Zapatistas gehen auf Reisen

In Chiapas wird es vorerst nicht zu einer Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Zapatistas und Regierung kommen. Dies war das enttäuschende Ergebnis des mit großen Hoffnungen erwarteten Treffens der parlamentarischen Befriedungskommission COCOPA mit 29 Delegierten der EZLN. Wenigstens wurde wieder ein Kontakt zwischen der aus Parlamentariern der vier wichtigsten Parteien gebildeten COCOPA und der EZLN hergestellt. Die COCOPA verfügt zwar über kein Verhandlungsmandat der Regierung, kann aber zumindest die abgerissene Kommunikation zwischen den Rebellen aus dem lakandonischen Urwald und der Regierung unter Präsident Zedillo von der seit 69 Jahren regierenden PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) in Mexiko-Stadt wiederherstellen.

Die EZLN stellt Bedingungen
Damit deutet sich eine leichte Entspannung der Lage in Chiapas an, die in den letzten Monaten von zahlreichen Übergiffen von paramilitärischen Gruppen und Armee-Einheiten auf die von den zapatistischen Basisgemeinden gebildeten „autonomen Landkreise“ geprägt war. Die Delegation der EZLN stellte gleich zu Beginn des Treffens mit der COCOPA klar, daß keine Gespräche mit einer Verhandlungskommission der Regierung möglich seien bis nicht fünf Minimalbedingungen erfüllt wären: Die Umsetzung des bereits im Februar 1996 zwischen Regierung und EZLN abgeschlossenen „Abkommens über indianische Rechte und Kultur“, die Freilassung aller zapatistischen Gefangenen, die Entwaffnung und Auflösung der Paramilitärs, einen ernsthaften Regierungsvorschlag für weitere Verhandlungsrunden und die Präsentation einer Verhandlungskommission der Regierung, die mit den notwendigen Kompetenzen für den Dialog ausgestattet ist. Insbesondere in bezug auf das „Abkommen über indianische Rechte und Kultur“ zeigt sich die Regierungsseite aber unbeweglich. Dieses Abkommen hatte sie zwar im Februar 1996 unterzeichnet, weigert sich aber seitdem, einen Gesetzesvorschlag der COCOPA, der auf dem Abkommen basiert, im Parlament zu beschließen. Das Abkommen sieht weitreichende Autonomierechte für die 15 Millionen indigenen Einwohner Mexikos vor. Unter anderem sollen indianische Gemeinden nach ihrem traditionellen Rechtssystem verfahren dürfen und über die Nutzung natürlicher Ressourcen in ihren Territorien mitbestimmen dürfen.
Während das Treffen zwischen EZLN und COCOPA in einer angespannten und von gegenseitigen Vorwürfen geprägten Atmosphäre verlief, fand in San Cristóbal zeitgleich eine Versammlung von Repräsentanten sozialer Bewegungen und Oppositionsgruppen mit den Zapatistas statt, die von beiden Seiten als erfolgreich bezeichnet wurde. Die über 3.000 TeilnehmerInnen, die mehr als 400 Organisationen aus ganz Mexiko vertraten, waren auf Einladung der EZLN nach Chiapas gekommen. Damit mobilisierten die Zapatistas zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder die Kräfte der sogenannten „Zivilgesellschaft“, um eine gemeinsame Kampagne einzuleiten.
Das wichtigste Ergebnis der Versammlung mutet waghalsig an. In den kommenden Monaten sollen 5.000 Mitglieder der EZLN alle 2.500 Landkreise Mexikos besuchen. Jeweils eine Frau und ein Mann aus den Reihen der maskierten Rebellen werden in jeweils einem der Landkreise Versammlungen abhalten, die in einer Volksabstimmung über das „Abkommen über indianische Rechte und Kultur“ enden sollen. Ein genauer Termin für den Beginn der Reisen der Delegierten, die teilweise über 5.000 Kilometer zurücklegen müßten, um beispielsweise vom südöstlichsten Bundesstaat Chiapas an die Grenze zu den USA zu gelangen, wurde noch nicht genannt.

EZLN-VertreterInnen
in alle Gemeinden Mexikos?
Angesprochen auf die logistischen Schwierigkeiten des Reisevorhabens äußerte Comandante Tacho, ein Sprecher der EZLN, am Rande des Treffens in San Cristóbal: „Am schwierigsten ist es zu töten und zu sterben. Dagegen erscheint es uns nicht schwer, uns auf Zügen, Lkw, Pferden, Eseln, Mulis oder was auch immer auf die Reise zu machen.“
Die Versammlung in San Cristóbal beschloß zunächst, daß die EZLN Vorschläge für die zu stellenden Fragen formulieren soll. Außerdem soll sie die Abstimmungsmechanismen konkretisieren. Gleichzeitig verpflichteten sich die anwesenden Organisationen dafür zu sorgen, daß in jedem Landkreis Mexikos eine Informationsstelle eingerichtet wird, in der sich Interessierte über die Volksabstimmung informieren können.
Wie bereits im Herbst 1997, als 1111 Delegierte der EZLN einen Marsch in die Hauptstadt unternahmen, soll auch die neue Initiative dazu beitragen, daß der Konflikt in Chiapas auf zivile Weise gelöst werden kann. Comandante Tacho erklärte: „Der Dialog, den wir in diesen Tagen geführt haben, ist eine neue Möglichkeit, den Frieden zu suchen, ein Schritt im Kampf für die Anerkennung der indianischen Rechte und Kultur in der Verfassung und eine neue Anstrengung der Zivilgesellschaft und des Zapatismus, um dazu beizutragen, die schwere wirtschaftliche, politische und soziale Krise des Landes zu lösen.“ Ob sich die Regierung von der neuerlichen Initiative der Zapatistas beeindrucken läßt, darf bezweifelt werden. Innenminister Francisco Labastida Ochoa äußerte nach dem Ende der Versammlung in San Cristóbal, daß es sich bei den dort vertretenen Gruppen um „eine kleine Gruppe von Leuten, die nicht die Zivilgesellschaft vertreten“, gehandelt habe. Und der stellvertretende Regierungskoordinator für den Dialog, Alan Arias, meinte: „aus Sicht der Regierung ist der Kongreß für Verfassungsreformen zuständig.“

Boris Kanzleiter

Wandernd und verwurzelt zugleich

Einer wie Carlos Fuentes würde wohl im unbarmherzigen Neudeutsch als Gutmensch bespöttelt werden. Gemeint wäre jemand, der immer auf der richtigen Seite steht, der es gut meint mit der Menschheit im allgemeinen und den Ohnmächtigen im besonderen und doch in der Elite zuhause ist. In Mexiko sagt man anders dazu: „Marxist im Smoking“. Oder auch, wie der mexikanische Historiker Enrique Krauze schrieb, ein „Dandy-Guerillero“. Das ist zwar vorwurfsvoll gemeint. Aber es klingt nicht höhnisch, eher anerkennend, etwas neidisch sogar. Wie gründlich Fuentes seinen Marx studiert hat, sei dahingestellt. Und bei aller Sympathie für die Guerilleros, Knarren und Klandestinität lagen dem feinen Mann aus gutem Hause wohl immer ziemlich fern. Ein Gentleman aber ist er sicher, ein durch und durch bourgeoiser Linker, von der Sorte, wie sie wohl nur Lateinamerika oder vielleicht noch Frankreich oder Italien hervorbringen. Stets elegant und tadellos gekleidet, steht der schnauzbärtige Autor mit dem silbrigen Haupt nicht nur für literarische Imagination, sondern zugleich für einen Begriff politischen Intellekts, der so gar nichts mit blutleerer correctness gemein hat. Kein Griesgram, sondern ein linksliberaler Lebemann, der am 11. November seinen siebzigsten Geburtstag feierte.
Und zweifellos ein Mann von Welt. Was damit zu tun haben dürfte, daß Carlos Fuentes buchstäblich zwischen den Welten großgeworden ist.

Der Weltläufer

Als Sohn eines mexikanischen Diplomaten wurde er am 11. November 1928 in Panama-Stadt geboren, verbrachte Kindheit und Jugend in Chile, Argentinien, vor allem aber in den USA. Er hat in Mexiko-Stadt Jura und in Genf internationale Politik studiert, im diplomatischen Dienst gearbeitet und als Gastprofessor an diversen US-Universitäten. Als Sechs-undzwanzigjähriger veröffentlichte Fuentes den ersten Band mit Kurzgeschichten („Verhüllte Tage“), 1958 erschien der erste große Roman „Landschaft im klaren Licht“. Bis heute hat der zwischen Mexiko, den USA und Europa pendelnde Autor knapp 50
Bücher – Romane, Erzählungen, Essays, Drehbücher, Theaterstücke und Anthologien – publiziert.
Manchen seiner Kritiker ist gerade die Fuentessche Weltläufigkeit ein Dorn im Auge. Der wandernde Literat habe sich aus der Ferne ein „imaginäres Mexiko“ geschaffen und arbeite sich seitdem, vor allem im gespaltenen Verhältnis zu seinem langjährigen Gastland USA, an einem „latenten Identitätskonflikt“ ab, heißt es bei Krauze. Andere halten gerade den kosmopolitischen Blick von außen auf die kulturellen Eingeweide seiner Heimat für den großen Vorteil des Schriftstellers, der zusammen mit dem im Frühjahr verstorbenen Octavio Paz, Gabriel García Márquez und Mario Vargas Llosa einer der raren Lateinamerikaner ist, denen die Gunst der weltweiten Aufmerksamkeit zuteil wird. In nahezu allen Sprachen wurde Carlos Fuentes übersetzt und rezensiert, prämiert und interviewt. Dabei ist es nicht so sehr die Reporterpassion des quirligen Kolumbianers García Márquez oder die zeitlose Poetik eines Octavio Paz, die Fuentes treibt, sondern die Leidenschaft des Erzählers. Immer mit der Lust am „Wasserfall der Worte“ und mit weit ausholender Geste, meist vor dem Hintergrund der ganz großen Fragen – die Stadt und die Nation, der Eros und die Revolution, Apokalypse und Genesis, die Haßliebe zwischen der Alten und der Neuen Welt, zwischen Nord- und Südamerika. Und immer wieder, ein Lieblingsthema lateinamerikanischer Intellektueller, Geschichte und Identität.

Wie gut kennt Fuentes Mexiko?

Im außerliterarischen Raum gilt der Autor nicht als radikaler Denker. Im Unterschied zu Paz, so der Kulturjournalist Braulio Peralta, produziere Fuentes „eher Meinungen als Ideen“, er schreibe eher konjunkturabhängig denn zeitlos originär. In seinen statements zum Zeitgeschehen aber ist er unmißverständlich: sein Lob des Zapatistenaufstandes im Südosten Mexikos als „erster postkommunistischen Revolution“, die, bei aller Kritik der Waffen, „Mexiko endlich aus seiner erstweltlerischen Selbstgefälligkeit erweckt“ habe, wurde schnell zum geflügelten Wort. Berühmtgeworden ist auch sein denkwürdiger Briefwechsel mit dem Guerilla Literaten Subcomandante Marcos. Dieser hatte im Sommer 1994 den „Mann des Wortes, als Diplomaten, Wissenschaftler und vor allem als Mexikaner“ zu einer von der Guerilla einberufenen Konvention in die Selva geladen. „Lieber Freund“, schrieb Fuentes sichtlich geschmeichelt zurück, „ich stehe in Eurer Schuld“. Der Aufstand habe daran erinnert, daß die indigenen Kulturen „unsere Vorstellungen von der Moderne vervollständigen müssen“. Jetzt gehe es darum, „Señor Subcomandante“, die Kräfte zu bündeln für den gemeinsamen Weg zur Demokratie. War in den sechziger und siebziger Jahren noch la revolución oder auch ein socialismo à la mexicana die oft beschworene Zauberformel gewesen, so ist heute la democracia für linksliberale Intellektuelle wie Fuentes das neue gelobte Land. Deren Sympathie für die „bewaffneten Demokraten“ (Alain Touraine) aus dem Südosten ist in dem rechtsliberalen Lager um das von Paz gegründete Kulturmagazin Vuelta auf scharfe Kritik gestoßen. „Daß Marcos das Herz der gebildeten Klasse Mexikos erobert habe“, schreibt der junge Vuelta-Redakteur Aurelio Asiain, „ist ziemlich lächerlich“.
Doch Carlos Fuentes bleibt stur. In seinem jüngsten Text zum Thema nimmt er die Manie des Innenministeriums auf Korn, den legendären Subcomandante zum Zwecke der Entmystifizierung hartnäckig bei dessen – angeblich – bürgerlichem Namen Rafael Guillén zu nennen. Genausogut, so Fuentes, könne man dann künftig auch andere bekannte Persönlichkeiten wie Pancho Villa, Greta Garbo oder Pablo Neruda nur noch bei ihren Taufnamen nennen. „Marcos nur noch Guillén zu nennen, ist eine Art zu sagen: Sie gibt es ja gar nicht. Sie benutzen ja eine Maske. Lernen Sie lieber von uns PRI-Politikern, wir benutzen unsere Gesichter als Masken und führen die ganze Welt hinters Licht.“

Seitenwechsel

So kritisch ist der gelernte Diplomat allerdings nicht immer mit der Staatspartei, der Institutionell-Revolutionären PRI, ins Gericht gegangen. In den siebziger Jahren hatte er den damaligen Präsidenten Luis Echeverría offen unterstützt und sich von diesem sogar als Botschafter nach Paris schicken lassen. Erst mit dem marktliberalen Kurswechsel Anfang der Achtziger ging er auf Abstand zum autoritären PRI-Apparat. War ihm früher noch der big brother aus dem Norden der verhaßte Dinosaurier, so verfaßt er heute feurige Schriften zur Verteidigung des US-Präsidenten gegen Heuchelei und Puritanismus. Als „verwundeter Dinosaurier“ und Hindernis für die Demokratisierung bezeichnet Fuentes jetzt dagegen die – durch Wahlerfolge der Opposition arg angeschlagene – Regierungspartei.
Geblieben ist sein unbeirrbarer Glauben an die Möglichkeit eines „demokratischen Sozialismus“. Und es ist diese fast altmodisch anmutende Sturheit, darin europäischen Intellektuellen wie Grass und Debray nicht unähnlich, die den tiefen Graben zwischen dem Sozialdemokraten Fuentes und dem vehementen Antikommunisten Paz markiert. Hatte letzterer eindringlich vor Revolutionsromantik und „kommunistischem Totalitarismus“ gewarnt, so machte Fuentes lange Zeit aus seiner Begeisterung für die Revolutionen in Kuba und Nicaragua kein Hehl. Erst Ende der achtziger Jahre begann der erklärte Revolutionsromantiker, beim Genossen Castro „ein bißchen mehr Glasnost und Perestroika“ einzuklagen.
Doch auch vom in der Linken verbreiteten Katastrophismus hält Fuentes nicht allzu viel. Schon bei der Diskussion um das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA hatte er gegen die Panik vor dem drohenden Kulturimperialismus der USA und für – kulturell – offene Grenzen gestritten. Und in einem kürzlich geführten Gespräch mit dem Literaturnobelpreisträger José Saramago begegnet der Mexikaner dem unerschütterlichen Pessimismus des Portugiesen mit moderater Zuversicht. Die Globalisierung solle man, so Fuentes „akzeptieren und kontrollieren“. Gegen die beliebte These von der neoliberalen Krake, die sich mit Hilfe der gleichgeschalteten Massenmedien die Welt aneigne, setzt Fuentes sein schier unerschütterliches Vertrauen auf politischen Willen und Gestaltbarkeit – und nicht zuletzt auf die „Waffen der Kultur“.

Die entführte Sprache

Denn hinter dem Glauben an das machbare Gute, im Menschen und in der Welt, steht vor allem die Überzeugung von der Heilkraft des Literarischen. Beim Literaturfestival „Eine neue Geographie des Romans“, zu der er im März diesen Jahres prominente Vertreter der Weltliteratur geladen hatte, beschwor Fuentes seine Utopie: die Literatur als Retterin der Moderne, gegen „die falsche Glückseligkeit der Indifferenz und des Vergessens“. Die Kunst des Erzählens, mit seiner Pluralität der Zeichen und Sinngebungen, als Widerstand gegen die nahtlose Assimiliation in die ökonomische Welt und auch gegen „die
Entführung der Sprache“ durch die politische Klasse. Ein Plädoyer für Grenzüberschreitung in jeder Hinsicht: zwischen Imagination, Wirklichkeit und Realismus, zwischen den willkürlichen Grenzen der sogenannten Nationalidentitäten, für eine „Literatur der Differenz“, wandernd und verwurzelt zugleich. „Eine Gesellschaft ist krank, wenn sie glaubt, daß die Geschichte vollendet und alle Worte gesagt sind.“ Stattdessen biete die Dichtung den Menschen, als „unfertige Wesen“, die Tugenden des Aufbegehrens, des Zweifels und der Skepsis.
So ist Fuentes Intellektueller, Romancier und Meinungsmacher in einer Person, aber an verschiedenen Orten. In seiner Heimat entstehen vor allem Zeitungskolumnen, Vorträge, Essays – Einmischungen zur Gegenwart. Nach London, wo „die Leute kalt, das Essen schlecht und das Wetter fürchterlich“ sei, zieht sich der Mexikaner sechs Monate im Jahr zum eigentlichen Schreiben zurück. Auch als eine Art Flucht vor dem sozialen Wirbel um die Prominenz, in die Zweisamkeit mit seiner Ehefrau, der Journalistin Sylvia Lemus. „Alleine in London zu leben hat uns einander näher gebracht“, sagte er einmal in einem Interview. Und mit der Frau zu leben, die man liebe, sei schließlich „auch etwas sehr, sehr Wichtiges“. Auch literarisch beschäftigt sich der smarte Siebzigjährige zunehmend mit den Frauen. Sein neuer Roman „Los años con Laura Diaz“, der im Frühjahr erscheinen wird, basiert auf Gesprächen mit den eigenen Großmüttern, „den besten Geschichtenerzählerinnen der Welt“. Es ist die Saga der eigenen Familie, Einwanderer aus Deutschland und Spanien, die sich über hundert Jahre von den 1860ern bis zur Studentenbewegung 1968 erstreckt. Im Mittelpunkt steht Laura Diaz, ein weibliches Gegenstück zu Fuentes’ erster großen Romanfigur Artemio Cruz, dem Macho und Magnaten der Revolution, eine Art mexikanischer Citizen Kane. Diesmal aber geht es ihm um einen intimeren, weil weiblichen Blick auf die Geschichte seines Landes. Und wenn er mit dem Ergebnis zufrieden sei, vertraute Fuentes kürzlich gutgelaunt einem englischen Reporter an, dann werde er zu Lebzeiten nichts weiter veröffentlichen. Womit sicher nicht das letzte Wort gesprochen ist. Wie hatte der Meister bei seiner Rede im Frühjahr gesagt: „Noch sind wir nicht. Wir sind dabei, zu sein.“ Und auch Mexiko ist ein unfertiges Wesen.

Die Linke in Lateinamerika

Albert Sterr gebührt das Verdienst, als Herausgeber und Mitautor den Versuch unternommen zu haben, einen Überblick über die Vielfalt linker Kräfte in dem trotz aller Gemeinsamkeiten höchst differenzierten Lateinamerika zu geben. Das Buch kann dem Anspruch nur begrenzt gerecht werden, die Linke von innen und außen, aus theoretischer Perspektive und mit praxisbezogenen Stellungnahmen zu analysieren. Dazu zwingen Umfang, Preis, Lesbarkeit und der bisweilen von Zufällen abhängende Zugang zu Artikeln.
Die Gliederung in eine einführende Übersicht, neun Länderbeiträge und fünf themenorientierte Artikel gestattet eine Art multifunktionaler Nutzung sowohl für SpezialistInnen wie für allgemein interessierte LeserInnen. Bedauerlich ist allerdings, daß mögliche Querverbindungen zwischen den beiden großen Teilen des Buches, ein Bezug der themenorientierten Beiträge auf die spezifischeren Länderbeschreibungen ausbleibt.

Die schlechteren Rechten

In seinem einführenden Beitrag beschreibt Albert Sterr die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Rahmenbedingungen für die linken Strömungen seit den achtziger Jahren und die subjektive Verfaßtheit der Linken, wobei hier zunächst die dem linken Parteienspektrum zuzuordnenden Kräfte betrachtet werden. Wichtig erscheint der Verweis auf außerparlamentarische, zum Beispiel Bauernbewegungen oder die ZapatistInnen am Ende des Kapitels. Wer sind die auf Demokratisierung und alternative Entwicklungsstrategien gerichteten Kräfte? Wer wirkt jenseits der traditionellen Arten der Machtergreifung, sei es durch Wahlen oder durch bewaffneten Kampf? Die Offenheit, beide großen Strömungen zu betrachten, ist einer der Vorzüge der Konzeption des gesamten Bandes. Edgar Gutiérrez benennt die Herausforderung für die Linke treffend: „Sie muß eine andere Zukunft entwerfen. Dies heißt, die Linke neu zu begründen und ihr Modell der Macht noch einmal zu diskutieren. Schließlich hat Macht nicht nur eine Dimension, und es gibt viele Hinweise dafür, daß die Linken, wenn sie die Macht im Staate innehaben, die schlechteren Rechten sind.“
Die nachfolgenden Länderartikel stellen die Entwicklung und die gegenwärtige Verfaßtheit der Linken exemplarisch dar. Die Aussagekraft der einzelnen Beiträge ist dabei quantitativ und vor allem qualitativ recht unterschiedlich. Neben umfassenden, wenngleich nicht sonderlich neuen Überblicksdarstellungen wie zu Mexiko oder Venezuela stehen Beiträge, in denen prozeßorientiert die Wechselwirkung zwischen den jeweils sehr unterschiedlichen nationalen Entwicklungen und den existierenden linken Kräften reflektiert wird. Zu nennen sind hier besonders die Artikel zu Guatemala, Kolumbien und Peru, die auch die subjektiven Faktoren einschließen, die gemeinhin eher vernachlässigt werden.
Edgar Gutiérrez analysiert den Werdegang der guatemaltekischen Linken, also vor allem der Guerillabewegung, unter den Bedingungen von jahrzehntelangem Terror und brutaler Repression und stellt fest: „Konspiration als Prinzip des politischen Handelns, geheime Bräuche, Verzicht auf private und berufliche Normalität, die Einhaltung einer quasi-militärischen Arbeitsdisziplin, von der die physische Unversehrtheit und die Sicherheit der Organisation abhingen, die unvermeidliche Anpassung an die Kunst der Kriegsführung, das Loslösen von materiellen Gütern und die Führung eines Doppellebens waren die Folgen. Heldentum und Aufopferung, aber auch Verrat und Untreue. Grausame Intrigen, persönliche Streitigkeiten und Machtkämpfe unter feindlicher Belagerung… Die Linke durchquerte diese Etappe wie jemand, der in einer lange andauernden Grenzsituation lebt.“ Für die Führer (und viele namenlose Mitglieder) der guatemaltekischen Linken dauerte diese Grenzsituation zum Teil mehr als 40 Jahre – ein Menschenleben lang. Auch in anderen Ländern wie El Salvador und Kolumbien, unter modifizierten Bedingungen auch in Argentinien und Uruguay, sind diese Faktoren zumindest für Teile der Linken kennzeichnend.

Zwischen eigener Entscheidung und Notwendigkeit

Wie kann diese Linke, wie können Menschen mit dieser persönlichen Geschichte, mit einer Tradition, die notwendigerweise antidemokratisch und intolerant ist, nunmehr Toleranz und Demokratie voranbringen, eine „Zivilgesellschaft“ mitgestalten? Wie kann unter solchen Voraussetzungen ein Neuanfang aussehen, nach einem letztlich verlorenen Kampf, der das eigene Leben prägte? Welche Chancen bestehen für die nachfolgenden Generationen der Guerilla, für diejenigen, die oftmals weniger aus politischer Überzeugung denn als einzigem Ausweg aus einer unabwendbaren Gewaltsituation und traumatischen persönlichen Erlebnissen zu den Waffen griffen und „Normalität“ nie kennengelernt haben? Die Beiträge von Gutiérrez und Rütsche können keine endgültige Antwort auf diese Fragen geben, aber die Einbeziehung dieser sozialpsychologischen Faktoren erscheint für das Verständnis der Linken in den genannten Ländern unabdingbar.
Eher enttäuschend hingegen sind die fragmentarischen Darstellungen zu El Salvador, Haiti oder Nicaragua, in denen erklärende Hintergründe zu der teilweise übergroßen Vielzahl von Namen und Fakten nur ansatzweise beschrieben werden. Am Beispiel von Haiti wird dies besonders deutlich. Einen deutlich tiefergehenden Einblick ermöglicht der Beitrag von Löwy zum „Befreienden Christentum“ und dessen Abschnitt zu Aristide.
Sowohl für Nicaragua als auch für El Salvador gilt, daß der Blickwinkel einseitig auf das jeweilige parteipolitische Spektrum gerichtet ist; hier wäre die Einbeziehung anderer sozialer Kräfte wünschenswert gewesen. Eine Aussage wie „Innerhalb der FSLN gab es schon immer eine ausgeprägte Faulheit, sich mit theoretischen Problemen zu befassen“, ist nicht nur von erstaunlicher Arroganz, sondern auch als Erklärung wenig hilfreich.
Der letzte der Länderbeiträge, der Brasilien gewidmet ist, richtet seinen Fokus auf die ganz speziellen Erfahrungen in der kommunalen Arbeit einer Partei, der PT in Porto Alegre. Der Ansatz unterscheidet sich mit diesem Praxisbezug deutlich von den anderen Beiträgen und illustriert die auf lokaler Ebene bestehenden Veränderungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen linker Kräfte jenseits einer neuen Vision der Systemveränderung. Die kurze Beschreibung macht neugierig auf eine umfangreichere und vielleicht auch kritischere Analyse dieser Erfahrungen.

… lokal handeln

Auf die Länderbeiträge folgen thematisch orientierte Artikel, die einen umfassenden Überblick über wichtige Wurzeln, Bezugspunkte und gegenwärtige Wirkungsmöglichkeiten und -formen der lateinamerikanischen Linken geben, angefangen mit Ernesto Che Guevara über die Entwicklung der Guerillabewegungen in verschiedenen Ländern des Kontinents, den Einfluß der Theologie der Befreiung, bis hin zu den sozialen Bewegungen und der Zusammenarbeit der linken Parteien. Einen auch quantitativ zentralen Platz nimmt Sterrs Analyse des Guerillakampfes und der Befreiungsbewegungen ein.
Es ist möglicherweise der für die breite Themenstellung notwendigen Verknappung und Verallgemeinerung geschuldet, daß einige wichtige Fragen offen beziehungsweise einige Thesen zweifelhaft bleiben. So ist die Militärdiktatur in Chile nicht ohne die Regierungszeit der Unidad Popular denkbar, auf die jeder Hinweis fehlt.

Offene Fragen

Dies deutet auf ein Manko des gesamten Buches hin: Es fehlt eine genaue Betrachtung der Entwicklung im Cono Sur. So wird ein wichtiger Teil der lateinamerikanischen Linken ausgeklammert, der für eine Gesamtdarstellung eigentlich unverzichtbar ist.
Auch im zweiten Abschnitt des Artikels, in dem es um die Integration geschlagener Guerillagruppen in die legale Opposition geht, wird zu stark verallgemeinert – zeigen doch spätere Ausführungen, daß sich diese Integration durchaus in verschiedenen Zeiträumen und sehr unterschiedlichen Ausprägungen vollzog.
Ein merkwürdiger Widerspruch wird in den beiden letzten Abschnitten deutlich, die im wesentlichen am Beispiel Mexikos einen Ausblick auf die Gegenwart und die mögliche Zukunft der Guerillabewegung geben. Neben der Analyse der neuen Ansätze und Konzeptionen besonders der EZLN erfolgt abschließend die Kritik, „daß die Zapatisten zu gesellschaftlichen Schlüsselfragen keinen eigenen klaren Standpunkt haben“. Zunächst erscheint dies durchaus zutreffend, nur: Welche linke Kraft kann für sich in Anspruch nehmen, eine realistische Antwort auf diese Fragen zu haben, die über die zugegebenerweise bestenfalls mittelfristig konkretisierten Vorstellungen der ZapatistInnen hinausgehen? Wie die den Linken gemeinsame Vision einer gerechten Gesellschaft konkret umgesetzt und ausgestaltet werden könnte, welche Strategien und Konzepte notwendig sind, bleibt nicht nur bei der EZLN offen: mir ist zumindest kein klares Konzept anderer Kräfte bekannt, das diesem Anspruch gerecht würde. Handelt es sich also um eine der (deutschen?) Linken durchaus nicht unbekannte Projektion, wenn die EZLN an Maßstäben gemessen wird, denen sie selbst nicht gerecht wird? In diesem Zusammenhang wäre eine genauere Untersuchung interessant, warum „Sympathiebezeugungen politischer Parteien und der Solidarität“ für die EZLN als unverbindlich und offensichtlich wenig hilfreich („bündnispolitische Schwäche“) bewertet werden.
Michael Löwy gibt einen knappen, aber aussagekräftigen Überblick über die Entwicklung des „Befreienden Christentums“, vertrauter unter dem Stichwort „Theologie der Befreiung“. Hervorzuheben sind die an den Beispielen von Haiti und Mexiko beschriebenen Wirkungen und Einflüsse dieser Strömung der lateinamerikanischen Linken in den gegenwärtigen Prozessen.
Trotz aller kritischen Anmerkungen sind die von Sterr herausgegebenen Analysen und Berichte nicht nur lesenswert, sondern aufgrund ihrer erstaunlichen Vielfalt nahezu als obligatorisches Standardwerk für Lateinamerikainteressierte zu betrachten. Viele der notwendigerweise offengebliebenen Fragen verdienten eine ausführlichere Analyse, zu der der Band vielleicht Anregungen gibt. Ein Wermutstropfen sei allerdings noch benannt, der auch durch die verschiedenen objektiven Umstände nicht zu erklären ist: Die Rolle der Frauen in den linken Bewegungen und die Frauenbewegungen selbst werden im gesamten Buch bestenfalls marginal erwähnt. Ist es wirklich nur ein Zufall, daß unter den insgesamt 14 AutorInnen nur zwei Frauen vertreten sind?

Albert Sterr (Hg.): Die Linke in Lateinamerika. Analysen und Berichte. 318 S., Neuer ISP-Verlag, Köln und Rotpunktverlag, Zürich 1997.

Marketing der Menschenrechte

Aus den Morgennebeln, die über dem Latifundium wallen, stürmen Frauen, Kinder und Männer, mit Gabeln, Hämmern, Sensen und Sicheln bewaffnet, im juristischen Dreischritt (respect, protect, provide) auf das im Volksmund Winterpalais genannte Herrenhaus derer zu Pozzomaggiore los. Das Publikum weiß Bescheid: die Rainbow Warrior ist gelandet, german watchdogs sind, den Finger im Südwind, durch Unterholz und weed heran gepirscht und FIAN stürmt.
In Wirklichkeit waren und sind es natürlich Landlose und Landarme, LandarbeiterInnen, BäuerInnen, die das Land der Fürsten und Bischöfe, der Großgrundbesitzer besetzten und besetzen, aber seit 1986 steht ihnen FIAN (Food First International Informations- und Aktions-Netzwerk) zur Seite, eine Menschenrechtsorganisation mit lokalen Gruppen, die sich das „Recht, sich zu ernähren,“ auf die Fahnen geschrieben hat. Mit dem Recht auf Wohnung bildet das Recht, sich zu ernähren, eine von 16 Menschenrechtsgruppen, die zu gleichen Teilen in den internationalen Pakten über die zivilen (bürgerlichen) und politischen beziehungsweise über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) kodifiziert sind.

Verbindlicher Sozialstaat

Beide Pakte wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) 1966 verabschiedet und traten 10 Jahre später in Kraft. Von Klassikerinnen wie der Versammlungsfreiheit bis zum Recht auf soziale Sicherheit wird damit alles abgedeckt, wobei die WSK-Rechte nicht nur auf alle Aspekte der sozialen Frage eingehen, sondern den Staat auch als Sozialstaat begreifen und ihn für drei Dimensionen der sozialen Menschenrechte verantwortlich machen. Er muß sie respektieren (respect), muß sie gegen mögliche Verletzungen durch Dritte schützen (protect) und muß gewährleisten (provide), daß sie fortschreitend für die ganze Bevölkerung verwirklicht werden. Das ist der juristische Dreischritt, den FIAN in bezug auf seine Spezialität, „das Recht, sich zu ernähren“, jeder und jedem schriftlich und mündlich gerne erläutert.
Die WSK-Rechte sind nicht ganz so jung wie FIAN, aber sie werden oft auch als „zweite Generation“ von Menschenrechten bezeichnet, während die zivilen und politischen Menschenrechte die erste sind. Das bedarf einiger kurzer und daher vereinfachender Erläuterungen. Ethische Normen und gesellschaftliche Regeln gab es schon lange vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Menschenrechte entstanden erst in der Auseinandersetzung des aufstrebenden und dann revolutionären Bürgertums mit dem absolutistischen Staat, wobei es seine Rechte zu allgemeinen Menschenrechten erklärte. Dabei handelte es sich um die Rechte der Individuen gegenüber dem Staat. Rechte von Gruppen kamen ins Spiel, als im Gefolge der Weltkriege das humanitäre Völkerrecht geschaffen wurde. Sie nahmen in Form der Genfer Konventionen Gestalt an, welche die Rechte der Zivilbevölkerung, von Kriegsflüchtlingen und Kriegsgefangenen gegenüber kriegsführenden Parteien schützen. Neben innerstaatlichen wurden nun also auch zwischenstaatliche Verhältnisse geregelt.

Recht auf Entwicklung

Auch die WSK-Rechte (und die dritte Generation von Menschenrechten, das „Recht auf Entwicklung“) haben einen konkreten Hintergrund. Ihre Diskussion und Kodifizierung fallen in die Zeit der Entkolonialisierung, als die neuen Länder mit dem Ruf nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, mit dem Höhenflug der heute fast vergessenen UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), mit dem Aufbruch in die erste Entwicklungsdekade in den siebziger Jahren ihren Anteil am Weltreichtum und am Nachkriegsaufschwung einforderten. In jener Zeit konnte die Welternährungskonferenz von 1974 noch vollmundig formulieren: „In zehn Jahren wird kein Mann, keine Frau und kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen.“
Um diese Zeit herum gingen aber der Nachkriegsboom und die importsubstituierende Industrialisierung (ISI) zu Ende. Beide hatten für die weltweite soziale Frage schlicht dieselbe Antwort angeboten wie für die nationale: kapitalistische Modernisierung. Die neoklassischen Wirtschaftsliberalen kamen aus den Büschen und begannen ihren Feldzug im Innern der Industriemetropolen gegen den Keynesianismus und weltweit gegen den Kommunismus und die nationalen Befreiungsbewegungen.

Instrument Menschenrechte

Die Menschenrechte, die bereits im Kalten Krieg instrumentalisiert wurden, indem die einen die zivilen und bürgerlichen Rechte in den staatssozialistischen Ländern einklagten und die anderen die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in den kapitalistischen Ländern, wurden vollends in den Dienst des Kampfes gegen den „Totalitarismus“ gestellt. Aus einer Waffe freier Bürgerinnen und Bürger gegen staatliche Willkür und einer Fahne der neuen Länder gegen die alten Kolonialherren wurde ein Instrument im Dienste der herrschenden Weltwirtschaftsordnung – abwechselnd neue Weltordnung, Neoliberalismus, Globalisierung genannt.
Der kurze Abriß zeigt, daß die Menschenrechte ein politisches Institut sind. Deshalb gelten sie immer nach Maßgabe der jeweiligen Kräfteverhältnisse – zum Beispiel für Kuba ganz heftig und für China ein bißchen. Eben weil sie als politisches Instrument funktionalisiert werden, muß, wer sie im Schilde führt, behaupten, sie seien unteilbar. Was dabei herauskommt, darüber entscheiden – siehe oben – die politischen Kräfteverhältnisse. In diesem Sinne könnte man zum Beispiel wetten, daß es eher unabhängige Gewerkschaften auf Kuba als eine radikale Agrarreform in Brasilien geben wird.
Man kann FIAN genauso wenig wie seinen „Müttern“ „amnesty international“ und der „Food First!“-Bewegung die existierenden Machtverhältnisse vorhalten, wohl aber die Frage stellen, welchen Sinn es unter solchen Bedingungen hat, das „Die Menschenrechte sind unteilbar“ nachzubeten, statt zu unterscheiden zwischen einem gerechten Anspruch auf gleiches Recht für alle und dem als Tatsachenfeststellung daher kommenden politischen Totschlag- und Disziplinierungsinstrument. Oder ist etwa dasselbe gemeint, wenn Bill Clinton und FIAN-AktivistInnen von unteilbaren Menschenrechten sprechen?
In einer jüngeren Selbstdarstellung hat die FIAN-Vertreterin Sabine Jecht angedeutet, aus welchen Quellen sich der Kampf von FIAN in den Papierkörben des WSK-Ausschusses des VN-Wirtschafts- und Sozialrates im Palais des Nations zu Genf speist (nachzulesen in iz3w, Nr.232). Aus der Diskussion über die US- und EG-Nahrungsmittelhilfe und ihre schädlichen Folgen für die bäuerlichen Landwirtschaften in der Dritten Welt (deshalb das etwas mühselige „Recht, sich zu ernähren“, und nicht einfach Recht auf Nahrung) ist FIAN entstanden, gegründet vor allem von dissidenten ai-Gruppen, welchen die Selbstbeschränkung der Mutterorganisation auf die zivilen und politischen Rechte zu wenig geworden war.

Weizen als Waffe

Hintergrund für diese Entwicklung waren erstens die Agrarüberschüsse in den Industriemetropolen, die sich aufzutürmen begannen, nachdem die Binnennachfrage durch den Nachkriegswiederaufbau gedeckt war und die technischen Fortschritte in der Agrotechnik und -chemie durchschlugen. Zweitens die nicht ganz neue Tradition von „Weizen als Waffe“: die italienische Christdemokratie gewann die ersten Nachkriegswahlen nach dem Einlaufen von US-Weizen-Frachtern in den Mittelmeerhäfen – eine, verglichen mit den Methoden sudanesischer Kriegsherren, milde Form der Kriegsführung. Drittens gehörten Agrarreformen verschiedenster Couleur – von solchen klassischen, mit denen aus Feudalherren Agrarkapitalisten gemacht werden sollten, wie jener der „weißen Revolution“ des Schahs von Persien, bis zu solchen modernen, die Landlosen Land geben wollen, wie der sandinistischen in Nicaragua – zu den Inhalten des Nationbuilding und der nationalen Befreiung in den Jahrzehnten der Entkolonialisierung. Viertens war in den USA die „Food First!“-Bewegung entstanden, deren erster Grundsatz lautete: „Die Selbstversorgung mit Lebensmitteln erfordert die Zuteilung der Kontrolle über Agrarressourcen an örtliche, selbstversorgte Einheiten, die demokratisch organisiert sind.“ (Collins/Lappé, Vom Mythos des Hungers, 1980)

Polemik gegen amnesty

Aus der ai-Tradition ist die Polemik gegen die vormalige Mutterorganisation geblieben, die abwechselnd als mittelständisch oder intellektuell kritisiert wird. Das mag stimmen, aber das macht die FIAN-AktivistInnen nicht weniger mittelständisch und intellektuell, es sei denn sie wollten sich in alter KBW-Manier (Kommunistischer Bund Westdeutschland) zu „Arbeitern und Bauern“ stilisieren, weil diese die Objekte ihrer Zuwendung sind).
Aus der „Food First!“-Tradition ist die Liebe zur Agrarreform geblieben. Jecht übersetzt sie etwas gequält in das neue Schema der professionellen NRO, die – Gott bewahre! – „jede politisch-programmatische Einbindung“ ablehnt. Das liest sich dann so: „FIAN legt … vor allem Wert auf die Umsetzung der alten Forderung nach einer Agrarreform und damit einer Umverteilung des Landes von den riesigen Farmen an die landlose Bevölkerung (bemerkenswert die Übersetzung von facendas und haciendas in das angelsächsische farms, deren Land zur Zeit niemand umverteilt haben will, statt in das vermutlich zu ideologische Großgrundbesitz). Damit wird eine politisch formulierte Forderung (Land und Freiheit! – so das Motto der mexikanischen Revolution von 1918) von sozialrevolutionären Vorstellungen in eine nüchterne menschenrechtliche Argumentation verwandelt.“

Motto mit Logo

Die Frage der Effektivität ist im ersten Fall geklärt, im zweiten noch offen, aber wir lernen schon mal: Erstens: SozialrevolutionärInnen haben Vorstellungen, nüchterne MenschenrechtlerInnen Argumente; zweitens: schrei nicht nach Land und Freiheit, sondern mach ein policy paper, eine feasability study; drittens: ein Motto ist immer gut, aber die alten ZapatistInnen hatten kein Logo – FIAN hat eines. Kollektive Ideale wiederum, welche die Agrarreform-Bewegungen hatten, trägt FIAN „argumentativ … nicht mit“, tritt in der Praxis aber für die Stärkung bäuerlicher Gemeinschaften und die Anerkennung von Gruppenrechten ein. So wird in der abgespeckten Form bei Jecht die „Umwandlung von Privatbesitz in genossenschaftlich geführte Betriebe“ gefordert – durchaus kompatibel mit dem Grundgesetz. Allerdings geböte der „Trend, in juristischen Kategorien zu argumentieren“, die genossenschaftlichen den privaten Eigentumsformen zuzuordnen, wie die entsprechenden JuristInnen das tun. Und das – hier wieder die Abgrenzung von ai und vielleicht von der eigenen Vergangenheit, in der man „kollektive Ideale“ nicht nur im stillen Kämmerlein bejahte, sondern auch „argumentativ“ mit- oder gar vortrug – „geht … über die bürgerliche Vorstellung vom individuellen Rechtssubjekt hinaus“. Anstelle der zivilen und politischen Rechte, die von FIAN wegen ihrer Fixierung auf das individuelle Rechtssubjekt als beschränkt kritisiert werden, benutzt FIAN den Begriff bürgerliche und politische Rechte. An solchen Stellen wird die Konfusion amüsant: FIAN, ganz und gar einen zivilgesellschaftlichen Diskurs pflegend, setzt sich an die Spitze der Menschenrechtsbewegung, indem es die Rechte der Citoyens und Citoyennes (BürgerInnen) als bourgeoise (bürgerliche) Vorstellungen bezeichnet, über die es hinaus zu gehen gilt – man darf vermuten in Richtung Volk. En passant werden die Bourgeois und die Sozialrevolutionäre in denselben Topf geschmissen, jenen, in dem man Vorstellungen (vulgo Ideologien – Gott bewahre!) hat.

Respektable Verwirrung

Wie kommt es zu solchen Konfusionen, wo doch die Ursprünge recht respektabel waren: konsequenter, wenngleich mittelständischer Einsatz für die zivilen und politischen Rechte; „Food First!“ (certainly); Kritik der Nahrungsmittelhilfe (in Zeiten, da die Liberalisierung die bäuerlichen Landwirtschaften auch ohne Nahrungsmittelhilfe ruiniert, nicht mehr so brandheiß, aber immer noch „Weizen als Waffe“); inzwischen eher heimliche, nämlich im iz3w, nicht aber in der Lobby offenbarte Liebe zu sozialrevolutionären Vorstellungen und kollektiven Idealen? Fast möchte man meinen wegen der Marketing-Strategien, die zu einer Geburt der achtziger Jahre, zur NGOisierung, zum Paradigmenwechsel gehören, wie die Empörung über die Nahrungsmittelhilfe in den siebziger Jahren. Marketing verlangt, eine Ware positiv von anderen Waren abzuheben, sie zu qualifizieren und sie offensiv auf den Markt zu werfen.
Die Ware sind die politisch heißen Menschenrechte. Die WSK-Rechte, um deren eines sich FIAN intensiv kümmert, gehen unlogischerweise trotz der vielbeschworenen Unteilbarkeit der Gesamt-Menschenrechte über die zivilen und politischen Rechte hinaus. Die Ware wird qualifiziert, indem man „Süd-Partner“ auf die eine oder andere Weise dazu bringt, nicht nur ihr natürliches Recht auf Leben, ihr in den meisten nationalen Verfassungen verbrieftes Recht auf Land (über die dort übliche Konstruktion der sozialen Bindung des Privateigentums) und ihr Klasseninteresse realisieren zu wollen, sondern darüber hinaus ihre WSK-Rechte. Diese sollen über ein weitverzweigtes System von Vertretern und selbsternannten Vertretern alle Jahre wieder an geeigneter Stelle angemahnt werden. Lassen diese sich darauf ein, wird die Ware erst wirklich: die WSK-Rechte sind keine bloße Marktnische mehr, sie sind etwas, was die „Verdammten dieser Erde“ wirklich wollen – und sich nicht mehr altmodisch direkt im Winterpalais holen, sondern im bereits zitierten Palais des Nations auf moderne Art, wenn auch hundertfach mediatisiert vortragen lassen. Zum Marketing der relativ neuen Ware WSK-Rechte gehört also zum einen ihre ständige Qualifizierung, zu dessen Zweck man unermüdlich bei allen hausieren gehen muß, die mit mehr oder weniger naiven, womöglich sozialrevolutionären „Vorstellungen“ um Land kämpfen, für die neue Möglichkeit, das „Recht, sich zu ernähren“ durchzusetzen, und zum anderen die Produktdiversifizierung. Diesbezüglich haben die acht von 16 Menschenrechtsgruppen, die sich FIAN gegenüber ai ohne konkrete Absprache ausbedungen hat, ein großes Potential. Deshalb hat sich FIAN via Blumenkampagne in die Domäne der Gewerkschaften begeben, weil im Bereich der voll-flexibilisierten Arbeit die Gewerkschaften kaum Fuß fassen können und mit ihren traditionellen Fixierungen auf fest angestellte ArbeiterInnen oft auch gar nicht wollen. Deshalb hat sich FIAN zur Novellierung des AsylbewerberInnenleistungsgesetzes zu Wort gemeldet. Einerseits erweisen sich die Trennung von ai, die inzwischen in einer Krise stecken, und die Spezialisierung auf die WSK-Rechte als glücklicher Griff. Andererseits müssen Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO) im Waren produzierenden System auf Gedeih und Verderb innovative Produkte auf den Markt bringen und so oder so in der Medienöffentlichkeit präsent sein.
Nach der herben Schelte abschließend ein Wort zur Güte: für erfolgreiche Landbesetzungen brauchen Landlose sehr viele Dinge. Ob sie dafür unbedingt auch eine Stimme in der Hauptstadt ihrer Nation und in Genf brauchen, das sollen sie selber entscheiden. Eine Stimme, die außer Argumenten auch noch die Erinnerung an Vorstellungen und Ideale hat, ist eine befreundete Stimme.

Wahlchaos in Chiapas

Nach der Auszählung von 90 Prozent der abgegeben Stimmen zeichnet sich bei den Kommunalwahlen vom 4. Oktober in Chiapas ein Erfolg der regierenden PRI ab. Demnach liegt sie in 81 von 103 Landkreisen vorne. Die linksoppositionelle PRD (Partei der Demokratischen Revolution) gewann dagegen nur 17 Landkreise, während die rechtskatholische PAN (Partei der Nationalen Aktion) in fünf Landkreisen siegte, darunter auch in der Landeshauptstadt Tuxtla Gutiérrez. Bei den parallel stattfindenden Wahlen zum chiapanekischen Kongreß konnte die PRI zehn von 24 Sitzen erringen. Die scheinbar glänzende Bilanz der Regierungspartei ist allerdings das Ergebnis eines weitgehend illegitimen Wahlvorgangs, weil in vielen Regionen ein ungestörter Verlauf des Urnengangs nicht garantiert war. Die politischen Verhältnisse werden dadurch weiter destabilisiert.

Flutkatastrophe mit unabsehbaren Folgen

Bei sintflutartigen und langanhaltenden Regenfällen in der ersten Septemberhälfte wurden weite Teile von Chiapas überschwemmt. Vor allem die Pazifikküste und die daran anschließende Gebirgskordillere der Sierra Madre, aber auch Regionen im Zentrum waren betroffen. Ganze Dörfer und Kleinstädte, wie beispielsweise Motozintla, wurden von den herabstürzenden Wassermassen überschwemmt und weggespült. Der Regen setzte in den steilen Tälern der Sierra Madre außerdem Schlamm- und Gesteinslawinen in Gang, die Menschen, Gebäude und Straßen unter sich begruben. Nach Angaben der mexikanischen Hilfsorganisationen sind mindestens 500 Menschen getötet worden. Andere Quellen geben höhere Zahlen an. Die Regierung dagegen spricht von 200 Opfern. Es wird allgemein eingeschätzt, daß erst im Laufe der Bergungsarbeiten, die Wochen dauern werden, die genaue Zahl der Opfer festgestellt werden kann.
Insgesamt sind fast die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner von Chiapas durch die Naturkatastrophe betroffen, 400.000 davon schwer. Das Gesundheits- und Erziehungssystem ist in vielen Gemeinden zusammengebrochen. Die Preise für Lebensmittel stiegen um 200 Prozent. Viele Dörfer mußten wochenlang mit Helikoptern versorgt werden, weil sie von der Außenwelt abgeschnitten waren. Einige Gemeinden erreichte tagelang keine Hilfe. Die Ernten sind im Katastrophengebiet weitgehend vernichtet worden. Vor allem die Kaffeeproduktion, die zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Chiapas zählt, ist betroffen. Experten gehen davon aus, daß es Jahre dauern wird, bis Infrastruktur und Gebäude wieder hergestellt sein werden. Die sozialen Folgen sind im ärmsten mexikanischen Bundesstaat dagegen unabsehbar.
Die Naturkatastrophe traf den Bundesstaat mitten in der heißen Wahlkampfphase. Nachdem sich die Ausmaße der Verwüstungen abzeichneten, forderte die oppositionelle PRD die Verschiebung der Wahlen auf Dezember. Manuel López Obrador, mexikanischer Parteivorsitzender, erklärte: „Es gibt keine Bedingungen für Wahlen. Man kann keine Wahlen mitten in einer Tragödie durchführen.“ Mit dieser Forderung blieb er nicht allein. Sowohl die katholischen Bischöfe des Bundesstaates als auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen schlossen sich seiner Argumentation an. Zuerst sollten alle Kräfte auf die Hilfeleistung konzentriert werden, erst dann sei an die Abhaltung der Wahlen zu denken. Außerdem gaben sie zu bedenken, daß allein infrastrukturell in vielen Landkreisen keine Bedingungen für den Urnengang existierten.

Hilfe nur für ParteibuchträgerInnen

Doch die PRI blieb mit der Rückendeckung von Präsident Ernesto Zedillo bei der Durchführung der Wahlen am dafür vorgesehenen Termin. Nur aufgrund offensichtlicher technischer Unmöglichkeit in den drei am stärksten betroffenen Landkreisen – Tonalá, Huixtla und Motozintla – wurde hier darauf verzichtet. Ansonsten setzte die Staatspartei ihren klientelistischen Apparat in Gang und begann, die staatlichen Hilfsgüter über ihre Parteistrukturen und die örtlichen Kandidaten an die Katastrophenopfer zu verteilen. Dabei begünstigte sie systematisch ihre Anhänger und verweigerte den Parteigängern der Opposition die Hilfe. An anderer Stelle wurden die Hilfsgüter nur unter der Bedingung ausgehändigt, daß die Empfänger in Zukunft wieder PRI wählen. Teilweise wurde Hilfe in Regionen verteilt, die gar nicht betroffen waren, dafür aber PRI-Hochburgen sind. Zum Beispiel sollen Güter, die für das zerstörte Pijijiapan bestimmt waren, von PRI-Kandidaten in Frontera Hidalgo verteilt worden sein.
Die PRD protestierte energisch gegen die Praxis der PRI-Funktionäre, die freilich überall in Mexiko gebräuchlich ist. Schließlich stellte die Oppositionspartei ihre Wahlkampagne weitgehend ein. Kurz vor der Abstimmung erklärte López Obrador dann resigniert: „Wir nehmen teil, weil uns nichts anderes übrigbleibt und wir der PRI nicht das Feld überlassen wollen.“ Die PAN schloß sich den Anschuldigungen an und änderte ihre Wahlkampfparole in: „Nimm’ an, was sie Dir geben – und wähle PAN“. Die Kommandantur der EZLN reagierte mit einem Kommuniqué: „Die Führung der PRI in Chiapas und die Landesregierung rauben die humanitäre Hilfe, die für die Opfer der Katastrophe in der Sierra und der Küste bestimmt ist.“ Und weiter: „Die Ausmaße der Tragödie, die durch die starken Regenfälle ausgelöst wurden, sind nicht nur das Ergebnis eines metereologischen Phänomens, sondern verschärfen sich durch die Inkompetenz und Korruption der Regierung.“ Präsident Zedillo sah sich schließlich bei einem Besuch im Katastrophengebiet genötigt, auf die Anschuldigungen zu reagieren und erklärte, daß die Regierung dafür garantiere, daß die humanitäre Hilfe nicht zu politschen Zwecken eingesetzt würde.
Um die Erklärung des Präsidenten zu kontrollieren und aufgrund des Mißtrauens in die Behörden, bildeten sich spontan Brigaden von aufgebrachten BürgerInnen, die die Transporte in die überschwemmten Gebiete begleiteten. Sie wollten sicherstellen, daß die Hilfe die Opfer und nicht die PRI-Klientel erreichte. Tausende von Freiwilligen beteiligten sich auch am Sammeln von Hilfsgütern. Vor allem die LehrerInnengewerkschaft SNTE spielte eine wichtige Rolle bei der Selbstorganisierung von Hilfeleistungen. Dabei wiederholte sich ein Phänomen, das auch bei anderen Naturkatastrophen in Mexiko zu beobachten war: Die spontan agierenden Menschen entwickelten ein effizientes Netzwerk der Hilfeleistung, während sich staatliche Behörden durch Desorganisation und Inkompetenz auswiesen.

Wahlen im Angesicht von Gewehrläufen

Doch nicht nur die Naturkatastrophe und ihre Folgen machten einen normalen Urnengang unmöglich. In mindestens 30 der 111 Landkreise waren nach Ansicht von Beobachtern aufgrund von Militarisierung und der Aktivität paramilitärischer Gruppen die Wahlen von vornherein nicht durchführbar. Die Regierung nutzte dabei die Katastrophe, um weitere Regionen zu militarisieren. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden 8.000 Soldaten für Hilfe eingesetzt, 2.000 davon wurden dazu aus den Konfliktgebieten in der Selva Lacandona, dem Norden und der Region Los Altos abgezogen. 63.000 bleiben dort stationiert. Jetzt sind nur noch zwei Regionen in Chiapas nicht militarisiert.
Die Durchführung der Wahlen war unter anderem eine Strategie, um zu versuchen, die politische Kontrolle wieder aufzurichten. Im Windschatten der PRI-Kampagne und unter der Protektion des Militärs wurden paramilitärische Gruppen gestärkt. In den Konfliktzonen koordinierten vielerorts die Führer paramilitärischer Gruppen die Wahlkampagne der PRI. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Norberto Santiz López, PRI-Abgeordneter und Schirmherr des MIRA (Antizapatistische Revolutionäre Indígena-Bewegung). So sollte den Zapatistas Territorium abgewonnen werden. Der Wahlkampf führte auf diese Weise die Politik von Integration und Repression fort, mit der die PRI den Zapatismus bekämpft. Einerseits wurden Hilfsgüter verteilt, andererseits wurden die Paramilitärs aufgewertet, die in Verbindung mit Armee und Polizei seit Beginn des Jahres etwa 60 Menschen, meist Sympathisanten der EZLN, ermordet haben und für 20.000 Vertriebene mitverantwortlich sind.
Wie schon bei den Kommunalwahlen im Oktober 1995 organisierte die EZLN einen Wahlboykott, wobei sie die Installation von Wahllokalen in ihrem Einflußgebiet allerdings nicht verhinderte. Die EZLN argumentierte, daß unter den gegebenen Umständen der Militarisierung keine freien Wahlen möglich seien. Auch Arturo Luna, der PRD-Repräsentant vor der Wahlbehörde, schloß sich dem Urteil der Zapatisten an: „Es bestehen nicht die notwendigsten Voraussetzungen für Wahlen in dieser Zone. Es gibt keine Voraussetzungen, wenn Krieg ist. Und hier ist Krieg. Es ist nicht leicht, die Indígenas zum Wählen aufzufordern, wenn ihr Gebiet militärisch besetzt ist und außerdem Paramilitärs agieren.“ Seine Partei stellte daher in den fünf Landkreisen El Bosque, Larrainzar, Chenalhó, Chalchiuitán und Chamula keine Kandidaten auf.
Wie bereits 1995 folgten dem Boykottaufruf der EZLN ein großer Teil der Bevölkerung. Insgesamt gaben nur etwa 40 Prozent der 1,7 Millionen Wahlberechtigten den Stimmzettel ab. In der Selva Lacandona, der stärksten Zapatisten-Hochburg, nahmen nur 14 Prozent an den Wahlen teil, obwohl PRI-Funktionäre Medizin, Lebensmittel und Kleidung für die Stimmabgabe verschenkten. Nach dem Boykott 1995 gründete die EZLN in den Gebieten mit ihrem stärksten Einfluß die „autonomen Landkreise“, die sich bis heute immer weiter ausgebreitet haben. Hier ersetzen von den zapatistischen Sympathisanten aufgebaute Parallelstrukturen die staatliche Verwaltung. Es ist wahrscheinlich, daß die EZLN dieser Strategie weiter folgen wird. Insofern ist das Wahlergebnis letztlich relativ unwichtig, zumindest in den zapatistischen Einflußgebieten.
Nach den Wahlen sprachen Vertreter von Global Exchange und Amnesty International, die die Wahlen beobachteten, von „vielen Irregularitäten“ und „fehlenden Voraussetzungen“. Die PRD fordert die Annullierung der Wahl und eine Wiederholung Anfang nächsten Jahres. Möglicherweise wird eine konstitutionelle Krise, die sich die PRI selbst zuzuschreiben hat, Neuwahlen beschleunigen. Damit der chiapanekische Kongreß zusammentreten kann, hätten mindesten 21 Abgeordnete, die Hälfte aller Mandate, direkt gewählt werden müssen. Da aber in drei Landkreisen aufgrund der Katastrophe nicht gewählt wurde und in San Juan Chamula aufgrund einer Blockade von PRI-Anhängern, die gegen ihre eigenen Parteifreunde protestierten, auch keine Wahlen durchgeführt werden konnten, sind nur 20 Abgeordneten gewählt worden.

“Vorbereitung auf den Volksaufstand”

In der ersten Augustwoche erklärten zwei Comandantes der ERPI in einem mehrere Stunden dauernden Pressegespräch in einer geheimen Wohnung im bekannten Urlaubsort Acapulco (Guerrero), die Ursprünge, Positionen und Ziele ihrer Organisation. Die ERPI repräsentiere die gesamte ehemalige Struktur der EPR im Bundesstaate Guerrero (laut Informationen des militärischen Geheimdienstes etwa 60 Prozent der Gesamtstrukturen der EPR), so die Aufständischen Comandantes Antonio und Santiago. „Während der letzten zwei Jahre unterscheiden sich die Standpunkte der Einheiten in Guerrero immer mehr von denen des Zentralkomitees. „Die Ereignisse zwingen uns dazu, uns schon als eigenständige Kraft zu definieren, mit einer eigenen militärischen Kraft und eigenem politischen Programm und Zielen.“ Die ERPI-Comandantes nennen drei wesentliche Unterschiede zur EPR.

“Sozialismus mit menschlichem Antlitz”

Im Gegensatz zu der den Wahlen wenig Bedeutung beimessenden EPR sieht die abgespaltene Struktur eine Radikalisierung der Bevölkerung während des Wahlprozesses und ein neuentstehendes politisches Bewußtsein durch den Cardenismus (eine nicht nur auf den PRD-Kandidaten bezogene breite politische Strömung). „Wir sahen die Möglichkeit des Wachstums für unsere Organisation und verstanden, daß die Wahlbewegung ein Ausdruck des Kampfes der Bevölkerung ist, und unsere Rolle nicht nur die eines kritischen Beobachters sein kann, sondern wir daran teilnehmen müssen“, so Comandante Antonio. Des weiteren wolle die ERPI die „bewaffnete Selbstverteidigung auf Wunsch der Gemeinden entwickeln, als Antwort auf die Angriffe, die durch Armee, Polizei, Kaziken und ihre Pistoleros erfolgen“. Die Aktionen der EPR hätten hingegen nicht auf den Notwendigkeiten der Dorfgemeinschaften basiert, sondern auf „landesweiten konjunkturellen Ereignissen“. Die ERPI definiere sich als „Armee des Volkes und nicht irgendeiner Partei, wir tun nur das, was die örtliche Bevölkerung mehrheitlich von uns verlangt“, so die Comandantes.
Das Ziel sei ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, basierend auf der Idee der „Volksmacht“ (Poder Popular). Der dritte wesentliche Unterschied sei strategischen Charakters. Während die EPR ausschließlich die Linie des „verlängerten Volkskrieges“ verfolge, wolle sich die ERPI auf einen möglichen Volksaufstand nach den Wahlen im Jahr 2000 vorbereiten. Damit nimmt die Organisation Bezug auf die Wahlen im Jahr 1988, bei denen ein Wahlbetrug der PRI, der dem damals unabhängigen Präsidentschaftskandidaten Cuauhtémoc Cárdenas wahrscheinlich den Sieg kostete, zu Aufständen und bewaffneten Zwischenfällen in verschiedenen Bundesstaaten führte, weil Bauern zeitweise zu den Waffen griffen, um die Wahlergebnisse in ihren Gemeinden zu verteidigen.
Bezüglich des Massakers durch die Armee in El Charco verkünden die beiden Comandantes, die ERPI habe dort eine Versammlung abgehalten, „um von den Bedürfnissen und Vorhaben der Bevölkerung zu erfahren“. Die Organisation habe sich in einer Phase der „stillen Arbeit“ befunden und „so wären wir auch fortgefahren, hätte es das Massaker nicht gegeben“. Über die Geschehnisse in El Charco habe die ERPI eigene Ermittlungen durchgeführt und sowohl den „für den Verrat Verantwortlichen“, eine Person außerhalb der Gemeinde, wie auch den General an der Spitze der Militäroperation identifiziert. Sie „garantiere, daß diese – trotz Schutz durch die Armee – bestraft werden“.
Auf die von verschiedenen Medien vermutete Nähe zur EZLN angesprochen, erklärt Comandante Antonio, es bestünden keinerlei Verbindungen, und während die Zapatisten im Wesentlichen eine politische Antwort geben würden, führen sie Selbstverteidigungsaktionen durch. Doch der Beitrag der EZLN im politischen Sinne sei sehr wichtig gewesen und „es könne von einer Annäherung gesprochen werden, was Losungen betreffe wie ‘gehorchend befehlen’ oder ‘für alle alles, für uns nichts“. Außerdem würde die ERPI die Initiative der EZLN, eine Volksabstimmung über die Rechte der indianischen Gemeinschaften durchzuführen, ausdrücklich begrüßen. Sie sei ein „Vorbild für die Demokratie im Lande“ und werde daher in den Einflußgebieten der ERPI unterstützt. „Wir denken, daß die Abkommen von San Andrés die legitimen Bestrebungen der Bevölkerung darstellen und im besonderen die der indianischen Gemeinschaften des Landes, die sich die Regierung weigert zu erfüllen“.

In der Tradition von Lucio Cabañas

Der Bundesstaat Guerrero, in dem die ERPI operiert, blickt auf eine lange Guerillatradition zurück. Bereits 1963 führte der Landschullehrer Genaro Vázquez Rojas eine Gruppe zur bewaffneten Selbstverteidigung an, nachdem er den Versuch unternommen hatte, sich bei den Wahlen in Guerrero aufzustellen und nur Repression erfuhr. Die Gruppe wurde in die Berge gedrängt und 1972 zerschlagen. Vázquez Rojas stirbt dabei. 1967 greift in Folge eines Massakers in Atoyac Lucio Cabañas, ebenfalls Landschullehrer, zu den Waffen und gründet die „Hinrichtungsbrigade der Partei der Armen“, die auf breite Unterstützung unter den Armen zählen kann. Er fällt 1974 im Kampf, als die Gruppe von Sicherheitskräften weitgehend aufgerieben wird. Im Laufe der Aufstandsbekämpfung in der Region werden schwere Menschenrechtsverletzungen begangen und über 500 Personen „verschwanden“, viele sollen über dem offenen Meer aus Hubschraubern herausgeworfen worden sein.
Das Massaker von Tlatelolco an StudentInnen im Vorfeld der Olympiade 1968 galt für viele AktivistInnen der städtischen sozialen Bewegungen als Zeichen für die Unmöglichkeit eines unbewaffneten politischen Kampfes. Der Weg einer offenen Oppositionspolitik schien durch die gewalttätige Reaktion der PRI-Regierung versperrt. Es entstanden verschiedene – jedoch kleine – bewaffnete Gruppen in den Städten Mexikos, die in den folgenden zehn Jahren zerschlagen wurden.
Das Kapitel bewaffneter Kampf schien damit für die Regierung, wie für die Linke abgeschlossen zu sein. In den letzten Jahren ist allerdings deutlich geworden, daß die Zerschlagung nur scheinbar war. So wie die EZLN aus der kleinen Gruppe der Fuerzas de Liberación Nacional (FLN) hervorging, die jahrelang in der Klandestinität Aufbauarbeit leistete, so handelte es sich bei der EPR um einen Zusammenschluß verschiedener Gruppen, die aus den Resten der Bewegungen der 60er und 70er Jahre hervorgingen. Hinzu stoßen in den 90ern weitere Gruppen, die jahrzehntelang Organisationsarbeit leisteten und einen günstigen Zeitpunkt zum Handeln abwarteten. Die Arbeit wurde bewußt geheim gehalten und die Parole ausgegeben, sich keinesfalls zu Banküberfällen, Entführungen oder anderen Finanzierungsaktionen zu bekennen.

Aguas Blancas und die Folgen

Nach der EZLN (1.1.1994) tritt als nächste Guerilla die EPR am 28. Juni 1996 in Aguas Blancas (Guerrero) in Erscheinung. Bei einem Gedenkakt für das ein Jahr vorher am gleichen Ort an 17 Mitgliedern der OCSS, der Bauernorganisation der südlichen Sierra, durch die Polizei verübte Massaker, steigt ein bewaffnetes Kommando auf die Bühne und verkündet das Manifest von Aguas Blancas. Darin heißt es, die antidemokratische Regierung müsse gestürzt und die Souveränität der Bevölkerung sowie die fundamentalen Menschenrechte zurückerobert werden, die Forderungen und Bedürfnisse des Volkes müßten erfüllt und die der Verantwortlichen für die politische Unterdrückung, Repression, Korruption und Elend der Bevölkerung bestraft werden. Nur wenige Stunden später findet bei Zumpango del Río, über 100 Kilometer entfernt, ein Gefecht zwischen EPR und Polizei statt. Am 7. August 1996 begleitet die EPR einige Journalisten an einen Ort der Sierra Madre Oriental und verkündet die Existenz der Demokratisch-Revolutionären Volkspartei, PDPR. Die PDPR und die EPR seien das Resultat der Einheit verschiedener bewaffneter revolutionärer Organisationen, die während der letzten 30 Jahre entstanden sind. Etwa zwei Wochen später berichten EPR-Comandantes einer Reporterin in einem Sicherheitshaus in Mexiko-Stadt, daß sie in den zwei Monaten insgesamt 59 Tote und Verletzte bei Militär und Polizei verursacht und Arbeiter- und Volksmilizen im Gebiet des Tals von Mexiko gegründet haben.
Die EPR operiert in mindestens acht der 16 Bundesstaaten Mexikos. Die Erklärung für den Griff zu den Waffen ist die gleiche wie bei der EZLN: Sie sehen sich einem System gegenüber, das keine demokratischen Optionen mehr bietet und gleichzeitig wirtschaftlich und sozial immer größere Teile der Bevölkerung ausgrenzt. Doch der Diskurs der EPR ist in den ersten zwei Jahren sehr hart und lehnt sich an die traditionellen marxistisch-leninistischen Guerillas der 60er und 70er Jahre an. Stets auf Distanz bedacht tauschen EPR und EZLN kleine verbale Spitzen aus. So verkündet die EPR etwa im Hinblick auf Marcos Kommuniqués, man könne „einen Krieg nicht mit Gedichten gewinnen“. Doch die internen Diskussionen scheinen die EPR zu verändern, und ab Mitte 1997 ist eine Wende zu beobachten. Zu den Wahlen in Mexiko-Stadt verkündet die Guerilla einen Waffenstillstand, „um den Wahlprozess nicht zu beeinflussen“ und akzeptiert in einem nachfolgenden Kommuniqué den Weg der Wahlen ebenfalls als „einen Teil des Kampfes um Veränderung“, wenn auch nicht als „ihren Weg“. Die nachfolgenden Erklärungen sind deutlich zurückhaltender und moderater formuliert, verwenden eine Sprache mit Vergleichen aus der Natur und enthalten sogar Nahuatl-Gedichte.
In weiten Teilen der Welt noch als Urlaubsort gepriesen, bezeichnen hohe Ränge des Militärs Mexiko als ein Land im Kriegszustand. Die Flecken auf der Landkarte, die als „Spezialgebiete“ bezeichnet werden und zu denen BesucherInnen mit Touristenvisum keinen Zutritt haben (obwohl das Visum berechtigt, die „gesamte Republik“ zu besuchen und die Sonderzonen offiziell nicht existieren), breiten sich aus.
Die Streitkräfte machen mittlerweile den zweitgrößten Haushaltsposten aus und die Militärausgaben übersteigen jene für Landwirtschaft oder Gesundheitswesen. Mittlerweile sind alle südlichen Bundesstaaten und einige des Zentrums und Nordens Mexikos militarisiert und vor allem im Süden hat der intensive Aufbau paramilitärischer Verbände begonnen

Weitere Guerillas im Wartestand

Laut dem militärischen Geheimdienst der USA existieren 37 Guerillaorganisationen, die in 12 Bundesstaaten Mexikos operieren, laut anderen Quellen sollen es bis zu 300 sein. Doch die Zahlenspielereien sind müßig, da einige Gruppen verschwindend klein sind, während andere wiederum über eine breite Basis verfügen. Außerdem werden auch zunehmend mehr der traditionell zur Selbstverteidigung bewaffneten Bauernorganisationen in die Klandestinität gedrängt und verwandeln sich so langsam in Guerillagruppen.
Allein während der Amtszeit des vorhergehenden Präsidenten Salinas fielen über 300 AktivistInnen sozialer Bewegungen und politischer Organisationen der Repression zum Opfer. Seit Amtsantritt von Ernesto Zedillo im Jahr 1995 ist die Zahl weiter gestiegen.
Diese Erfahrungen, zusammen mit den Ergebnissen der Friedensprozesse in El Salvador oder Guatemala, führen bei vielen zu einer Haltung, wie sie der EZLN-Subcomandante Marcos einmal formulierte: „Die Waffen sind erst das Mittel, mit dem wir etwas fordern und dann das Mittel, mit dem wir es verteidigen werden. Aber keiner der Genossen hat die Vorstellung, die Waffen abzugeben solange er noch lebt. Abgeben! Benutzen ist etwas anderes. Wir sind bereit sie nicht zu benutzen, eine Zeit lang, für immer, aber niemals abgeben. Eines haben wir klar: in dem Moment, in dem die Waffen abgegeben werden, ist alles vorbei. Niemand wird irgend etwas akzeptieren. Niemand. Noch viel weniger im Tausch für einen Stapel Papiere.“

KASTEN:
Eine arme Guerilla sind sie nicht. Die EPR (Ejército Popular Revolucionario), sowie die ERPI (Ejército Revolucionario del Pueblo Insurgente) beziehen laut glaubwürdiger Presseberichte ihre Einkünfte aus Entführungen und Spenden. So sollen sie sich durch die Entführungen von Alfredo Harp Helú, dem Chef der Banamex (Banco Nacional de México), sowie von Angel Losada, dem Besitzer der Kaufhauskette Gigante im März und April 1994 finanziert haben. Die Lösegelder für diese beiden beliefen sich auf 40 US-Millionen Dollar.
Der Großteil des Geldes wird in die Bewaffnung der Organisation investiert. Ihre ökonomische Kapazität erlaubt ihnen, eine Militärstruktur aufzubauen, die unter anderem eine Waffenfabrik und einen Spionageapparat für die nationale Sicherheit der Guerilla umfaßt. Viele Waffen beziehen sie vom Schwarzmarkt, darunter Maschinenpistolen, Handgranaten, kurzkalibrige Waffen wie Browning, Magnum 357, sowie Waffen mit Infrarotausrüstung. Die Frauen in der EPR und der ERPI sind in den Bereichen Gesundheit, Sabotage, Propaganda, Information und Kriegsindustrie tätig. Hinzu kommt eine Gruppe von Mitgliedern, die sich auf die Spionage in Regierungskreisen spezialisiert hat. Diese Gruppe entdeckte, daß die CIA seit Dezember 1997 führende Köpfe von Polizei und Militär zu Paramilitärs ausbildet, um sie auf die Zerschlagung der Guerilla vorzubereiten. I.R.

„Gewalt ist ihrer Definition gemäß ein krimineller Akt“

Ausgehend von den Schilderungen eines Überlebenden versucht der Dokumentarfilm, der von der mexikanischen Videogruppe Canal 6 de Julio produziert wurde, ein Panorama der politischen Situation in Chiapas zu entwickeln. Über vier Jahre nach dem Beginn des Aufstandes der EZLN hat das Militär den Bundesstaat weitgehend militarisiert. Die Zapatistas verfügen noch immer über großen Rückhalt in der Bevölkerung, aber die selektive Repression zeigt Wirkung. Besonderes Gewicht legt der Film auf die Darstellung der Aktivitäten paramilitärischer Gruppen. Unmißverständlich wird aufgezeigt, wie lokale Politiker der Regierungspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) im Verbund mit Militärs der Bundesarmee diese Todesschwadrone aufbauen. Ihre Funktion ist die Einschüchterung der Bevölkerung und Übernahme von Aufgaben, die Militär und Polizei nur schwerlich erfüllen können, ohne gleich die ganze Regierung in Rechtfertigungsprobleme zu bringen. Dazu zählte auch das Massaker von Acteal, bei dem mit unbeschreiblicher Brutalität vorgegangen wurde.
Interessant sind insbesondere Passagen des Film, die den Zusammenhang des Aufbaus paramilitärischer Gruppen mit der Strategie der Kriegführung niedriger Intensität aufzeigen. Diese von der US-Armee entwickelte Aufstandsbekämpfungsmethode wird in Chiapas von Offizieren umgesetzt, die in US-Militärcamps wie dem Trainingszentrum für Spezialeinheiten und psychologische Kriegführung in Fort Bragg ausgebildet wurden.
Der professionell gedrehte und geschnittene Film collagiert Interviews mit Betroffenen des Massakers, dem Sozialwissenschaftler und ehemaligen EZLN-Berater Julio Moguel und dem Historiker Andrés Aubry mit Passagen einer Rede von Präsident Zedillo, Aufnahmen von Militärs sowie zapatistischer Basisgruppen, die versuchen, Soldaten am Betreten ihres Dorfes zu hindern. Das Bildmaterial könnte stellenweise aussagekräftiger sein. Die zynische Rede von Präsident Zedillo, die den Film eröffnet, demaskiert die Heuchelei der Regierung aber nachdrücklich. Er verurteilt das Massaker – „Die Gewalt ist ihrer Definition gemäß ein krimineller Akt“ –, gleichzeitig wird deutlich, daß die Paramilitärs von der Regierung aufgebaute Kreaturen sind.
Ein Mangel des 45-minütigen Filmes ist, daß er für mexikanische ZuschauerInnen produziert wurde und deshalb nur für ein Publikum verständlich ist, das die politische Situation in Chiapas und Mexiko einschätzen kann und über Hintergrundwissen verfügt. Für Chiapas-Interessierte ist der Film aber auf jeden Fall ein Gewinn.

„Acteal – Strategie der Todes“ ist ausleihbar bei:
autofocus Videowerkstatt e.V.
Lausitzer Str. 10, Aufgang B
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Tel: 030-618 80 02
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Krieg niederer Intensität jetzt ohne Vermittlung

In Mexiko ermordet die Armee Zivilisten, weil sie Frieden will. Bischof Samuel Ruiz beschuldigte in einer scharf formulierten Erklärung die mexikanische Regierung, den Dialog mit den aufständischen Zapatisten einseitig aufgekündigt zu haben. Er selbst und Mitglieder der katholischen Kirche in Chiapas seien konstanten Drohungen und Aggressionen von Seiten der Regierung, des Militärs und der Paramilitäts ausgesetzt. Als Ruiz seine Erklärung verfaßte, mit der er am 7. Juni von seinem Amt als Vermittler zurücktrat, wußte er noch nicht, daß die Bundesarmee bereits ein weiteres Massaker an den zivilen Unterstützern der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) plante.

Neue Überfälle

In den frühen Morgenstunden des 10. Juni überfielen die Militärs in einer gemeinsamen Operation mit Polizeikräften und Paramilitärs die Ortschaften Chabajeval und Union Progreso im zapatistischen autonomen Landkreis San Júan de Libertad. Eine gemeinsame Erklärung aller 32 zapatistischen Landkreise, die sich unabhängig von staatlichen Institutionen konstituiert haben, schildert den Hergang der Ereignisse so: Einige hundert Militärs überfielen das Dorf Union Progreso, zerstörten Häuser und schlugen auf Zivilisten ein. Flüchtende wurden beschossen, ein junger Mann wurde dabei getötet. Soldanten schleppten sechs Verletzte zurück ins Dorf und exekutierten sie dort. Gleichzeitig wurde auch das in der Nähe gelegene Chavajeval von einer großen Anzahl Militärs und Polizisten gestürmt, von Helikoptern und Flugzeugen unterstützt. Mehrere hundert Dorfbewohner versuchten in die Berge zu flüchten und wurden dabei mit scharfer Munition und Tränengas beschossen. Zwei Männer wurden ermordet, eine große Zahl wurde festgenommen und ist bis jetzt nicht wieder aufgetaucht. Wenn sie uns tote Genossen zurückbringen, die sie lebend festgenommen haben, wurden sie von Bundessoldaten und der Polizei exekutiert, erklärt das Kommuniqué.

Die Version des Militärs

Innenminister Francisco Labastida Ochoa dagegen behauptet, das Militär sei von Milizen der EZLN beschossen worden und habe erst dann reagiert und auch nur, weil es “Frieden herstellen” wolle.
Bereits am 7. Juni war es zu einem brutalen Militäreinsatz im Bundesstaat Guerrero gekommen. Auch hier behauptet das Militär, beschossen worden zu sein. Aber auch in diesem Fall widersprechen alle Zeugenaussagen der offiziellen Version. Im Dorf El Charco hatten sich nach Angaben von Einwohnern Guerilleros der Revolutionären Armee des aufständischen Volkes (ERPI), einer bewaffneten Gruppe, die mit der in verschieden Regionen Südmexikos operierenden Revolutionären Volksarmee (EPR) in Verbindung steht, mit Repräsentanten verschiedener Dorfgemeinschaften getroffen.
Die klandestine Versammlung in der Dorfschule wurde der Armee bekannt, die daraufhin die Gemeinde stürmte und elf Personen exekutierte. Es hat kein Gefecht gegeben, das war ein Massaker, erklärte ein lokaler Politiker der linken Oppositionspartei PRD. Nach Zeugenaussagen und einer Erklärung der ERPI waren nur einige der elf Getöteten tatsächlich Mitglied der Guerillakolumne. Erika Zamora Pardo, eine Überlebende des Guerilla-Kommandos berichtet, sie sei in den auf ihre Verhaftung folgenden Tagen gefoltert worden. Sie wurde von der Armee mit Elektroschocks und Drohungen zu Aussagen bewegt, die die offizielle Version bestätigen. Mittlerweile sind ihre Eltern und Geschwister von Paramilitärs entführt worden, und Nachbarn der Familie haben die Presse informiert.

Repressionen statt Verhandlungen

Die mexikanische Regierung unter Präsident Ernesto Zedillo von der seit beinahe 70 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) steuert durch die Verweigerung eines Dialogs mit der EZLN und den konstanten militärischen Druck auf die oppositionellen Bauernorganisationen auf den offenen Ausbruch des Bürgerkriegs in Mexiko zu. Nicht nur in Chiapas, auch in den südlichen Bundesstaaten Guerrero und Oaxaca münden die Konflikte zwischen linken oppositionellen Bauernvereinigungen mit lokalen PRI-Machthabern und Grundbesitzern immer öfter in bewaffnete Auseinandersetzungen. Dabei setzen Militär und Regierung auf einen offensiven Repressionskurs, der nur notdürftig mit Lippenbekenntnissen zum Verhandlungswillen kaschiert wird. EZLN, EPR, ERPI und die zahlreichen weiteren lokal oder überregional verankerten Guerillagruppen reagieren auf diese Politik mit dem Aufbau ihrer Strukturen, ohne auf die offenen Provokationen einzugehen.

Albright löst diplomatische Spannungen aus

Für Verstimmung bei der mexikanischen Regierung sorgte unterdessen eine Erklärung der US-Außenministerin Madeleine Albright. Die Internationalismus-Referentin Bill Clintons sah sich nach den Ereignissen der letzten Wochen dazu genötigt, öffentlich zu erklären, die US-Regierung fordere Mexiko zu einer friedlichen Lösung in Chiapas auf. Dabei benutze sie das Wort pressing, das mit dem spanischen presionando übersetzt wurde, was “Druck ausüben“ bedeutet. Dies wurde von mexikanischen Abgeordneten als eine unstatthafte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und als Beleidigung gewertet. Nach diplomatischem Naserümpfen erklärte nun Mexikos Außenministerin Rosario Green, die Aufregung sei fehl am Platz, da Albright schlecht übersetzt worden sei. Eigentlich habe sie nur gemeint, daß der Konflikt bald gelöst werden müßte. Der Sprecher des Weißen Hauses, James Rubin, stellte schließlich klar, daß die USA Mexiko nicht drängten, sondern um eine friedliche Verhandlungslösung bitten.
In jedem Fall scheint der beleidigte Tonfall der mexikanischen Regierung gerechtfertigt, ist es doch das US-Verteidigungsministerium, das die mexikanische Armee mit Spezialisten in der Kriegführung niederer Intensität und modernen Waffen ausrüstet. Darauf wies auch Amnesty International in Washington hin, das bereits am 12. Juni vor einer möglichen Menschenrechts-Katastrophe in Chiapas und Guerrero gewarnt hatte. 1500 mexikanische Militärs wurden laut William F. Schultz, Präsident von ai in den USA, in den letzten Monaten in den USA ausgebildet. Amnesty International forderte den US-Kongreß in einem Bericht vom 17. Juni auf, die Beteiligung mexikanischer und in den USA ausgebildeter Truppen an Menschenrechtsverletzungen darzulegen.

Nicht alle Ausländer sind unerwünscht

Auf allen politischen Ebenen unternimmt die Regierung in diesen Wochen den Versuch, internationale Menschenrechtsbeobachtung in Mexiko zu diskreditieren und unmöglich zu machen. Zu diesem Zweck wird eine Medienkampagne geführt und die Anstrengungen auf diplomatischem Parkett verstärkt.
Zahlreiche unabhängige MenschenrechtsbeobachterInnen wurden durch die Behörden bereits ausgewiesen, meist mit der Begründung, sich in innere Angelegenheiten einzumischen, was AusländerInnen laut Artikel 33 der Verfassung untersagt ist. Gleichzeitig verstärkt das Militär den Krieg niedriger Intensität gegen die Zapatistas in Chiapas – mit ausländischer Hilfe.
Anfang Mai haben die mexikanischen Behörden ausländischen MenschenrechtsbeobachterInnen eine Reihe von Kriterien gestellt, die sie in Zukunft erfüllen müssen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Demnach muß 60 Tage vor der Einreise ein Antrag auf ein Visum gestellt werden. Außerdem verlangen die Behörden eine detaillierte Liste aller Personen und Organisationen, mit denen sich der Beobachter treffen möchte. Desweiteren müssen alle Orte, die besucht werden sollen, benannt werden. Es werden nur Personen zugelassen, die eine Mitarbeit in einer anerkannten Menschenrechtsorganisation nachweisen können. Die Reisezeit ist auf maximal zehn Tage beschränkt, und Delegationen dürfen nicht mehr als zehn Mitglieder zählen.

Regierung verhindert Beobachtung

Auch für den Fall, daß alle Kriterien erfüllt sind, behält sich das Innenministerium vor, innerhalb von 30 Tagen nach der Beantragung des Visums die Einreise zu verbieten. Personen, die das entsprechende Visum nicht erteilt bekommen und dennoch an Menschenrechtsbeobachtungen in Mexiko teilnehmen, werden in Zukunft mit der sofortigen Ausweisung rechnen müssen, so wie über 200 Personen seit Ausbruch der Rebellion in Chiapas Anfang 1994.
Falls die mexikanischen Behörden mit diesem Katalog Ernst machen, wird die unabhängige Beobachtungstätigkeit in Mexiko praktisch ausgeschlossen. Allein die Begrenzung eines Aufenthaltes auf zehn Tage macht eine sinnvolle Arbeit zunichte. Außerdem würde eine Erfüllung der Kriterien, wie die US-Organisation Human Rights Watch befürchtet, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zusätzlich gefährden. „Menschenrechtsbeobachter dürfen nicht gezwungen werden, die Namen der Zeugen und Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu nennen, um sie interviewen zu dürfen, da sie diese Informationen Repressalien aussetzen könnten. Außerdem könnte eine angekündigte Information über die Orte, die besucht werden sollen, zu einer ernsten Gefahr für die BewohnerInnen dieser Orte führen, da sie Angriffen oder der Beobachtung durch die Behörden ausgesetzt werden könnten“, schreibt Dr. José Miguel Vivanco, der Direktor von Human Rights Watch für Amerika in einem Protestbrief an Präsident Ernesto Zedillo.
Die Verschärfung der Einreisebestimmungen und die Ausweisungswelle von internationalen BeobachterInnen kommt genau zu einem Zeitpunkt, an dem die Präsenz von MenschenrechtlerInnen in Mexiko immer wichtiger wird.
Nach übereinstimmender Einschätzung von internationalen Organisationen wie Human Rights Watch und amnesty international sowie mexikanischen Gruppen wie dem Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de las Casas oder dem Centro de Derechos Humanos Miguel Augustín Pro-Juárez verschlechtert sich die Menschenrechtslage zusehends. In einem Brief an das Europäische Parlament machen die mexikanischen Gruppen darauf aufmerksam, daß die „Zahl extralegaler Hinrichtungen, das Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Festnahmen“ ansteige. Gleichzeitig wachsen die Militarisierung und die von den Behörden geduldeten Aktivitäten von paramilitärischen Gruppen in verschiedenen Teilen des Landes.
In ihrem Brief von Mitte Mai fordern sie das Europäische Parlament daher auf, die Funktion eines Sonderberichterstatters zur Menschenrechtssituation in Mexiko einzurichten. Dieser Repräsentant der fünfzehn Mitgliedsstaaten der EU soll der Delegation der Europäischen Kommission in Mexiko untergeordnet sein und jährliche Berichte abgeben. Die mexikanischen MenschenrechtlerInnen versprechen sich davon, daß nach der Ratifizierung des Kooperationsabkommens zwischen Mexiko und der EU, das letzten Dezember geschlossen wurde, das Europäische Parlament auf die mexikanische Regierung Druck wegen der Einhaltung der Menschenrechte ausübt.

US-Training für mexikanisches Militär

Während Präsident Zedillo durch die internationalen MenschenrechtsbeobachterInnen Mexikos Souveränität bedroht sieht, verstärkt die Regierung mit Hochdruck die militärische Zusammenarbeit mit den USA. Mexiko ist mittlerweile das Land, das die größte Anzahl von Offizieren stellt, die durch das US-Militär in den USA ausgebildet werden. Nachdem am 23. Februar 1995 mit William Perry zum ersten Mal seit 1948 ein US-Verteidigungsminister Mexiko besuchte und im März 1996 eine Reihe von militärischen Kooperationsabkommen geschlossen wurden, ist die Zahl der Offiziere, die in der School of Americas (SOA) in Fort Bragg ausgebildet werden, von 15 (1994) auf 333 (1997) gestiegen. Die SOA ist ein Ausbildungszentrum des Pentagon, in dem Generationen lateinamerikanischer Militärs trainiert wurden, bevor sie in ihren Ländern an führender Stelle in der Aufstandsbekämpfung eingesetzt wurden. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Offiziere, die an den brutalsten Menschenrechtsverbrechen der letzten Jahrzehnte in Lateinamerika beteiligt waren, so etwa 48 der 69 Offiziere, die von einer UN-Kommission der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen während des Krieges in El Salvador angeklagt wurden. Neben der SOA bestehen laut Angaben des Pentagon weitere 16 Ausbildungszentren des US-Militärs, in denen zur Zeit mexikanische Offiziere trainiert werden.
Die US-Militärhilfe umfaßt auch umfangreiche Waffenlieferungen, wie John Saxe Fernández, Militärexperte und Universitätsdozent in Mexiko-Stadt, zusammenfaßt: „1997 gab es eine Steigerung von 400 Prozent bei der Lieferung von Militärtechnologie aus den USA an Mexiko, verglichen mit den Vorjahren. Der Haushalt des US-Verteidigungsministeriums für die Ausbildung von mexikanischen Militärs wurde um 800 Prozent gesteigert.“ Diese Zusammenarbeit dient freilich dem Schutz der nationalen Souveränität, wie aus dem mexikanischen Verteidigungsministerium zu vernehmen ist.

Am Ende des Labyrinths

Don Octavio, wie die MexikanerInnen ihren Nobelpreisträger voller Verehrung zu nennen pflegten, war schon länger kein zorniger alter Mann mehr. Bei aller Polemik um seinen leidenschaftlichen Antikommunismus schien er in den letzten Jahren eine Gelassenheit und Versöhnlichkeit erlangt zu haben, die zynische Beobachter mitunter schon als Zeichen beginnender Senilität deuteten. So prophezeite er bei seinem letzten öffentlichen Auftritt im Dezember, entgegen dem allgemeinen Lebensgefühl dieser Tage seinem Land in anrührendem Pathos schlicht „neue Tage des Lichts, mit Sonne und Liebe“. Dabei war der kranke Poet nicht senil, sondern vermutlich einfach müde geworden. Müde auch von einer Rolle, wie sie lateinamerikanischen Schriftstellern seit jeher zugedacht ist: in Ermangelung einer freien, demokratischen Öffentlichkeit fungieren sie in ihren Gesellschaften als eine Art Patchwork-Intellektuelle, die sich nicht nur als Dichter und Denker, sondern zugleich als Politiker, Diplomaten und Kommentatoren des politischen Tagesgeschehens betätigen müssen. Paz allerdings, so der Historiker Enrique Krauze bei der Trauerfeier, habe „vor allem als Poet“ erinnert werden wollen.

Der Kritiker

Unweigerlich aber wird der Dichter der Welt auch als politischer Kopf im Gedächtnis bleiben. Und als solcher brach er nach den Erfahrungen mit den Stalinisten im Spanischen Bürgerkrieg und aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts schon Anfang der 40er Jahre, also zu einer Zeit, als der Antikommunismus noch nicht im mainstream der intellektuellen Eliten Lateinamerikas lag, mit den Idealen eines wie auch immer gearteten Sozialismus. Verkörperte er in den darauffolgenden Jahrzehnten noch das klassische Profil eines aufrechten Liberalen – sein demonstrativer Rücktritt als Botschafter nach dem Studentenmassaker von 1968 bescherte dem Regime einen empfindlichen Imageverlust – so nahmen seine polemischen Kreuzzüge gegen die mutmaßliche kubanische und sowjetische „Unterwanderung“ des Kontinents ab Anfang der 70er Jahre immer schärfere Konturen an. Allerorten witterte Paz kommunistische Verleumdung und Zensurgebaren, verglich Fidel Castro mit Pinochet und bezeichnete die sandinistische Revolution in Nicaragua als „militärisch-bürokratische Diktatur“. Zum mexikanischen Machtapparat unterhielt er Zeit seines Lebens ein ambivalentes Verhältnis. Obwohl er mit allen Staatschefs mehr oder weniger eng befreundet war, konnte Paz sich eine kritische Distanz bewahren. So blieb er ein scharfer Kritiker von Autoritarismus und Paternalismus und bemühte sich, in Mexiko eine Art System-Zwitter zu sehen: zwar sei das Land nun sicher keine Demokratie, aber eben auch keine Diktatur lateinamerikanischen Zuschnitts. Denn immerhin habe das Regime, im Unterschied zu vielen Nachbarn, wenigstens das Menschenleben und die Grundrechte weitgehend respektiert – ohne die partielle Ausblendung der eigenen Wirklichkeit hätte Paz seine Nation vermutlich weder diplomatisch noch literarisch vertreten können.
Politisch ließe sich der Schriftsteller also möglicherweise als konservativ etikettieren. Ein mexikanischer Mario Vargas Llosa aber war er sicher nicht: dessen unbändige Lust an der Macht dürfte ihm fremd gewesen sein, und anders als sein peruanischer Dichterkollege begegnete er seinen politischen Gegnern nie mit Häme oder Arroganz. Bezeichnend dafür war sein zwiespältiges Verhältnis zum Aufstand der Zapatisten. In den ersten Januartagen 1994 hatte der Dichterfürst die Indio-Revolte noch als „irreal“, als „selbstmörderische Gewalt“ und Relikt „aus dem großen Schiffbruch der revolutionären Ideologien des 20. Jahrhunderts“ gegeißelt und im Februar 1995 unter befreundeten Intellektuellen sogar einen offenen Brief zur Rechtfertigung der präsidialen Militäroffensive initiiert. Gleichzeitig aber konnte er Sätze schreiben wie: „Ich stimme mit Marcos überein, daß wir heute in Mexiko und der Welt ein neues Projekt brauchen.” Und war schließlich souverän genug zur Selbstkritik: der „eloquente Brief“ des Subcomandante Marcos – als Antwort auf das Amnestie-Angebot des Präsidenten (Wer hat um Verzeihung zu bitten?, 18.1.1994) – habe ihn „wahrhaftig bewegt: es sind nicht sie, die Indios von Mexiko, sondern wir, die um Verzeihung zu bitten haben.“ Anfang 1996 bringt er dann prägnant den eigenen Zwiespalt zum Ausdruck: „Ein Teil von mir applaudiert ihm, denn Unverschämtheit und Respektlosigkeit sind gesund; ein anderer Teil aber bedauert ihn, denn die Leidenschaft darf sich niemals dem Recht oder der Vernunft in den Weg stellen.“ Es ist vor allem diese Art des Abwägens, ein Novum für lateinamerikanische Streitkultur, die auch politische Gegner an Paz geschätzt haben dürften.

Der Poet…

Bei allem Beharren auf rationaler Aufgeklärtheit, auch Octavio Paz war letztlich ein Gläubiger: der ungebrochene Glaube daran, daß sich Land und Welt via westliche Demokratie und freiem Markt quasi automatisch und schrittweise humanisieren, demokratisieren und zivilisieren werden, durchzieht seine politischen Texte wie ein roter Faden. Gegen die „blutigen Phantasmen“ totalitärer Regime, und zuletzt auch wieder gegen den „entfesselten Kapitalismus“, beschwört er die heilbringende Wirkung der Vernunft – und mutet damit heute schon fast ein wenig altmodisch, geradezu weltfremd an.
So war der liberale Antikommunist Paz, der in tagespolitischen Angelegenheiten eher auf Appelle denn auf Analyse zu setzen schien, im Grunde gar kein Politiker. Denn eigentlich trieben ihn, den Dichter und Denker in einer Person, der im Unterschied zu anderen weltberühmten Schriftstellern des Kontinents kein Erzähler war, ganz andere Themen um: zunächst die Freiheit – des Menschen, des Wortes, der Liebe, der Eros und die Kunst, die Zeit und der Tod. Dem Poeten Paz läßt sich an dieser Stelle aber kaum gerecht werden. (Wie hatte es in Mexiko auf der Hommage zu seinem achtzigsten Geburtstag geheißen: lesen, lesen, lesen – das sei die beste Würdigung der Paz’schen Dichtung.)
Als poetischer Essayist war Octavio Paz nun beileibe kein Konservativer, sondern ein Provokateur: für den Klerus und für die Moral, für die Gralshüter postrevolutionärer Nationalkultur und nicht zuletzt auch für die machistischen Männerbünde. So war Paz einer der wenigen – männlichen – Schriftsteller Lateinamerikas, die sich intensiv mit Geschlechtern und Geschlechtlichkeit, mit den Fesseln der Frauen und den Fesseln der Sexualität beschäftigt haben. Seine monumentale Studie über die „Fallstricke des Glaubens“, in denen die mexikanische Dichterin und Nonne Sor Juana Inés de la Cruz im 17. Jahrhundert verfangen war, kann heute gegen die klerikale Geschichtsklitterung als geradezu feministisch inspiriertes Dokument mexikanischer und zugleich weiblicher Geistesgeschichte gelesen werden. Der Essay über die „doppelte Flamme“ von Liebe und Erotik gehört zweifellos zu den klügsten Texten aus männlicher Feder über die Macht des Eros und die Utopie eines lustvollen Miteinanders der Geschlechter. Und schließlich war Paz einer der ersten, der sich schon 1950 in das widersprüchliche Labyrinth der „mexicanidad“ gewagt hat: die Mythen, Riten und Maskierungen der Mexikaner, ihre Gespaltenheit zwischen verdrängtem Erbe und moderner Gegenwart sind das Thema des weltberühmt gewordenen Büchleins „Das Labyrinth der Einsamkeit“. Nationale Identität wird hier, wie später auch im Spiegel anderer Zivilisationen – beispielsweise in seinem Buch über Indien – nicht als Essenz sondern als schmerzhafter und widersprüchlicher Prozeß gedeutet. Als zentrale Kategorie führte Paz an dieser Stelle schon einen Begriff ein, der in der intellektuellen Diskussion erst sehr viel später zum Modewort werden sollte: la otredad, das Anderssein, als Bestandteil des Eigenen. Zwar gilt der brillante Aufsatz heute als einer der Meilensteine des lateinamerikanischen Essays, in Mexiko selber aber hatte sich sein Autor seinerzeit zunächst eher unbeliebt gemacht: die Mexikaner würden als verklemmte Nihilisten verunglimpft, hieß es damals nicht selten. Das Selbstbild des stolzen, postrevolutionären Mexiko war empfindlich getroffen – und die Debatte eröffnet. So hat der Nationaldichter, neben allen anderen Verdiensten, seinem Land vermutlich auch zu einem souveräneren Umgang mit sich selbst verholfen.

…und Provokateur

Vor und über allem aber stand für Octavio Paz, in seiner Doppelrolle als Poet und Meta-Poet der Poesie, immer das Ringen mit seinem Rohmaterial: dem geschriebenen Wort. „Der Schriftsteller sagt, sprichwörtlich, das Unsagbare, das Nicht-Gesagte, das, was niemand sagen kann oder will.“, schrieb er letztes Jahr anläßlich eines lateinamerikanischen Literaturkongresses. „Deshalb sind alle großen literarischen Werke Hochspannungskabel, nicht mit elektrischer, sondern mit moralischer, ästhetischer und kritischer Spannung geladen.“ Dahinter steht der Glauben an die zerstörerischen und schöpferischen Kräfte der Sprache, an ihre subversive Potenz und an die Möglichkeit der „Versöhnung mit der schrecklichen menschlichen Wirklichkeit“. Und schließlich eine maßlose, schöne Hoffnung: „Die große Literatur ist großzügig, läßt alle Schrammen vernarben, heilt alle Wunden und selbst in den Momenten schwärzesten Humors sagt sie Ja zum Leben“. Diesmal aber haben sich die Reporter nicht geirrt, das Versteckspiel mit dem Tod hat Octavio Paz tatsächlich verloren. Wenige Wochen nach seinem 84. Geburtstag starb er in Mexiko-Stadt. Vielleicht sogar mit einem Lächeln auf den Lippen.

AUF DEUTSCH ERSCHIENEN:
Das Labyrinth der Einsamkeit (1970)
Freiheit, die sich erfindet (1971)
Suche nach einer Mitte. Die großen Gedichte (1980)
Der menschenfreundliche Menschenfresser. Gedichte und Politik 1971-1980 (1981)
Der sprachgelehrte Affe (1982)
Der Bogen und die Leier (1983)
Zwiesprache. Essays zu Kunst und Literatur (1984)
Die andere Zeit der Dichtung. Von der Romantik zur Avantgarde (1989)
In mir der Bau (1990)
Sor Juana oder die Fallstricke des Glaubens (1991)
Adler oder Sonne (1991)
Die andere Stimme (1994)
Im Lichte Indiens (1997)

KASTEN:
BIOGRAPHISCHES

– geboren am 31. März 1914, als Sohn eines revolutionären Juristen und einer Tochter spanischer Einwanderer in Mexiko-Stadt – als 17jähriger veröffentlicht er erste Gedichte in Zeitungen; mit 19 den ersten Lyrikband vorgelegt – 1937 heiratet er die Schriftstellerin Elena Garro (mit ihr hat er seine einzige Tochter, Helena); Reise zum Weltkongreß antifaschistischer Schriftsteller nach Spanien – 1944 bekommt er das Guggenheim-Stipendium in den USA – 1945 tritt er in den diplomatischen Dienst ein, lebt bis 1952 als Diplomat in Paris (Kontakt mit den Surrealisten um André Breton, aber auch mit lateinamerikanischen Kollegen wie Julio Cortázar), danach als Handelsattaché in Tokio; kehrt 1953 nach Mexiko zurück; 1957 Scheidung von Elena Garro – wird 1962 als Botschafter nach Neu-Dehli entsandt; dort, Begegnung mit der französischen Künstlerin Marie-José Pramini, mit der er bis zu seinem Tode zusammenlebt; („Nach der Geburt war das das Wichtigste, das mir in meinem Leben passiert ist“, kommentiert er später die Begegnung) – aus Protest gegen das Massaker von Tlatelolco, bei dem Sicherheitskräfte hunderte von unbewaffneten Studenten erschießen, tritt er von seinem Botschafterposten zurück – nach diversen Gastprofessuren in Harvard und Cambridge kehrt er 1971 nach Mexiko zurück, – im selben Jahr gründet er die Literaturzeitschrift „Plural“ als Antwort auf den „Dogmatismus“ der mexikanischen Intellektuellen; ab 1976 dann die Monatszeitschrift „Vuelta“ – 1981 bekommt er den Miguel-Cervantes-Preis in Spanien, 1984 in Frankfurt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels; in seiner Dankesrede attackiert er in scharfen Worten die sandinistische Revolution in Nicaragua – 1990 Literaturnobelpreis in Stockholm; dieser sei allerdings „kein Paß für die Unsterblichkeit“, wehrt er sich gegen allzu überschwengliche Lobeshymnen.

Mexikanische Regierung im Alleingang

Dies ist der Eindruck, nachdem Präsident Ernesto Zedillo Mitte März einen Gesetzesentwurf unterzeichnete und ins Parlament einbrachte, der den Verfassungsartikel zu den Rechten und der Kultur der Indígena-Völker in Mexiko ändern beziehungsweise ergänzen soll. Der Kompromißvorschlag der COCOPA, vor längerer Zeit vorgestellt und von den Zapatisten gutgeheißen, ist damit hinfällig geworden.
Die Regierung erklärt, die Gesetzesinitiative halte sich vollständig an den Geist der mit den Zapatisten geschlossenen Abkommen von San Andrés vom Februar 1996. Die damals von beiden Seiten niedergelegten “politischen Absichten” seien nun in juristische Formeln umgewandelt worden. Zur Begründung für den Alleingang wird auf die anhaltende Weigerung der EZLN verwiesen, direkte Gespräche mit der Regierung zu führen. Die Zapatisten dürften nicht länger die Entwicklung des Landes bremsen. Innenminister Francisco Labastida spricht von einer zweiteiligen Strategie für Chiapas. Auf der einen Seite sollten die Rechte der Indígena-Völker berücksichtigt werden, auf der anderen Seite gehe es um den Friedensschluß mit der EZLN.
Diese Trennung ist für einen Teil der Opposition nicht nachvollziehbar. Porfirio Muñoz Ledo von der linksgerichteten PRD erklärte, ohne eine Einigung zwischen Regierung und Zapatisten sei mit Gesetzes- und Verfassungsreformen “nichts gewonnen”. Die Nationale Vermittlungskommission hat sich ebenfalls gegen die präsidentielle Initiative ausgesprochen. Sie stimme nicht mit den Vereinbarungen von San Andrés überein und sei als einseitiger Schritt abzulehnen.

Zweiteilige Strategie

Die Regierung fühlt sich offenbar aber ihrer Sache sicher. Dazu hat sie guten Grund. Parallel zur Aktion des Präsidenten hat auch die konservative PAN einen Entwurf zur Indígena-Gesetzgebung ins Parlament eingereicht. Regierungspartei PRI und die PAN haben gegenseitige Verhandlungsbereitschaft über die kaum voneinander abweichenden Initiativen verkündet. Zusammen könnten sie ein Gesetz ohne Schwierigkeit mit der notwendigen Mehrheit durchbringen.
Die Zapatisten und die sie unterstützenden Gemeinden sind militärisch keine Gefahr und von der Bundesarmee eingekreist. Nach wie vor schüchtern paramilitärische Gruppen die Zivilbevölkerung ein.
Das Massaker von Acteal, bei dem 45 Indígenas am 22. Dezember 1997 von Paramilitärs ermordet wurden, gerät bereits in Vergessenheit. Versteckt kann die mexikanische Regierung damit drohen, die aufgehobenen Haftbefehle gegen die zapatistische Führung könnten wieder eingesetzt werden, falls es nicht zum “Dialog” komme.
Die EZLN ist in der Defensive. Für sie ist das Regierungsvorgehen ohne Gesichtsverlust nicht hinnehmbar. Andererseits hat sie wenig Reaktionsmöglichkeiten. In den letzten Jahren hat sie immer wieder auf die zivile Opposition gegen die Regierung gesetzt.
Dieser Druck war nicht stark genug. Eine Stellungnahme der EZLN zur jüngsten Entwicklung steht noch aus. Im Raum steht die Befürchtung der PRD-Fraktion an die Adresse der Abgeordneten aller Parteien: “Machen Sie sich nicht zu Komplizen einer Initiative, die zur Erneuerung der Feindseligkeiten beitragen kann.”

Allgegenwärtige Bedrohung der Zivilbevölkerung

Die „Internationale zivile Beobachtungskommission für Frieden und Menschenrechte“ bildete sich aus dem Netzwerk, das bei den beiden Interkontinentalen Treffen gegen den Neoliberalismus in Chiapas 1996 und Spanien 1997 entstanden ist. Sie umfaßte etwa 200 Personen aus Europa, Lateinamerika und Kanada. Ungefähr eine Woche vor der Ankunft der Beobachtungskommission begann eine üble Pressekampagne gegen AusländerInnen, die sich angeblich in die inneren Angelegenheiten Mexikos einmischten, die Indígenas aufwiegelten und mit den ZapatistInnen sympathisierten. Die meisten Beiträge endeten in der rituellen Forderung nach sofortiger Ausweisung der „AusländerInnen, die sich nicht an die mexikanischen Gesetze halten“. Diese Kampagne hatte aber auch zur Folge, daß das Medieninteresse an der Beobachtungskommission kräftig geschürt wurde und über ihre Arbeit breit berichtet wurde.

Mexikanische Regierung drohte mit Ausweisung

Die mexikanische Regierung hatte uns unmißverständlich klargemacht, daß jede politische Stellungnahme oder Erklärung unserer Kommission als Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachtet würde und unsere sofortige Ausweisung zur Folge hätte. Damit war der Spielraum für das Programm der Kommission klar begrenzt: Wir mußten uns darauf beschränken, in Gesprächen Informationen zu sammeln, konnten aber ausnahmslos mit allen beteiligten Parteien Kontakt aufnehmen. So trafen wir uns
– mit der betroffenen Bevölkerung: dem Congreso Nacional Indígena, Vertretern von Gemeinden aus der Nordzone von Chiapas, Autonomen Gemeinderäten, Vertretern mehrerer Flüchtlingslager, politischen Gefangenen, religiösen und Frauenorganisationen, der nationalen Vereinigung demokratischer AnwältInnen, mit JournalistInnen und Intellektuellen.
– mit verschiedenen Institutionen und Behörden der Zentralregierung (dem Innenminister, der Außenministerin, dem Generalstaatsanwalt, dem Verhandlungsführer der Regierung und der Präsidentin der nationalen Menschenrechtskommission) und Vertretern der Regierung von Chiapas.
– mit Mitgliedern der chiapanekischen PRI und PAN, mit dem PRI-Abgeordneten Samuel Sánchez Sánchez, der gleichzeitig Vertreter der paramilitärischen Organisation „Paz y Justicia“ ist; mit staatlichen und unabhängigen Menschenrechtsorganisationen; den Vermittlungsinstanzen CONAI und COCOPA; dem mexikanischen Roten Kreuz und der COSEVER, die über die Umsetzung der Abkommen von San Andrés wacht.
Einige andere Treffen konnten hingegen nicht durchgeführt werden: Mit den Militärs der mexikanischen Bundesarmee kam trotz mehrerer Anfragen unsererseits – angeblich aus Termingründen – kein Gespräch zustande. Die Anfrage bei Präsident Ernesto Zedillo blieb unbeantwortet. Die Kommandantur der EZLN mußte unsere Anfrage um einen Gesprächstermin ablehnen, weil sie nicht die notwendigen Sicherheitsgarantien von der Regierung erhielt.
Nach mehreren Treffen in Mexiko-Stadt reiste die ganze Kommission am 17. Februar nach San Cristóbal. Von dort fuhren wir in die entferntesten Winkel von Chiapas. Anschließend trafen wir uns mit verschiedenen Institutionen in San Cristóbal und Tuxtla Gutiérrez. Am 24. Februar fuhr eine erste Gruppe nach Mexiko-Stadt zu Gesprächen mit den mexikanischen Regierungsstellen. Der Rest der Kommission folgte am 25. und 26. Februar. Offizielles Ende der Kommission war der 28. Februar.
Während unseres Aufenthaltes in Chiapas wurde uns auf drastische Weise deutlich, wie ungeschützt die Zivilbevölkerung der allgegenwärtigen bewaffneten Bedrohung ausgeliefert ist: Am 21. Februar traf sich ein Teil der Kommission mit 110 Delegierten von Gemeinden aus dem konfliktreichen Norden von Chiapas. Dieses Gebiet liegt im Einflußbereich der paramilitärischen Gruppe „Paz y Justicia“. Wenige Stunden nach dem Treffen wurde einer der Gemeindevertreter, José Tila López García, auf dem Rückweg in seine Gemeinde in einem Hinterhalt ermordet. Die Überlebenden des Überfalls, darunter der Vater des Ermordeten, machten „Paz y Justicia“ dafür verantwortlich. Beweise gibt es natürlich keine, aber die Botschaft ist klar: Sicherheitsgarantien gibt es zwar für die Kommissionsmitglieder, aber nicht für die mexikanische Bevölkerung, die sich mit der Kommission trifft.

Mord an Gesprächspartner

Wir beschlossen, am 23. Februar unser Programm zu ändern und einen Teil der Kommission nochmals in die Gegend zu schicken, einmal um eine in der Nähe gelegene Ortschaft zu besuchen, die uns dringend darum gebeten hatte, und zum anderen, um der Familie des Ermordeten einen Besuch abzustatten und ihr unser Beileid auszusprechen. Kurz vor dem Ziel wurden die beiden Busse aber von etwa 200 Personen an der Weiterfahrt gehindert und zur Umkehr gezwungen. Nach Auskunft unserer ortskundigen BegleiterInnen handelte es sich dabei um PRI-Angehörige.
Diese beiden Vorfälle sagen einiges über die Überwachung aus, der unsere Arbeit zweifellos unterlag, und sind ein gutes Beispiel für die zweigleisige Strategie der Regierung: Auf der einen Seite zeigte sie sich bei den offiziellen Treffen mit der Kommission gesprächsbereit, während sie gleichzeitig den Volksorganisationen unmißverständlich drohte, die sich mit uns treffen wollten.
Teil der Regierungsstrategie war auch, daß während unserer Anwesenheit sämtliche Militärsperren abgezogen wurden. Auf dem Rückweg von unserem Besuch im Norden von Chiapas sahen wir die Armee bereits wieder mit dem Aufbau ihres kurz zuvor verlassenen Militärpostens beschäftigt. Nachdem die Kommission eigentlich schon wieder nach Mexiko-Stadt abgereist war, fuhren noch ein paar Leute auf eigene Initiative in einige Dörfer und wurden so Augenzeugen der Rückkehr der mexikanischen Armee auf ihre alten Positionen.

Massive Menschenrechtsverletzungen

Auf unserer Reise konnten wir uns davon überzeugen, daß die Menschenrechte in Mexiko andauernd und massiv verletzt werden. Dabei sind in den Einflußgebieten der Paramilitärs vor allem bewaffnete Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, wie Brandstiftungen, Vertreibungen, Landraub, Morde, Entführungen, aber auch willkürliche Verhaftungen und Folter an der Tagesordnung. Selbst Regierungsstellen geben mittlerweile zu, daß Teile des Bundesstaates „unregierbar“ geworden sind und der Rechtsstaat nicht mehr eingehalten werden kann.
Die unbestrittene Existenz von 7 – 12 bewaffneten paramilitärischen Gruppen (Paz y Justicia, Los Chinchulines, Máscara Roja etc.) ist für die weitere Entwicklung des Konfliktes äußerst folgenschwer. Die Anwesenheit der paramilitärischen Gruppen in den Indígena-Gemeinden führt zu einer Verlagerung des Konfliktes zwischen der EZLN und der Regierungsarmee in die Dörfer. Plötzlich stehen sich die Bewohner des selben Dorfes bewaffnet gegenüber. Dieser Aufbau von paramilitärischen Gruppen ist ein Teil des Aufstandsbekämpfungskonzepts. In einem vor kurzem bekannt gewordenen Strategiepapier des mexikanischen Verteidigungsministeriums (Plan de Campaña Chiapas 94) ist zu lesen, daß zur Unterstützung der militärischen Operationen paramilitärische Organisationen geschaffen und ausgerüstet werden sollten. Weitere Elemente dieses Konzepts sind Desinformation, andauernde Militärpräsenz in den Dörfern mit dem Vorwand, sich um soziale Belange zu kümmern, Abstempelung sozialer Organisationen als Sympathisanten der Aufständischen, Morde und Morddrohungen gegen VertreterInnen von Volksorganisationen, willkürliche Verhaftungen, Folter etc.
So herrschen in den Dörfern und Gemeinden Chaos, Rechtlosigkeit und Willkür. Konflikte entstehen zum Beispiel dadurch, daß Paramilitärs im großen Stil ganze Dorfgemeinschaften vertreiben und ihr Land an andere Familien verkaufen. Diese bezahlen für das Land und fühlen sich gegenüber den Vorbesitzern im Recht. Durch solche Methoden entstehende Auseinandersetzungen werden dann von der Regierung als „interethnische Konflikte“ abgetan. Bei jeder bewaffneten Eskalation hat die Regierungsarmee einen guten Vorwand einzugreifen. Das ermöglicht den Militärs, sich dauernd in der Nähe der Dörfer aufzuhalten. Der immer wieder geäußerte Verdacht, die Armee versuche auf diese Weise, ihr taktisches Ziel – die Liquidierung der EZLN-Führung – zu erreichen, ist nicht von der Hand zu weisen.

Bericht an Parlamente und Organisationen

Angesichts der zugespitzten Situation in Mexiko wird die Kommission ihren Bericht an das Europäische Parlament und an die Länderparlamente übergeben, die in der nächsten Zeit ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und Mexiko verabschieden wollen. Diese Unterzeichnung sollte unserer Ansicht nach an die Einhaltung bestimmter Bedingungen geknüpft werden (z.B. die Umsetzung der Friedensverträge von San Andrés). Der Kommissionsbericht soll außerdem bei der jedes Frühjahr stattfindenden UNO-Menschenrechtskommission in Genf vorgestellt werden. Es gibt Überlegungen, eine permanente Delegation der Beobachtungskommission in Chiapas zu installieren.

Chiapanekischer Schlamm und wilde Banditen aus dem Sertâo

A Place called Chiapas – das ist die Geschichte von einer Kanadierin, die auszog, um den Zapatismus kennenzulernen. Der Aufstand der Indígenas hatte offenbar auch die Filmemacherin Nettie Wild am anderen Ende der Freihandelszone NAFTA neugierig gemacht. Und so zog sie samt Team und Kameras los, um den Regenwald zu durchstreifen und zu verstehen, was die Vermummten im südostmexikanischen Hinterland umtreibt. Doch es kam anders, ziemlich anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Von der Revolutionsromantik, die per Internet über die ganze mehr oder weniger entwickelte Welt schwappte und wohl auch Nettie Wild anzog, ist zum Schluß nichts mehr übrig geblieben.
Wie es dazu kam, davon erzählt eindrucksvoll ihr 90minütiger Dokumentarfilm „Ein Ort namens Chiapas“. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Titel der im nordamerikanischen Zielgebiet weit verbreiteten Unwissenheit geschuldet ist. Wer diesen Film mit einem Minimum an Interesse ansieht, wird auf jeden Fall sehr viel über den Konflikt lernen. Mit eindrucksvollen Bildern erzählt Wild die Geschichte des Zaptistenaufstands vom 1. Januar 1994 bis Ende 1996. Doch es ist keine streng chronologische Darstellung. Sie entwickelt verschiedene Stränge, die an wenigen zentralen Ereignissen aufgehängt und zu einem sehr anschaulichen, glaubwürdigen Gemälde von Aufstand und Aufstandsbekämpfung verdichtet werden.
Nettie Wild fängt dabei alltägliche und weniger alltägliche Lebenssituationen in einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos ein. Die Bilder sprechen für sich. So stehen die nackten Indígena-Füße im chiapanekischen Schlamm in unüberwindlichem Kontrast zu den ordentlich geputzen Schnürstiefeln der Militärpolizisten. Campesinos und Campesinas kommen ebenso zu Wort wie Großgrundbesitzer. Viele Einstellungen stammen aus der Zapatistenhochburg La Realidad,unterlegt von teilweise witzigen Kommentaren. So wird die Hebamme des Ortes mit dem Hinweis vorgestellt, sie habe hunderte Zapatisten auf die Welt gebracht. Nettie Wild macht kein Hehl aus ihrer Sympathie für die Zapatistenbewegung.

Politisch korrekt

Der Film umschifft gekonnt die gestalterischen Klippen, die in einer fremden, exotischen Welt auf Ortsunkundige warten. Die buntgekleideten Indígenas werden nicht als pittoreske Farbkleckse auf dem Altar einer TV-adaptierten Ästhetik geopfert. Die Maya-Bevölkerung geht nicht unterwegs als Protagonist der Geschichte verloren, obwohl sie verbal deutlich unterrepräsentiert ist. Das Wort haben in erster Linie Bischof Samuel Ruiz und Subcomandante Marcos, und die über weite Passagen aus dem off kommentierende Filmemacherin. Und da liegt eine gewisse Schwäche des Streifens: Obwohl inhaltlich, abgesehen von wenigen Details, richtig und vor allem den Ansprüchen der political correctness genügend, wäre weniger Kommentar mehr gewesen. Und es hätte den Eindruck des unvermeidlichen Blicks von außen ein wenig verringern können.
Dabei wirken die Fragen der Filmemacherin an ihre spanischsprachigen Gesprächspartner wie nachträglich eingefügt. In nordamerikanischer Unirritiertheit scheitert sie dabei außerdem noch an den üblichen grammatikalischen Hürden. Und die wenigen Mexikaner, die sie in ihrer eigenen, englischen Muttersprache interviewt, lassen die ihnen sonst eigene sprachliche Eloquenz vermissen. Eine inhaltliche Beschränkung, die Nettie Wild bewußt für ein direkteres Ansprechen des überwiegend englischsprachigen Publikums in Kauf nimmt.
Beeindruckend, fast beängstigend dicht wird der Film dort, wo er vom eigentlichen Thema abweicht. Erst während der Dreharbeiten bekommen die FilmemacherInnen offenbar etwas von dem neuen, postzapatistischen Wind mit, der seit 1996 immer heftiger durch Chiapas weht. Die ZuschauerInnen geraten mitten hinein in die Gewalt paramilitärischer Gruppen, werden AugenzeugInnen der Vertreibung von Campesinos/as und der aufdringlich indifferenten Haltung der chiapanekischen Polizei. Einziger Wermutstropfen von „A place called Chiapas“: Der Film kommt ein wenig zu spät, obwohl ihm die letzten Gewaltakte der zerfallenden Macht in Chiapas leider doch wieder Aktualität verleihen. Denn das Massaker von Acteal, das im Abspann erwähnt wird, hat den schmutzigen Krieg über die Grenzen Mexikos hinaus zum Thema gemacht. Viel ist seither passiert. -Vor einem halben Jahr, als noch kaum jemand von paramilitärischen Gruppen und Krieg niederer Intensität sprach, wäre dieser wirklich beeindruckende Film noch viel wichtiger gewesen. So ist er vor allem ein historisches Dokument.

A Place Called Chiapas – Ein Ort namens Chiapas, Kanada 1998, 90 Min., Regie: Nettie Wild

Landkämpfe in Mexiko – eine lange Geschichte

Vier Jahre sind seit Beginn des Zapatistischen Aufstands vergangen. Die zahlreichen zu dieser Thematik verfaßten Publikationen ranken sich hauptsächlich um die führenden Köpfe der EZLN, die herrschende Repression und die Forderungen der Indígenas. Daß der Kampf für ethnische Gleichberechtigung und ein Leben in Würde zum zentralen Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden ist, verwundert kaum. Schließlich stand mit dem Thema Indigene Rechte und Kultur bei den Verhandlungen zwischen EZLN und Regierung eine Problematik auf der Tagesordnung ganz oben, die auf den spezifischen Charakter der Zapatistas verweist: die EZLN als Vertreterin verschiedener indigener Ethnien in und außerhalb von Chiapas.
Doch nicht alle linksoppositionellen Menschen Mexikos sind Indígenas. Und keineswegs kann davon gesprochen werden, daß die EZLN überall dort, wo es zu explosiven Landkämpfen kommt, über eine nennenswerte Basis verfügt. Vielmehr hat das Auftauchen weiterer Guerillas, deren größte die seit 1996 aktive Revolutionäre Volksarmee EPR ist, Unterschiedlichkeiten in der Beurteilung und Durchführung einer „Sozialen Befreiung“ deutlich gemacht.
Mit der 1990 publizierten Studie „Unabhängige Campesinobewegungen in Mexiko 1920-1988“ gelang Gabriele Reitmeier eine lesenswerte Arbeit, die wesentliche Hintergründe der Radikalisierung auf dem Lande beleuchtet. Obwohl vier Jahre vor Beginn der bewaffneten Erhebung in Chiapas geschrieben, ist die Dissertation keineswegs veraltet. Vielmehr liefert Gabriele Reitmeier eine intensive Aufarbeitung der mexikanischen LandarbeiterInnenbewegung und ihrer Organisationsstrukturen seit der Mexikanischen Revolution.
Auf über 700 Seiten werden wesentliche Merkmale des Caudillistischen Modells unter den „Sonorensern“, einer aus dem mexikanischen Bundesstaat Sonora stammenden Politikerclique (1920-1934) dargestellt, darüberhinaus die Unabhängigen Campesinobewegungen unter der Regierung Lázaro Cárdenas 1934-1940, die gewerkschaftliche Krise 1940-1970, die Radikalisierung unter Präsident Luis Echevarría 1970-1976 und die verschärfte Repression unter José López Portillo und Miguel de la Madrid 1976-1988 geschildert. Ergänzendes Kartenwerk und Auflistungen der zahlreichen, zum Teil nur regional vorkommenden Gewerkschaften, Organisationen oder Bündnisse machen das Buch darüber hinaus zu einem wichtigen Nachschlagewerk.

Gabriele Reitmeier: Unabhängige Campesinobewegungen in Mexiko 1920-1988, Verlag für Entwicklungspolitik, Saarbrücken 1990, 69,- DM (ca. 35 Euro).

Was heißt hier Demokratisierung?

Zehn Jahre konstante Organisationsarbeit und beinahe 600 ermordete Mitglieder der PRD hat es im PRI-Staat gekostet, bis die Gallionsfigur der linken Opposition ein öffentliches Amt einnehmen konnte. Am 5. Dezember trat in Mexiko-Stadt mit Cuauhtémoc Cárdenas zum ersten Mal ein frei gewählter Bürgermeister sein schwieriges Amt an. Nur drei Tage später – im Gegensatz zu den Ereignissen in Mexikos Hauptstadt ohne jede öffentliche Beachtung – wurde in Brüssel ein Rahmenabkommen über die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Mexiko geschlossen. Nach seiner Ratifzierung durch die nationalen Parlamente wird es die erste Freihandelszone zwischen der EU und einem lateinamerikanischen Land herstellen. Daß dieses Ereignis spurlos an den Medien vorbeiging, muß verwundern, da sich am 1. Januar der zapatistische Aufstand zum vierten Mal jährt, der sich mit weltweit beachteter Vehemenz nicht zuletzt gegen ein anderes Freihandelsabkommen richtet, den NAFTA-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko, der zum Jahreswechsel ebenfalls vier Jahre alt wird. Es gibt also mehr als einen Grund, gerade jetzt einen Blick nach Mexiko zu richten.
Die Bilanz von NAFTA ist aufschlußreich: Mehr als sechs Millionen MexikanerInnen droht heute laut der Nationalen Kommission für Ernährung der Hungertod, weshalb die Welternährungsorganisation FAO 1998 zum ersten Mal ein Notprogramm zur Nahrungsmittelverteilung in besonders betroffenen indigenen Regionen auflegen wird. Gleichzeitig lebten in Mexiko noch nie so viele Milliardäre, die, wie Carlos Slim – mit sechs Milliarden US-Dollar Privatvermögen der reichste Mann Lateinamerikas – ihren Reichtum dank NAFTA und der neoliberalen Wirtschaftspolitik seit Beginn der 80er Jahre anhäufen konnten. Neben einigen wenigen MexikanerInnen profitierte jedoch vor allem das transnationale Kapital von den Reformen. So nimmt es nicht Wunder, daß sich europäische Wirtschaftspolitiker und Industrielle zunehmend für Mexiko interessieren – schließlich soll der Kuchen nicht allein den US- und ostasiatischen Konzernen überlassen werden. Weitgehend im Stillen wurde das Rahmenabkommen ausgehandelt, das in seiner Wirkung weit über Mexiko hinausgehen wird. Das Land soll europäischen Konzernen als Brückenkopf dienen, um stärker in die amerikanischen Märkte vorzudringen. Die mexikanische Ökonomie steckt hingegen in einer schweren Krise: Während Außenverschuldung und Inflation seit 1994 stiegen, fielen Wachstumsraten und Löhne.
Die sozialen Auswirkungen der Handelsliberalisierung in den nordmexikanischen Billiglohnfabriken oder bei der auch mit deutschem Kapital geplanten Umstrukturierung des Isthmus von Tehuantepec ist ebenso Thema dieses Heftes wie ihre politischen Konsequenzen für die Gesellschaft. Die seit 1929 regierende PRI zerfällt. Neue politische Freiräume entstehen, die nicht zuletzt den Wahlsieg Cárdenas’ ermöglicht haben. Ob damit allerdings ein tiefgreifender Demokratisierungsprozeß verbunden ist, wie die PRI-Politiker stets betonen, stellen wir in Frage. Denn Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit nehmen, wie zuletzt amnesty international warnend feststellte, nicht nur im rebellischen Chiapas zu.
Der deutsche Kanzler und der mexikanische Präsident scheinen sich gut zu verstehen. Letztes Jahr weilte Helmut Kohl in Mexiko, im Herbst kam Ernesto Zedillo auf Visite nach Deutschland. Wenn sich die Mächtigen zweier Länder zusammentun, hat dies nichts Gutes zu bedeuten. Umso dringlicher wird es dann, von unten etwas entgegenzusetzen. Wir hoffen, daß dieses Heft ein Beitrag dazu ist.

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