50 Jahre alt wird man nicht alle Tage

Redaktionssitzung auf der Dachterrasse Hier entsteht gerade die Jubiläums-LN zum 50. Geburtstag (Foto: Jan-Holger Hennies)

Was für ein Jahr! Ein wenig erschöpft, aber ziemlich zufrieden blicken wir dieser Tage auf unser zu Ende gehendes Jubiläumsjahr zurück. Es hinterlässt vor allem schöne Erinnerungen: Wir haben mit LN-Gründer*innen und Ehemaligen unseren 50. Geburtstag gefeiert, für den LN-Film und die Jubiläumsausgabe in unseren Archiven gekramt, Veranstaltungen organisiert und 50 Jahre nach dem Putsch gegen Allende Aktivist*innen aus Chile empfangen. Und, wir hätten es fast vergessen: Wir haben wie üblich auch in diesem Jahr zehn Ausgaben der LN produziert und gedruckt. Es war ein volles Jahr, und vieles davon haben wir zusammen mit dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) auf die Beine gestellt, unserer Schwesterorganisation und Nachbarin im schönen Mehringhof. Dafür sagen wir Danke an alle Beteiligten!

Wie vielen Menschen LN seit 50 Jahren etwas bedeutet und sie dazu motiviert hat, ehrenamtlich mitzumachen, zeigte sich in Berlin schon am 8. Juli: Von nachmittags bis zum frühen Sonntagmorgen wurde gefeiert und getanzt – erst auf der Dachterrasse und dann im Clash, inklusive Einlassstopp wegen drohender Überfüllung und natürlich Cumbia und Caipirinhas. Alle Generationen waren dabei, von den Gründer*innen bis zur aktuellen Redaktion: LN verbindet.

Veranstaltung “Die Internationale der Nationalen” Rechte Netzwerke und ihre Verbindungen zwischen Deutschland und Lateinamerika (Foto: Jara Frey-Schaaber)

Als Kollektiv und als Zeitschrift haben uns in diesen fünf vergangenen Jahrzehnten viele Themen bewegt und treiben uns bis heute um. In unserer Jubiläumsausgabe und der Veranstaltungsreihe sind wir auf die wichtigsten eingegangen: Mit den Besucher*innen von MODATIMA aus Chile ging es, einen Tag vor dem 50. Jahrestag des Putsches, um Neoliberalismus und das Erbe der Diktatur. Am Beispiel Kolumbien sprachen wir über Extraktivismus und Spielräume linker Politik heute. Ende Oktober blickten wir auf rechte Netzwerke zwischen Deutschland und Lateinamerika und die „Internationale der Nationalen“. Vertreter*innen von Zentralamerika-Solidaritätsbewegungen und Kollektiven der lateinamerika­nischen Diaspora diskutierten über Illusionen, Hoffnungen und Kämpfe, Aktivist*innen aus feministischen Zusammenhängen von damals und heute darüber, was sie verbindet oder in Zukunft noch mehr verbinden könnte. Auch für uns als Redaktion und politisch aktive Menschen waren diese Veranstal­tungen wichtige Orte des Austauschs, von denen wir viel für unsere Arbeit mitnehmen.

Wir haben in diesem Jahr viel darüber geredet, warum es LN gibt und bis heute braucht. Aktuelle Entwicklungen wie der Wahlsieg des ultrarechten Javier Milei in Argentinien oder der hiesige Aufstieg der AfD sind einige der vielen Beweise, dass der Bedarf an kritischer Gegenöffentlichkeit alles andere als überholt ist. Und auch geografisch ging es in diesem Jahr zurück zu den Wurzeln: Im April reiste unsere Film-AG an den Gründungsort der Chile-Nachrichten, einem Haus der LN-Gründer*innen Urs und Clarita Müller-Plantenberg in Hessen. Im September dann hat der (teils auch dort gefilmte) Dokumentarfilm Donnerstags, 19 Uhr Premiere gefeiert. „Jedes Heft ist ein kleines Wunder“, sagt Gründer Urs darin. Wir freuen uns riesig, dass es mit dieser schönen Doku ein filmisches Zeitdokument über 50 Jahre LN gibt.

Dieses Jahr haben wir uns auch vorgenommen, mehr Latines für die Mitarbeit in der Redaktion zu gewinnen sowie die Vernetzung mit Kollektiven der lateinamerikanischen Diaspora in Berlin zu vertiefen. Mehrere dieser Gruppen haben in den LN Texte veröffentlicht und gemeinsam mit uns Veranstaltungen organisiert.

Blick ins Archiv und in die Zukunft Schaffen die LN nochmal 50 Jahre? (Foto: Jan-Holger Hennies)

Und, schaffen die LN noch einmal 50 Jahre? „Aaaach, so lange Prognosen …“, weicht Martin Ling, der seit 1989 in unserer Redaktion ist, dieser Frage im Film beinahe aus. Aber ja, wie geht es denn weiter? Zunächst zieht nach diesem vollgepackten Jahr wieder etwas Normalität ein: Wir bauen jeden Monat ein kleines Wunder zusammen und arbeiten die vielen neuen Redakteur*innen ein, die in den vergangenen Wochen den Weg in unsere Redaktion gefunden haben. Das freut uns sehr, denn so erneuert sich unser Kollektiv wieder und wieder. Gleichzeitig gilt es, auch bei diesem Generationswechsel zu erhalten, was LN seit 50 Jahren war und ist: kritisch, solidarisch und unabhängig!

Im Februar steht dann unser nächster Finanzcheck an – und da wird der zweite Teil von Martins Antwort wichtig: „… fünf Jahre wären schon gut!“. Denn es wird nicht einfacher, dieses Projekt, das uns allen so am Herzen liegt, finanziell über die Runden bringen. Die Produktionskosten steigen, gleichzeitig wollen wir unsere Bürostelle fair entlohnen und dabei die Preise für unsere treuen Abonnent*innen nicht erhöhen.

Woher soll das Geld also kommen? Da könnt ihr, die ihr bis hier gelesen habt, sicher helfen: Erzählt doch euren Freund*innen von den LN oder verschenkt ein Abo! Guckt euch unsere verschiedenen Aboarten (von Probe- über PDF- bis Förderabo!) und unsere tollen Prämien (vom Buch von Rita Segato bis zur FDCL-Broschüre!) an und erzählt davon weiter. Schon 100 neue Abos wären für uns ein riesiger Erfolg – nicht nur, weil sie uns finanziell weiterhelfen, sondern auch, weil wir uns freuen, wenn die LN gelesen werden! Eine große Hilfe ist aber auch eine – Deine! – Spende an LN: Damit können wir unsere zusätzlichen Kosten decken und schon mit kleinen Dauerspenden, zum Beispiel zehn Euro im Monat, auch längerfristig planen. Als Dankeschön für jede Spende versenden wir das Passwort, mit dem ihr unseren Jubiläumsfilm über 50 Jahre LN anschauen könnt.

Obwohl es sich manchmal selbstverständlich anfühlt, dass die Produktion der LN weitergeht, weil es immer geklappt hat, sehen wir in unserem Umfeld öfter, dass dies nicht der Fall ist: Mehrere kleine Zeitschriften haben in diesem Jahr die Türen geschlossen. Als Redaktion ist es nicht nur wichtig, bei der Verschickung ein reales Produkt in den Händen zu halten, es macht auch Spaß, im Kollektiv zu arbeiten und dabei Fähigkeiten zu erwerben und Erfahrung zu sammeln. Wir freuen uns, in den kommenden Jahren mit euch weiter auf diese Reise zu gehen.

Verschmutzt und allein gelassen

Im Norden Kolumbiens wird in mehreren Minen Kohle gefördert. Neben der Region La Guajira mit dem bekannten Tagebau El Cerrejón geschieht dies auch in der Region Cesar. Der Kohleabbau ist dort in der Hand multinationaler Unternehmen wie Glencore (aus der Schweiz) und Drummond (aus den USA). Gemäß kolumbianischer Gesetze haben diese Unternehmen gegenüber den Gemeinden eine soziale Verantwortung in Bezug auf Bildung und Infrastruktur, sie haben zudem eine Verantwortung gegenüber der Umwelt – selbst nachdem sie ihre Bergbaulizenzen zurückgegeben oder verkauft haben.

Drummond ist noch da Nach Schließung der Glencore-Minen leiden die Städte immer noch unter der Verschmutzung durch andere Minen wie El Descanso von Drummond

Glencore schloss im Jahr 2020 offiziell zwei ihrer Minen (La Jagua und Calenturitas) aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie angeblich fehlender Ressourcen zur Fortsetzung des Bergbaus. Da die Wirtschaft der Region Cesar hochgradig abhängig von diesen Minen war, ließ ihre Schließung die meisten zuvor dort tätigen Menschen ohne Einkommensquelle zurück.

Minenarbeiter*innen auf dem Weg zur Arbeit

Ein Mangel an staatlicher Präsenz und damit an Kontrolle der Bergbauunternehmen im Hinblick auf Umweltverschmutzung und soziale Investitionen führten zur Entstehung vergessener Ort­schaften wie Boquerón.

Einfaches Spielzeug Ein Junge hat sich etwas aus recycleten Eierpackungen gebastelt
Don Guillermo, ein örtlicher Bauer hat aufgrund der Verschmutzung all seine Fische, Rinder und Mais verloren. Sie waren die einzige Einnahmequelle neben der Kohle

Regiert manchmal von Kriminellen, manchmal von Guerillakämpfern, manchmal von paramilitärischen Gruppen und manchmal von sich selbst, schafft es Boquerón, auch ohne staatliche Präsenz zu überleben. Die Straßen sind nicht asphaltiert, die Energieversorgung erstreckt sich nur auf bestimmte Haushalte und die Schule. Die Mehrheit der Bewohner von Boquerón arbeiteten in den Glencore-Minen, bevor diese geschlossen wurden. Jetzt sind die meisten arbeitslos und kämpfen jeden Tag um das Nötigste.

Unasphaltierte Straßen sind die Regel in Boquerón

Bereits im Jahr 2010 wurde Glencore vom kolumbianischen Bergbauministerium aufgefordert, die Menschen von Boquerón aufgrund der Verschmutzung durch Kohlestaub umzusiedeln. Dies ist jedoch nie geschehen, stattdessen wartete das Unternehmen elf Jahre ab, bis die zuständige Behörde im Jahr 2021 feststellte, dass Boquerón nun unterhalb des gesetzlichen Verschmutzungslimits lag. Die Einheimischen erhielten von den Bergbauunternehmen nie eine Entschädigung für die Verschmutzung. Während sie die Landwirtschaft als alternative Einkommensquelle durch die Verschmutzung verloren, existieren die Minen, für die sie immer gearbeitet hatten, nicht mehr.

Der örtliche Supermarkt Hier kaufen die Leute alles, von Reis bis hin zu Spirituosen

Der schleichende Putsch der Korrupten

Gegen Straflosigkeit und Korruption Demonstration für einen “Wandel” in Guatemala (Foto: Sara Mayer)

„Du bleibst dünn, während die da oben sich die Taschen füllen” sang ein Demonstrant am 4. Oktober vor Menschen, die sich vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft versammelt hatten. Die dort Demonstrierenden wollten zeigen, dass sie die Korruption und die Allianzen der Regierungspartei mit Kriminellen und einflussreichen Unternehmen satt hatten. An jenem 4. Oktober ahnten sie noch nicht, dass sich ihre Mobilisierung zu landesweiten Protesten ausdehnen und über Monate anhalten würde. Guatemala steckt in einer historisch einzigartigen politischen Krise. Streikende hatten Teile des Landes stillgelegt, zeitweise mehr als 80 Straßen blockiert und vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft ein Protestcamp errichtet. Hier harren Demonstrierende seither Tag und Nacht aus. Regelmäßig werden Protestzüge und Kundgebungen abgehalten, um dem Wahlsieger Bernardo Arévalo und der ihm nahestehenden, sozialdemokratischen Partei Semilla den Rücken zu stärken.

Die Botschaft lautet: Das Volk lässt sich nicht unterdrücken und es wird auch nicht zulassen, dass eine korrupte Elite den Amtsantritt des demokratisch gewählten Präsidenten am 14. Januar verhindert. Am 8. Dezember forderte der Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, Rafael Curruchiche, die Wahlen vom August wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in den Wahlakten für ungültig zu erklären und verschanzte sich mit seinen Anhänger*innen in den Büroräumen. Blanca Alfaro, die Präsidentin des Obersten Wahlgerichtes (TSE), stellte daraufhin klar, dass die Wahlergebnisse gültig und unveränderbar sind und dass nur das Verfassungsgericht die Wahl annulieren könnte.

Gegenwärtig sind zwei Szenarien vorstellbar: Das erste, weniger wahrscheinliche ist, dass der Staatsstreich Realität wird. Das zweite Szenario geht davon aus, dass die traditionellen Machthaber alles tun werden, um Bernardo Arévalo das Regieren in der kommenden Legislaturperiode unmöglich zu machen. „Das Volk wird nicht zulassen, dass der rechtmäßig gewählte Präsident davon abgehalten wird, die Regierungsgeschäfte aufzunehmen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Partei Semilla, Román Wilfredo Castellanos Caal, gegenüber LN. Die sozialen Proteste seien „fundamental” für die Abwehr des Putsches. Der Zusammenschluss der Zivilgesellschaft zeige, dass sich das Volk weder manipulieren noch seiner Wahlen berauben lasse. Castellanos ist überzeugt, dass der Amtsantritt Arévalos nicht zu verhindern ist. Es gebe trotz „der Tyrannei der Staatsanwaltschaft und der korrupten Institutionen noch staatliche Einrichtungen im Land, die im Sinne einer demokratischen Ordnung funktionieren.” Diese seien bereit, sich einer korrupten Elite entgegenzustellen. Dennoch müsse man damit rechnen, dass die Gegner Arévalos alles tun werden, um dem künftigen Präsidenten den Alltag zu erschweren.

Während Román Castellanos die Einheit des guatemaltekischen Volkes hervorhebt, erinnert Miguel Oxlaj, Aktivist der indigenen Kaqchikel, an den Rassismus, der in Guatemala weiterhin fortbestehe. Die Indigenen versammeln sich momentan zwar hinter dem designierten Präsidenten, um die Demokratie zu schützen. Allerdings hätten sie Arévalo nur gewählt, da er „der Beste aus einer schlechten Auswahl“ gewesen sei. Nach dessen Amtsübernahme müsse man sich zusammensetzen, um über die Situation der Indigenen zu sprechen. Hohe Erwartungen hat Oxlaj nicht.

Am 4. Dezember versammelten sich Zehntausende vor der Generalstaatsanwaltschaft, um gegen den soeben verkündeten Staatshaushalt für 2024 zu protestieren. Der Kongress hatte den Haushalt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gegen die Einwände von Abgeordneten der Partei Semilla verabschiedet. Im letzten Moment wurde eine Vielzahl an Änderungen vorgenommen, die das Volk weiter benachteiligen und bestimmte Wirtschaftssektoren wie etwa Bauunternehmen begünstigen. Arévalo kritisierte, dass die Abgeordneten einen „falschen und illegalen Haushalt” beschlossen hätten und bat den noch amtierenden Staatschef Alejandro Giammattei, einen „fairen und trans­parenten Übergangsprozess zum Wohle des Volkes” zu gewährleisten. Ein solcher Etat ist vor allem geeignet, der neuen Regierung das Leben schwer zu machen. So wird die korrupte Justiz mit reichlich Geldern ausgestattet, Mittel für Gesundheit und Bildung dagegen gekürzt.

Die Stimmung im Volk kippte Ende September, als Angehörige der Generalstaatsanwaltschaft im Namen einer „Rettung der Demokratie” in das TSE eindrangen und die Akten der Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahl beschlagnahmten. Das TSE hatte zuvor die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse offiziell bestätigt. Die Erklärung vom 8. Dezember kommt nun für Aravelos Wähler*innen einem versuchten Staatsstreich gleich.

Am 2. Oktober begannen indigene Gemeinschaften der Region Totonicapán, sich gegen das Vorgehen des alten Establishments aufzulehnen. Sie forderten den Rücktritt der korrupten Schlüsselfiguren, die für die Beschlagnahmung verantwortlich waren: Rafael Curruchiche, die Gene­ralstaatsanwältin Consuelo Porras sowie der verantwortliche Richter Fredy Orellana. Dieser Widerstand wuchs zügig zu einer landesweiten Bewegung heran, der sich neben der Landbevölkerung und der Arbeiterklasse auch Hauptstädter*innen anschlossen.

Schon 2015 hatte es Widerstand gegen die Korruption gegeben. Dieses Mal ist die Situation jedoch anders: Die Bewegung wird nun vor allem von Indigenen angeführt und am Leben gehalten, ist streng organisiert und das Herz des Protestes befindet sich in der Hauptstadt. Es sind auch die indigenen Autoritäten, die sich gegenüber den Vereinten Nationen auf international geltendes Recht berufen, und auch die Europäische Union und die USA um Hilfe und Sanktionen gegen die Korrupten gebeten haben. Zumindest zeigt sich die internationale Gemeinschaft inzwischen besorgt um die Vorkommnisse in Guatemala. Die Organisation amerikanischer Staaten bezeichnete die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft als „Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung, des Rechtsstaates und der Menschenrechte der Bevölkerung Guatemalas”.

Der Preis, den insbesondere die ländliche indigene Bevölkerung für den Widerstand bezahlt, ist hoch: Viele protestieren seit über 60 Tagen rund um die Uhr und ließen in ihren Heimatdörfern alles stehen und liegen, um für die Zukunft Guatemalas einzustehen. Zwar haben sich viele der landesweiten Blockaden inzwischen aufgelöst, dafür etablierte sich der Dauerprotest vor der Generalstaatsanwaltschaft.

Bereits im September hatte der designierte Regierungschef vor einem „Staatsstreich in Zeitlupe“ gewarnt. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hatte vor „Übergriffen, Stigmatisierung und möglichen Anschlägen” gegen Arévalo und seine Vizepräsidentin Karin Herrera gewarnt. Während Arévalos Unterstützer*innen alles unternehmen, um seinen Amtsantritt zu sichern, legen ihm seine Gegner*innen Steine in den Weg. Der im Eiltempo festgesetzte Staatshaushalt ist nur ein Beispiel. Zunächst war die Generalstaats­anwaltschaft mit dem Versuch gescheitert, die Partei Semilla zu suspendieren, inzwischen ist es ihr aber gelungen, der Partei die Rechtspersönlichkeit abzusprechen. Gleichzeitig wolle sie strafrechtliche Ermittlungen gegen die politische Bewegung des künftigen Präsidenten einleiten und verlangte Mitte November die Aufhebung der Immunität Arévalos und Herreras vom Obersten Gerichtshof. Im Interview mit LN erklärte Román Castellanos, dass es sich hier um einen Putschplan handle, der „den Willen des Volkes verhöhnt“.

Viele sprechen inzwischen von einer „Justizdiktatur” in Guatemala

Indessen ließ die Generalstaatsanwaltschaft landesweit mindestens 30 Razzien in Privathaushalten durchführen und erließ zeitgleich 27 Haftbefehle gegen Unterstützer*innen Arévalos sowie Mitglieder von Semilla. Sechs Personen, die im Jahr 2022 die Universität San Carlos besetzt hatten, wurden festgenommen. Ihnen wurden mehrere Delikte, unter anderem die Bildung einer Vereinigung mit illegalen Absichten, vorgeworfen. Die Akademiker*innen hatten gegen den neuen Leiter der Bildungseinrichtung protestiert, dessen Wahl sie als unrechtmäßig empfanden.

Die Inhaftierten wurden mehrere Tage festgehalten und es wurde größtenteils hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Medien verhandelt. Der als korrupt geltende Richter Victor Cruz befand die Verhafteten zweier Delikte schuldig und entließ sie gegen Bezahlung eines Bußgeldes in einen „Hausarrest“. Das Verfahren soll fortgesetzt werden, Román Castellanos spricht von einem weiteren Versuch, die Partei Semilla zu schwächen. So versuche die Generalstaatsanwaltschaft, Semilla mit der Übernahme der Universität in Verbindung zu bringen. Der Prozess zeige, dass der Richter Verpflichtungen gegenüber den traditionellen Machthabern zu erfüllen habe.

Ein bedeutender Teil der Bevölkerung spricht inzwischen von einer „Justizdiktatur”. Politische Aktivist*innen fühlen sich nicht mehr sicher, ziehen sich zurück, tauchen unter oder entscheiden sich für das Exil. Aktuell unternähme Semilla alle möglichen Schritte, um den schleichenden Staatsstreich aufzuhalten, so Castellanos. Neben den rechtlichen Schritten führe die Partei Gespräche mit den wichtigsten Sektoren der Gesellschaft, zu denen die indigenen Gemeinschaften und Angehörige des privaten und öffentlichen Sektors zählen, um „die Demokratie auf den Beinen zu halten”, versichert der Abgeordnete. Das progressive Medium Prensa Comunitaria verkündete in den sozialen Medien, dass Richter Cruz mehrere unabhängige Medien des Landes aufgefordert habe, Informationen über bestimmte Journalisten*innen preiszugeben und sein Vorgehen der Öffentlichkeit nicht mitzuteilen. Auch gegen indigene Autoritäten, die eine führende Rolle in den aktuell stattfindenden Protesten einnehmen, wird laut Prensa Comunitaria ermittelt.

Kritische Stimmen wandern in Guatemala auf gefährlichen Pfaden: Diejenigen, die Kriminellen und Korrupten zu Leibe rücken, werden eingesperrt. So geschehen im Falle des Gründers der unabhängigen, inzwischen eingestellten Zeitung El Periódico, José Rubén Zamora: der Redakteur und Hauptkritiker der amtierenden Regierung wurde im Juni zu sechs Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt- trotz internationaler Kritik und offensichtlichen Unregelmäßigkeiten bei der Urteilsfindung. Wie es um die Pressefreiheit in Guatemala steht, zeigte ein durch ein Datenleck bekannt gewordenes Dokument des Verteidigungsministeriums, das Journalist*innen als „Risiko für die nationale Sicherheit“ einordnete.

Die Pyramide umdrehen

25. Jahrestag des Aufstandes Aufmarsch der Milizen der EZLN im Caracol La Realidad (Foto: Anne Haas)

Die Silvesterfeier 23/24 ist Jubiläumsfeier der zapatistischen Aufstände in Chiapas. 30 Jahre ist es her, dass das Ejército Zapatista de Liberación Nacional (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung, EZLN) zu den Waffen griff und den „Krieg gegen das Vergessen“ begann. In den 90er Jahren wurden die autonom regierten Teile des südlichen Bundesstaats Mexikos zu Orten der Hoffnung und Inspiration für linke Bewegungen weltweit. Internationalistische Brigaden reisten nach Chiapas, bis heute ist die Solidaritätsarbeit mit organisierten Gruppen in der Region stark. Die „Reise für das Leben“ der zapatistischen Delegation durch Europa 2021 stärkte alte Strukturen und schuf neue Netzwerke.

Die fünf Caracoles (sp.: Schneckenhäuser; so werden die Verwaltungszentren der autonom verwalteten Gemeinden genannt), seit 2019 auf zwölf erweitert, waren als Sitze der Räte der Guten Regierungen stets Anlaufpunkt für die lokale Bevölkerung, mexikanische und internationale Solidarität sowie unterstützende NGOs. Mit der Pandemie, und zuletzt der steigenden Gewalt in Chiapas wurde es jedoch etwas ruhiger um die Caracoles. Schilder mit der Aufschrift „Caracol geschlossen“ hingen seit Anfang 2023 an den Eingängen. Folglich wuchsen im Laufe des Jahres Sorge als auch Neugierde in Chiapas, vorangetrieben durch kecke Kommentare einzelner compas, Mitglieder der Zapatistischen Bewegung: „Ihr wisst, wir können nichts verraten, aber es wird etwas Großes kommen.“

Die Aufregung war daher groß, als im Oktober die ersten Kommuniqués auf der Internetseite enlace zapatista erschienen. Gleich in der zweiten Meldung wurde der symbolische Tod von Subcomandante Galeano, der 2014 Subcomandante Marcos ersetzt hatte, verkündet. Statt ihm tritt nun Capitán Insurgente Marcos als neue Identität auf den Plan, nebst dem seit 2014 offiziellen Sprecher Subcomandante Moisés, auch freundschaftlich bekannt als Sub Moy. Bereits seit zehn Jahren stecken die Zapatistas in den Vorbereitungen für die nun angekündigten Veränderungen, so Sub Moy im dritten Kommuniqué. Diese seien notwendig im Angesicht der katastrophaler werdenden Bedingungen durch staatliche Aggressionen und Drogenkrieg, den Klimawandel, Migration sowie die Pandemie.

„Der Sturm ist schon da, die ersten Tropfen fallen“, schreibt der Subcomandante, er komme schneller als gedacht und die bisherigen Strukturen seien ihm nicht gewachsen. Die Analyse der Zapatist*innen ist nicht optimistisch, sie ist realistisch und praxisnah. Sie verfallen jedoch auch nicht in apokalyptische Lähmung, stattdessen denken sie langfristig. Die gesetzten Ziele sollen ein Leben in Freiheit und mit Verantwortung für diejenigen ermöglichen, die in 120 Jahren leben, die siebte Generation von Kindern. Im Kommuniqué werden sie durch die Ururururenkelin des jungen zapatistischen Mädchens Dení symbolisiert. „Leben zu vererben“, so dass kommende Generationen mit Eigenverantwortung Entscheidungen treffen können, soll die Perspektive sein. In der vierten, der neunten und der zehnten Meldung wird konkretisiert, wie genau die neuen Strukturen aussehen werden. Die Auflösung der Zapatistischen Rebellischen Autonomen Landkreise (Municipios Autónomos Rebeldes Zapatistas, MAREZ) und der Räte der Guten Regierung (Juntas de Buen Gobierno, JBG) sorgten zunächst für vorschnelle Gerüchte über das Ende der Zapatistas. Diese wurden jedoch schnell, in ironischem Ton und mit Seitenhieb auf schlecht recherchierte Pressearbeit von den Zapatistas selbst ausgeräumt: „Die jetzige Regierung sagt, genau wie die früheren Regierungen, wir seien verschwunden oder seien geflohen oder hätten große Niederlagen erlitten, oder es gäbe gar keine Zapatistas mehr und wir seien in die USA oder nach Guatemala abgehauen. Aber schau nur: Hier sind wir. In Widerstand und Rebellion.“

Nach wie vor lebendig, widerständig und rebellisch

Dafür sollen die MAREZ und die Räte der Guten Regierung durch Lokale Autonome Regierungen (Gobiernos Autónomos Locales, GAL) abgelöst und Macht und Verantwortung dadurch nach unten an die Basis zurückgeführt werden. Die Gemeinden sollen einerseits besser und schneller auf die steigende Anzahl von Aggressionen reagieren können, worauf sich insbesondere auch der bewaffnete Arm der Bewegung, die EZLN vorbereitet. Gleichzeitig soll jedoch die hierarchische, pyramidenhafte Machtverteilung in der zivilen Regierung, wo die Verantwortung bei einigen wenigen liege und Entscheidungsträger*innen von Gemeinden trenne, aufgelöst beziehungsweise umgedreht werden. Die alten MAREZ und JBG waren wichtig, um etwas über basisdemokratisches Regieren zu lernen, hätten über die Jahre aber ihre Schwachstellen gezeigt. Die Regierungsstrukturen werden durch die GAL, von denen eine in jeder zapatistischen Gemeinde existieren wird, dezentralisiert und vor allem entbürokratisiert, um schnelle Entscheidungsfindung zu ermöglichen, so Subcomandante Moíses. Für Anliegen, die in größeren Zusammenschlüssen organisiert werden müssen, wie beispielsweise die Wasser- oder Gesundheitsversorgung und Organisation von Bildung, können die GAL sich regional und gemeinsam in den Kollektiven der autonomen zapatistischen Regierungen (Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas, CGAZ) zusammen­schließen, welche sich wiederum in größeren Zonen in Vollversammlungen vereinen können (Asambleas de Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas, ACGAZ). Dabei werden die Entscheidungen von der Basis in die Regionen und Zonen getragen, anstatt umgekehrt, vor allem auf den oberen Ebenen zu entscheiden und die Basis nur zu informieren, wie es sich den selbstkritischen Meldungen Neun und Zehn zufolge eingebürgert hatte.

Die Kommuniqués Nummer 13 und 14 sind bei Redaktionsschluss die letzten Kommuniqués vor zwei als fünfzehnte und sechszehnte Meldung veröffentlichten Videos. Sie stellen die politischen Analysen der Zapatistas in Bezug darauf vor, was in den letzten Jahren in Chiapas, Mexiko und der Welt passiert ist. Dabei nehmen sie auch immer wieder Bezug auf andere Kämpfe, wie die unermüdliche Arbeit der Buscadoras (dt.: die Suchenden; gemeint sind die Mütter von Personen, die gewaltsam verschwinden gelassen wurden, Anm. d. Red.) in Mexiko, den Konflikt um Zypern oder den historischen und aktuellen Widerstand der palästinensischen Zivilbevölkerung. Die Rolle des neu auf den Spielplan gerufenen Capitán Insurgente Marcos sei, nach den abgelösten Subcomandantes Galeano und Marcos, die kritische, pessimistische Stimme des Zapatismus zu sein und immer das Schlimmste vorherzusagen, um es zu verhindern. Der aktuelle Horizont aus dieser Perspektive ist eine apokalyptische Hypothese – die Menschheit ist nicht mehr zu retten. Vernichtungskriege und die fortschreitende Zerstörung der Natur sind notwendig zur Erhaltung des Systems und daher mehr Normalzustand als Ausnahme. Der Capitán selbst widerlegt seine Hypothese nach eigenen Regeln jedoch sogleich wieder mit Beispielen für Gegenbewegung. Die Zapatistas lassen trotz deprimierendem Ausblick keinen Raum für Zynismus: „Die bloße Möglichkeit – minimal, winzig, unwahrscheinlich bis zu einem lächerlichen Prozentsatz –, dass Widerstand und Rebellion zusammenfallen, bringt die Maschine ins Straucheln. Das bedeutet noch nicht ihre Zerstörung. (…) Und doch muss eine neue Hypothese entworfen werden.“

Wenn keine Türen mehr da sind, braucht es Risse im System

Dazu müssen auch europäische und andere solidarische Bewegungen von unten und links, wie die Zapatistas sagen, ihren Beitrag leisten. Die kleinen Risse, die sie im System erzeugen, müssen ausgeweitet werden, Bewegungen kreativ bleiben und nicht nach den Regeln des Feindes spielen, um Kooptierungsversuchen durch den Staat und grünen Kapitalismus zu widerstehen. Aus Chiapas kommen dafür kreative, philosophische und, angesichts der prekären Lage, überraschend humorvolle Impulse und Analysen. Jahrhunderte des Widerstands härten ab. „Wir müssen weiterlaufen, inmitten des Sturms. Aber das kennen wir als (indigene) Völker schon, zu laufen, mit allem gegen uns.“ Und obwohl einschneidend, sei die Restrukturierung der Autonomie noch lange nicht alles, was die Zapatistas in den kommenden Wochen anzukündigen hätten. Mehr Neuigkeiten aus dem lakandonischen Urwald können also mit Spannung erwartet werden.

Gefahr von oben

Modifizierte Drohnen Sie werden mit Sprengstoff, Nägeln und Pellets bestückt (Foto: Ricardo Gomez Angel, Public Domain)

In den frühen Morgenstunden des 18. Oktober 2023 erlebte Pater José Filiberto Velázquez Florencio einen bewaffneten Angriff, während er mit seinem Auto durch die Stadt El Nuevo Caracol im mexikanischen Bundesstaat Guerrero fuhr. Der Mordversuch an Pater Velázquez Florencio ging von mutmaßlichen Mitgliedern eines Drogen­kartells aus. Zuvor hatte er mehrmals sowohl gegenüber staatlichen Institutionen als auch öffentlich auf die kriminelle Präsenz in seiner Stadt in Guerrero aufmerksam gemacht. Pater Velázquez Florencio ist der Leiter der Organisation Centro de Derechos de las Víctimas de Violencia Minerva Bello (Zentrum für die Rechte von Gewaltopfern Minerva Bello). Diese zivil­gesellschaftliche Organisation setzt sich seit 2018 für die Verteidigung der Rechte von Menschen ein, die im Bundesstaat Guerrero Opfer von Gewalt geworden sind. Dazu zählen beispielsweise die Familienmitglieder von den 43 seit 2014 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa.

Doch die kriminelle Präsenz in der Region ist nicht neu. Vor über einem Jahrzehnt kamen die kanadischen Bergbauunternehmen Torex Gold und Equinox Gold nach Guerrero, um Gold abzubauen. Ihre Ankunft machte die Gegend attraktiv für Drogenkartelle, die sich Einnahmen durch Erpressung der lokalen Bevölkerung erhofften. Die Angriffe durch kriminelle Gruppen haben sich seit November 2022 erheblich vermehrt, als territoriale Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Gruppen wie dem Kartell Jalisco Nueva Generación, Los Tlacos und der Familia Michoacana begannen.

Das Neue dabei ist die Art, wie diese Gruppen Chaos und Angst unter der Bevölkerung verbreiten. Seit November 2022 setzen sie modifizierte Drohnen ein, um die Gemeinden anzugreifen. Diese Drohnen werden mit Sprengstoff, Nägeln und Pellets bestückt. Aus der Ferne werden sie dann gesteuert und als Waffe verwendet. Bis jetzt gab es in Guerrero mehrere solche Angriffe und sie führten bisher zu zwei getöteten Personen und Sachschäden. Pater José Filiberto berichtet, dass diese Drohnen aufgrund der bergigen Landschaft von El Nuevo Caracol eingesetzt wurden: „Es handelt sich um eine Region voller Berge und Hügel, in der es durch den sehr breiten Fluss Balsas eine natürliche Barriere gibt. Weil die Bewohner*innen die Straßen gesperrt haben, reagierten die kriminellen Gruppen mit Schüssen von den Hügeln aus sowie mit dem Abfeuern von Bomben durch Drohnen. Durch die vielen Berge und Hügel gibt es nämlich erhebliche Schwierigkeiten, diese Orte mit Bodentruppen und Fahrzeugen zu erreichen.“

Drohnen mit Sprengstoff, Nägeln und Pellets sollen Angst verbreiten

Die Gewalt hat vor allem drei sichtbare Auswirkungen auf die Stadt. Erstens führte sie zur Vertreibung von 600 Personen, die Schutz in benachbarten Städten suchten. Zweitens leben die verbliebenen Bewohner*innen in Angst und unter ständigem Stress. Weil medizinisches Personal und Lehrer*innen flüchteten, kam es drittens zum Mangel an öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit. Als Reaktion auf die anhaltende Gewalt durch die Drogenkartelle haben sich Menschen aus mindestens 30 umliegenden betroffenen Städten in Bürgerwehren organisiert und eine Allianz von 67 Gemeinden gegründet, die von den lokalen und föderalen Behörden Schutz fordern.

Die aktive Zivilgesellschaft wird durch die Politik geschwächt

Die staatliche Reaktion auf die Situation der Unsicherheit in Mexiko wurde von den Bürgerwehren stark kritisiert. Die Regierung hat Ausrüstung zur Konfiszierung von Drohnen und Sprengstoffen erworben und eine rechtliche Initiative zur Erhöhung der Haftstrafen für den Einsatz von Drohnen bei illegalen Aktivitäten vorangetrieben. Trotzdem bleibt Pater José Filiberto skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Er befürchtet, dass die Hauptstadt von Guerrero eine „Zeitbombe“ sei: „Dort finden derzeit Hinrichtungen statt. Gestern haben sie einen zerstückelten Körper vor die Tore der Nationalgarde in Chilpancingo geworfen. Ich denke, es wird weiterhin sehr besorgniserregende Nachrichten über Gewalt in dieser Region geben. Besonders jetzt, da der Wahlkampf für die anstehende Präsidentschafts­wahl näher rückt, werden politische Verbrechen zur Alltäglichkeit.“

Er stellt weiterhin fest, dass die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen von der Regierung missachtet und unterbewertet wird: „Wir leben in einer Zeit, in der das Recht, sich selbst zu verteidigen, zu einem politischen Angriff gegen die Machthaber*innen wird. Als Menschen­rechtsorganisationen, Journalist*innen oder aktive Zivilgesellschaft sind wir geschwächt. Der Staat will das Monopol über die Verteidigung der Menschenrechte behalten. Dabei verachtet er die echte Menschenrechtsarbeit, die abseits der politischen Parteien geleistet wird. Das setzt uns Risiken aus. Es macht uns verwundbarer.“

Es ist weder das erste Mal, dass ein Aktivist ins Visier krimineller Gruppen gerät, noch, dass sich die Zivilbevölkerung in einer Bürgerwehr organisiert. Das ist schon früher geschehen, vor allem in Michoacán, ein weiterer Bundesstaat, der von Drogenkartellen bedroht wird. Genau wie in der Vergangenheit war die Reaktion der Regierung unzureichend, um die Bewohner*innen zu schützen und die Macht der Drogenkartelle zu schwächen. Stattdessen ist eine Zusammen­arbeit zwischen den staatlichen Behörden und der Zivilgesellschaft notwendig, um Sicherheit und Frieden zu fördern. Diese zwei Elemente werden in Mexiko dringender denn je benötigt.

Bolero-Fantasie und Rebellion

Der chilenische Autor Pedro Lemebel ist eine Ikone der lateinamerikanischen und der queeren Literatur. Passend zum Jahr des Gedenkens an den Beginn der Militärdiktatur Augusto Pinochets wurde nun Lemebels einziger Roman Tengo miedo, torero in der Übersetzung von Matthias Strobel neu verlegt. Lemebel gab vor allem durch Chroniken Einblicke in das Leben auf den Straßen der chilenischen Klassengesellschaft. In diesem Werk, das 2001 auf Spanisch veröffentlicht wurde, nimmt er uns mit in die Welt „der Tunte von der Front“ (Original: „la loca del frente“), die im Jahre 1986 in einem heruntergekommenen, aber immer sauberen und mit bestickten Tischdecken dekorierten Haus in Santiago lebt. Mit jenen hübschen Deckchen werden auch die Revolutionsmaterialien des jungen Carlos und seiner Mitkämpfer*innen der patriotischen Front Manuel Rodríguez bedeckt, die die Protagonistin aus Verliebtheit in ihrem Haus versteckt. Dort trällert sie kitschige Boleros und gibt sich ihren Liebes­fantasien hin, während sie auf Carlos´ nächsten Besuch wartet. Der ist allerdings vor allem damit beschäftigt, mit seiner Gruppe ein Attentat auf den Diktator zu planen – eine wahre Begebenheit, um die herum sich die Geschichte der Romanfiguren entspinnt. Über die meist kurzen Begegnungen hinaus entwickelt sich die Beziehung zwischen Carlos und der Protagonistin vor allem in deren Traumwelt weiter. Obwohl sich mit der Zeit eine intimer und uneindeutiger werdende Freundschaft zwischen beiden aufbaut, bleibt Carlos in der begehrten Form doch unerreichbar. Einsamkeit und unerfüllte Hoffnungen der „Tunte von der Front“ schimmern immer wieder durch. Lemebel schafft es, die Lesenden mit ausgeschmückten sprachlichen Wendungen und extravaganten Formulierungen mit in die schmachten­den Fantasien der Hauptfigur zu nehmen und das melancholische Ziehen queerer Sehnsucht nach der Romanze der Boleros zu vermitteln.

Parallel zur Liebesgeschichte entwickeln sich die politischen Ereignisse sowie die politische Haltung der Protagonistin selbst weiter. Während diese zu Beginn des Romans noch nichts von den Aktivitäten der Studierenden wissen möchte, fühlt sie mit der Zeit immer mehr Verbindung zu deren Kampf und beginnt in kleinen alltäglichen Akten der Rebellion selbst Haltung anzunehmen. Aus ihrer Perspektive auf die Revolutionär*innen spricht dabei jedoch auch Lemebels zu Lebzeiten immer wieder angebrachte Kritik am freudlosen, maskulinistischen Aufopferungskult und Macho-Gehabe in kommunistischen Gruppen. Dem entgegen setzt der Autor den aufmüpfigen Ton der „Tunte von der Front“. Auch Szenen der frustrierten Ehe des Diktators und seiner Gedankenwelt werden in einer parallel verlaufenden Erzähllinie immer wieder eingeflochten und münden als Höhe­punkt im Aufeinandertreffen der beiden Linien am Tag des Attentats.

Lemebel nutzt Sprache und Genrekombinationen auf seine eigene Weise, verknüpft kitschige Ausdrücke mit pornografischen Szenen, Liebesgeschichte mit Politdrama. Wer die spanische Version kennt, muss sich zunächst an den ungewöhnlichen Sprachgebrauch, der nicht leicht ins Deutsche zu übertragen ist, jedoch gut von Strobel übersetzt wurde, gewöhnen. Es lohnt sich – Torero, ich hab Angst wird ganz zu Recht als Meisterwerk bezeichnet.

“Esta Constitución es peor y peligrosa”

“Por mi abuela, por mi mamá, por mi hermana” Marcha feminista el 8 de marzo 2022 en la Alameda en Santiago (Foto: Josefa Jiménez)

El movimiento feminista ha sido uno de los primeros sectores sociales que se posicionó en contra de la nueva Constitución. ¿Por qué? ¿Cuál fue el momento decisivo?
Ya desde el inicio empezamos a advertir ciertos elementos de este proceso. Lo primero fue la exclusión total de todos los movimientos sociales: Fue un proceso levantado por las fuerzas políticas que durante 30 años administraron el sistema neoliberal y que habían sido impugnadas durante la revuelta social. Por lo tanto, ya desde el inicio advertimos una posición de alerta sobre este proceso. En su primer momento no tenía considerada la paridad, tampoco los escaños reservados. De alguna manera, era una antítesis del primer proceso constituyente y además una respuesta incluso castigadora de aleccionamiento. Esta fue la primera alerta. La segunda alerta fue cuando gana con mayoría el sector más conservador de Chile, la ultra derecha neoliberal, que son los Republicanos. Y la tercera alerta fue cuando empezamos a ver los resultados del trabajo.

Desde una perspectiva feminista, ¿cuáles son los puntos más críticos de este nuevo texto?
Una de las cosas que más nos pone en alerta son distintas normas que ponen en peligro nuestras vidas como mujeres y además nos ponen en un peor estado de lo que ya estamos. En uno de los artículos se pone en peligro la ley de aborto en tres causales. Otra de las alarmas fue que hay un artículo que hace inaplicable la Ley Papito Corazón. Esa ley es una de las herramientas que el Estado tiene para que los deudores de alimentos a sus hijos e hijas, que en mayoría — el 95% — en Chile son hombres, cumplan con sus responsabilidades. El Estado puede disponer de los fondos de las pensiones que acumulan estos hombres. Por lo tanto, algo que ha sido histórico en la lucha de las madres en Chile, que los varones, sobre todo los padres cumplen con el derecho que tienen todos los niños y niñas de alimentarse, corre peligro. Otra norma que nos pareció muy crítica fue la norma del sistema de cuidados que lo reduce exclusivamente a la familia. Entonces no hay un derecho socializado del cuidado, que era una de las cosas que sí proponíamos nosotras en nuestra propuesta de Constitución anterior. Históricamente, como movimiento feminista, hemos luchado por la socialización de los cuidados para volver con ese tema a la esfera pública.

Como Coordinadora 8M, no participaron activamente en el proceso. ¿Cómo acompañaron el trabajo del Consejo Constitucional, entonces?
No hemos participado de este proceso porque fue cerrado. Quedamos en los márgenes de la exclusión. ¿Y cuál sería nuestro rol entonces? Uno informativo y educativo. Creemos que tenemos este deber de informar, de educar, de advertir los peligros que contiene este nuevo proyecto constitucional. Es algo peligroso, no solamente para la vida de las mujeres, de los niños y las niñas, de las disidencias, sino que también para el país, porque es un proyecto que además mantiene — incluso en otros aspectos radicaliza — todos los elementos del neoliberalismo que hemos criticado los últimos 30 años y que han precarizado, han empobrecido a nuestras vidas.

¿Cómo intentan cumplir con estos deberes?
Nosotros levantamos la “Campaña de mujeres y Disidencias por el contra”, que está orientada principalmente hacia mujeres y jóvenes indecisas. Nuestra consigna es “Es peor y peligrosa”. En ese sentido, nos hemos agrupado con distintas organizaciones feministas, ABOFEM, por ejemplo, que es una asociación de abogadas feministas, y con compañeras de La Rebelión del cuerpo. Esta campaña tiene dos ejes centrales: Uno es la difusión por redes sociales y medios de comunicación. Por otro lado está el trabajo territorial con mujeres, juntas de vecinos y vecinas, agrupaciones comunitarias y territoriales. La semana pasada estuvimos articuladas con estudiantes universitarias porque también se juegan la gratuidad en el sistema de educación superior. Y también hay ciertas normas que ponen en peligro los avances respecto a los protocolos contra los acosos dentro de los espacios educacionales. Esto ha sido un trabajo bastante arduo, pero también con mucho convencimiento de que no podemos dejar que gane la ultraderecha, porque eso implica un peligro directamente hacia las vidas de las mujeres y disidencias.

Entonces, ¿qué posibilidades hay para el 17 de diciembre?
Generalmente, los pronósticos señalan que hay una ventaja del “en contra” versus el “a favor”. Pero nosotras hemos decidido no confiarnos en esas encuestas y no descansar, porque a pesar de que sí hay una balanza hacia el “en contra”, lo de los indecisos y las indecisas es un margen que cada vez se ha ido equilibrando. Entonces no es una batalla que hayamos ya ganado, y creemos que es necesario redoblar nuestros esfuerzos para hacer una campaña con mayor inserción.

¿Cuáles son los discursos más importantes en este momento?
Hay que desvirtuar ciertas ideas que se han puesto. Uno de los discursos es: “Si es que se gana el a favor, vamos a a estar más estables como país”. Nosotras hemos sostenido que no va a ser así, porque los problemas que venimos arrastrando hace 30 años no se van a solucionar y no vamos a tener mayor estabilidad. Y se ha jugado con esa idea porque se va a cerrar el conflicto, porque ya no vamos a tener más procesos constituyentes. Esa ha sido una de las ideas que más han llevado a gente a afirmar que está a favor, independientemente del contenido, porque las personas están cansadas de estar en conflicto. Por eso hay que señalar que este conflicto va a seguir abierto. Porque todavía no hemos encontrado una solución como país para estos problemas que en el estallido social aparecieron de manera mucho más patente; pero también eran problemas que, desde el 2000, el movimiento estudiantil ha venido afirmando, los movimientos socioambientales también. Eso es lo peligroso de esta Constitución: lo que hace es afirmar aún más este sistema de privatización de derechos, movido totalmente por el mercado.

Pero un voto “en contra” es un voto para mantener la Constitución de Pinochet, ¿no?
Estamos en una elección entre la Constitución de Pinochet o la que escribieron los pinochetistas. No es esa la disyuntiva a los 50 años del golpe que conmemoramos este año. Este es el resultado de un fracaso de la democracia de los últimos 30 años. De no haber sido capaz, ni los gobiernos de la Concertación, de generar un límite claro a las fuerzas pinochetistas que resurgieron. Un límite claro significa no permitir ciertos discursos que avalan, por ejemplo, la violación a los derechos humanos de manera tan simple y tan ligera, la falta de políticas públicas respecto a reparación, impunidad, la falta de educación en derechos humanos y en memoria. Estamos en un momento en que no podemos darnos el lujo de retroceder. No podemos tener una Constitución peor, no podemos perder ciertos avances muy pequeños que habíamos dado con ayuda de todos los movimientos sociales. Y sí, es una decisión bastante cruel.

Durante el primer proceso constituyente, varios movimientos sociales – como también la Coordinadora – decidieron participar en un proceso institucional que al final fracasó. ¿Hoy se arrepienten?
Como Coordinadora, no somos una organización dogmática. Vimos la posibilidad, hicimos una apuesta con nuestro análisis. Y no nos arrepentimos de haber entrado a la institucionalidad en ese sentido, porque era una institucionalidad extraordinaria. Pero, cuando entramos, nunca dejamos y perdimos nuestro carácter autónomo, caracterizado por la autonomía de los poderes fácticos, incluso de los partidos clásicos de la izquierda.
Ahora vemos que no hay una posibilidad para impugnar la institucionalidad. No hemos discutido y no nos vemos ni a corto ni a largo plazo ingresar a la institucionalidad, sino que nuestros esfuerzos van a seguir en los territorios, en las comunicaciones y sobre todo con la autonomía que ha caracterizado al movimiento feminista en Chile.

¿Qué se llevan de este proceso para futuras luchas?
Una de las cosas que nos llevó al Rechazo tiene que ver con la manipulación dirigida, sistemática y planificada que ha tenido la ultraderecha en todo el mundo de penetrar a los medios de comunicación mediante las fake news. Entonces, lo que hemos señalado como coordinadora es la importancia de tener medios masivos de comunicación propios. Imagínate, nosotros nunca tuvimos TikTok y ahora estamos intentando.

En Chile y otros paises como Argentina, la derecha está ganando fsuerza. ¿Cómo intentan enfrentarlo?
Una de las luchas importantes para el movimiento feminista y para los movimientos sociales es recuperar la perspectiva de alternativa, a construir proyectos políticos atractivos. Hemos mantenido una capacidad reactiva, pero no una capacidad propositiva. Hay que sistematizar ideas, sistematizar proyectos y generar proyectos alternativos.
Creo que otra tarea inmediata es una tarea de escucha, de volver a escuchar a las personas, a sus necesidades, a las problemáticas que vivimos todos y todas. Hay que generar más procesos de atención y diálogo. Y por otro lado, también creo que tenemos que generar procesos masivos de educación popular. En eso también nos hemos concentrado y queremos levantar una escuela de formación. No bajo el paradigma de que la gente no sabe y nosotras sí, sino que en el paradigma de volver a encontrarnos con las personas y poder hacer estos procesos de diálogo.
Todo eso tiene que ver con esa capacidad de captar la rebeldía y la frustración de las personas. Y es eso lo que ha hecho la ultraderecha: Ha sido capaz de darle un sentido común a la rebeldía y a la molestia que tienen las personas por el sistema y ofrecer una alternativa de salida. Aunque sabemos que no nos va a favorecer porque, al menos en Latinoamérica, es seguir manteniendo y profundizando el sistema neoliberal. La izquierda está llena de derrotas, los movimientos sociales estamos llenos de derrotas, y tenemos que verlo también como oportunidad para poder replantearnos y seguir adelante. Como un impulso para no abandonar nuestra lucha. Todavía tenemos abierta la posibilidad de seguir imaginando nuevos mundos, nuevas maneras de relacionarnos con los otros, con el sistema, con el Estado, con la naturaleza. Como movimientos sociales tenemos que recuperar esta capacidad de desear otras cosas. Porque también nos encontramos en un momento muy fértil para poder pensar otros proyectos.

Lyrik aus Lateinamerika

Illustration: Universo / Susana Alavez

VEN A VIVIR
TODAS LAS POETAS CONMIGO

Hay un romance esdrújulo
de la bruja monja
dedicado a su virreina
donde le pasa la mirada
por toda la cuerpa.
Qué calor hace.
Estoy segura de que
la argentina suicida
solo dijo una vez
“ven a vivir conmigo”
y fue a puras mujeres.
Quiero creer que
los hongos de Marosa
son los pezones
de alguna íntima.
Amiga, siéntate a comer.
Cuando Tatiana dibujó en arcilla una sirena.
fue tu boca de guayaba la que habló.
Yo digo esto con aceite de coco,
sin barroco,
sin morir,
porque, Susana, tienes 26 años
y los ojos de felina,
el cabello de colores.
Cuando éramos niñas,
grafiteabamos nuestros respectivos cuartos,
tú patinabas en tu colonia,
pero yo atrapaba los insectos en la mía;
nunca nos vimos,
solo imagino ahora tus dientes de leche,
¿imaginas la ira de mi adolescencia?,
Tardé 7 años en huir.
tú también te fuiste sola:
el miedo es una tableta sucia,
un enjambre de pelos mojados en la coladera,
un escarabajo.
No importa.
Ven a vivir todas las poetas conmigo,
tendremos todas las fotografías que existen en la munda,
todos los chuchupastes que arden en la papaya
y nos corroen el odio de machos,
siempre embriagadas tú y yo y las amigas
nadando como seres en una materia fungi,
gritaremos tanto rehilete juntas
que nuestras rosas, risas, se harán lengua.

KOMM UND LEBE
ALLE DICHTERINNEN MIT MIR

Es gibt eine esdrújula Romanze
von der Hexennonne
gewidmet ihrer Vizekönigin
wo der Blick
über ihren gesamten Körper* wandert.
Wie heiß es ist.
Ich bin sicher, dass
die suizidale Argentinierin
nur einmal gesagt hatte
“komm und lebe mit mir”
und nur zu Frauen.
Ich möchte glauben, dass
Marosas Pilze die Nippel sind
einer Vertrauten.
Freundin, setz dich und iss.
Als Tatiana auf Ton eine Meerjungfrau zeichnete,
war es dein Guavenmund, der sprach.
Ich sage dies mit Kokosnussöl,
ohne Barock,
ohne zu sterben,
denn, Susana, du bist 26 Jahre alt
und hast Katzenaugen,
die Haare bunt.
Als wir Mädchen waren,
haben wir unsere jeweiligen Zimmer bekritzelt,
du fuhrst in deinem Viertel Rollschuhe,
aber ich habe Insekten in meinem gefangen;
wir haben uns nie gesehen,
ich stelle mir jetzt nur deine Milchzähne vor,
kannst du dir die Wut meiner Jugend vorstellen?
Ich habe 7 Jahre gebraucht, um zu fliehen.
Auch du bist allein gegangen:
Die Angst ist eine schmutzige Pille,
ein Knoten nasser Haare im Abfluss,
ein Käfer.
Es spielt keine Rolle.
Komm und lebe alle Dichterinnen mit mir,
wir werden alle Fotos haben, die es auf der Welt* gibt,
all die chuchupaste-Wurzeln, die in der Pflaume brennen
und macho-Hass zerfrisst uns,
immer berauscht, du und ich und die Freundinnen,
schwimmen wie Wesen in einem Pilzgewebe,
wir werden so viele Pfeile zusammen schreien,
dass unsere Rosen, unser Gelächter, zu Sprache werden.

Muro digital

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Esperando la decisión de la aplicación Delante del albergue para migrantes Casa Tochan en la ciudad de México (Foto: Lilia Tenango)

En medio de la pandemia de COVID-19, en octubre de 2020, la Oficina de Aduanas y Protección Fronteriza de EE.UU. (CBP, por sus siglas en inglés) introdujo la aplicación CBP One para aumentar el control y así reducir la migración. La nueva aplicación llegó en el contexto de dos medidas existentes en materia de inmigración y fronteras que eran fundamentales para la dinámica migratoria en ese momento: en primer lugar, el acuerdo binacional “Quédate en México” (MPP, por sus siglas en inglés) de 2019 a 2022, y en segundo lugar, la ley de salud promulgada entre 2020 y mediados de 2023, conocida como Título 42. Bajo el MPP, los y las solicitantes de asilo tenían que permanecer en México durante meses mientras su caso era estudiado en Estados Unidos. El Título 42, por otro lado, permitía a la Patrulla Fronteriza de EE.UU. deportar directamente a personas mayoritariamente mexicanas y centroamericanas que hubieran cruzado la frontera de EE.UU. de forma irregular sin darles la oportunidad de solicitar asilo. CBP One es, por tanto, otro instrumento para gestionar la migración y reducir los cruces irregulares en la frontera. Ahora es la herramienta central para regular los cruces fronterizos.

Lupe Alberto Flores, antropólogo de la Universidad Rice de Houston, explica a LN que la aplicación se ha utilizado con diversos fines desde su introducción. Se usó durante el MPP para verificar la identidad de las personas que esperaban la decisión estadounidense de asilo en México. La aplicación también se empleó en 2021 para la evacuación de personas de Afganistán y en 2022 para la entrada de personas de Ucrania como parte del programa de protección humanitaria “Unidos por Ucrania”. Los y las venezolanas pueden incluso utilizar la aplicación para solicitar asilo desde Venezuela en determinadas condiciones como parte de otro programa de protección humanitaria. Si se aprueba su solicitud, pueden volar directamente a Estados Unidos. En resumen, cualquier persona no estadounidense que quiera cruzar la frontera por tierra necesita una cita. Esto es especialmente importante cuando se solicita asilo. Cualquier persona que viaje a Estados Unidos sin esta cita puede ser deportada y se le puede prohibir la entrada al país durante cinco años.

En principio, la aplicación está disponible gratuitamente para cualquier persona con un teléfono móvil. Flores describe el funcionamiento de la aplicación como un filtro: además de fotos biométricas en tiempo real y todos los datos personales, también pide información sobre viajes anteriores. Antes de su primer contacto con agentes fronterizos estadounidenses, ellos comprueban si las personas han sido condenadas o han cometido delitos. Además, la aplicación siempre pregunta por la ubicación actual. Esto es importante porque la aplicación sólo funciona al norte de Ciudad de México, lo que significa que las personas tienen que llegar allí primero. En teoría, quienes consiguen una cita pueden cruzar México sin problemas. Sin embargo, según los informes de las personas afectadas y las organizaciones, las y los funcionarios mexicanos suelen exigir dinero para continuar su viaje por tierra.

Flores explica que CBP One es, por tanto, una tecnología “logística” que facilita la entrada, pero al mismo tiempo significa y aplica controles de inmigración más estrictos. Según Flores, hasta agosto de este año, el 90 por ciento de los y las solicitantes de asilo con cita previa pudieron cruzar la frontera para solicitar asilo en Estados Unidos. Dado que ofrece la posibilidad de entrar legalmente a EE.UU., la aplicación está bien valorada por las personas en tránsito. Un hombre de Uzbekistán dijo a LN en Tijuana: ”Puedes descargarte la aplicación aquí y utilizarla para entrar a Estados Unidos. Es genial. No necesitas visado y te aceptan sin más”.

La aplicación tiene carácter de lotería

El proceso resulta problemático para las personas que no tienen móvil o cuyos teléfonos no cumplen los requisitos técnicos de la aplicación. Además, muchas personas que viajan por distintas ciudades y países suelen tener un acceso limitado o nulo a internet. Flores también describe el proceso de solicitud de cita como un laberinto en el que varios caminos pueden llevar al destino. Sin embargo, los errores técnicos o la información introducida incorrectamente también pueden conducir a un callejón sin salida. Estos momentos causan un enorme estrés, ya que en tales casos hay que anular y renovar inscripciones enteras. La psicóloga Janett De Jesús del albergue para migrantes Casa Tochan, en Ciudad de México, subraya en la entrevista con LN que la aplicación CBP One tiene un impacto significativo en la psique de las personas. Aparte de la satisfacción de tener una forma legal de entrar en EE.UU., la frustración y la desesperación van en aumento. Esto se debe a las numerosas incertidumbres técnicas y estratégicas, pero también a los numerosos rumores sobre el éxito del procedimiento, actualmente muy extendido. Muchas personas tampoco son capaces de evaluar las implicaciones de haber introducido sus datos. La aplicación también ha sido noticia desde el principio porque no suele reconocer las fotos en tiempo real de las personas de piel oscura. Otro factor de frustración es el carácter arbitrario de la lotería, que puede suponer una gran prueba de estrés para las personas. Flores explica que la selección para las citas es un proceso de dos vías: El 50 por ciento de las solicitudes se seleccionan al azar, mientras que la lógica para asignar el otro 50 por ciento se basa en la fecha de inscripción. Por ello, los tiempos de espera varían mucho y van desde unos pocos días o semanas hasta varios meses, un tiempo muy largo para las personas en situación precaria. También sufren la incertidumbre diaria de cuánto tiempo tendrán que esperar. Por tanto, el tiempo de espera no sólo está asociado a la paciencia y los nervios, sino también, en caso de duda, a costos y riesgos considerables en México.

Quienes ya no pueden esperar más deciden seguir viajando irregularmente hacia el norte. La psicóloga De Jesús afirma: ”El nivel de desesperación es tan grande que la gente está dispuesta a hacer lo que sea para conseguir la cita. Esto implica volver a rutas migratorias conocidas como el tren, donde la gente se expone a peligros como asaltos, secuestros o accidentes”. En respuesta al aumento de cruces irregulares de la frontera en septiembre, Estados Unidos y México han decidido conjuntamente nuevas medidas disuasorias. Entre otras cosas, se deportará a sus países de origen a cada vez más personas que permanezcan en las ciudades fronterizas del norte de México sin permiso de residencia y se pondrá fin al uso de trenes de mercancías como medio de transporte. La ”nueva” situación resultante de la aplicación significa que los albergues para migrantes también deben adaptar su trabajo con y para las personas en tránsito. Esto incluye la familiarización del personal y los voluntarios con la aplicación CBP One y sus funciones, ya que la demanda de ayuda con el registro es alta. Maricela Reyes, que trabaja en Casa Tochan, subraya en una entrevista con LN que esto no es tan fácil, ya que la funcionalidad de la aplicación cambia constantemente. Explica que el albergue trabaja constantemente al límite. Aunque Casa Tochan solo tiene camas para 46 residentes, acoge a mucha más gente: a mediados de septiembre, había unas 150 personas, para las que el personal incluso tuvo que levantar temporalmente una gran tienda de campaña frente a la entrada para que pudieran pasar la noche allí. La directora del albergue de migrantes, Gabriela Hernández, dijo a LN que el Estado mexicano necesita urgentemente tomar medidas políticas para dar a estas personas un permiso de residencia temporal mientras esperan: ”Si tuvieran una visa humanitaria, se les permitiría trabajar. Así podrían trabajar en paz e independizarse, pagar el alquiler y esperar su cita. Sería otra forma de acabar con el hacinamiento en los albergues. En lugar de eso, el gobierno se centra en impedir que la gente viaje a Estados Unidos de forma irregular y deportarla”.

El propio Gobierno mexicano se ha pronunciado positivamente sobre la posibilidad de cruzar la frontera legalmente utilizando la aplicación CBP One. El presidente López Obrador también lo hizo en agosto en una carta al presidente estadounidense Biden.

Activistas de derechos humanos y afectados emprenden acciones legales contra la app

La evolución futura de la situación es incierta. En primer lugar, sigue sin estar claro hasta qué punto se utilizarán en el futuro las grandes cantidades de datos recopilados de los y las usuarias de CBP One. En segundo lugar, quienes crucen la frontera utilizando la aplicación se enfrentarán a un proceso judicial en EE.UU. en el que se dictará sentencia definitiva sobre su solicitud de asilo. En tercer lugar, no está claro si el uso de la aplicación es ilegal en el contexto de la legislación estadounidense sobre asilo y si puede seguir utilizándose de esta forma. Las organizaciones de derechos humanos y solicitantes de asilo han presentado conjuntamente una demanda contra este procedimiento. La nueva estrategia estadounidense en nombre de una ”migración segura, ordenada y regular” crea así una forma legal de entrar en Estados Unidos, pero restringe el derecho de asilo. Los costes y riesgos asociados recaen sobre las personas en tránsito, que se ven obligadas a permanecer más tiempo en México en una situación de inseguridad (véase LN 582). Además, la mayor carga de trabajo recae sobre numerosas organizaciones de la sociedad civil en México que están a la cabeza de la lucha por el trato humano y el respeto de los derechos humanos de migrantes y refugiados. Según Flores, la aplicación ha añadido un muro digital al muro físico, que primero debe ser cruzado para poder presentar una solicitud de asilo. En definitiva, se trata de una medida más de externalización por parte de EE.UU. para controlar la migración hacia el norte ya desde México.

“Venimos del futuro”

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“No es sequía, es saqueo!” Activistas de MODATIMA en la huelga por el clima, en septiembre del 2023 en Berlin (Foto: Ute Löhning)

En este instante, a 50 años del golpe militar, se están votando nuevas normas constitucionales en el Consejo Constitucional. ¿Cómo ven el proceso constituyente actualmente?

Catalina: Lo que se está proyectando y aprobando hoy puede ser incluso peor que la Constitución de Pinochet. Están concesionando bienes comunes que nunca han sido privatizados, como los bordes de los ríos o las riberas. Tampoco se tomó en cuenta el cambio climático dentro del proceso. En el Consejo Constitucional domina la ultraderecha, que es negacionista y va incluso contra los derechos humanos básicos. Por eso no tenemos casi ninguna esperanza del actual proceso. No significa un avance en términos de nuestras demandas que se levantaron durante la movilización de octubre de 2019.

¿Sería mejor entonces que gane el Rechazo en el plebiscito de diciembre?

Jorge: Veo una ventaja en que se quede la Constitución del 80, porque ya está deslegitimada. Así se abriría un camino en adelante para torpedearla. Por eso creo que es importante que el Rechazo gane.

Catalina: Un desafío para los movimientos sociales en general será hacer valer la primera votación de 2020, en la que se exigió otra Constitución que no sea la de Pinochet. Este plebiscito va a representar un momento político importante para los avances que podamos ir empujando en términos de la correlación de fuerza, porque en el próximo año también se vienen elecciones de gobernadores y de gobiernos locales.

¿Qué significaría un Rechazo para la derecha??

Victor: Yo suelo decir que la derecha está dividida, no es una sola derecha. La extrema derecha del Partido Republicano está poniendo casi todos los temas que ellos proponen como proyecto de vida dentro de este texto. Entonces según la derecha, o va a ganar porque se aprueba o va a ganar porque se rechaza, porque en este caso quedaría la Constitución de Pinochet.

¿Qué perspectivas hay entonces para cambios en la constitución de la dictadura?

Victor: Creo que la única alternativa que quedaría sería una reforma constitucional. Pero con este Congreso es súper difícil; por lo tanto, tendría que ser en otro momento. Por ahora, nos queda la vía de la movilización.

Catalina: Sí, estamos en un proceso de formación política a nivel nacional y queremos crecer cualitativamente y cuantitativamente.

Pero MODATIMA no solo está presente en las calles, sino también en instituciones políticas…

Victor: Sí. Hay que combinar el trabajo de base con la vía institucional local, ahí hay harta fuerza. Por ejemplo en los gobiernos regionales, en el caso de la Región de Valparaíso con el gobernador Rodrigo Mundaca. Allí estamos trabajando para poder democratizar la gestión del agua dentro del marco legal que existe.

¿Qué es lo que ha conseguido Rodrigo Mundaca como gobernador? ¿Qué poderes tiene?

Victor: En todas las provincias de la región se están implementando mesas hídricas que funcionan como consejos de cuenca. La gente por primera vez está participando en tomar decisiones sobre la gestión del agua. Mientras el Gobierno está hablando de instalar una ley que permite construir consejos de cuenca a nivel nacional, eso en la región de Valparaíso ya está funcionando, aunque al margen de ley. También hay algunos programas de formación ciudadana para dirigentes y dirigentas de los sistemas de agua potable rural, que son la última propiedad pública y comunitaria del agua que existe.

Carolina: Además, Rodrigo Mundaca tiene la oportunidad de presidir la Agorechi el próximo año: la Asociación de Gobernadores del país. Va a estar a la cabeza de las regiones discutiendo sus atribuciones y posibilidades de incidir mucho más fuerte en la política nacional. Sumado a ello, son súper importantes el fortalecimiento institucional de los sistemas de agua potable rural, de la ciudadanía y también de aquellas municipalidades que trabajan con el Gobierno regional y que han visto mejorados su financiamiento. Eso hoy día claramente invita a tener mayor confianza en hacer política y en acercarse a la institucionalidad, cuestión que antes del estallido social era impensado.

Sin embargo, el Código de Aguas sigue siendo decisivo para el acceso al agua. ¿Ha habido algún avance en este sentido en los últimos años?

Carolina: El 25 de marzo del año 2022 se hizo la última reforma del Código de Aguas en Chile que termina con la propiedad perpetua de las aguas para los nuevos derechos de aprovechamiento de agua que se constituyen en adelante. Los proprietarios de derechos de aprovechamiento de agua existentes deben reinscribirlos, para lo cual debe haber disponibilidad de agua suficiente. Ya que muchas veces no es el caso, la cantidad de derechos de agua inscritos debería bajar. En caso de escasez hídrica, si no hay acuerdo entre dueños privados del agua para poder resolver el problema de satisfacer el consumo humano, la Dirección General de Aguas puede intervenir con una redistribución de las aguas. Eso ya ha sucedido en la cuenca del Aconcagua.

En los últimos años recien se siente más el cambio climático también en Alemania y ha habido sequías en verano. ¿Estamos subestimando los problemas con el suministro de agua en países como Alemania?

Victor: Creo que los países ricos todavía no consideran que el agua es un problema. Este año, en marzo, por primera vez en 50 años los países se reunieron para hablar de agua, en la Conferencia Mundial del Agua en Nueva York. Sin embargo, todos los años se junta el Foro Mundial del Agua, financiado y dirigido por las empresas privadas. Los países desarrollados hoy día todavía tienen disponibilidad de agua tanto para su población como para las empresas transnacionales. Nosotros en Chile, con una experiencia de 40 años de modelo privatizado, hoy día ya llegamos al extremo donde hay agua para los ricos pero no para los pobres. Entonces nos gustaría exigir que el agua efectivamente tome la relevancia que tiene en el mundo. Y cuando se hable de cambio climático, no solo se hable de la temperatura, sino que también se incorpore la variable de la disponibilidad de agua dulce. En Chile ya vivimos un fenómeno de desplazamiento climático con la falta de agua. Y cuando vienen industrias nuevas, como el litio o el hidrógeno verde, ambas consumen grandes cantidades de agua.

Al mismo momento, estos recursos son importantes para la transición energética. ¿Qué piensan sobre ese dilema?

Jorge: El litio habla de energía verde, pero su extracción es tremendamente contaminante y va a matar muchos ecosistemas en los países donde se extrae. Al mismo tiempo el litio es algo pasajero: Cuando en 20 o 25 años más apareczan energías superiores, el litio va a ser ya demasiado caro. Lo mismo nos pasó con el salitre y los alemanes. El salitre era la solución para todo, mi papá trabajó en el salitre, mi abuelo también. Y llegó el salitre sintético y lo reemplazó todo. Además, no hay transferencia de conocimientos de parte del primer mundo: nosotros trabajamos el litio, pero no hacemos las baterías. A nosotros en realidad nos quedan solamente los desastres ambientales.

Victor: En el marco de la transición energética, los países desarrollados ya tienen las proyecciones a 2030. Sería importante que países como Alemania, cuando vayan a establecer acuerdos, no se pregunten solo “¿Cómo compramos el litio o hidrógeno verde más barato?”, sino “¿Cómo lo producimos para que no afecte a las comunidades aledañas?”, y que incorporen la variable del agua de los territorios.

¿Qué puede aprender el mundo, qué podemos aprender nosotrxs de la situación en Chile?

Carolina: ¿En qué se traducen el consumo y la exportación desde las mal llamadas zonas de sacrificio (territorios afectados por la contaminación industrial concentrada, nota de redacción)? Hay imágenes que demuestran cómo se vive sin agua en el reino de los paltos, habiendo agua disponible. Pero la agroindustria nos niega el agua. Alemania se da la vuelta por América Latina para buscar recursos y establecer tratados de libre comercio para poder depredar nuestros territorios. Nuestro gran aprendizaje es que esto es insostenible, tampoco es seguro ni para las inversiones ni para el comercio internacional, pues va a durar un tiempo hasta que se agote porque se está destruyendo el ciclo del agua en nuestro territorio.
Creo que la única manera de hacer frente a esto son alianzas, conciencia y formación y, desde ahí, entender que hoy día las inversiones están por sobre los derechos humanos en Chile. Y que no se trata solo de un cambio de tecnología, sino de un estilo de vida y que debemos reducir la demanda de recursos.

Jorge: Ha habido mucho saqueo con todos los bienes naturales, con los bosques, con los océanos, con los ríos. Si la gente rica, si el primer mundo no toma conciencia y disminuye el consumo innecesario, vamos a destruir de alguna manera su patio trasero que son América Latina y África. Entonces, es necesario educar a la población sobre que hay que vivir con lo que se tiene, aunque es bastante difícil hacerlo. Si no ganamos la lucha ambiental, ¡todas las demás estarán perdidas!

A muchas personas les cuesta cambiar su estilo de vida. Por su experiencia en Chile, ¿qué problemas sociales podemos esperar en el futuro, cuando aquí también haya escasez de agua?

Victor: Estamos ya viviendo una guerra por agua. Hay territorios donde la gente no tiene cómo tomar agua, donde sale a la calle y se enfrenta con la policía y con los que tienen el agua. Ese panorama que uno veía futurista ya existe en Chile y en algunos lugares en África. Cómo MODATIMA estamos para organizar a las comunidades afectadas, para hacer crítica y para poner sobre la mesa temas de esta relevancia, por los cuales los gobiernos no se preocupan. Los pueblos como Chile venimos del futuro, de esa guerra del agua. Y países como Alemania, que no tienen un modelo privado de aguas, se pueden convertir en Chile si siguen el mismo camino.

Durante los eventos han mencionado la idea de una internacional del agua. ¿De qué se trata?

Carolina: Creo que, en términos de valores, se trata de solidaridad, de construir aprendizajes. Como proyecto, hay algo más grande que solo MODATIMA, como los ALBA movimientos o el Movimiento de los Trabajadores Rurales Sin Tierra (MST). Entonces estamos disponibles y con las ganas de construir poder a través de una internacional por el agua, basándonos en la solidaridad y en lo importante que es para la humanidad, que claramente traspasa fronteras.

Victor: Durante ya más de 15 años de trabajo en MODATIMA, nos hemos encontrado con otros movimientos grandes y pequeños que están viendo los mismos temas: las rondas campesinas en el Perú, el movimiento Afectados por represas en Brasil, el Movimiento Ríos Vivos en Colombia, la Coordinadora Agua para Todos en México. En los países latinoamericanos ya se está posicionando fuertemente la lucha por el agua, pero también acá existe el movimiento europeo por el agua, con el cual tenemos relaciones.
Pienso que es un proyecto que se tiene que desarrollar a largo plazo, por ejemplo con el Movimiento de Afectados por Represas (MAR) de América Latina. Ya tenemos una idea de construir un movimiento mundial por agua y energía, una especie de Vía Campesina vinculada al agua y la energía, que se está moviendo por el mundo buscando aliados. En ese camino el MAR lleva diez años trabajando.

En ese contexto, ¿les ha servido para algo el viaje a Alemania?

Catalina: En ir construyendo un horizonte para compartir experiencias, también en este afán de internacionalizar la lucha por el agua, este viaje fue súper enriquecedor. Sobre todo, fue interesante que salía el tema del hidrógeno y del litio. Entonces, tomando los nuevos desafíos de la transición energética, nos llevamos de vuelta esa tarea urgente para insertarlas de manera más profunda en el movimiento.

Jorge: Yo no me imaginaba que existiera un conflicto con Tesla por aquí cerca, donde hay gente que ven en peligro su agua. Me llamó la atención de que aquí también haya gente que se movilice por esos temas territoriales. Por lo tanto, nos sentimos cercanos y nos alegra. A mí en lo particular, me alegra mucho eso.

Victor: Creo que después de haber pasado por una pandemia, es muy importante recuperar la presencialidad y poder intercambiar presencialmente con personas que estamos en la misma sintonía y nos podemos potenciar. Y los medios como ustedes aportan harto en ese camino a comunicar, pero también a construir lazos, redes, conocer gente e intercambiar miradas.

Carolina: A 50 años del golpe ha sido un viaje de mucha memoria para nosotros, pero también de mucho futuro, de cómo soñamos nuestro país, qué esperamos de vuestro país, que esperamos de nuestros vínculos. Creo que ha sido sanador después del fracaso de la Constituyente. Me quedo con las ganas y la expectativa de construir comunidad y de avanzar juntos en una Internacional por el agua.

Angst vor Milei, Wut über Massa

Alberner geht’s (n)immer Mit Mickey Mouse und US-Dollars für Millei (Foto: Gerhard Dilger)

Der Geruch von frischgebackenen Empanadas und Facturas (argentinische Süßwaren) hängt in der Luft. Während sie auf ihren Kaffee warten, diskutieren zwei Bauarbeiter in einer Bäckerei über die Wahlen vom 22. Oktober. Als die Verkäuferin Leandra gefragt wird, was sie von dem Wahlergebnis hält, antwortet sie mit einem knappen „Eh egal, alles scheiße“. Ein Satz wie eine Überschrift für die Stimmung im Land.

Der Wahlsonntag hielt einige Überraschungen parat. Nachdem der ultrarechte Javier Milei von der Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) in den Vorwahlen im August an der Spitze lag, konnte nun der damals Drittplatzierte Sergio Massa von der peronistischen Regierungsallianz Unión por la Patria (Einheit für das Vaterland) deutlich zulegen. Mit 36,61 Prozent der Stimmen konnte er den selbsternannten Anarchokapitalisten in die Schranken verweisen, der lediglich sein Wahlergebnis von knapp 30 Prozent aus den Vorwahlen halten konnte. Für die Stichwahl am 19. November wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.

Die große Verliererin der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen war die Kandidatin des Mitte-rechts-Bündnisses Patricia Bullrich, die lediglich 23,84 Prozent einheimste. Der aktuelle Gouverneur von Córdoba Juan Schiaretti kam auf knapp sieben Prozent der Stimmen, während die sozialistische Kandidatin Miryam Bregman nur 2,7 Prozent der Stimmen holte.

Die große Frage ist nun, wohin die Stimmen der Kandidat*innen wandern werden, welche nicht in die Stichwahl eingezogen sind. Die sich bereits im Rentenalter befindende Bäckereiverkäuferin Leandra wählte zuletzt sozialistisch. Sie ist sich bei ihrer Entscheidung für die Stichwahl noch sehr unsicher. Sie tendiert allerdings zu Milei, weil sie auf keinen Fall den Peronismus unterstützen möchte. Und das, obwohl Milei als Ultrarechter mit der linksprogressiven Bregman nicht im Ansatz politisch übereinstimmt. Das hat sich in den Fernsehdebatten gezeigt, als sich die beiden hitzig angingen. Dort teilte Bregman dem sich gerne als Löwen inszenierenden Milei mit, dass er nicht mehr als ein „kuschliges Kätzchen der Wirtschaftsmächte“ sei. Ein Großteil der Stimmen sowohl von Bregman als auch von Schiaretti werden Umfragen zu Folge zu Massa wandern, der sich als Zentrumspolitiker inszeniert. Schiaretti distanziert sich zwar von Massa, gehört aber ebenfalls einer peronistischen Strömung an, weshalb seine Wähler*innen eher zu Massa denn zu Milei tendieren dürften.

Vermutlich ausschlaggebend und besonders spannend wird, für welchen Kandidaten sich die Wähler*innen entscheiden, die Patricia Bullrich ihre Stimme gaben. Eine von diesen Wähler*innen ist die 21-jährige Candela. Sie studiert Internationale Beziehungen an der gleichen Privatuniversität, an der auch Milei und Massa ihren Abschluss gemacht haben. Sie wird zwar ihrer Wahlpflicht nachkommen, allerdings ein voto nulo (einen ungültigen Stimmzettel) abgeben, also ungültig abstimmen, um keinen der beiden zu unterstützen. Darauf sei sie nicht stolz, aber sie könne weder Milei noch Massa mit ihren Werten vereinbaren. Wie Candela wird es vielen Wähler*innen schwerfallen, sich für Milei oder Massa zu entscheiden.

Nicht nur Bullrichs Wähler*innen sind gespalten, sondern auch das Bündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel) selbst. So sprachen sich der ehemalige Präsident Maurico Macri (2015-2019) und Patricia Bullrich klar für Milei und gegen Massa aus. Dieser repräsentiere laut ihnen den Kirchnerismus, womit auf die Präsidentschaften von Néstor Kirchner (2003-2007) und Cristina Kirchner de Fernández (2007-2015) abgezielt wird, aber auch auf die amtierende Regierung von Präsident Alberto Fernández. Sowohl Macri als auch Bullrich vertreten die Position, ihr Bündnis sei für den Wandel gegründet worden und wenn nun Milei diesen Wandel repräsentiere, sei das immer noch besser als weitere vier Jahre Kirchnerismus. Wobei der Zentrist Sergio Massa innerhalb der peronistischen Unión por la Patria weit weg vom linken kirchneristischen Flügel einzuordnen ist.

„Milei ist wie ein Sprung aus dem Fenster“

Ein Prominenter von Juntos por el Cambio (JxC) folgt Bullrich und Macri nicht: Der bald aus dem Amt scheidende Bürgermeister von Buenos Aires Horacio Larreta, der in den parteiinternen Vorwahlen Bullrich unterlegen war, wird wie Candela weder Massa noch Milei seine Stimme geben. Das werden sicher nicht die beiden einzigen aus dem Mitte-rechts-Lager sein, die Milei für unwählbar halten.

Bullrich winkt für ihre Empfehlung an ihre Wähler*innen bei einem Sieg von Milei nun sogar das Amt der Sicherheitsministerin in dessen Kabinett. Dies wirkte vor kurzem noch wie ein Ding der Unmöglichkeit, denn in der Fernsehdebatte beschimpfte Milei Bullrich noch als „Montonera“ (die Montoneros waren in den 70er Jahren eine linksperonistische Stadtguerrilla), welche „Bomben in Kindergärten“ gelegt hätte. Eigenen Angaben zu Folge gehörte Bullrich allerdings nur der peronistischen Jugendorganisation, nicht aber der Guerillaorganisation an.

Für die Wähler*innen von Bullrich stellt sich die Frage, ob die anti-kirchneristische Haltung oder die Angst vor Milei bei der Wahlentscheidung überwiegt oder als Ausweg zur Abgabe eines leeren Stimmzettels (voto blanco) oder eines ungültigen Stimmzettels (voto nulo) gegriffen wird.

Der gesamte Wahlkampf ist durch das Wechselspiel von Angst und Wut geprägt. Alejandro, der sich selbst als Teil der Oberschicht sieht, hat mehr Angst vor Milei als Wut der aktuellen Regierung gegenüber. „Bei Massa weiß man in etwa, was man bekommt, Milei ist wie ein Sprung aus dem Fenster. Das mag manchmal glimpflich ausgehen, realistisch gesehen wird es das aber nicht.“ Der 64-Jährige ist im Moment an sein Bett gebunden, weil derzeit keine Prothesen importiert werden, wie er sie für sein fehlendes Bein bräuchte. Dennoch macht er für sein persönliches Leid und noch viel weniger für das laut ihm deutlich größere Leid anderer Argentinier*innen nicht die Regierung verantwortlich. Ihm zufolge „ist es für Argentinien immer bergab gegangen, wenn die Rechte an der Macht war“. In seinem Freundeskreis sei er mit dieser Meinung allein, aber momentan habe er sowieso genug Zeit, um dies mit ihnen auszudiskutieren.

Die Regierung schürt die Angst vor den sozialen Konsequenzen der möglichen Wirtschaftspolitik von Milei auch mit konkreten Maßnahmen. So sieht jeder Argentinierin, der*die ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, im Moment den Preis einer Fahrt ohne und mit den aktuellen Subventionen (bei einer einfachen Fahrt 700 statt 59 Pesos, derzeit in etwa 70 und 5,9 Eurocent).

Expert*innen zu Folge lag Massas Wahlerfolg in der ersten Runde vor allem an zwei Punkten. Zum einen präsentierte er sich deutlich staatsmännischer als seine Konkurrenz. Soziologe und Anthropologe Pablo Semán sagte gegenüber CNN: „Was ein Mangel ist, ist auch eine Tugend: Er ist der Chef des Landes und verhält sich auch so.“ Durch Mileis Auftritte mit Motorsäge in der Hand, welche seine Metapher für den radikalen Staatsabbau ist, wurde dieses Image noch verstärkt. Zum anderen trug der „Plan Platita“ Früchte. Dieser bestand aus zahlreichen expansiven Sozialmaßnahmen, um die Konsequenzen der Wirtschaftskrise für die Bevölkerung abzufedern. Der Wirtschaftswissenschaftler Pablo Mira erklärt gegenüber CNN, dass die Wirtschaft zwar nicht boomt, aber auch nicht in eine Abwärtsspirale geraten sei, was unter anderem auf den „Plan Platita“ zurückzuführen sei.

Von der Opposition wurden die sozialpolitischen Maßnahmen als Klientelismus kritisiert. So sieht es auch der 21-jährige Alejo. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie aus der Provinz Entre Ríos. Es sei bei einer Inflation von knapp 140 Prozent eindeutig, dass das aktuelle politische System nicht funktioniere. Dem ersten Akademiker in seiner Familie seien soziale Themen zwar wichtig, allerdings müsse zuerst Reichtum geschaffen werden, bevor umverteilt werden könne. Wegen dieser Überzeugungen hat er sich dazu entschlossen, aktiv Wahlkampf für Milei zu betreiben. Dabei habe er die Erfahrung gemacht, dass nur wenige seine libertären Ansichten teilen, aber die Unzufriedenheit bei vielen so groß sei, dass sie sich dennoch für Milei als Alternative entscheiden. Dass Milei den Klimawandel leugnet und das in Argentinien hart erkämpfte Recht auf Abtreibung wieder in Frage stellt, gefällt ihm zwar nicht, aber dies seien zweitrangige Themen. Auch war er wie zunächst viele andere des harten Kerns von Milei kein Freund der angekündigten Allianz mit Macri und Bullrich. Denn wie Massa seien diese auch Teil der politischen Kaste, welche eigentlich bekämpft werden sollte. Zuletzt zeigte sich Milei allerdings moderat wie noch nie und glich einige seiner Forderungen an die von JxC an. So spricht er sich nun für das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem aus. Zuvor forderte er die Privatisierung und zweifelte sogar das Grundrecht auf Bildung an.

Candela wundert sich vor allem, warum die Lage im Land noch so entspannt ist und es bisher kaum zu Unruhen kam. Das größte Medienecho auf Grund einer Versammlung gab es zuletzt als am Obelisken in Buenos Aires der Rekord der meisten als Spiderman verkleideten Menschen geknackt wurde. Die ausbleibende Mobilisierung der Massen führt Alejandro darauf zurück, dass die Argentinier*innen einfach müde seien. Dabei bezieht er sich auf die weitverbreitete Politikverdrossenheit im Lande.

Ein weiteres wichtiges Thema im Wahlkampf ist die aktuelle Krise in der Benzinversorgung. Lange Wartezeiten, falls es überhaupt Benzin gibt und Bilder von Argentinier*innen die ihr Auto in der Schlange schieben, weil Ihnen der Sprit ausgegangen ist, spielen Milei in die Karten. Dieser versucht schon länger das Narrativ zu etablieren, dass sich Argentinien auf dem Weg zu einem zweiten Venezuela befindet. Die Situation hat sich in großen Teilen des Landes allerdings bereits wieder normalisiert.

Laut dem Meinungsforschungsinstitut AtlasIntel sehen knapp 50 Prozent der Argentinier*innen Sergio Massa direkt in der Verantwortung für diese Krise. AtlasIntel, welches bei den Vorwahlen und den Wahlen am 22. Oktober dem Ergebnis am nächsten kam, sieht zu Redaktionsschluss Milei mit 52 zu 48 Prozent vorne. Andere Umfragen sehen Massa vorne. Viel spricht dafür, dass es eng wird. Spricht man mit Argentinier*innen über das mögliche Resultat, bekommt man häufig ein Sprichwort zu hören: „Verlässt man Argentinien für drei Wochen und kommt wieder, ist alles anders, verlässt man es aber für 30 Jahre und kommt wieder, ist alles gleich.“

50 Jahre LN & FDCL

Mit einer ganzen Reihe an Veranstaltungen haben wir unser 50jähriges Jubiläum mit Euch begangen. Das Motto: “Lateinamerika heute im Spiegel von fünf Dekaden”. Alle Veranstaltungen haben in Präsenz in Berlin stattgefunden, die Videomitschnitte der Diskussionrunden könnt ihr auf der Youtube-Seite des FDCL anschauen. Hier findet ihr weitergehende Infos zu den Inhalten der einzelnen Veranstaltungen.

vergangene Veranstaltungen der Reihe

10. September

50 Jahre Putsch und die Privatisierung des Wassers in Chile

Der Militärputsch von Pinochet und der von ihm durchgesetzte Neoliberalismus haben sich auf Daseinsfürsorge und Menschenrechte in Chile ausgewirkt. Was waren die Folgen der Pinochet-Diktatur, die auch heute noch die Demokratie in Chile beeinträchtigen? Darüber wollen wir am Beispiel des ungleichen Zugangs zu Wasser diskutieren.

Mit: Jorge Díaz & Carolina Vilches (MODATIMA), Clarita Müller-Plantenberg (Mitbegründerin der Lateinamerika Nachrichten und Chile-Kennerin), Moderation: Nils Brock (npla)

Eine Veranstaltung von Lateinamerika Nachrichten, FDCL, npla, VVN-BdA (im Rahmen des Tags der Erinnerung und Mahnung des Berliner VVN-BdA)

20. September

Frieden, Kohle, Sozialreformen? Spielräume linker Politik in Kolumbien

— español abajo —

Mit dem Amtsantritt von Präsident Gustavo Petro und Francia Márquez im August 2022 erhielt Kolumbien erstmals eine (Mitte-)Linksregierung. Die Ziele sind weitreichend: Die Regierung will einen „umfassenden Frieden“ („paz total“) mit den verbleibenden Guerillas, paramilitärischen Gruppen und Drogenbanden schließen. Die Förderung der umwelt- und klimaschädlichen Steinkohle soll bald der Vergangenheit angehören. Armut und soziale Ungleichheit will die Regierung durch Sozialprogramme und eine Agrarreform bekämpften. Zudem sollen Steuer-, Renten-, Gesundheits- und Bildungssysteme gestärkt werden.

Heute ist von der revolutionären Hoffnung nichts mehr übrig. In Nicaragua hat der ehemalige Revolutionsführer Daniel Ortega eine Familiendiktatur errichtet, unter dem Populisten Nayib Bukele in El Salvador findet ein rasanter Abbau des Rechtsstaats statt und in Guatemala brachte der „Pakt der Korrupten“ in den letzten Jahren alle Schlüsselinstitutionen des Staates unter seine Kontrolle.

Aus Anlass des 50 jährigen Bestehens der LN und des FDCL wollen wir gemeinsam mit Voces de Guatemala und der Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur einen Blick zurück und nach vorne werfen. Zu Beginn diskutieren wir mit unseren Gästen aus der Solidaritätsbewegung mit Zentralamerika darüber, mit welchen Hoffnungen und Visionen sie damals für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft und in welche Widersprüche sie sich verstrickt haben. Gleichzeitig fragen wir, inwiefern die Solidaritätsarbeit auch heute – unter anderen Vorzeichen und Hoffnungen– fortlebt, wie sie sich verändert hat und was sich aus der Geschichte lernen lässt.

Anschließend wird es Zeit geben, sich bei einem Getränk mit interessanten Fundstücken der vergangenen und aktuellen Solidaritätsarbeit auseinanderzusetzen und mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Wir freuen uns auf eine interessante Diskussion mit:
Ehemaligen Aktivist*innen der Solidaritätsbewegung mit El Salvador und Guatemala, sowie Aktivist*innen von Voces de Guatemala und La Marimba (Nicaragua). Beide Kollektive engagieren sich aus einer migrantischen Perspektive heraus für die Menschenrechte in Nicaragua und Guatemala.

Die Veranstaltung findet auf Deutsch/Spanisch mit Simultanverdolmetschung statt

Die Veranstaltung wird gemeinsam organisiert von:
FDCL e.V., Lateinamerika Nachrichten, Voces de Guatemala, Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur (mit der Fachpromotorin für Globale Solidarität in Partnerschaften)

Doch die Herausforderungen sind enorm: Mit seiner strukturell konservativen und gewaltvollen Geschichte gilt Kolumbien trotz vielfältiger sozialer Bewegungen als besonders schwieriges Terrain für die Umsetzung linker Politik. Aufgrund fehlender parlamentarischer Mehrheiten schmiedete Petro zunächst ein Regierungsbündnis mit traditionellen Parteien, das im Streit um die Gesundheitsreform im April dieses Jahres zerbrach. Die Friedensverhandlungen gestalten sich schwierig und seit Beginn des Ukraine-Krieges ist kolumbianische Steinkohle heiß begehrt – nicht zuletzt in Deutschland.

Welche Spielräume für linke Politik hat die Regierung Petro? Sorgt der deutsche Hunger nach Rohstoffen für eine weitere Vertiefung des Extraktivismus in Kolumbien? Wo verortet sich Kolumbien im Rahmen des aktuellen Linkstrends in Lateinamerika?

Über diese und weitere Fragen wollen wir sprechen mit:

  • Tininiska Zanger Montoya (Anthropologin. Sie arbeitet zu Themen rund um den kolumbianischen Konflikt und promoviert über die Rückkehr aus dem Exil nach Kolumbien.)
  • Diana Sepúlveda (Sozialarbeiterin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie ist Teil des Kollektivs Unidas por la Paz Alemania in Berlin, Defendamos la Paz Internacional, und Mitglied der Partei Polo Democrático Alternativo.)
  • Raul Zelik (Politikwissenschaftler. Er war Professor für Internationale Politik an der Nationaluniversität Kolumbien und hat seit den späten 1980er Jahren immer wieder in Solidaritätsprojekten kolumbianischer Bauernorganisationen und Gewerkschaften gearbeitet.)

Die Veranstaltung wird simultan übersetzt (Deutsch-Spanisch).

+++español+++

¿Paz, carbón, reformas sociales?
Posibilidades y márgenes de maniobra para políticas de izquierda en Colombia

Evento conjunto de Lateinamerika Nachrichten (LN) y el Centro de Investigación y Documentación Chile-América Latina (FDCL) como parte de la serie de eventos „1973 a 2023 – solidariamente hacia los próximos 50 años”

Fecha: miércoles, 20 de septiembre, 19:00
Lugar: Aquarium, Skalitzer Str. 6, 10999 Berlín

Tras la toma de posesión de Gustavo Petro como presidente y Francia Márquez como vicepresidenta en agosto de 2022, Colombia cuenta por primera vez con un gobierno de (centro)izquierda. Sus objetivos son de largo alcance: el gobierno quiere lograr la „paz total“ con las guerrillas que aún siguen activas, los grupos paramilitares y las bandas de narcotraficantes. Se espera que la extracción de carbón, perjudicial para el medio ambiente y el clima, pronto sea cosa del pasado. El gobierno quiere reducir la pobreza y la desigualdad social mediante programas sociales y una reforma agraria. Además, busca reformas estructurales que fortalezcan los sistemas fiscal, pensional, salud y educativo.

Sin embargo, los retos son enormes: con su historia estructuralmente conservadora y de violencia, la implementación de políticas de izquierda es particularmente difícil en Colombia, a pesar de las luchas históricas de los diversos y numerosos movimientos sociales. Debido a la falta de mayorías parlamentarias, Petro forjó inicialmente una alianza de gobierno con los partidos tradicionales, que se rompió en la disputa sobre la reforma a la salud en abril de este año. Las negociaciones de paz están resultando más complejas de lo esperado y, desde el comienzo de la guerra de Ucrania, el interés en el carbón colombiano se ha incrementado muchísimo, también y particularmente en Alemania.

¿Cuáles son las posibilidades y márgenes de maniobra del gobierno de Petro para implementar políticas de izquierda? ¿El interés voraz en materias primas de Alemania llevará a una continuación y expansión del modelo extractivista en Colombia? ¿Dónde se posiciona Colombia en el marco de la tendencia actual de la izquierda en América Latina?

Sobre estas y otras preguntas hablaremos con:

  • Tininiska Zanger Montoya (Antropóloga. Trabaja sobre temas relacionados con el conflicto colombiano y escribe su tesis doctoral sobre el regreso desde el exilio a Colombia.)
  • Diana Sepúlveda (Trabajadora social y comunicadora social. Es parte del Colectivo Unidas por la Paz Alemania en Berlín, de Defendamos la Paz Internacional y miembro del partido Polo Democrático Alternativo.)
  • Raul Zelik (Cientista político. Fue profesor de política internacional en la Universidad Nacional de Colombia y desde finales de los años ochenta ha trabajo en proyectos de solidaridad con organizaciones campesinas y sindicales en Colombia.)

El evento contará con traducción simultánea (alemán-español).

24. Oktober

“Die Internationale der Nationalen: Rechte Netzwerke und ihre Verbindungen zwischen Deutschland und Lateinamerika”, 19 Uhr im refugio, Lenaustr. 3-4, 12047 Berlin

— español abajo —

Wenn Beatrix von Storch von der AfD den rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien besucht oder dessen politisch aktive Söhne den ehemaligen Chefstrategen von Donald Trump, Steve Bannon, dann sind dies nur die deutlich sichtbaren Teile einer sehr aktiven internationalen Vernetzung der extremen Rechten. Mit dieser Podiumsdiskussion wollen wir mehr in die Tiefe gehen und zusätzlich zur AfD auch über rechteThinktanks, politische Stiftungen und deren Verbindungen nach Lateinamerika diskutieren.

Auch die extreme Rechte in Lateinamerika selbst ist gut vernetzt, nicht zuletzt in die USA. Oft reichen die Verbindungen zu den Militärdiktaturen der 1970er und 80er Jahre. Auf der politischen Ebene ist sie immer wieder erfolgreich: Nach der verheerenden Amtszeit von Jair Bolsonaro und der knapp gescheiterten Wahl von J. A. Kast in Chile 2021 droht aktuell in Argentinien mit Javier Milei ein selbsternannter Anarcho-Kapitalist an die Macht zu kommen, der sich vieler bekannter diskursiver Strategien und des neoliberalen Programms der extremen Rechten bedient.

Nicht zuletzt soll es auch um die Frage gehen: Was können wir den Diskursmustern entgegensetzen? Wie den Aufstieg der neuen radikalen Rechten verhindern? Und welche Aktionen und Bewegungen gegen Rechtsextremisten sind erfolgreich?

Podiumsdiskussion mit:
Belén Díaz, Soziologin aus Ecuador, promoviert an der FU Berlin zur Neuen Rechten mit Fokus auf der neoliberalen Bewegung Movimento Brasil Livre (MBL), die den Aufstieg des Bolsonarismus unterstützt hat. Sie ist Mitglied des Kollektivs Bloque Latinoamericano Berlin, das sich auf migrantische Selbstorganisierung und Solidaritätsarbeit konzentriert.
Ulli Jentsch, Journalist und Researcher für apabiz e.V. und Argumente e.V., seit Jahrzehnten in der antifaschistischen internationalen Zusammenarbeit aktiv, in deren Zentrum aktuell die europäischen und globalen Beziehungen und Strategien der AfD stehen.
Grasa Guevara, Drag Queen und argentinische Aktivistin. Engagiert in den linken Bewegungen nach 2001 im Bereich Kunst und Kultur und im queeren Aktivismus in Buenos Aires. Aktuell Mitglied des Centro de Educación Popular Lohana Berkins und aktiv in Initiativen zur Comunicación Popular und dem Bloque Latinoamericano Berlin.

Moderation: Ute Löhning, freie Journalistin

Die Veranstaltung findet auf Deutsch und Spanisch statt und wird simultan verdolmetscht.

In Zusammenarbeit mit dem Bloque Latinoamericano im Rahmen des Antikolonialen Monats.

+++español+++

“La Internacional de los nacionales: redes de la extrema derecha y sus conexiones entre Alemania y América Latina”, 19:00 h en Refugio Berlin, Lenaustr. 3-4, 12047 Berlin (Neukölln)

Las visitas de Beatrix von Storch del AfD al presidente de extrema derecha en Brasil, Jair Bolsonaro, o de sus hijos al exestratega de Donald Trump, Steve Bannon, son solo las partes visibles de una red internacional muy activa de la extrema derecha. En esta mesa redonda, queremos profundizar y debatir no solo sobre el AfD, sino también sobre los think tanks de derecha, las fundaciones políticas y sus conexiones con América Latina.

La extrema derecha latinoamericana está bien conectada, también con los Estados Unidos. A menudo, los vínculos se remontan a las dictaduras militares de los años setenta y ochenta. A nivel político, las derechas una y otra vez tienen éxito. Tras el desastroso mandato de Jair Bolsonaro y la elección por muy poco fallida de J. A. Kast en Chile en 2021, Javier Milei, un autoproclamado anarcocapitalista amenaza actualmente con llegar al poder en Argentina. Para ello, utiliza muchas estrategias discursivas conocidas y el programa neoliberal de la extrema derecha.

Además de analizar el panorama, debatiremos en torno a las siguientes preguntas: ¿Qué podemos hacer para contrarrestar las narrativas y patrones discursivos? ¿Cómo prevenir el ascenso de la nueva derecha radical? ¿Qué acciones y movimientos contra los extremistas de derecha tienen éxito?

Una mesa redonda con:

Belén Díaz, socióloga ecuatoriana, realiza su doctorado sobre las nuevas derechas en la FU Berlin. Investiga el caso del Movimento Brasil Livre (MBL), una organización neoliberal que apoyó el ascenso del bolsonarismo. Es parte del Bloque Latinoamericano Berlín, que se centra en la autoorganización migrante y el trabajo de solidaridad con Abya Yala.

Ulli Jentsch, periodista e investigador de apabiz e.V. y Argumente e.V. de Berlín, activo durante décadas en la cooperación internacional antifascista, actualmente centrado en las relaciones y estrategias europeas y globales del AfD.

Grasa Guevara, Drag Queen y activista argentina. Militó en las izquierdas pos 2001 en Buenos Aires, en el ámbito del arte y la cultura y en el movimiento queer. Actualmente forma parte del Centro de Educación Popular Lohana Berkins y del Bloque Latinoamericano Berlín, además de llevar adelante iniciativas de Comunicación Popular.

Moderación: Noticias de América Latina

El evento será en alemán y español con traducción simultánea.

Evento en cooperación con el Bloque Latinoamericano Berlín en elmarco del Mes Anticolonial 2023

7. November

Von Illusionen, Hoffnungen und Kämpfen: Solidarität mit Zentralamerika früher und heute”,
18 Uhr im Aquarium, Skalitzer Str. 6, 10999 Berlin

18 bis 20 Uhr: Gespräch mit Gästen
20 bis 21 Uhr: Getränke + kleine Ausstellung mit Fundstücken aus den 70er und 80er Jahren

Zentralamerika war in den 70er und 80er Jahren mitunter geprägt von revolutionären Ideen. Die erfolgreiche Revolution der FSLN in Nicaragua war eine Referenz für solidarische Bewegungen weltweit, Brigaden wurden in das kleine mittelamerikanische Land organisiert und aus aller Welt unterstützten Komitees und Kollektive den Aufbau einer neuen Gesellschaft.

Auch in El Salvador und Guatemala kämpften Guerillas für eine gerechtere Gesellschaft. Doch beide Länder versanken in blutigen Bürgerkriegen, die Opfer gehen in die hunderttausende und fanden ihren gewalttätigsten Ausdruck in dem Genozid an der Maya-Bevölkerung Guatemalas. Auch hier unterstützten solidarische Gruppen – gleichwohl unter ganz anderen Voraussetzungen – die revolutionären Gruppen. Die wohl bekannteste Kampagne in diesem Zusammenhang war die Forderung nach „Waffen für El Salvador“.

19. November

Damals wie heute: Feministisch kämpfen! Kämpfe gegen patriarchale Gewalt und internationale queerfeministische Solidarität

18 Uhr im Aquarium, Skalitzer Str. 6, 10999 Berlin

Der Widerstand gegen patriarchale Gewalt verbindet queerfeministische Bewegungen  weltweit. So unterschiedlich ihre Anliegen auch sein mögen: Theorie und Aktionsformen reichen über Grenzen hinweg, das zeigen die Proteste gegen Feminizide am Zócalo in Mexiko-Stadt, dem Widerstandsplatz in Berlin-Wedding oder die massenhafte Adaption von Un Violador en tu camino des chilenischen Performancekollektivs LasTesis an vielen Orten der Welt.

Was aber bedeutet es heute, transnational queerfeministisch zu kämpfen? Was können wir darüber aus vergangenen Kämpfen, zum Beispiel den Erfahrungen feministischer Genoss*innen aus den Solibewegungen der 1970er und 1980er Jahren lernen? Wie blicken migrantische und in der Diaspora lebende Feminist*innen auf den Widerstand gegen patriarchale Gewalt? Können die diversen und wertvollen Denkanstöße der Feminismen des Südens auch hier in feministischen Aktivismus einfließen und wo tun sie das vielleicht schon? Wie kann der Widerstand gegen patriarchale Gewalt auch ein Kampf für den Aufbau kollektiver Strukturen und eine feministische Zukunft sein?

Über diese Fragen sprechen wir mit: 

  • Marcela Torres Heredia ist Teil des Herausgeber*innenkollektivs von “Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen” und aktiv in queerfeministischen Aktionsgruppen in Wien.
  • Elisabeth Erdtmann blickt zurück auf die nicaraguanische Frauenbewegung und internationale feministische Solidarität während und nach der Sandinistischen Revolution (1979-1990) in Nicaragua. 
  • Andrea und Paula sind Aktivist*innen von Perrxs del Futuro. Das feministische und antikoloniale Kollektiv verkörpert nicht nur den Kampf gegen sexualisierte Gewalt, sondern auch jegliche Kämpfe für die Befreiung aus strukturellen Unterdrückungsverhältnissen.

Die Veranstaltung findet auf Deutsch und Spanisch statt und wird simultan in beide Sprachen verdolmetscht. Sie wird außerdem im Livestream auf Facebook zu sehen sein.

Eine Veranstaltung von den Lateinamerika Nachrichten (LN), dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) und dem Buchladen Schwarze Risse.

30. November

Filmscreening: “Donnerstags, 19 Uhr” (Dokumentarfilm über 50 Jahre LN-Redaktion)

19 Uhr im Kino der Regenbogenfabrik, Lausitzer Str. 21a, 10999 Berlin

Seit 1973 existiert unsere Monatszeitschrift Lateinamerika Nachrichten als unabhängiges, ehrenamtliches Redaktionskollektiv in Berlin. Anfangs noch als Chile-Nachrichten in Solidarität mit der Regierung Salvador Allendes gegründet, liefern wir bis heute alternative, kritische Berichterstattung zu Politik und Kultur in Lateinamerika.

“Donnerstags, 19 Uhr” ist ein Film über Generationen von Redakteur*innen und die stetige Neuerfindung der LN. Über 50 Jahre politische Selbstorganisation und internationale Solidarität. Über feministische Revolutionen in Lateinamerika und innerhalb der Redaktion. Über Schreibmaschinen und Digitalisierung. Über prekäre Produktionsbedingungen und die Liebe zum Print-Journalismus.

Weitere Infos zum Film gibt es hier!

Eine Veranstaltung von Lateinamerika Nachrichten und FDCL.

Die Veranstaltungsreihe wird gefördert von:

Tiefer Graben durch die MAS

Eigene Versammlung statt Parteitag Vizepräsident Choquehuanca (links) und Präsident Arce (Mitte) am 17. Oktober in El Alto (Foto: Jorge Mamani/ABI)

Der Parteitag der MAS am 3. und 4. Oktober hat die beiden Flügel um Präsident Arce und seinen Vorgänger Morales (2006–2019) endgültig entzweit. Die Delegierten des nationalen Kongresses bestätigten Morales als Parteivorsitzenden und erklärten ihn zum „einzigen Kandidaten“ für die Präsidentschaftswahl 2025. Arce und sein Vize David Choquehuanca dagegen wurden aus der MAS ausgeschlossen.

Mehrere soziale Bewegungen und der Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften (COB) hatten den Parteikongress in Lauca Ñ im Departamento Cochabamba allerdings schon davor für „illegal und illegitim“ erklärt. Die drei Gründungsorganisationen der MAS, der Gewerkschaftsbund der Landarbeiter*innen (CSUTCB), der Gewerkschaftsbund der interkulturellen Gemeinschaften (CSCIB) und die Landfrauenorganisation Bartolina Sisa, hatten den Parteitag abgelehnt, da an diesem deutlich weniger Vertreter*innen von ihnen teilnehmen sollten als an vorherigen Kongressen.

Auch Arce und Choquehuanca hatten beschlossen, nicht am Parteitag teilzunehmen: „Wir können nicht in ein Haus gehen, in dem die wirklichen Eigentümer, die sozialen Organisationen, nicht anwesend sind“, hatte der Präsident dies begründet. Auf der Versammlung im tropischen Teil Cochabambas, der als politische Bastion von Morales gilt, schlossen die mehr als 1.000 Delegierten dann zügig Arce und Choquehuanca sowie 20 weitere Politiker*innen aus der Partei aus – angeblich eine autoexpulsión, also ein „Selbstausschluss“, da sie nicht an der Konferenz teilgenommen hatten. „Die MAS wird unsere Revolution zurückgewinnen, um das Vaterland erneut zu retten“, betonte Morales am Ende seiner Abschlussrede auf dem Kongress.

Die Anhänger*innen von Arce mobilisierten ihrerseits Unterstützer*innen an der Basis. Der „Einheitspakt“, den fünf einflussreiche politische Basisorganisationen in Bolivien bilden, organisierte am 17. Oktober in El Alto eine große Versammlung und einen Protestmarsch zur Unterstützung des Präsidenten und Vizepräsidenten.

Von weitaus größerer Bedeutung ist jedoch, dass das Oberste Wahlgericht (TSE) am 31. Oktober den MAS-Parteitag in Lauca Ñ und die dort gefällten Entscheidungen für ungültig erklärt und die Durchführung eines neuen Kongresses angeordnet hat. Grund dafür sei, dass Evo Morales nicht die notwendige Bescheinigung über seine Mitgliedschaft in der MAS seit 2002 vorgelegt habe. Außerdem erfüllten 14 der 16 Mitglieder im neu gewählten Parteidirektorium nicht die dafür vom MAS-Statut vorgeschriebenen mindestens zehn Jahre Mitgliedschaft. Während der Einheitspakt umgehend einen neuen Parteitag der MAS ankündigte, bezeichnete Morales das Urteil als „Schlag gegen die Demokratie, die indigene Bewegung und die demokratische Kulturrevolution“ und kündigte an, juristisch und politisch dagegen zu kämpfen.

Anfangs hatten manche in der Fehde zwischen Arce und Morales ein Schauspiel zur Verwirrung der rechten Opposition vermutet. Inzwischen ist aber klar: Ein tiefer Graben zieht sich durch die MAS und durch gesellschaftliche Organisationen wie den CSUTCB oder die Landfrauenorganisation Bartolina Sisa, die jahrelang als starke Basis den politischen Prozess der Umgestaltung in Bolivien durch die MAS unterstützten. Auf der einen Seite sind die Anhänger*innen von Präsident Luis Arce, die Arcistas; ihnen gegenüber stehen die Evistas, die Unterstützer*innen von Parteigründer Evo Morales.

Am 19. August beispielsweise eskalierte der Kongress des Gewerkschaftsbunds CSUTCB in der Stadt El Alto: Dort kam es zu erbitterten Schlägereien, mehr als 450 Teilnehmende wurden verletzt. Der CSUTCB ist jetzt gespalten, die einflussreiche Gewerkschaft besteht aus zwei Fraktionen mit je eigenem Vorsitz. Einer wird von der Regierung Arce anerkannt, der andere vom MAS-Parteivorsitzenden Morales.

Das hat weitreichende Folgen. „Ich glaube, dass sich die MAS in zwei Parteien aufspalten wird“, erwartet Fernando Molina, bolivianischer Journalist und Autor des kürzlich veröffentlichten Buches Die Krise der MAS. Zu tief sei die Spaltung zwischen Arce und Morales mittlerweile – dabei gibt es zwischen beiden keine großen ideologischen Unterschiede. Arce war viele Jahre lang Wirtschaftsminister in den Regierungen von Morales und galt als dessen Verbündeter.

Vor einem Jahr, im September 2022, hatte Morales erstmals einen „schwarzen Plan“ der Regierung Arce gegen ihn und sein Umfeld beklagt. Es begannen zahlreiche scharfe Auseinandersetzungen, die Wunden auf beiden Seiten hinterlassen haben: Im Juni 2023 warnte Morales zum Beispiel vor einem „Komplott“ der Regierung, um ihn zu „zerstören“. Der gegenseitige Vorwurf, korrupt und in den Drogenhandel verwickelt zu sein, gehört in dieser politischen Fehde fast schon zum Standard.

Arce und seine Regierung stehen vor akuten Problemen

Der Ursprung des Konflikts liegt dabei wahrscheinlich weiter zurück: Vor der Wahl 2020 hatte Evo Morales noch Luis Arce als MAS-Kandidaten durchgesetzt, um seinen politischen Rivalen und den eigentlichen Favoriten der Partei, David Choquehuanca, zu verhindern. Die MAS gewann die Abstimmung deutlich, Arce wurde Staatspräsident und Choquehuanca sein Vize. Angeblich hatte es damals die Vereinbarung gegeben, dass Morales 2025 als Kandidat zurückkehren werde, doch Arce und Choquehuanca etablierten sich selbstbewusst als Regierung der Erneuerung statt als Platzhalter.

In Teilen der Partei gab es bereits damals die Forderung, sich von der Identifikationsfigur Evo Morales und seinem Gefolge abzunabeln. In seiner Rede bei der Amtseinführung als Präsident im November 2020 erwähnte Arce Morales mit keinem Wort. Weder sprach er ihn an, noch dankte er ihm. Außerdem entfernte die Regierung nach und nach Vertraute von Morales aus der Regierung. Zuletzt wurde am 6. September Generalstaatsanwalt Wilfredo Chávez, einer der wenigen in hohen Ämtern verbliebenen Evistas, ausgetauscht.

Gleichzeitig stehen Arce und seine Regierung vor akuten Problemen: Boliviens Wirtschaftsmodell ist strukturell verletzlich, weil es stark von Marktpreisen für Rohstoffe abhängig ist. Ende August bestätigte der Präsident, was Fachleute seit Jahren vermuten: Die Gasreserven des Landes gehen zur Neige. Zudem spüren die Menschen die Klimakrise und die Folgen der Umweltzerstörung, die Bevölkerung großer Teile des Landes leidet unter extremer Trockenheit, das Wasser im Lago Titicaca sank auf einen historischen Tiefstand.

Auch als Bolivien am 31. Oktober erklärte, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen und als Grund dafür „die aggressive und unverhältnismäßige israelische Militäroffensive im Gazastreifen“ nannte, stand das durchaus in der Tradition der Politik der Regierungen von Morales: Bereits 2009 hatte Evo Morales den diplomatischen Austausch zu Israel ausgesetzt, als dessen Armee damals den Gazastreifen angriff. Erst die De-facto-Präsidentin Jeanine Añez nahm vor drei Jahren die Beziehungen zu Tel Aviv wieder auf. Trotzdem konnte sich Morales dieses Mal den Seitenhieb nicht verkneifen, die Entscheidung Arces komme erst nach drei Jahren im Amt und auf Druck der Bevölkerung. Zudem sei sie nicht ausreichend, stattdessen müsse Bolivien Israel zum „Terrorstaat“ erklären und vor dem Internationalen Strafgerichtshof verklagen.

Falls es innerhalb der MAS keine Einigung gibt oder sich eine der beiden Parteiströmungen durchsetzt und danach die volle Unterstützung erhält, könnte sich die politische Landschaft in Bolivien erstmals seit dem ersten Wahlsieg von Morales 2005 entscheidend verändern. Álvaro García Linera, der von 2006 bis 2019 Vize der Regierung Morales war und seit Monaten vor dem politischen Desaster einer Spaltung der MAS warnt, versicherte bereits, die Folge eines Bruchs würde eine Niederlage 2025 bedeuten. Morales ebenso wie Arce hätten daher die „moralische, historische und politische Verpflichtung zur Einheit“.

Eine Spaltung der MAS könnte den politischen Gegnern helfen

Eine Spaltung der MAS könnte darüber hinaus den politischen Gegnern helfen, die derzeit noch sehr schwach wirken: Sie verfügen nicht über eine Organisation an der Basis wie die MAS, prominente Oppositionspolitiker*innen wie der rechte ehemalige Präsidentschaftskandidat Luis Camacho oder die ehemalige De-facto-Präsidentin Jeanine Añez sitzen in Haft.

Nicht zu unterschätzen sind die Folgen des aktuellen Streits für die Basis. Die MAS konnte Bewegungen von Arbeiter*innen im Bergbau und in der Landwirtschaft sowie indigene Organisationen vereinen und aus dieser Einheit ihre Stärke ziehen. Die politische Vertretung des Landes befinde sich jetzt jedoch in der Krise und die sozialen Organisationen seien „zerbrochen“, warnt Jorge Richter, der Sprecher des Präsidenten, vor einem „Parallelismus“ in den sozialen Bewegungen.

Von einer „selbstmörderischen Einstellung“ der MAS spricht Journalist Molina, bevor er hinzufügt: „Das schlimmste Szenario für die bolivianische Linke ist, dass die MAS die Wahl 2025 verliert und aufgrund der Spaltung der sozialen Organisationen keine Kraft hat, sich der neuen Regierung entgegenzustellen.“ Dann könne der Neoliberalismus nach Bolivien zurückkehren, weil niemand in der Lage sei, die sozialen und politischen Errungenschaften der vergangenen Jahre zu verteidigen.

Wenn im zweiten Halbjahr 2025 tatsächlich Arce und Morales gegeneinander kandidieren sollten, wird auch die Frage, wer unter dem Akronym MAS antreten darf, bedeutend. Das Parteikürzel der Bewegung zum Sozialismus steht heute für den einschneidenden gesellschaftlichen Wandel, den Bolivien in den vergangenen beiden Jahrzehnten erlebt hat, sowie vier siegreiche Präsidentschaftswahlen seit 2005. Im Falle eines Streits um die Nutzung der Abkürzung würde die Entscheidung beim Obersten Wahlgericht liegen. „Für diesen Namen könnte Blut fließen, denn es ist ein sehr mächtiger Name in einer Wahl“, warnt Fernando Molina bereits.

Guatemala ist auf der Straße

Die Revoluzzersöhne Jacobo Árbenz Villanova (Mitte links) und Bernardo Arévalo de León (Mitte rechts) (Foto: Edwin Bercian)

Wie jedes Jahr wurde in Guatemala auch am diesjährigen 20. Oktober der Tag der Revolution gefeiert. An diesem Datum wird dem sogenannten guatemaltekischen Frühling gedacht, der 1944 mit dem Sturz der Militärdiktatur von Federico Ponce Vaides begann und zehn Jahre dauerte. An diesem 20. Oktober schwang in der Erinnerung an die Revolution auch die Hoffnung mit, Jahrzehnte der Korruption und Plünderung hinter sich zu lassen.

Grund der Hoffnung ist der Erfolg des Sohnes von Juan José Arévalo, Bernardo Arévalo de León, bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen. Bei den demokratischen Wahlen von 1944 wurde Juan José Arévalo als Kandidat der Partei Frente Popular Libertador mit einer Zustimmung von über 85 Prozent gewählt. Der Pädagoge, Doktor der Philosophie und Erziehungswissenschaften wird als Held der Revolution bei den jährlich stattfindenden Demonstrationen am 20. Oktober geehrt. Der guatemaltekische Frühling aber endete mit dem erzwungenen Rücktritt und Exil seines Nachfolgers Jacobo Árbenz Guzmán.

Bernardo Arévalo de León wiederum gewann am 20. August dieses Jahres die Stichwahl um das Präsidentenamt, der Amtsantritt soll am 14. Januar 2024 stattfinden. Seine Kandidatur hatte dem Land die Hoffnung auf den Frühling zurückgebracht: Bernardo Arévalo und seine sozialdemokratische Partei Movimiento Semilla erlangten landesweit große Aufmerksamkeit durch ihr Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, begleitet von einer bescheidenen Wahlkampagne in einem Land, das gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex von 2022 zu den dreißig korruptesten Ländern der Welt gehört.

Doch mit der Hoffnung sind auch die Gegner wieder aufgetaucht. Unter dem bekannten Vorwurf des „Kommunismus“ werden Bernardo Arévalo und seine Partei angegriffen und kritisiert. So hat auch die amtierende Regierung von Alejandro Giammattei eine Offensive gegen die Partei gestartet, um zu verhindern, dass Arévalo sein Amt antritt. Die Generalstaatsanwaltschaft, die zu einem effektiven Instrument der Unterdrückung geworden ist, hat mehrere Verfahren eröffnet, um Mitglieder der Partei zu kriminalisieren. Juan Alberto Fuentes Knight, einer der Gründer der Partei, hat das Land vor wenigen Monaten aufgrund der Verfolgung, dem das Gründungskomitee ausgesetzt ist, verlassen. Gegen Cinthya Rojas Donis und Jaime Gudiel Arias wurde wegen der Beteiligung an der Gründung der Partei Haftbefehl erlassen. Ende Oktober wurde zudem aufgrund eines Kommentars auf der Plattform X die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Samuel Pérez beantragt.

Im Angesicht dieser Ereignisse gewann der 20. Oktober eine neue Bedeutung. Bernardo Arévalo trägt das Erbe seines Vaters Juan José Arévalo in die Gegenwart. Die Hoffnung auf den Straßen wird jedoch begleitet von Unsicherheit aufgrund der Angriffe derjenigen, die eine Veränderung der aktuellen Machtstrukturen verhindern wollen. Die Demonstrierenden fordern die Anerkennung der jüngsten Wahlergebnisse und den Rücktritt der Leitfiguren der Generalstaatsanwaltschaft, die versuchen, diese Ergebnisse zu sabotieren.

Bereits in den frühen Morgenstunden dieses 20. Oktobers versammelten sich Bürger*innen aus verschiedenen Landesteilen und zogen im Gedenken an das furchtbare Feuer vom 8. März, bei dem 41 Mädchen in einem staatlichen Kinderheim starben, in Richtung des sogenannten Platzes der Mädchen im Zentrum der Hauptstadt. Angehörige indigener Gruppen, Student*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen versammelten sich vor dem Nationalpalast, um Respekt für die Demokratie, die Wahlergebnisse und die Erinnerung an den guatemaltekischen Frühling einzufordern.

„Das Volk hat gewählt und Euch zum Teufel geschickt“

Besonders kritisiert wurde, dass Guatemala nicht die notwendigen Mindestbedingungen und Chancen auf ein würdevolles Leben für zukünftige Generationen bietet. Die Parole „Wegen unserer Kinder, wegen unserer Migranten” spielt darauf an, dass sich viele überwiegend junge Guatemaltek*innen deshalb zur Migration gezwungen sehen. Eine der Haupteinnahmequellen des Landes sind Auslandsüberweisungen. Die Devisen, die Migrant*innen regelmäßig nach Guatemala schicken, machen 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Wie Daten der Bank von Guatemala zeigen, ist dies mehr als der Beitrag der stärksten Wirtschaftssektoren, wie die verarbeitende Industrie, Landwirtschaft und Viehzucht, Autohandel und -reparatur.

Auf Konfrontation Polizei und Protestierende beim landesweiten Streik (Foto: Edwin Berci‡n)

„Das Volk hat gewählt und Euch zum Teufel geschickt“ war eine weitere Parole, die laut in den Straßen hallte. Die Demonstrierenden machten lautstark darauf aufmerksam, dass die Vertreter*innen des Staates bereits gewählt wurden und diese Ergebnisse respektiert werden müssen. Die noch amtierenden Regierungsvertreter*innen werden als Teil des Korruptionsproblems gesehen, es fehlt ihnen an Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Märsche waren von historischer Symbolik geprägt. In einem Moment trafen sich auf einer Brücke im Stadtzentrum, unter der ein Teil der Menschen herzog, Sympathisant*innen der Oktoberrevolution und Demonstrierende, die Respekt für die Demokratie forderten. Bernardo Arévalo hielt zusammen mit Jacobo Árbenz Villanova, dem Sohn von Jacobo Árbenz Guzmán eine Rede, die auf den Sturz der autoritären Regierung im Frühling 1944 anspielte. Neben der Erinnerung an die Hoffnungsmomente vor 79 Jahren betonte Arévalo, dass die gegenwärtige Situation des Landes typisch für einen historischen Moment sei, und dass diese Unsicherheit eine neue Ära, einen neuen Frühling, ankündige. Er zollte den Guatemaltek*innen Respekt, die in Anbetracht der aktuellen Lage ihre Stimme erhoben haben. Er bezeichnete sie als das Volk, das sich gegen die Tyrannei der Korruption erhebt und seit dem 2. Oktober friedlichen Widerstand vor verschiedenen Vertretungen der Generalstaatsanwaltschaft im ganzen Land leistet. Schließlich bekräftigte er sein Vorhaben, die Korruption von der Exekutive aus zu bekämpfen, um dem Volk die ihm genommenen Chancen zurückzugeben. So soll ein pluralistischer und inklusiver Staat entstehen, der den Menschen eine Perspektive abseits der Migration bietet.

Seit mittlerweile mehr als einem Monat wird in vielen Teilen des Landes auf diese Weise friedlicher Widerstand geleistet. Guatemala erlebt einen kritischen Moment in der Gestaltung seiner Zukunft. Die Beteiligung indigener Gruppen war entscheidend für die Mobilisierung der Bevölkerung, sich für die Verteidigung der Demokratie einzusetzen. Diese turbulenten Zeiten werden darüber entscheiden, ob die Demokratie lebensfähig ist und das aktuelle System ablösen kann. Das guatemaltekische Volk kämpft weiter und wird nicht aufgeben.

Monokultur vertreibt Milpa

Auf Deutschlandreise Die Menschenrechtsaktivist*innen María Elena Tujil Caal (rechts), Sandra Montejo Caba (Mitte) und José Luis Caal Hub (Foto: Anderson Sandoval)

Wie kam es dazu, dass die Palmölindustrie auf Ihrem Territorium aktiv wurde? Wie haben Sie davon erfahren?
Maria Elena Tujil Caal: Es gab keine Informationen darüber, dass sie sich das Land aneignen wollten. In der Nähe unserer Gemeinden wurden zum Beispiel einfach Verarbeitungsanlagen errichtet, ohne uns vorab dazu zu befragen oder über mögliche Folgen für unsere Gesundheit und Umwelt aufzuklären. Sie haben uns den Zugang zu sauberem Wasser und Land genommen. Die Bauern wurden unter Druck gesetzt, ihr Land zu verkaufen. Die Unternehmen zahlten umgerechnet zwischen 1.200 und 1.550 Euro pro Hektar Land und kauften es über Dritte oder Zwischenhändler. Auf den Parzellen, auf denen früher Mais und Bohnen angebaut wurden, steht heute nur noch ein Haus. Gleichzeitig haben sie uns mit den angeblichen Vorteilen der Anbauprojekte betrogen: Sie boten den Bauern, die sie zum Verkauf ihres Landes gezwungen hatten, Arbeitsplätze an. Diejenigen, die noch auf den Plantagen beschäftigt sind, arbeiten zwölf Stunden am Tag und erhalten einen Lohn von etwa 10 Euro. Sie bekommen keine Versicherung. Andere werden von weit her angeworben, eingesperrt und ihrer Papiere beraubt. Oft ist nicht klar, wer dort kontrolliert und zertifiziert.

Welche Rolle spielt die Palmölindustrie in Guatemala und im internationalen Kontext?
Josè Luis Caal Hub: Palmöl ist das grüne Geschäft zur Versorgung des europäischen Marktes mit Agrotreibstoffen. Seit der Ölkrise ist es zum globalen Modell geworden. In Guatemala wurde im Rahmen des Friedensabkommens von 1996 ein Landfonds geschaffen. Er sollte Hypothekenkredite zur Verfügung stellen, um den Landerwerb zu erleichtern und die individuelle Titelvergabe zu fördern. Faktisch führte er dazu, das Land der indigenen Gemeinschaften in einen unsicheren Marktmechanismus einzubinden. Zu diesem Prozess, in dem die Institutionen Unternehmen unterstützten, gehörten Drohungen, Manipulationsversuche und die Instrumentalisierung der Gemeindebehörden. Es ist ihnen gelungen, die Gemeinschaften zu spalten und unsere traditionelle gemeinschaftliche Verwaltung zu zerstören, so dass wir ohne Ressourcen dastehen.
Sandra Montejo Caba: Im Jahr 2007 führten wir eine Befragung durch, um die negativen Auswirkungen der Rohstoffindustrie anzuprangern. Es kam zu Brüchen im Gemeinschaftsgefüge. Diejenigen, die sich dem Verkauf ihres Landes widersetzten, wurden kriminalisiert, betrogen oder gewaltvoll angegriffen. Die elf Gemeinden, die Land besaßen, hatten keinen Zugang zu Straßen und Grundstücken, wodurch sie nicht frei arbeiten konnten.

Wie ist die Lage aktuell? Wem gehört das Land und wer nutzt es?
Maria Elena Tujil Caal: In Fray Bartolomé de las Casas haben nur wenige Gemeinden Eigentumsrechte. Der Rest der Gemeinde ist in Privatbesitz, ein Teil davon gehört der Firma Naturaceite, die ihre Geschäfte auch entlang der Region Franja Transversal del Norte und im ganzen Departamento Alta Verapaz ausweitet.
Sandra Montejo Caba: Im Dschungel von Ixcán haben sie vor zehn Jahren viel Wald zerstört und zwei Staudämme gebaut. Der Prozess der Landübergabe an die Indigenen und der Kampf um Anerkennung war jedoch langwierig und dauert bis heute an. Während der Präsidentschaft von Morales wurde das Gebiet von Sololá privatisiert, viele haben ihr Land verkauft, damit die jungen Leute in die USA auswandern konnten.
Josè Luis Caal Hub: Diese Enteignungsprozesse sind nichts Neues. Wir beobachten sie in unterschiedlicher Form seit der Kolonialisierung: Zuerst siedelten sich die Spanier und die Kirche im Norden an, am Ende des 19. Jahrhunderts bauten Deutsche wie Dieseldorff ihr Imperium mit dem Kaffeegeschäft in Alta Verapaz auf. Der Profit der deutschen Kaffeebarone beruhte auf der Ausbeutung der jungen Siedler, ein feudales System blieb bestehen. Heute äußert sich die Enteignung materiell, immateriell und systematisch.

Welche Auswirkungen hat die Industrie auf die Umwelt?
Maria Elena Tujil Caal: Der Fluss führte früher reichlich Wasser und hat die Familien ernährt, jetzt gibt es fast kein Wasser mehr und alles ist verschmutzt. Als die Palmölindustrie kam, starben die Fische. Früher haben wir den Fluss überquert, um Holz zu holen, aber jetzt können wir das nicht mehr, weil das Land privatisiert wurde und fast alles abgeholzt ist. Jetzt müssen wir fast zwei Stunden laufen, um Holz zu holen. Das trifft vor allem uns Frauen, weil es viel mehr Anstrengung erfordert. Die ganze Gemeinde hat keine eigene Wasserquelle mehr, und Frauen aus anderen Orten berichten, dass die einzigen Quellen, die es noch gab, verschwunden sind. Die Zukunft ist ungewiss, die Folgen des Klimawandels sind durch die Abholzung der Wälder viel stärker zu spüren, Überschwemmungen werden häufiger. Auch Krankheiten wie Fieber, Durchfall und Hautausschläge haben zugenommen.

Ihre Weltanschauung setzt statt Monokultur auf Agrarökologie. Wie setzen Sie agrarökologische Praktiken ein?
Sandra Montejo Caba:
Wir fördern die Agrarökologie als ganzheitliche und organische Methode zur Wiederherstellung des Landes, das früher für die Viehzucht genutzt wurde. Das ist unsere Art, Armut und Unterernährung zu bekämpfen. Die Aussaat ist für uns eine Form der spirituellen Gemeinschaft und die milpa (traditionelle Anbaumethode mit Mais, Bohnen und Kürbis, Anm. d. Red.) mehr als ein Nahrungsmittelsystem: Wir lassen die Erde ruhen. Wir nutzen den Regenzyklus und passen uns den Veränderungen im Anbauzyklus. Früher wuchs Ayote auf natürliche Weise, heute hat der Boden nicht mehr so viel Kraft. Eine wichtige Rolle spielen auch verschiedene Heilpflanzen. Wir müssen die gemeinschaftliche Landwirtschaft fördern, denn in einigen Regionen gibt es keine Straßen und die Menschen müssen sehr früh zur Arbeit aufbrechen. Wir brauchen einen Wandel und Prozesse, die autonomer sind. Pueblo Nuevo hat zum Beispiel seinen eigenen Markt und eine gemeinschaftliche Organisation und Artikulation.

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