Der Aufstieg der kickenden Vögel

Sie hatten ihn herbeigesehnt, diesen Tag im Juni 1994. Mit stolz geschwellter Brust und voller Selbstbewußtsein. Selbst eine Niederlage hätte sie nicht wirklich erschüttern können, die war eingeplant, schließlich mußte die bolivianische Nationalmannschaft zum Eröffnungsspiel der WM 1994 in den USA gegen den Weltmeister antreten, gegen Deutschland. Rund 2500 Kinder und Jugendliche warteten an jenem 17. Juni voller Spannung in der größten lateinamerikanischen Fußballschule auf den Anpfiff. Das Spiel war für alle der vorläufige Höhepunkt der Erfolgsgeschichte von „Tahuichi“.
Fernab von La Paz auf dem andinen Hochplateau, liegt „Tahuichi“, die bolivianische Fußball-Talentschmiede, in Santa Cruz, der 700.000-Einwohnerstadt nahe der brasilianischen Grenze. In der Sprache der Guaraní-Indianer bedeutet „Tahuichi“ schlicht „Großer Vogel“. Für die Mitglieder der Schule aber, Kids zwischen sechs und zwanzig Jahren, bedeutet diese Schule den ersten Schritt auf dem Weg zu Ruhm und Ehre. Und weil es die größte Ehre ist, für das eigene Land Fußball zu spielen, womöglich noch bei einer Fußball-WM, hätte Bolivien aus Sicht der „Tahuichi“-Schüler an jenem Sommertag im Juni gegen Deutschland einfach nur einigermaßen spielen müssen, kämpfen zumindest, zeigen, daß auch die Bolivianer Fußball spielen können.

Der Teufel war zu heiß

Die größten Hoffnungen der Kinder trug der bis heute wohl bekannteste bolivianische Kicker auf seinen schmalen Schultern: Marco Antonio Etcheverry, kurz el diablo, der Teufel, genannt. Dann kam die Schmach: Das 0:1 durch den Deutschen Klinsmann in der 61. Minute, nach einem Fehler von Torwart Trucco, hatte man noch hingenommen. Als der leicht verletzte „Teufel“ dann aber auf das Feld geschickt wurde, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen, nahm das Schicksal seinen Lauf. 79. Minute: Etcheverry wird eingewechselt, zwei Ballkontakte, dann ein böses Foul, der Schiedsrichter zögert nicht und zieht die Rote Karte. Nach drei Minuten muß der Bolivianer wieder vom Feld, der kürzeste Auftritt eines Spielers in der gesamten WM-Geschichte und eine bittere Enttäuschung für die Jugendlichen, für die „el diablo“ Vorbild ist. 0:1 verlor Bolivien das Spiel, was nicht so schmerzte, aber der peinliche Auftritt des umjubelten Stars ließ die Schüler „Tahuichis“ an diesem Abend doch sehr schweigsam in die Betten sinken.

Vom Hinterhof in große Stadien

Im Mai 1978 begann die Erfolgsstory der „Großen Vögel“. Hinter dem Haus von Don Ramón Aguilera, einem bolivianischen Fußball-Star der fünfziger Jahre, kickte das „Familienteam“ Aguileras gegen eine andere Jugendmannschaft. Die Begeisterung bei den Eltern war so groß, daß Rolando Aguilera, der Sohn, kurz darauf die Fußball-Akademie gründete. Im Andenken an seinen Vater, der unter dem Spitznamen „Großer Vogel“ bolivianische Fußball-Geschichte geschrieben hatte, nannte er die Schule „Tahuichi“. Der Siegeszug der Tahuichi-Jugend war fortan nicht mehr aufzuhalten. Die Nachwuchskicker gewannen eine Meisterschaft nach der anderen, national wie international. Finanziert wird das ganze Projekt mittlerweile aus Mitteln der Christian Children’s Fund (CCF), einer US-amerikanischen Hilfsorganisation. Ansonsten lebt die Schule von den Einnahmen der Baufirma Rolando Aguileras und von Spenden der reichen Oberschicht von Santa Cruz.
Die Stadt war bis in die fünfziger Jahre vom „anderen“, dem andinen Bolivien abgeschnitten. Dann wurde die erste Straße hinunter in das subtropische Städtchen gebaut. Heute ist Santa Cruz die Boomstadt des Landes, vor allem der Dienstleistungsektor hat sich hier angesiedelt, aber auch die Kokamafia, die Drogenbosse, die ausländischen Investoren, die Reichen der Reichen. Santa Cruz ist die Stadt der Gegensätze, des Scheins, der enormen Widersprüche zwischen Modernisierung und wachsender Armut.
Ein paar Kilometer vom Stadtkern entfernt fängt das Elend an, befestigte Straßen gibt es hier keine mehr, die Strom- und Wasserversorgung reicht auch nicht bis hierher. Die meisten hier sind AnalphabetInnen, Indios aus dem Hochplateau, die in La Paz oder Potosí, in Sucre oder Cochabamba keine Perspektive mehr sahen und nach Santa Cruz gewandert sind, weil sie dort auf den Märkten mehr verkaufen können.

Dribbelnd Bildung eingesogen

Diese soziale Mischung findet sich auch in der Fußballschule „Tahuichi“. Doch hier gibt es keine Hierarchien, vor allem die Ärmsten der Armen werden aufgenommen. Deshalb ist die Fußball-Akadamie mehr als nur eine Schule zum Kicken. Talentspäher streunen durch die Gassen und Elendsviertel der Stadt, beobachten die Kinder. Die talentiertesten werden ausgewählt. Bis zum zwölften Lebensjahr steht der Sport im Hintergrund. Die Kinder werden medizinisch betreut, sie bekommen regelmäßig warme Mahlzeiten, und sie werden von einer eigens von der Universität abgestellten Lehrerin unterrichtet, sogar in Englisch, was an normalen südamerikanischen Schulen selten ist. Erst wenn die Schüler 14 Jahre alt sind, beginnt sich allmählich alles nur noch um den Fußball zu drehen. Das heißt aber nicht, daß nicht auch über andere Themen gesprochen wird. In der Akademie gibt es täglich eine halbstündige Sitzung, in der über allerlei geredet wird: Drogen, Sexualität, Aids, wie werden Kondome benutzt, warum ist Englisch so wichtig?
Doch das Leben in der Schule ist hart, schließlich können am Ende nur die besten darauf hoffen, tatsächlich Karriere zu machen. Nur diejenigen, die mit 14 Jahren den Sprung in die ersten Mannschaften „Tahuichis“ schaffen, können später mit einem Stipendium für das Ausland rechnen und werden weitergereicht an die großen Klubs.
Die Teams von „Tahuichi“ sind längst die besten Botschafter des Landes. Sie reisen zu Turnieren in aller Welt, gewinnen dort Pokale und Trophäen, sie stehen für ein friedliches und menschliches Bolivien und konterkarieren damit das einseitige Klischee vom Bolivien als Drehscheibe des Drogenhandels. 1993 kam „Tahuichi“ sogar unter die fünf Kandidaten für den Friedensnobelpreis. Gewonnen haben sie nicht, aber schon die Auszeichnung, nominiert worden zu sein, hat alle „Tahuichis“ stolz gemacht. Nur dieser dumme Auftritt des diablos hätte nicht sein müssen. Jetzt müssen sich die „Tahuichis“ noch weitere vier Jahre gedulden, bis sie möglicherweise wieder bei einer WM dabei sein können. Frankreich findet ohne die „Großen Vögel“ statt.

Samba, Coca und Tore, die überall lauern.

Wie alle männlichen Einwoh-
ner Uruguays wollte ich einmal Fußballer werden.“ Aus dem Jugendtraum, zu dem sich Eduardo Galeano in seinem 1997 erschienenen Buch „Der Ball ist rund und Tore lauern überall“ bekennt, ist nichts geworden. Zum Glück, denn ob der Fußballer Galeano „Die offenen Adern Lateinamerikas“ und damit eines der wichtigsten Bücher der letzten 30 Jahre über diesen Kontinent geschrieben hätte, ist zumindest sehr fraglich. So aber hat der leidenschaftliche Fan, „Der Spieler mit der Nummer Zwölf“, sich selbst aufgestellt und erzählt Geschichten und Anekdoten über das Spiel, das überall auf der Welt so viele Menschen in seinen Bann zieht .
Zu Beginn des Buches, das im Original unter dem Titel „El fútbol a sol y sombra“ erschienen ist, beschreibt der Uruguayer in seinem typischen anekdotischen Stil alles, was zum Spiel dazugehört: der Fan, der Schiedsrichter, das Stadion, der Ball werden hin und her gespielt und im Licht, aber eben auch im Schatten betrachtet. Auch historische Kuriositäten gräbt Galeano aus. Wer wußte schon, daß erst 1938 drei argentinische Tüftler aus Córdoba den Ball erfanden, der der Vorgänger des heutigen runden Leders ist. Sie erfanden eine Blase mit Ventil, die man mit einer Pumpe aufblasen konnte. Seitdem ist es möglich zu köpfen, ohne sich an dem Netz zu verletzten, das vorher den Ball zusammengehalten hatte.
„Verrückte, das sind verrückte Engländer“, so zitiert Galeano aus den Erinnerungen eines Journalisten. Der hatte als Kind verwundert seinen Vater gefragt, warum die blonden Jungen gleich neben dem Irrenhaus andauernd gegen einen Ball treten.

So kam der Fußball
nach Lateinamerika…
Die Frage, wer mit diesen Verrücktheiten angefangen hat, wird letztendlich wohl nie entschieden werden. Doch waren es unbestreitbar die Engländer, die neben Eisenbahnen, Manchester-Kapitalismus und anderen nützlichen Dingen auch den Fußball mit (höchst britischen) Regeln nach Lateinamerika exportierten. Genauer gesagt, an den Río de la Plata. Dort fand auch 1889 das erste „Länderspiel“ zwischen Montevideo und Buenos Aires statt, das eben die britischen Handelsvertreter und Diplomaten unter sich ausmachten. Ziemlich schnell allerdings wurde der Fußball immer weniger englisch und immer mehr südamerikanisch. Die Mützen, Hüte und schweren „Manfield-Stiefel“ wurden abgelegt, Trikots wurden erfunden, Brasilien lieferte Capoeira und Samba als Zugaben, die La-Plata-Länder den Tango. „Wie der Tango, so wuchs auch der Fußball von den Vorstädten aus. Und so entstand an den Füßen der ersten virtuosen südamerikanischen Spieler der „toque“, die typisch südamerikanische Art des Dribblings: der Ball, der wie ein Instrument gespielt wird, wie eine Gitarre, wie eine Quelle der Musik.“
Viele Porträts der oft glücklichen, meist aber auch tragischen und einsamen Helden des Mannschaftsports Fußball zeichnet Galeano in seiner kleinen Geschichtsschreibung nach. So das Schicksal des ersten schwarzen Fußballers in Lateinamerika, des Uruguayers Andrade oder des krummbeinigen Brasilianers Garrincha, der bei der WM 1962 zum besten Spieler gewählt wurde, aber seinen Tod „arm, im Suff und einsam“ starb.

Uruguayische Höhenflüge
Überall auf der Welt heißt Fan sein auch parteiisch sein. Und wenn ein Chronist des Fußballs aus einem Land kommt, in dem schon die Kinder als Anhänger von Nacional oder Peñarol auf die Welt kommen, dann ist es vielleicht auch verständlich, daß Galeano seine Landkarte der Fußballwelt anders zeichnet als die Geographen. Und zumindest in der Vergangenheit war Uruguay im Fußball eine Weltmacht. Schließlich hat es zwei Olympiasiege und zwei WM-Titel errungen. 1924 gewann die Mannschaft aus Uruguay bei der Olympiade in Frankreich als erste südamerikanische Mannschaft die Goldmedaille. Auf dem Weg dahin hatten sie aber allerlei Demütigungen zu überstehen: Im Spiel gegen Jugoslawien wurde die Fahne verkehrt herum aufgezogen (mit der Sonne nach unten) und anstelle der Nationalhymne wurde ein brasilianischer Marsch gespielt. Das Spiel aber gewann Uruguay mit 7 : 0. Heute ist von diesem Glanz allerdings nicht viel übriggeblieben, außer einer grenzenlosen Selbstüberschätzung. Der uruguayische Soziologe Rafael Bayce beschreibt das so: Im Vorfeld der WM 1986 wurden in einer Umfrage die einheimische Bevölkerung und die in anderen Ländern nach den Chancen der einzelnen Teams befragt. Die Meinung über die bundesdeutschen Kicker von Deutschen und Nichtdeutschen war ungefähr gleich, und auch die Brasilianer schätzten ihre Mannschaft nicht viel besser ein als der Rest der Welt. Die Spanier überschätzten ihre Truppe nach dieser Umfrage etwa sechsmal, die Uruguayer jedoch etwa 45mal gegenüber den Befragten in anderen Ländern. Ein schon pathologisches Anzeichen von Realitätsflucht, wie Bayce anmerkt.
Die schönste Geschichte im Buch stammt übrigens nicht vom Autor selbst. In „Tor durch Sanfilippo“ des argentinischen Schriftstellers Osvaldo Soriano spielt der Held ein „Fußballspiel“ im Stadion San Lorenzo nach. Zwischen Kochtöpfen, Käse und Knackwürsten erzielt José Sanfilippo noch einmal „das schnellste Tor der Geschichte“, diesmal allerdings in einem riesigen Einkaufszentrum von Buenos Aires, das Stadion ist inzwischen abgerissen.

Schattenseiten
Wie immer bei Galeano ist auch seine kleine Geschichte des Fußball nicht zu trennen von dem, was sich jenseits des Spielfeldes abgespielt hat. Natürlich erzählt er auch vom „Fußballkrieg“ zwischen Honduras und El Salvador im Jahr 1969. Und von der WM 1978 in Argentinien. Während die holländischen Vizeweltmeister sich weigerten, den Führern der argentinischen Diktatur die Hand zu geben, steht stellvertretend für die deutsche Haltung ein Zitat von Berti Vogts, dem damaligen deutschen Mannschaftskapitän: „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Aber nicht nur davon, auch von Nationalismus, der Macht der FIFA und von dumpfer Gewalt ist die Rede. Kommerz buchstabiert Galeano von A wie adidas bis Z wie Zirkusaffen (die Spieler) durch.
Nach dem Endspiel der WM 1970 in Mexiko zwischen Italien und Brasilien titelte die englische Presse: „Ein solch schöner Fußball müßte verboten werden“. Wenn es dieses Jahr mit ähnlichen Lobeshymnen nichts werden sollte, ist Galeanos Buch sicher eine kleine Entschädigung. Wenn doch, dann ist es eine prima Zugabe. Brasilien überrollte übrigens Italien damals mit 4 : 1.
Eben dieses Spiel, das WM-Fi-
nale zwischen Brasilien und Italien am 21. Juni 1970, ist für den englischen Journalisten Chris Taylor die Geburtsstunde des lateinamerikanischen Fußballs. Was angesichts der triumphalen Erfolge in den vorhergegangenen 50 Jahren doch etwas verwundert. Aber wie auch immer, die „beste, die erregendste Mannschaft der Welt“, wie er das brasilianische Team von 1970 bezeichnet, nicht gesehen zu haben, stimmt schon etwas betrüblich.
Taylors 1998 erschienenes Buch „Samba, Coca und das runde Leder“ ist das Resultat von „Streifzügen durch das Lateinamerika des Fußballs“, wie es im Untertitel heißt. Streifzüge, die er zwischen 1995 und 1997 unternommen hat, einem Zeitraum, der von der Qualifikationsrunde zur WM in Frankreich beherrscht wurde. Nie wird er auf den 223 Seiten des Buches aber betriebsblind: immer versucht er auch die Hintergründe des Spiels zu vermitteln, das Spielfeld des Fußballs hat für ihn die Größe des gesamten Kontinents, die Protagonisten sitzen nur allzu oft an den Hebeln der Macht und lassen die oben erwähnten Zirkusaffen bzw. die Spieler tanzen. Und doch, trotz der politischen, historischen und sozialen Informationen ist es ein Buch über Fußball. Über den Fußball, wie er sein könnte und sein sollte und eben ein Buch über den Fußball, wie er tatsächlich ist.

“Hoffnungslos nostalgisch“
Seine Reise beginnt Chris Taylor am Río de la Plata. Eduardo Galeano hätte sicher seine Freude daran, daß die erste Station auf den Streifzügen des fußballverrückten Engländers Uruguay ist. Mit einer ungeheuren Detail- und Faktenkenntnis spielt sich der Autor akribisch von dort bis nach Mexiko vor. Auch eine Art der Geschichtsschreibung.
Charakteristisch für den Fußball in Uruguay, Argentinien und Brasilien sind die großen Duelle zwischen den ewigen Rivalen Peñarol und Nacional, Boca Juniors und River Plate, Flamengo und Fluminense. Wer wie warum zu welchem Verein gehört und wie sich diese im Laufe der Zeit entwickelt und verändert haben, beschreibt Taylor in einer bewundernswerten Neutralität. Wer einige Zeit in einem dieser Länder verbracht hat, kann es kaum vermeiden, irgendwann einmal Stellung dazu beziehen, welcher „sein“ Verein ist, Ausländer oder nicht. Das wird auch Chris Taylor nicht anders gegangen sein, anmerken läßt er es sich aber nicht.
Der Fußball in Uruguay ist für ihn „hoffnungslos nostalgisch“. Das Land lebt von und in seiner Vergangenheit, die auch schon mal deprimierende Gegenwart wird ausgeblendet. Spätestens seit der WM 1986 gilt Uruguay allgemein aber als unwürdiges Team von Grätschern und Rauhbeinen, daran haben auch die internationalen Erfolge von Nacional und Peñarol wenig geändert. Die „garra charrúa“, einst Ausdruck für Mumm, Kampfgeist und Wildheit ist heute zu einem Synonym für Nachtreten und den Gegenspieler wüst von den Beinen zu holen, geworden. Außer den Uruguayern selbst war dann auch wohl niemand traurig, daß das Land die Qualifikation zur WM 98 in Frankreich nicht schaffte. Argentinien: Die WM 1978, das Ballspektakel fürs Vaterland unter der Militärdiktatur, die Rivalität zwischen den wechselnden ehemaligen Nationaltrainern „El Narigón“ (Große Nase) Bilardo und „El Flaco“ (Der Hagere) Menotti und natürlich das Phänomen Maradona sind die Stationen von Chris Taylor. Das politische Potential des Fußballs wird hier besonders offensichtlich. Die Militärdiktatur wußte dieses geschickt auszunützen. Dagegen half auch nicht der „Waffenstillstand“, den die Montoneros, eine peronistische Stadtguerilla für die Dauer der WM 1978 verkündeten. Ihre Hoffnung, daß sich das Interesse der Welt auf die Verbrechen der Militärjunta richten würde, ging im Siegestaumel beim Gewinn des Titels unter. Ein Titel, durch den der linke Intellektuelle Menotti die Wünsche der Militärs erfüllte.

Andenluft und Fußballtoto
In Bolivien findet Taylor Vereine mit solch schönen programmatischen Namen wie The Strongest, Destroyers oder Always Ready, auch hier kam der Fußball mit der englischen Eisenbahn Ende des letzten Jahrhunderts an. Heute geht es in Bolivien vor allem um eins: der gefährlichste Gegner ist für das Land die Höhenangst der Anderen. Seit der Empfehlung der FIFA von 1995, internationale Spiele ab einer Höhe von über 3.000 Metern über dem Meeresspiegel zu verbieten, sind die bolivianischen Fans außer sich vor Wut und die Souveränität scheint ähnlich bedroht wie vor 150 Jahren, als das Land im „Krieg um den Pazifik“ seinen Zugang zum Meer verlor. Wer hat die Bolivianer denn gefragt, ob sie bei 40 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit in Bahia in den brasilianischen Tropen spielen wollen. In Kolumbien sind es die Drogenkartelle, die eher offen als verdeckt bei jedem Spiel mit auflaufen. Die Mannschaften des Cali-Kartells traten in den achtziger Jahren gegen die des Medillín-Kartells an. Unsummen wurden unter der Regie der Drogenbosse verwettet. Und das nicht nur auf das Ergebnis. Auch darauf, wer den ersten Eckball schießt, wer zur Halbzeit führt, auf nahezu alles. Wurde eine Rechnung danach nicht eingehalten, wurde schon mal mit der Waffe abgerechnet. Viel verändert hat sich bis heute nicht. 1997 stellte eine Untersuchung fest, daß 80 Prozent des Kapitals bei den Topvereinen in den Händen der Drogenkartelle liegen. Trotzdem hat der kolumbianische Fußball aber auch durch seine internationalen Erfolge Aufsehen erregt. Mit einem historischen 5:0 Sieg in Buenos Aires qualifizierte sich die Mannschaft 1993 für die WM in den USA und wurde dort als Geheimfavorit gehandelt. Tatsächlich endete der Ausflug aber in einem Debakel und ein Spieler überlebte die Niederlage nicht. In „Eigentor in den Tod: Warum Andrés Escobar sterben mußte“ beschreibt Taylor dieses dunkle Kapitel. Der Kolumbianer wurde nur wenige Tage nach seinem verhängnisvollen Eigentor im Spiel gegen die USA in seiner Heimatstadt Medellín erschossen. Im Gerichtssaal wurde behauptet, daß der Killer sechs Schüsse abfeuerte und dazwischen jeweils Tor brüllte.

Kommerz, Korruption
und Abhängigkeiten
Nicaragua, „Das Land, das der Fußball vergaß“, durchstreift Chris Taylor hauptsächlich deshalb, weil es eines der wenigen Länder in Lateinamerika ist, in dem der Fußball keine Rolle spielt. Entsprechend geht es in dem Kapitel auch fast mehr um Baseball, den aus den USA importierten Nationalsport, als um Fußball. Aber der Autor sieht einen Hoffnungsschimmer: in der kleinen Stadt Diriamba, von dem Verlag das „Schalke Nicaraguas“ genannt, hat er eine Ecke ausgemacht, in der das Herz für Fußball schlägt.
Nur auf der letzten Station seiner Streifzüge, auf dem Spielfeld Mexiko verläuft sich der Autor. Zu undurchschaubar ist das Geschäft mit dem Fußball. Mannschaften werden nach Bier-sorten benannt oder umgekehrt, und Televisa, das größte Fernsehunternehmen der spanischsprachigen Welt, besitzt neben den Übertragungsrechten auch noch gleich die Vereine selbst. Zu undurchsichtig auch das bizarre Gestrüpp der Ersten Liga, die in vier Gruppen mit vier (oder auch fünf) Mannschaften unterteilt ist. Über Auf- und Abstieg wird nach jeweils drei Saisons entschieden, die durchschnittliche Punktzahl aus allen Runden ist entscheidend. Ähnlich der Situation in der Politik, ist auch der Fußball in Mexiko ein unentwirrbares Knäuel von Kommerz, Korruption und Abhängigkeiten. Trotzdem glauben aber die Mexikaner, ihr Fußball sei sauber. Nicht daß sie es nicht besser wissen würden, die seit jetzt 69 Jahren regierende PRI, die Partei der Institutionalisierten Revolution, hat dafür zu viel Anschauungsunterricht geliefert; sie wollen die Wahrheit nicht wissen.
Obwohl vom Stil her sehr unterschiedlich, haben die Fußballbücher von Eduardo Galeano und Chris Taylor doch vieles gemeinsam. Die Verfasser outen sich als leidenschaftliche Fans und beide versuchen, das Spiel mit dem runden Leder, bei dem die Tore lauern, auf ihre ganz eigene Weise zu schildern. Und beide schreiben über viel mehr als nur über das Spiel mit „dem rollenden Runden im flachen Eckigen“ (A. Mitscherlich). Der eine als Schriftsteller, der andere als Journalist. In ihrer gemeinsamen Unterschiedlichkeit ergänzen sich die beiden Bücher deshalb hervorragend. Ein perfekter Doppelpack für alle diejenigen, die vor dem Spiel und nach dem Spiel immer noch nicht genug von der „Droge“ Fußball haben. Aber genauso für die anderen, die es auch geben soll: wer immer schon mal verstehen wollte, wieso man in Begeisterung ausbrechen kann, wenn 22 Verrückte nach einem Ball treten, der ist vielleicht nach der Lektüre weniger ratlos
Natürlich darf in beiden Büchern auch nicht der Querpaß auf den neben Pelé und Maradona berühmtesten Fußballer des lateinamerikanischen Kontinents fehlen, einen asthmakranken Torhüter aus Argentinien mit dem Vornamen Ernesto, der später in Kuba und dann in Bolivien seinen Teil zur lateinamerikanischen Identität beitrug. Aber das ist jetzt wirklich eine andere Geschichte.

Eduardo Galeano „Der Ball ist rund und Tore lauern überall“, Peter Hammer Verlag 1997, Wuppertal, 277 Seiten.
Chris Taylor „Samba, Coca und das runde Leder“, Schmetterling Verlag 1998, Stuttgart, 223 Seiten.

Chiles Zwangspause ist vorbei

Vor über acht Jahren hätten sich die Chilenen fast für die WM in Italien qualifiziert. Im letzten und entscheidenden Spiel gegen Brasilien lagen sie mit 0:1 zurück, als eine Rauchbombe in ihren Strafraum segelte. Torwart Roberto Rojas reagierte als erster. Er fiel einfach um. Scheinbar schwer verletzt wurde er mit einer Bahre vom Feld getragen, die Mannschaft erkannte die Gunst der Stunde, verließ ebenfalls den Rasen und Chile hoffte auf den Sieg am grünen Tisch. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Wurfgeschosse von den Tribünen das Aus für eine Mannschaft besiegelt hätten. Dumm nur, daß auf Fernsehbildern und nach Zeugenaussagen klar zu ersehen war, daß Torhüter Rojas ob des rauchenden Etwas in seinem Strafraum vielleicht ein wenig erschrocken sein dürfte, das Corpus Delicti aber doch in einiger Entfernung von ihm auf dem Rasen einschlug. Seine Verletzung war also mitnichten eine solche, der Simulant als solcher überführt und die chilenische WM-Teilnahme damit futsch. Der Weltfußballverband FIFA ließ Strenge walten. Das Spiel wurde für Brasilien gewertet, Rojas auf Lebenszeit und die chilenische Mannschaft für die nächste WM-Qualifikation gesperrt.
Im November 1997 stand nun erneut eine letzte, entscheidende Partie an. Doch dieses Mal machten es die Chilenen sauber. Zu Hause in Santiago schlugen sie Bolivien mit 3:0 und lösten damit als Gruppenvierter der Südamerika-Qualifikation das Ticket nach Frankreich – nur aufgrund des wesentlich besseren Torverhältnisses gegenüber den punktgleichen Peruanern. 32 Tore hatten die Chilenen in 16 Spielen geschossen, mehr als jede andere Mannschaft. Einen Großteil der Treffer erzielte das gefürchteteste Sturmduo des ganzen Subkontinents: Ivan Zamorano, genannt Ivan El Terrible war zwölfmal erfolgreich und Marcelo Salas, genannt El Matador, elfmal.
Die Torgefährlichkeit ist nicht das einzige was die beiden verbindet. Beide sind kopfballstark und haben das, was Fachleute so gerne mit Torinstinkt und Spielintelligenz umschreiben. In einer ansonsten doch eher durchschnittlichen Mannschaft sind sie die unumstrittenen Stars. Während Zamorano mit seinen 31 Jahren in ein Alter kommt, in dem Stürmer an Schnelligkeit verlieren und dies mit Erfahrung und Schlitzohrigkeit kompensieren, steht der 23jährige Salas erst am Anfang einer vielleicht ganz großen Karriere. Argentiniens Coach Passarella meint, “Salas braucht den Vergleich mit Batistuta und Ronaldo nicht zu scheuen. Er ist ein kompletter Fußballer.” Nun ist es eine allgemein anerkannte Binsenweisheit des Fußballs, daß große Fußballer erst zu großen Fußballern werden, wenn sie auch bei großen Turnieren Großes leisten.
Das steht bei Salas noch aus. Zwar holte er mit Universidad de Chile zwei Mal in Folge die chilenische Meisterschaft und wiederholte dieses Kunststück nach seinem Wechsel nach Buenos Aires mit River Plate. Die Begeisterung um den kleinen Chilenen war riesig, 1997 wurde er gar zu Südamerikas Fußballer des Jahres gewählt und bei der Wahl zum Weltfußballer landete er auf dem 12. Platz. Doch wie sich an diesen beiden Ehrungen bereits ablesen läßt: die Fußball-Welt honoriert Leistungen in Südamerika bestenfalls als Gesellenstück, den Meister macht man in Europa. Dort sorgte Salas erstmals für Aufsehen, als er vor einigen Monaten quasi im Alleingang die englische Nationalmannschaft düpierte. Im altehrwürdigen Wembley-Stadion schoß er zwei Tore und nach neunzig Minuten hatte Chile mit 2:0 sensationell gegen England gewonnen.

Von Paris nach Rom

Ab der kommenden Saison nun kickt Salas in Rom bei Lazio. Schlappe 32 Millionen DM bekommt River Plate von Lazio für seinen scheidenden Star. Salas selbst strich bei dem Wechsel knapp 6 Millionen DM sogenanntes Handgeld ein. Sein Jahressalär bei den Himmelblauen soll bei 4,5 Millionen DM liegen – so wird sich der Ausflug über den Teich auf jeden Fall lohnen, auch wenn er sich in Europa nicht durchsetzen sollte. Hinter dem Transfer steht angeblich ein großer italienischer Lebensmittelkonzern, der Hauptsponsor von Lazio ist und mit Salas als Identifikationsfigur den südamerikanischen Markt erobern will. Am 11. Juni werden die fußballverrückten italienischen Tifosi ganz genau auf Salas schauen: Im ersten WM-Spiel seit 16 Jahren treffen die Chilenen auf Vizeweltmeister Italien.

Zwischen politischem Kalkül und revolutionärer Romantik

Der mittlerweile zu einem historischen Phänomen mutierte ostdeutsche Staat Deutsche Demokratische Republik ist heute ein Objekt der Begierde. PolitologInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und HistorikInner haben das seltene Glück, auf dem Seziertisch ihrer wissenschaftlichen Analyse die Strukturen eines gerade gescheiterten politischen Systems freilegen zu können. Dabei scheint die von Hegel oft beschworene List der Geschichte zu bewirken, daß gerade jenes Herrschaftssystem, das im Innern jegliche Öffentlichkeit verbannte und sich nach Außen abkapselte, heute in den Archiven einer solch intensiven Durchleuchtung seiner 40jährigen Geschichte ausgesetzt ist, wie wohl kaum eines in der bisherigen deutschen Geschichte. Die Instrumentalisierung der gewonnenen Befunde in den politischen Grabenkämpfen des vereinten Deutschlands ist offenbar, und auch der Versuchung, post festum alte akademische Fehden nun zu einem siegreichen Ende zu führen, wird selten widerstanden.
Nachdem dieser Staat deutsche Geschichte ist, wird Gericht gehalten. Oftmals sind die Urteile schon vor Beginn des Prozesses gesprochen. Historischer Kontext und konkretes Wissen werden kaum abgefragt. Was die auswärtigen Beziehungen des untergegangenen östlichen deutschen Teilstaates angeht, so überwiegen heute Desinteresse oder einfach Ignoranz (1). Für einige zählen diese Beziehungen einfach nicht zur Geschichte der “deutschen Außenbeziehungen”. In der offiziellen deutschen Diplomatie wird die Erinnerung an die Beziehungen des verblichenen Rivalen heute eher vermieden. Gewiß kann die Analyse der Außenbeziehungen der DDR, auch die mit Süd- und Mittelamerika, den rationalen Diskurs über die jüngste deutsche Geschichte befördern. Dabei müssen unsere Forschungsboote den gefahrvollen Weg zwischen der Scylla nostalgisch eingefärbter Rechtfertigung der Außenpolitik des Ancien Regime um jeden Preis und der Charybdis ihrer Pauschalaburteilung in westlich-besserwisserischer Gutsherrenart finden, wollen wir uns dem Horizont historischer Wahrheit nähern. Wissenschaft, wenn sie sich als kritische versteht, sollte dies als Herausforderung annehmen. In diesem Sinne soll im folgenden über die Beziehungen der DDR zu diesem Raum – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – geschrieben werden. Dabei stütze ich mich vor allem auf die ungewöhnlich weit geöffneten Archive im Osten Deutschlands, speziell das der Parteien und Massenorganisationen der DDR in Berlin. Aber natürlich ist es dann auch hier, wie bei jeder historischen Betrachtung, die persönliche Erfahrung des Autors, die manche der bereits Staub ansetzenden Saiten zum Klingen bringen kann.
In größeren Abhandlungen zur DDR-Diplomatie nahmen die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika eher einen marginalen Platz ein. (2) Das entsprach auch dem tatsächlichen Stellenwert dieser Ländergruppe für die DDR-Außenpolitik. Dabei variierte zwar im Verlaufe der vierzig Jahre der Platz einzelner Regionen, wie z.B. Afrika oder der arabische Raum, in der Prioritätenskala. Jedoch waren stets die Beziehungen zur Sowjetunion, zu den östlichen Nachbarn Polen und CSSR sowie zur Bundesrepublik Deutschland an der Spitze der außenpolitischen Agenda. Dies galt sowohl für die politischen als auch für die wirtschaftlichen Beziehungen. Auf den ersten Blick kann die marginale Bedeutung Süd- und Mittelamerikas für die Politik der DDR-Führung aus deren Beschäftigung mit “lateinamerikanischen Themen” abgelesen werden. Erstmals beschäftigte sich das Politbüro am 23. Juli 1956 mit Süd- und Mittelamerika. Es war einverstanden, daß einer “in der UdSSR befindlichen Parlamentsdelegation aus Uruguay eine Einladung der Volkskammer zum Besuch in der DDR überreicht wird.” (3) Letztmalig war diese Region auf der 47. Politbüro-Tagung am 31. Oktober 1989 auf der Tagungsordnung. Verteidigungsminister Heinz Kessler berichtete von seinem Besuch in Nicaragua. Insgesamt kamen die lateinamerikanischen Themen relativ selten auf die Agenda des Machtzentrums der DDR-Gesellschaft, des SED-Politbüros.(4)
Gab es nach der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 angesichts der formal durch die UdSSR eingeschränkten Souveränität bis 1955 eine Zeit außenpolitischer Abstinenz, so begann danach ein Anrennen gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik. Zeitlich reichte dies bis Anfang der 70er Jahre. Politisches Ziel war es, mit möglichst vielen Partnern einen hohen Grad der diplomatischen Beziehungen zu vereinbaren und damit die DDR völkerrechtlich als (zweiten) souveränen deutschen Staat zu etablieren. Süd- und Mittelamerika maß man zunächst dabei keine große Bedeutung zu.

Von anfänglicher Distanz zu informeller Berührung

Eher am Rande erwähnte der damalige Außenminister Lothar Bolz auf einer Botschafterkonferenz im Januar 1957: “Wir bemühen uns, mit einigen Ländern Süd- und Mittelamerikas Handelsbeziehungen aufzunehmen und diese zu erweitern.” Interessant ist dabei nur, daß Bolz auch auf die Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft in Süd- und Mittelamerika verweist, die stärker über den anderen deutschen Staat informiert werden sollten. (5) (In den 70er und 80er Jahren wurde auf diesen Umstand überhaupt nicht bzw. nur sehr zurückhaltend verwiesen.) Die lateinamerikanischen Staaten ihrerseits lehnten offiziell diplomatische Beziehungen ab. Dahinter standen sowohl ein gewisses Desinteresse als auch der erwartete Druck seitens der wirtschaftlich bedeutenderen Bundesrepublik. Während des Besuches einer Delegation des Bundestages im Frühjahr 1960 in Brasilien brachte dessen Präsident Gerstenmeier die Hallstein-Doktrin deutlich mit folgenden Worten zum Ausdruck: “Leider müßten wir mit Brasilien brechen, falls die Beziehungen zu Ostdeutschland aufgenommen würden.” (6) Dazu gehörte auch, daß das Protokoll, das der brasilianische Sonderbotschafter Dantas während seiner Osteuropa-Reise auch in der DDR unterzeichnet hatte, nach diplomatischer Intervention seitens der BRD nicht anerkannt wurde.
Das alles bedeutete jedoch nicht, daß es keine politischen Kontakte auf staatlicher Ebene gab. Der damalige stellvertretende Außenminister Georg Stibi definierte als Ziel der Politik gegenüber dieser Region “die Anerken- nung der DDR als rechtmäßigen deutschen Staat”. Dies mußte aber nicht unbedingt die offizielle Anerkennung bedeuten. Das zu fordern erschien unrealistisch. Es ging deshalb um die “faktische Anerkennung durch die lateinamerikanischen Regierungen”. (7) Dazu wurden verschiedene Kanäle genutzt. Der wichtigste befand sich in den Handelsvertretungen, die es seit Mitte der 50er Jahre in verschiedenen Ländern des Cono Sur gab. Diese arbeiteten auf der Basis von Bankenabkommen und hatten diplomatische Sonderrechte, die ihnen von den Gastländern stillschweigend gewährt wurden. So war es z.B. in Brasilien (8) und in Uruguay. Als weiterer Kanal dienten die diplomatischen Kontakte mit lateinamerikanischen Botschaften in Prag, Moskau und Genf. Hier wurden erste Gespräche über die Aufnahme von Handelskontakten geführt, so beispielsweise 1961/62 mit Mexiko in Genf. Von gewisser Bedeutung waren auch die Besuche von Parlamentsdelegationen aus Süd- und Mittelamerika in der DDR, die jedoch in der Regel inoffiziellen Charakter hatten.

Diplomatischer Durchbruch mit Verzögerung

“Projekt Mission einschließlich diplomatischer Rechte und Funk von Guevara gebilligt. Er sieht keine Schwierigkeiten.” telegraphierte K. sichtlich zufrieden am 12.8.1960 als “streng vertraulich” aus Havanna nach Berlin (Ost). K. führte im Auftrage der DDR-Regierung im Sommer 1960 Gespräche zur Herstellung diplomatischer Beziehungen und war dazu in der Nacht vom 9. zum 10. August 1960 mit Ernesto Guevara de la Serna, el Comandante Che, zusammengekommen. Kuba schien der nächste Stein zu sein, den man aus der Mauer der diplomatischen Nichtanerkennung des “anderen Deutschlands” herausbrechen konnte. “Kuba wird erstes lateinamerikanisches Land, das China und DDR anerkennt”, zitiert K. im artikellosen Telegrammstil Che Guevara. Dieser hatte ihm in einem zweiten Gespräch am 11.8.1960 erklärt, daß die kubanische Führung “bald völligen Wirtschaftsboykott seitens der USA und anderer NATO-Staaten” erwarte und deshalb “Totalumstellung Außenhandel Kuba” bevorstehe. (9) Die kubanische Revolution bedeutete auch eine Zäsur in den Beziehungen der DDR zu Süd- und Mittelamerika. Kuba wurde von nun an der wichtigste Partner in dieser Region. Zugleich verstärkten sich Interesse und Hoffnung der DDR-Führung gegenüber diesem Raum. Nach dem ersten Besuch von Politbüro-Mitglied Paul Verner im Sommer 1960 auf Kuba beschloß das Politbüro am 13.9.1960 nicht nur eine “Direktive über die Weiterentwicklung der Beziehungen mit der Republik Kuba”, sondern es beauftragte auch das Außenministerium “zur Auswahl der Kader und zur Bildung einer Abteilung für südamerikanische Länder in 14 Tagen die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.” (10) Daraufhin wurde auch die 6. Außereuropäische Abteilung geschaffen, die für die Beziehungen mit Süd- und Mittelamerika verantwortlich war. Jedoch verzögerte sich trotz der Zusagen von Che die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen erheblich. Die Zeit lief gegen die DDR. Zwar hatte Guevara dem bundesdeutschen Botschafter von Spretti im Oktober 1960 noch erklärt: “Wir werden mit der DDR Missionen austauschen. Wenn Sie sich damit zufrieden geben, dann können unsere Beziehungen normal weiterlaufen. Falls nicht, so ist das allein Ihre Angelegenheit.” (11) Jedoch wurde den drängenden DDR-Vertretern dann sowohl von kubanischer Seite immer wieder die Bedeutung der kubanischen Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik in Erinnerung gebracht. Dieser Faktor schien im Jahre 1961 angesichts der komplizierter werdenden Lage für die kubanische Führung sogar an Bedeutung zuzunehmen. Ein Abbruch der Beziehungen zur BRD, der von einer DDR-Mission zu erwarten war, sollte vermieden werden. Man schlug deshalb eine “Handelsvertretung” vor, deren Chef jedoch alle Rechte haben sollte. Das würde, so die kubanische Hoffnung, nicht zum Abbruch der Beziehungen zur BRD führen. Das sei aber, so nochmals DDR-Unterhändler K. im Telegramm nach Berlin, ein Widerspruch zu dem, was Che Guevara versprochen hatte, und er fügt etwas resignierend hinzu: “Haben Sache wirklich in günstiger Zeit ungebührlich verzögert.” (12) Die DDR akzeptierte letztlich die kubanische Haltung, und der erste Diplomat der DDR war im Frühjahr 1961 ein “Leiter der Vertretung” im Range eines Gesandten. Erst im Zuge der Verschärfung der Lage nach der Karibik-Krise (Im Westen unter dem Begriff Kuba-Krise bekannt [Anm. d. Red.]) im Oktober 1962 wurde die Vertretung in eine vollwertige diplomatische Mission umgewandelt. Sie erfolgte am 12.1.1963.
Neben Kuba definierte Stibi in der bereits erwähnten Konzeption von 1962 Brasilien als regionalen Schwerpunkt der Politik gegenüber Süd- und Mittelamerika. Hier erwartete man zumindest Regierungsvereinbarungen über Handel, die mit konsularischen Rechten verbunden sein könnten. Hoffnung setzte man auch auf die Entwicklung in Britisch-Guyana, wo nach der Unabhängigkeit mit einer Regierung unter Cheddi Jagan offizielle Beziehungen als möglich erschienen. Als potentielle Partner wurden weiterhin jene Staaten aufgeführt, die sich neben Brasilien auf der OAS-Tagung im uruguayischen Punta del Este 1962 gegen den Druck der USA nicht für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kuba ausgesprochen hatten (Argentinien, Ecuador, Bolivien, Chile, Mexiko und Uruguay). Bei den “Hauptaufgaben 1962” gegenüber der Region wurde nicht nur an die Entsendung von Sonderbotschaftern an die Präsidenten einzelner Länder oder von Briefen an Parlamentspräsidenten zwecks Einladungen an die Volkskammer gedacht, sondern es wurde unter anderem auch die Möglichkeit erwogen, “eine größere Zahl von Facharbeitern aus Lateinamerika in der DDR auszubilden.” (13) Das in dieser Zeit deutlich gestiegene Interesse der DDR an Süd- und Mittelamerika kam auch in dem Vorschlag zum Ausdruck, einen “Sonderbevollmächtigten der DDR für Lateinamerika” mit ständigem Sitz in Brasilien einzurichten. Jedoch kam nach der Machtübernahme der Militärs in Brasilien im März 1964 nicht nur diese Idee nicht zur Umsetzung, sondern angesichts der geringen Aussichten auf eine stärkere diplomatische Präsenz schwand auch das politische Interesse der Führung der DDR an diesem Raum. Andere Regionen, wie Afrika und die arabische Welt, zogen in der Folgezeit stärker die politischen Aktivitäten der DDR an.

Von der Einheit zur Geschlossenheit

Jedoch blieb das Interesse an Kuba. Bis es jedoch zu der “brüderlichen Einheit” der 70er und der “ideologischen Geschlossenheit” der 80er Jahre kam, mußte noch so manche politische Klippe umschifft werden. Die kritische Distanz der SED-Führung gegenüber Fidel Castro und seiner Bewegung zog sich trotz vielfacher Solidaritätsbekundungen für Kuba durch die gesamten 60er Jahre hindurch. In internen Berichten wurde kritisiert, daß Castro “keine Volksvertretung, sondern so etwas wie die gelenkte Demokratie Sukarnos” (indonesischer Präsident in den 50ern, Anm. d. Red.) einführen wolle, wurden die “nicht vertrauenswürdigen Minister” aufgelistet und die “Partisanenmethoden” von Fidel Castro beklagt, die von den anderen nachgemacht würden, “so daß die Unordnung komplett” wäre. (14) Diese im Partei- und Wirtschaftsapparat gepflegten Ansichten müssen auch in offiziellen Verhandlungen sichtbar geworden sein. Fidel Castro beklagte in einem Brief vom 9. November 1964 zu vorangegangenen Wirtschaftsverhandlungen gegenüber Walter Ulbricht, “daß einige deutsche Genossen der Meinung sind, daß es bei einigen kubanischen Funktionären in früheren Verhandlungen spekulative und unredliche Momente gegeben habe.” (15) Ab Mitte der 60er Jahre kam dann das Schisma innerhalb der kommunistischen Bewegung hinzu. Dabei galten bis Anfang der 70er Jahre die kubanischen Sympathien, besonders die Che Guevaras, eher der chinesischen als der sowjetischen Seite.
Ende 1967/ Anfang 1968 kam es dann zu einer ernsthaften Krise in den bilateralen Beziehungen, die in den folgenden Jahrzehnten stets in den Hinterhof der Peinlichkeiten verbannt worden war. Auf der 3. Tagung des ZK der Kommunistischen Partei Kubas im Januar 1968 wurden namentlich Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft und auch der DDR-Botschaft genannt, die man der Zusammenarbeit mit einer prosowjetischen und anticastristischen Fraktion innerhalb der Partei beschuldigte. Mit der als “Mikrofraktion” bezeichneten Gruppe um Anibal Escalante, die von Castro der “Kriecherei” und des “Knechtsinns gegenüber der Sowjetunion” bezichtigt wurde, hätte es (auch in der DDR-Botschaft selbst) Kontakte gegeben. Es gehört sicherlich auch zu den schon erwähnten Listigkeiten der Historie, daß Ende der 80er Jahre gerade jene an der Spitze der Botschaften der UdSSR bzw. DDR in Kuba standen, die 1968 der “Konspiration mit politischen Feinden” und der “Einmischung in die inneren Angelegenheiten” beschuldigt worden waren.
Zwei politische Entwicklungen trugen maßgeblich zu einem veränderten Verhältnis zwischen der DDR und Kuba zu Beginn der 70er Jahre bei. Zum einen war da der Canossa-Gang Fidel Castros nach Moskau und die danach erfolgte umfassende Eingemeindung Kubas in das sozialistische Lager. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Ende der 60er Jahre, die sich mit der gescheiterten 10 Millionen Zuckerrohrernte 1970 zu einer ersten Legitimationskrise Castros verwandelte, sah sich der Máximo Lider aus machtpolitischen Gründen zu einer engeren Zusammenarbeit mit der UdSSR gezwungen. Politbüro-Mitglied Paul Verner hatte nach seinem Besuch Ende 1969 eine “echte Belebung” festgestellt.
Die andere politische Veränderung, die zu einem Wandel in der Sicht auf Kuba, Fidel Castro und auch die Person Che Guevaras in der DDR führte, war die Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker an der DDR-Spitze. Im Unterschied zu Ulbricht, der sich angesichts der ernsthaften Probleme auf Kuba Ende der 60er Jahre in seiner Distanz zu den Barbudos, den Bärtigen, bestätigt sah, fand Honecker ein politisch anderes Kuba vor. Es war nun eindeutig im eigenen Lager gebunden und hatte zudem einen erstrangigen strategischen Wert für die UdSSR. Hinzu kam, daß der personelle Wechsel an der DDR-Spitze auch mit einem gewissen politischen Neuansatz verbunden war, der sich unter anderem auch in einer kulturellen Öffnung zeigen sollte. Das schlug sich z.B. auch in der nun eintretenden öffentlichen Beschäftigung mit Che Guevara nieder. Aus einem anfänglichen Tabu wurde ein propagandistisch breit aufgemachtes Thema. Die Ikone von Che kehrte nun auch in die Studierstuben zwischen Rostock, Babelsberg und Leipzig ein. Gerade bei der studentischen Jugend, die offenbar stets eine Dosis Utopie benötigt, sollte mit diesen beiden Märtyrern die Attraktivität des Sozialismus verstärkt werden. Das blieb nicht ohne Erfolg und machte Che nach seinem Siegeszug durch die Hörsäle von Hamburg, Frankfurt/a.M. und Berlin-West nun zu einem systemübergreifenden “gesamtdeutschen” Idol.
Im folgenden Jahrzehnt nahmen die bilateralen Beziehungen jene Form an, wie sie zwischen “sozialistischen Bruderländern” typisch war: gegenseitige Besuche der Partei- und Regierungsspitze (Honecker 1974 in Kuba und Castro 1977 in der DDR), Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (1980), Koordinierung der Volkswirtschaftspläne, umfangreicher Delegationsaustausch auf allen Ebenen, der sich in den verschiedensten Abkommen niederschlug. Ideologischen Gleichklang hatte man nun auch im Kampf gegen Peking gefunden. Im Dezember 1978 betonte nun Fidel Castro die Wichtigkeit, sich “mit der antisozialistischen Politik der Pekinger Führer prinzipiell auseinanderzusetzen.” (16)
Für Kuba waren die wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR von besonderer Bedeutung. Castro bat in mehreren Briefen an das Politbüro sowohl um zusätzliche Lieferungen (u.a. technische Ausrüstungen, Nahrungsmittel) als auch um die Beibehaltung der für Kuba außerordentlich günstigen Preisrelationen im bilateralen Handel, speziell bei Zucker. 1980 stimmte nach einer Bitte Castros das SED-Politbüro zu, die “gegenwärtigen Preisrelationen im Warenaustausch auch im Zeitraum 1981-1985 beizubehalten”, um die Kaufkraft der kubanischen Exporte zu erhalten. Castro nannte das dann “ein Musterbeispiel für die Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus.” (17) Ungeachtet der konkreten kubanischen Bedingungen und der eigenen Wirtschaftskraft wurde im “Leuchtturm des Sozialismus” (Honecker) solidarische Gigantomanie praktiziert. Kuba erhielt “die größte Brauerei” und das “größte Zementwerk” der Karibik. Beide konnten nie vernünftig ausgelastet werden. Diesen “politischen Entscheidungen”, die die reale wirtschaftliche Lage beider Länder kaum in Betracht zogen, versuchten in den 80er Jahren DDR-Ökonomen, wirtschaftlich sinnvolle Projekte zur Seite zu stellen (Bananenmarkproduktion, Kupferproduktion, Spritrektivikate). Kubanischerseits blieb das Interesse an Großprojekten ungemindert. Da Kuba auch seine Verpflichtungen bei der Lieferung der für die DDR-Innenpolitik so brisanten Südfrüchte kaum erfüllte (1988 hatte man nur zirka 50 Prozent der geplanten Menge geliefert), blieb Kuba bis zum Schluß primär eine “politische Frage”, die man – auch mit Blick nach Moskau – ungeachtet des eigenen wirtschaftlichen Desasters zu lösen versuchte. Bemerkenswert, da im Unterschied zu den anderen Projekten auch über das Ende der DDR hinaus von Relevanz, ist die zwischen 1984 und 1989 erfolgte Ausbildung von rund 30.000 Kubanern in der DDR (80 Prozent davon als Facharbeiter).

In den Farben der DDR

Ab Mitte der 80er Jahre erreichte die politische Übereinstimmung in der starren Ablehnung der Reform-Politik von Gorbatschow ihren Höhepunkt und schließlich auch ihr abruptes Ende. Castros “Rectificación” und Honeckers “Sozialismus in den Farben der DDR” waren gleichermaßen politische Versuche, sich vom sowjetischen Einfluß abzukoppeln und durch innere Verhärtung dem Druck aus Moskau zu widerstehen. Ende der 80er Jahre verstärkten sich nochmals die politischen Kontakte. Politbüro-Mitglieder der SED gaben sich 1988/89 in Havanna gegenseitig die Klinke in die Hand und ließen sich von den Kubanern ihren politischen Starrsinn als “ideologische Festigkeit” bestätigen. Honecker gab seinen Politbüro-Mitgliedern die Rede Castros vom 26. Juli 1989, in der er sich erneut gegen Perestrojka und Glasnost wandte, zur Pflichtlektüre auf. Mit den Worten Raúl Castros “Wir sind sehr stolz auf die Übereinstimmung mit der SED” (18) betonte im September 1989 letztmalig ein Mitglied der kubanischen Führung in Berlin dieses “Bündnis in Agonie”, ehe der andere Partner von der politischen Bühne für immer verschwand.

Ein Schwiegersohn in Chile

Was die Beziehungen zum “restlichen” Süd- und Mittelamerika betraf, so kam es zu Beginn der 70er Jahre, vor allem im Kontext der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO, zu diplomatischen Beziehungen mit der großen Mehrheit der Staaten dieses Raumes. Begonnen hatte die lateinamerikanische Anerkennungswelle mit Chile. Die Regierung der Unidad Popular von Salvador Allende suchte sehr schnell Kontakte zur DDR. Im März 1971 kam es zu ersten Gesprächen über die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Chile war besonders an einer Kooperation in der Kupferproduktion und Chemie interessiert. Die DDR wiederum wünschte von Chile die Fürsprache bei internationalen Organisationen (z.B. in der WHO) und Unterstützung bei der Statuserhöhung ihrer Vertretungen in Süd- und Mittelamerika. (19) In der Folgezeit wurde eine Reihe wirtschaftlicher Abkommen geschlossen, deren volle Umsetzung jedoch durch den Militärputsch im September 1973 verhindert wurde. Das Politbüro beschloß im September 1973, “daß die diplomatischen Beziehungen mit Chile unterbrochen werden.” (20) Zugleich wurde ein Maßnahmepaket angenommen, das sowohl die Rückführung von DDR-BürgerInnen als auch die solidarische Unterstützung der chilenischen EmigrantInnen betraf. In den nachfolgenden 15 Jahren war die DDR Aufnahmeland für Tausende von ChilenInnen und ein Zentrum des chilenischen Widerstandes gegen die Pinochet-Diktatur. Dabei ist vor allem das von der Sozialistischen Partei unterhaltene Büro “Chile Antifascista” in Berlin zu nennen. Die Kommunistische Partei Chiles hatte ihre Auslandsführung in Moskau. Diese Unterstützung wurde mit propagandistischen Kampagnen im Innern verbunden, die mit der Herausstellung der “antifaschistischen Solidarität” eine Grundmaxime im Selbstverständnis der Führung der SED, den Antifaschismus, untermauern sollte. Hinzu kamen bei einer Reihe von Politbüro-Mitgliedern die Erfahrungen des eigenen Exils durch den Faschismus. Das stark innenpolitisch motivierte Festhalten an dem Konzept blockierte aber in den 80er Jahren sowohl die realistische Analyse der Entwicklung in Chile als auch eine adäquate Politik der DDR. Demgegenüber wurde z.B. während der blutigen Militärherrschaft in Argentinien Ende der 70er Jahre weder offizielle Kritik an dem Regime geübt noch in der Presse über die massenhaften Verbrechen berichtet. Offenbar ordnete man sich in diesem Falle stark den sowjetischen Interessen unter, für die Argentinien, vor allem wegen der Getreideimporte, ein wichtiger Faktor war. Sicherlich war für die Chile-Politik auch die durch seinen chilenischen Schwiegersohn entstandene persönliche Beziehung Honeckers zu diesem Land ein wichtiges Moment. Für die Politik gegenüber Chile wurde das jedoch immer mehr zur Selbstblockade. Ab Mitte der 80er Jahre begannen zwar im Apparat die Bemühungen, Chile neu zu thematisieren. Es dauerte aber noch geraume Zeit, bis im März 1989 im Politbüro eine als “Geheime Verschlußsache” eingestufte Vorlage zu “Maßnahmen zur Herstellung von Kontakten mit Chile” bestätigt wurde. (21)

Nicaragua – “Kein zweites Kuba”

Die nicaraguanische Revolution von 1979 fiel in eine Zeit gewachsener diplomatischer Potenz beziehungsweise internationalen Anspruchs der DDR. Die “europäische Mittelmacht DDR” verstand im Kontext des einsetzenden 2. Kalten Krieges die Beziehungen zu Nicaragua als wichtiges Moment der bipolaren Auseinandersetzung. Zugleich wurde bald die These formuliert, daß Nicaragua “kein zweites Kuba” werden solle. Neben der damit verbundenen militärstrategischen Komponente, eine zweite Raketen-Krise lag angesichts der praktizierten Dialogpolitik in Europa nicht im DDR-Interesse, waren es auch die “ökonomischen Erfahrungen” aus der Kuba-Problematik, die ein anderes Herangehen sinnvoller erscheinen ließen. Solidarische Unterstützung wurde verhältnismäßig strikt von bilateralen Geschäften getrennt. In den Konzeptionen wurde immer stärker die “Erwirtschaftung von Devisen” auch in den bilateralen Beziehungen mit Nicaragua betont. Die solidarische Unterstützung war quantitativ, im Vergleich zu Kuba, geringer. Sie entsprach aber viel stärker den konkreten Bedürfnissen des Landes. Die unterschiedlichen Entwicklungsprojekte der DDR waren besser den örtlichen Gegebenheiten angepaßt und orientierten sich an den Grundbedürfnissen der breiten Bevölkerungsmehrheit. Das gilt neben dem Berufsausbildungszentrum in Jinotepe vor allem für das Krankenhaus “Carlos Marx” in Managua.

Vorläufiges Fazit

Die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika hatten für die DDR nur eine relativ geringe Bedeutung und von einer “Lateinamerika-Politik der DDR” zu sprechen, wäre sicherlich verfehlt. Grob können zwei Etappen ausgemacht werden: In einer ersten stand die Frage der diplomatischen Anerkennung im Mittelpunkt. Sie reichte von Mitte der 50er bis Anfang der 70er Jahre. Die DDR bemühte sich, sowohl in Süd- und Mittelamerika selbst als auch mittels der lateinamerikanischen Staaten als gleichberechtigter internationaler Akteur akzeptiert zu werden. In der zweiten Etappe (ab 1972/73 bis 1989) ging es der DDR in den Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika um den politischen und rechtlichen Ausbau dieser Beziehungen. Letzteres betraf vor allem die Konsularbeziehungen, in denen die politisch wichtige Staatsbürger-Problematik berührt, aber nie zur eigenen Zufriedenheit gelöst werden konnte. Die DDR-Führung bemühte sich zugleich um ein eigenständiges Auftreten in der Region. Die steigende Zahl von Besuchen lateinamerikanischer Außenminister in der DDR machte ebenfalls die beginnende Normalität in den bilateralen Beziehungen deutlich. Kuba hatte als Mitgliedsland des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und durch die engen bilateralen Bindungen einen besonderen Stellenwert für die DDR. Die Anstrengungen, die wirtschaftlichen Potentiale der Region stärker zu nutzen, scheiterten nicht zuletzt an der eigenen ökonomischen Schwäche und an der mangelnden internationalen Kooperationsfähigkeit. Wie in realsozialistischer Außenpolitik generell, so war auch in der Politik der DDR-Führung gegenüber dieser Region ein erhebliches Maß an Ideologie, manchmal auch revolutionärer Romantik, vorhanden. Diese Politik sollte dem System natürlich auch Legitimität verschaffen. Angesichts eigener Erstarrung waren lateinamerikanische Vitalität und Revolutionsrhetorik willkommen, wenn auch diese dann selbst an die realsozialistischen Mauern stießen.
Trotz einer gewissen Versachlichung des Lateinamerika-Bildes blieb der Subkontinent auch in der “späten DDR” ein Fluchtpunkt revolutionärer Ideen und romantischer Utopien. Damit stand man in jener jahrhundertealten westeuropäischen Geistestradition, die bis heute die “Neue Welt” als letzte Zufluchtsstätte revolutionärer Visionen versteht. Und das galt sowohl für die “alten Herren” des Politbüros als auch für viele Jugendliche und Intellektuelle. Viele Details der Beziehungen zu Nicaragua sind nur aus der großen Sympathie Erich Honeckers für Daniel Ortega, den er gewissermaßen als “politischen Enkel” verstand, erklärbar.
Die schwindende materielle Untersetzung des internationalen Engagements begrenzte jedoch sowohl den Ausbaus der sachlichen Beziehungen zur Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten als auch die unbegrenzte Fortsetzung der solidarischen Beziehungen zu einzelnen Ländern.
Ab Mitte der 80er Jahre führte das starre Festhalten an einem entwicklungsunfähigen Gesellschaftssystem innenpolitisch zur Agonie und außenpolitisch in die Isolation. Nach der Wende im Herbst ’89 fiel dieser Raum fast völlig aus dem Gesichtskreis der ostdeutschen Politik. Weder die zwei Modrow-Regierungen noch die erste frei gewählte Regierung unter de Maiziere verwanden ernsthaft politische Energien für die Beziehungen mit diesem Raum. Allein die entwicklungspolitisch aktiven Gruppen, die zum Teil in der Bürgerbewegung der Wende verwurzelt waren, thematisierten noch Süd- und Mittelamerika als Teil des Südens. Als dann der 3. Oktober 1990 nahte, blieb den DDR-Diplomaten in den lateinamerikanischen Hauptstädten nur noch übrig, ihre Gebäude besenrein zu übergeben. Sie selbst fielen in das schwarze Loch sozialer Unsicherheit. Vom Auswärtigen Amt wurde kaum jemand übernommen. Viele der DDR-Immobilien in diesen Ländern wurden veräußert und das Mobiliar großzügig verschenkt. Geblieben ist nur die Geschichte. Diese aber kann man weder verkaufen, noch verschenken, sondern wir müssen sie als Teil der deutschen Außenbeziehungen des 20. Jahrhunderts annehmen.

Anmerkungen:
1. Vgl. dazu ausführlich Erhard Crome/ Raimund Krämer; Die verschwundene Diplomatie. Rückblicke auf die Außenpolitik der DDR, in: WeltTrends, Heft 1 (1993), S. 128-146.
2. Vgl. Geschichte der Außenpolitik der DDR, Abriß, Staatsverlag: Berlin 1985. Das gilt auch für eine Abhandlung über die Außenpolitk der Entwicklungsländer, in der der Autor für den Abschnitt “Lateinamerika” verantwortlich war: Vgl. Autorenkollektiv, Die Außenpolitik befreiter Länder, Staatsverlag,: Berlin 1983, 6.Kapitel.
3. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Zentrales Parteiarchiv (im weiteren abgekürzt: SAPMO, BArch.-ZP), Sign.-Nr. J IV 2/2 – 491.
4. Im Zeitraum von 1949 bis 1989 war diese Region insgesamt 346 Mal auf der Tagungsordnung des Politbüros. Bei wöchentlich durchschnittlich 15 Tagesordnungspunkten (in den 70er und 80er Jahren war die Zahl deutlich höher als in den 50er und 60er Jahren) war es insgesamt nur zirka 1 Prozent der Protokollpunkte, in denen sich das höhste Machtgremium der DDR mit Süd- und Mittelamerika beschäftigte. Dabei konzentrierte sich dies auf Kuba (153 Mal auf der Tagesordnung), Nicaragua (56) und Chile (50).
5. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/81.
6. Journal do Comercio, Rio de Janeiro, 29.3.1960.
7. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/49.
8. Zu Beginn der 60er Jahre hatten in Brasilien der Leiter der Vertretung und seine Frau einen Diplomatenpaß, die Handelsvertretung konnte chiffrierte Telegramme empfangen und senden, deren Mitarbeiter hatten keine Steuern zu zahlen, ein Dienstsiegel mit DDR-Wappen konnte geführt und eine Art Vorvisabescheinigung ausstellt werden. Ebenda.
9. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/ IV/ 2/ 20/147 Bl.1.
10. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/2-724.
11. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY/ IV/2/20/147/ Bl.21.
12. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/IV/ 2/20/142/ Bl. 178.
13. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20//49.
14. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/202-367.
15. Ebenda.
16. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV B/20/592.
17. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1834.
18. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/2. 035/41.
19. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1333.
20. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1469.
21. Zu diesen gehörten u.a. die “Errichtung einer Interessenvertretung der DDR mit konsularischen Rechten”, die Aktivierung der komerziellen Beziehungen, die Veränderungen der Sendungen von Radio Berlin International, dem Auslandssender der DDR, sowie der Wiederaufbau einer Freundschaftsgesellschaft DDR-Chile. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-3204.

Tania – Guerrillera aus Eisenhüttenstadt

Bolivien, Ende August 1967. Eine kleine Gruppe schlechtgekleideter, ausgehungerter Partisanen nähert sich vorsichtig der Holzhütte des Bauern Honorato Rojas. Unter ihnen ist eine Frau, Ende zwanzig, mit dunkelblondem, welligem Haar – Tamara Bunke, alias Tania, alias Laura Gutiérrez Bauer. Ihr Rucksack wiegt nicht weniger als der der anderen Compañeros – 30 Kilo, die sie durch die tropische Hitze schleppt. Krankheit, Unterernährung und die ständige Furcht, von den Militärs entdeckt zu werden, plagen seit Monaten Che Guevaras ehemals 14köpfige Nachhut. Sieben Compañeros und ein „Ausgeschlossener“ – ein Deserteur – sind übrig geblieben. Nur wenige Meter sind es noch bis Honoratos Hütte, wo sie um Verpflegung und Arzneimittel bitten werden. In der Umgebung fallen Schüsse der Soldaten, die sich den Partisanen seit April an die Fersen geheftet haben, bisher erfolglos. Honorato erhält Geld von den Partisanen und den Auftrag, bis zum nächsten Tag lebensnotwendige Sachen herbeizuschaffen. Auch Che hatte vor einigen Monaten bei Honorato Halt gemacht. Damals vermerkte er in seinem Tagebuch: „Der Bauer ist…unfähig, uns zu helfen, aber auch unfähig, die Gefahr zu erkennen, die ihm selbst droht. Deshalb ist er möglicherweise gefährlich.“ Tags darauf bewegen sich die Partisanen, eingedeckt mit Lebensmitteln und Medikamenten, flußaufwärts entlang des Río Grande. Honorato führt sie bis in die Nähe einer Furt, dann verabschiedet er sich schnell. Kurz darauf zerreißen Gewehrsalven die schwüle Luft und das monotone Rauschen des Flusses. Sieben Guerilleros stürzen in die Fluten; die meisten tödlich getroffen. Erst nach einer Woche finden Soldaten Tamaras Leiche über einen halben Kilometer flußabwärts. In ihrem Rucksack finden sie neben Notizbüchern und Ausweis einen von einer Kugel durchbohrten Aluminiumteller und ein Tonband mit lateinamerikanischer Folkloremusik, eine Leidenschaft von Tamara.

Eine Argentinierin in der DDR

Als Tamara 1961 die DDR in Richtung Kuba verließ, hatte sie wohl nicht einmal im Traum daran gedacht, drei Jahre später für Ches Guerillagruppe in Bolivien ausgewählt zu werden. Damals wollte sie nach einem längeren Aufenthalt auf Kuba in ihre angestammte Heimat Argentinien zurückkehren. Dort war sie am 19. November 1937 als zweites Kind der deutschen Emigranten Nadjeshda und Erich Bunke geboren worden, einer Familie mit beachtlicher revolutionärer Tradition. Die Eltern engagierten sich in der illegalen Kommunistischen Partei Argentiniens, und Tamaras Großvater mütterlichseits hatte bereits 1905 in der russischen Revolution in den Reihen der Aufständischen gekämpft.
Tamara war ein sehr lebhaftes und begeistertes Kind, erinnert sich die heute 87jährige Frau Bunke. Mit drei Jahren ist sie das erste Mal allein auf einem Pferd geritten, eine Leidenschaft, die sie wohl von ihrer Mutter geerbt hatte. 1952 kehrte die Familie in die DDR zurück, wo Tamara ihre sportlichen Fähigkeiten in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) der damaligen Clara-Zetkin-Schule in Eisenhüttenstadt perfektionierte. Sie war eine der besten Schützinnen und Springreiterinnen der Region. Das Sportschießen in der GST sollte später eine wichtige Grundlage für ihre militärische Ausbildung auf Kuba sein, wo sich Tamara zu einer treffsicheren Schützin entwickelte.
Während der neun Jahre in der DDR träumte Tamara von ihrer Rückkehr nach Argentinien. Kulturell und emotional fühlte sie sich stark zu Lateinamerika hingezogen, zur dortigen Lebensart, der Musik und der revolutionären Jungfräulichkeit des Kontinents. Sie nutzte Briefwechsel, ihre Dolmetschertätigkeit und private Kontakte zu Lateinamerikanern in der DDR, um sich genauestens über die Ereignisse auf dem Kontinent zu informieren. 1957 borgte sie sich von ihren Eltern 350 Mark und fuhr auf eigene Faust zu den Moskauer Weltfestspielen. Dort fand sie schnell Anschluß an Kubaner, von denen sie mehr über Fidel Castros Guerilla-Training in der Sierra Maestra erfahren wollte, ein Thema, das sie brennend interessierte.
Nach der Kubanischen Revolution stand für Tamara fest, daß sie über kurz oder lang die DDR verlassen würde, um „den Aufbau des Sozialismus in Kuba mitzuerleben. Später war sie dann so begeistert von Kuba, daß sie bleiben und sogar kubanische Staatsbürgerin werden wollte,“ erklärte die Mutter.
Doch zunächst verbrachte sie noch über zwei Jahre in Berlin. Bereits im November 1955, zu ihrem 18. Geburtstag, stellte sie von sich aus einen Antrag zur Aufnahme in die SED. Ihre Eltern erfuhren erst später davon. Nach dem Abitur arbeitete Tamara ein Jahr als Dolmetscherin im Außenministerium. Danach schrieb sie sich am Romanistischen Institut der Humboldt-Universität ein – ein Studium, das sie wegen ihrer häufigen Dolmetschereinsätze und politischen Aktivitäten weniger intensiv betrieb. Auch an der Universität suchte sie den Kontakt zu Lateinamerikanern. Gemeinsam mit einigen lateinamerikanischen Studenten gründete sie 1959 die Ernst-Thälmann-Gruppe. In dieser Gruppe konnte Tamara einerseits ihr großes Informationsbedürfnis über politische Ereignisse in Lateinamerika befriedigen und andererseits die lateinamerikanischen Studenten über aktuelle Vorgänge in der DDR auf dem laufenden halten. Das Letztere lag Tamara besonders am Herzen.
Die Krönung ihrer Dolmetschertätigkeit war zweifellos 1960 der Besuch der kubanischen Wirtschafts- und Handelsdelegation, die von Che Guevara, damals Wirtschaftsminister auf Kuba, geleitet wurde. Tamara dolmetschte für Che auf einem Treffen mit Studenten in Leipzig, ein Ereignis, das einen großen Eindruck auf sie machte. „Für Tamara, die in Argentinien geboren und aufgewachsen war, bedeutete die Tatsache, daß sie an diesem Treffen teilnehmen und für Che dolmetschen durfte, außerordentlich viel. Sie fühlte sich dort ganz als Argentinierin. Dieses erste Zusammentreffen mit Che steigerte ihre Bewunderung und Achtung, die sie für ihn, den Argentinier, Kommunisten, Partisanen…hegte“ (Frau Bunke).

Wahlheimat Kuba

Am 9. Mai 1961 verließ Tamara mit argentinischem Paß und einem DDR-Paß für Ausländer die DDR Richtung Kuba. Zuvor hatte sie ausdrücklich darum gebeten, die DDR-Staatsbürgerschaft abgeben zu dürfen. Sie wollte beim „Aufbau des Sozialismus“ in Kuba vor Ort sein, persönlich mit „anpacken“. Dabei, so ihre Mutter, kamen Tamara ihre Erfahrungen, die sie in der DDR, besonders in der FDJ (Freie Deutsche Jugend), gesammelt hatte, zugute. Den Sozialismus in Lateinamerika aufzubauen – das war ihr ganz persönliches politisches Ziel, und Kuba bot ihr ein exzellentes Betätigungsfeld. „Sie sehnte sich nach einer revolutionären Tätigkeit von größerem Ausmaß als der, die sie in Berlin durchführte“ (Hortensia Gomez, ehem. Direktorin der kubanischen Zeitschrift „Mujeres“). Diese Tätigkeit fand sie auf Kuba.
Im Gegensatz zur DDR propagierte die kubanische Führungselite, den bewaffneten militärischen Kampf in anderen Ländern zu unterstützen und mit Hilfe gut ausgebildeter Guerillagruppen eine revolutionäre Situation zu erzeugen, die später in eine Revolution à la Kuba münden würde. Die DDR-Führung hingegen hielt, entsprechend der sowjetischen Linie, nichts vom „Revolutionsexport“ und distanzierte sich vom „revolutionären Abenteurertum,“ das Ches und Castros foco-Theorie verkörperte (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Zentrales Parteiarchiv, Sign.-Nr. DY 30 IV A2/20/85, im weiteren SAPMO, BArch.-ZP).
„Ich glaube, Kuba war für Tamara die schönste Zeit ihres Lebens, dort hat sie sich am wohlsten gefühlt,“ resümiert Frau Bunke. Dreißig, größtenteils enthusiastische Briefe schrieb sie in jener Zeit an ihre Eltern. Danach erreichte sie nur noch ein Brief über Umwege aus Bolivien.
Tamaras Aktivismus auf Kuba kannte keine Grenzen. Sie war überall dabei, engagierte sich u.a. im Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP), in der Frauenföderation, als Übersetzerin für verschiedene Ministerien. Nebenbei studierte sie Journalistik und machte Dienst in den Stadtviertelmilizen. 1963 begann ihre militärische und konspirative Ausbildung für den Guerilla-Kampf in Bolivien. Das Ziel ihrer Ausbildung erfuhr Tamara jedoch erst kurz vor ihrer Abreise 1964, die sie ein letztes Mal nach Europa führte. Von West-Berlin aus schaute sie gen Osten, wo ihre Familie lebte, die sie seit über drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Hochhäuser des Zentrums schienen verlockend nah. Still und ganz für sich allein nahm sie Abschied auf unbestimmte Zeit.
Monate später traf Tamara in Bolivien als Laura Gutiérrez Bauer, Argentinierin, von Beruf Ethnologin, ein. Zwei Jahre sammelte sie Informationen über die bolivianische „high society“, den Regierungs- und Militärapparat, Unternehmer und den Einfluß der Amerikaner auf Politik und Wirtschaft. Tamara knüpfte Verbindungen zu den höchsten Regierungskreisen, bis hin zum damaligen Präsidenten Barrientos und den Oberbefehlshaber der Streitkräfte General Ovando. So bereitete sie die Ankunft von Ches Guerillagruppe im Herbst 1966 vor und schloß sich im März 1967 selbst der Gruppe an.
Tamaras Wunsch, in einer Revolutionsavantgarde in Lateinamerika mitzukämpfen, war in Erfüllung gegangen. Sie wurde zu „Tania – la Guerrillera.“ Die Wahl dieses Namens war keineswegs zufällig. Tania war der Partisanenname einer 17jährigen Russin, Sonia Kosmotimianskaja, die im Zweiten Weltkrieg auf von Faschisten besetztem Gebiet in Rußland kämpfte, in Gefangenschaft geriet und gehängt wurde. Tamara hatte diese Geschichte in der DDR im Russischunterricht gelesen, eine Geschichte, die einen überwältigenden Eindruck auf sie gemacht hatte. Ebenso fasziniert war sie von Ruth Werners Buch „Ein ungewöhnliches Mädchen,“ in dem die Geschichte einer jungen Frau erzählt wird, die sich in China den Partisanen anschließt und Mann und Kind zurückläßt. Tamara fragte ihre Mutter, was sie davon halte; „du bist doch so für Familie.“ Als ihre Mutter meinte, daß junge Leute ihren eigenen Weg gehen müssen, war das quasi der Freibrief für Tamaras Untergrundarbeit Jahre später.

Bürokratische Mühlen mahlen langsam

Nach der Bekanntgabe von Tamaras Tod in einer Anzeige im November 1967 herrschte in der DDR zunächst Schweigen. Im Oktober hatten Bunkes auf Kuba vom Tod ihrer Tochter und Ches erfahren. Aus Rücksicht auf noch kämpfende Partisanen in Bolivien wiesen die Kubaner an, „bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nichts zu schreiben.“ Anfang März 1968 stellten sich die letzten Guerillakämpfer aus Ches Gruppe der chilenischen Polizei. Damit wurde die Informationssperre hinfällig. Kubanische Zeitungen veröffentlichten erste Artikel über die Guerilla in Bolivien.
Die Frau des kubanischen Botschafters in der DDR, Sílvia Nireida Pérez Llombard, trat an Frau Bunke heran, um Material für einen Artikel über Tamara für die Zeitschrift „Mujeres“ zusammenzutragen. Dreißig Seiten umfassende Dokumente, Briefe, Interviews und Fotos übergab Tamaras Mutter am 22. August 1968 ebenfalls dem Chefredakteur der „Jungen Welt,“ Horst Pehnert, für eine bald zu veröffentlichende Artikelserie. Am 31. August, dem ersten Todestag von Tamara, überschwemmte eine Welle von Veröffentlichungen sowohl aus dem linken als auch dem rechten Lager die internationale Presse (SAPMO, BArch.-ZP DY 30 IV A2/20/185).
Ein kleiner Artikel, in der „Jungen Welt“ „überschwemmte“ auch die DDR Presse. Während kubanische Journalisten auf Anraten Fidel Castros bereits ein Buch „Tania – la guerrillera inolvidable“ über Tamara zusammenstellten und Teile der rechten bürgerlichen Presse mit Geschichten über die vermeintlich „dreifache Spionin und Geliebte Ches“ eine regelrechte Verleumdungskampagne starteten, hüllten sich die DDR-Medien in peinliches Schweigen. Warum? Hatten einige SED-Funktionäre „politische Bauchschmerzen,“ den revolutionären Abenteuergeist einer jungen ehemaligen DDR-Bürgerin mit der „politisch korrekten Linie“ zu vereinbaren? „Es muß… vermieden werden, in irgendeiner Weise auf die kubanische Konzeption der Revolution in Lateinamerika einzugehen,“ teilte der mit der Überarbeitung der dreißig Seiten betraute SED-Genosse seinem Vorgesetzten, Friedrich Trappen, in einem Schreiben vom 4. März 1969 mit (SAPMO, BArch.-ZP DY 30 IV A2/20/185). Und: „Che Guevara wird nur insofern eine Rolle spielen, als es durch die Veröffentlichung seines Tagebuchs bereits bekannt ist,“ um „jeden Gedanken an Abenteurertum auszuschließen“ (SAPMO, BArch.-ZP DY 30 IV A2/20/185). Nach zwei Briefen von Frau Bunke an den persönlichen Freund und Politbüromitglied Werner Lamberz und den Sekretär des Zentralrats der FDJ, Frank Bochow, in denen sie sich – nun langsam ungeduldig – nach den Fortschritten in der vorgesehenen Artikelserie erkundigte, erschien im März 1969 in der „Jungen Welt“ die seit August geplante 13teilige Serie über Tamara Bunke.
Tamara wurde zum politischen Vorbild in der DDR. Über 240 Kollektive und Organisationen sowie Straßen und Schulen wurden nach ihr benannt. Zwei Bücher, die kubanische Übersetzung von „Tania“ und „Der Weg zum Río Grande“ von Eberhard Panitz, wurden veröffentlicht. Ob Tamara jedoch dem durchschnittlichen DDR-Bürger, dessen Kollektiv nicht ihren Namen trug, ein Begriff war, ist fraglich. Im Geschichtsunterricht jedenfalls wurde das DDR-Kapitel Tamara Bunke ausgespart.
Die achtmonatige „Bearbeitungszeit“ des dreißigseitigen Manuskripts mag eine absichtliche Verzögerung von Veröffentlichungen über Ches Kampfgefährtin in der DDR nahelegen. Jedoch bleibt diese Vermutung aus Mangel an Beweisen spekulativ. Und Frau Bunke selbst wehrt derartige Gedanken energisch ab: „Es ist nicht wichtig, was ich in meinen dreißig Seiten an Pehnert geschrieben habe, sondern was 1969 in der Serie der „Jungen Welt“ erschienen ist. Vielleicht war ich zu abschweifend…Naja, Sie wissen doch, DDR-Mühlen mahlen eben langsam.“

Wenn die Ausnahme die Regel ist…

Tote und Verletzte gab es in den vergangenen Wochen in der bolivianischen Provinz Chapare, wo auf tausenden von Hektarn Kokablätter wachsen. Die Regierung unter Präsident Hugo Banzer hat 2.000 Polizisten und Soldaten gegen Kokabauern und deren Familien eingesetzt. Der frühere Diktator, so scheint es auf den ersten Blick, zeigt sein wahres Gesicht, auf Kosten der bolivianischen Demokratie, nach deren Regeln er 1997 demokratisch erneut ins Amt gewählt wurde.
Es ist allerdings zu bezweifeln, ob irgendjemand im Chapare einen Gedanken an die zwanzig Jahre zurückliegende Vergangenheit des Hugo Banzer verschwendet. Seit Jahren sind die Probleme ebenso die gleichen wie die „Lösungsversuche“ von Seiten der diversen demokratisch gewählten Regierungen.
Auch unter Banzers Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada, international respektiert wegen seines ambitionierten Reformprogramms, lebten die Kokabauern des Chapare mit einem ständigen Hin und Her zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Gestern Verhandlungen, heute ein Militäreinsatz, der eine Spur von Diebstahl und Mißhandlungen bis hin zu Todesopfern in den betroffenen Dörfern hinterläßt, und morgen kündigt der Präsident vielleicht wieder einen Gesprächstermin mit der Cocalero-Gewerkschaft an: Im Chapare lebt man mit der Erfahrung, sich auf nichts verlassen zu können.
Die meisten Bauern haben keine Alternative zum Kokaanbau. Das weiß auch die Regierung in La Paz. Die muß auf die US-Botschaft Rücksicht nehmen, die ein vehementes Einschreiten gegen den Drogenhandel fordert und dabei die Keule der descertificación schwingt, einer Art politischen Mißtrauensvotums mit drastischen finanziellen Folgen für den betroffenen Staat.
Die US-Seite versteht unter dem Kampf gegen den Drogenhandel das Ausreißen von Kokafeldern. Mehrere tausend Hektar müssen es pro Jahr sein. Zwar ist längst bekannt, daß trotz allen Ausreißens die Gesamtanbaufläche nicht abnimmt – man kann schließlich auch neue Felder anlegen – aber was soll’s. Mit spektakulären Bildern von zerstörten Kokapflanzungen hat die US-Regierung zuhause eine gute Presse in Sachen Drogenbekämpfung sicher.
Die staatliche Gewalt im Chapare ist kein „Problem Banzer“ und auch nicht nur ein Problem der Abhängigkeit von den USA. Was fehlt, ist eine demokratische politische Kultur, innerhalb derer zivile Konfliktlösung selbstverständlich wäre, ein Problem mit dem Bolivien in Lateinamerika nicht allein steht. Auch andere junge Demokratien haben ihr Problem damit, die formal vorgesehenen Konfliktlösungsmechanismen auch Wirklichkeit werden zu lassen, wenn es darauf ankommt.
Aber ob in Bolivien oder in Chile: Die Eliten rühmen fast unisono die neu gewonnene demokratische politische Kultur. Kompromisse und Koalitionen seien an die Stelle von Konfrontation und gegenseitiger Vernichtung getreten, so jubelt es allerorten. Nichts gegen die Freude über das Ende der Militärdiktaturen, aber es reicht nicht, wenn einst verfeindete Parteien miteinander Koalitionsregierungen bilden. Ob eine neue politische Kultur verankert ist, beweist sich in Konfliktsituationen.
Für die angeblich inzwischen so stabile bolivianische Demokratie sieht die Bilanz dabei nicht gut aus. Jede gewählte Regierung seit 1985 hat einmal den Ausnahmezustand ausgerufen, um soziale Konflikte mit Gewalt unter Kontrolle zu bekommen. Sánchez de Lozada verhängte ihn nach Gewerkschaftsprotesten im April 1995 gleich für ein halbes Jahr – die Verfassung erlaubt nur drei Monate. Auch der Verweis darauf, die Mehrheit der Bevölkerung sei mit dem Ausnahmezustand einverstanden, hilft nicht weiter. Im Gegenteil, er belegt, wie brüchig der gepriesene demokratische Konsens in der Gesellschaft ist.
Hugo Banzer hat den Ausnahmezustand im aktuellen Konflikt, in dem neben den Kokabauern im Chapare auch wieder die Lehrergewerkschaft in La Paz mobilisiert hat, noch nicht verhängt. Vielleicht will er sich dieses Mittel noch eine Weile aufheben, vielleicht hat er Sorgen um seinen internationalen Ruf, wahrscheinlich gilt beides. Bewaffnete Einsätze im Chapare jedenfalls gehören zur Normalität der real existierenden Demokratie in Bolivien, und auch der Ausnahmezustand wäre keine Ausnahme.

Die certification, eine abgenutzte Waffe

Anders als in den vergangenen beiden Jahren wurde Kolumbien, dessen Präsident Ernesto Samper bis zum letzten Moment zittern mußte, die Bescheinigung „im nationalen Interesse“ der USA ausgestellt. Zwar wurde der bedingte „Freispruch“ von Vertretern der kolumbianischen Regierung und Opposition, von Unternehmern und Menschenrechtsaktivisten gleichermaßen gefeiert, doch gibt es in Kolumbien kaum mehr jemanden, der diesen Mechanismus als taugliches Instrument zur Eindämmung des Dro-genhandels und -konsums betrachtet.
Nicht einmal der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Andrés Pastrana, der 1994 in der Stichwahl gegen Ernesto Samper unterlegen war, hätte sich über eine neuerliche Bestrafung seines Landes gefreut. In einem Brief an den US-Kongreß hatte er sich für die Zertifizierung eingesetzt, obwohl er behaupten kann, er hätte seinerzeit nur verloren, weil Samper von den Drogenbossen sechs Millionen Dollar für die Wahlkampfkasse bekommen hat. Diese von Samper nicht glaubwürdig widerlegten Vorwürfe waren ja auch der Grund für die Maßregelung Kolumbiens durch die US-Regierung.
Im Jahre 1986 verabschiedete der Kongreß in Washington das Drug Abuse Act. Alarmiert durch den steilen Anstieg von Drogenkriminalität und Suchtmittelmiß-brauch in den USA, sollte so die Drogenbekämpfung vor allem zu einer polizeilich-militärischen An-gelegenheit gemacht werden.

Hehre Vorsätz

Seither muß der Präsident jedes Jahr eine Bescheinigung ausstellen, daß Staaten, auf deren Territorien verbotene Suchtmittel hergestellt oder für den Export verladen werden, in der Drogenbekämpfung ausreichend kooperieren. Gerechtfertigt wird diese interventionistische Zeugnisverteilung mit dem Argument, daß es um Steuergelder der US-Bürger gehe. Denn wer nicht besteht, bekommt keine Wirtschaftshilfe.
Seit Ronald Reagan hat denn auch jeder US-Präsident mit einem neuen Programm den Drogen den Krieg erklärt. Mit geringem Erfolg. Der steile Aufstieg der Modedroge Kokain ist nicht aufzuhalten, während das ebenso billige wie gesundheitsschädliche Nebenprodukt Crack ganze Generationen von – hauptsächlich schwarzen – Jugendlichen ruiniert. Der Kokainbedarf der gestreßten Manager, Yuppies, Rockmusiker und Filmsternchen wird fast zur Gänze aus der Produktion der Andenländer gedeckt. Ursprünglich vor allem aus Bolivien und Peru, wo der rituelle Konsum des Coca-Blattes seit Jahrtausenden medizinische und religiöse Bedeutung hat. Verarbeitet wurden die Blätter teils in den Ursprungsländern, teils in Kolumbien. Dort entwickelte sich in den 70er Jahren eine auf den Transport in die USA spezialisierte Mafia. In den letzten Jahren hat sich Kolumbien, wo es kaum traditionelle Coca-Konsumenten gibt, auch als wichtigstes Anbaugebiet etabliert. Zig-tausende Hektar Tropenwälder mußten weichen, um dem rentablen Agrarprodukt Platz zu machen.
Daß Staaten, denen die Zer-tifikation verweigert wird, keine Wirtschaftshilfe von den Vereinigten Staaten bekommen, können die meisten verkraften. Schmerzhafter ist, daß ihnen der Zugang zu günstigen Krediten der internationalen Finanzinstitutionen verwehrt wird, weil sich die USA querlegen. Zusätzlich kann es noch Wirtschaftssanktionen setzen, etwa die Kürzung von Exportquoten oder das Streichen von Zollpräferenzen. Länder wie Afghanistan, Myanmar und Nigeria stehen regelmäßig auf der schwarzen Liste. Nicht zufällig handelt es sich um politisch ausgegrenzte Staaten, mit denen die USA sowieso kaum Wirtschaftsbeziehungen unterhalten.
Für die cocaproduzierenden Andenländer, die wirtschaftlich sehr eng mit den USA verflochten sind, wurde die certification jahrelang nur als Damoklesschwert eingesetzt. Sie diente vor allem dazu, die Regierungen zu radikalen Anti-Drogenprogram-men zu zwingen. Mit verheerenden innenpolitischen Folgen. In Bolivien wurden Spezialeinheiten der Armee eingesetzt, um die Coca-Sträucher auszureißen. Bei Zusammenstößen gab es in diesem sonst eher friedlichen Land Tote und Verletzte.

Wo kein Rubel rollt

Als Kolumbiens Präsident Virgilio Barco 1989 begann, wunschgemäß Drogenhändler an die USA auszuliefern, antwortete das Kokainkartell von Medellín mit einer beispiellosen Terrorwelle, der Richter, Journalisten und mehrere Präsidentschaftskandidaten zum Opfer fielen.
Der Erfolg: Die Anbaufläche der verbotenen Kulturen, Coca und zunehmend Schlafmohn für die Heroingewinnung, weitete sich aus, weil die Nachfrage in den USA zunahm. Programme, die alternative Kulturen fördern sollten, erwiesen sich mehrheitlich als politische Feigenblätter. Zur nachhaltigen Existenzsicherung der Bauern dienen sie nicht.
Schon lange erscheint es den Kritikern des Zertifikationsme-chanismus obszön, daß der größte Kokainkonsument der Welt über den größten Kokainproduzenten richtet. Schließlich gehorcht die vermehrte Produktion nur dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Bei Mexiko ist manches anders

Daß Kolumbien vor zwei Jahren, ausgerechnet nach der Festnahme der wichtigsten Chefs des Drogenkartells von Cali, erstmals dezertifiziert wurde, war auch in den USA nicht unumstritten. So griff die New York Times das Thema in einem Leitartikel auf und stellte die Tauglichkeit der certi-fication als Instrument der Dro-genbekämpfung in Frage. Die Pro-duzentenländer zu bestrafen sei gefährlich und trage nur zur Mythenbildung über die Drogenproblematik bei. Den Menschen werde vorgegaukelt, daß nur Lateinamerika schuld sei und nicht die USA, wo die Nachfrage ständig steige. Im übrigen hätte Kolumbien sicherlich mehr gegen die Drogen unternommen als Mexiko.
Dort erreichte die Verstrickung der Drogenmafia mit allerhöchsten Kreisen von Regierung und Armee zwar unter Präsident Salinas de Gortari (1988-1994) einen makabren Höhepunkt, wird aber unter Ernesto Zedillo keineswegs wirksam bekämpft. Dennoch kann das Land aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht dezertifiziert werden. Eine rote Karte für den NAFTA-Partner wür-de die Integrationspolitik, von der besonders die USA profitiert haben, zunichte machen.
Kolumbien hat zwar in den letzten Jahren keine Wirtschaftshilfe, aber zunehmend Militärhilfe bekommen. Daß die für Drogenbekämpfung bestimmten Gelder in zunehmendem Maße für die Guerillabekämpfung eingesetzt werden, ist dem Pentagon längst bekannt. Schließlich wurden die Guerillaorganisationen FARC und ELN, die Coca-Bauern beschützen und „Steuern“ von Zwischenhändlern kassieren, erfolgreich als „Narco-Guerilla“ gebrandmarkt. Unangenehm nur, daß selbst das State Department in seinen jüngsten Länderberichten einen Zusammenhang mit den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Paramilitärs herstellt. Der Zertifikationsmecha-nismus hat damit entscheidend an Überzeugungskraft eingebüßt. Wenn Präsident Clinton durch eine Offensive gegen die Drogen von seinen Grapsch-Affairen ablenken will, wird er sich wohl eine neue Strategie zurechtlegen müssen.

Macht Literatur Politik?

Was hat Literatur mit Politik zu tun? Nicht viel, möchte man auf den ersten Blick meinen, denn für das politische Geschäft sind diejenigen zuständig, die es betreiben – eben die Politiker, von der Regierungschefin bis zum Demonstranten. Bestenfalls sind alle aufgefordert, sich für Politik zuständig zu fühlen, aber eine Sonderrolle für Literaten anzunehmen, liegt zunächst nicht auf der Hand. Dafür bleibt deren Arbeitsfeld gleichfalls weitgehend unbehelligt.
Auf den zweiten Blick stimmt dieses Bild mit der Realität nicht überein. Natürlich greifen Mächtige immer wieder und bis heute durch Zensur in die Arbeit von Schriftstellern ein – und es ist nicht ungewöhnlich, daß sich Schriftsteller direkt, also nicht über den Umweg des Schreibens, politisch betätigen. Aber um dieses direkte Engagement für politische Ziele soll es in der Debatte, die wir mit dieser Ausgabe beginnen, nicht gehen. Wir wollen uns auf das geschriebene Wort beschränken.
„Literatur, jede, ist ganz sicher politisch“, behauptete Günter Kunert kürzlich in einem Artikel (moosbrand 5 / März 1997) – und meinte damit den „Widerstand der literarischen Sprache gegen die Einvernahme der Gehirne durch öffentliche und offizielle Sprachregelungen“. Politisch sei Literatur also nicht im Sinne von „politischem Bekennertum“, sondern indem sie aus der Unterwerfung unter vorherrschende Mechanismen befreit (soweit Kunert).
Darüber hinaus sind Bezüge zu politischen Themen – ob nun direkte oder nur sehr mittelbare – aus literarischen Texten kaum wegzudenken. Mag man „Politik“ weiter oder enger fassen, Teil der Lebenswirklichkeit ist sie allemal. Aber nicht alle Schriftsteller behandeln politische Fragen lediglich als literarische Sujets wie andere Sujets auch. Sie verstehen – so eine sehr spitze, aber bezeichnende Metapher – Kunst als „Waffe“ (Friedrich Wolf) und sich selbst als Krieger. Dafür hat sich der Begriff „Engagierte Literatur“ eingebürgert, auf spanisch literatura comprometida. Literatur dient hier nicht mehr nur dazu, die Welt zu beschreiben und zu deuten, sondern sie zu verändern. Engagierte Literatur hatte die Aufgabe, Menschen von der Notwendigkeit einer Handlung zu überzeugen – etwa indem eine sozial miserable Lage, das Funktionieren eines Unterdrückungsapparates, die Brutalität eines Krieges geschildert werden – und sie zum Handeln selbst zu bewegen. Häufig steht engagierte Literatur im Kontext klarer parteilicher Abgrenzungen, so für die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, gegen Pinochets Diktatur in Chile, für Solidarität mit dem unterdrückten Volk und so weiter.
In Lateinamerika hat engagierte Literatur eine wichtige Rolle gespielt. Erstaunlich viele namhafte Autoren (Miguel Ángel Asturias, Jorge Icaza, Miguel Otero Silva, Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa, César Vallejo, Pablo Neruda, Jorge Amado, Carlos Monsiváis, Elena Poniatowska, Sergio Ramírez, Roque Dalton…) haben in ihren Werken zumeist explizit Partei ergriffen, haben politische Verhältnisse als veränderungsbedürftig beschrieben und sich selbst als engagierte Schriftsteller betrachtet. Vor allem gegen den „US-amerikanischen Imperialismus“ sah man sich in vorderster Front kämpfen.
Selbstverständlich läßt sich vielen lateinamerikanischen Schriftstellern das Prädikat „engagiert“ nicht antragen. Dennoch, und ohne ungerechtfertigt zu pauschalisieren, hat das Engagement in der lateinamerikanischen Literatur einen besonders guten Stand.
Seit etwa zehn Jahren bahnt sich jedoch ein Wandel an, ja ein radikaler Bruch ist zu bemerken: engagiert im herkömmlichen Sinne schreibt kaum noch jemand. Wohl kritisiert García Márquez in „Nachricht von einer Entführung“ kolumbianische Verhältnisse, wohl rechnet Vargas Llosa in „Tod in den Anden“ unmißverständlich mit der Guerilla Sendero Luminoso ab. Aber die Zeiten, in denen Schriftsteller für oder gegen politische Projekte oder Organisationen dezidiert Partei ergriffen hätten, und zwar mittels ihrer Literatur, diese Zeiten scheinen trotz mancher Ausnahme vorbei.
Zwei Vermutungen stellen wir der Debatte voran, wie dieser sich vollziehende Wandel erklärt werden könnte.
Erstens: Vielleicht ist mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten und – für Lateinamerika besonders einschneidend – mit der Wahlniederlage der FSLN in Nicaragua 1990 diejenige Seite einer bipolaren Realität weggefallen, die zum Engagement besonders ermuntert hatte. Die Totalopposition zum „Yankee-Imperialismus“ ist damit gleichfalls nicht mehr möglich. Wenn in einem Land wie Bolivien oder (beinahe) Guatemala frühere Militärdiktatoren als Präsidenten gewählt werden, kann vom unterdrückten Volk, auf dessen Seite sich Schriftsteller und Leser zu schlagen hätten, nicht mehr problemlos gesprochen werden.
Zweitens: Es geht wieder ein Gespenst um, diesmal ein postmodernes. Das 1978 proklamierte Ende der „Großen Erzählungen“ hat mittlerweile den Zeitgeist ergriffen. Utopien, egal welcher Couleur, sind out. Subjekte, ganz gleich ob als Held, Klasse oder Volk, spielen in diesem Denken keine Rolle mehr. Die Geschichte hat ihr Ende erreicht. Zudem verwischen die nationalen Grenzen, und überhaupt wird allenthalben von hybriden Identitäten geredet. Wofür sollte man sich als Schriftsteller, auch in Lateinamerika, noch engagieren?
Wenn die junge Starautorin Zoé Valdés Fidel Castro diskreditiert, dann ruft sie niemanden zum Widerstand gegen ihn auf, sondern sie plädiert für den Rückzug ins Private. Themen wie Liebe, Erotik, auch Esoterik haben in den Verlagsprogrammen Konjunktur, und Isabel Allende schreibt Kochbücher.
Täuscht dieser Eindruck? Ist die literarische Beschäftigung mit politischen Fragestellungen subtiler geworden? Oder gehen ihr Schriftsteller von heute tatsächlich aus dem Weg? Ist an die Stelle von Engagement ein Bemühen um – unparteiliche? objektive? – Analyse, um Aufklärung getreten?
Es soll also in der Debatte darum gehen, einen Prozeß zu beschreiben und Vorschläge zu seiner Deutung anzubieten, einen Prozeß, der sich in den letzten zehn Jahren vollzogen hat und der besonders für Lateinamerika einige Relevanz besitzen dürfte, eben wegen der vormals starken Prägung der lateinamerikanischen Literatur durch ihren engagierten Impetus.
Eine Art Zusatzfrage könnte sein, ob die Unterscheidung in engagierte und nichtengagierte Literatur überhaupt noch sinnvoll aufrechtzuerhalten ist. Denn die Grenze zwischen beiden ist mitunter außerordentlich schwer zu ziehen und dürfte, wenn sie zu einer Entweder-Oder-Entscheidung auffordert, die Komplexität vieler literarischer Werke stark unterschätzen.
In diesem Heft beginnen wir mit einem historischen Überblick, in dem auch Begriffe näher bestimmt werden, und einem Interview zum Thema mit dem mexikanischen Intellektuellen Carlos Monsiváis.

Verwässerte Hilferufe

Das Begleitheft zum Film schließt: “Das Wasser ist die Metapher für die Suche Manuels nach dem eigenen Bild und jenem der Welt, in der er lebt“. Schon fragt man sich unweigerlich: Was ist schon von einem Film zu erwarten, der sich auf solch einfältige Weise ankündigt? Sind diese Worte wohl als aufrichtige Warnung zu verstehen, und hält „Escrito en el agua“ (wörtlich: Im Wasser geschrieben) in dem Sinne, was die so feinsinnige Metapher verspricht: pure Langeweile ?
Aber schauen wir uns erst einmal um, in der Mittelstandsfamilie im schneeweißen Haus am Rande von Buenos Aires. Sohn Manuel (Mariano Bertolino) ist ein introvertierter Computerfreak, der zum Leidwesen seiner Eltern ständig im Internet surft und damit die familiäre Telefonleitung lahmlegt. Die zurückhaltende Mutter trägt – man kann es an ihrem leidenden Gesichtsausdruck ablesen – eine profunde Frustration in sich. Es ist wohl die in den großen Räumen des Hauses auf den Ohren lastende eheliche Nichtkommunikation, die ihr zu schaffen macht. Als Therapie- und zugleich Ausdrucksmöglichkeit hat sie jedoch die Photografie entdeckt: gemeinsam mit Manuel zieht sie durch Buenos Aires und nimmt die Verlierer der Gesellschaft auf. Echtes Sozialengagement also.

Generationenkonflikt auf dem Land

Schließlich die zentrale, aber wie so oft nichts von sich preisgebende Vaterfigur Marcelo (Jorge Marrale). Der leitende Ingenieur einer großen Baufirma trägt ebenfalls von Beginn an eine schwere Last mit sich herum. Wie es sich für einen geschäftsorientierten Vater gehört, handelt es sich hierbei allerdings nicht um eine emotionale, sondern rein berufliche Frustration.
In Bewegung setzt sich das Familienkarussell, als Vater Marcelo seinen Sohn zu einem Geschäftstermin für ein paar Tage mit aufs Land nimmt. Beide quartieren sich beim in der Nähe wohnenden Großvater (Marcos Woinski) ein. Dieser wirkt zu Beginn mit zotteligem Bart und seinen Flüchen („Me cago en la hostia“) verschroben und kämpferisch, reiht sich später aber, allzu sehr unter einem Kriegstrauma leidend, mühelos in den Kreis der Frustrierten ein. Während des Aufenthaltes auf dem Lande wird es nun nicht nur zur erwarteteten Austragung – oder sagen wir eher: Berührung – des zweifach angelegten Generationenkonfliktes kommen. Clara, die Tochter des Holzhändlers des Dorfes (hübsch: Luciana Gonzales Costa), wird Manuel in die Geheimnisse der Liebe einführen und noch im Bett über die ökologischen Verbrechen seines Vaters aufklären. Dieser läßt nämlich in der Fabrik radioaktives Material verwenden, was schon zum tragischen Tod eines Arbeiters führte …

Radioaktivität und Kettensägenrasseln

Die nächste Frage drängt sich auf: Jede Figur ein wenig überkonstruiert, klischeebehaftet ? Ganz genau. Nicht, daß man aus der Figurenkonstellation von vornherein nichts mehr hätte machen können. Aber so bieder wie sie angelegt ist, hätten hier schon entweder innere Brüche offengelegt werden oder vielleicht ein in den Familienalltag einbrechendes Ereignis die Dinge gewissermaßen auf den Kopf stellen müssen.
Der in Bolivien geborene und in Kuba ausgebildete Regisseur Marcos Loayzas vertraut indes vollends auf seine Figuren und konzentriert sich entsprechend auf eine rein beobachtende Inszenierung. Vor allem liegt ihm daran, dem Zuschauer die „zarte“ – gleichsam im Wasser Kreise ziehende – Wandlung Manuels vom Jugendlichen zum Manne zu schildern, angereichert mit den Nebenschauplätzen des Generationenkonfliktes sowie des Ökologie- und Schuldthemas. Und da er dies nicht auf intelligente, sondern oftmals sehr plumpe Weise ausführt, macht sie sich tatsächlich breit, die schon in der Wassermetapher keimende Langeweile.
So wird der Zuschauer nicht etwa dezent oder gar verrätselt auf etwas hingewiesen, es wird ihm, wohl in der Angst, es könne sonst verloren gehen, förmlich unter die Nase gerieben. Also: nicht im Wasser geschrieben, sondern hineingeworfen ins selbige. Es kündet beispielsweise nicht gerade vom Einfallsreichtum des Regisseurs, das Ökologiethema mit einer rasselnden Kettensäge und dem Fall eines großen Baumes einzuleiten. Und Loayza will auch die von Kameramann Billi Behnisch sehr eindrucksvoll in Szene gesetzte Landschaft nicht für sich sprechen lassen. In langatmigen Lektionen muß der Großvater den Enkel über die Faszination der Natur und die so andere Wahrnehmung als die in der Stadt unterrichten.
Andererseits wird vieles im Film zwar plakativ aufgeworfen, aber dann nicht weiterverfolgt. Nicht ein Wort erfährt man beispielsweise über die Hintergründe der unterkühlten und konfliktbeladen angelegten Beziehung zwischen Großvater und Marcelo. Nur eines: Geständnisse, mit Tränen in den Augen, die bekommen wir in der Schluß-Emphase des Filmes. Vater Marcelo gesteht seine Schuld am Tod des Arbeiters und der Großvater bekennt, daß er nicht der vorgebliche republikanische Held des spanischen Bürgerkrieges war, sondern bereits mit sieben Jahren nach Mexiko emigrierte.
Bei einem sich derart unbeholfen-konstruiert darstellenden Gesamtbild können dem Film dann auch die eingestreuten literarischen und musikalischen Hommagen an so große Herren wie Kierkegaard, Borges und Piazzolla nicht mehr weiterhelfen. Abgesehen davon, daß sie herzlich wenig mit dem Film zu tun haben, zeigt ihre Häufung nur, was sie in Wirklichkeit sind: Hilferufe aus geistiger Leere.

„Escrito en el agua“; Regie: Marcos Loayza; Argentinien 1997; 85 Minuten.

Politischer Doktor rezeptlos zum Sieg

Von den im Wahlregister erfassten 1,182 Millionen Personen verweigerten 477.000 das Kreuz und übertrafen damit die 393.000 Stimmen für die People’s National Party (PNP) bei weitem. Die Wahlbeteiligung hat mit 59,6 Prozent damit ein neues Rekordtief erreicht. 1993 waren je nach Quelle noch 66 beziehungsweise 59,74 Prozent zu den Urnen gegangen. Ob dies nun einem signifikanten Rückgang oder einer Stagnation auf niedrigem Niveau entspricht, ist zweitrangig. Entscheidend ist die Tatsache, die Dr. Brian Meeks treffend beschrieben hat: „Bedeutende Teile der Bevölkerung sind nicht länger davon überzeugt, daß sie durch eine Teilnahme am Wahlsystem eine Verbesserung ihrer Situation erreichen können. Brian Meeks, der Leiter des Department of Government der University of the West Indies (UWI), führt weiter aus, daß die Gewalt im Zusammenhang mit den Wahlen für die Enthaltung kaum verantwortlich gemacht werden kann, schließlich sei bei den erheblich blutigeren Wahlschlachten in früheren Jahren die Wahlbeteiligung weit höher gewesen. Er macht in erster Linie die harten ökonomischen Bedingungen als Ursache für den Interessenmangel am politischen Prozeß aus. Die Leute sehen in keiner Partei Aussicht auf Veränderung. Dr. Stephen Vascianne, der am selben Institut als Dozent tätig ist, pflichtet ihm bei: „Diese Leute fühlen, daß es nichts ausmacht, welche Partei an der Regierung ist, weil es ihr Leben nicht ändern wird.“
Vascianne ist außerdem außenpolitischer Sprecher des 1995 gegründeten National Democratic Movement (NDM), die bei ihrem ersten Wahlauftritt in die Phalanx der großen Parteien einbrechen wollte. Dieses Ziel hat sie klar verfehlt. Sie erreichte 5 Prozent der Stimmen, wird aber im Parlament nicht vertreten sein. Denn entsprechend dem von der einstigen Kolonialmacht Großbritannien übernommenen Westminster-Modell wird pro Wahlkreis der Abgeordnete mit den meisten Stimmen gewählt, der Rest geht leer aus. Die PNP erreichte so mit 56 Prozent der Stimmen 50 der 60 Sitze, die JLP mit 39 Prozent deren 10. Das Westminster-Modell ermöglicht der Regierungspartei weiter, vorgezogene Wahlen einzuberufen. Davon wird auf Jamaica weidlich Gebrauch gemacht.

Inhaltsloser Wahlkampf

Wie schon 1993 zog Ministerpräsident Percival James Patterson, der sich selbst als „political doctor“ bezeichnet, auch diesmal die laut Verfassung erst im April 1998 anstehenden Wahlen kurzerhand auf den 18. Dezember vor. Waren es 1993 nach langer Zeit erstmalig wieder positive Umfrageergebnisse, so setzte er diesmal auf die nationale Euphorie, die in Jamaica nach der erstmaligen Qualifikation der Reggae Boys für die Fußballweltmeisterschaft herrscht. Die Opposition wollte erst 1998 an die Urnen gehen, da sie die Wahlregister für überarbeitungsbedürftig hielt. Der ganze Wahlkampf war so auch weniger von inhaltlichen Auseinandersetzungen geprägt, als vielmehr von Streitigkeiten über das Prozedere. Die Opposition wollte internationale Wahlbeobachter, die Regierung zuerst nicht. Schließlich, so Patterson, sei man doch eine erwachsene Demokratie. Letztlich willigte er dennoch ein und zeigte sich sogar erfreut darüber. Im Gefühl des sicheren Sieges meinte er, jetzt könne Oppositionsführer Edward Seaga nicht wie üblich nach seiner Niederlage herumrennen und weinen.
Die internationalen WahlbeobachterInnen, die das Carter Centre aus Atlanta schließlich nach Jamaica entsandte, waren absolute Schwergewichte, nicht nur politische. Angeführt von Jimmy Carter und seiner Frau, waren Ex-(Minister)Präsidenten aus Bolivien (Gonzalo Sanchez de Lozada), Belize (George Price) und Costa Rica (Rodrigo Carazo) angereist. Den größten Bekanntheitsgrad in der jamaicanischen Bevölkerung haben jedoch der erste schwarze US-General Colin Powell, der jamaicanische Eltern hat, und der Boxweltmeister aller Klassen, Evander Holyfield, die beide ebenfalls als watchdogs eingesetzt wurden. Holyfield genoß seinen Auftritt und gab sich als großer Jamaica-Fan zu erkennen. Er sei oft auf Urlaub in Jamaica, aber inkognito. „Ich checke so schnell ein und aus, daß es fast niemand auf der Insel mitkriegt.“ Er überlegt sogar ernsthaft, ein Haus auf Jamaica zu kaufen, „so oft wie ich hier bin“. Die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit. Holyfield wurde bei seinen Auftritten als Wahlbeobachter teilweise begeistert gefeiert, mußte gar mit seiner reichlich vorhandenen Körperkraft Versuche abwehren, auf die Schultern genommen zu werden.
Gewalt an der
Tagesordnung
Indes äußerte Jimmy Carter einige Überraschung darüber, daß nun auch schon in Jamaica Wahlbeobachtung erforderlich sei, angesichts der langjährigen demokratischen Tradition des Landes. Tatsächlich ist die Geschichte der jamaicanischen Wahlkämpfe spätestens seit dem Wahlkampf von 1980, bei dem es über 800 Tote gab, auch immer mit Gewalttätigkeiten verbunden. Der diesjährige Wahlkampf verlief vergleichsweise friedlich, eine Schießerei mit zwölf Verletzten am 2. Dezember, dem Nominierungstag. Sämtliche WahlbewerberInnen müssen an diesem Tag ihre Papiere einreichen. Oft erfolgt der Antritt in Autokorsos, die für Gangs des politischen Rivalen ein leichtes Angriffsziel bilden. Abgesehen von den zwölf Verletzten an jenem Tag in August Town gab es bis zum Wahltag keine größeren Zwischenfälle. Die Behauptungen der PNP, das seit dem 15. Dezember mindestens drei ihrer Leute von JLP Gunmen umgebracht worden seien, sind schwer zu überprüfen. Drei bis vier Morde sind in Jamaica an der Tagesordnung, die Hintergründe jedoch selten klar. Dieses Jahr wurde die Schallmauer der 1000 Morde zum ersten Mal durchbrochen – 1036 Morde lautet der traurige Rekord, bei gerade mal 2,5 Millionen EinwohnerInnen. Der Wahlkampf hat dazu relativ wenig beigetragen – ein positives Ergebnis.
Der Wahltag selbst verlief aber blutiger, als es die ersten Meldungen verlautbarten. Mindestens fünf Tote soll es bei Gewaltakten gegeben haben, bei denen ein politischer Zusammenhang vermutet wird. Dennoch können die Wahlen als die wohl friedlichsten in der jüngeren Geschichte Jamaicas eingeschätzt werden. Vielleicht lag’s ja an den Aufrufen für einen friedlichen Wahlkampf durch die Reggae Boys, den Fußballnationalspielern, in der Tageszeitung The Gleaner. Die müssen auch im nächsten Jahr für Erfolge sorgen, damit der sich mit Sicherheit fortsetzende wirtschaftliche Niedergang von der Bevölkerung weniger dramatisch empfunden wird, als er ist.

Wirtschaftlicher Niedergang

Die Handelsbilanz wies im September ein Rekorddefizit aus, die Importe übertrafen die Exporte um das Zweieinhalbfache. Eine Abwertung des Jamaica-Dollar ist nur eine Frage der Zeit, allen Beteuerungen der Regierung zum Trotz. Damit wäre die niedrige Inflationsrate von 11 Prozent, die der in Jamaica tätige deutsche Wirtschaftsprofessor Wolfgang Grassl als das einzig Positive in der Wirtschaftsbilanz von 1997 ausmacht, dahin. Nicht nur das: eine Abwertung würde eine sofortige Preiserhöhung bei allen importierten Grundnahrungsmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs nach sich ziehen. Die Schar der Armen würde weiteren Zuwachs erhalten und schon jetzt leben 750.000 der 2,5 Millionen unterhalb der Armutsgrenze, die bei einem Wocheneinkommen von maximal 22 US-Dollar liegt. Zur Verdeutlichung: das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen fiel von 5.400 US-Dollar im Jahre 1970 auf 1.600 US-Dollar im Jahre 1996, sprich um knapp über 70 Prozent. Und dieser Verfall bezieht sich lediglich auf das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen, die permanent weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich bleibt unberücksichtigt. Für den Analytiker Ralston Hyman liegt der Zusammenhang zwischen der ökonomischen Situation und der wachsenden Gewalt auf der Hand: „Es gab einen massiven Ressourcentransfer von den Armen zu den Reichen; eine Folge der hohen Auslandsverschuldung des Landes. Dies hat die soziale Struktur der Gesellschaft beeinträchtigt. Das Land ist einer elenden Armut ausgesetzt, die zu der Erhöhung der Kriminalitätsrate beigetragen hat.“
56 Prozent der offiziell registrierten Arbeitslosen sind unter 25 Jahren, 103.000 an der Zahl. Zahlen über Zahlen, die der Regierung ein verheerendes Zeugnis ausstellen. Das Versprechen von Patterson, die nächsten Jahre ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent zu erreichen, erinnert in seiner Lächerlichkeit an Kohls Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahr 2000. Gewählt wurde Patterson, weil die Opposition noch weniger zu bieten hatte. Schließlich ist der 67jährige Edward Seaga von der JLP kein Unbekannter. Er war immerhin von 1980 bis 1989 Ministerpräsident, Günstling der USA und Propagandist einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Die wurde danach mit kosmetischen Änderungen von der PNP fortgeführt. Warum also einen alten Mann wählen, wo doch die Parteien tweedledee und tweedledum sind?
Seagas fünfte Wahlniederlage dürfte das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. Außerhalb seiner Partei wurde der seit 1974 amtierende Parteichef schon lange als Auslaufmodell gehandelt, parteiintern konnte er sich indes noch halten. Sein eigentlicher Kronprinz Bruce Golding verließ nach Führungsstreitigkeiten 1995 die JLP und gründete das National Democratic Movement (NDM). Die WählerInnen sahen in dem NDM aber offensichtlich keine Änderung versprechende Alternative. Verständlich, entstammen ihre Führungsleute doch den etablierten Parteien. So ist es weiter am „political doctor“, an einem Land herumzudoktorn, für das er kein erfolgsversprechendes Rezept hat.

Drogenkrieg im Chapare

Ein Tag wie jeder andere in Chimoré, dem Hauptort des Chapare und Sitz der von der USA trainierten Drogenpolizei UMOPAR (Unidades Móviles de Patrullaje Rural). Um sechs Uhr morgens startet eine Kolonne von 19 Militärfahrzeugen. Etwa 400 Polizisten von UMOPAR und von der „ökologischen Polizei“, die für die eigentliche Kokazerstörung zuständig ist, sowie Repräsentanten der zivilen Kokakontrollorgane DINACO und DIRECO (Konversionsbehörde) nähern sich der kleinen Ortschaft Litoral, 70 km nördlich von Chimoré. Die schon früh morgens auf den Feldern arbeitenden Bauern werden vollkommen überrascht. Die Polizisten, zum Teil schwer bewaffnet und martialisch gekleidet umstellen eine Gemeinde von 100 wehrlosen, allenfalls mit Macheten bewaffneten Bauern, um der „ökologischen Polizei“ den Weg zu ihrer täglichen Arbeit frei zu machen: Die Kokazerstörung in Erfüllung der von den USA diktierten jährlichen Zerstörungsziele kann beginnen. 1997 sollen bis August 8.000 ha Kokapflanzungen zerstört werden, nachdem 1996 das Soll von 6.000 ha erreicht wurde.
Auf Proteste der Bauern wird wenig Rücksicht genommen. Vor dem Hintergrund des jährlichen US-Solls verschwimmen menschliche Einzelschicksale, werden irrelevant. Der Polizeiapparat handelt wie eine Maschine. Wenn es dabei auch zu Ungerechtigkeiten kommt, dann seien dies, so Polizeivertreter, Einzelfälle, die man hinzunehmen habe. Die Argumentation erinnert an das zu Zeiten der Aufstandsbekämpfung übliche: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Doch was die einen als Einzelfälle bezeichnen, ist für die anderen Normalität. Kokapflanzungen – eigentlich erlaubt im Rahmen des traditionellen Anbaus und Konsums – werden gegen den Willen der Bauern ebenso regelmäßig zerstört wie sogar legale alternative Pflanzungen von beispielsweise Platanen und Zwergpalmen.
Die gesetzlich vorgesehenen Entschädigungen für die Zerstörung von Kokapflanzungen in Höhe von 2000 US-Dollar pro Hektar werden nicht, oder erst nach Druck der Bauern verspätet gezahlt. Nicht selten wird die Zahlung zurückgehalten, um die Bauern zu weitergehender Kokazerstörung zu drängen. Daß dies illegal ist, muß auch der Direktor der zuständigen Konversionsbehörde (DIRECO) zugeben: „Aber sehen Sie, ich bin kein Jurist, ich bin Agronom“. (Diese Zahlungen sind von der neuen Regierung Banzer völlig abgeschafft worden, Anm. d. Red.)

Die Polizei sucht wie immer den Konsens

Die Bauern sind verbittert. „Die Polizei“, so einer der Führer des Dorfes Litoral noch unter dem Eindruck der erwähnten Operation, „provoziert uns ständig. Die spritzen Tränengas, schlagen uns, schießen in die Luft und nehmen keine Rücksicht auf unser Eigentum“. Eine andere Version liefert der zuständige Polizeikommandant: „Wir haben, wie immer, den Konsens gesucht. Es gab keine Gewalt. Wir haben unsere Aufgabe, wie immer, friedlich erledigt.“ Ähnlich äußern sich auch andere Vertreter der Drogenkontrollorgane. „Wir erfüllen nur unsere Pflicht“ erklärt der Direktor von DIRECO den Vertretern des Menschenrechtsbüros des Justizministeriums. „Hier gibt es keine Koordination“. Während er dies sagt, ist die Drogenoperation in Litoral schon fast zu Ende. Kein Wort davon in seinen Erklärungen. Gibt es wirklich keine Koordination?

Polizeiliche Übergriffe ohne Ende
In einer Bauernversammlung in Alto San Pablo, 25 km südlich von Chimoré, lassen die Bauern ihrer Verbitterung freien Lauf. Einige der kürzlich in einer Drogenoperation Festgenommen erzählen, wie sie von der Polizei mißhandelt wurden. Ein Ehepaar berichtet unter Tränen, daß seine Tochter nach einer Vergewaltigung durch die Polizei von zu Hause weggelaufen sei. Der Vater habe nur einen Brief seiner Tochter erhalten, in dem sie geschrieben habe, daß sie sich schäme, ihm nochmal unter die Augen zu treten. Ein anderer Bauer beschreibt, wie die UMOPAR tagtäglich agiert: „Sie beschimpfen und schlagen uns. Sie nehmen nicht einmal auf unsere Frauen Rücksicht, stoßen und schlagen sie“. Er unterbricht seine Erklärungen, weil er vor ohnmächtiger Wut zu weinen beginnt. Eine ältere Bäuerin tritt vor und zeigt einen alten Kokastrauch, jammernd, daß die Polizei nicht nur ihre traditionelle Koka zerstört, sondern sogar von ihr verlangt habe, die tiefsitzende Wurzel mit eigenen Händen herauszureißen: „Nur dann erhältst Du die Entschädigung“ tönen die Polizisten.
Andere Bauern melden sich und erzählen weitere Geschichten. Wie die UMOPAR in ihre Häuser eindringt und ihre ohnehin spärlichen Habseligkeiten mitgehen läßt. Wie sie wie Tiere, nicht aber wie Menschen mit einer entsprechenden Würde behandelt werden. Die Zeugnisse der Bauern machen deutlich, wie wichtig eine zivile und rechtsstaatliche Kontrolle der Drogenkontrollaktivitäten in der Region ist. Das im Dezember 1995 vom Justizministerium eingerichtete Menschenrechtsbüro ist angesichts der ständigen und überall stattfindenden Exzesse völlig überfordert. Seine Repräsentanten, ein Arzt und ein Jurastudent, tun zwar, was sie können, indem sie die Vorwürfe der Bauern entgegennehmen und an die zuständigen Stellen weiterleiten. Doch es ist unmöglich, mit zwei Personen die Polizeioperationen auf einer Fläche von 24.000 qkm mit 240.856 Einwohnern zu überwachen. Trotzdem ist das Büro die einzige staatliche Stelle, zu der die Bauern – mehr und mehr – Vertrauen gewinnen, weil es in zahlreichen Fällen zur Verteidigung ihrer Menschenrechte eingeschritten ist.

Willkürliche Festnahmen und unmenschliche Haftbedingungen

In der Kaserne der UMOPAR in Chimoré werden die während der Drogenoperationen Festgenommenen „aufbewahrt“. Es handelt sich um eine „Aufbewahrungsstelle, nicht um ein Gefängnis“, so der zuständige Kommandant. Die Bedingungen entsprechen allerdings denen anderer lateinamerikanischer Gefängnisse: 200 Inhaftierte bei einer Maximalkapazität von 50 Personen, bis zu 25 Personen in einer Zelle, 3 Toiletten und 3 Duschen, eine erbärmliche Hitze und stickige Luft, die selbst in der Nacht nicht verschwindet und so das Schlafen fast unmöglich macht. Hier befinden sich nur Kokabauern, pisacocas (Kokatreter, sie stampfen die Kokablätter zusammen mit Chemikalien zu einem Brei, die erste Stufe der Kokainproduktion) und allenfalls Kleintransporteure. Von wirklichen Drogenhändlern keine Spur. Die meisten Inhaftierten kennen den Grund ihrer Haft überhaupt nicht. Sie befinden sich schon seit Monaten hier, ohne einen Richter gesehen zu haben.
Die zur Verteidigung sozial Schwacher eingerichtete „Defensa Pública“ ist nur mit einem Anwalt vertreten und dementsprechend überfordert. Diese „Marktlücke“ füllen skrupellose freie Rechtsanwälte und bieten ihre Dienste zu horrenden Preisen an: ein einseitiger „Schriftsatz“ kostet zwischen 100 bis 500 US-Dollar und wird aus den überwiegend hilflosen und unwissenden Bauern unter dem (falschen) Versprechen sofortiger Freilassung herausgepresst. Besonders eine Rechtsanwältin wird von den Vertretern des Menschenrechtsbüros des Justizministeriums und der Defensa Pública angegriffen. Bei einem nachfolgenden Gespräch mit den Inhaftierten in Anwesenheit der zwei zuständigen Drogenstaatsanwälte verläßt die betreffende Anwältin das Gefängnis erst nach zahlreichen Aufforderungen der Staatsanwälte und der Vertreter des Menschenrechtsbüros. Dann brechen die Vorwürfe aus den Inhaftierten heraus: Viele Anwälte versprächen ihnen die sofortige Freilassung und verlangten dafür unglaubliche Gebühren, wollten dann aber von diesen Versprechen nichts mehr wissen. Vielmehr drohten sie ihnen vielfach mit harten Strafen und härteren Haftbedingungen, sollten sie es wagen, sich zu beschweren. Die Staatsanwälte wiesen ihnen sogar häufig diese Art von Anwälten zu, ohne daß sie sich dem widersetzen könnten. Die Haftbedingungen seien unerträglich, der Zellenschluß sei zu früh, Ausgang zu wenig, Verwandtenbesuch kurz und mit erheblichen Wartezeiten verbunden.

Von Menschenrechten und Staatsgewaltigen

Die Drogenstaatsanwälte nehmen die Anzeigen kühl und distanziert auf. Im nachfolgenden Gespräch beim zuständigen UMOPAR-Kommandanten kommt es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den Vertretern des Menschenrechtsbüros und der Defensa Pública auf der einen, sowie den Staatsanwälten und der Polizei auf der anderen Seite. Weder Polizei noch Staatsanwälte wollen die Verantwortung für die Unregelmäßigkeiten in der „Aufbewahrungsanstalt“ übernehmen. Erst auf Druck der Vertreter des Menschenrechtsbüros und der Androhung disziplinarischer Schritte verpricht einer der Staatsanwälte, die Fälle zu untersuchen.
Die Sonne ist schon lange untergegangen. Es ist 21.00 Uhr. Unser Besuch in der Kaserne der UMOPAR – man sollte vielleicht besser sagen in der Haftanstalt auf dem Kasernengelände – hat länger gedauert als geplant. Die Inhaftierten haben den Strohhalm ergriffen, den wir ihnen anbieten konnten. Es ist kein Zufall, daß wir sie zuletzt besuchen. Hier schließt sich der Kreis: Der Drogenkrieg im Chapare beginnt am Morgen mit Polizeieinsätzen gegen wehrlose Bauern und endet vielfach mit ihrer Verhaftung oder Inhaftierung der mulas, der bäuerlichen Transporteure von geringfügigen Mengen an – nicht registriertem – Koka, Kokapaste oder manchmal auch Kokain. Die großen Fische sitzen in den Handelsmetropolen und Kokainumschlagplätzen Kolumbiens, Venezuelas, Mexikos, der USA und Europa, einige auch in Bolivien, in Cochabamba und Santa Cruz. Doch von ihnen ist hier nicht die Rede. Der Drogenkrieg im Chapare ist ein von den USA auf dem Rücken der Bolivianer geführter symbolischer Krieg ohne Auswirkungen auf die Nachfrageseite in den Industrieländern.
Im Rahmen der Zuständigkeit des bolivianischen Justizministeriums für die Wahrung und Förderung der Menschenrechte wurde am 6.12.1995 in Chimoré das erste Menschenrechtsbüro (Oficina de Derechos Humanos-ODDH) eröffnet.Weitere Menschenrechtsbüros sollen, so der „Nationale Menschenrechtsplan“, in Challapata (Potosí), Monteagudo (Chuquisaca) und Riberalta (Beni) eröffnet werden. Das Büro von Chimoré hat seinen Sitz in einem schlichten Haus, in dem auch die Filiale der staatlichen Pflichtverteidigung (Defensa Pública) untergebracht ist, und besitzt eine technische Mindestausstattung (Computer, Drucker, Telefon, Fax). Von Chimoré aus soll das gesamte Gebiet des Chapare kontrolliert werden, was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Bei Kenntnis eines Drogeneinsatzes informieren die Bauern umgehend die ODDHH, deren Mitarbeiter, sofern möglich, sofort zum Einsatzort fahren, um zwischen Sicherheitskräften und Bauern zu vermitteln und größere Gewaltausbrüche zu verhindern. De facto garantiert die Präsenz der ODDHH zwar einen größeren Respekt der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte, doch kommen seine Vertreter häufig wegen der großen Entfernungen und der Unzugänglichkeit der Kokaanbaugebiete zu spät oder auch gar nicht (wenn etwa mehre Operationen gleichzeitig stattfinden). Wenn die ODDH allerdings rechtzeitig eintrifft oder bei den Sicherheitskräften und den Drogenstaatsanwälten vorspricht, wird seine große Autorität als Vertreter der Exekutive deutlich.

Anträge an das BMZ

Aufgrund der Probleme seiner Arbeit wegen der Größe des Chapare und des Ausmaßes der Menschenrechtsverletzungen hat das Büro, das inzwischen von der Schweiz, Kanada und der Bundesrepublik unterstützt wird, weitere Unterstützungsanträge an die EU-Kommission und das BMZ (Bundesministerium für wirtschafliche Zusammenarbeit) gerichtet. Es will mehrere „Unterbüros“ einrichten und die Bauern selbst zu Beschützern ihrer Menschenrechte ausbilden. Es ist zu hoffen, daß die entsprechenden Anträge positiv beschieden werden.

Der Weg entsteht beim Gehen

Erst nachdem der mexikanische Krimischriftsteller ein Buch über Che Guevaras Zeit im Kongo geschrieben hatte (“Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren, LN Nr. 269), wagte er sich an eine Gesamtbiographie heran. “Es ging darum, ein Geschichtsbuch mit der Gewissenhaftigkeit eines Historikers zu schreiben, aber mit einer Technik, die ermöglicht, das Buch zu lesen, als wäre es ein Roman”. Dadurch, daß Taibo vorwiegend aus der Sichtweise von Augenzeugen erzählt sowie lange Passagen von Che Guevaras eigenen Aufzeichnungen einarbeitet, kann so etwas wie eine weihevolle Distanz erst gar nicht entstehen.

Aufschlußreiches aus der “Frühphase”

Gerade dadurch, daß Ernesto Guevaras “Frühphase” – der Zeit, als er als abenteuerlustiger, politisch noch recht unbedarfter Medizinstudent durch den Kontinent trampte – viel Raum eingeräumt wird, entsteht zunächst das Bild einer Person mit enormer, aber keineswegs zielgerichteter Energie: Einer, der sein Medizinstudium nur halbherzig betreibt, aber leidenschaftlich gern liest. Einer, der es mit der Hygiene nicht so genau nimmt und sich trotz seines Asthmas enorme körperliche Strapazen zumutet. Einer, dem Geld nichts bedeutet, Freiheit dafür umso mehr.
Auch die Beschreibung der Exilkubaner, die Ernesto in Mexiko-Stadt kennenlernt, läßt nicht per se auf künftige Revolutionäre schließen: Während aus Ches Tagebuch zitiert wird, es sei “ein politisches Ereignis, Fidel Castro kennengelernt zu haben”, führt Taibo dessen Bruder Raúl als jemanden ein, “der von der Vorstellung besessen ist, Torero zu werden”. Seine Ironie und die Vorliebe für skurrile Details inmitten “historisch relevanter” Ereignisse machen Taibos Buch nicht nur politisch und psychologisch aufschlußreich, sondern auch unterhaltsam. Dies gilt besonders für die Episoden über Ches Reisen durch Lateinamerika sowie die ersten Jahre nach der Revolution. Dagegen ordnen sich die langen Kapitel aus der Zeit der Guerilla auf Kuba beziehungsweise später im Kongo und in Bolivien dem Rhythmus der alltäglichen Strapazen und Schlagabtäusche unter. Das ist streckenweise sehr ermüdend. Gleichzeitig bewirkt die Zähigkeit dieser Passagen, daß eine Verherrlichung des Guerilladaseins vermieden wird. Taibo wendet sich gegen die “von einigen Chronisten falsch behandelte Mythologie der Invasion”. Seiner Meinung nach ist die eigentliche Leistung nicht “in den kleineren militärischen Heldentaten Ches zu suchen, sondern im gewaltigen 47tägigen Marsch unter unmenschlichen Bedingungen, in der Hartnäckigkeit und Umsicht eines Che, der (…) eine glänzende Fähigkeit zur Durchführung von Ausweichmanövern an den Tag legt, die seinem kämpferischen Charakter ganz fremd sind.” Besonders beeindruckt Taibo, daß Comandante Che offenbar in entscheidenden Momenten auch in der Lage war, vom klassischen Heldengehabe Abstand zu nehmen. So zitiert er die Aussage des argentinischen Journalisten Rodolfo Walsh: “Ich kann mich an keinen Anführer einer Armee, keinen General und keinen Helden erinnern, der sich selbst bei zwei Gelegenheiten als Flüchtenden beschrieben hat.”

Teilen bis zum letzten Bonbon

So versiert Che Guevara als Comandante eines Guerilla-Fokus dargestellt wird, so deutlich ist die Kritik daran, daß dieser den Stellenwert subversiver Tätigkeiten in den Städten unterschätzt habe. Das gilt sowohl für den Kampf gegen die Batista-Diktatur als auch für Ches spätere Bereitschaft, in Bolivien auch ohne ausreichende Unterstützung linker Parteien und Gruppierungen zu den Waffen zu greifen. Wenn man das Projekt in Bolivien aus historischer Perspektive betrachtet, erscheint Ches aktionistische Ungeduld fatal. Wenn man, wie Taibo dessen persönliche Erfahrungen chronologisch nachvollzieht, wird die innere Logik sichtbar: Che steckte der gescheiterte Guerillakrieg im Kongo in den Knochen, die frustrierenden Querelen zwischen ihm und den lokalen Guerillaführern, die zu einer monatelangen Selbstblockade geführt hatten.
Eine Fülle von Beispielen illustrieren Che Guevaras politische Integrität, seinen kompromißlosen Egalitarismus und die gigantischen Anforderungen, die er nicht nur an sich, sondern auch an seine revolutionären WeggefährtInnen stellte. Schmunzelnd und beeindruckt zugleich gab Taibo bei seiner Buchlesung die Geschichte zum besten, wie Che nach einem langen Marsch sogar sein letztes Bonbon entzweigehackt und mit den anderen Guerilleros geteilt habe. Che als asketischer linker Säulenheiliger? Che als moralisches Über-Ich? Davor rettet ihn die Tatsache, daß Taibo mit liebevoller Akribie auch seine kleinen Laster und Inkonsequenzen kolportiert. Beispielsweise Ches Versuch, seine Ärzte, die dem Asthmakranken nur eine Zigarre pro Tag erlaubt hatten, mit einer ein Meter langen Havanna auszutricksen. Immer wieder blitzt sie auf, diese für Che offenbar typische Mischung aus Verschlossenheit und sarkastischem Humor, unverwüstlichem Optimismus und naiver Unbefangenheit körperlichen Gefahren gegenüber.
Was Ches Beziehungen zu Frauen angeht, mokiert Taibo sich darüber, daß diese bisher in der Literatur mit einer Vorsicht behandelt worden seien, die an “viktorianischen Puritanismus” grenzen. In seinem Buch erscheint der post mortem zum schönsten linken Popstar avancierte Che nicht gerade als romantischer Held, geschweige denn als “hombre nuevo”. Ches erste Ehe zu der Peruanerin Hilda Galdea lavierte laut Taibos Darstellung zwischen pragmatischer Zweckbeziehung unter politischen Gleichgesinnten und dem zerquälten Versuch, daraus eine Liebesgeschichte zu machen. Die langjährige Ehe zu der kubanischen Guerillera Aleida March scheint dagegen weitaus harmonischer gewesen zu sein. Über die “außergewöhnlich bescheidene” Aleida, die sich bis heute weigert, Interviews zu geben, taucht laut Taibo in den “Hunderten von Büchern über die kubanische Revolution” kein einziger biographischer Hinweis auf. So ist nur bekannt, daß sie nach außen hin die Aktivitäten ihres Gatten immer loyal mit getragen hat – inklusive dessen “schlechter Gewohnheit, sich außerhalb von Kuba zu befinden, wenn seine Kinder geboren werden”.

Der “hombre nuevo” als abwesender Vater

Che Guevaras ideologische Orientierungssuche versucht der Biograph mit kritischer Sympathie nachzuvollziehen. So hätte dieser erst im Laufe des revolutionären Prozesses, als er bereits Verantwortung trug, konkretere politische und ökonomische Vorstellungen entwickelt. Anschaulich schildert Taibo das produktive Chaos in Ches Industrieministerium: Während er einerseits als Direktor der Zentralbank fungierte und sich mit ungeheurem Tatendrang an Programme zur Importsubstitution machte, nahm er nebenbei noch Nachhilfestunden in Mathematik. So skurril der anfängliche Dilettantismus der jungen Revolutionäre wirkt, so beeindruckend ihre enorme Lernfähigkeit. Während das Buch darlegt, wie Ches Kritik an der Sowjetökonomie immer lauter wurde – wobei er interessanterweise noch zentralistischere Positionen vertrat – kritisiert Taibo Guevaras unkritische und unwissende Haltung in Bezug auf die politischen Deformierungen des realexistierenden Sozialismus: “Er war ein Gefangener des Neandertal-Marxismus.” Auch wenn Che sich gegen die zunehmende Bürokratisierung gewandt habe und “hinter den Kulissen als ‘Linksabweichler’ bezeichnet” worden sei, wären es paradoxerweise Che und Raúl gewesen, die den Lehrbuchmarxisten die Tür zum revolutionären Raum geöffnet” hätten. Ches Verachtung der Macht und die Tatsache, daß er in die Probleme der Industrie vertieft gewesen sei, hätten dazu geführt, daß er kaum bemerkt habe, in welchem Maße “das Sektierertum und der Autoritarismus” allmählich die Debatte innerhalb der Führungsriege beherrschten. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe Che jedoch gespürt, “daß man zu den angeblichen Häresien des Marxismus zurückkehren und sie vorurteilslos untersuchen muß.” Gleichzeitig widerspricht Taibos Biographie energisch den Mutmaßungen, Ches Abschied aus Kuba sei Ergebnis eines Zerwürfnisses mit Fidel Castro oder gewesen – oder Ausdruck der Sehnsucht, als Guerillero den Märtyrertod zu sterben. “Che war absolut nicht suizidgefährdet.” Bei der Ungeduld, mit der er sich in die Guerillaexperimente im Kongo und in Bolivien stürzte, läßt Taibo die Frage offen, welchen Anteil dabei Ches Glaube an die Erfolgsaussichten dieser Revolutionsprojekte hatte – und welchen Anteil das, was er in einem Brief an seine Eltern als “Abenteuerlust” und “Begierde, geschichtliche Höhepunkte zu erleben”, bezeichnete.

Neanderthaler-Marxismus und Machtverachtung

Taibo ist es gelungen, den Helden ein Stück vom Sockel zu holen, ohne ihn zu demontieren. Dadurch, daß seine Biographie weniger aus der historisch-analytischer Rückschau, sondern aus damaliger Perspektive argumentiert, entsteht ein äußerst lebendiges Bild. Und gleichzeitig so etwas wie eine schriftstellerische Reflexion über den Satz “El camino se hace andando” – “Der Weg entsteht beim Gehen”. Trotz aller spöttischen Distanz zum Che-Kult kommt Taibo zu dem Schluß: “Im Zeitalter des Schiffbruchs ist er unser weltlicher Heiliger. Fast 30 Jahre nach seinem Tod geht sein Bild quer durch alle Generationen, sein Mythos tummelt sich mitten in den Größenwahndelirien des Neoliberalismus: rücksichtslos, spöttisch, hartnäckig, moralisch hartnäckig und unvergeßlich.”

Paco Ignacio Taibo II: Che – Die Biographie des Ernesto Guevara, Edition Nautlius, 1997, 697 Seiten, 69,80 DM (ca. 35 Euro).

Der große Quinoa-Raub

Zwei amerikanische ProfessorInnen besitzen das Patent für den bolivianischen Quinoa, den traditionellen ‘Anden-Reis’. Zumindest für einen speziellen Teil einer speziellen Sorte Quinoa. Vertreter von bolivianischen Quinoa-Bauern haben bei den Vereinten Nationen dagegen protestiert und werden dabei von Organisationen im In- und Ausland unterstützt.

Derzeit gibt es viele Diskussio
nen über das geistige Eigentum an lebendem Material. Patente sollen genetische Erfindungen gegen Kopien schützen. Darüber werden Verträge abgeschlossen, unter anderem innerhalb der Europäischen Union. Zahllose Organisationen in der ganzen Welt machen jedoch gegen diese Patente mobil.
Die Diskussion über Patentrechte spiegelt die Problematik der Beziehungen zwischen Norden und Süden wieder. Den reichen Industrieländern wird vorgeworfen, genetisches Material von Entwicklungsländern zu stehlen. Ursprünglich traditionelle Pflanzen werden von großen Saatgutfirmen aus den industrialisierten Ländern patentiert. Die Folge: Bauern in den südlichen Ländern können ohne Genehmigung kein Saatgut von ihrer eigenen Ernte verwenden, wenn es ein Patent darauf gibt. Man spricht auch vom Neo-Imperialismus und Biopiraterie.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist, sogenannte große Quinoa-Raub: Zwei amerikanische ProfessorInnen haben 1994 ein Patent auf eine bestimmte Quinoa-Sorte beantragt. Es handelt sich hierbei um eine sehr spezielle Form der Sorte ‘Apelawa’, die aus der Umgebung des Titicacasees in Bolivien stammt.
Der Vorsitzende des bolivianischen Vereins von Quinoabauern Anapqui, Luis Oscar Mamani, hat im Juni bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Unrechtmäßigkeit des Patents angeklagt. Er brachte seine Klage gegen das Patent als Mißbrauch der Menschenrechte vor den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte. „Unsere Großeltern haben seit Hunderten von Jahren Quinoa für das extreme Andenklima und den dortigen Boden angebaut und veredelt. Die Techniken hierfür haben die Wissenschaftler aus Amerika nicht gefunden. Das Patent hat zur Folge, daß wir unser Quinoa nicht frei produzieren können, mit allen Folgen für die Lebensmittelproduktion,“ erklärte Mamani.

Information via Internet
Die Rural Advancement Foundation International (RAFI), eine internationale Nichtregierungsorganisation aus Kanada, machte zum ersten Mal die Öffentlichkeit auf dieses Patent aufmerksam. Ausgehend von einem Pressebericht im Internet hat die Organisation die Diskussion eröffnet. Der Pressebericht meldete: „Das ist ein erschütterndes Beispiel von Biopiraterie. Das Patent erhebt nicht nur Anspruch auf Apelawa-Quinoa, sondern auch auf alle anderen Kreuzungen, die von Apelawa stammen. Darunter fallen viele traditionelle Sorten, die in Bolivien, Ecuador und Peru angebaut werden. Der Export von Quinoa in die Vereinigten Staaten kann hierdurch erschwert werden. Die US-amerikanischen Wissenschaftler sehen in dem Patent eine Chance, Quinoa auf der nördlichen Halbkugel kommerziell anbauen zu können,“ so RAFI.
Sarah Ward, eine der US-amerikanischen ProfessorInnen und Besitzerin des Patents, bestritt über Internet die Angriffe von RAFI. Sie stellte nachdrücklich klar, daß das Patent in keiner Beziehung zu den Quinoa-Kulturen in Bolivien stehe. Das Patent betreffe nur ein sehr spezifisches Zytoplasma, das in der Apelawa-Sorte gefunden wurde und US-amerikanischer Herkunft ist. Die Patentrechte schließen keine Quinoapflanzen oder Kreuzungen ein, die nicht dieses Zytoplasma enthalten. Ward stellte auch in Abrede, daß das Patent kommerziellen Wert habe. Das genetische Material befinde sich im Gefrierschrank der Universität Colorado und diene keinem besonderen Zweck. Außerdem sei es nach US-amerikanischer Patentgesetzgebung unmöglich, daß ein Patentbesitzer den traditionellen Anbau oder den Import in die Vereinigten Staaten verhindern kann.
Die Aufregung um Quinoa ist nur ein Beispiel für die Diskussion, die um das internationale Patentrecht auf lebendes Material geführt wird. Für die genetische Forschung ist es notwendig, über möglichst viele Pflanzenarten zu verfügen. Eine unbedeutende Art kann plötzlich einen Millionenwert besitzen, wenn darin ein Gen mit Resistenzverhalten vorkommt. Immer mehr Saatgutfirmen patentieren deshalb genetisches Material aus Entwicklungsländern. Etwa 80 Prozent der Bauern in den Entwicklungsländern produzieren ihr eigenes Saatgut. Falls sie dies nicht für den weiteren Anbau der eigene Kreuzungen verwenden dürfen, da es patentiert ist, werden künftig nur noch kapitalstarke Betriebe in der Lage sein, Pflanzen weiter zu veredeln.
Jeroen Breekveldt von NoGen, einer Organisation, die ein Archiv über Biotechnologie verwaltet, sagte hierzu: „Unser Protest gegen das Quinoa-Patent ist eine frühzeitige Warnung. Dieses Patent ist ein weiteres Beispiel, daß der Westen sich der Kontrolle der Biodiversität in den südlichen Ländern bemächtigt. Die amerikanischen ProfessorInnen erklären jetzt, daß sie kein besonderes Ziel mit diesem Patent verfolgen, aber was werden sie morgen damit tun? Vielleicht wird dann ein Multi das Patent besitzen. Im übrigen ist patentiertes Pflanzenplasma nicht von der westlichen Wissenschaft erfunden worden. Es handelt sich um Kenntnisse, die über Jahrhunderte hinweg in der einheimischen Bevölkerung gewachsen sind. Sollten diese Völker nicht wenigstens eine Entschädigung für die Verwendung ihrer Kenntnisse erhalten? Das hat mit Gefühlen zu tun. Das Patentieren von einheimischen Material ist wie ein Schlag ins Gesicht. Sicherlich werden die Menschen in Lateinamerika denken: Ist nun endlich Schluß mit dem Raub unserer Reichtümer? Es geht um Respekt, um die Verfügungsgewalt über das eigene Land und die Lebenswelt.“
Im Grunde wurde schon immer genetisches Material aus den Entwicklungsländern in den Norden importiert, wie zum Beispiel die Kartoffel und der Mais. Viele Pflanzen, die heute in den Industrieländern wachsen, stammen ursprünglich aus Lateinamerika. Und die Freiheit, Pflanzenarten der Südhalbkugel im Norden zu züchten, wird auch weiter fortbestehen. Jedoch sollten von der Verwendung genetischen Materials aus autochthonen Züchtungen auch die Züchter aus den Entwicklungsländern profitieren.

gekürzt aus: Alerta, Oktober 1997. Übersetzung aus dem Niederländischen: Petra Wessels.

KASTEN

Was ist Quinoa?

Quinoa, auch Anden-Reis genannt, ist das wichtigste Grundnahrungsmittel in den Anden-Ländern. Es ist ein hirseähnliches Getreide und zweimal so nahrhaft wie Mais oder Reis. Quinoa wird auch in Europa und Amerika immer populärer. Der Export von Quinoa aus Bolivien ist in den letzten Jahren stark angestiegen. 1995 brachte der Export von Quinoa mehr als 1,5 Millionen US-Dollar ein, womit der Exportwert innerhalb der letzten fünf Jahre um das Fünffache gestiegen ist. Ein Drittel davon wurde in die Vereinigten Staaten exportiert, zehn Prozent nach Deutschland, weitere zehn Prozent nach Frankreich.

Der Fotograf an Castros Seite

Reich hätte er mit diesem einem Foto werden können, das weiß Alberto Korda – so sein Künstlername – selbst. Doch darüber schmunzelt er heute nur, während er die zahlreichen Poster, Bildbände und Fotos aus seinem Werk signiert, die ihm in der Hochschule für bildenden Künste in Hamburg gereicht werden. Hier, so hat er sich entschieden, wollte er den dreißigsten Todestag des ‘Che’ verbringen, obwohl er in aller Welt sein Werk hätte präsentieren können. „Ich habe die Einladung der chilenischen Jugend und der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba angenommen, weil ihre Arbeit ein Beispiel für die Solidarität, die Freundschaft mit der kubanischen Revolution ist und ich ihnen diesen Tag, den 9.Oktober 1997 und meine armselige fotografische Arbeit widmen möchte.“ Ein wenig pathetisch klingt das schon, aber vielleicht besser als die einfache Tatsache, daß er schon immer mal gerne nach Deutschland wollte, sich aber nie die Gelegenheit bot, wie es im August in Havanna von ihm zu hören war. Wahrscheinlich ist es denn auch eher die Mischung, die den Mann, der zehn Jahre lang Fidel Castro im In- und Ausland als dessen persönlicher Fotograf begleitete, nach Deutschland führte. Zehn Jahre, in denen er die kubanische Revolution und ihre wichtigsten Repräsentanten dokumentierte. Allein von Fidel Castro hat er mindestens 10.000 Fotos gemacht, von denen viele unveröffentlich blieben und die er größtenteils dem historischen Studienzentrum der Revolution überantwortet hat.

Die Karriere Castros

Begonnen hat Korda seine Fotografenkarriere allerdings mit der Modefotografie. Mitte der fünfziger Jahre gehörte sein Atelier zu den angesehensten in Kuba, und einige Arbeiten aus dieser Zeit sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Für renommierte Häuser wie Magnum hat er damals gearbeitet, kubanische Models in Designerroben abgelichtet – „meine Liebe gehörte damals den Frauen, bevor ich die Liebe zur Revolution entdeckte und das aus ganzem Herzen,“ erklärt er. Er spendete Geld und Medikamente für den Kampf in der Sierra Maestra und als die „Bärtigen“, so wurden die Revolutionäre damals genannt, am 8.1.1959 in Havanna einzogen nahm er seine Kamera und hielt die historischen Momente fest. Korda begann unentgeltlich für die Revolucíon, Vorläuferin der Granma, der heutigen Parteizeitung, zu arbeiten und wurde vom Chefredakteur beauftragt, bei Fidels erstem Staatsbesuch in Venezuela zu fotografieren. Weitere Aufträge folgten – bis Korda seine Anwesiungen direkt von der Sicherheitsabteilung Fidel Castros bekam und die folgenden Jahre bei keinem Auslandsaufenthalt und bei keinem wichtigen Ereignis in Kuba fehlte. Er wurde zum persönlichen Fotografen des „comandante en jefe“ – von Fidel Castro. In den zehn Jahren hatte Korda alle Freiheiten. „Nie hat er zu mir gesagt, schieße nicht dieses Foto. Er ließ mir alle Freiheiten und ich habe ihn oft sehr menschlich fotografiert, mit offenem Hemd, auf dem Boden sitzend, im Gespräch mit Leuten aus der Bevölkerung und fast nie mit dem Blitz.“
Sein bekanntestes Bild schoß Korda am 6. März 1960. Als Reporter für die kubanische Zeitschrift Revolucíon, hatte er den Auftrag, Fotos bei einer Rede Fidel Castros zu machen. Es war ein trauriger Anlaß. Am Vortage war die „La Coubre“, ein französischer Munitionsfrachter im Hafen von Habana eingelaufen. Beim Löschen der explosiven Fracht detonierte, so Korda, eine Bombe mit Zeitzünder, die 136 Menschen den Tod bescherte. Für die Beerdigungszeremonie auf der 23. Straße, der legendären Rampa, war eine Tribüne aufgebaut worden, vor der Korda stand und Fidel und die Ehrengäste, wie Jean-Paul Sartre, ablichtete. „Dann tauchte Che auf, und ich hatte gerade genug Zeit, um zweimal auf den Auslöser zu drücken,“ erinnert sich Korda, der die Bilder damals seinem Redakteur anbot, welcher sich jedoch für ein Bild von Fidel entschied. Erst acht Jahre später sollte das Bild mit dem verträumt heroischen Konterfei Che’s veröffentlicht werden – von einem italienischen Verleger, dem Korda 1966 nichtsahnend zwei Abzüge geschenkt hatte. Ein Jahr später, nach dem Tode des argentinisch-kubanischen Revolutionärs in Bolivien, vermarktete der Italiener Kordas Foto eiskalt als Poster und verdiente Millionen, während Korda leer ausging.
Zwar ist auch für Korda dieses Bild, das er eher zufällig machte, ein Foto, welches die Persönlichkeit des comandante gut wiedergibt. „Aber warum die Leute auf der Welt gerade dieses Foto als Symbol, nicht nur für den Menschen, sondern für die ganze Idee, für den Charakter aussuchten, ist auch weiterhin rätselhaft für mich. Ich fühle mich angesichts der Persönlichkeit dieses Menschen, wie ein Insekt, wie ein Ameischen, aber die Anwesenheit von Ihnen hier zeigt, daß er noch weiterlebt, das sein Beispiel unsterblich ist.“ Allerdings weiß der 69jährige durchaus zu differenzieren. Denn die heutige Vermarktung des Ernesto ‘Che’ Guevara ist für ihn nicht mehr als eine intelligente Strategie des Kapitalismus, mit der eine politische Figur in eine Ware verwandelt wird. Jüngstes Beispiel, dem die kubanische Regierung einen Riegel vorschob, war die Absicht einer britischen Brauerei, ein „Che-Bier“ auf den Markt zu bringen.

Freisetzungen in Lateinamerika

Die offizielle Chronologie der Freisetzungen transgener Organismen beginnt 1986 mit dem Anbau genmanipulierter Tabakpflanzen in Frankreich und den USA. 1986 ist auch das Jahr des ersten Freisetzungsskandals: Das US-amerikanische Wistar Institute testete in Argentinien einen rekombinanten Virus-Impfstoff an Kühen, ohne daß argentinische Behörden oder die beteiligten LandarbeiterInnen, von denen einige infiziert wurden, darüber informiert worden waren.
Im folgenden Jahr wurde in Chile erstmals mit herbizidresistentem Raps eine gentechnisch veränderte Pflanze freigesetzt, vermutlich die weltweit erste Freisetzung von transgenem Raps überhaupt. Freisetzungen transgener Organismen erfolgten in Lateinamerika bis 1994 in größerem Umfang als in europäischen Staaten, Informationen darüber gibt es jedoch kaum. Bis 1995 war gerade ein halbes Dutzend von Darstellungen bekannt, die auch die Freisetzungssituation in der sogenannten Dritten Welt berücksichtigten. Sie wurden entweder von Personen verfaßt, die Zugang zu der Freisetzungsdatenbank der Green Industry Biotechnology Platform (GIBiP) hatten, einem Zusammenschluß von einigen in der Pflanzengentechnik aktiven Unternehmen. Oder sie beruhten auf Untersuchungen und Erhebungen von Nichtregierungsorganisationen wie Friends of the Earth, Greenpeace oder GRAIN (Genetic Resources Action International). Aus den Materialien dieser Gruppen wurde deutlich, daß die in den Ländern des Südens durchgeführten Freisetzungen in der Regel ohne rechtliche Bestimmungen und vielfach ohne Kontrollen erfolgten und weiterhin erfolgen.

Was ist eine Freisetzung?

Freisetzungen sind gezielte Ausbringungen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt. Freigesetzt werden einerseits transgene Pflanzen, um im Feldversuch die im Labor und im Gewächshaus gefundenen Ergebnisse unter Freilandbedingungen zu testen (Freisetzungsversuche oder -experimente). International wird aber auch, abweichend von den Definitionen des deutschen Gentechnikgesetzes, das zwischen Freisetzung und Inverkehrbringen unterscheidet, der kommerzielle Anbau von transgenen Pflanzen als Freisetzung bezeichnet. Während vermutlich die meisten Freisetzungen (noch) Freisetzungsexperimente sind, ist der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Ländern wie Argentinien (Anbau von herbizidresistenten Raps- und Sojapflanzen) und Mexiko (Anbau der FlavSavr-Tomaten, herbizidresistenten Raps- und Sojapflanzen und von insektenresistenten Kartoffeln und Baumwolle) schon seit 1995 Realität.

Welche Freisetzung wird bekannt?

Anfang 1996 publizierte das Deutsche Umweltbundesamt (UBA) eine Studie zur „Gentechnik in Entwicklungsländern“. Diese UBA-Studie liefert die derzeit umfangreichste und differenzierteste Übersicht über Freisetzungen transgener Pflanzen in Entwicklungsländern. Die im Oktober 1995 abgeschlossene Übersicht des Umweltbundesamtes liefert vor allem für die Region Lateinamerika und Karibik ausführliche Informationen über Freisetzungen in 11 Staaten. Dabei benennt sie für jede Freisetzung das Land, die Pflanze, die Art der genetischen Manipulation, den Zeitpunkt der Genehmigung und Durchführung, den oder die Durchführenden, und sie bewertet die Aussagesicherheit der Quelle. Außerhalb dieser Region werden Freisetzungen in Indien und Thailand sowie in Ägypten und Südafrika erwähnt.
Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen gelangt der Autor der UBA-Studie, André de Kathen, zu der Einschätzung, daß der Anteil der in oder von Entwicklungsländern durchgeführten Freisetzungen „bei unter 5 Prozent aller Freisetzungen weltweit“ liegen dürfte. Mit seiner Einschätzung liegt Kathen deutlich unter der Erhebung von James und Krattiger (1996), nach der acht Prozent der zwischen 1986 und 1995 durchgeführten Freisetzungen in den Entwicklungsländern stattfanden, davon 70 % in der Region Lateinamerika und Karibik, 21 % in Asien und 9 % in Afrika.
Nach Auskunft offizieller Stellen hat es in Brasilien, Kolumbien und Venezuela wie auch in Indonesien, Malaysia, Nigeria und auf den Philippinen bisher keine Freisetzungen transgener Pflanzen gegeben. Von diesen Ländern verfügte allerdings allein Brasilien über ein 1995 verabschiedetes Gesetz zur biologischen Sicherheit, so daß in den anderen Ländern die rechtliche Grundlage für die Anmeldung von Freisetzungen fehlte. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Freisetzungen stattfanden, ohne daß staatliche Stellen davon in Kenntnis gesetzt wurden.
In Lateinamerika und der Karibik wurden zwischen 1987 und 1995 nach Kathen 137 Freisetzungen in 11 Ländern durchgeführt [1]. Die meisten Freisetzungen erfolgten in Argentinien (43 Freisetzungen), Puerto Rico (21), Mexiko (20), Chile (17) und Kuba (13). Weitere Länder mit bekanntgewordenen Freisetzungen sind: Costa Rica (8), Bolivien (5), Belize (4), Guatemala (3), Peru (2) und die Dominikanische Republik (1).
Vor allem fünf Pflanzen stehen im Vordergrund des Freisetzungsinteresses: Mais, Sojabohnen, Tomaten, Baumwolle und Kartoffeln. Damit weicht die Freisetzungssituation in der Region Lateinamerika und Karibik von der globalen vor allem hinsichtlich des unterschiedlichen Stellenwertes von Sojabohnen und Raps ab. Die Reihenfolge der weltweit am häufigsten freigesetzten Pflanzen führt nach James / Krattiger ebenfalls Mais (28 %) an, mit Abstand folgt Raps (18 %). Nach Kartoffeln und Tomaten (jeweils 10 %) finden sich die Sojabohnen mit 8 % erst auf Platz 5.

Woran wird geforscht?

Bei den insgesamt 137 für die Region Lateinamerika und Karibik dokumentierten Freisetzungen dominiert die Erforschung der Resistenz gegenüber Herbiziden (51) vor der gegen Insekten (30). In weiteren neun Fällen wurde auf beide Resistenzaspekte getestet. Bei zehn Freisetzungen ging es um Virusresistenz, während 20 die Veränderungen der Produktqualität zum Ziel hatten. Sieben Mal wurde mit Kälte- bzw. Frostresistenz experimentiert, die restlichen zehn Freisetzungen hatten andere gentechnologische Manipulationen zum Ziel.

Wer forscht?

Die oben genannten Freisetzungsversuche wurden vor allem von privaten Firmen durchgeführt: In 74 Prozent der Fälle waren es Unternehmen aus den Bereichen Chemieindustrie, Saatgut, Biotechnologie, Agrarhandel und Lebensmittelindustrie, die für die Freisetzung verantwortlich waren. Zwanzig Prozent der Freisetzungen wurden jedoch von den in der Region Lateinamerika und Karibik beheimateten internationalen Agrarforschungszentren oder von nationalen Forschungseinrichtungen (partiell auch von beiden gemeinsam) durchgeführt. Die Liste dieser Forschungseinrichtungen wird von dem staatlichen kubanischen Zentrum für Gen- und Biotechnologie (CIGB) mit insgesamt 13 Freisetzungen angeführt. Das Internationale Kartoffelforschungszentrum (CIP) setzte sechsmal transgene Kartoffeln frei – davon in vier Fällen gemeinsam mit dem bolivianischen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut (IBTA). Das mexikanische Untersuchungs- und Studienzentrum (CINVESTAN) brachte in insgesamt fünf Fällen transgene Kartoffel-, Mais- und Tomatenpflanzen aus. Das Internationale Forschungsinstitut für Mais und Weizen (CIMMYT) wird mit zwei Mais-Freisetzungsversuchen aufgeführt, und das argentinische Photosynthese- und Biochemie-Zentrum (CEFOBI) war für zwei Freisetzungsversuche mit transgenem Mais und Weizen verantwortlich. In sechs Prozent der Fälle waren keine Angaben darüber verfügbar, wer die Freisetzungen veranlaßt hatte.

Trends in Lateinamerika und Karibik

Für die Region Lateinamerika und Karibik zeichnen sich nach den Daten der UBA-Studie die folgenden Trends bei den Freisetzungen ab:
1. Das Freisetzungsinteresse konzentriert sich auf die fünf Pflanzen Mais, Sojabohnen, Tomaten, Baumwolle und Kartoffeln, mit denen zusammen gut 80 Prozent der Freisetzungen durchgeführt wurden.
2. Herbizid- und Insektenresistenz sind die vorherrschenden Ziele der durchgeführten Freisetzungen, knapp zwei Drittel aller Freisetzungen wurde zu einem bzw. zu beiden Resistenzaspekten vorgenommen.
3. Nur zwanzig Prozent der Freisetzungen sind vom öffentlichen Sektor, d.h. von nationalen oder internationalen Agrarforschungseinrichtungen zu verantworten. Die überwiegende Zahl der Freisetzungen erfolgt durch oder im Auftrag von Konzernen des Agrobusiness. Unter ihnen dominieren die US-amerikanischen und nimmt das Chemie- und Gentechnikunternehmen Monsanto die Spitzenposition ein.
4. Die Kulturen, die Ziele und die Auftraggeber der Freisetzungen dokumentieren eindeutig, daß bei den durchgeführten Freisetzungen die Forschungsinteressen der Industrienationen im Vordergrund standen.

Anmerkung:
[1] Bei den aufgeführten Daten wurden Angaben über Puerto Rico (ist seit 1952 mit den USA assoziiert, ohne ein US-Bundesstaat zu sein) berücksichtigt. In Puerto Rico wurden 144 Freisetzungen durchgeführt. Nur die 21 genehmigten Freisetzungen wurden von uns erfaßt.

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