzmarkt, vor allem für Agrar- und Textilprodukte. Auf über fünf Milliarden US-Dollar beläuft sich das Handelsvolumen, doch Venezuela kann sich mit seinen Petrodollars seine Importeure aussuchen, während Kolumbien für seine Fertigwaren auf Märkte angewiesen ist, zu denen es bevorzugten Zugang hat, denn weltmarktfähig sind sie nur zu geringen Teilen. Chávez` Ankündigung, künftig in Brasilien auf Shopping-Tour zu gehen, hat Substanz: Brasilien hat eine ausdifferenzierte Industriestruktur und könnte für Kolumbien locker in die Bresche springen.
All das hat Álvaro Uribe Vélez wohl kaum bedacht, als er am 21. November zu später Stunde den Vermittlern Hugo Chávez und Piedad Córdoba die Befugnis zur Verhandlung eines humanitären Abkommens entzog. Die kurze Note, ohne vorherigen Anruf bei der kolumbianischen Senatorin oder dem venezolanischen Staatsoberhaupt, hatte einen harschen Schlagabtausch zur Folge: Chávez bezeichnete Uribe Vélez als einen „Lügner“ und „Handlanger des Imperiums“. Im Gegenzug warf ihm der kolumbianische Präsident vor, dass er das Land zum Opfer eines Terrorregimes der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) machen wolle. Venezuela fror daraufhin die diplomatischen Beziehungen ein und berief seinen Botschafter aus Kolumbien ab.
Dabei hatte die Vermittlung in den vorangegagenen drei Monaten Leben in die festgefahrenen Verhandlungen gebracht. Zuletzt war es vor über sechs Jahren, im Juni 2001, während der Friedensgespräche des Präsidenten Andrés Pastrana zu einem Gefangenenaustausch gekommen. Nach Abbruch der Gespräche und dem Amtsantritt von Uribe Vélez hatte die Regierung auf die militärische Bekämpfung der Guerilla gesetzt, um aus einer Position der Stärke heraus Bedingungen zu diktieren. Eine eigenständige Verhandlungsstrategie existiert nicht. Sie ist dem Primat staatlicher Souveränitätsansprüche unterworfen. Der letzte Versuch, einen humanitären Austausch anzuregen, scheiterte im Oktober 2006, als die Regierung nach einem Bombenanschlag auf eine Militärschule die Bemühungen abbrach.
Die rege Verhandlungsdiplomatie, die Chávez und Córdoba entfalteten, weckte daher Hoffnungen auf einen baldigen Gefangenenaustausch. Erstmalig spielten dieses Mal internationale Vermittler eine tragende Rolle. Neben Chávez ist es der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der sich für die Freilassung der Franko-Kolumbianerin Ingrid Betancourt einsetzt. Auf sein Betreiben hin begnadigte die kolumbianische Regierung im Mai den „Kanzler der FARC“, Rodrigo Granda.
Allerdings fällt ein Ausgleich bei den verhärteten Positionen im kolumbianischen Konflikt nicht leicht. Die Hauptschwierigkeit ist das Verlangen der FARC nach einem zeitweiligen Abzug des Militärs aus den Gemeinden Pradera und Florida im südlichen Departement Valle de Cauca und die Weigerung der Regierung, ihren bewaffneten Verbänden ein Gebiet zu überlassen. Außerdem fordern die FARC, dass die Guerilleros „Simon Trinidad“ und „Sonia“ in den Austausch mit einbezogen werden. Die beiden sitzen nach ihrer Auslieferung in US-Gefängnissen. Allerdings hält die Guerilla drei Angehörige privater US-Militärunternehmen gefangen, die Teil des Austausches wären. Zudem verlangt die Regierung von den freizulassenden Guerilleros, dem bewaffneten Kampf abzuschwören, was die FARC hingegen strikt ablehnt.
Was die Regierung dazu bewog, der Oppositionspolitikerin Córdoba und dem linksgerichteten Chávez Vermittlungsaufgaben zuzugestehen, ist nicht eindeutig. Wahrscheinlich rechnete sie sich nur Vorteile aus: Im Falle eines Scheiterns hätte man ihnen die Schuld zuschieben und bei Erfolg hätte die Regierung versuchen können, die Lorbeeren zu ernten. Ein Motiv von Chávez ist vermutlich, die regionale Zusammenarbeit bei Sicherheitsangelegenheiten zu festigen – ohne Mitwirkung der USA – und vielleicht einen internationalen Imagegewinn als „Vermittler“ zu verbuchen.
Obwohl Venezuela der Hauptgegenspieler der USA auf dem Subkontinent und Kolumbien im Gegensatz dazu der Hauptverbündete ist, war die Beziehung der beiden Länder dennoch überwiegend kooperativ. Kolumbien und Venezuela bauen gemeinsam an einer Gaspipeline und bis vor Kurzem war selbst die Wiederbelebung der Andengemeinschaft denkbar. Das scheint nun endgültig der Vergangenheit anzugehören: Eine Rückkehr in die Andengemeinschaft schloss Chávez kategorisch aus, solange Uribe in Bogotá regiere.
Nach ihrer Autorisierung als Vermittlerin am 15. August diesen Jahres führte der Weg der linksliberalen Piedad Córdoba zunächst in die Gefängnisse Kolumbiens, um dort das Vertrauen gefangener Guerilleros zu suchen. Anschließend suchte sie das Camp des FARC-Sprechers „Raul Reyes“ auf, der einem Treffen mit dem venezolanischen Präsidenten zustimmte. Beim anschließenden Besuch in den USA traf sich Córdoba mit Vertretern des Außen- und Justizministeriums sowie demokratischen Abgeordneten, wo sie einen Besuch bei „Simón Trinidad“ erreichte. Dieser nahm daraufhin Abstand davon, Teil des Austausches zu werden und erleichterte somit die Verhandlungen.
Schließlich kam es am 8. November zur Zusammenkunft in Caracas. Im Palast Miraflores trafen Chávez und Córdoba auf den FARC-Vertreter Iván Márquez und gaben anschließend eine Pressekonferenz. Das Ergebnis: Die Vereinbarung einer Begegnung zwischen Venezuelas Präsidenten und dem FARC-Oberkommandierenden Manuel Marulanda in Kolumbien und die Verpflichtung, Lebenszeichen der Gefangenen zu überbringen.
Am 19. November flogen Chávez und Córdoba nach Paris, um mit Sarkozy zusammenzutreffen, allerdings ohne die versprochenen Lebenszeichen der Gefangenen. Nach dem Rückflug riefen sie ohne Absprache beim Oberbefehlshaber der kolumbianischen Armee, Mario Montoya, an. Das war der Anlass für Uribe Vélez, den beiden Vermittlern ihre Befugnis abzusprechen. Sie seien nur zum Kontakt mit ihm befugt gewesen, nicht aber zu Gesprächen mit anderen Funktionsträgern.
Nichtsdestotrotz ist der Anruf, wenn überhaupt, nur ein Verstoß gegen diplomatische Gepflogenheiten gewesen. Tatsächlich verwies der Präsident im Nachhinein darauf, dass die FARC nur an internationaler Anerkennung und nicht wirklich an einem Gefangenenaustausch interessiert seien. Ähnliches lässt sich allerdings für die kolumbianische Regierung behaupten. Sie ist nur dann am humanitären Abkommen interessiert, wenn er sich ohne politischen Gewinn für die FARC realisieren lässt.
Die Folge des abrupten Endes ist zunächst ein Verlust der entstandenen Vertrauensbasis. Die FARC sind zwar weiterhin zum Austausch bereit, aber sie werten den Abbruch als neuerliche Täuschung der Regierung. Auch Chávez und Córdoba bekräftigen ihre Bereitschaft zur weiteren Vermittlung, nur ohne Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Regierung, wobei sie von den Angehörigen der Gefangenen unterstützt werden.
Nach Regierungsvorstellungen soll bei den Anstrengungen für ein humanitäres Abkommen die internationale Beteiligung begrenzt werden und die Regierung die tragende Rolle spielen. Die alleinige Zuständigkeit für Verhandlungen erhielt der Hochkommissar für den Frieden, Luis Carlos Restrepo, der sie diskret abwickeln soll. Die Vermittlerrolle soll nunmehr die katholische Kirche übernehmen. Zwar zählt Uribe Vélez weiterhin auf die Unterstützung Sarkozys, allerdings wird der französische Präsident als Verbündeter und nicht als Schlichter betrachtet. Eine eigenständige Vermittlungsinitiative ist in dieser Konstellation nicht mehr vorgesehen.
Zugleich trat der kolumbianische Präsident am 7. Dezember mit einem Vorschlag für ein demilitarisiertes Gebiet an die Öffentlichkeit. Allerdings ist er keineswegs neu. Die FARC dürfe dort nur unbewaffnet präsent sein, was einem Angebot von vor gut einem Jahr entspricht. Jedoch fordert die Guerilla ihre Anwesenheit in Waffen.
Damit sind die Verhandlungen wieder zu einem bekannten Punkt zurückgekehrt. Aber ohne erkennbare Initiative, die diese Positionen einander näher bringen könnte. Vielmehr haben sich die Bedingungen verschlechtert, denn das Misstrauen der Konfliktparteien hat neue Nahrung erhalten. Überdies liegt die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit auf den Spannungen mit Venezuela. Damit ist das Bemühen um ein humanitäres Abkommen wieder einmal in den Hintergrund getreten und läuft Gefahr, erneut zu scheitern.

Uribe vor dem aus?

Am Ende sahen sich alle als GewinnerInnen. Als am Sonntag, den 28. Oktober, die ersten Hochrechnungen für die wichtigsten Städte und Provinzen vorlagen, wollte keineR der KandidatInnen von einer Niederlage sprechen. Tatsächlich machten es die unterschiedlichen Ergebnisse in den einzelnen Regionen des gewaltgeplagten Andenstaates nicht eben leicht, klare Tendenzen zu erkennen, oder gar einen „großen Verlierer“ auszumachen.
In der öffentlichen Meinung bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch kein Zweifel mehr, dass der „große Gewinner“ der Wahlen Samuel Moreno hieß. Dessen Partei, das linke oppositionelle Bündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA), hat einmal mehr einen überwältigenden Sieg in Bogotá errungen. Nach dem spektakulären Coup von Lucho Garzón im Jahre 2003 ist es nun auch seinem Parteigenossen gelungen, gegen eine diffamierende Medienkampagne und trotz der direkten Einflussnahme des rechtsgerichteten Präsidenten Álvaro Uribe, das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt zu erobern. Dieses gilt traditionell als Sprungbrett zur Präsidentschaft und somit als zweitwichtigste politische Position. Geht damit jedoch wirklich ein „Linksruck“ durch das Land, oder sind gar „Uribes Konservative abgeschafft“, wie hierzulande etwa die taz titelte?
Diese These ist mehr als fraglich. Eine genaue Analyse der Ergebnisse zeigt vielmehr, dass der PDA zwar mit einer komfortablen Mehrheit von 43,7 Prozent die Wahlen in Bogotá gewonnen hat. Dennoch ist es der Linken nicht geglückt, diesen Trend auch auf andere Landesteile zu übertragen. Einzige Ausnahme war die Provinz Nariño, wo der ehemalige Guerillero und PDA-Mitbegründer Antonio Navarro mit 49,8 Prozent der Stimmen zum Gouverneur gewählt wurde. Weitere Überraschungen gab es in Medellín, wo der bekannte Buchautor Alonso Salazar von der Bewegung Soziale Indigene Allianz das Amt des Bürgermeisters übernahm, sowie in der Provinz César, deren neuer Gouverneur nun der Grüne Cristian Moreno ist. Nur dort und in der Hauptstadt unterlagen die KandidatInnen des Establishments deutlich. Wie selten zuvor hatten sie sich durch eine arrogante Haltung ausgezeichnet.
Aus diesem Grunde fiel Uribes Kandidat in Bogotá, der ungeliebte „Technokrat“ Enrique Peñalosa, in der Gunst der WählerInnen immer weiter zurück. Am Ende straften ihn diese mit mageren 28,2 Prozent ab – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 48 Prozent. Dieses schlechte Abschneiden eines linientreuen Mitstreiters ist insofern verwunderlich, als die überwiegend regierungstreuen Medien ganz ungeniert für die KandidatInnen von Uribes Gnaden warben. Die schmutzige Kampagne gegen den PDA erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als der Präsident gleich mehrfach verkündete, die Kolumbianer sollten „niemanden wählen, für den auf der Website einer illegalen bewaffneten Gruppierung geworben wird“.
Wie sich herausstellte, hatte die der linksgerichteten FARC-Guerilla nahestehende Nachrichtenagentur ANNCOL im Internet dazu aufgerufen, die KandidatInnen des PDA zu unterstützen. Für Uribe und Konsorten stand somit fest, dass die zivile Linke mit der bewaffneten Linken unter einer Decke stecken müsse. In der dualistischen Sichtweise des Präsidenten konnte es sich bei Moreno, Navarro und dem PDA-Vorsitzenden Carlos Gaviria folglich nur um „die willfährigen Handlanger von Narco-Terroristen“ handeln. Dass er mit seinen im Fernsehen übertragenen Kommentaren klar die Normen der Verfassung verletzte, hat ihn bislang wenig beeindruckt.
Den meisten WahlanalystInnen zufolge ist es nicht zuletzt Uribes unbedachten Äußerungen zu verdanken, dass Moreno überhaupt einen derart hohen Sieg einfahren konnte. Den Erfolg jedoch nur auf dieses „Missgeschick“ zurückzuführen, würde zu kurz greifen. Alle verfügbaren Daten zeigen, dass der PDA bereits im Vorfeld sehr gut aufgestellt war und sich nach einer schwierigen Phase zu Beginn des Jahrtausends mittlerweile konsolidiert hat. Unglücklicherweise gilt diese Feststellung auch für eine Reihe weniger ehrenwerter Gruppen.
Die Rede ist von den zahlreichen Ad-hoc-Allianzen, die nach dem Zusammenbruch der traditionellen Zwei-Parteien-Herrschaft der Liberalen und Konservativen das politische Ruder übernommen haben. Dabei handelt es sich um Wahlplattformen, die sich aus DissidentInnen der beiden Traditionsparteien zusammensetzen und dem parteilosen Uribe eine Mehrheit im Parlament verschaffen. Diese Bündnisse als „Parteien“ zu bezeichnen, ist im Grunde ein Euphemismus. Denn weder handelt es sich um Gruppierungen, die entlang sozialer Konfliktlinien entstanden sind, noch verfügen sie über ein kohärentes politisches Programm. Was die so genannten uribista-Parteien hingegen eint, ist ihr Wille zur Macht. Ohne jede Fraktionsdisziplin und völlig inhaltsleer, geht es ihren FührerInnen hauptsächlich darum, Partikularinteressen im Kongress durchzusetzen und sich möglichst schnell zu bereichern.
Als übelste Form des weit verbreiteten Klientelismus hat sich in letzter Zeit die so genannte parapolítica entpuppt. Nach harter internationaler Kritik musste Uribe zugeben, dass der Kongress massiv von VertreterInnen der rechtsgerichteten Paramilitärs unterwandert war. Mehr als 30 Prozent der Abgeordneten unterhielten demnach Verbindungen zu diesen illegalen Gruppen, denen zahllose Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Trotz einer oberflächlichen Zurückdrängung der Paramilitärs, deren Auftrag lautete, die Wählerschaft durch Einschüchterung und Gewalt „zu mobilisieren“, ist ihre Macht längst nicht gebrochen. Zwar betonte Uribe in der Öffentlichkeit stets, die Demobilisierung der paramilitärischen Verbände anzustreben. In Wirklichkeit wird aber immer offensichtlicher, dass die dem Drogenhandel nahestehenden paras nunmehr in die „offizielle“ Politik gewechselt sind. Dies ist das andere, weniger erfreuliche Ergebnis der Wahlen.
So konnten die gemeinhin als para-Plattformen bekannten Bündnisse, wie etwa die Partei Demokratisches Kolumbien (Colombia Democrática), sowie bis zu einem gewissen Grad die Soziale Partei der Nationalen Einheit (Partido de la U) und die Mitte-Rechts-Partei Radikaler Wandel (Cambio Radical) in mehreren Regionen die Zahl ihrer Bürgermeister, Stadträte und Gouverneure noch steigern. Lediglich die Partei Alas Equipo Colombia musste leichte Verluste hinnehmen und die Bewegung Colombia Viva fuhr eine deutliche Niederlage ein. Grund hierfür war allerdings, dass deren Chef, der bekennende parapolítico Dieb Maloof, mittlerweile inhaftiert ist.
Gegenüber diesen Zahlen nimmt sich der Sieg des PDA auf nationaler Ebene bescheidener aus, wenngleich die Zahl seiner Abgeordneten in den Provinz-Parlamenten von 14 auf 22 anstieg. Dieses Ergebnis kann durchaus als Denkzettel für den autoritären Regierungsstil Álvaro Uribes angesehen werden, obwohl dieser weiterhin große Popularität genießt. Dass die ihm nahestehenden Allianzen ebenfalls Zugewinne verzeichneten, hängt vor allem mit der andauernden Schwäche der Traditionsparteien zusammen. Zwar konnten sich die Konservativen im Vergleich zu den letzten Wahlen leicht erholen. Die Liberale Partei, der Uribe ursprünglich angehörte, musste jedoch starke Verluste hinnehmen. Da sich der Präsident in erster Linie auf die uribista-Parteien sowie Teile der Traditionsparteien stützt, stellt der Wahlausgang für ihn also kein großes Handicap dar, wie häufig in der internationalen Presse behauptet. Auch wenn der Sieg des PDA bei den Regionalwahlen gezeigt hat, dass der traditionelle Klientelismus zumindest in den Großstädten an Bedeutung verloren hat, ist die Zukunft der Linken in Kolumbien noch nicht gesichert. Nach wie vor stellen die informellen Strukturen politischer Herrschaft ein Hindernis für freie und faire Wahlen dar. In einem von Gewalt geprägten Klima ist es beileibe kein ungefährliches Unterfangen an die Urnen zu treten. So kamen auch in den diesjährigen Wahlen 29 Kandidaten im Kreuzfeuer der bewaffneten Akteure um. Ob es dem PDA gelingt, im Jahre 2008 tatsächlich den nächsten Präsidenten zu stellen, hängt ganz wesentlich von den politischen Fähigkeiten der neuen Führungsfigur Samuel Moreno ab. Dieser gibt jedoch bereits jetzt Anlass zu Zweifeln.
Als Enkel des ehemaligen Militärdiktators Gustavo Rojas Pinilla (Amtszeit 1953 – 57) spielte er während des Wahlkampfs mehrfach auf das „große Erbe“ seines Großvaters an. Dessen spätere Partei, die legendäre Nationale Volksallianz ANAPO, habe sich in den 60er und 70er Jahren für politische Veränderungen und soziale Reformen eingesetzt. Dass der gelobte Exdiktator jedoch ein ausgesprochener Populist vom Schlage Peróns war und außerdem von vielen Kolumbianern als Mitschuldiger am Bürgerkrieg der 50er Jahre betrachtet wird, sparte er hingegen aus. Nicht ganz zu Unrecht wird Moreno daher vorgeworfen, den populistischen Diskurs der ANAPO fortzusetzen und den BewohnerInnen der Hauptstadt unhaltbare Versprechen zu unterbreiten. Neben dem geplanten Ausbau des Sozial- und Bildungswesens stößt vor allem sein Projekt, in Bogotá eine Metro nach dem Vorbild der Stadt Medellín zu bauen, auf die Skepsis vieler Experten. Aufgrund der grassierenden Korruption sowie diverser technischer Schwierigkeiten halten nicht wenige Beobachter ein solches Vorhaben für undurchführbar. Es bleibt zu hoffen, dass Moreno Augenmaß bewahrt und sich eindeutig zum demokratischen, zivilen und sozialprogressiven Charakter seiner Partei bekennt. Im stark personenorientierten Wahlkampf erwähnte er den Namen des PDA allerdings auffallend selten, so als ob er sich für dessen „linke Tradition“ schämen würde. In Stile seines Großvaters präsentierte er sich stattdessen als universeller Heilsbringer und „Anti-Partei-Politiker“. Das Scheitern Morenos würde das Projekt der Linken jedoch um Jahre zurückwerfen und eine mögliche zweite Wiederwahl Uribes erleichtern.

Von Bananen und gestrauchelten Senatoren

Anfang 2006 gaben die letzten Verbände der paramilitärischen Vereinigten Bürgerwehren Kolumbiens (AUC) im Rahmen der Demobilisierungsvereinbarungen ihre Waffen ab. Über 30.000 Paramilitärs, von denen viele erst kurz vor der Waffenabgabe rekrutiert wurden, kamen so in das nationale Reintegrationsprogramm. Der Demobilisierungsprozess war eine komplizierte Angelegenheit, denn die misstrauische internationale Öffentlichkeit sollte hinnehmen, dass die Paramilitärs amnestiert werden. Als Problem erwies sich weniger die Tatsache, dass die AUC in den letzten 20 Jahren für zehntausende Morde verantwortlich waren, sondern vielmehr, dass sie wegen ihrer Verstrickungen in den internationalen Drogenhandel auf der US-amerikanischen Liste terroristischer Organisationen stehen. Die USA forderten deshalb die Auslieferung der wichtigsten Köpfe der Paramilitärs.
Allen Unklarheiten zum Trotz hatte die Demobilisierung schon 2003 begonnen. Ein rechtlicher Rahmen wurde aber erst 2005 mit dem Gesetz 975 geschaffen. Dieses stellt die Verbrechen der AUC in den Rang politischer Vergehen. Das ermöglichte den Paramilitärs eine umfassende Strafmilderung und verpflichtete sie lediglich zu einem „freien Bericht”. Hiernach öffnet sich Tür und Tor, die illegal angeeigneten Ländereien und den immensen Kapitalerlös aus dem Drogenhandel zu legalisieren. Schätzungen zufolge sind die Paramilitärs für die gewaltsame Enteignung von fünf bis sieben Millionen Hektar Land verantwortlich. Die internationale Gemeinschaft und nationale Menschenrechtsorganisationen hatten den Demobilisierungsprozess als „lächerliche Farce” und „Renovierungsprogramm für Todesschwadronen” bezeichnet und vehement abgelehnt. Tatsächlich sind weiterhin paramilitärische Gruppen aktiv und jedes Jahr für viele Hundert gezielte Morde verantwortlich.

Stühlerücken im Kongress

Um in den Genuss von Straferlässen zu kommen, waren die paramilitärischen Kommandanten gezwungen, sich der Justiz zu stellen. Zunächst machten sie nur unkonkrete Aussagen und äußerten sich zu Vorfällen, bei denen die Beteiligten nicht greifbar oder bereits verstorben waren. Dass es letztlich zu dem Skandal kam, den die Medien parapolítica tauften, ist das ungewollte Ergebnis von Interessenwidersprüchen im Demobilisierungsprozess. Immer mehr belastendes Material wurde den Ermittlungsbehörden zugespielt oder öffentlich lanciert, vor allem von Paramilitärs, die kein Interesse daran hatten, Bauernopfer im Spiel der Intrigen der Macht zu sein. Das Beweismaterial hatte Sprengkraft: Es legte eine systematische Zusammenarbeit zwischen politischen AkteurInnen und paramilitärischen Verbänden offen und belastete einzelne PolitikerInnen schwer.
Zu ersten Verhaftungen kam es im Frühjahr 2006. Ein halbes Jahr später fiel den Ermittlungsbehörden der Computer des Paramilitär-Kommandanten Jorge 40 in die Hände, der delikate Einzelheiten über das Vorgehen paramilitärischer Todesschwadronen und ihrer AuftraggeberInnen aus Wirtschaft und Poltik preisgab. Anfang dieses Jahres kam dann das „Geheime Abkommen von Ralito” ans Licht: Im Sommer 2001 hatte sich eine Reihe politischer WürdenträgerInnen in Ralito mit führenden Köpfen der Paramilitärs getroffen und einen gemeinsamen Pakt unterzeichnet, in dem von einer gemeinsamen Erneuerung Kolumbiens die Rede ist. Zwar enthält das Abkommen keine konkreten Maßnahmen. Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses gibt jedoch zu denken: Im Sommer 2001 führte die Regierung Pastrana Friedensverhandlungen mit der Guerilla FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Zur gleichen Zeit wurden die paramilitärischen Verbände massiv aufgerüstet und ihre Truppenstärke versechsfacht. Durch wiederholte Angriffe torpedierten die AUC damals die Friedensgespräche und drangen in weite Teile des Landes und in etliche urbane Zentren vor.
Die Kette der Skandale reißt nicht ab und unter den politischen RepräsentantInnen Kolumbiens hat ein regelrechtes Stühlerücken begonnen. 13 Abgeordnete und fünf ehemalige Abgeordnete sind bisher verhaftet worden. Gegen sie und weitere 18 ParlamentarierInnen, gegen den ehemaligen Direktor des Inlandsgeheimdienstes und ranghohe MitarbeiterInnen der Polizei, mehrere BürgermeisterInnen und Gouverneure wird ermittelt. Sie sollen paramilitärische Gruppen aufgebaut, finanziert oder beauftragt haben. Sogar Außenministerin María Consuelo Araújo musste wegen der Verstrickungen ihrer Familie in den Paramilitarismus zurücktreten.
Gegen den verhafteten Ex-Kommandanten der AUC Salvatore Mancuso liegen acht Haftbefehle wegen Mordes in insgesamt fast 400 Fällen vor. Seine Verantwortung für die Tötungen und Massaker hatte er schon zu Beginn dieses Jahres gestanden. Mitte Mai entschloss er sich, auf Grundlage des freien Berichts weitere Aussagen zu machen: Er beschuldigte verschiedene Generäle und höchste Regierungsmitglieder, namentlich Vizepräsident Francisco Santos und den Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, aktiv am Aufbau paramilitärischer Verbände mitgewirkt zu haben. Außerdem benannte er mehrere nationale und transnationale Unternehmen als Finanziers und Auftraggeber, darunter den Getränkehersteller Postobon und den Bananenexporteur Chiquita.
Die Konzernführung von Chiquita hatte im März 2007 zugegeben, dass sie die AUC mit Zuwendungen in Millionenhöhe unterstützt hatten und sich zur Zahlung von 25 Millionen US-Dollar Strafe verpflichtet. Bekannt ist auch, dass in den Containerschiffen der Bananenexporteure Waffen und Munition an Paramilitärs geliefert wurden, die für mehrere Massaker in der Region der Bananenplantagen verantwortlich waren. Auf Chiquita kommen weitere Schadensersatzforderungen zu: Im Juni haben die Hinterbliebenen der Opfer in den USA Klage gegen den Konzern eingereicht.
Doch allen Skandal-Meldungen zum Trotz sitzt der Präsident noch immer fest im Sattel der Macht. Zwar kommen alle verhafteten PolitikerInnen aus dem Regierungslager, Uribe hat es aber stets verstanden sich von den Beschuldigten deutlich zu distanzieren und die lückenlose Aufklärung der Vorfälle zu fordern. Es gelang ihm zunächst, sich erfolgreich als Saubermann mit reinem Gewissen darzustellen, der auch in den eigenen Reihen aufräumt. Doch Mitte Juni tauchte ein Video auf, das ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung in Puerto Berrio zusammen mit einem Paramilitär der Region zeigt. Seine Presseabteilung verweigerte jeden Kommentar. Zuvor hatte Uribe noch versucht, mit der angekündigten Freilassung von 200 gefangenen FARC-Rebellen die Initiative zurück zu gewinnen. Die FARC lehnten dies jedoch mit dem Hinweis ab, dass sie bei politischen Ablenkungs-Manövern nicht mitmachen würden.
In den Medien erscheint die Parapolitik noch immer als ein Skandal, in den lediglich ein paar PolitikerInnen verwickelt sind. Ausgerechnet Mancuso war es jedoch, der vom „Paramilitarismus des Staates“ sprach und schilderte, mit welcher Systematik die AUC innerhalb der Strategie staatlicher Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Der Paramilitarismus ist in Kolumbien ein zentrales Element der gesellschaftlichen Organisierung und Stützpfeiler des politischen Regimes. Seit den 1990er Jahren haben sich die Paramilitärs in enger Kooperation mit lokalen Eliten und dem Militär Herrschaftsräume geschaffen, in denen alle politischen Alternativen mit Gewalt und Terror zunichte gemacht wurden. Wovon der Parapolitik-Skandal ablenkt, ist, dass diese Systematik fortbesteht und die kolumbianische Justiz keineswegs im Begriff ist, das Problem zu lösen.

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